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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend den Turnunterricht in der Volksschule.

(Vom 4. Januar 1895.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Nachdem wir uns in jüngster Zeit mit der Frage des T u r n u n t e r r i c h t s in den L e h r e r b i l d u n g s a n s t a l t e n beschäftigt und die diesfalls getroffenen Anordnungen den beteiligten Kantonen mit Kreisschreiben vom 13. Dezember 1894 zur Kenntnis gebracht haben, sehen wir uns veranlaßt, auch der Frage des Turnunterrichts in der V o l k s s c h u l e näher zu treten.

Der Geschäftsbericht unseres Militärdepartements pro 1893 leistet den Nachweis, daß wir von einer allgemeinen Ein- und Durchführung des Schulturnens noch weit entfernt sind.

Die eidgenössische Turnkommission spricht sich im Protokoll ihrer hierauf bezüglichen Beratung vom 3. Juni 1894 wesentlich wie folgt aus : 1. H i n s i c h t l i c h der h ö h e r n V o l k s s c h u l e . .

,,Wenn sich aus den eingegangenen Berichten der Kantone ergiebt, daß von 455 h ö h e r n Volksschulen 3,3 °/o noch keinen Turnplatz, 10,5 °/o noch keine Turngeräte, 20,7 °/o nur einen Teil der Turngeräte, 42% noch kein Turnlokal, 8,1 °/o noch k e i n e n T u r n u n t e r r i c h t und 41,5 °/o noch nicht das vorgeschriebene Minimum von 60 Stunden haben, so erseheint das ganz unbegreiflich, da ja diese Sekundär-, Real-, Bezirksschulen etc. sich in der Regel auf größere Kreise ausdehnen, finanziell gut ausgestattet sind, durchweg das ganze Jahr den Unterricht erteilen und meistens über mehr als eine Lehrkraft verfügen. Wenn nach so vielen Jahren, da bestimmte Vorschriften für diese günstig situierte Schulstufe bestehen,

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noch solche Übelstände sich breit machen, so ist es nicht mehr zu früh, wenn von Seiten der Bundesbehördeu die erforderlichen Schritte gethan werden, damit endlich in sämtlichen höhern Volksschulen den Bundesvorschriften für Durchführung des Schulturnunterrichts in allen Teilen entsprochen werde.a 2. H i n s i c h t l i c h der P r i m a r s c h u l e .

,,Die Zusammenstellung der kantonalen Berichte, die pro 1893 zum erstenmal im ganzen Umfange des zugestellten Fragenschemas eingingen, deckt sowohl mit Bezug auf die Leistungen der Primarschulen als auch der Schulgemeinden bedauerliche Mängel auf, so daß man noch weit, sehr weit davon entfernt ist, von einer allgemeinen Ein- und Durchführung des Schulturnens sprechen zu können, obschon in sämtlichen kantonalen Schulgesetzen dieses Fach als obligatorisches figuriert. Bei dieser bemühenden Erscheinung läßt sich freilich nicht alles abstellen auf Gleichgültigkeit, Unkenntnis oder gar bösen Willen, sondern da wirken Armut, örtliche und wirtschaftliche Verhältnisse in ganz erheblichem, wenn auch nicht leicht zu überblickendem Maße mit. In den Verschiedenheiten von Stadt und Land, Ebene und Gebirge, Industrie- und Land- oder Alpenwirtschaft und wohl auch in den konfessionellen und sprachlichen Verschiedenheiten wurzelt die Vielgestaltigkeit der untersten Stufe der Volksschule. Da läßt sich das noch junge und darum vielfach scheel angesehene Fach des Turnens nicht leicht überall unter den gleichen Hut bringen. Es wäre daher schon behufs Vornahme einer von vielen Seiten gewünschten Revision der bundes rätlichen Verordnung höchst zweckmäßig, wenn die Kantone angehalten würden, speciell die der Durchführung der daherigen Vorschriften entgegenstehenden Faktoren einer Untersuchung zu unterstellen und darauf gestutzt die Maßnahmen bekannt zu geben, die innert einer bestimmten Frist getroffen worden sind, um endlich da einen Anfang zu macheu, wo noch gar nichts geschehen ist, und um da, wo nach verschiedenen Richtungen noch vieles zu wünschen bleibt, zu Verbesserungen zu gelangen.'1 In grundsätzlicher Gutheißuug dieser Erwägungen und der darauf gegründeten Vorschläge der Kommission haben wir, auf Antrag unseres Militärdepartements, beschlossen : I.

,,1. Die Kautone werden eingeladen, den Turnunterricht in allen höhern Volksschulen bis Ende des Jahres 1895 den bundesrätlichen Vorschriften vollständig entsprechend durchzuführen und auf den genannten Zeitpunkt Über die Ausführung detaillierten Bericht zu erstatten.

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2. In den Jahren 1895 und 1896 soll eine möglichst umfassende Inspektion des Turnunterrichts in den Mittelschulen durch Organe des Bundes augeordnet werden.

II.

1. Die Kantone werden eingeladen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, daß a. in allen Primarschulgemeinden, in welchen bis jetzt noch kein Turnunterricht erteilt worden ist, derselbe bis Ende des Jahres 1896 eingeführt werde; 6. allerspätestens innerhalb gleicher Frist in allen Gemeinden, in welchen der Primarschulturnunterricht nach verschiedenen Richtungen noch zu wünschen übrig läßt, successive jede irgend mögliche Verbesserung durchgeführt werde, ebenfalls mit Verpflichtung zu detaillierter Berichterstattung über die Ausführung auf den genannten Zeitpunkt.

2. Nach Eingang der Berichte über die Vollziehung der vorstehenden Weisungen des Bundesrates soll, vom Jahre 1897 an beginnend, eine Inspektion des Primarschulturnunterrichtes der Kantone durch Organe des Bundes angeordnet werden.

Indem wir Ihnen hiervon Kenntnis zu geben uns beehren, fügen wir noch bei, daß für die verlangte detaillierte Berichterstattung ein besonderes Formular aufgestellt und Ihnen seiner Zeit übermittelt werden wird, inzwischen aber das bisherige Formular unverändert zur Anwendung zu gelangen hat.

Im übrigen benutzen wir gern auch diesen Anlaß., um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 4. Januar 1895.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend den Turnunterricht in der Volksschule. (Vom 4. Januar 1895.)

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