00.050 Botschaft zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Neuausrichtung der Anlagevorschriften des Ausgleichsfonds der AHV) vom 5. Juni 2000

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf zu einer Änderung des AHV-Gesetzes betreffend der Neuausrichtung der Anlagevorschriften des Ausgleichsfonds der AHV mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir, folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 1999 M

99.3252

Bundesgesetz über die AHV. Aufhebung des Verbots von Anlagen in ausländischen Aktien (N 8.10.99, Geschäftsprüfungskommission NR; S 22.3.2000)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. Juni 2000

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11020

Der Bundespräsident: Adolf Ogi Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2000-1231

3971

Übersicht Bis zur 10. AHV-Revision (1997) war dem Ausgleichsfonds der AHV die Anlage seiner Mittel in Aktien und ähnliche Beteiligungen untersagt. Mit der 10. AHV-Revision wurde das Verbot des Aktienerwerbs im AHV-Gesetz aufgehoben und damit eine begrenzte Anlage von Fondsgeldern in Aktien und ähnlichen Beteiligungen ermöglicht; diese wurde aber auf solche schweizerischer Unternehmen beschränkt.

Die moderne Finanzmarkt-Theorie und die tatsächlichen Entwicklungen zeigen aber, dass mit international diversifizierten Aktien seit vielen Jahren ­ von kleineren Ausnahmen abgesehen ­ eine höhere Performance erzielt werden kann als nur mit Schweizer Aktien. Die Anlagevorschriften der SUVA, der Lebensversicherungen und vor allem der beruflichen Vorsorge sind in den letzten Jahren entsprechend angepasst worden. Auf Antrag des Verwaltungsrates des Ausgleichsfonds der AHV und auf Empfehlung der Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte soll diese internationale Diversifizierung des Aktienmarktes auch in der AHV ermöglicht werden.

In Erfüllung einer entsprechenden Motion der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates soll die dazu erforderliche Anpassung von Artikel 108 des AHVGesetzes aus dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmenpaket der laufenden 11. AHV-Revision herausgelöst und bereits auf den 1. Januar 2001 realisiert werden.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Bei der Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) im Jahre 1948 wurden dem Ausgleichsfonds der AHV Anlagen in Aktien und ähnliche Beteiligungen untersagt. Diese Bestimmungen galten bis zum Inkrafttreten der 10. AHV-Revision im Jahre 1997. Mit dieser Revision wurde das Verbot des Aktienerwerbs im Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 20. Dezember 1946 (AHVG; SR 831.10) aufgehoben und damit die Entscheidungskompetenz für eine begrenzte Anlage von Fondsgeldern in Aktien und ähnlichen Beteiligungen ermöglicht. Der Bundesrat hatte dazu ausgeführt (vgl. Botschaft über die zehnte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 5. März 1990; BBl 1990 II 1 ff., 105), dass das ursprüngliche Verbot aus der Befürchtung heraus erlassen worden war, der Ausgleichsfonds der AHV könnte auf dem Kapitalmarkt eine gewisse Dominanz ausüben oder auf längere Sicht sogar zu einer kalten Verstaatlichung von Unternehmungen führen. Seither hätten sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse und vor allem der Kapitalmarkt grundlegend geändert. Der Bundesrat wies auf die Zulässigkeit von Aktienanlagen und ähnlichen Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz in der zweiten und dritten Säule hin und postulierte daher die Schaffung einer entsprechenden Entscheidungskompetenz für den Verwaltungsrat des AHV-Ausgleichsfonds.

Die Überlegungen des Verwaltungsrats des AHV-Ausgleichsfonds für die Ermöglichung des Aktienerwerbs ­ aber unter Beschränkung auf schweizerische Unternehmen ­ gründeten darauf, dass der Fonds neben Nominalwerten auch Realwerte einbeziehen können solle; dies, weil die langfristige Kaufkraftsicherung durch die Realwerte besser sei als durch die Nominalwerte. Mit der Zulässigkeit des Aktienerwerbs mache man nun einen ersten Schritt in Richtung Öffnung, wolle das Risiko aber zunächst klein halten und nicht gleichzeitig auch das bei ausländischen Aktien vorhandene Währungsrisiko in Kauf nehmen.

Beim Inkrafttreten der 10. AHV-Revision hat der Verwaltungsrat des AHV-Ausgleichsfonds (gestützt auf die Art. 108 und 109 AHVG) ­ nach umfangreichen Vorarbeiten für eine Neuausrichtung der Anlagepolitik ­ Richtlinien über diese erweiterte Anlagepolitik erlassen. Allerdings mussten aufgrund der Gesetzesformulierung in Artikel 108 Absatz 1 AHVG die Beteiligungen
auf schweizerische Unternehmen beschränkt werden. Im Jahr 1997 wurden die aus fälligen Anlagen frei werdenden Mittel in neue Anlagekategorien investiert, nämlich 500 Millionen Franken in Schweizer Aktien und 500 Millionen Franken in Fremdwährungsobligationen. Im Jahre 1998 wurde zusätzlich eine Milliarde Franken in Schweizer Aktien angelegt, im Jahre 1999 erfolgte eine weitere Aufstockung um 2 Milliarden Franken. Sukzessive sollen ­ nach heutigem Anlagekonzept ­ knapp 40 Prozent des Vermögens des Ausgleichsfonds der AHV (voraussichtlich ca. 8 Milliarden Franken) in Aktien, Fremdwährungsobligationen und Immobilienfonds angelegt werden. Dieses Anlagevermögen entspricht dem Vermögensteil des Fonds, der weder als Überbrückungsreserve für die zu erwartenden strukturellen Ausgabenüberschüsse späterer Jahre noch für die nicht planbaren, unerwarteten Geldbedürfnisse (Schwankungsreserve) notwendig ist und demnach für eine längerfristige Anlage eingesetzt werden kann.

3973

1.2

Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte liessen im Jahr 1997 die Zielsetzungen der Anlagetätigkeit des Ausgleichsfonds der AHV überprüfen und beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit der Ausarbeitung eines Expertenberichts. Gestützt auf diesen PVK-Bericht vom 14. November 1997 formulierten die Geschäftsprüfungskommissionen verschiedene Empfehlungen, die sie dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreiteten (BBl 1999 2437).

Mit Empfehlung 1 ersuchten die Kommissionen den Bundesrat, Artikel 108 Absatz 1 AHVG dahingehend zu ändern, dass die Formulierung «eine angemessene Verzinsung» durch die Formulierung «einen marktgerechten optimierten Ertrag» ersetzt werde. Als Anlagevorgabe sei der Begriff «angemessene Verzinsung» ­ in Ermangelung klarer Ziele und Grundsätze der Anlagetätigkeit auf Gesetzesstufe ­ zu vage und lasse zuviel Interpretationsspielraum offen. Die Aktiven des Fonds dürften keinesfalls für schlecht rentierende regional- oder wirtschaftspolitische Ziele eingesetzt werden. Die mit den Anlagen erzielten Erträge müssten mit denjenigen des Marktes identisch sein.

Des weiteren ersuchten die Kommissionen mit Empfehlung 5 den Bundesrat zu prüfen, ob es zweckmässig und überhaupt verantwortbar sei, Artikel 108 Absatz 1 AHVG so zu ändern, dass das Anlegen des Vermögens des Ausgleichsfonds in neuen Anlageformen ermöglicht werde. Für die Kommissionen stellte sich nämlich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, mit einer Lockerung der Gesetzesbestimmungen zusätzlich andere Anlageformen zu ermöglichen (z.B. den Erwerb ausländischer Aktien) und dadurch den Handlungsspielraum des Verwaltungsrates zu erweitern.

Die in der beruflichen Vorsorge seit 1985 gemachten Erfahrungen würden eine solche Öffnung rechtfertigen.

In seiner Stellungnahme vom 3. Februar 1999 zum Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte vom 9. Juli 1998 zum Ausgleichsfonds der AHV (BBl 1999 2469) teilt der Bundesrat die im Bericht dargelegte Auffassung. Er verweist auf die in der 11. AHV-Revision anvisierte modernere Formulierung für den bisherigen Begriff «angemessene Verzinsung» und für die Aufhebung des Verbots von Anlagen in ausländische Aktien auf den in der Vernehmlassungsvorlage zur 11. AHV-Revision enthaltenen Vorschlag.

1.3

Botschaft über die 11. AHV-Revision

Die moderne Finanzmarkt-Theorie und die tatsächliche Entwicklung zeigen, dass mit international diversifizierten Aktien langfristig eine höhere Performance erzielt werden kann als nur mit Schweizer Aktien. Die Anlagevorschriften der SUVA, der Lebensversicherungen und vor allem der beruflichen Vorsorge sind in den letzten Jahren entsprechend angepasst worden (in der beruflichen Vorsorge letztmals per 1. April 2000, mit u.a. einer erhöhten Flexibilisierung der Anlagemöglichkeiten bezüglich der Anlagebegrenzungen für Aktien- und Fremdwährungsanteile).

Gestützt auf einen Antrag des Verwaltungsrates des Ausgleichsfonds der AHV und auf die obgenannte Empfehlung der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte schlägt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 2. Februar 2000 über die 3974

11. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung und die mittelfristige Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (BBl 2000 1865) vor, dass auch der AHV diese internationale Diversifizierung auf dem Aktienmarkt ermöglicht werden soll. Zu diesem Zweck unterbreitet er in der erwähnten Botschaft eine entsprechende Anpassung des Artikels 108 Absatz 1 AHVG.

1.4

Erledigung eines parlamentarischen Vorstosses

Mit einer Motion der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 10. Juni 1999, «Bundesgesetz über die AHV. Aufhebung des Verbots von Anlagen in ausländischen Aktien» (99.3252), welche vom Zweitrat am 22. März 2000 angenommen wurde, ist der Bundesrat beauftragt worden, den eidgenössischen Räten einen Entwurf zu einer Änderung von Artikel 108 Absatz 1 zweiter Satz AHVG vorzulegen, die es dem Ausgleichsfonds der AHV ermöglicht, in ausländischen Aktien anzulegen. Diese Gesetzesänderung soll ausserhalb der 11. AHV-Revision erfolgen, damit sie spätestens am 1. Januar 2001 in Kraft treten kann.

Zur Begründung wird in der Motion darauf hingewiesen, dass das Verbot, ausländische Aktien zu erwerben, eine breit diversifizierte Anlagepolitik erheblich behindert.

Bei einer insbesondere internationalen Portfolio-Streuung lassen sich bei gleichem Risiko höhere Erträge erzielen als bei ausschliesslich schweizerischen Aktienanlagen. Auch lässt sich damit über eine ausgewogenere Risikoverteilung die Anlagesicherheit erhöhen. Es gibt heute keine objektiven Gründe mehr, für die Anlage des Ausgleichsfonds der AHV einschränkendere Vorschriften vorzusehen als für diejenigen der zweiten Säule, sofern die Anlagegrundsätze ­ Sicherheit, Rentabilität, Liquidität ­ eingehalten werden.

Die Motion wird mit der vorliegenden Botschaft erfüllt und kann abgeschrieben werden.

1.5

Vorschlag zur Aufhebung des Verbots von Anlagen in ausländischen Aktien

Der in dieser Botschaft unterbreitete Vorschlag zur Aufhebung des Verbots von Anlagen des AHV-Fonds in ausländische Aktien mittels Änderung des Artikels 108 Absatz 1 AHVG ist identisch mit demjenigen, der in der Botschaft über die 11. AHV-Revision unterbreitet wurde.

Mit der Aufhebung der gesetzlichen Einschränkungen hinsichtlich der Art und Höhe der Anlagen kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die nationalen Grenzen sowie länderspezifische Bestimmungsfaktoren für die Anlagekategorien mit der Globalisierung der Märkte an Bedeutung verlieren. So ist z.B. die Trennung in «Aktien Schweiz» und «Aktien Ausland» bei global tätigen Unternehmungen immer weniger sinnvoll. Kompetenz und Verantwortung für eine optimale Anlagestrategie sollen ohne Einschränkungen beim Verwaltungsrat des Ausgleichsfonds liegen.

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2

Besonderer Teil: Erläuterung zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung

Die vorgeschlagene Anpassung von Artikel 108 Absatz 1 AHVG beinhaltet materiell zwei Änderungen: Im ersten Satz wird der Begriff «angemessene Verzinsung» durch «marktkonformer Ertrag» ersetzt, was der Empfehlung 1 des Berichts der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte entspricht (vgl. oben, Ziff. 1.2).

Ferner wird der zweite Satz gestrichen, womit die bisherige Beschränkung der Anlagemöglichkeiten auf schweizerische Unternehmen entfällt.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle Auswirkungen auf den Bund und die Kantone

Auf den Beitrag von Bund und Kantonen an die AHV hat die vorgeschlagene Änderung der Anlagevorschriften für den Ausgleichsfonds keine Auswirkungen, denn diese Beiträge der öffentlichen Hand bemessen sich als feste Anteile an den Ausgaben, nicht an den Einnahmen der AHV.

3.2

Finanzielle Auswirkungen auf die AHV

Mit der Öffnung des Anlagespektrums können sowohl die Sicherheit, die Liquidität als auch die Rentabilität des Ausgleichsfonds der AHV gesteigert werden.

Aktienanlagen ergaben durchschnittlich eine höhere Performance als die Anlagen nach den Kriterien vor der 10. AHV-Revision: Während diese über einen Zehnjahresdurchschnitt betrachtet eine Rendite von 5,5 Prozent pro Jahr erzielten, verzeichneten im Rahmen der Anlagepolitik des AHV-Fonds Schweizer Aktien im Jahr 1997 eine Performance von ca. 13 Prozent, im Jahr 1998 eine solche von über 15 Prozent und 1999 von 8,2 Prozent. Die aus den Aktienanlagen resultierenden Zusatzeinnahmen (die nicht präzis prognostizierbar sind) sind umfangmässig jedoch zu gering, um einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts der AHV liefern zu können. Dazu ist die Realisierung der in der 11. AHV-Revision vorgeschlagenen finanzwirksamen Massnahmen, u.a. die Zusatzfinanzierung mittels schrittweiser Erhöhung der Mehrwertsteuer, erforderlich.

3.3

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Die vorgeschlagene Änderung des Artikels 108 Absatz 1 AHVG stellt inhaltlich eine Deregulierungsmassnahme dar, die keine direkte Auswirkung auf die Versicherten oder andere gesellschaftliche Gruppen hat. Indem sie dem Verwaltungsrat des Ausgleichsfonds ein zusätzliches marktwirtschaftliches Instrument für seine Anlagepolitik eröffnet, wirkt sich diese Änderung auf den Wettbewerb - soweit überhaupt fördernd aus.

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3.4

Personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Änderung beinhaltet eine qualitative, aber keine quantitative, stellenwirksame Ausdehnung der Fonds-Anlagetätigkeit.

3.5

Auswirkungen auf die Informatik

Auf die Informatik des Bundes hat die vorgeschlagene Änderung keine Auswirkungen.

4

Legislaturplanung

Die hier unterbreitete Änderung des Artikels 108 Absatz 1 AHVG ist Teil der vorgeschlagenen Massnahmen in der Botschaft über die 11. AHV-Revision, welche Bestandteil der Legislaturplanung 1995­1999 bildete (vgl. BBl 1996 II 293 ff. [317], Richtliniengeschäft R 16). Die vorgeschlagene Änderung des Artikels 108 Absatz 1 AHVG soll aus der 11. AHV-Revision herausgelöst und mittels dieser separaten Vorlage vorzeitig, per 2001, verwirklicht werden.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die in der Vorlage enthaltene Massnahme zur Optimierung der Anlagemöglichkeiten für den Ausgleichsfonds der AHV bietet im Hinblick auf das europäische Recht (des Europarats und der europäischen Gemeinschaft) keine Schwierigkeiten, denn dieses Recht kennt keine Vorschriften für Kapitalanlagen der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit.

6

Vereinbarkeit mit dem neuen Finanzausgleich

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung tangiert die im Rahmen der Arbeiten zu einer Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen geprüfte Aufgabenentflechtung im Bereich der Sozialversicherungen nicht.

7

Verfassungsmässigkeit

Die Änderung von Artikel 108 Absatz 1 AHVG stützt sich auf die Artikel 111 Absatz 2 und 112 Absatz 1 der Bundesverfassung.

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