zu 09.530 Parlamentarische Initiative Löschung ungerechtfertigter Zahlungsbefehle Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 19. Februar 2015 Stellungnahme des Bundesrates vom 1. Juli 2015

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 19. Februar 20151 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates betreffend die parlamentarische Initiative 09.530 «Löschung ungerechtfertigter Zahlungsbefehle» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

1. Juli 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2015 3209

2015-1171

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 11. Dezember 2009 reichte der damalige Nationalrat Fabio Abate eine parlamentarische Initiative ein und verlangte damit, dass im Bundesgesetz vom 11. April 18892 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), insbesondere in Artikel 85a SchKG, die Voraussetzungen für eine rasche Löschung ungerechtfertigter Zahlungsbefehle zu schaffen seien. Auf diese Weise sollten die Interessen der Personen gewahrt werden, die eine Klage auf Aberkennung der Schuld einreichen müssten, weil die Schuld gar nie bestand oder bereits getilgt sei.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat am 15. Oktober 2010 der Initiative Folge gegeben, die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) am 5. Mai 2011.

Die RK-N setzte in der Folge eine Subkommission ein, welche einen Vorentwurf zu einer Änderung des SchKG ausarbeitete. Dieser wurde am 25. April 2013 von der RK-N verabschiedet. Zu diesem Vorentwurf wurde vom 3. Juni bis zum 20. September 2013 eine Vernehmlassung durchgeführt. Nach Kenntnisnahme des Berichts über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens3 überarbeitete die RK-N den Erlassentwurf unter Berücksichtigung des Vernehmlassungsergebnisses und verabschiedete am 19. Februar 2015 den Erlassentwurf und den Bericht.

Mit Schreiben des Kommissionspräsidenten vom 20. Februar 2015 wurden Erlassentwurf und Bericht gestützt auf Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG) dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Allgemeines

2.1.1

Einleitung von Betreibungen

Das schweizerische Zwangsvollstreckungsrecht zeichnet sich durch die Eigenheit aus, dass eine Betreibung ohne jede vorgängige Kontrolle eingeleitet werden kann.

Erforderlich ist lediglich ein mündliches oder schriftliches sogenanntes Betreibungsbegehren, das den in Artikel 67 SchKG vorgegebenen Inhalt aufweisen muss.

Zusätzlich hat die betreibende Person die voraussichtlich anfallenden Gebühren und Auslagen vorzuschiessen (Art. 68 Abs. 1 Satz 2 SchKG). Diese bemessen sich nach der Gebührenverordnung vom 23. September 19965 zum SchKG (GebV SchKG), insbesondere nach Artikel 16 in Verbindung mit Artikel 13 GebV SchKG. Eine inhaltliche Überprüfung der in Betreibung gesetzten Forderung findet erst statt, wenn die betriebene Person Rechtsvorschlag erhoben hat und sich die betreibende 2 3

4 5

SR 281.1 Der Bericht vom April 2013 über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens ist abrufbar unter www.parlament.ch > Dokumentation > Berichte > Vernehmlassungen > 09.530 Pa. Iv. Löschung ungerechtfertigter Zahlungsbefehle.

SR 171.10 SR 281.35

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Person dazu entschliesst, diesen Rechtsvorschlag von einem Gericht beseitigen zu lassen.

Dieses System hat den grossen Vorteil, dass ein massgeblicher Teil der Zwangsvollstreckungsverfahren ohne eine Beteiligung der Gerichte und damit mit einem minimalen Administrationsaufwand durchgeführt werden kann. Da nur in einem Bruchteil der Betreibungen überhaupt Rechtsvorschlag erhoben wird, kann das gesamte Verfahren ausschliesslich durch die Betreibungsämter abgewickelt werden.

Gemäss Artikel 67 Absatz 1 Ziffer 4 SchKG hat die betreibende Person im Betreibungsbegehren zwar die Forderungsurkunde anzugeben. Allerdings darf das Betreibungsamt nicht überprüfen, ob die behauptete Urkunde tatsächlich besteht. Ist dies nicht der Fall, reicht die Angabe des Forderungsgrundes aus.

Die fehlende präventive Kontrolle des Bestandes der geltend gemachten Forderung hat zur Folge, dass eine Betreibung eingeleitet werden kann, ohne dass tatsächlich eine Forderung besteht bzw. eine Betreibung über einen höheren Betrag eingeleitet werden kann, als tatsächlich geschuldet ist. Auch über (zu Recht oder zu Unrecht) bestrittene Forderungen kann jederzeit eine Betreibung eingeleitet werden.

2.1.2

Ungerechtfertigte Betreibungen

Die Parlamentarische Initiative 09.530 will Abhilfe schaffen für den Fall, dass eine Betreibung in missbräuchlicher Weise oder zumindest ungerechtfertigt eingeleitet worden ist. Dabei sind folgende Fälle zu unterscheiden: ­

Eigentliche Schikanebetreibungen, d.h. Betreibungen, bei denen die betreibende Person weiss, dass effektiv keine Forderung besteht und die Betreibung deshalb wider besseres Wissen eingeleitet wurde. Solche Betreibungen kommen in der Praxis allerdings selten vor.

­

Häufig kommt es dagegen zur Betreibung von teilweise oder vollständig bestrittenen Forderungen. In den meisten Fällen geht die betreibende Person davon aus, dass der in Betreibung gesetzte Geldbetrag tatsächlich geschuldet ist. Sie handelt damit in guten Treuen, auch wenn der Betriebene die Forderung bestreitet oder sich letztendlich herausstellt, dass tatsächlich nichts oder nur ein Teil des geltend gemachten Geldbetrags geschuldet ist. Wird nur ein Teil der Forderung bestritten, etwa weil der Gläubiger übermässig hohe Inkassokosten geltend macht, ist die Betreibung als solche zumindest so lange nicht ungerechtfertigt, als der unbestrittene Teil der Forderung noch nicht bezahlt wurde.

2.1.3

Auszug aus dem Betreibungsregister

Gemäss Artikel 8a Absatz 1 SchKG kann jede Person, die ein Interesse glaubhaft macht, die Protokolle und Register der Betreibungs- und Konkursämter einsehen und sich Auszüge daraus erstellen lassen. In der Praxis hat sich insbesondere der sogenannte Betreibungsregisterauszug etabliert. Seit dem 1. Mai 2014 gibt es den sogenannten Einfachen Betreibungsregisterauszug, der durch eine Weisung der

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Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs des Bundesamts für Justiz definiert worden ist.6 Der Betreibungsregisterauszug enthält grundsätzlich sämtliche Betreibungen, die gegen eine bestimmte Person in den vergangenen fünf Jahren im betreffenden Betreibungskreis eingeleitet worden sind. Dies unabhängig davon, ob die geltend gemachte Forderung materiell besteht oder nicht bzw. bestritten wird oder nicht.

Dies hat ­ in Verbindung mit dem dargestellten Umstand, dass eine Betreibung ohne einen Nachweis des materiellen Bestandes einer Forderung eingeleitet werden kann ­ zur Folge, dass auch missbräuchlich eingeleitete Betreibungen im Register aufgeführt werden und somit für Dritte ersichtlich sind.

Das Betreibungsregister soll auf der einen Seite interessierten Dritten als Informationsquelle über die Kreditwürdigkeit einer Person zur Verfügung stehen, indem es Rückschlüsse auf deren Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zulässt. Auf der anderen Seite soll aber auch den Interessen der betriebenen Person daran Rechnung getragen werden, dass die Betreibungsdaten keinen falschen Eindruck über ihre Kreditwürdigkeit erwecken und nicht jedermann zugänglich sind.7 Bereits in der Botschaft vom 8. Mai 19918 über die Änderung des SchKG hat der Bundesrat festgehalten, dass die Auskunft über die finanzielle Situation oder die Zahlungsgepflogenheiten der verzeichneten Personen deren wirtschaftlichen Ruf trifft. Im Rechtsalltag kann dies vor allem bei engen Marktverhältnissen (z.B. im Wohnungsmarkt) mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden sein. Eine auf Vermögensschutz verpflichtete Auskunftserteilung müsse deshalb im Grundsatz auf Einträge beschränkt sein, die einschlägige Gefährdungssachverhalte zuverlässig und zutreffend offenlegten; der Sachverhalt müsse eine wesentliche Gefährdung für das Vermögen eines künftigen Geschäftspartners dokumentieren, denn die Auskunftserteilung könne mit erheblichen Nachteilen für die verzeichnete Person verbunden sein. Von diesem Grundsatz ­ Auskunftserteilung nur über wesentliche, zutreffende Gefährdungssachverhalte ­ wurden allerdings die laufenden Betreibungen bewusst ausgenommen, da hängige Verfahren in einem Rechtsstaat grundsätzlich öffentlich und dem hinreichend interessierten Dritten damit zugänglich sein sollten. Immerhin wurde eingeräumt, dass diese
Ausnahme weit gehe, stehe ja in einer laufenden Betreibung noch nicht fest, ob man es tatsächlich mit einem «gefährlichen» (z.B. insolventen) Schuldner zu tun habe.

Auch das Bundesgericht hat mittlerweile anerkannt, dass es sich hier um eine «wenig befriedigende Rechtslage» handelt, «die für den zu Unrecht Betriebenen gewichtige Nachteile mit sich bringen kann (z.B. beim Abschluss eines Mietvertrages, einer Kreditaufnahme oder der Stellensuche)».9 Es hat deshalb vor einigen Monaten entschieden, dass das für die Erhebung einer negativen Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse angesichts der «einschneidenden Wirkungen des Registereintrags» ohne Weiteres zu vermuten ist.10

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Weisung der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs Nr. 1 vom 15. April 2014 zum einfachen Betreibungsregisterauszug, abrufbar auf der Website des Bundesamts für Justiz www.bj.admin.ch > Wirtschaft > Schuldbetreibung und Konkurs > Weisungen.

Urteil des Bundesgerichts 4A_414/2014 vom 16. Januar 2015, Erw. 2.6.1.1.

BBl 1991 III 1 ff., 29.

Urteil des Bundesgerichts 4A_414/2014 vom 16. Januar 2015, Erw. 2.6.2.

Urteil des Bundesgerichts 4A_414/2014 vom 16. Januar 2015, Erw. 2.6.1.2.

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2.1.4

Möglichkeiten, sich gegen ungerechtfertigte Betreibungen zur Wehr zu setzen

Der Bericht der RK-N vom 19. Februar 2015 enthält eine eingehende Darstellung der Mittel, mit denen sich eine betriebene Person gegen eine ungerechtfertigte Betreibung mit Mitteln des geltenden Rechts zur Wehr setzen kann. Der Bundesrat teilt die Auffassung der RK-N, dass dieses Instrumentarium nicht ausreichend ist, vor allem, weil die betreffenden Rechtsbehelfe nur mit einem verhältnismässig grossen Aufwand ergriffen werden können. Es besteht damit auch aus der Sicht des Bundesrates dringender Handlungsbedarf.

2.1.5

Frühere Revisionsbestrebungen

Hinzuweisen ist im vorliegenden Zusammenhang ausserdem auf die Parlamentarische Initiative 04.467.11 Das SchKG sollte gemäss diesem Vorstoss so geändert werden, «dass Dritten keine Kenntnis mehr über eingestellte Betreibungen gegeben werden kann.» Nachdem beide Rechtskommissionen der Initiative ursprünglich Folge gegeben hatten, kam die RK-S nach eingehender Prüfung zum Schluss, «dass das geltende Recht genügend differenziert ist und einen ausgewogenen Kompromiss zwischen Gläubiger- und Publikumsschutz einerseits und zwischen Daten- und Schuldnerschutz andererseits darstellt.»12 Die RK-S verneinte deshalb den gesetzgeberischen Handlungsbedarf und beantragte dem Rat die Abschreibung der parlamentarischen Initiative. Die Initiative wurde deshalb am 19. Dezember 2007 abgeschrieben.

2.1.6

Der Entwurf der RK-N

Der Entwurf der RK-N vom 19. Februar 2015 schlägt die Einführung verschiedener Massnahmen vor. Im Zentrum steht dabei der neue Artikel 8b E-SchKG, mit dem ein neuer Rechtsbehelf eingeführt werden soll, der es erlaubt, die Mitteilung von Betreibungen an Dritte unter bestimmten Umständen und auf Gesuch der betriebenen Person hin zu unterbinden. Eine Kenntnisgabe der Betreibung an Dritte würde dann nur noch erfolgen, wenn mindestens eine der drei in Artikel 8b Absatz 2 E-SchKG genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Dies ist der Fall, wenn (1) in den vergangenen sechs Monaten vor dem gleichen Betreibungsamt gegen den gleichen Schuldner Betreibungen von mindestens zwei weiteren Gläubigern eingeleitet worden sind, (2) in den vergangenen zwölf Monaten vor dem gleichen Betreibungsamt eine Betreibung fortgesetzt oder (3) in den vergangenen zwölf Monaten gegen den gleichen Schuldner eine in Betreibung gesetzte Forderung durch Zahlung an das Betreibungsamt beglichen wurde, ohne dass die betreibende Person die Betreibung zurückgezogen hat. Auf diese Weise soll ein rasches, einfaches und kostengünstiges Verfahren geschaffen werden.

11 12

04.467 Pa.Iv. Studer Jean, Keine Veröffentlichung eingestellter Betreibungen.

04.467 Pa.Iv. Studer Jean. Keine Veröffentlichung eingestellter Betreibungen, Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 6. November 2007, S. 3.

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Eine Minderheit der RK-N will dagegen auf die Einführung eines neuen Artikels 8b SchKG verzichten und beschränkt sich auf eine Anpassung von Artikel 73 SchKG.

Das bestehende Auskunftsrecht der betriebenen Person soll in dem Sinne erweitert werden, dass bei einem hängigen Gesuch um Vorlage der Beweismittel die Betreibung Dritten nicht zur Kenntnis gebracht wird, solange die betreibende Person der entsprechenden Aufforderung nach Vorlage der Beweismittel nicht nachgekommen ist. Darüber hinaus soll die Betreibung «gelöscht» werden, wenn aus der Antwort hervorgeht, dass kein schutzwürdiges Interesse besteht.

Zusätzlich enthält der Entwurf der RK-N drei weitere Neuerungen.

­

So schlägt die Mehrheit der RK-N vor, Artikel 73 SchKG in dem Sinne zu erweitern, dass die Vorlage der Beweismittel nicht nur (wie nach geltendem Recht) innerhalb der Bestreitungsfrist, sondern «jederzeit» verlangt werden kann. Zudem muss auf Gesuch der betriebenen Person hin eine Übersicht über alle gegenüber der Schuldnerin oder dem Schuldner fälligen Ansprüche vorgelegt werden.

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Mit einer Anpassung von Artikel 85a Absatz 1 SchKG soll erreicht werden, dass die Feststellungsklage gemäss diesem Artikel auch dann zulässig ist, wenn die betriebene Person Rechtsvorschlag erhoben hat. Damit soll die Rechtsprechung des Bundesgerichts korrigiert werden, die von verschiedener Seite her als unbefriedigend empfunden wird.

­

Schliesslich soll die Frist von Artikel 88 Absatz 2 SchKG von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden.

2.2

Beurteilung des Entwurfs der RK-N

Der Entwurf der RK-N will das Problem der ungerechtfertigten Betreibungen dadurch lösen, dass einzelne Betreibungen unter gewissen Umständen und auf Antrag der betriebenen Person Dritten nicht mehr zur Kenntnis gebracht werden.

Die dafür notwendigen Voraussetzungen sind formeller Natur und können so vom Betreibungsamt überprüft werden. Eine materielle Betrachtung der in Betreibung gesetzten Forderung findet dagegen nicht statt. Dies ist sicherlich ein sinnvoller Ansatz. Hinzu kommt, dass ungerechtfertigte Betreibungen nach diesem Vorschlag rasch nicht mehr im Registerauszug erscheinen, womit die Interessen der ungerechtfertigt betriebenen Person optimal geschützt werden können.

Diesen Vorteilen stehen allerdings auch drei Nachteile gegenüber: ­

Einmal erscheint ­ und das wurde auch in der Vernehmlassung von verschiedener Seite her vorgebracht ­ das im Entwurf vorgeschlagene System als relativ kompliziert. So wird eine Betreibung nach ihrer Einleitung Dritten für eine gewisse Zeit grundsätzlich zur Kenntnis gebracht. Nach einem entsprechenden Gesuch der betriebenen Person hin wird dann aber ­ sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt wird ­ während einer gewissen Zeit wieder davon abgesehen. Liegen später weitere Betreibungen gegen die betriebene Person vor, taucht die erste Betreibung im Auszug wieder auf.

­

Für die Ämter wäre das neue System mit einem gewissen Mehraufwand verbunden, weil die Erstellung eines Registerauszugs im Vergleich zum geltenden Recht aufwändiger wäre.

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­

Schliesslich ist zu beachten, dass mit der vorgeschlagenen Lösung nicht nur ungerechtfertigte Betreibungen aus dem Registerauszug getilgt werden können, sondern auch gerechtfertigte. Dies könnte dazu führen, dass die Aussagekraft des Registerauszuges geschwächt würde.

Im Übrigen haben sich eine überwiegende Zahl der Kantone sowie viele weitere Teilnehmer in der Vernehmlassung kritisch zum Vorschlag der RK-N geäussert.

Auch der Vorschlag der Kommissionsminderheit ist mit gewissen Nachteilen behaftet: Es ist nicht Aufgabe der Betreibungsämter, darüber zu entscheiden, ob ein schutzwürdiges Interesse an einer Betreibung besteht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Betreibungsämter sind nicht dafür ausgebildet, um diese Frage entscheiden zu können. Vor allem ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Nichtigkeitsgründe nach geltendem Recht (Art. 22 SchKG) vom Begriff «kein schutzwürdiges Interesse» unterscheiden, den die Kommissionsminderheit vorschlägt.

2.3

Alternative Lösungsmöglichkeiten

Wie ausgeführt ist sich der Bundesrat der Problematik ungerechtfertigter Betreibungen bewusst und erachtet den Handlungsbedarf als ausgewiesen. Der Bundesrat teilt im Weiteren auch die Auffassung der RK-N, dass für die Beseitigung ungerechtfertigter Betreibungen ein möglichst schematisches Verfahren eingeführt werden sollte.

Insbesondere ist es nicht Aufgabe der Betreibungsämter, die in Betreibung gesetzten Forderungen auf ihren materiellen Bestand hin zu überprüfen, jedenfalls solange kein Fall der Nichtigkeit im Sinne von Artikel 22 SchKG vorliegt.

Will man die Kritik aus dem Vernehmlassungsverfahren stärker berücksichtigen, wäre nach Ansicht des Bundesrates auch eine Lösung denkbar, gemäss welcher Betreibungen, gegen die die betriebene Person Rechtsvorschlag erhoben hat, auf Antrag der betriebenen Person nicht mehr im Auszug erscheinen, wenn die betreibende Person eine bestimmte Frist (beispielsweise drei oder sechs Monate) seit der Zustellung des Zahlungsbefehls unbenutzt hat verstreichen lassen. Im Ergebnis hätte dies zur Folge, dass eine Betreibung dann, wenn die betreibende Person untätig bliebe, nach Ablauf dieser Frist aus der Betreibungsauskunft entfernt werden könnte.

Dieser Ansatz ist nicht neu. So hat insbesondere Gilliéron in seinem Kommentar aus dem Jahr 1999 vorgeschlagen, dass die betriebene Person beim zuständigen Betreibungsamt verlangen kann, dass dieses der betreibenden Person eine Frist von zehn Tagen ansetze, um Klage auf Anerkennung der Schuld zu erheben oder Rechtsöffnung zu verlangen. Geschieht dies nicht, sollte die Betreibung als zurückgezogen gelten und nicht mehr im Auszug erscheinen.13 Das Bundesgericht hat sich im Jahr 2002 ausführlich mit dieser Lehrmeinung auseinandergesetzt und hat diese als «einfach, rasch und weniger kostspielig» bezeichnet.14 Dennoch ist es schliesslich zum Ergebnis gelangt, dass sie unter geltendem Recht nicht zulässig ist, da sie über den Willen des Gesetzgebers hinausgehe und

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14

Pierre-Robert Gilliéron, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Volume I: Partie générale. Titres premiers et deuxième. Articles 1­88, Lausanne 1999, Art. 85a N 19 f.

BGE 128 III 334, 335: «simple, rapide et moins onéreuse».

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einen zusätzlichen Rechtsbehelf einführe, den der Gesetzgeber hätte vorsehen müssen.15 Bemerkenswerterweise haben auch diverse Vernehmlassungsteilnehmer, die zum Vorentwurf der RK-N zur Initiative 09.530 Stellung genommen haben, sich für eine Regelung in diesem Sinne ausgesprochen. Verschiedene Teilnehmer haben dabei ausdrücklich auf Gilliéron Bezug genommen, so insbesondere die Kantone Freiburg, Genf und Neuenburg. Diverse weitere Teilnehmer haben zumindest vorgeschlagen, die Betreibung nach unbenutztem Ablauf der Frist von Artikel 88 Absatz 2 SchKG zu löschen (Kantone Thurgau, Obwalden, Waadt, Zug; Associazione Consumatrici e Consumatori della Svizzera Italiana, Centre Patronal, Economiesuisse, Hauseigentümerverband Schweiz, Stiftung für Konsumentenschutz, Schweizerischer Städteverband, Schweizerischer Treuhänderverband, Universität Bern, Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute, Verband der Friedensrichter und Friedensrichterinnen des Kantons Zürich).

2.4

Verkürzung der Frist von Artikel 88 Absatz 2 SchKG

Der Vorschlag der RK-N beinhaltet im Weiteren eine Verkürzung der Frist von Artikel 88 Absatz 2 SchKG von zwölf auf sechs Monate. Dies erscheint allerdings problematisch, weil ein Gläubiger so unter Umständen dazu gezwungen würde, rascher ein Konkursbegehren zu stellen oder eine Betreibung fortzusetzen. Die Verkürzung der Frist würde damit Abzahlungs- und Vergleichslösungen behindern, was weder im Interesse der betriebenen noch der betreibenden Person liegt. Die vorgeschlagene Anpassung von Artikel 88 Absatz 2 SchKG ist deshalb aus der Sicht des Bundesrats nicht angebracht und für das Ziel der Bereinigung des Betreibungsregisterauszugs auch nicht notwendig.

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Anträge des Bundesrates

3.1

Artikel 8b E-SchKG

Der Bundesrat verzichtet darauf, in Bezug auf den von der RK-N vorgeschlagenen Artikel 8b E-SchKG einen konkreten Antrag zu stellen. Die von der RK-N vorgeschlagene Einführung eines neuen Artikel 8b E-SchKG würde aus seiner Sicht eine sinnvolle und angemessene Massnahme darstellen, um die dargestellten Probleme zu beheben. Als Alternative denkbar wäre allerdings auch die Einführung einer neuen Bestimmung, die es ermöglichen würde, dass Dritten keine Kenntnis von einer Betreibung gegeben wird, wenn der Schuldner Rechtsvorschlag erhoben hat und der Gläubiger während einer bestimmten Frist keine Anstalten getroffen hat, diesen beseitigen zu lassen.

15

BGE 128 III 334 ff.

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3.2

Weitere Bestimmungen

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Antrags der Kommisionsmehrheit zu Artikel 88 Absatz 2 E-SchKG. In Bezug auf die Artikel 73 und 85a E-SchKG beantragt er Zustimmung zu den Anträgen der Mehrheit.

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