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Bundesratsbeschluss über

die Rekurse: a. von Otto Sckell, in Luzern, und b. der Aktiengesellschaft ,,Usines Electriques de la Lonza % in Gampel, betreffend Eintragung in das Handelsregister von Genf.

(Vom 23. Februar 1909.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t hat über die Rekurse: a. von Otto S c k e l l , in Luzern, und *. der Aktiengesellschaft ,,Usin es Electriques de la Lonza", in Gampel, betreffend Eintragung in das Handelsregister von Genf, auf den Antrag seines Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Die Aktiengesellschaft unter der Firma ,, U s i n e s E l e c t r i q u e s de la L o n z a " betreibt teils Elektrizitätswerke, teils Calciumcarbidfabriken in Gampel (Wallis), Vernier (Genf), Thusis

917 (Graubünden), Visp (Wallis) und Plan-du-Var (Alpes-Maritimes, -Frankreich). Ihren Gesellschaftssitz hat sie nach Art. l der Statuten in Gampel. Die Gesellschaft ist im Handelsregister des Oberwallis in Brig eingetragen. Die Generaldirektion hat aber ihre Bureaux nicht in Gampel, sondern an der Rue des Granges Nr. 5 in Genf, wo auch die Bücher geführt und von wo aus ·die verschiedenen technischen Etablissemente und die Geschäfte .geleitet werden. Dem Etablissement in Gampel steht lediglich ·ein Fabrikdirektor vor.

Angesichts dieser Sachlage erliess das Handelsregisterbureau Genf an die Gesellschaft auf Begehren von Otto Sckell in Luzern die Aufforderung, ihren Hauptsitz in das Genfer Handelsregister einzutragen. Da die Gesellschaft dies unter Hinweis auf ihre Statuten ablehnte, überwies der Registerführer die Angelegenheit seiner Aufsichtsbehörde zum Entscheide.

Das Handels- und Industriedepartement des Kantons Genf ·verfügte infolgedessen durch 'Entscheid vom 26. September 1908, ·dass zwar eine Eintragung, nach welcher die Gesellschaft ihren ·Sitz in Genf habe, nicht gemacht werden könne, dass dagegen die Niederlassung in Genf als Z w e i g n i e d e r l a s s u n g des ·Hauptgeschäftes von Gampel in das genferische Handelsregister einzutragen sei. Es gehe, mangels einer bestimmten gesetzlichen oder reglementarischen Vorschrift, nicht an, als Hauptsitz der -Gesellschaft einen ändern Ort als ihren statutarischen Sitz zu betrachten.

II.

Gegen diesen Entscheid haben sowohl Otto Sckell als die Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques de la Lonza" mit Eingaben vom 28. September und 2. Oktober 1908 an den Bundesrat jekurriert.

a.

Otto Sckell stellt das Begehren, der Bundesrat wolle den .angefochtenen Entscheid aufheben und erkennen, dass die Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques de la Lonza" ihren Hauptsitz nicht in Gampel habe, sondern in Genf, und dementsprechend in Genf ins Handelsregister einzutragen sei.

Er stützt sich auf die Tatsache, dass sich die Bureaux der Direktion und die Hauptbuchhaltung in Genf befinden, dass Genf -das Zentrum ihrer Geschäftstätigkeit und ihr tatsächliches Domizil Bundesblatt. 61. Jahrg. Bd. I.

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918 im Sinne des Art. 3, Alinea l, des Bundesgesetzes betreffend die> zivilreehtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter:' sei.

b.

Die Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques de la Lonza" beantragt in erster Linie Abweisung des Rekurses von Otto Sckell; im weiteren ersucht sie um Aufhebung des Entscheides des Genfer Handels- und Industriedepartementes, soweit dieses verfügt, das Bureau, welches die Gesellschaft in Genf unterhält, sei als Zweigniederlassung in das Handelsregister des Kantons Genf einzutragen.

'aa. Gegenüber dem Begehren von Otto Sckell macht sie geltend, dass die Statuten der Gesellschaft als deren Sitz Gampel bezeichnen, und dass dieser Sitz nur durch einen Beschluss der Generalversammlung verlegt werden könnte. Die Generalversammung würde dies aber aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht tun.

Nach Art. 616, l 0. R. können die Aktiengesellschaften ihren Sitz frei wählen. Weder Gesetz noch Rücksichten des Verkehrs fordern, dass solche Gesellschaften ihren Sitz da wählen, wo sie ihre geschäftliche Tätigkeit entfalten. Auch nach dem schweizerischen Zivilgesetzbuch (Art. 56) befindet sich der Wohnsitz der juristischen Personen nur dann an dem Orte, wo ihre Verwaltung geführt wird, w e n n i h r e S t a t u t e n es n i c h t anders bestimmen.

Die hauptsächlichsten industriellen Etablisseraente der Gesellschaft befinden sich übrigens im Kanton Wallis, und zwar speziell in Gampel. Und die Konzessionen, welche die Gesellschaft zum Zwecke der Ausbeutung von Wasserkräften vom Staatsrate des Kantons Wallis und von den Gemeinden Stalden, Staldenried, Eisten, Baien, Törbel, Emd, Grächen, St. Nikiaus und Randa erhalten hat, sind ausdrücklich nur unter der Bedingung erteilt worden, dass sie ihren Sitz im Kanton Wallis nehme. Die Wichtigkeit der Niederlassung in Gampel wird noch dadurch erhöht, dass die Gesellschaft gegenwärtig wieder ein neues Werk im benachbarten Visp baut, das die bisherigen an Bedeutung noch wesentlich übertrifft.

bb. Gegenüber der Vorinstanz bemerkt die Gesellschaft: Die Bureaux in Genf können unter keinen Umständen als Zweigniederlassung erklärt werden, denn in Genf befindet sich

919 die Geschäftsleitung, die Generaldirektion der Gesellschaft und ihre Hauptbuchhaltung; die Eintragung dieser Niederlassung als Zweigniederlassung wäre unrichtig, weil in Genf die Hauptleitung der Geschäfte ist, und weil die Genfer Niederlassung als abhängig von der Niederlassung in Gampel bezeichnet würde, während umgekehrterweise diese nur eine Hülfsstation jener ist, Das hiesse die Tatsachen auf den Kopf .stellen.

III.

Das Handels- und Industriedepartement des Kantons Genf beantragt Abweisung beider Rekurse.

In der Frage, ob die Gesellschaft verhalten werden könne, ihren Hauptsitz in Genf zu nehmen und sich dementsprechend in das dortige Handelsregister eintragen zu lassen, schliesst es sich im wesentlichen der Gesellschaft an.

Zur Frage, ob letztere ihre Bureaux in Genf als Zweigniederlassung in das dortige Handelsregister müsse eintragen lassen, äusserte es sich folgendermassen : Die Bureaux der Direktion und die Buchhaltung der ,,Usines Electriques de la Lonzaa befinden sich in Genf; und die Gesellschaft betreibt in Vernier (Genf) eine Calciumcarbidfabrik. Diese Bureaux bilden in Verbindung mit dem Fabrikbetrieb ein vollständiges, nach kaufmännischer Art betriebenes Fabrikationsunternehmen, welches eine Zweigniederlassung, d. h. ein unter selbständiger Verwaltungstehendes, vom Hauptetablissement in Gampel abhängiges Geschäft darstellt. Nach Art. 624 0. R. muss diese Zweigniederlassung ins Handelsregister eingetragen werden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Geschäftsniederlassung, welche die Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques de la Lonzaa an der Rue' dés Granges Nr. 5 in Genf besitzt, nicht den Charakter einer Filiale trägt. Denn gerade von Genf aus werden ja alle Geschäfte der Gesellschaft geleitet und erhalten die Direktoren der verschiedenen technischen Etablissemente; auch desjenigen am statutarischen Gesellschaftssitz in ·Gampel, ihre Weisungen.

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Nun befindet sich der Sitz einer Gesellschaft in der Regel allerdings da, wo ihre Verwaltung geführt wird. Aber wie die Gesetzgebung anderer Länder, hat es auch das schweizerische Obligationenrecht (Art. 616,1) den Aktiengesellschaften überlassen, ihren Sitz frei zu bestimmen. Dieser braucht nach der übereinstimmenden Ansicht von Wissenschaft und Praxis durchaus nicht an den Ort gelegt zu werden, an dem sich der Abschluss der Geschäfte der Gesellschaft vollzieht; er ist nicht notwendig identisch mit dem Zentrum des Geschäftsbetriebes (Handelsetablissement, Geschäftslokal) oder dem Wohnsitz der Direktion.

(Vergleiche z.B.: L e h m a n n , Das Recht der Aktiengesellschaften, Bd. II, S. 495; S t a u b , Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 8. Auflage, Bd. I, Anm. 17, b, zu § 182; E s s e r II, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, 8. 79; H e r g e n h a h n , Das Reichsgesetz betreffend die . . . Aktiengesellschaften, S. 49; Primker bei E n d e m a n n , Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechtes, Bd. I, S. 528; S i l b e r n a g e l , Die Gründung der Aktiengesellschaft, S. 193 und 195.)

Wenn der Sitz der Gesellschaft von dem Orte, wo das Unternehmen betrieben und die Geschäfte geführt werden, verschieden ist, so ist nichtsdestoweniger die Hauptniederlassung am statutarischen Sitz der Gesellschaft (vergleiche Petersen und Pechmann bei Puchelt, Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, Bd. III, S. 82).

Ein Zwang, den Ort der Registrierung mit dem faktischen örtlichen Mittelpunkt des Geschäftsbetriebes in Einklang zu bringen, kann von der Registerbehörde nicht ausgeübt werden (Endemann, a. a. 0., Anm. 14 zu Seite 528).

Wo die Gesellschaft ihren Gerichtsstand und ihr Steuerdomizil habe, ist damit nicht entschieden ; die kantonalen Gesetze können diese Fragen ohne Rücksicht auf die Vorschriften des Handelsregisters regeln, sofern sie nur innerhalb der, Schranken «der Art. 59 und 46, Abs. 2, der B. V. bleiben (vergleiche B. R. B.

vom 18. April 1906 i. S. ,,Merkur"; Bundesbl. 1906, III, 44).

Ebend esshalb kann der Ort der Eintragung nicht nach dem Gerichtsstand oder dem Steuerdomizil bestimmt werden.

Auch der Umstand, dass nach Art. 46 des Betreibungsgesetzes -die im Handelsregister eingetragenen Gesellschaften an

921 ihrem Sitz zu betreiben sind, kann nicht gegen die Eintragung am Orte des statutarischen Sitzes angeführt werden; denn wenn auch damit diese Gesellschaften den Ort ihrer Betreibung selbst bestimmen und die Verwaltung an einen ändern Ort verlegen können, so wäre es nicht weniger bedenklich, ihnen zu gestatten, durch die Verlegung der Verwaltung den durch die Statuten festgelegten Betreibungsort ohne Statutenänderung zu ändern.

(Vergleiche J ä g e r , Kommentar des Betreibungsgesetzes, S. 51, Note 9.)

III.

Was die Fabrik anbetrifft, welche die ,,Usines Electriques de la Lonza" in Vernier betreiben, so ist sie gleich denen in Gampel, Thusis, Visp und Plan-du-Var ein blosses technisches Hülfsetablissement. Derartige Fabrikniederlassungen sind aber, wie schon zu wiederholten Malen festgestellt worden, keine Filialen, die ins Handelsregister eingetragen werden müssten.

(Vergleiche den Entscheid des Bundesrates vom 14. August 1908 in Sachen der Aktiengesellschaft Alb. Buss & Cie., Bundesbl. 1908, IV, 653; S. H. A. B. Nr. 214 vom 26. August 1908, S. 1505/1506 und die dort zitierten früheren Rekursentscheide.) Da sie übrigens auch örtlich von der Niederlassung getrennt ist, welche die Gesellschaft in Genf besitzt, so fällt sie beim Entscheid der Frage, ob letztere als eintragspflichtige Filiale zu betrachten sei, nicht in Betracht.

IV.

Aus diesen Erwägungen kann die Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques de la Lonza"1 weder verhalten werden, ihren Sitz von Gampel nach Genf zu verlegen, noch ist sie genötigt, ihre Geschäffsniederlassung in Genf als Filiale im Sinne des Art. 624 0. R. in das dortige Handelsregister eintragen zu lassen.

Demgemäss wird erkannt: 1. Der R e k u r s von Otto S c k e l l ist als unbegründet ab2. Der R e k u r s der Aktiengesellschaft der ,,Usines Electriques do la Lonza" dagegen wird für b e g r ü n d e t erklärt und der angefochtene Entscheid des Handels- und Industriedepar-

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tementes des Kantons Genf aufgehoben, insoweit er die Rekurrentin verpflichtet, ihre Niederlassung in Genf als Filiale des Hauptgeschäftes in Gampel in das Handelsregister des Kantons Genf einzutragen.

B e r n , den 23. Februar 1909.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Rekurse: a. von Otto Sckell, in Luzern, und b. der Aktiengesellschaft ,,Usines Electriques de la Lonza % in Gampel, betreffend Eintragung in das Handelsregister von Genf. (Vom 23. Februar 1909.)

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03.03.1909

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