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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs von Louis Chappuis, Advokat, in Delsberg, und fünf Mitunterzeichnern gegen den Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 23. August 1894, betreffend die Bezirksbeamtenwahlen vom 15. Juli 1894 im Amtsbezirk Delsberg.

(Vorn 11. November 1895.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über den Rekurs von Louis C h a p p u i s , Advokat, in Delsberg, und fünf Mitunterzeichnern gegen den Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 23. August 1894, betreffend die Bezirksbeamtenwahlen vom 15. Juli 1894 im Amtsbezirk Delsberg; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden Beschluß

gefaßt:

A.

In thatsäcblicher

Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 15. Juli 1894 fanden gemäß Verfügung des Großen Rates vom 19. April und Verordnung des Regierungsrates vom 13. Juni 1894 die Erneuerungswahlen der Bezirksbeamten des Kantons Bern statt; eventuelle Stichwahlen waren auf den 22. Juli angesetzt.

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Nach Maßgabe der Bestimmungen der bernischen Staatsverfassung vom 4. Juni 1893 hatte, zum erstenmal, das Volk diese Wahlen zu treffen.

In der Gemeinde Delsberg war in Anwendung des § 10, Abs. 2, des großrätlichen Dekretes vom 28. September 1892 über das Verfahren hei Volksabstimmungen und öffentlichen Wahlen die Stimmgebung schon am 14. Juli während zwei Stunden (5--7 Uhr Abends) gestattet und hierfür den Bürgern im Bahnhof ein eigenes Lokal angewiesen worden, in dem jedoch auch Sonntags gleich wie im Hauptlokal (Theater) abgestimmt werden konnte.

II.

Gegen die Wahlen im Amtsbezirk Delsberg wurden bei der Kantonsregierung zwei Beschwerden eingereicht, die erstere, vom 17. Juli 1894 datierend, von C. Senn, J. Maguin und Alf. Gigon in Delsberg, die zweite mit Datum vom 20. Juli von J. Maguin und Alf. Gigon in Delsberg unterzeichnet.

Die letztangeführte Besehwerde kam erst am 23. Juli in den Besitz, der beruischen Staatskanzlei und wurde vom Regierungsrate nicht mehr in Berücksichtigung gezogen.

Mit der Untersuchung der ganzen Wahlangelegenheit beauftragte die Regierung einen eigenen Kommissär, Herrn Schwab, Verwalter der kantonalen Brandversicherungsanstalt, in Bern.

Nach zehntägiger Arbeit erstattete der Kommissär arn 17. August der Regierung einen einläßlichen schriftlichen Bericht.

III.

Nach dem Protokoll der Abgeordnetenversammlung des Amtsbezirks Delsberg haben die dortigen Wahlen folgendes Resultat ergeben : a. R e g i e r u n g s s t a 11 h a 11 e r vv a h 1.

Zahl der in Berechnung fallenden Wahlzettel .

Absolutes Mehr Gewählt Herr Boéchat mit 1666 Stimmen.

.

3238 1620

b. G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n w a h i .

Zahl der in Berechnung fallenden Stimmen Absolutes Mehr Gewählt Herr Erard mit 1652 Stimmen.

.

. 3227 1615

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c. Amtsrichter- und A m t s g e r i c h t s s u p p l e a n ten w ä h l en.

Zahl der in Berechnung fallenden Stimmen . . 3256 Absolutes Mehr 1629 Gewählt die Herren Gerspacher mit 1640 Stimmen.

Rossé ,,1646 ,, Renaud ,, 1646 ,, Nußbaumer ,, 1669 ,, Comte ,, 1651 ,, Meyer ,, 1651 ,, ·die letzteren zwei als Suppleanten.

Gegen dieses Wahlresultat sind 26 Beschwerdepunkte, die in 9 Gruppen zerfallen und zum weitaus größten Teil auf die Gemeinde Delsberg sich beziehen, geltend gemacht worden.

IV.

Den Akten ist in Bezug auf den Inhalt der Beschwerdepuokte and deren Begründung durch die Parteien, sowie hinsichtlich der Beststellungen des Regierungskommissärs zu entnehmen was folgt:

1. U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n in der F ü h r u n g der S t i m m r e g i s t e r.

Unregelmäßigkeiten siad namentlich dadurch vorgekommen, daß infolge vou Begehren aus beiden Lagern Auftragungen in das Stimmvegister vorgenommen oder verweigert, worden sind, bei welchen dem § 5 des großrätlichen Dekretes vom 2. März 1870*) über die Stimmregister vom Gemeinderate von Delsberg nicht nachgelebt wurde.

*) Dieses Dekret enthält folgende auf die Führung der Stimmregister bezügliche Bestimmungen : ,,§ 3. Sobald die Verordnung des Regierungsrates, welche die Bürger zu einer Stimmgebung einberuft, bekannt gemacht ist, und zwar spätestens 14 Tage vor dem Abstimmungstag, hat der Gemeinderat das Stimmregister ·einer genauen Durchsicht zu unterwerfen. Diese umfaßt: 1. Die Eintragung derjenigen Personen, welche durch Erreichung des zwanzigsten Altersjahrs, Einwohnung, Entvogtung oder aus irgend einem andern Grunde das Stimmrecht erworben haben (§ 3 der Staatsverfassung) ; 2. die Streichung derjenigen Personen, welche gestorben oder durch Wechsel des Wohnorts, Verlust der Ehrenfähigkeit oder aus irgend einem andern Grunde das Stimmreeht verloren haben (§ 4 der Staatsverfasänng).

,,Diese Ergänzung und Berichtigung des Stimmregisters ist von Amtes wegen vorzunehmen (% l, letztes Alinea).

ßundesblatt. 47. Jahrg. Bd. IV.

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Laut dem gemeinderätlichen Protokoll sind auf ihr Begehrers ins Stimmregister aufgenommen worden am 12. Juli 55 Bürger, am 14. Juli abends 14 Bürger; von den solcherweise Aufgetragenen haben bis auf sechs (bei einem ist es ungewiß) sämtliche an der Abstimmung sich beteiligt.

Zugestandenermaßen hat der Gemeinderat von Delsberg dabei nicht geprüft, ob die Bewerber die gesetzlichen Requisite erfüllt ,,§ 4. Das nach § 3 berichtigte Stimmregister wird unmittelbar nach, erfolgter Durchsicht bis am dritten Tage vor der Abstimmung, mittags 12 Uhr, zu jedermanns Einsicht in der Gemeindeschreiberei aufgelegt.

Während dieser Frist können geltend gemacht werden: 1. Die Begehren solcher Kantons- oder Schweizerbürger, welche das Stiuimrecht in Anspruch nehmen, aber von Amtes wegen nicht eingetragen, wurden ; 2. allfällige Einsprachen gegen das Stimmrecht Dritter oder gegen vorgenommene Streichungen.

,,Die Behörde ist schuldig, jede Anmeldung zur Eintragung auf das Stimmregister in das Protokoll aufzunehmen, doch ist der betreffende Bürger auf Verlangen verpflichtet, seine Anmeldung tnit Namensunterschrift zu bescheinigen. Kantons- oder Schweizerbürger, welche in den Aufenthalts- oder Wohnsitzregistern der Gemeinde eingetragen sind, können nicht zur Vorlagevon Ausweisschriften angehalten werden : Kantons- oder Schweizerbürger jedoch, welche in den Aufenthalts- oder Wohnsitzregistern nicht eingetragen sind, haben eiu Zeugnis über ihre Ehrenfähigkeit beizubringen und den Nachweis zu leisten, daß sie sich wenigstens 30 Tage unmittelbar vor den Wahlen oder Abstimmungen in der Gemeinde aufgehalten haben.

,,Der Einsprecher hat die Einsprache mit Namensnnterschrift zu bestätige» nnd derselben die erforderlichen Belege beizufügen.

,,§ 5. Nach Schluß rler Auflagefrist hat der Gemeinderat unter Zugrundelegung der Verfassung und der bestehenden Gesetze über jede Anmeldung, und jede Einsprache zu entscheiden.

,,Den Bürgern, welche auf diese Weise neu in das Stimmregister eingetragen werden, sind noch am gleichen Tag die Schriften zuzustellen, welche nach dem Dekret über das Abstimmungsverfahren jedem Stimmberechtigten auszuteilen sind. Verweigert dagegen der Gemeinderat einem Kantons- oder Schweizerbürger die anbegehrte Eintragung in das Stimmregister, so hat diesin Form eines motivierten schriftlichen Abschlags zu
geschehen, welcher dem Betreffenden ungesäumt mitzuteilen ist.

,,Auch der Entscheid über eine Einsprache ist ungesäumt, sowohl dem Einsprecher als demjenigen, gegen den die Einsprache gerichtet war, schriftlich mitzuteilen.

,,Nach Erledigung der Anmeldungen und Einsprachen, aber spätestensam V o r a b e n d des A b s t i m m n n g s t a g e s , wird das Stimmregister abgeschlossen nnd die Zahl der Stimmberechtigten durch ein Verbal beglaubigt, ,,Das in solcher Weise abgeschlossene Stimmregister macht für den Abstimmnngstag unbedingt Kegel und bleibt unverändert bis zur nächsten Revision ; ausgenommen ist der in § 6 vorgesehene Fall von Beschwerdeführung und Berichtigung des Stimmregisters durch Entscheid oberer Behörde."

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haben ; er trug sie ohne weiteres, jedoch ,,sous leur entière responsabilité", in das Stimmregister ein.

In Bezug auf 43 Bürger wurde das Streichungsbegehren als unbegründet abgewiesen, aber unterlassen, den Einsprechern, sowie den von dem Begehren betroffenen Bürgern den Entscheid mitzuteilen.

Für den Abschluß des Stimmregisters fand Samstag den 14. Juli, nachmittags 4 Uhr, eine Extrasitzung des Gemeinderates von Delsberg statt. Der Kommissär sagt: ,,Es ist anzunehmen, daß der bezügliche Beschluß (Festsetzung der Zahl der Stimmberechtigten) vor der Eröffnung der Abstimmung auf dem Bahnhof erfolgt ist.a Die Rekurrenten dagegen behaupten, daß das Stimmregister erst geschlossen wurde, als schon beinahe 300 Stimmen auf dem Bureau im Bahnhof abgegeben waren.

2. U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n in der Z u s t e l l u n g der Ausw e i s k a r t e n in der G e m e i n d e Delsberg.*) Die Austeilung der Ausweiskarten an die Stimmberechtigten ist nicht gehörig besorgt worden. Der Termin zur Rückgabe der nicht bestellbaren Karten wurde nicht eingehalten. Ein Polizeidiener hat eine dieser Karten einfach vernichtet. Die Gemeindeschreiberei hat Trägern von Vollmachten zur Ausübung des Stimmrechts die Ausweiskarten abgegeben, statt sie den stimmberechtigten Vollmachtgebern zustellen zu lassen.

Laut Protokoll des Gemeinderates gingen im ganzen nur 7 Karten als unbestellbar an das Bureau municipal zurück. Die Zahl derjenigen, die nicht in den Besitz ihrer Karten gelangten, war aber viel größer, ohne daß ausgemittelt werden konnte, wo die fehlenden Karten stecken geblieben sind.

Ein zuverlässiges Verzeichnis sämtlicher wegen Nichtempfang der Ausweiskarten erhobenen Reklamationen konnte nicht aufgestellt werden. Der Kommissär nimmt an, daß in folgenden Fällen von einer am rechten Ort angebrachten Reklamation der Ausweiskarte gesprochen werden könne: 1. Durch Vollmachterteihing vom 14. Juli 1894 ermächtigten 18 Bürger die Herren Fürsprecher Chappuis & Gigon, ihre Ausweis*) § 4, Ziffer 3, des großrätlichen Abatimmungsdekretes vom 28. September 1892 lautet: ,,In jeder Einwohnergemeinde bat der Gemeinderat dafür zn sorgen, daß spätestens am zweiten Tage vor der Abstimmung jedem stimmberechtigten Bürger eine Ausweiskarte über seine Stimmberechtignng zugestellt wird."

karten, eventuell Duplikate derselben, zu reklamieren. Auf diese Reklamation erklärte sieh der Gemeinderat bereit, Duplikate auszustellen, wenn die Vollmachtträger die Zusicherung geben wollten, daraus keinen Grund zur Klage gegen den Gemeinderat herzuleiten.

Diese Zusicherung wurde nicht erteilt, worauf der Gemeinderat die Ausstellung von Duplikaten verweigerte.

2. Am 14. Juli, abends 4 x /2 Uhr, wandten sich die Advokaten Chappuis & Gigon im Namen von 13 Bürgern, die ihre Karten angeblich nicht erhalten hatten, mittelst Telegramms an den Regierungspräsidenten in Bern.

3. Von denselben Herren wurde am 15. Juli, vormittags 10 Uhr, im Namen von 9 Bürgern beim Regierungspräsidenten v%-egen Nichtablieferung von Ausweiskarten telegraphisch Beschwerde geführt.

Der Kommissär bemerkt, es sei nicht erwiesen, daß diese Reklamanten alle ihre Karten wirklich nicht erhalten hatten, aber soviel sei zugestanden und erwiesen, daß eine gewisse Zahl von Stimmberechtigten am 13. Juli abends noch nicht im Besitze ihrer Ausweisbarten waren.

3. a. U n g e s e t z l i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g des W a h l a u s s c h u s s e s in Delsberg.*) Der lögliedrige Wahlausschuß von Delsberg zählte drei der konservativen Partei angehörende Mitglieder und ein Mitglied, das keiner Partei angehören, eine unabhängige Stellung einnehmen will; die übrigen waren Anhänger der liberalen Partei. Im Verhältnis zur Stimmenzahl, die in Delsberg auf ihre Kandidaten fiel, war die konservative Partei ungefähr ihrer Stärke entsprechend vertreten.

Dagegen brachte es, wie der Kommissär bemerkt, die schwache Vertretung derselben mit sich, daß dem Bureau am Bahnhof nur ein Vertreter der Minderheit zugeteilt werden konnte und daß bei dessen momentaner Abwesenheit die Kontrolle der Minderheit fehlte.

*) § 9 des großrätlichen Dekretes vom 28. September 1892 lautet: ,,Die Leitung und Überwachung der Verhandlungen liegt dem Ausschusse ob, welcher ans wenigstens 5 Mitgliedern besteht. Sind in einer Gemeinde mehrere Abstimmungslokale vorhanden, so werden jedem derselben wenigstens 5 Mitglieder des Ausschusses zugeteilt. Bei der Wahl des Ausschusses ist auf die Parteiverhältnisse im betreffenden Kreise billige Rücksicht zu nehmen."

.

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3. b. U n g e n ü g e n d e und u n z w e c k m ä ß i g e E i n r i c h t u n g der A b s t i m m u n g s l o k a l e in D e l s b e r g . *) Gegen die Einrichtung des Hauptlokals in Delsberg sind keine Einwendungen erhoben worden.

Das Lokal im Bahnhof dagegen mochte zwar nach der Ansicht des Kommissärs für die Stimmabgabe genügen, bot aber keinen genügenden Raum für Stimmberechtigte, die im Wahllokal sich aufhalten wollten. Eine Seitenthüre die in einen Gang fuhrt, war den Wählern nicht verschlossen, scheint aber wenig benützt worden m sein. Im Lokal selbst befand sich ein einziger kleiner Tisch, der zudem von einem Vertreter der liberalen Partei, welcher mit dem Punktieren der Namen der Stimmenden beschäftigt war, zum Teil in Beschlag genommen wurde.**) 3. c. U n g e n ü g e n d e B e k a n n t m a c h u n g des W a h l a u s s c h u s s e s u n d d e r W a h l l o k a l e i n Delsberg.***) Eine bezügliche amtliche Bekanntmachung hat gar nicht stattgefunden.

4. V e r h i n d e r u n g an der A u s ü b u n g des S t i m m r e c h t s.

In Bezug auf die Beschwerden betreffend Nichtablieferung von Stimmkarten trotz erfolgter Reklamation hat sich aus der Unter, suchung des Kommissärs ergeben, daß 6 Bürger auf dem Stimmregister nicht figurieren, 2 per Vollmacht und 2 selber gestimmt und 21 ihre Karten nicht reklamiert haben. Von den 9 übrigen ist sie dem einen zerrissen worden (von seinem Vater), eine kam als unbestellbar zurück, 2 sind nicht eingegangen, wobei der eine der beiden Bürger ausdrücklich erklärt, es sei ihm nichts daran gelegen *) § 5 des angeführten Dekretes schreibt diesfalls u. a. vor: ,,Im Abstimmungslokal soll ein hinreichender Raum abgetrennt und so eingerichtet werden, daß jeder Bürger frei und ungestört seine Stimm- und Wahlzettel schreiben und einlegen kann."

§ 8 des nämlichen Dekretes bestimmt, daß die Verhandlungen der politischen Versammlungen öffentlich seien und daß während derselben jeder Stimmberechtigte Zutritt ins Abstimmungslokal habe.

**) §11, letzter Absatz, ebendaselbst: ,,Schreibbureaux der Parteien sind nicht gestattet."

***) Nach § 4 des großrätlichen Dekrets vom 28. September 1892 hat in jeder Einwohnergemeinde der Gemeinderat dafür zu sorgen, daß die Zusammensetzung des Ausschusses und die Bezeichnung des Abstimmungslokals durch öffentlichen Anschlag und auf andere geeignete Weise bekannt gemacht werde.

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gewesen, stimmen zu können, die Stimmbereehtigung des andern aber von den Beschwerdeführern selber angefochten wird. Die Karten der 5 letzten endlich sind eingegangen; nur 2 derselben erklären, an der Abstimmung nicht teilgenommen zu haben.

5. S t i m m a b g a b e von N i c h t - S t i m m b e r e c h t i g t e n .

Von den 68 geltend gemachten Fällen sind 34 nach dem Ergebnis der Untersuchung von vornherein nichtig, weil in 15 Fällen die Streichung vor der Abstimmung erfolgte, in 11 die Stimmkarteu nicht eingegangen sind und in 8 die Beschwerde zurückgezogen wurde.

Bei Beurteilung der übrigen Fälle wird von Seiten der Beschwerdeführer verneint, daß Berner sogleich nach der Eintragung in die Aufenthalts- oder Niederlassungsregister stimmberechtigt sind.

Bejahendenfalls waren 19 Bürger, deren Stimm berech tigung angefochten wird, stimmberechtigt. In Bezug auf 15 Bürger wird die Stimmberechtigung vom Untersuchungskommissär als nicht vorhanden angenommen. Es betrifft dies 8 Bürger, welche von Delsberg vor dem Abstimmungstag fortgezogen waren, teils mit, teils ohne Erhebung ihrer Schriften, 5 Schweizerbürger, welche die Bedingung von Art. 3 der Verfassung nicht erfüllten (2 waren 3 Monate minus 3 Tage in der betreffenden Gemeinde niedergelassen), l Unterstützten und l bloß vorübergehend in Delsberg Anwesenden, dessen Schriften anderswo deponiert waren.

6. U n e r l a u b t e r G e b r a u c h von A u s w e i s k a r t e n .

Unter dieser Rubrik streicht der Kommissär 6 Stimmen; l Gestorbenen, l vom Stimmregister Gestrichenen und l unberechtigt Aufgetragenen, 2 Abwesende und l ohne Vorweisung der Vollmacht in Stellvertretung Stimmenden.

7. B e e i n f l u s s u n g der S t i m m a b g a b e .

Der Kommissär sagt diesbezüglich : ,,Es geht aus der ganzen Untersuchung hervor, daß in Bezug auf die Bearbeitung von Wählern, welche nicht von vornherein für die eine oder andere Partei Stellung genommen hatten, das Mögliche geleistet worden ist, wobei das Bewirten derselben und das Umgarnen durch eifrige Parteigänger oder geworbene Agenten wohl noch als verhältnismäßig unschuldige Mittel betrachtet worden sind. Eine solche Stimmenwerbung scheint sich im Amtsbezirk Delsberg förmlich eingebürgert zu haben, und es ist denn auch ein förmliches Krumirtum vorhanden, das auf diese Weise mit seiner Stimme Handel treibt. Bei

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aolchen Verhältnissen, wie sie im Amtsbezirk Delsberg existieren, hat natürlich derjenige mit dem größern Geldsack das leichtere Spiel."

8. Unrichtiges V o r g e h e n der A b g e o r d n e t e n versammlung.

In den Gemeinden Movelier, Montsevelier und 'Pleigne überstieg -die Zahl der eingegangenen gestempelten und in Berechnung fallenden Wahlzettel diejenige der eingelangten Stimmkarten, und zwar in Movelier um l, io den beiden anderen Gemeinden um je 2.

Das Resultat dieser Gemeinden wurde in Anwendung von § 15, Abs. 2, des großrätlichen Dekrets vom 28. September 1892*) als ungültig erklärt und bei Berechnung des Gesamtresultates nicht in Betracht gezogen.Nach der Meinung der Beschwerdeführer sollte in solchen Fällen ·entweder die Wahl überhaupt als nicht zu stände gekommen erklärt oder doch den betreffenden Gemeinden durch Veranstaltung einer Nachwahl Gelegenheit geboten werden, den Fehler gutzumachen.

9. U n g ü l t i g k e i t der außer amtlichen Wahlzettel.

Die Wahlzettel der freisinnigen Partei waren nicht ausdrücklich als ,,außeramtliche" bezeichnet worden.

Das Wahldekret**) enthält keine Bestimmung, die dies vorschreibt.

* « * Zu diesen 9 Gruppen gesellte sich nachträglich noch eine fernere.

10. N e u a u f t r a g u n g e n im S t i m m r e g i s t e r von Delsberg.

Die Beschwerdeführer stellten an den Kommissär das Verlangen, es aeien auch die Neuauftragungen. welche nach der öffent:ft ) § 15, Abs. 2, des allegierten Dekretes bestimmt: ,,Übersteigt die Zahl der in Betracht fallenden Zettel diejenige der eingegangenen Ausweiskarten, so ist die betreffende Verhandlung der politischen Versammlung nichtig."

**) § 11, Abs. 3, des nämlichen großrätlichen Dekretes sagt: ,,Bei "Wahlen steht es dem Bürger frei, das amtliche Formular auszufüllen oder sich außeramtlicher, gedruckter oder geschriebener, Wahlzettel zu bedienen. Die außeramtlichen Wahlzettel müssen an Größe, Form und Farbe dem amtlichen Formular entsprechen und dürfen keine äußerlich bemerkbaren Unterscheidungszeichen an sich tragen; sie sollen so eingerichtet sein, daß der Wähler handschriftliche Abänderungen der bedruckten Namen leicht anbringen kann."

92 liehen Auflage des Stimmregisters erfolgt sind, zu prüfen, und das Resultat dieser Prüfung sei mit in Berücksichtigung zu ziehen. Sie begründeten dieses Verlangen mit der Behauptung, daß sie innerhalb der zur Einreichung einer Beschwerde gesetzten Frist ohne ihr Verschulden in die Unmöglichkeit versetzt gewesen seien, diese Neuauftragungen einer Durchsicht zu unterwerfen.

Der Kommissär hat im Beisein des Gemeindepräsidenten von Delsberg und der Beschwerdeführer eine auf diese Neueintragungen sich beziehende Durchsicht des Stimmregisters vorgenommen, wobei 57 Eintragungen bestritten wurden. Er bemerkt hierzu: ,,Die Zeit hat es mir nicht erlaubt, auf die Prüfung der Stimmberechtigung bezüglich derjenigen Auftragungen im Stimmregister von Delsberg einzutreten, welche von den Beschwerdeführern bei der partiellen Durchsicht des Stimmregisters als ungesetzlich beanstandet worden sind Für einzelne dieser Fälle (Auftragungen) dürften die. im Protokoll enthaltenen Angaben genügen, um festzustellen, ob die betreffenden Bürger stimmberechtigt gewesen oder nicht."

IV.

Unter dem 20. August 1894 erstattete die bernische Regierung dem Großen Rate einen Bericht über die Bezirksbeamtenwahlen, vom 15. Juli, worin in betreff der beanstandeten Wahlen von Delsberg im wesentlichen folgendes bemerkt wird : Ad 1. U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n in der F ü h r u n g der S t i m m r e g i s t e r : Einen Kassationsgrund können dieselben nicht bilden, weil ihr Einfluß auf das Wahlresultat nicht bemessen werden kann.

Ad S. U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n in der Z u s t e l l u n g der A u s w e i s k a r t e n : Es ist nicht erwiesen, daß wirklich eine erhebliehe Anzahl von Stimmkarten nicht an die Stimmberechtigten verteilt worden sei. Immerhin ist nicht mit der erforlichen Sorgfalt und Genauigkeit verfahren worden.

Daß der Gemeinderat von Delsberg die 18 verlangten Duplikate von Stimmkarten ,,nur unter Kautelen" -- nach dem Bericht desKommissärs beständen diese in dem abgeforderten Versprechen,, dieserhalb gegen den Gemeinderat nicht Klage zu fuhren -- ausstellen wollte, billigt der Regierungsrat ,,bei den in Delsberg herrschenden Verhältnissen durchaus".

Ad 3 a. U n g e s e t z l i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g des W a h l a u s s c h u s s e s v o n D e l s b e r g . Die Vertretung der Minderheit betrug ,,mindestens" l/5, entsprechend dem Verhältnis der Parteien.

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Ad 3 b . U n g e n ü g e n d e u n d u n z w e c k m ä ß i g e E i n r i c h t u n g d e s W a h l l o k a l s i n D e l s b e r g : D a s Wahllokal im Bahnhofgebäude ermöglichte immerhin den Stimmenden eine unbeeinflußte Stimmabgabe, wenn es auch nicht allen Anforderungen, entspricht, die man an ein Wahllokal stellen muß.

Ad 3 c. U n g e n ü g e n d e B e k a n n t m a c h u n g des Wahla u s s c h u s s e s u n d d e r W a h l l o k a l e D e r Gemeinderat VOB Delsberg, erst im Beginn des Juli auf die bezüglichen Bestimmungen des Dekrets von 1892 noch aufmerksam gemacht, verdient für diese Unterlassung einen Tadel; in Bezug auf das Wahlresultat kommt ihr keine Bedeutung zu, um so weniger, als die Parteien im Wahlausschusse nach Verhältnis ihrer Stärke vertreten waren.

Ad 4. V e r h i n d e r u n g an der A u s ü b u n g des Stimmr e c h t s . Die bloße Behauptung, an der Abstimmung nicht teilgenommen zu haben, kann nicht genügen, um die Stimme eines Bürgers, der keine Stimmkarte erhalten haben will, in Abzug zu bringen,"hat doch die Untersuchung ergeben, daß viele Wähler, um nicht beeinflußt zu werden, den Besitz der Stimmkarte und die Stimmabgabe zu verheimlichen suchten.

Ad 5. S t i m m a b g a b e von N i c h t - S t i r n rn b e r e c h t i g t e n .

Berner sind nach der Eintragung in die Aufenthalts- oder Niederlassungsregister sogleich stimmberechtigt. In den 34 in Betrache zu ziehenden Fällen waren demnach 19 Bürger wirklich stimmberechtigt. Die übrigen 15 müssen in Abzug gebracht werden.

Ad 6. U n e r l a u b t e r G e b r a u c h von Ausweiskarten, Hier müssen 6 Stimmen gestrichen werden. In betreff der 6 übrigen namhaft gemachten Fälle sind die Klagen der Beschwerdeführer unbegründet.

Ad 7. B e e i n f l u s s u n g der S t i m m a b g a b e . Der Amtsverweser von Delsberg ist beauftragt, Straf klage einzureichen : 1. gegen den Maire Nußbaumer von Develier (neugewählter Amtsrichter), welcher seine Stellung und seine Macht als Gläubiger mißbrauchte, um die Stimmgebung eines Bürgers zu beeinflussen ; 2. gegen Alfred Kohler in Bourrignon, welcher angeschuldigt ist, Stimmenkauf getrieben zu haben, und 3. gegen den Pfarrer von Develier, der seine Stellung als Geistlicher zur politischen Einwirkung auf eine von Sehicksalsschlägen heimgesuchte Frau mißbraucht haben soll.

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Der Regierungsrat zieht jedoch diese Vorgänge bei Berechnung ·des Wahlresultates nicht in Berücksichtigung, weil sie beiderseits vorgekommen sind und weil insbesondere weder der Versuch des Nußbaumer, noch derjenige des Kohler zum Ziele geführt hat.

Ad 8. U n r i c h t i g e s V o r g e h e n der A b g e o r d n e t e n v e r s a m t n l u n g . Nach der klaren Bestimmung des § 15 des Dekretes vom 28. September 1892 mußte das Resultat der Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne als ungültig erklärt ·werden und außer Betracht fallen. Nicht das Resultat des ganzen Wahlkreises, einzig ,,die betreffende Verhandlung der politischen Versammlung"- ist nichtig. Die Bestimmungen betreffend das Verfahren nach der Abstimmung (Abgeordnetenversammlung; Anordnung eines zweiten Wahlganges) schließen für eine einzelne Gemeinde eine Nachwahl aus.

Ad 9. U n g ü l t i g k e i t der a u ß e r a m t l i c h e n W a h l z e t t e l . Dieser Beschwerdepunkt ist unerheblich; die Stimmzettel entsprechen den gesetzlichen Vorschriften.

Ad ÌO. Neu a u f t r a g u n g en auf das S t i m m r e g i s t e r von D e l s b e r g . Die Durchsicht des Stimmregisters, wobei 57 Eintragungen von den Beschwerdeführern bestritten wurden, konnte bei der Kürze der dem Kommissär zu diesem Zwecke zur Verfügung stehenden Zeit ,,nicht abschließende Resultate darbieten 14 .

Der Regierungsrat hält es für fraglich, ob bei Beurteilung der Wahlbeschwerde diese Untersuchung mit zu berücksichtigen sei.

Er will es für dieses Mal insoweit thun, als die Untersuchung die Nichtberechtigung der Eintragung auch wirklich nachweist, und nach seiner Prüfung nimmt er an, daß dies hei 19 Eintragungen deiFall sei.

In Zusammenfassung des Angebrachten kommt der Regierungsrat zum Schluß, von dem Wahlresultate in Delsberg 40 Stimmen in Abzug zu bringen, wonach als offizielles Resultat zu konstatieren sei : a. R e g i e r u n g s s t a t t h a l t e r w a h l .

Zahl der Wahlzettel 3238 -- 40 = Absolutes Mehr Stimmenzahl des Herrn Boechat 1666 -- 40 = .

Derselbe ist mit 26 Stimmen über dem absoluten wählt.

3198 1600 1626 Mehr ge-

95 b. G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n w a h l .

Zahl der Wahlzettel 3227 -- 40 = Absolutes Mehr Stimmenzahl des Herrn Erard 1652 -- 40 = . .

Derselbe ist mit 18 Stimmen über dem absoluten wählt.

3187 1594 1612 Mehr ge-

c. Wahl der A m t s r i c h t e r und A m t s g e r i c h t s suppleanten.

Zahl der Wahlzettel 3256 -- 40 = 3216 Absolutes Mehr 1609 Stimmen haben erhalten : Herr Gerspacher 1640 -- 40 = 1600 ,, Rossé 1646-- 40 = 1606 ,, Renaud 1646 -- 40 = 1606 ,, Nußbaumer 1669 -- 40 = 1629 ,, Comte 1651 -- 40 = 1611 ,, Meyer 1651 -- 40 = 1611 Ein Amtsrichter und die beiden Suppleanten sind mit dem absoluten Mehr, die andern drei Amtsrichter mit dem relativen Mehr*) gewählt.

V.

Gestützt auf den regierungsrätlichen Bericht beschloß der Große Rat des Kantons Bern in seiner Sitzung vom 23. August 1894, die Bezirksbeamtenwahleu im Amtsbezirke Delsberg vom 15. Juli gleichen Jahres seien als gültig anzusehen.

In der Diskussion, welche sich im Schöße des Großen Rates über diese Wahlen entspann, sind nach dem Tagblatt des Großen Rates, Jahrgang 1894, Session vom 20. bis 23. August, III. Heft, Seite 376 und ff. u. a. folgende Äußerungen gefallen.

Aus dem V o t u m des R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t e n von Steiger, B e r i c h t e r s t a t t e r des Regie r ungs rates: Die Regierung hat sich auf die Prüfung derjenigen Beschwerdepunkte beschränkt, die in der Woche vom 15. Juli in Bern eingelangt *) § 25, Absatz 2, des Dekretes vom 28. September 1892 bestimmt: ,,Sobald in einem Wahlkreise wenigstens die Hälfte der zu treffenden Wahlen durch das absolute Mehr entschieden ist, so gilt für den Best derselben das relative Mehr desselben Wahlganges".

96 sind. Bin Nachtrag, betitelt ,,Protestation11, welcher erst am 23. Juli, vormittags l O1/« Uhr auf der Staatskanzlei eintraf, wurde vom Regierungsrat, weil nach Ablauf der gesetzliehen Frist eingereichtr nicht mehr berücksichtigt*) Was die Beschaffenheit des Stimmlokals auf dem Bahnhof in Delsberg betrifft, so würde nach dem Bericht des Kommissärs ein solches Lokal andernorts kaum als Stimmlokal verwendet werden.

Der Raum für die Wähler hat ungefähr 4 auf 3 Meter betragen, ein Raum, der vielleicht für eine Barbierstube genügt, aber nicht für ein Stimmlokal, wo einige hundert Bürger stimmen sollen. Immerhin ist nicht erwiesen, daß ein Bürger dadurch an der freien Stimmgebung gehindert wurde, und deshalb rechnen wir diesen Beschwerdepunkt zu denjenigen, welche für den Hauptentscheid außer Betracht fallen Die Prüfung der neuen Eintragungen im Stimmregister von Delsberg war eine Arbeit, die vom Kommissär unmöglich in vollständig erschöpfender Weise vorgenommen werden konnte. Es fragt sich überhaupt, inwieweit die Regierung verpflichtet gewesen wäre, auf diese nachträgliche Prüfung der Stimmregister Rücksicht zu nehmen Nur weil dem Bürger keine Gelegenheit gegeben war, von den neuen Eintragungen Kenntnis zu nehmen, hat die Regierung den Bericht des Kommissärs über die neuen Eintragungen ebenfalls berücksichtigt und 19 weitere Streichungen vorgenommen.

Über eine Anzahl weiter angefochtener Stimmen konnte der Kommissär nicht erschöpfenden Bericht geben, weil die Zeit nicht ausreichte. (Er hat in Delsherg während 10 Tagen ununterbrochen gearbeitet.) Derselbe erklärte, daß er drei Wochen nötig gehabt hätte, um alle zweifelhaften Punkte aufzuklären.

Aus dem Votum des Berich ter statters der Kommission, Großrat Bühler: Es war (ferner) die grundsätzliche Frage zu entscheiden, ob das Wahlresultat derjenigen Gemeinden, wo mehr in Berechnung fallende Stimmzettel einlangten, als Ausweiskarten, von vornherein gestrichen werden solle. Die Auffassung der Beschwerdeführer geht dahin, man sollte den betreffenden Gemeinden Gelegenheit geben, neuerdings zu stimmen. Die Kommission ist aber einstimmig der *) § 34 des großrätlichen Dekretes vom 28. September 1892 sagt: ,,Einsprachen gegen die Gültigkeit des Wahlergebnisses können hinnen einer Frist von 6 Tagen, vom Abstimmungstage an gerechnet, schriftlich bei dem Regierungsrate geltend gemacht werden. Alle nach Ablauf dieser Frist erfolgenden Einsprachen fallen außer Betracht."

97

Ansicht, daß nicht so progrediert werden kann, sondern daß man wirklich in die Notlage versetzt ist, die betreffenden Resultate zu streichen Die Kommission ist aber auch vollständig einig, daß eine solche Bestimmung eine äußerst unglückliche ist. Auf diese Art ist es einem einzigen Stimmberechtigten möglich, dadurch daß er einen Stimmzettel mehr als seinen eigenen in die Urne hineinzupraktizieren weiß, das Resultat des ganzen Wahlkreises zu ändern u n d d e r M i n d e r h e i t z u r M e h r h e i t z u v e r h e l f e n .

Das ist nach Ansicht der Kommission eine ungemein unglückliche Einrichtung, die geändert werden muß.

Die Minderheit der Kommission (Marcuard, Péteut und Brand) stellte durch ihren Vertreter M a r c u a r d , unterstützt durch Großrat Ernst W y ß , den A n t r a g auf R ü c k w e i s u n g der Sache an die Regierung zur Vervollständigung der Untersuchung, namentlich mit Rücksieht auf die nachträglichen Eintragungen im Stimmregister von Delsberg.

Nachdem der lluckweisungsantrag in Minderheit geblieben war, validierte der Große Rat mit Mehrheit die Wahlen von Delsberg.

Auf den einstimmigen Antrag der Kommisaion wurde sodann die Regierung eingeladen, das Dekret vom 28. September 1892 über Volksabstimmungen und Wahlen einer Revision zu unterwerfen.

VI.

Mit Eingabe vom 15. Oktober 1894 haben Louis Chappuis, Advokat in Delsberg, und 5 Mitunterzeicbner gegen den Beschluß des bernischen Großen Rates vom 23. August 1894 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen.

Die Rekurrenten beschweren sich in erster Linie darüber, daß die von den Herren Maguin und Gigon unterm 20. Juli 1894, in Ergänzung einer Beschwerde der Herren Senn, Maguin und Gigon vom 17. gleichen Monats, gegen die Wahlen im Amtsbezirke Delsberg an die Regierung gerichtete ,,Protestation ", weil angeblich zu spät in den Besitz der Regierung gekommen, nicht mehr berücksichtigt worden ist. § 34 des großrätlichen Dekretes vom 28. September 1892 sage nicht, die Einsprachen müssen dem Regierungsrate inner 6 Tagen z u k o m m e n , er bestimme vielmehr, dieselben können inner dieser Frist bei ihm geltend gemacht werden. Die Beschwerde vom 20. Juli sei am 21. Juli an die Adresse des Regierungsrates abgegangen, mithin die Frist von 6 Tagen eingehalten worden.

98 Außer der bereits vorn mitgeteilten Begründung der Beschwerdepunkte heben die Rekurrenten sodann namentlich folgendes hervor: Die großrätliche Gültigkeitserklärung der Wahlen des Amtsbezirkes Delsberg ist nur dadurch möglich geworden, daß das Wahlresultat aus den Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne gänzlich gestrichen und die nachträgliche Beschwerde (Protestation) vom 20. Juli ohne Prüfung einfach ad acta gelegt wurde.

Die als gewählt bezeichneten Kandidaten waren auf der liberalen Liste aufgetragen Die Kandidaten der konservativen Gegenpartei erhielten in den Gemeinden, in welchen die Wahlergebnisse vorn Wahlausschuß in Betracht gezogen 'wurden, folgende Stimmen : Regierungsstatthalter: Herr Wiser, Notar 1574Gerichtspräsident: ,, Wermeille, Advokat . . . 1575 Amtsrichter: die Herren Citherlet 1603 Hoffmeyer . . . . 1607 Joiiat 1598 Wannier 1570 Amtsgerichtssuppleanten : d i e Herren Charmillot . . . . 158b Fleury 1582 Das Wahlergebnis in den Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne ist nach den Protokollen folgendes: Eingeschriebene Wähler.

Movelier . . . .

Montsevelier. . .

Pleigne Zusammen

Eingegangene Ausweiskarten.

90 108 108 306

87 107 103 297

Gültige Zettel.

88 109 105 302

Absolutes Mehr bei 297 gültigen Stimmen = 149.

Die Stimmen verteilten sich wie folgt :


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M o v e l i e r . . . 48 50 48 Montsevelier .

98 99 100 P l e i ç n e . . . 20 20 20 Zusammen 166 169 168

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50 50 50 50 50 103 102 101 105 102 20 20 20 20 20 173 172 171 175 172

Unter Zugrundelegung der im Berichte der Regierung enthaltenen Berechnung und bei Berücksichtigung der in den vorgenannten 3 Gemeinden abgegebenen Stimmen, wobei wegen der 5 zu viel vorgefundenen Stimm/ettel jedem Kandidaten ein Abzug von 5 Stimmen gemacht wird, kommen die Kekurrenten dazu, das Wahlresultat im Amtsbezirke Delsberg folgendermaßen zu bestimmen: R e g i e r u n g s s t a t t h a l t e r . Von der Regierung angenommenes absolutes Mehr 1600 ; das absolute Mehr in den drei vorbenannten Gemeinden dazu gerechnet, ergiebt sich als wirkliches absolutes Mehr 1749. Herrn Boechat kommen zu 1626 plus 136 und minus 5 (zu viel in die Urnen gelegte) Stimmen = 1757.

Die Mehrheit des liberalen Kandidaten wäre also auf 8 Stimmen herabgesunken. Sein Gegenkandidat, Herr Wiser, erhielt 1574 -f- 166 -- 5 = 1735; er bliebe mit 14 Stimmen unter dem absoluten Mehr.

(Die Rekurrenten ziehen unrichtigerweise diesem Kandidaten die 40 als ungültig zu betrachtenden Stimmen, von denen es ungewiß ist, welchem Kandidaten sie zugefallen sind, nicht ab.)

G e r i c h t s p r ä s i d e n t . Absolutes Mehr 1594 -j- 149 =1743.

Stimmen hätten erhalten: Herr Erard 1612 + 133 -- 5=1740.

,, Wermeille 1575 + 169 -- 5 = 1739.*} Es müßte eine Stichwahl erfolgen.

A m t s r i c h t e r . Absolutes Mehr 1609 -j- 149 = 1758.

Stimmen hätten erhalten : Herr Gerspaeher 1600 4- 135 -- 5 == 1730 ,, Rosse 1606 + 129 -- 5 = 1730 ,, Benaud 1606 -f- 129 -- 5 = 1730 ,, Nußbaumer 1629 -f 128 -- 5 = 1752 *) Es fehlt der Abzug von 40 Stimmen.

100

Herr Cithevlet . . . . . . 1603 + 168 -- 5 = 17651 , Hoffmeyer 1607-f 173 -- 5 = 1775 I ,.

,, Joliat.

1598 + 172 - 5 = 1765 | '-> 1570 + 1 7 1 -- 5 = 1736] fl Wanniev Amtsgerichtssuppleanten.

Herr Comte 1611 + 128 -- 5 = 1734 ,, Meyer 1611 + 127 -- 5 = 1733 ,, Charmillot 1588 + 175 -- 5 = 1758 \ A .

,, Fleury . . . . . . 1582 + 172 -- 5 = 1749 / "J Die Hälfte der Kandidaten hätte somit das absolute Mehr erreicht und es wären als gewählt zu bezeichnen gewesen die Herren Citherlet, Hoffmeyer, Joliat, Charmillot und Fleury von der konservativen und Herr Nußbaumer von der liberalen Liste.

In den dem Regierungsrate übermittelten Beschwerden glauben die Rekurrenten den Beweis erbracht zu haben, daß der in deiUrne zu viel vorgefundene Zettel in Movelier von dem Weibel Broquet, einem eifrigen Anhänger der liberalen Partei, eingelegt wurde. Dieser Mann hatte ein Interesse daran, das Wahlresultat der Gemeinde ungültig zu machen, indem dasselbe eine Mehrheit von 13 Stimmen zu gunsten der konservativen Liste aufwies.

Die Prüfung betreffend die in den Gemeinden Montsevelier und Pleigne zu viel eingelegten (je 2) Zettel hat nach der Aussage der Rekurrenten ergeben, daß dieses Vorkommnis auf ein bloßes Versehen zurückzuführen ist.

Die Rekurrenten erklären demnach: Durch das betrügerische und zufällige Einlegen von 5 Zetteln in die Urnen ist die Stimmgebung von 297 stimmberechtigten Bürgern der Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne vernichtet, wenn der Großratsbeschluß aufrecht erhalten bleibt. § 15 des Dekretes vom 28. September 1892 ist verfassungswidrig. Er steht im Widerspruch mit den Artikeln 2, 3, 4, 5, 46, 57 und 72 der kantonalen Verfassung und mit den Artikeln 4 und 5 der Bundesverfassung. **) *) Es fehlt der Abzug von 40 Stimmen.

**) Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut: Kantonale Verfassung: Art. 2. Die Staatsgewalt beruht auf der Gesamtheit des Volkes. Sie wird unmittelbar durch die stimmberechtigten Bürger und mittelbar durch die Behörden und Beamten ausgeübt.

Art. 3. Stimmberechtigt in kantonalen Angelegenheiten sind: 1. alle Kantonsbürger, welche «t. das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt haben,

101 Das Rekursbegehren geht dahin : 1. Es sei der Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 23. August 1894 aufzuheben.

2. Es seien die Wahlverhandlungeii im Amtsbezirke Delsberg vom 15. Juli 1894 zu kassieren.

b. nach den Bestimmungen der Gesetze im Genüsse der Ehrenfähigkeit sind, c. im Staatsgebiete wohnhaft sind; 2. alle Schweizerbürger, welche die nämlichen Eigenschaften besitzen, nach einer Niederlassung von drei Monaten oder einem Aufenthalt von sechs Monaten, beides von der Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung hinweg gerechnet.

Art. 4. Ausgeschlossen von der Stimmberechtigung sind : 1. Personen, welche die in Art. 3 vorgeschriebenen Eigenschaften nicht besitzen; 2. die Geisteskranken; 3. die Besteuerten nach den nähern Bestimmungen des Gesetzes; 4. Personen, welchen der Besuch von Wirtschaften verboten ist; 5. Kantons- und Schweizerbürger, welche in einem andern Kantone oder fremden Staate politische Rechte ausüben.

Art. 5. Die Stimmgebung der Bürger findet in der Regel in den Einwohnergemeiuden statt. Sie ist durch das Gesetz möglichst zu erleichtern.

Art. 46. Der Regierangsstatthalter wird von den stimmberechtigten Bürgern des Amtsbezirks gewählt.

Art. 57. Der Präsident, sowie die Mitglieder und Ersatzmänner des Amtsgerichts werden von den stimmberechtigten Bürgern des Amtsgerichtsbezirkes gewählt.

Ihre Amtsdauer ist vier Jahre.

Ersatzwahlen, welche in der Zwischenzeit notwendig werden, finden für den Kest der laufenden Amtsdauer statt.

Art. 72. Alle Bürger sind gleich vor dem Gesetze.

Der Staat anerkennt keine Vorrechte des Orts, tder Gebart, der Personen und der Familien.

Er anerkennt auch keine Adelstitel.

Bundesverfassung: Art. 4. Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. Es giebt in der Schweiz keine Unterthanenverhältnisse, keine Vorrechte des Orts, der Gehurt, der Familien oder Personen.

Art. 5. Der Band gewährleistet den Kantonen ihr Gebiet, ihre Souveränität innert den Schranken des Art. 3, ihre Verfassungen, die Freiheit, die Rechte des Volkes und die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger gleich den Rechten und Befugnissen, welche das Volk den Behörden übertragen hat.

Bundesblatt. 47. Jahrg. Bd. IV.

8

102 VII.

In seinem Veruehmlassungsschreiben an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vorn 5. Dezember 1894 bemerkt der Regierungsrat des Kantons Bern zunächst, daß er angesichts der Beetimmungen der Bundesverfassung und der in Ausführung derselben erlassenen Gesetzesvorschriften die Kompetenz des Bundesrates zur Beurteilung der vorliegenden Rekursbeschwerde nur insoweit anerkennen könne, als behauptet wird, der angefochtene Beschluß des Großen Rates schließe eine Verletzung des kantonalen Verfassungsrechtes in sich.

Soweit dagegen die Rekurrenten die von den Kantonsbehörden den Bestimmungen und Vorschriften kantonaler Gesetze -- speciell der Dekrete vom 2. März 1870 und vom 28. September 1892 -- gegebene Auslegung und Anwendung anfechten, werde die Zuständigkeit des Bundesrates zur Erledigung der Besehwerde bestritten. Die bernische Regierung erhebt diese Einrede namentlich in Bezug auf diejenigen Beschwerdepunkte, die sich, ohne daß ein bundesrechtlicher oder kantonal verfassungsmäßiger Grundsatz in Frage käme, gegen die Führung und öffentliche Auflage der Stimmregister, gegen die Auftragung Kantonsfremder vor Ablauf eines dreißigtägigen Aufenthaltes und gegen die Berechnung der Beschwerdefrist richten.

Der Regierungsrat glaubt, er befinde sich mit seiner Auffassung auf dem Boden der bisherigen Praxis des Bundesrates selbst. (Er verweist auf die Erwägungen im Rekurs Schibli, Bundeabi. 1894, II, S. 1068.)

Der Regierungsrat bemerkt im weitern, daß auch der Entscheid über die Frage, ob durch den Beschluß des Großen Rates der bundesverfassungsmäßige Grundsatz der Rechtsgleichheit, wie die Rekurrenten behaupten, verletzt worden sei, nicht dem Bundesrate zustehe, indem nach den in der Bundesverfassung und in den Bundesgesetzen getroffenen Kompetenzausscheidung derartige Streitigkeiten vom Bundesgerichte zu beurteilen seien.

,, Die vorliegende Rekursbeschwerde unterliegt somit nach der Ansicht des Regierungsrates nur insofern einer einläßlichen Beurteilung des Bundesrates, als behauptet wird, daß § 15 des Dekretes vom 28. September 1892, auf Grund dessen die Wahlverhandlungen vom 15. Juli 1894 in den Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne als nichtig erklärt wurden, mit Bestimmungen der kantonalen Verfassung, insbesondere mit den Artikeln 2, 3, 4, 5, 46, 57 und 72 derselben, im Widerspruch stehe.

103 Nun lautet aber § 1 5 des Dekretes von 1892 wie folgt: ,,Übersteigt die Zahl der in Betracht fallenden Zettel diejenige der eingegangenen Ausweiskarten, so ist die betreffende Verhandlung der politischen Versammlung nichtig."'

Inwiefern diese Vorschrift, deren Zweckmäßigkeit vielleicht nicht mit Unrecht in Frage gestellt werden kann, mit Art. 46 und 57 der kantonalen Verfassung unvereinbar sein soll, ist der Regierung unerfindlich, da ja dieselbe den verfassungsmäßigen Grundsatz der Wahl.der Bezirksbeamten durch das Volk in keiner Weise berührt.

§ 15 des Dekretes von 1892 stellt lediglich die in der Verfassung selbst nicht bestimmten Folgen einer unregelmäßig vor sich gegangenen Wahlverhandlung fest; er kann auch nicht mit den von dem Stimmrechte und dessen Ausübung handelnden Art. 2, 3, 4 und 5 der kantonalen Verfassung im Widerspruch stehen.

Ebensowenig wird durch die Vorschrift des allegierten § 15 der in Art. 72 der kantonalen Verfassung ausgesprochene Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetze verletzt. Diese Vorschrift findet auf alle politischen Wahlversammlungen ohne Unterschied Anwendung und ist stets in gleicher Weise interpretiert und angewendet worden.

Für den Fall, daß der Bundesrat auch die andern Beschwerdepunkte in materielle Berücksichtigung ziehen sollte, sieht sich der Regierungsrat zu folgenden Gegenbemerkungen veranlaßt: Soweit die in der Gemeinde Delsberg angeblich vorgekommenen Unregelmäßigkeiten, auf die sich dieRekurrenten in ihrer Beschwerde 'an den Großen Rat beriefen, durch die mit größter Gewissenhaftigkeit geführte Untersuchung nachgewiesen werden konnten, wurde denselben in der Weise Rechnung getragen, daß die betreffenden Stimmen. 40 an der Zahl, als ungültig gestrichen wurden.

Die Beschwerdeführer haben sich in dieser Hinsicht übrigens um so weniger zu beklagen, als der Regierungsrat nicht bloß die in der Beschwerde gegen die Wahlen vom 15. Juli 1894 geltend gemachten Klagepunkte, sondern auch die Ergebnisse der vom Regierungskommissär in Bezug auf andere Punkte geführten Untersuchung berücksichtigt hat, und als sämtliche Unregelmäßigkeiten den Kandidaten, welche die Mehrzahl der Stimmen auf sich vereinigt hatten, in Rechnung gebracht wurden, obgleich die Untersuchung ergeben hatte, daß von beiden Parteien solche Unregelmäßigkeiten begangen worden waren.

Die ,,Protestation"- vom 20. Juli 1894 ist der Staatskanzlei erst am 23. Juli zugekommen.

104 Die Beschwerdefrist war bereits am 21. Juli abgelaufen; eine der Staatskanzlei erst am 23. Juli eingereichte Beschwerde durfte nach der strikten Vorschrift von § 34 des Dekretes vom 28. September 1892 vom Regierungsrat nicht mehr in Berücksichtigung gezogen werden.

Gestützt auf das Angebrachte beantragt der Regierungsrat Abweisung der Rekursbeschwerde.

VIII.

Das Dekret des bernischen Großen Rates vom 2. März 1870 über die Stimmregister ist in Ausführung des § 7, Ziff. l, das Dekret vom 28. September 1892 über das Verfahren bei Volksabstimmungen und öffentlichen Wahlen in Ausführung des § 7, Ziff. 4, des kantonalen Gesetzes über die Volksabstimmungen und öffentlichen Wahlen vom 31. Oktober 1869 erlassen.

In diesem Paragraphen des Gesetzes wird die nähere Bestimmung der Anlage, Ergänzung und Revision der Stimmregister, sowie des Verfahrens bei den Abstimmungen und Wahlen großrätliehen Dekreten vorbehalten.

§ 2 des nämlichen Gesetzes hat folgenden Wortlaut: ,,In jeder Einwohnergemeinde wird ein Stimmregister, das heißt ein Verzeichnis der politisch stimmberechtigten Bürger, geführt. Die Stimmregister bilden die einzige gültige Grundlage der Stimmgebung.

,,Die Führung und Beaufsichtigung der Stimmregister liegt dem Gemeinderate ob.tt IX.

Eine vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement an die kantonalen Staatskanzleien gerichtete Anfrage hat ergeben, daß eine Bestimmung, wie sie § 15 des bernischen Wahldekretes von 1892 für den Fall aufstellt, daß die Zahl der in Betracht fallenden Zettel diejenige der eingegangenen Ausweiskarten übersteigt, in der Gesetzgebung keines andern Kantons sich findet.

105 B.

In rechtlicher Beziehung f ä l l t in Betracht:

In betreff

I.

der Kompetenzfrage.

1. Die Berner Regierung hält mit Recht die Kompetenz des Bundesrates zur Beurteilung einer Beschwerde über eine kantonale Wahl oder Abstimmung für ausgeschlossen, wenn bloß die Auslegung und Anwendung kantonaler Gesetze in Frage steht. Die Kompetenz des Bundesrates zur materiellen Prüfung und Erledigung einer Stimmrechts- oder Wahlbeschwerde ist erst dann begründet, wenn die Verletzung bundesrechtlicher oder kantonalverfassungsrechtlicher Bestimmungen behauptet wird. So ist die Zuständigkeit des Bundesrates und -- im Falle der Weiterziehung -- der Bundesversammlung festgestellt durch Art. 189, zweitletzter Absatz, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, und so hat der ßundesrat in seiner von der Berner Regierung angerufenen Entscheidung vom 29. Mai 1894 betreffend den Rekurs Schibli dieselbe dargestellt und geltend gemacht. (Vergleiche Bundesbl. 1894, II, 1068.)

Irrtümlich ist dagegen die Auffassung der Kantonsregierung in folgenden Beziehungen : Einmal, wenn sie glaubt, die Frage, ob durch einen Beschluß des bernischen Großen Rates in einer Wahlbeschwerdesache der bundesverfassungsmäßige Grundsatz der Rechtsgleichheit der Bürger verletzt sei, gehöre nicht in die Zuständigkeit des Bundesrates, indem nach der bestehenden Kompetenzausscheidung derartige Streitigkeiten vom Bundesgerichte zu beurteilen seien. Art. 189, zweitletzter Absatz, des angeführten Organisationsgesetzes weist den Bundesrat und die Bundesversammlung an, Beschwerden betreffend die politische Stimm berechtigung der Bürger unj betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen ,,auf Grund sämtlicher einschlägigen Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechts und des Bundesrechts"' zu beurteilen. Demnach hat die Bundesrekursinstanz auch den Art. 4 der BundesverfassungO und den Art. 72 der KantonsVerfassung in Betracht zu ziehen, wenn eine bernische Wahl mit der Behauptung angefochten wird, es sei bei derselben und durch den sie beschlagenden kantonsbehördlichen Beschluß der Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze mißachtet worden.

Auf einem Irrtum beruht sodann auch die Schlußfolgerung der Berner Regierung, welche dahingeht, es könne nach Maßgabe der ihm zustehenden Kompetenz die vorliegende Beschwerde vom Bundesrate

106

nur insoweit einläßlich geprüft und, beurteilt werden, als behauptet wird, § 15 des Dekretes vom 28. September 1892 stehe mit Bestimmungen der kantonalen Verfassung im Widerspruch. Die Rekurrenten stellen nicht nur diese Bestimmung und deren Anwendung durch den Großen Rat als verfassungswidrig hin, sie behaupten, daß bei der Wahl vom 15. Juli 1894 wegen einer Reihe von Ungehörigkeiten von einem auf Wahrheit beruhenden Wahlresultate nicht die Rede sein könne.

In beiden Richtungen ist die Beschwerde von der eidgenössischen Rekursinstanz auf ihre materielle Begründetheit zu prüfen.

Allerdings werden Auslegung und Anwendung kantonaler Vorschriften betreffend Wahlen und Abstimmungen stets Sache der Kantonsbehörden sein; die Bundesbehörde hat sich damit in der Regel gar nicht zu befassen. Wenn aber eine kantonale Vorschrift durch ihren Inhalt oder die ihr von seiten der Kantonsbehörden gegebene Auslegung gegen Bundesrecht oder kantonales Verfassungsrecht in Ansehung des Stimmrechts der Bürger verstößt oder wenn die kantonalen Vorschriften bei einer Wahl oder Abstimmung nicht angewendet oder nur mangelhaft angewendet wurden und i n f o l g e d e s s e n das Stimmrecht der Bürger eine Beeinträchtigung erfahren hat, so ist die Intervention der Bundesrekursbehörde begründet. Denn in diesem Falle handelt es sich nicht mehr lediglich um die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts, sondern um den Schutz eines durch die Verfassung des Bundes und des Kantons anerkannten Grundrechts der Bürger, des politischen Stimmrechts. Eine Verletzung und Beeinträchtigung dieses Rechtes ist aber nicht bloß dann vorhanden, wenn der Bürger rechtswidrig an der Stimmabgabe verhindert wird, sondern auch dann, ·wenn ein Wahl- oder Abstimmungsresultat anerkannt wird, welches nicht als der Ausdruck der freien, unabhängigen, mit den gesetzlichen Sicherungsmitteln geschützten Stimmgebung der Bürger gelten kann, oder umgekehrt, wenn ein in gesetzlich unanfechtbarer Weise zu stände gekommenes Wahl- oder Abstimmungsresultat willkürlich vernichtet werden will.

Die bundesrechtliche Praxis hat sich seit dem Jahre 1848 nach diesen Grundregeln gerichtet. Einige Beispiele mögen dies erhärten.

Am 29. November 1859 wurden vom Bundesrate die tessinischen Großratswahlen vom 13. Februar 1859 in fünf Wahlkreisen kassiert.

Als dagegen die
Kantonsregierung im Auftrage des Großen Rates namentlich auch wegen angeblicher Inkompetenz des Bundesrates an die Bundesversammlung rekurrierte, wurde die Bundeskompetenz durch den Berichterstatter der Mehrheit der Kommission des Ständerates, Dr. Blumer, mit großem Nachdruck vertreten. In seinem

107

bedeutungsvollen Berichte vom 28. Januar 1860 (Bundesbl. 1860, I, Seite 363 bis 376j führte er zunächst aus, daß die Bundesbehörden überall da einzugreifen haben, wo Bundesrecht nicht beobachtet wird, und daß nicht bloß Regierungsbeschlüsse und gerichtliche Urteile, sondern auch Gesetze der Kantone für ungültig zu erklären seien, wenn sie dem Bundesrechte widersprechen; sodann stellte er als eine der wichtigsten Beschränkungen der Kantonalsouveränität den Art. 5 der Bundesverfassung hin, nach welchem der Bund den Kantonen gewährleistet: ihre Verfassungen, die Freiheit, d i e R e c h t e d e s V o l k e s u n d d i e v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n R e c h t e der B ü r g e r ; gestützt hierauf und nach einläßlicher Prüfung der Verhältnisse kam Dr. Blumer mit der Mehrheit seiner Kollegen zum Schlüsse, daß die vom Bundesrate kassierten Wahlen fünf tessinischer Großratswahlkreise ,,in solcher Weise vor sich gegangen seien, daß sie nicht als der gesetzmäßige Ausdruck des Volkswillens angesehen werden können und daher auch das konstitutionelle Wahlrecht nicht zu seiner Geltung gelangt sei". Da hierauf die zwölf Großratsdeputierten, deren Wahl durch die Schlußnahme des Bundesrates aufgehoben worden war, ihre Demission einreichten, erklärte die Bundesversammlung mit Beschluß vom 18. Juli 1860, es liege zu einer Intervention der Bundesbehörden kein hinreichender Grund mehr vor. fBundesbl. 1860, II, 629.)

Als im Jahre 1890 der Staatsrat des Kantons Wallis in einer Rekurssache betreffend die vom Walliser Großen Rate genehmigten Großratswahlen vom 3. März 1889 im Bezirke Ost-Raron dem Bundesrate die Kompetenz bestritt, sich mit dieser Sache zu befassen, da keine durch die Verfassung oder Gesetzgebung des Bundes oder durch die kantonale Verfassung gewährleisteten Rechte dabei in Frage kommen, sondern nur behauptet werde, es müssen diese Wahlen verschiedener Unregelmäßigkeiten wegen kassiert werden, erklärte sich der Bundesrat durch Beschluß vom 29. Mai 1890 für kompetent, die Beschwerde materiell zu prüfen. Dabei legte er den Druck wiederum darauf, daß der Bund nicht bloß die Beobachtung der Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Verfassung, welche das Stimmrecht positiv regeln, unter seinen Schutz genommen habe, sondern auch darüber wache, daß die Bürger innerhalb der gesetzlichen Schranken frei
und ungehindert ihr Stimmrecht ausüben können. ,,Zu diesem Zwecke prüft der Bundesrat gegebenen Falles die Vorgänge bei den Wahl- und Abstimmungsverhandlungen, und wenn er wahrnimmt, daß durch irgend welche Vorkommnisse die Bürger in der gesetzmäßigen Ausübung ihres Grundrechts beeinträchtigt waren, so ordnet er das zur Aufrechthaltung und Sicherung desselben Nötige an.a (Bundesbl. 1890, III, 137.)

108 In ganz gleicher Weise drückte sich der Bundesrat in seinein Beschlüsse vom 17. November 1891 über den Rekurs Häfliger und Genossen betreffend eine Großratswahlverhandlung im luzernischen Wahlkreise Triengen aus. Nachdem er festgestellt, daß die politischen Bundesbehörden in Wahl- und Abstimmungssachen nicht mit solchen Beschwerden sich zu befassen haben, welche bloß die von den Kantonsbehörden den Bestimmungen und Vorschriften kantonaler Gesetze gegebene Auslegung und Anwendung anfechten, fährt eifert: ,,Freilich kann auch die Anwendung der kantonalen Gesetzgebung gegen Sätze des Bundesrechts oder des kantonalen Verfassungsrechts verstoßen, z. B. dadurch, daß sie den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze verletzt oder das Recht des Bürgers auf freie, selbständige Ausübung seines politischen Stimmrechts bei einem Wahlakte nicht hat zur Geltung kommen lassen." (Bundesbl. 1891, V, 548 ff.)

Die vom Bundesrate im Jahre 1891 über die Tessiner Rekursbeschwerden betreffend die dortigen Großratswablen vom 3. März 1889 gefaßten Beschlüsse sind ebensoviele Belege für die in diesem Sinne erfolgte konsequente Entwickelung der bundesrechtliclien Praxis.

(Man sehe Bundesbl. 1891, III. und IV. Band.)

In einem Urteile vom 25. Oktober 1875 hat auch das Bimdesgericht anerkannt, daß zu den Beschwerden, die in die Kompetenz des Bundesrates fallen, solche gehören, welche die Kassation einer Wahl oder Abstimmung w e g e n N i c h t b e o b a c h t u n g des ges e t z l i c h e n V e r f a h r e n s u. s. w. anstreben. (Bundesgeriehtliche Entscheidungen, Band I, Seite 343 ff.) Damals, unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes von 1874, konnte noch von einer Teilung der Kompetenz zwischen Buudesrat und Bundesgericht gesprochen werden. Durch das Organisationsgesetz von 1893 ist, wie bereits oben bemerkt wurde, die Rechtsprechung auf diesem Gebiete ausschließlich in die Hand des Bundesrates (eventuell der Bundesversammlung) gelegt worden.

2. Nach den unter Ziffer l enthaltenen Erörterungen ist der Berner Regierung im Rekursfalle in einem Punkte unbedingt beizupflichten, wenn sie die Zuständigkeit des Bundesrates zur Fassung einer materiellen Entscheidung bestreitet; es betrifft dies die Berechnung der Frist, innerhalb welcher gemäß § 34 des Dekretes vom 28. September 1892
Einsprachen gegen die Gültigkeit eines Wahlergebnisses beim Regierungsrat geltend gemacht werden können, insbesondere die Frage, ob die Frist als eingehalten zu betrachten sei, wenn vor Ablauf derselben die Beschwerdeschrift an die Adresse des Regierungsrates der Post übergeben wurde, oder ob die Geltendmachung der Einsprache die Übergabe der Schrift an die Adressatin innerhalb der Frist erfordere.

109 Bekanntlich wird im Bundesprozeßrechte übungsgemäß und zufolge positiver Gesetzesbestimmungen der Aufgabe zur Post innerhalb der gesetzten Frist die Wirkung beigemessen, daß die prozessualische Vorkehrung als rechtzeitig erfolgt zu betrachten ist.

Ob im kantonalen Rechtsverfahren diese Regel ebenfalls anzuerkennen sei, ist von den Kantonsbehörden zu entscheiden.

Im vorliegenden Falle ist keineswegs behauptet, daß übungsgernäß im Kanton Bern die Frist des § 34 des allegierten Dekretes im Sinne der bundesprozessualischen Praxis berechnet werde. Von einer Ungleichheit der Behandlung derReUurrenten gegenüber anderen Bürgern rücksichtlich ihrer vom 20. Juli datierten, am 21. Juli der Post übergebenen, aber erst am 23. Juli der heroischen Staatskanzlei zugekommenen ,,Protestation" kann also nicht die Rede sein.

An und für sich erscheint die Festsetzung einer peremtorischen Frist in Bezug auf die'Erhebung von Einsprachen gegen Wahl- und Abstimmungsergebnisse als unentbehrlich, da andernfalls diese niemals als feststehend gelten könnten, und es kann auch nicht als eine Beeinträchtigung der politischen Rechte der Bürger betrachtet werden, wenn die gesetzliche Fiktion aufgestellt wird, die Nichtbenutzung der Beschwerdefrist schließe in sich die Verzichtleistung auf eine Einsprache, die stillschweigende Anerkennung des Resultates der Wahl oder Abstimmung.

Dagegen kann der Regierung nicht beigestimmt werden, wenn sie der Bundesbehörde das Prüfungsrecht auch in Bezug auf die Führung und' Auflegung der Stimmregister, die Auftragung Kantonsangehöriger in die Stimmregister vor Ablauf eines dreißigtägigen Aufenthaltes und die übrigen Beschwerdepunkte hestreitet. Denn in allen diesen Beziehungen handelt es sich um die Frage, ob bei den Wahlen vom 15. Juli 1894 im Bezirke Delsberg das verfassungsmäßige Stimmreeht und die Unabhängigkeit und Freiheit der Bürger in der Stimmgebung gehörig gesichert und geschützt waren.

II.

In der Hauptsache.

1. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Wahlverhandlung in Delsberg zu ernsten Aussetzungen Anlaß giebt. Die Zustellung der Stimmkarten an die Berechtigten ist offenbar in unordentlicher Weise besorgt worden. Das Wahllokal im Bahnhof entsprach unbedingt nicht den Anforderungen, die in Art. 5 des Dekrets über das Verfahren bei Volksabstimmungen und öffentlichen Wahlen vom 28. September 1892 mit den Worten ausgedrückt werden: ,,Im Abstimmungslokal soll ein hinreichender Raum ab-

110 getrennt und so eingerichtet werden, daß jeder Bürger frei und ungestört seine Stimm- und Wahlzettel schreiben und einlegen kann." Auch die vom Gemeinderate von Delsberg in letzter Stunde beschlossenen Neueintragungen ins Stimmregister erscheinen in eigentümlichem Lichte, wenn man bedenkt, daß von 69 dieser Eingetragenen nach einer ganz oberflächlichen und keineswegs abschließenden Untersuchung schon 19 als nicht stimmberechtigt erkannt wurden. Der Gemeinderat von Delsberg konnte sich gegen den Vorwurf, er habe diese Eintragungen mit großer Leichtfertigkeit vorgenommen, nicht durch die Klausel schützen, er habe es gethan ,,sous leur entière responsabilité"1.

Indessen ist der Nachweis nicht genügend erbracht, daß und inwieweit diese und andere, weniger bedeutsame, Unregelmäßigkeiten das Wahlresultat beeinflußt haben.

Wenn angenommen werden muß, daß eine Anzahl von Stimmkarten nicht in den Besitz der Berechtigten gelangte, so hat sich andrerseits auch herausgestellt, daß die Mehrzahl der Betreffenden nicht reklamiert hat, während der Gremeinderat denjenigen, welche reklamierten, neue Karten auszustellen bereit war. Nur zwei Stimmkarten sind beim Wahlbureau abgegeben worden, während die Bürger, auf deren Namen sie lauten, behaupten, an der Wahl nicht teilgenommen zu haben. Sollte diese Behauptung Glauben verdienen, so müßten neben den 40 von den bernischen Behörden in Abzug gebrachten ungültigen Stimmen noch weitere 2 in Abzug gebracht werden. Denn dann hätten zwei weitere Nichtberechtigte mitgestimmt. Es kann übrigens mit Bezug auf die Zustellung der Stimmkarten nicht von Stimmrechtsverweigerung gesprochen werden.

Wenn ferner das Wahllokal im Bahnhof mangelhaft war, so ist andererseits ein Beweis dafür nicht erbracht, daß eine Beeinflussung oder Störung der Wähler bei dem Wahlgeschäfte stattgefunden habe; wem es nicht behagte, in jenem Lokale zu stimmen, der konnte es im Hauptlokale thun.

Zweifel können allerdings entstehen mit Bezug auf die nachträglich angefochtenen 57, nach Ablauf der Auflagefrist eingetragenen Wähler. Nach der Auslegung, welche die Artikel 4 und 34 des Großratsdekretes von 1892 in der Praxis erhalten haben, erscheint eine nachträgliche Eintragung als zulässig. Es fragt sich nur, ob die Eingetragenen stimmberechtigt waren oder nicht. 19 waren es offenbar nicht; die bernischen
Behörden haben diese Zahl bei Feststellung des Wahlergebnisses mit in Abzug gebracht. Mit Bezug auf die übrigen 38 dagegen sind wir im Ungewissen. Der mit der Untersuchung der Angelegenheit von der Regierung des Kantons Bern beauftragte Kommissär fand nicht Zeit, auch diese

Ili Punkte aufzuklären und war überdies auch im Zweifel, ob die diesfalls erhobenen Einwendungen zu berücksichtigen seieu. Die Regierung fand es zwar fraglich, ob bei Beurteilung der Wahlbeschwerde die nachträglichen Eintragungen in Betracht zu ziehen seien; sie that es dann aber doch, beschränkte sich indessen dabei auf die 19 liquiden Fälle und ließ die übrigen 38 einfach unberücksichtigt. Das war nun allerdings keine Lösung, die befriedigen könnte, wenn sie sich auch durch den Wunsch erklären läßt, die Angelegenheit so rasch als möglich zu erledigen.

Es ist indessen zu beachten, daß die' Beschwerdeführer sich auf die Beanstandung der fraglichen 38 Wähler beschränkt haben, ohne für ihre Behauptungen Beweismittel anzugeben und ohne überhaupt eine eigentliche Begründung ihrer Einsprachen zu unternehmen.

In Bezug auf die übrigen Beschwerdepunkte kann ohne weiteres den Ausführungen der Berner Regierung beigestimmt werden, mit Ausnahme ihrer Anschauungsweise hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 15 des Wahldekretes von 1892.

2. Wenn der vorliegende Wahlrekurs in Ansehung der Beschwerdegriinde, die sich auf Unregelmäßigkeiten und Ungehörigkeiten in der Führung der Stimmregister und im Gange der Wahlverhandluog beziehen, teils der sachlichen Begründung und Richtigkeit, teils der Erheblichkeit, teils der Liquidität ermangelt, so verhält sich dies nicht so mit der Einsprache gegen das Vorgehen der Abgeordnetenversammlung des Bezirks Delsberg bei Anwendung des § 15 des Dekretes von 1892 auf die Stimmgebung der Gemeinden Movelier,i Montsevelier und Pleiene.

Hier liegt die einfache und O O klare Frage zur Entscheidung vor, ob nicht die von den Berner Behörden gutgeheißene Auslegung und Anwendung des genannten Paragraphen dem in der kantonalen und eidgenössischen Verfassung anerkannten Grundrecht des Bürgers, dem politischen Stimmreeht, in unstatthafter Weise Eintrag thue.

Das politische Stimmrecht ist das Individualrecht, auf dem unser republikanisches Staatswesen beruht; dessen Schutz ist die erste Pflicht der Staatsbehörden ; dieser Schutz hat in doppelter Richtung einzutreten: einmal dadurch, daß jedem Bürger nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen die Eigenschaft eines Stimmberechtigten zuerkannt wird, und zweitens dadurch, daß die Ausübung seines Rechtes gegebenenfalles jedem Stimmberechtigten
gestattet und möglich gemacht wird.

Die Gesetze und Verordnungen über Wahlen und Abstimmungen haben in erster Linie diesen doppelten Zweck zu verfolgen und

112 diejenigen Einrichtungen zu treffen, welche die Absicht des Gesetzgebers zu verwirklichen geeignet sind.

Dabei werden indessen gerade im Interesse des Zustandekommens eines auf Wahrheit beruhenden Ergebnisses der Wahl oder Abstimmung Ordnungsvorschriften sowohl in Bezug auf die Anerkennung der Eigenschaft eines Stimmberechtigten und die Feststellung der Zahl der Stimmberechtigten, als in Hinsicht auf die Ausübung des Stimmrechts unumgänglich notwendig sein und es wird sich nicht vermeiden lassen, daß in den beiden besprochenen Beziehungen -- Stimmberechtigung und Stimmrechtsausübung -- die Ordnungsvorschriften gewisse Einschränkungen zur Folge haben.

Dieselben rechtfertigen sich vollkommen durch den Zweck, dem sie dienen. Zu ihnen gehören die §§ 3 bis 5 des bernischea Dekrets von 1870 über die Stimmregister. Den gleichen Zweck verfolgen die Vorschriften des bernischen Dekretes von 1892 über das Verfahren vor und bei den Abstimmungen. Auch der § 15 dieses Dekretes, dessen konstitutionelle Zulässigkeit in einer gewissen Beziehung im Rekursfalle angefochten ist, hat augenscheinlich keinen andern Charakter, als den einer Ordnungsvorschrift.

Es ist einleuchtend, daß Vorschriften dieser Art nicht über den Zweck, dem sie ihre Existenz und Rechtfertigung verdanken, hinausgehen, daß sie nicht hinsichtlich der Stimmberechtigung und der Stimmrechtsausübung Schranken aufrichten dürfen, die einer durch den Ordnungszweck nicht bedingten Ausschließung eines oder mehrerer Bürger vom Stimmrecht gleichkommen würden. Sie haben sich auf das Notwendige zu beschränken. Thun sie dies nicht, so treten sie iü Widerspruch mit dem Gesetze, das sie auszuführen bestimmt sind, und mit den Verftissungssätzen, welche das politische Stimmrecht der Bürger anerkennen und die Vornahme der wichtigsten Wahlen und Abstimmungen im Staate als ein Volksrecht proklamieren.

Im Lichte dieser Rechtsauffassung betrachtet, kann der Satz des § 15 des bernischen Wahl- und Abstimmungsdekretes vom 28. September 1892: ,,Übersteigt die der Zahl in Betracht fallenden Zettel diejenige der eingegangenen Ausweiskarten, so ist die betreffende Verhandlung der politischen Versammlung nichtiga, in dem ihm von den Kantonsbehörden gegebenen Sinne als ein verfassungsmäßiger im vorliegenden Falle nicht anerkannt werden.

Es darf schon füglich bezweifelt
werden, ob die Vorschrift, so absolut hingestellt, in Ansehung einer Verhandlung sich rechtfertigen ließe, welche eine politische Versammlung für sich allein, selbständig, vornimmt. Denn das Resultat einer jeden Wahl- oder Abstimmuogsverhandlung bildet eine rechtliche Thatsache, die nicht

113

unnötig vernichtet werden darf, und auf deren Anerkennung die Bürger, die dabei mitgewirkt haben, ein Recht besitzen. Immerhin fällt ins Gewicht, daß bei der notwendig folgenden neuen Verhandlung jedem berechtigten Bürger von neuem die Möglichkeit geboten wird, seine Stimme geltend zu machen.

Ganz anders aber, wenn, wie im vorliegenden Falle, die Verhandlung einer Versammlung nur einen Faktor zu einem von mehreren Versammlungen gemeinsam hervorzubringenden Resultate bildet, wobei -- wie den bernischen Behörden zugegeben sein soll -- es nicht wohl angehen würde, eine zweite Verhandlung bloß durch die eine Versammlung vornehmen zu lassen, weil damit die Einheitlichkeit des politischen Aktes verloren ginge, -- in einem solchen Falle kommt die Vernichtung der Verhandlung einer einzelnen Versammlung der Vernichtung ihrer Teilnahme an einem politischen Akte gleich, bei dem sie durch Verfassung und Gesetz mitzuwirken berufen ist. Ohne zwingenden Grund wird man also nicht eine solche Maßnahme treffen dürfen. Ein zwingender Grund ist aber offenbar nur dann vorhanden, wenn die in der einzelnen Versammlung vorgekommene Unregelmäßigkeit das Gesamtresultat zu beeinflussen vermag, das sich aus der Zusammentragung der Resultate aller den Wahl- oder Stimmkörper bildenden politischen Versammlungen ergiebt. Nur das Verhandlungsresultat dieses einen Körpers kann der Kassation unterliegen; denn nur es stellt das Wahl- oder Abstimmungsresultat dar.

Gegen diese aus allgemein logischen Gründen sowohl als im besondern vom Standpunkte des Wahl- und Abstimmungsrechtes aus unanfechtbaren Regeln verstößt der angeführte Satz des § 15 des bernischen Dekretes von 1892. So sehr der ihm folgende § 16 sich bemüht, die Gültigkeit der.Stimm- und Wahlzettel überall da anzuerkennen und die Stimmgebung des Wählers aufrecht zu erhalten, wo sich deren Vernichtung nicht durchaus rechtfertigt, so schroff verfährt ohne Not der § 15 mit dem Resultate einer Wahlverhandlung. Umsonst forscht man nach den Beweggründen, die den Gesetzgeber von 1892 zu dieser Bestimmung veranlaßt haben mögen; dagegen läßt ein Blick auf den Entwicklungsgang der bernischen Wahlgesetzgebung deren Ursprung leicht erkennen. Vor der im Jahre 1869 erfolgten Einführung des Urnensystems, tdas die Einlegung der Stimmzettel während bestimmter Stunden ermöglicht, wurde im
Kanton Bern nach dem Gesetze vom 7. Oktober 1851 durch Abgabe der Stimmzettel im Wahllokale an die mit der Stimmensammlung beauftragten Stimmenzähler das Stimmrecht ausgeübt; die Zählung der Stimmzettel geschah unmittelbar nach der Einsammlung; wenn die Gesamtzahl der eingelangten Stimmzettel die Zahl der ausgeteilten überstieg, so wurde die Verhandlung un-

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gültig erklärt und es m u ß t e von vorn a n g e f a n g e n w e r d e n .

(§ 29 des Wahlgesetzes vom 7. Oktober 1851.) Diese Bestimmung ging daun unter der neuen Gesetzgebung in die Wahldekrete von 1870 (§ 12, Absatz 5) und von 1892 (§ 15) über, d. h. sie wurde beibehalten, obschon die Voraussetzung, unter der sie gerechtfertigt war, nämlich die sofortige Erneuerung des Wahlganges, nicht mehr bestand. § 15 des Dekretes von 1892 ist eine Reliquie aus der Zeit vor 1869 und paßt nicht zu dem gegenwärtigen Verfahren; er steht nunmehr in einem unlösbaren Konflikte mit der verfassungsmäßigen Gewährleistung des Stimmrechts der Bürger und dem Grundsatze der bernischen Gesetzgebung, daß bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen die Entscheidung der Mehrheit der rechtmäßig stimmenden Bürger zukommt; er ist, wie der Berichterstatter der Großratskommission treffend bemerkte, geeignet, der Minderheit zur Mehrheit zu verhelfen, und daher unhaltbar. Wenn die Kantonsbehörden versichern, derselbe sei auch in frühern Fällen so angewendet worden, so beweist dies selbstverständlich nur, daß in casu eine Beschwerde wegen ungleicher Behandlung vor dem Gesetze unbegründet wäre, für die innere Berechtigung und die Verfassungsmäßigkeit des Satzes aber ist damit nichts bewiesen, zumal in jenen früheren Fällen die Frage nicht zur Streitfrage geworden zu sein scheint, jedenfalls nicht vor die Instanz der Bundesrekursbehörde gezogen wurde. Ohne der Grundsätzlichkeit und Unparteilichkeit der bernischen Behörden im geringsten zu nahe treten zu wollen, darf doch gefragt werden, oh sie vor der Konsequenz ihrer Auslegung nicht zurückschrecken würden, wenn es sich z. B. darum handelte, bei einer Bezirksbeamtenwahl die Stimmgebung der Stadt Bern, weil in den Urnen der drei Gemeinden der Stadt je ein Wahlzettel zu viel vorgefunden wurde, zu vernichten und ein »Wahlresultat anzuerkennen, nach welchem die Beamten einzig von den Landgemeinden des Bezirkes Bern gewählt wären? -- Eine Bestimmung, wie sie § 15 des bernischen Dekretes enthält, findet sich denn auch in keinem andern Kantone der Schwel».

Wo der Fall nicht geradezu als ausgeschlossen erklärt wird, findet er durch ausdrückliche Vorschrift oder gewohnheitsrechtliche Übung seine Erledigung in dem Sinne, daß bei den mit Stimmen bedachten Personen die Zahl der zu viel vorgefundenen
Zettel in Abzug gebracht und nach dem Einflüsse der Unregelmäßigkeit auf die absolute Mehrheit die Frage der Gültigkeit des Gesamtresultates entschieden wird.

3. Nach den vorstehenden Ausführungen ist das Wahlresultat vom 15. Juli 1894 im Amtsbezirke Delsberg unter Hinzulegung von 302, bezw. 297 Stimmen aus den Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne zu berechnen.

115

Dasselbe stellt sich dar wie folgt: a. R e g i e r u n g s s t a t t h a l t e r w a h l .

Zahl der Wahlzettel ohne die Gemeinden Movelier, .Montsevelier und Pleigne 3238 Dazu : Zahl der in den 3 genannten Gemeinden eingelegten Wahlzettel .

302 Zusammen Wahlzettel 3540 Hiervon sind abzuziehen : Die von der Berner Regierung in Abzug gebrachten 40 und die in Movelier, Montsevelier und Pleigne zu viel vorgefundenen 5 = 45 Bleiben gültige Wahlzettel 3495 Absolutes Mehr 1748.

Stimmenzahl des Herrn Boéchat : Ohne Movelier, Montsevelier und Pleigne 1666 In diesen Gemeinden.

136 Zusammen 1802 In Abzug kommen 40 -)- 5 = 45 Bleiben 1757 NB. Die Zahl der in den genannten 3 Gemeinden zu viel vorgefundenen Zettel ist jedem Kandidaten abzuziehen.

H e r r B o é c h a t hat das a b s o l u t e M e h r mit 9 Stimmen überschritten und ist daher gewählt.

Der Gegenkandidat, Herr Wiser, erhielt : Im ganzen Bezirk (die 3 Gemeinden Movelier, Montsevelier und Pleigne mitgerechnet) 1740 In Abzug kommen auch bei ihm 40 -j- 5 = . . .

45 Bleiben 1695 Herr Wiser blieb mit 53 Stimmen unter dem absoluten Mehr.

ö. G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n w ä h l .

Zahl der Wahlzettel im ganzen Bezirk 3227 -f- 302 = Abzuziehen: 40 -|- 5 =

3529 45

Bleiben

3484

Absolutes Mehr 1743.

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Herr Erard erhielt: 1652 -j- 133 = Abzuziehen sind: 40 -)- 5 =

1785 45 Bleiben 1740 Herr Erard hat das absolute Mehr nicht erreicht.

Herr Wermeille erhielt: 1575+ 169= 1744 Abzuziehen : 40 + 5 = 45 Bleiben 1699 Herr Wermeille hat das absolute Mehr ebenfalls nicht erreicht.

r. Wahl der A m t s r i c h t e r und Amtsgerichtssupp l canteo.

Zahl der Wahlzettel im ganzen Bezirk 3256 -f- 302 = 3558 Abzuziehen: 40-)-5 = 45 Bleiben 3513 Absolutes Mehr 1757.

Zu berechnen sind : Herrn ,, ,, ,, ,, ,,

a. Auf der l i b e r a l e n Liste.

Gerspaoher 1640 -f- 135 -- 45 = Rossé 1646 -f- 129 -- 45 = Renaud 164« -f 129 -- 45 = Nußbaumer 1669 -j- 128 -- 45 = Corate 1651 -f 128 -- 45 = Meyer 1651 -f- 127 -- 45 =

1730 1730 1730 1752 1734 1733

ß. Auf der k o n s e r v a t i v e n Liste.

Herrn Citherlet 1603 -f- 168 -- 45 = 1726 ,, Hoffmever 1607 + 173 -- 45 = 1735 ,, Joliat Ì598 -j- 172 -- 45 = 1725 ,, Wannier 1570-1-171 -- 45 = 1696 ,, Charmillot 1588 + 175 -- 45 = 1718 ,, Fleury 1582 -f 172 -- 45 = 1709 Kein Kandidat hat das absolute Mehr erreicht.

Der Wahlgang vom 15. Juli 1894 ist resultatlos geblieben in Bezug auf die Stelle des Gerichtspräsidenten, sowie in Bezug auf die Stellen der Amtsrichter und Amtsgerichtssuppleanten; es hätte ein zweiter Wahlgang stattfinden sollen. Nachdem jedoch durch den Großratsbeschluß vom 23. August 1894 ein positives Wahlergebnis anerkannt worden ist und seither, während mehr als

117

Jahresfrist, die Stimmregister des Bezirkes Delsberg erhebliche Veränderungen erfahren haben, kann von der Anordnung eines zweiten Wahlganges keine Rede mehr sein ; es müssen Neuwahlen erfolgen.

Demnach wird beschlossen: 1. Die Wahl des Gerichtspräsidenten, der Amtsrichter und der Amtsgerichtssuppleanten des Amtsbezirkes Delsberg ist in rechtsgültiger Weise am 15. Juli 1894 nicht zu stände gekommen.

2. Infolgedessen wird der Beschluß des bernischen Großen Rates vom 23. August 1894 über die Wahlverhandlung des Amtsbezirkes Delsberg vom 15. Juli 1894 insoweit aufgehoben, als er die "Wahl des Gerichtspräsidenten, der Amtsrichter und der Amtsgerichtssuppleanten betrifft.

3. Der h. Regierung des Kantons Bern wird gegenwärtiger Beschluß, für sie und zu Händen des Großen Rates, mit der Einladung zugefertigt, die erforderlichen Neuwahlen anordnen zu wollen.

Den Rekurrenten ist eine Ausfertigung des Beschlusses zuzustellen.

B e r n , den 11. November 1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Bnndesblatt. 47. Jahrg. Bd. IV.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs von Louis Chappuis, Advokat, in Delsberg, und fünf Mitunterzeichnern gegen den Beschluß des Großen Rates des Kantons Bern vom 23.

August 1894, betreffend die Bezirksbeamtenwahlen vom 15. Juli 1894 im Amtsbezirk De...

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Bundesblatt

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Jahr

1895

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

49

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

13.11.1895

Date Data Seite

83-117

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10 017 216

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