15.020 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Steuerung des ambulanten Bereichs) vom 18. Februar 2015

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) betreffend die Steuerung des ambulanten Bereichs.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2012

P

12.3681

Ärztestopp. Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen (1) (N 14.12.2012, Cassis)

2012

P

12.3783

Ärztestopp. Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen (2) (N 14.12.2012, Cassis)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Februar 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-3050

2317

Übersicht Der vorliegende Entwurf soll den Kantonen eine dauerhafte Lösung für die Steuerung des ambulanten Leistungsangebots bieten, sodass eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität gewährleistet ist und der Kostenanstieg zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung eingeschränkt wird. Die neue Lösung soll die derzeitige Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a KVG ablösen, die am 30. Juni 2016 ausläuft. Die neuen Bestimmungen geben den Kantonen nicht nur die Möglichkeit, bei Überversorgung die Zulassung von Leistungserbringern zu beschränken, sondern auch, bei Unterversorgung Massnahmen zu treffen. Die Einsetzung von beratenden Kommissionen ermöglicht es, die interessierten Kreise in die Entscheidungen einzubeziehen.

Ausgangslage Die Zulassung der Leistungserbringer im ambulanten Bereich wird heute reguliert.

Nach Artikel 55a KVG kann die Zulassung von Ärzten und Ärztinnen, die in Praxen, Einrichtungen oder im ambulanten Bereich von Spitälern zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind, bis am 30. Juni 2016 eingeschränkt werden. Diese Regulierung war ­ in unterschiedlicher Form ­ zwischen 1. Januar 2001 und 31. Dezember 2011 elf Jahre lang gültig. Ihre Aufhebung per 1. Januar 2012 führte zu einer massiven Zunahme von Ärzten und Ärztinnen auf dem Markt ­ insbesondere von Spezialärzten und -ärztinnen ­ sodass das Parlament auf den 1. Juli 2013 wieder eine Bedürfnisklausel eingeführt hat, bevor diese Zunahme einen unkontrollierten Kostenanstieg nach sich ziehen konnte. Mehrere Studien haben gezeigt, dass in einem System mit Vergütung nach Einzelleistungen (die übliche Vergütung von medizinischen Leistungen des ambulanten Bereichs in der Schweiz) die Anzahl Konsultationen und die Menge ärztlicher Eingriffe bei jeder Konsultation mit der Ärztedichte steigen, was die Kosten in die Höhe treibt. 18 Monate nach Wiedereinführung dieser Massnahme nähert sich die Anzahl der erteilten Zahlstellenregister-Nummern allmählich wieder dem Niveau von 2011.

Bei ihrem Inkrafttreten 2001 war die Zulassungsbeschränkung als vorübergehende Massnahme gedacht, hauptsächlich um die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Kostenanstieg im ambulanten Bereich zu begrenzen. Der Bundesrat möchte anstelle einer befristeten Verlängerung von Artikel 55a KVG nun eine dauerhafte Lösung
schaffen, mit welcher der Teil des Kostenwachstums, der auf ein Überangebot zurückzuführen ist, langfristig eingeschränkt werden kann.

Der Bundesrat hat Anfang 2013 die Grundlage geschaffen, um die Herausforderungen, vor denen das Schweizer Gesundheitssystem steht, zu meistern, indem er in der Gesamtschau «Gesundheit2020» seine Prioritäten gesetzt hat. Der vorliegende Entwurf entspricht vollständig dem Ziel 4.2 dieser Gesamtschau, nämlich der Verbesserung der gesundheitspolitischen Steuerung, und zwar insbesondere durch die Schaffung neuer Steuerungsmöglichkeiten für die Versorgung im ambulanten Bereich, mit denen die Kantone beispielsweise auf eine Über- oder Unterversorgung reagieren können.

2318

Inhalt der Vorlage Der Entwurf gibt den Kantonen die Möglichkeit, den ambulanten Bereich zu regulieren, wobei der Schwerpunkt auf die Qualität des Versorgungsangebots gelegt werden soll; diese äussert sich darin, dass es weder eine Über- noch eine Unterversorgung gibt. Stellen die Kantone eine Überversorgung fest, so haben sie die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht, die Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu regulieren. Dabei sollen sie sich an Qualitätskriterien orientieren. Diese Regulierung kann eine oder mehrere Kategorien von Leistungserbringern betreffen (Ärzte und Ärztinnen sind also nicht die alleinigen Betroffenen) und muss die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich berücksichtigen. Bei einer Unterversorgung können die Kantone Unterstützungsmassnahmen ergreifen. Den ambulanten Bereich der Spitäler können die Kantone ausserdem mittels Leistungsaufträgen regeln. Nach dem vorgeschlagenen System ermittelt die kantonale Behörde in einem ersten Schritt den Versorgungsbedarf in Bezug auf die als optimal bestimmte Versorgungsqualität. Nur auf dieser Grundlage können Unterstützungs- oder Regulierungsmassnahmen ergriffen werden. Bevor ein Kanton Massnahmen ergreift, muss er die Meinung einer aus den interessierten Kreisen zusammengesetzten Kommission einholen, damit das Fachwissen und die Erfahrung aller in die Bedarfsabklärung einfliessen können. Die Kommission gibt eine Empfehlung ab, die der Kanton berücksichtigen muss. Die Vorlage enthält auch eine Bestimmung zur Übermittlung der Daten, die zur Ermittlung des angemessenen Versorgungsangebots benötigt werden, an die Kantone.

2319

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Die Zulassung der Leistungserbringer im ambulanten Bereich ist heute einer Regulierung unterstellt. Nach Artikel 55a des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung (KVG) hat der Bundesrat bis am 30. Juni 2016 die Möglichkeit, die Zulassung von Ärzten und Ärztinnen, die in Praxen, Einrichtungen oder im ambulanten Bereich von Spitälern zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind, einzuschränken. In seiner Ausführungsverordnung (Verordnung vom 3. Juli 20132 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung) hat der Bundesrat den Kantonen grosse Freiheiten bei der Gestaltung des Zulassungsbeschränkungssystems gelassen.

Diese Regulierung war zwischen 1. Januar 2001 und 31. Dezember 2011 ­ in unterschiedlichen Formen ­ elf Jahre lang gültig. Ihre Aufhebung per 1. Januar 2012 führte zu einer massiven Zunahme, insbesondere von spezialisierten Ärzten und Ärztinnen, auf dem Markt. Die Anzahl der erteilten Zahlstellenregister-Nummern (ZSR-Nummern) hat sich 2012 schweizweit gegenüber 2011 mehr als verdoppelt (+129 %). Die Anzahl hat sich im Kanton Genf fast verdreifacht (+176 %) und im Kanton Tessin sogar vervierfacht (+293 %)3. Dieser Trend hat sich im ersten Halbjahr 2013 ungebremst fortgesetzt und hat sich an manchen Orten sogar noch verstärkt. Einige Kantone hatten Massnahmen von Parlament und Bundesrat verlangt, weil sie befürchteten, dass diese Zunahme zu einem unkontrollierten Kostenanstieg führt. In der Folge wurden per 1. Juli 20134 Artikel 55a KVG in seiner heutigen Fassung und per 5. Juli 20135 die entsprechende Ausführungsverordnung in Kraft gesetzt. Artikel 55a KVG sieht eine Ausnahme vor, wonach die Zulassungsbeschränkung nicht für Ärzte und Ärztinnen gilt, die mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Die Massnahme scheint zu greifen: Nach einem 18-monatigen markanten Anstieg ist die Zahl der erteilten ZSR-Nummern im zweiten Halbjahr 2013 wieder um die Hälfte gesunken.

2014 kommt man nun wieder in die Nähe der Zahlen von 20116. Bei ihrem Inkrafttreten 20017 war die Zulassungsbeschränkung als vorübergehende Massnahme gedacht, hauptsächlich um die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Kostenanstieg im ambulanten
Bereich zu beschränken. Mehrere Studien haben nämlich gezeigt, dass in einem System mit Vergütung nach Einzelleistungen (die übliche Vergütung von medizinischen Leistungen im ambulanten Bereich in der Schweiz) die Anzahl Konsultationen und die Menge ärztlicher Eingriffe bei jeder

1 2 3 4 5 6 7

SR 832.10 SR 832.103 Zahlen gestützt auf die von der SASIS AG (www.sasis.ch) erhobenen Daten AS 2013 2065 AS 2013 2255 Daten von SASIS AG (www.sasis.ch) AS 2000 2305

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Konsultation mit der Ärztedichte steigen, was die Kosten in die Höhe treibt8. Da andere Vorlagen jedoch scheiterten, wurde Artikel 55a KVG mehrfach verlängert, was die Akteure verunsichert, sie zu einem falschen Verhalten verleitet und unerwünschte Effekte hervorruft . So lässt sich die Zunahme der erteilten ZSR-Nummern ab 2009 bei der Aufhebung der Zulassungsbeschränkung für die ärztlichen Grundversorger und zwischen Anfang 2012 und Juni 2013, als die Beschränkung ganz aufgehoben wurde, teilweise durch die temporäre Marktregulierung erklären. Das Ausmass der Zunahme hingegen ist wohl auch ein Zeichen für die Verunsicherung der Leistungserbringer, die sofort die Gelegenheit nutzten und eine Zulassung beantragten, um einer erneuten Beschränkung zuvorzukommen. Deshalb möchte der Bundesrat anstelle einer befristeten Verlängerung von Artikel 55a KVG eine dauerhafte Lösung schaffen, mit welcher der Teil des Kostenwachstums, der auf eine Überversorgung zurückzuführen ist, langfristig eingeschränkt werden kann.

Das Gesundheitssystem der Schweiz ist im Wandel begriffen. Es stehen in Zukunft grosse Herausforderungen an, auch wenn Beobachter und Bevölkerung mit der Funktionstüchtigkeit des Systems und der Qualität der erbrachten Leistungen heute insgesamt zufrieden sind. Mit der demografischen Entwicklung werden die chronischen Krankheiten weiter zunehmen, die Leistungen werden sich weiterentwickeln und der wachsende Bedarf muss finanziert werden. Zudem erfordern die zunehmende Komplexität und die gegenläufigen Interessen mehr Steuerung und Transparenz des Systems. Aufgrund der grossen Reichweite dieser Herausforderungen hat der Bundesrat Anfang 2013 mit der Gesamtschau «Gesundheit2020»9 die gesundheitspolitischen Prioritäten festgelegt und die Grundlage geschaffen, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Im Zentrum der Gesamtschau stehen die Bevölkerung und ihr Wohlbefinden. Das Gesundheitswesen soll um sie und ihre Bedürfnisse herum weiterentwickelt werden. Daher konzentriert sich die Frage des Versorgungsangebots nicht mehr ausschliesslich auf die Kosten, sondern auch auf den optimalen Zugang der Versicherten zu den Leistungen, die sie effektiv benötigen. Ohne Regulierung des ambulanten Bereichs nehmen aber auch das Angebot und mit ihm die Menge an erbrachten Leistungen und dementsprechend die
Kosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu. Die optimale Organisation der Versorgung ist deshalb auch eine Massnahme, um den Anstieg der Gesundheitskosten einzudämmen. Der vorliegende Entwurf hat zum Ziel, die Leistungserbringung noch stärker auf die Bedürfnisse der Versicherten auszurichten. Er entspricht vollständig Ziel 4.2 von «Gesundheit2020», nämlich der Verbesserung der gesundheitspolitischen Steuerung, und zwar insbesondere für die Versorgung im ambulanten Bereich (auch im Spitalbereich), mit denen die Kantone beispielsweise auf eine Über- oder Unterversorgung reagieren können.

Vorarbeiten Die Vorlage wurde im Rahmen eines partizipativen Verfahrens unter Einbezug der wichtigsten betroffenen Partner erarbeitet, damit eine befriedigende, langfristig anwendbare und politisch breit abgestützte Lösung vorgelegt werden konnte. Das Eidgenössische Departement des Innern hat dazu am 2. September 2013 und am 11. Februar 2014 zwei Runde Tische unter der Leitung von Bundesrat Alain Berset einberufen.

8 9

Claude Jeanrenaud, «Mode de rémunération des médecins et coûts de la santé en Suisse», Universität Neuenburg, 2006.

Der Bericht kann unter folgender Adresse abgerufen werden: www.gesundheit2020.ch.

2321

Der erste Runde Tisch befasste sich mit den bisherigen Vorschlägen und den beiden Grundsatzfragen, ob Handlungsbedarf besteht und wenn ja, welche der unterbreiteten Massnahmen als Lösung für die langfristige Steuerung des ambulanten Bereichs infrage käme. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Handlungsbedarf besteht.

Der Schwerpunkt müsse aber auf der Qualität der Versorgung liegen und nicht ausschliesslich auf der Eindämmung der Kosten. Ein Qualitätsmerkmal der Versorgung besteht darin, dass weder Über- noch Unterversorgung herrscht.

Den Teilnehmenden des zweiten Runden Tisches wurde eine Bewertung der Stärken und Schwächen der drei Hauptmodelle Vertragsfreiheit, Differenzierung der Tarife und Regulierung der Zulassungen vorgelegt. Das abgegebene Dokument enthielt auch die zentralen Punkte, die das Herzstück der Reform bilden sollten. Die Teilnehmenden konnten dazu und zur Bewertung der drei Lösungsmodelle Stellung nehmen. Aus der Diskussion ergaben sich verschiedene Eckwerte. Zum einen brauchen die Akteure Sicherheit und Planbarkeit. Im Hinblick auf einen Kompromiss erwies sich zudem das Modell der Regulierung des ambulanten Bereichs durch die Kantone als pragmatischste Lösung. Die Kantone sollen jedoch nicht verpflichtet sein einzugreifen, sondern bei Bedarf die Möglichkeit haben, von ihrer Kompetenz Gebrauch machen zu können. Und schliesslich wurde im Rahmen der Diskussionen erneut betont, dass im Zentrum des Modells, bei dessen Erarbeitung die Partner formell einbezogen werden und das von einer möglichst regionalen Perspektive ausgehen soll, die Qualität des Versorgungsangebots stehen soll.

1.2

Die beantragte Neuregelung

Die vorgeschlagene Änderung besteht darin, den ambulanten Bereich zu regulieren, wobei der Schwerpunkt auf die Qualität des Versorgungsangebots gelegt werden soll; diese äussert sich darin, dass es weder eine Über- noch eine Unterversorgung gibt. Stellen die Kantone eine Überversorgung fest, so haben sie die Möglichkeit, nicht jedoch die Pflicht, die Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu regulieren. Dabei sollen sie sich an Qualitätskriterien orientieren. Die Regulierung kann eine oder mehrere Kategorien von Leistungserbringern betreffen, nicht nur die Ärzte und Ärztinnen, und muss die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich berücksichtigen. Bei einer Unterversorgung können die Kantone die Massnahmen ergreifen, die sie als geeignet erachten, sofern die nationalen und internationalen Vorschriften eingehalten werden. Die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich können die Kantone ausserdem mittels Leistungsaufträgen regeln.

Nach dem vorgeschlagenen System ermittelt die kantonale Behörde in einem ersten Schritt den Versorgungsbedarf in Bezug auf die als optimal bestimmte Versorgungsqualität. Nur auf dieser Grundlage können Unterstützungs- oder Regulierungsmassnahmen ergriffen werden. Eines der Ziele ist, dass sich die Kantone untereinander koordinieren oder zumindest die Vorkehrungen von Nachbarkantonen beachten, bevor sie intervenieren. Die zentrale Stellung bei der Steuerung kommt den Kantonen zu. Die beteiligten Partner ­ Leistungserbringer, Versicherer und Versicherte ­ spielen aber eine wichtige Rolle. Bevor ein Kanton Massnahmen ergreift, muss er zuerst eine aus den interessierten Kreisen zusammengesetzte Kommission einsetzen, damit das Fachwissen und die Erfahrung aller in die Bedarfsabklärung einfliessen können. Die Kommission gibt eine Empfehlung ab, die der 2322

Kanton berücksichtigen muss. Folgt der Kanton der Empfehlung der Kommission nicht, muss er die Abweichung begründen. So haben die interessierten Kreise die Sicherheit, dass ihre Haltung berücksichtigt wird und dass sie eine Begründung erhalten, wenn der Kanton davon abweichend entscheidet. Dieses Modell orientiert sich am Verfahren im Preisüberwachungsbereich bei einer geplanten Erhöhung von behördlich festgesetzten oder genehmigten Preisen (vgl. Art. 14 des Preisüberwachungsgesetzes vom 20. Dezember 198510).

Die Vorlage enthält auch eine Bestimmung zur Datenübermittlung, eine Frage, die in der Vergangenheit zu Problemen geführt hat. Auf Verlangen der kantonalen Behörden liefern die Leistungserbringer und die Versicherer kostenlos die Daten, die zur Beurteilung des Angebots benötigt werden. Die Vorlage fördert die Zusammenarbeit, beispielsweise in der multipartiten Kommission. Die Partner und die Kantone sollten sich also über die für die Angebotsbeurteilung benötigten Daten und deren Übermittlung einigen. Gemäss Artikel 96 KVG hat der Bundesrat die Möglichkeit, die für den Vollzug des KVG erforderlichen Bestimmungen zu erlassen. So kann er allfällige Blockaden beheben. Auch der Bund veröffentlicht die Daten, über die er verfügt. Die Kantone können somit auch diese Informationen bei der Umsetzung der Reform einbeziehen.

Mit dem vorgeschlagenen Modell kann die Grundversorgung flächendeckend angeboten und die spezialisierte Versorgung kontrolliert werden. Die Übertragung der Kompetenz zur Angebotsregulierung an die Kantone sorgt für eine gewisse Nähe bei der Prüfung des Bedarfs und stellt sicher, dass die Entscheide nicht nur auf der Verfolgung wirtschaftlicher Interessen beruhen, sondern auf dem Willen, ein gutes Versorgungsangebot sicherzustellen.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Parlament und Bundesrat haben in der Vergangenheit mehrfach Vorlagen mit Auswirkungen auf das Leistungsangebot im ambulanten Bereich geprüft. Die Diskussionen über die Teilrevision des KVG zur Vertragsfreiheit11 endeten mit einem Nichteintreten der eidgenössischen Räte12. Die Teilrevision des KVG bezüglich Managed Care13 wurde vom Volk am 17. Juni 2012 abgelehnt14. Verschiedene parlamentarische Vorstösse gaben mögliche Stossrichtungen an. Das Bundesamt für Gesundheit hat eine Übersicht erstellt und sie den Partnern an den beiden vom Eidgenössischen Departement des Innern organisierten Runden Tischen vorgelegt.

Vertragsfreiheit Vertragsfreiheit bedeutet, dass die Leistungserbringer und die Versicherer ihre Vertragspartner frei wählen können. Um zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein zu können, müssen die Leistungserbringer mit einem oder mehreren Versicherern einen Vertrag abgeschlossen haben. Die Idee ist, dass die Nachfrage bestimmt, ob in einem Fachbereich oder einer Region eine Erhöhung 10 11 12 13 14

SR 942.20 BBl 2004 4293 AB 2008 S 1044 und AB 2010 N 1056 BBl 2004 5599 BBl 2012 7685

2323

oder Senkung des Angebots erforderlich ist. Es wurden verschiedene Varianten dieses Modells mit zusätzlichen marktregulierenden Kriterien vorgeschlagen.

Theoretisch soll die Aufhebung des Kontrahierungszwangs den Wettbewerb unter den Leistungserbringern fördern, was letztlich eine Qualitätsverbesserung und einen Rückgang der Kosten bewirken sollte. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der wirtschaftliche Druck die freie Wahl der Behandlung in den Hintergrund drängt.

Ausserdem hängt die Wirksamkeit der Angebotssteuerung von der Koordination zwischen den Versicherern ab: Wird der Bedarf von jedem Versicherer unabhängig von den anderen bestimmt, kann die Versorgungsqualität nicht verbessert werden.

Schliesslich schafft die Vertragsfreiheit für die Ärzte und Ärztinnen wirtschaftliche Unsicherheit, da ihre Zulassung auf dem Spiel stehen kann.

Das Parlament hat dieses Modell bereits vielfach diskutiert. Die Vertragsfreiheit hat unabhängig von der vorgeschlagenen Variante nie eine Mehrheit gefunden. Bei der Abstimmung über die Managed-Care-Vorlage hat das Volk klar gezeigt, dass es eine freie Wahl des Leistungserbringers wünscht. Nach Ansicht der Patienten und Patientinnen sollen weder die Versicherer (über die Vertragsfreiheit) noch grundsätzlich die Leistungserbringer an ihrer Stelle die Ärzte und Ärztinnen wählen, die ihre Ansprechpersonen sein sollen.

Differenzierung der Tarife Das KVG ist so konzipiert, dass der Tarif die Grundlage für die Berechnung der Vergütung bildet. Dieser wird grundsätzlich in Verträgen zwischen den Versicherern und den Leistungserbringern festgelegt und muss mit dem Gesetz sowie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Billigkeit in Einklang stehen. Bisher sahen schon verschiedene Vorschläge die Regulierung des Angebots über Tarife vor, die nach verschiedenen Kriterien (Ärztedichte, Qualität, Fachgebiet usw.) differenziert waren.

In der Praxis wäre eine Differenzierung der Tarife kaum geeignet, ein Versorgungsangebot von hoher Qualität zu schaffen. Denn es ist schwierig, den «richtigen» Preis für eine Leistung in einer bestimmten Region festzulegen. Dieser Preis muss gestützt auf die Entwicklung der Versorgung regelmässig neu beurteilt werden, was zwangsläufig zu einer Verunsicherung der Leistungserbringer führt. Diese berücksichtigen zudem nicht nur finanzielle Kriterien
für ihren Entscheid, wo sie ihre Tätigkeit ausüben möchten. Das soziale Umfeld, die Leistung von Notfalldienst, die Lebensqualität und die Möglichkeit von Teilzeitarbeit sind ebenfalls Faktoren, die in ihre Entscheidung einfliessen und den Einflussfaktor des Tarifs verringern. Die Erhöhung eines Tarifs müsste somit im Verhältnis zu den anderen Faktoren sehr gewichtig sein, damit die Leistungserbringer flexibler und vor allem mobiler sind. Bei einer solchen Erhöhung müssen die Prinzipien des KVG berücksichtigt werden, wonach der Tarif höchstens die transparent ausgewiesenen Kosten der Leistung decken darf (Art. 59c Abs. 1 Bst. a der Verordnung vom 27. Juni 199515 über die Krankenversicherung, KVV). Um zu bestimmen, ob ein Tarif wirtschaftlich ist, muss die Genehmigungsbehörde überprüfen, dass von den transparent ausgewiesenen Kosten ausschliesslich diejenigen vergütet werden, die einer effizienten Leistungserbringung entsprechen (Art. 59c Abs. 1 Bst. b KVV). Zudem müssen die Kosten des Systems nach dem Gebot der Billigkeit für die Versicherten wirtschaftlich tragbar bleiben.

Für die Patienten und Patientinnen und die Leistungserbringer würde eine Differenzierung unerwünschte wirtschaftliche Anreize schaffen. Eine Versorgung, die in den 15

SR 832.102

2324

Randregionen teurer als in den Städten ist, verleitet Patienten und Patientinnen dazu, sich in der Stadt behandeln zu lassen. Dies würde den Markt aus dem Gleichgewicht bringen. Ausserdem ist die Mobilität der Patienten und Patientinnen nicht das Ziel.

Die Reform bezweckt in erster Linie, eine optimale Versorgung für alle bereitzustellen, ungeachtet der Region, in der sie wohnen.

Ausserdem entspricht nach mehrfach dargelegter Ansicht des Bundesrates eine rein auf regionalpolitischen Zielsetzungen beruhende Taxpunktwerterhöhung nicht dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, der für alle Tarife von Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gilt.

Dieses Modell schafft somit zu grosse Unsicherheiten und Fehlanreize, als dass eine Umsetzung in Betracht gezogen werden könnte. Tarifarische Massnahmen sollten nur ausnahmsweise oder als subsidiäres Instrument erwogen werden.

Regulierung der Zulassungen Die Regulierung der Zulassungen geht auf einen gemeinsamen Vorschlag der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren und der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) zurück, der als Grundlage für die vorliegende Botschaft diente. Der ursprüngliche Vorschlag wollte vom Begriff eines generellen Zulassungsstopps zu demjenigen einer Zulassungssteuerung durch die Kantone zurückfinden, um die Versorgung optimal an den örtlichen Gegebenheiten auszurichten.

Der Bundesrat hat das vorgeschlagene Modell gestützt auf die Ergebnisse der Runden Tische im Hinblick auf einen breiteren Konsens und die Optimierung der Vorlage angepasst.

1.4

Vernehmlassungsverfahren

Eine Vernehmlassung der Kantone, politischen Parteien, gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft und anderen interessierten Kreise wurde vom 20. Juni bis zum 10. Oktober 2014 durchgeführt.

Die Zentrumsparteien, die Sozialdemokratische Partei und einige Leistungserbringerorganisationen (Ergotherapeut/innen, Hebammen, Chiropraktor/innen) können sich dem Projekt grundsätzlich anschliessen, die Mehrheit der Leistungserbringer (inkl.

Spitäler), die Versicherer, die FDP und SVP, die Wirtschaftsverbände und die pharmazeutische Industrie lehnen das Projekt jedoch ab. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren sowie die überwiegende Mehrheit der Kantone (ausser ZH und AG) sprechen sich für die Vorlage aus und anerkennen die Notwendigkeit einer Steuerungsmöglichkeit, verlangen jedoch in einigen Bereichen Anpassungen. Sie seien auf eine langfristige Lösung im Bereich der ambulanten Steuerung angewiesen.

Manche Teilnehmende schlugen andere Optionen vor, namentlich die in Ziffer 1.3 beschriebenen. Die fehlende Evaluation der früheren Ausgestaltung der Zulassungsbeschränkung und der fehlende Abstand zur Wirkung der geltenden dringlichen Bestimmung wurden kritisiert. Angesichts der Divergenzen bezüglich der einzuführenden Lösung und jenen in der Frage, ob mit einer Zulassungssteuerung die gesetzten Ziele erreicht werden können, ist festzustellen, dass ein Konsens bezüglich der 2325

Handlungsmöglichkeiten fehlt, dies trotz der Bemühungen des Departements, die Partner an einen Tisch zu bringen und mit ihnen die Grundzüge der Vorlage zu diskutieren.

Abgesehen von den grundsätzlichen Divergenzen fanden verschiedene der in der Vorlage enthaltenen Bestimmungen nicht die volle Unterstützung. Zwei grundlegende Punkte wurden aufgrund der Vernehmlassung überprüft und angepasst: ­

Die Steuerung des ambulanten Bereichs der Spitäler über Leistungsaufträge wurde als kompliziert für die Umsetzung erachtet. Die Verpflichtung zur Steuerung wurde als Ungleichbehandlung gegenüber dem restlichen ambulanten Bereich wahrgenommen. Daher erhalten die Kantone die Möglichkeit, den ambulanten Bereich der Spitäler zu steuern, sind jedoch nicht dazu verpflichtet.

­

Der Bundesrat schlug vor, in die Steuerung, genauer in die Taxpunktwerte, eingreifen zu können, wenn sich die Überversorgung bei den Kosten bemerkbar macht und der entsprechende Kanton keine Massnahmen trifft.

Diese subsidiäre Kompetenz wurde klar abgelehnt und folglich im vorliegenden Entwurf gestrichen.

Der Bundesrat hält an seiner Analyse der anderen vorgeschlagenen Lösungen (vgl.

Ziff. 1.3) fest und bleibt somit der Meinung, dass die Steuerung des ambulanten Bereichs die beste Lösung ist, um sowohl auf Über- als auch auf Unterversorgung zu reagieren. Die Handlungsfreiheit der Kantone und die Berücksichtigung der Meinung der Partner gewährleisten eine massvolle und angemessene Umsetzung der Reform, die zudem den Föderalismus stärkt. In die vorliegende Botschaft wurden schliesslich verschiedene Präzisierungen eingefügt, um auf die in der Vernehmlassung gemachten Anmerkungen einzugehen.

1.5

Angemessenheit der erforderlichen Mittel

Mit der vorgeschlagenen Änderung erhalten die Kantone die Kompetenz, ihren Bedürfnissen entsprechend gezielt eine Über- oder Unterversorgung vermeiden zu können. Die Kantone sind allerdings nicht verpflichtet einzugreifen. Dadurch wird eine Berücksichtigung der spezifischen Lage ermöglicht und eine Überregulierung in Fällen verhindert, in denen die Umstände kein Eingreifen erfordern. In der Vorlage wird klar zwischen Über- und Unterversorgung unterschieden. Jeder Kanton wird somit nur die Massnahmen treffen, die im konkreten Fall erforderlich sind, und kann diese nach Gebiet oder Art der Leistung differenzieren. Mit der Vorlage wird die Zusammenarbeit gefördert. Dies ermöglicht sowohl pragmatische und konsensfähige Lösungen, die eher akzeptiert werden, als auch eine bessere Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Massnahmen. Zum einen müssen die Kantone ihr Vorgehen koordinieren. So wird der Über- oder Unterversorgung in überkantonalen Regionen Rechnung getragen, wenn ein Kanton Massnahmen ins Auge fasst. Zum andern werden die Partner in Anlehnung an das Modell der Preisüberwachungsgesetzgebung stark in den Entscheidungsprozess einbezogen und müssen untereinander die nötigen Daten austauschen. Damit stellt die Vorlage sicher, dass die Massnahmen nach Konsultation der betroffenen Parteien und gestützt auf eine ausreichende Datengrundlage getroffen werden. Schliesslich entspricht die Vorlage den Grundsätzen des KVG, namentlich der Sicherstellung einer gesundheitlichen Versorgung von 2326

hoher Qualität zu möglichst günstigen Kosten sowie der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, und gleichzeitig dem Grundsatz, dass die Sicherstellung der Versorgung in der Kompetenz der Kantone liegt. Die einzelnen Bestandteile der Vorlage können somit das Versorgungsangebot da verbessern, wo es nötig ist, und zugleich Flexibilität bei den Massnahmen und die Einhaltung der geltenden Vorschriften gewährleisten.

1.6

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Studie zur Angebotssteuerung im ambulanten Bereich hat die Systeme und Regulierungen in 22 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untersucht16 und dabei eine beachtliche Vielfalt festgestellt. Die Unterschiede sind besonders in den Bereichen der Organisation, Finanzierung und Steuerung der ärztlichen Versorgung gross, während es bei der Berufszulassung zwischen den Staaten grosse Ähnlichkeiten gibt.

Berufszulassung Im Bereich der Berufszulassung verlangen die untersuchten Staaten für alle Ärzte und Ärztinnen eine Bewilligung oder Approbation, im Unterschied zur Schweiz, wo die Bewilligungspflicht nur für die selbstständig tätigen Ärzte und Ärztinnen gilt.

Die Voraussetzungen für die Erlangung einer Berufsausübungsbewilligung oder Approbation sind in den untersuchten Staaten sehr ähnlich (abgeschlossenes Medizinstudium von mindestens sechs Jahren, abgeschlossene Weiterbildung, Vertrauenswürdigkeit und gesundheitliche Eignung), denn sie setzen alle die Richtlinie 2005/36/EG17 um, welche die Mindestanforderungen an die Aus- und Weiterbildung für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation einheitlich festlegt. Für ausländische Ärzte und Ärztinnen aus Staaten, mit denen aufgrund des europäischen Rechts oder aufgrund eines Abkommens Personenfreizügigkeit besteht, kennen die untersuchten Staaten entweder gar keine gesetzlichen Zugangsschranken oder sie verlangen die Kenntnis der oder einer Landessprache (wie die Schweiz). Gegenüber Ärzten und Ärztinnen aus Drittstaaten (Staaten ohne Freizügigkeitsabkommen) bestehen in einigen Staaten Hürden in Form von Zusatzprüfungen oder zusätzlichen Anforderungen hinsichtlich Berufserfahrung.

Zulassung zur Tätigkeit zulasten der Krankenversicherung Betreffend die Zulassung zur Tätigkeit zulasten der Krankenversicherung oder des Gesundheitsdienstes existiert etwa in der Hälfte der untersuchten Staaten ein Vertrags- oder Anschlusszwang, wie man ihn auch in der Schweiz kennt. In einzelnen 16

17

Bernhard Rütsche, Tomas Poledna, Philippe Gigaud, Nadja Flühler, «Studie: Angebotssteuerung im ambulanten Bereich ­ Insbesondere Rechtsvergleich der Zulassungsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten zur Abrechnung zulasten einer (staatlichen) Krankenversicherung», Luzern, 2013. Die Studie kann auf der Website des BAG abgerufen werden unter: www.bag.admin.ch > Themen > Krankenversicherung > Revisionen der Krankenversicherung > Steuerung des ambulanten Bereichs.

Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 22.

2327

Staaten ist dieser auf bestimmte Bereiche beschränkt (Frankreich: automatische Zulassung von Spitalärzten und -ärztinnen; Slowakische Republik: ambulante ärztliche Grundversorgung). Betreffend Zulassung von ausländischen Ärzten und Ärztinnen zur Tätigkeit zulasten der Krankversicherung bestehen in den untersuchten Staaten keine gesetzlichen Schranken. Einzig Schweden (langjährige medizinische Erfahrung sowie Qualifikation als Facharzt oder Fachärztin) und Australien (Tätigkeit während zehn Jahren an einem Ort, an dem Ärztemangel herrscht) kennen spezifische Voraussetzungen für ausländische Ärzte und Ärztinnen.

Angebotssteuerung Eine Angebotssteuerung im Bereich der Berufszulassung gibt es innerhalb der untersuchten Staaten nur in Belgien und Spanien. Dagegen nimmt die überwiegende Mehrzahl der Staaten Einfluss auf die Anzahl der angebotenen Studienplätze für die ärztliche Ausbildung. Studienplatzbegrenzungen existieren in einzelnen Staaten auch für fachärztliche Weiterbildungen (Frankreich, Tschechische Republik, Lettland). Hinsichtlich der Angebotssteuerung im Rahmen der staatlichen Finanzierung gibt es in den untersuchten Staaten eine Vielfalt von Modellen. So wird die Anzahl der Verträge oder Ärzte und Ärztinnen, die zur Tätigkeit zulasten der Krankenversicherung oder des Gesundheitsdiensts zugelassen sind, in mehreren Staaten aufgrund einer Bedarfsermittlung beschränkt (Deutschland, Österreich, Italien, Dänemark, Island, Lettland, Slowakei). In Deutschland beispielsweise erarbeiten die kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen einen Bedarfsplan, welcher Feststellungen über die ärztliche Versorgung unter Berücksichtigung der Arztgruppen, die Bevölkerungsdichte und -struktur sowie die Art und den Umfang der Nachfrage nach vertragsärztlichen Leistungen, deren Deckung sowie deren räumliche Zuordnung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu beinhalten hat. Verschiedene Staaten steuern die Angebotsmenge über das Budget, das für die Finanzierung ärztlicher Leistungen zur Verfügung gestellt wird (z.B. Vereinigtes Königreich und Polen). Damit in Polen eine ambulante Erstbehandlung vom staatlichen Gesundheitsdienst bezahlt wird, muss diese durch einen Vertragsarzt oder eine Vertragsärztin des nationalen Gesundheitsfonds durchgeführt werden. Alle Ärzte
und Ärztinnen, welche gewisse Kriterien erfüllen, können sich um einen Vertrag mit diesem Fonds (entspricht einer Einheitskrankenkasse) bewerben, wobei die Auswahl in einem speziellen Vergabeverfahren erfolgt. Das Angebot wird somit indirekt durch die vom nationalen Gesundheitsfonds eingekauften Gesundheitsdienstleistungen gesteuert. Dänemark und Norwegen nehmen die Angebotssteuerung namentlich mittels finanziellen Anreizen vor, beispielsweise mittels besserer Entschädigung von Leistungen, welche zu wenig angeboten werden.

Bei einer Vielzahl der OECD-Staaten gibt es also eine Lösung für die langfristige Steuerung der ärztlichen Versorgung im ambulanten Bereich. Insbesondere haben alle untersuchten Nachbarländer der Schweiz (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien) bereits Systeme eingeführt, um die Anzahl Ärzte und Ärztinnen, welche zulasten der Krankenversicherung tätig sein dürfen, oder um das durch diese Ärzte und Ärztinnen abrechenbare Leistungsvolumen zu beschränken. Mit dem vorliegenden Entwurf kann die Schweiz den ambulanten Bereich ebenfalls regulieren.

2328

1.7

Umsetzung

Grundsätzlich wird es Sache der Kantone sein, das angemessene Versorgungsangebot so zu bestimmen, dass sowohl eine Über- als auch eine Unterversorgung vermieden wird: Wenn sie beschliessen einzugreifen, müssen auch in erster Linie sie die Massnahmen umsetzen. Sie werden ausserdem den ambulanten Bereich der Spitäler im Rahmen der Spitalplanung regeln können, wie es Artikel 39 Absatz 2 KVG bereits heute vorsieht, in Koordination mit den anderen Kantonen.

Die Vorlage legt jedoch einige Eckwerte fest:

18 19

­

Die Kantone müssen, wenn sie eingreifen wollen, eine Kommission bestehend aus Vertretungen der Versicherten, der Leistungserbringer und der Versicherer einsetzen. Die Rolle der Kommission und die Partner, die darin vertreten sein müssen, sind im Gesetz festgelegt, dies namentlich mit dem Ziel, die kantonalen Verfahren zu harmonisieren. Der Bundesrat ist ausserdem der Ansicht, dass jeder der Partner über eigenes Fachwissen und eigene Erfahrungen verfügt, welche die Arbeiten der Kommission bereichern können. Organisatorische Schwierigkeiten (viele verschiedene Beteiligte, Organisationsgrad der Versicherten) werden somit durch die den Partnern gebotene Dialogplattform und die breitere Unterstützung für die abgegebene Empfehlung bei Weitem ausgeglichen. Es können verschiedene Massnahmen zu einzelnen Leistungserbringern getroffen werden. Deren Vertretung in der Kommission kann deshalb für jeden zu beurteilenden Fall angepasst werden.

­

Die Kantone entscheiden, ob sie die Zulassungen zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung beschränken oder Unterstützungsmassnahmen ergreifen wollen. Dabei richten sie sich nach Qualitätskriterien wie der Teilnahme an Qualitätsprogrammen, dem Absolvieren von Weiterbildungen im Bereich Qualitätssicherung, der Leistung von Notfalldienst oder der Zugehörigkeit zu einem Versorgungsnetz. Die Kriterien müssen mit den nationalen oder internationalen Vorschriften vereinbar sein.

Aus diesem Grund konnte einigen an den Runden Tischen gemachten Vorschlägen nicht Rechnung getragen werden. Beispielsweise ist es nicht mit der Personenfreizügigkeit vereinbar, eine dreijährige Praxis in einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte zu verlangen. Auch ist es nicht erforderlich, die Beherrschung einer Landessprache im KVG zu regeln, weil die Artikel 15 und 21 des Medizinalberufegesetzes vom 23. Juni 200618 (MedBG) dies bereits als Voraussetzung für die Anerkennung ausländischer Diplome und Weiterbildungstitel vorsehen19. Beim Verfahren zur Anerkennung der Diplome muss die zuständige Stelle des Bundes diese Kenntnisse prüfen. Ist keine Diplomanerkennung erforderlich, muss die Einrichtung, die die betreffende Person anstellen will (z.B. Spital), kontrollieren, ob die Sprachkenntnisse für die Ausübung ihrer Aufgaben ausreichen. Für nicht universitäre Berufe definieren die Kantone die anwendbaren Bedingungen.

­

Die Kantone sind für die Gesundheitsversorgung zuständig. In diesem Sinne können sie bereits Unterstützungsmassnahmen treffen. Die Verankerung SR 811.11 Die Beherrschung einer Landessprache wird im Rahmen der Prüfung des Entwurfes zur Änderung des MedBG im Parlament diskutiert (13.060).

2329

dieser Kompetenz im KVG ermöglicht jedoch, das Ziel der Reform ­ Gewährleistung einer angemessenen Versorgung und somit Vermeidung von Über- oder Unterversorgung ­ klar festzuhalten. Es muss geregelt sein, dass die Kantone die Kompetenz haben, die Zulassungen zu beschränken und Unterstützungsmassnahmen zu treffen. Letztere müssen «geeignet» sein, was die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze des KVG, z.B. des Wirtschaftlichkeitsprinzips, voraussetzt. Für jede von den Kantonen vorgeschlagene und angenommene Massnahme muss deshalb systematisch eine Schätzung der erhofften Auswirkungen auf die Leistungen und der Kosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vorgenommen werden.

Einzelne Punkte wird der Bundesrat auf dem Verordnungsweg zu regeln haben: ­

Beschliesst ein Kanton eine Regulierung des Angebots, hat er in einem ersten Schritt die angemessene Versorgung zu bestimmen. Das Vorgehen muss überprüfbar sein und auf verlässlichen Daten beruhen. Deshalb wird der Bundesrat beauftragt, in einer Verordnung Mindestkriterien und minimale methodische Grundsätze festzulegen. Es wird sich dabei im Wesentlichen um Qualitätskriterien handeln, die nach Beizug der betroffenen Kreise in einer Verordnung definiert werden. Die Kriterien lehnen sich zum einen an die Praxis im stationären Bereich an (z.B. Zugang der Patienten und Patientinnen zur Behandlung innert nützlicher Frist) und beruhen zum andern auf den Vorschlägen der Runden Tische (z.B. Leistungsvolumen). Die Kantone können zusätzliche Kriterien festlegen.

Da die Umsetzung von Artikel 55a KVG im Wesentlichen das Bundesrecht betrifft, wurde das Bundesverwaltungsgericht als einzige gerichtliche Instanz zur Beurteilung von Beschwerden gegen die von kantonalen Regierungen oder untergeordneten kantonalen Behörden getroffenen Entscheide zu Zulassungsgesuchen definiert (Art. 53 KVG, BGE 134 V 45). Der vorliegende Entwurf ermächtigt die Kantone ­ innerhalb eines festgelegten Rahmens ­ im Bereich der Zulassungsbeschränkung Vorschriften zu erlassen (Art. 40a). Machen die Kantone von dieser Kompetenz Gebrauch, werden Beschlüsse zur Umsetzung aufgrund des kantonalen Rechts gefällt. Eine Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht allein könnte den Zugang zu einer richterlichen Behörde mit voller Kontrolle über Recht und Tatsachen nicht gewährleisten (vgl. Art. 29a BV): Da sich die Prüfbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts auf die Verletzung von Bundesrecht beschränkt (Art. 49 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 196820 über das Verwaltungsverfahren), kann es die richtige Anwendung von kantonalem Recht nicht kontrollieren. Deshalb sollen die ordentlichen Rechtswege (kantonale Instanzen, dann Bundesgericht) geöffnet werden. Dasselbe soll für die Unterstützungsmassnahmen nach Artikel 40b gelten.

Die Rechtswege bleiben somit unverändert gegenüber den Unterstützungsmassnahmen, welche die Kantone bereits heute treffen können. Hingegen und wie in Artikel 53 Absatz 1 KVG vorgesehen, kann gegen kantonale Beschlüsse betreffend die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht geführt werden.

20

SR 172.021

2330

1.8

Parlamentarische Vorstösse

Zahlreiche parlamentarische Vorstösse schlagen Gesetzesänderungen im ambulanten Bereich vor und zielen auf eine Verbesserung der Versorgungsqualität ab.

Motion Stahl 13.3265 «Gegenvorschlag zum Zulassungsstopp für Ärzte» Die von Nationalrat Jürg Stahl eingereichte Motion beauftragt den Bundesrat, ab einer bestimmten Ärztedichte die Vertragsfreiheit einzuführen. Der Nationalrat hat sie am 10. September 2014 mit 128 zu 58 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Der Ständerat hat sie noch nicht behandelt. Am 26. September 2012 hatte er jedoch eine ähnliche Motion abgelehnt: Die von Ständerat Felix Gutzwiller eingereichte Motion 12.3638 «KVG. Vertragsfreiheit einführen» beauftragte den Bundesrat, eine Revision des KVG vorzulegen, welche die Vertragsfreiheit zwischen spezialisierten Ärzten und Ärztinnen und Krankenversicherern im ambulanten Bereich einführt und Mindestvorschriften zur Sicherstellung der Dichte und der Qualität der Versorgung vorsieht. Die Ärzte und Ärztinnen sollten im ambulanten Bereich privat und ohne Vertrag mit einem Versicherer praktizieren können. Die Modelle, bei denen die Vertragsfreiheit durch die Ärztedichte begrenzt oder auf Spezialärzte und -ärztinnen beschränkt wird und die Mindestvorschriften bezüglich Dichte und Qualität enthalten, wurden den Partnern an den Runden Tischen (vgl. Ziff. 1.1) als Vorschlag unterbreitet. Die Vertragsfreiheit wurde aber nur von wenigen für die Steuerung des ambulanten Bereichs in Betracht gezogen. Aus der Beschreibung der Vor- und Nachteile (vgl. Ziff. 1.3) geht klar hervor, dass die Vertragsfreiheit die Versorgungsqualität bei den bestehenden Marktverhältnissen nicht verbessern könnte.

Postulat Cassis 12.3783 «Ärztestopp. Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen (2)» Nach diesem von Nationalrat Ignazio Cassis eingereichten Postulat soll der Bundesrat prüfen, ob ein Auktionsmodell bei der Vergabe von Praxiskonzessionen für neue Arztpraxen eine bessere Alternative als die bisher praktizierte Zulassungsbeschränkung wäre. Der Nationalrat folgte dem Antrag des Bundesrates und nahm das Postulat am 14. Dezember 2012 an. Bei diesem Modell würde in einer umgekehrten Auktion (der Preis verringert sich dabei so lange, bis ein Käufer gefunden wird) ein Regulator der Ärzteschaft einen tieferen TARMED-Tarif vorschlagen und diesen stufenweise erhöhen,
bis sich genügend Ärzte und Ärztinnen bereit erklären, in einem bestimmten Versorgungsgebiet zu dem auf diese Weise bestimmten Tarif tätig zu sein. Im Postulatstext selbst wird eingeräumt, dass das Problem der angebotsinduzierten Nachfrage bei Überkapazitäten in einem solchen System nicht gelöst würde, und es liesse sich damit auch nicht die optimale Ärztezahl für ein Gebiet bestimmen. Gleichzeitig wird aber festgehalten, dass ein Auktionsmodell gewisse Vorteile hätte: An Orten mit hoher Ärztedichte liessen sich die Kosten senken, während Randgebiete mit drohender Unterversorgung durch einen höheren TARMED-Tarif attraktiver würden. Beim konferenziellen Vernehmlassungsverfahren zur Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung haben jedoch mehrere Kantone (namentlich ZH, TI und SG) Bedenken wegen des Anreizes für niedergelassene Ärzte und Ärztinnen geäussert, bei einem erheblichen Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage ihre Praxis teuer zu verkaufen. Das Modell wurde am ersten Runden Tisch vorgestellt und von den Partnern rasch verworfen. Der Bundesrat beantragt aufgrund der geführten Diskussionen und der Analyse allfälliger Auswir2331

kungen (wie wirtschaftliche Unsicherheit für die Ärzte und Ärztinnen oder Fehlanreize) dieser Lösung die Abschreibung des Postulats.

Postulat Rossini 12.3218 «Auslaufen des Zulassungsstopps für Ärztinnen und Ärzte.

Evaluation der Folgen» Dieses von Nationalrat Stéphane Rossini eingereichte Postulat, das am 15. Juni 2012 vom Nationalrat angenommen wurde, beauftragt den Bundesrat zu untersuchen, wie sich das Auslaufen der Zulassungsbeschränkung für Ärzte und Ärztinnen auf die Ärztedemografie in den Schweizer Kantonen auswirkt. Der Bundesrat hatte am 23. Mai 2012 die Annahme des Postulats beantragt. Inzwischen hat er jedoch seine Botschaft vom 21. November 201221 zur vorübergehenden Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung vorgelegt. Da das Parlament dem Bundesrat gefolgt ist und die entsprechende Regelung bereits in Kraft getreten ist, ist eine Evaluation des Auslaufens der Zulassungssteuerung hinfällig geworden. Der Bundesrat beantragt daher die Abschreibung dieses Postulats im Bericht Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte 2014.

Postulat Cassis 12.3681 «Ärztestopp. Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen (1)» Das Postulat wurde von Nationalrat Ignazio Cassis eingereicht und vom Nationalrat am 14. Dezember 2012 angenommen. Es fordert den Bundesrat auf zu prüfen, ob die Voraussetzung einer dreijährigen Berufspraxis an einer anerkannten Weiterbildungsstätte in der Schweiz für die Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung mit der Personenfreizügigkeit vereinbar ist. Eine solche Regelung hatte das Parlament in die Vorlage des Bundesrats zur dringlichen vorübergehenden Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkung aufgenommen (Art. 55a Abs. 2 KVG). Die Bundesverwaltung hat die Frage anlässlich der Debatten im Parlament geprüft und kam zum Schluss, dass es nicht mit Artikel 55 der Richtlinie 2005/36/EG22 vereinbar ist, die Zulassung eines Arztes oder einer Ärztin mit einem anerkannten Titel zur Abrechnung zulasten der Krankenversicherung von einer vorgängigen Berufspraxis oder einer zusätzlichen Ausbildung abhängig zu machen.

Zwei Rechtsgutachten23 haben bestätigt, dass dieser Vorschlag ungeachtet der Dauer der verlangten Berufspraxis nicht mit der Personenfreizügigkeit vereinbar ist. Astrid Epiney bestätigte die Ansicht der Verwaltung, dass auch eine
unkontrollierte Zunahme erteilter ZSR-Nummern eine Abweichung vom Nichtdiskriminierungsgrundsatz nicht rechtfertige, da in einem solchen Fall die Kriterien für eine zulässige Ausnahme nicht erfüllt seien. Aus diesem Grund verzichtet der Bundesrat im vorliegenden Entwurf auf die Aufnahme dieses Kriteriums. Aufgrund der Abklärungen und der Gutachten beantragt der Bundesrat die Abschreibung des Postulats.

21 22 23

BBl 2012 9439 Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 25.

Astrid Epiney, «Vorübergehende Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung frei praktizierender Ärzte», in: Jusletter 22. April 2013; Thomas Cottier et Rachel Liechti, «KVG-Teilrevision: zur Vereinbarkeit mit dem bilaterale Freizügigkeitsabkommen Schweiz­EU».

2332

Motion Fehr Jacqueline 13.3874 «Investitionsbeihilfen für medizinische Grundversorgungsangebote in peripheren und unterversorgten Regionen» Die von Nationalrätin Jacqueline Fehr eingereichte Motion beauftragt den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um zur Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung in peripheren Regionen Investitionsbeihilfen gewähren und die Modernisierung der Infrastruktur unterstützen zu können. Die Motion wurde im Nationalrat noch nicht behandelt. Gemäss Bundesverfassung (BV) muss der Bund grundsätzlich sicherstellen, dass sich die Schweizer Bevölkerung unter zumutbaren Bedingungen gegen Krankheits- und Unfallrisiken versichern kann. Die Gewährleistung der öffentlichen Gesundheitsversorgung und sanitätspolizeilicher Aufgaben obliegt hingegen den Kantonen. Sie müssen sicherstellen, dass der Bedarf sowohl im Bereich Grundversorgung als auch in der Spitzenmedizin gedeckt wird. Diese Kompetenz der Kantone will der Bundesrat in Artikel 40b der Vorlage stärken; dieser sieht vor, dass die Kantone im Falle einer Unterversorgung die Leistungserbringer durch geeignete Massnahmen unterstützen können. Somit ist das Anliegen dieser Motion erfüllt.

2

Erläuterung der einzelnen Bestimmungen

Art. 39 Abs. 1 Bst. e Die vorbereitende Diskussion und die Vernehmlassung haben gezeigt, dass es bei einer Zulassungssteuerung im ambulanten Bereich der Spitäler Schwierigkeiten gibt, denn die meisten Spitäler scheinen bezüglich Arbeitsaufwand der Ärzte und Ärztinnen noch zu wenig genau zwischen ambulantem und stationärem Bereich zu unterscheiden.

Die neue Bestimmung gibt den Kantonen die Möglichkeit, die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich im Rahmen der Spitalplanung zu regulieren. Wie in Absatz 2 vorgesehen, werden die Kantone gegebenenfalls ihre Planungen koordinieren. Die Regulierung des ambulanten Sektors ermöglicht es, die Tätigkeit der Spitäler genauer zu definieren. Sie verbessert die Koordination sowohl unter den Spitälern als auch mit dem ambulanten Bereich ausserhalb der Spitäler.

Art. 40a

Massnahmen bei Überversorgung

Abs. 1 Die Bestimmung gibt den Kantonen die Möglichkeit, die Zulassung neuer Leistungserbringer zu beschränken, wenn sie eine Überversorgung in einem oder mehreren medizinischen Fachgebieten oder in anderen Berufen, die im ambulanten Bereich zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen sind, feststellen. Betroffen sind Ärzte und Ärztinnen, Zahnärzte und Zahnärztinnen für Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, Einrichtungen der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen, Apotheker und Apothekerinnen, Chiropraktoren und Chiropraktorinnen, Hebammen, Laboratorien und die anderen Leistungserbringer, die auf ärztliche Anordnung hin Leistungen erbringen (Fachpersonen im Bereich Physiotherapie, Ergotherapie, Pflege, Logopädie oder Ernährung).

2333

Gilt in einem Kanton eine Zulassungsbeschränkung, müssen die betroffenen Leistungserbringer, die zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein wollen, beim Kanton ein entsprechendes Gesuch einreichen. Ist die Zulassung nicht beschränkt, bleiben die Leistungserbringer automatisch berechtigt, Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringen, sofern sie die Voraussetzungen nach den Artikeln 36­40 KVG erfüllen.

Abs. 2 Die Kantone können den Leistungserbringern Rechnung tragen, die in Teilzeit arbeiten oder arbeiten möchten, was eine genauere Steuerung des Leistungsangebots ermöglicht. Sie können auch in der Zulassung einen Leistungsumfang bestimmen, der durch einen oder mehrere Leistungserbringer, die sich eine Zulassung teilen, nicht überschritten werden darf. Des Weiteren sollen sich die Kantone bei der Zulassung neuer Leistungserbringer an Qualitätskriterien orientieren wie der Teilnahme an einem Qualitätsprogramm, einem Versorgungsnetz oder einem Notfalldienst oder der Absolvierung einer Weiterbildung im Bereich der Qualitätssicherung.

Abs. 3 Die Bestimmung sieht eine Frist vor, innert deren von der Zulassung Gebrauch zu machen ist. Dadurch wird das Horten von Zulassungen verhindert, denn dies würde eine Versorgungssteuerung verunmöglichen. Die Frist, die die Kantone im Übrigen verlängern können, entspricht derjenigen in der Verordnung vom 3. Juli 201324 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, die am 30. Juni 2016 ausläuft. Der Bundesrat möchte verhindern, dass erteilte Zulassungen bei Leistungserbringern blockiert sind und diese schliesslich entscheiden, keinen Gebrauch davon zu machen. Das Ziel ist, dass das tatsächliche Angebot dem angestrebten Angebot entspricht.

Abs. 4 Die Möglichkeit des Kantons, seinen Zulassungsentscheid zu ändern oder zu widerrufen, wenn die Tätigkeit eines zugelassenen Leistungserbringers deutlich von den kantonal festgelegten Bedingungen abweicht, stellt ein Kontrollinstrument dar, das bisher nicht existierte. So kann der Kanton mehr oder weniger strikte Massnahmen treffen, wenn sich herausstellt, dass ein Leistungserbringer sich nicht an den in der Zulassung vereinbarten Tätigkeitsumfang, das festgelegte Fachgebiet oder eine
andere in der Zulassung festgelegte Bedingung hält. Wird beispielsweise ein als Grundversorger zugelassener Leistungserbringer als Augenarzt tätig, riskiert er den Entzug oder die Änderung seiner Zulassung (z.B. indem in der Zulassung der Umfang seiner Tätigkeit als Augenarzt festgehalten wird, sofern für dieses Fachgebiet im Kanton ein Bedarf besteht).

Abs. 5 Die wohlerworbenen Rechte der Leistungserbringer werden in dem Kanton oder den Kantonen, wo die Leistungserbringer bereits zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind, nicht berührt. Ihre wirtschaftliche Sicherheit ist damit gewährleistet. Es ist wichtig, dass die nach den neusten Methoden ausgebildeten praktizierenden Ärzte und Ärztinnen Zugang zum Markt haben und die neuen beruf24

SR 832.103

2334

lichen Ansätze einbringen können. Aber die Rechtssicherheit muss auch für Leistungserbringer gewährleistet sein, die unter Umständen bereits bedeutende Investitionen im bestehenden Gesetzesrahmen auf sich genommen haben.

Art. 40b

Massnahmen bei Unterversorgung

Abs. 1 Bei einer Unterversorgung können die Kantone geeignete Massnahmen ergreifen, um die Niederlassung von Leistungserbringern zu fördern. Sie können diesen beispielsweise die benötigte Infrastruktur oder die Mittel zur Beschaffung dieser Infrastruktur oder eine Garantie für deren Finanzierung zur Verfügung stellen.

Abs. 2 Die Kantone können ihre Unterstützungsmassnahmen an Bedingungen knüpfen. Sie sollen sich dabei an Qualitätskriterien orientieren wie der Teilnahme an einem Qualitätsprogramm, einem Versorgungsnetz oder einem Notfalldienst oder der Absolvierung einer Weiterbildung im Bereich der Qualitätssicherung. Die Unterstützungsmassnahmen können auch an einen bestimmten Tätigkeitsumfang geknüpft werden.

Art. 40c

Umsetzung der Massnahmen

Abs. 1 Über- oder Unterversorgung kann nicht nur innerhalb eines gesamten Kantonsgebiets, sondern auch innerhalb einer Region festgestellt werden. Der Begriff der Region wird nicht definiert, damit die Kantone diesbezüglich über einen grösseren Spielraum verfügen. Die Kantone müssen neben den Leistungserbringern in Arztpraxen oder in Einrichtungen nach Artikel 36a KVG auch die Tätigkeit der Spitäler im ambulanten Bereich berücksichtigen. Diese Tätigkeit kann dann in den Leistungsaufträgen geregelt werden (Art. 39 Abs. 1 Bst. e). Anders als bei der bisherigen Zulassungsbeschränkung wird der Bundesrat selbst keine Höchstzahl der Leistungserbringer nach Region und Fachgebiet festlegen.

Abs. 2 Die angemessene Versorgung wird im Gesetz bewusst nicht einheitlich definiert. So können die Kantone das für ihr Gebiet angemessene Angebot insbesondere aufgrund regionaler Besonderheiten (Differenzierung Stadt­Land, Zugänglichkeit, Sprache usw.) festlegen. Um die Festlegung der angemessenen Versorgung transparent und einheitlich zu gestalten, werden vom Bundesrat auf dem Verordnungsweg Mindestkriterien und methodische Grundsätze festgelegt. Einige Bestimmungen werden analog zu denjenigen der Spitalplanung abzuleiten sein. Beispielsweise sollen die Kantone nach einer überprüfbaren Methode vorgehen und sich dabei auf statistische Daten und Vergleiche stützen. Ausserdem werden weitere Kriterien wie der Zugang der Patienten und Patientinnen zur Behandlung innert angemessener Wartezeiten und der Umfang der Leistungen zu verwenden sein. Die Kantone können zusätzliche Kriterien anwenden, die ihren Besonderheiten Rechnung tragen.

2335

Abs. 3 Wünschenswert ist, dass die Kantone die Angemessenheit des Angebots aus einer regionalen Perspektive beurteilen. Die Bestimmung sieht deshalb die Koordination der Kantone und die Berücksichtigung des Angebots in den Nachbarkantonen vor.

In diesem Zusammenhang ist eine Region nicht mit der Prämienregion gleichzusetzen.

Abs. 4 Um das Anhörungsrecht der wichtigsten Beteiligten sicherzustellen, muss ein Kanton, der von der neuen gesetzlichen Kompetenz Gebrauch machen will, eine Kommission einsetzen, die mindestens aus Vertretungen der Versicherten, der Leistungserbringer (insbesondere derer, die von den Massnahmen betroffenen sind) und der Versicherer besteht. Bei der formellen Organisation der Kommission verfügen die Kantone über einen gewissen Spielraum. Wie in der aktuellen Praxis der Preisüberwachung müssen die Kantone vor jedem Entscheid ­ sei es zur Festlegung der angemessenen Versorgung oder zu geplanten Massnahmen ­ offiziell die Kommission konsultieren. Sie müssen ihr auch Schätzungen über die Auswirkungen der geplanten Massnahmen auf die Kosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vorlegen. Der Kanton muss die Empfehlung der Kommission angemessen berücksichtigen und seinen Entscheid begründen, wenn er von der Empfehlung abweicht. Diese Bestimmung stellt sicher, dass die interessierten Kreise korrekt angehört werden und der Kanton ihre Empfehlung auf transparente Art und Weise berücksichtigt. Die Vertretung aller interessierten Kreise in der Kommission soll die einvernehmliche Festlegung von Massnahmen fördern und zu einer höheren Transparenz beitragen. Ebenso sollten Blockadesituationen vermieden werden können.

Abs. 5 Die Krankenversicherer und deren Verbände sowie die Leistungserbringer und deren Verbände müssen dem Kanton auf Anfrage diejenigen Daten kostenlos zur Verfügung stellen, die nötig sind, um eine angemessene Versorgung festlegen sowie Massnahmen ergreifen und deren Umsetzung kontrollieren zu können. Die Daten, die zu den vom Bund publizierten hinzukommen, sollen es ermöglichen, die Auswirkungen der geplanten Massnahmen auf die Kosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abzuschätzen.

Gemäss Artikel 96 KVG verfügt der Bundesrat ausserdem über die Kompetenz, die Bereitstellung der erforderlichen Daten zur Festlegung der angemessenen
Versorgung und zur Umsetzung der Massnahmen auf dem Verordnungsweg zu präzisieren, falls die involvierten Parteien zu keiner oder nur einer teilweisen Einigung gelangen.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die bei Überversorgung vorgesehenen Massnahmen sollen dazu beitragen, den Kostenanstieg zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu dämpfen und damit den Prämienanstieg zulasten der Versicherten zu verringern. Dies soll vor allem durch eine Beschränkung der auf Überkapazitäten zurückzuführenden Nachfrage geschehen. Die Massnahmen sollten somit auch dazu beitragen, den Anstieg der Zuschüsse zu stoppen, die der Bund den Kantonen gemäss Artikel 66 Absatz 2 2336

KVG zur Prämienverbilligung für Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen gewährt. Die bei Unterversorgung vorgesehenen Massnahmen haben dagegen keine Auswirkung auf die gewährten Zuschüsse, da sie zulasten der Kantone gehen.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Konsequenzen für die Kantone wurden bereits weiter oben angesprochen. Es steht ihnen frei, die vorgesehenen Massnahmen umzusetzen oder nicht. Ausserdem können sie schon heute den ambulanten Bereich steuern. Für diejenigen Kantone, die bereits Vorkehrungen getroffen haben und diese beibehalten wollen, wird die Umsetzung der vorliegenden Revision weniger einschneidend sein. Sie können ferner auch frei bestimmen, wie hoch ihr Beitrag zur Prämienverbilligung sein soll.

Es bleibt jedoch schwierig, die Auswirkungen des vorliegenden Entwurfs stellvertretend für die Kantone abzuschätzen. Was die Gemeinden und insbesondere die Berggebiete angeht, so trägt im Falle einer Unterversorgung die Umsetzung von effizienten Unterstützungsmassnahmen, mit denen die regionale Abdeckung der Gesundheitsversorgung verbessert wird, auch zur wirtschaftlichen Entwicklung bei.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandprodukt betrug 2012 etwa 11,5 Prozent. Mehr als ein Drittel davon entfiel auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung (die öffentliche Hand trug etwa 20 % der Kosten)25. Die angestrebten Massnahmen bei Überversorgung dürften eine geringe kostendämpfende Wirkung haben. Die Niederlassung von Leistungserbringern dürfte sich, wie weiter oben dargelegt, positiv auf die lokale Wirtschaft in den von Unterversorgung betroffenen Randregionen auswirken. Diese profitieren indirekt von den Auswirkungen der Zulassungsbeschränkung in Gebieten mit Überversorgung und direkt von den Fördermassnahmen.

3.4

Gesundheitliche und gesellschaftliche Auswirkungen

Das Hauptziel der Revision ist eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität. Der Weg dorthin führt über eine bessere territoriale Verteilung des Angebots an ambulanter Gesundheitsversorgung. Die Möglichkeit, die Zulassung neuer Leistungserbringer auf dem gesamten Gebiet eines Kantons oder einem Teil davon zu beschränken, wirkt sich nicht negativ auf die gesundheitliche oder soziale Versorgung in der betroffenen Region aus, da diese Massnahme nur bei Überversorgung getroffen werden darf und die bereits praktizierenden Leistungserbringer nicht davon betroffen sind. Neue Leistungserbringer erhalten jedoch indirekt den Anreiz, sich dort niederzulassen, wo es keine Zulassungsbeschränkung gibt. Andererseits stellen die 25

Bundesamt für Statistik, Gesundheitsstatistik 2014, Neuenburg 2014

2337

bei Unterversorgung vorgesehenen Massnahmen einen direkten Anreiz dar, sich dort niederzulassen, wo der Kanton eine bessere Abdeckung erreichen möchte. Das Versorgungsangebot in weniger gut versorgten Gebieten wird somit gleichzeitig durch die Zulassungsbeschränkung und die Anreizmassnahmen verbessert, ohne dass sich die Situation in den anderen Regionen verschlechtert.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage wurde weder in der Botschaft über die Legislaturplanung 2011­2015 vom 25. Januar 201226 noch im Bundesbeschluss über die Legislaturplanung 2011­2015 vom 15. Juni 201227 angekündigt. Sie ist Bestandteil der bereits im Ziffer 1.1 angesprochenen Gesamtschau «Gesundheit2020», denn sie ermöglicht die Erfüllung des darin enthaltenen Ziels 4.2, mit dem die gesundheitspolitische Steuerung verbessert werden soll, namentlich für die Versorgung im ambulanten Bereich (auch im Spitalbereich, mit denen die Kantone beispielsweise auf eine Über- oder Unterversorgung reagieren können. Der heutige Artikel 55a KVG ermöglichte vorübergehend eine Erfüllung des Ziels, während der vorliegende Entwurf eine dauerhafte Lösung darstellt. Es ist darauf hinzuweisen, dass dieses Ziel eines der zehn vorrangigen Ziele von «Gesundheit2020» ist und dass es auf die Liste der Ziele 2014 des Bundesrats gesetzt wurde.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Dieser Entwurf beruht auf Artikel 117 BV, der dem Bund eine umfassende Kompetenz bezüglich der Organisation der Krankenversicherung erteilt.

Die Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung situiert sich in einem Kontext, der der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) weitgehend entzogen ist. Diese soll in Bezug auf den hier betroffenen Bereich lediglich gewährleisten, dass die Beschränkungen der Zulassungen zur Tätigkeit zulasten der sozialen Krankenpflegeversicherung auf Kriterien beruhen, die den Grundsatz der Gleichbehandlung von Konkurrenten angemessen berücksichtigen28. Die Möglichkeit zur Zulassungsbeschränkung bei Überversorgung, die Festsetzung von Zulassungsbedingungen und die Möglichkeit des Zulassungsentzugs müssen sich an den Grundsatz der Gleichbehandlung von Konkurrenten halten. Der Revisionsentwurf bildet jedoch eine klare formelle Grundlage, auf der diese Einschränkung konform abgestützt werden kann, und das Bundesgericht vertrat in der Vergangenheit die Ansicht, dass Artikel 117 BV als implizite Verfassungsgrundlage für eine Bedürfnisklausel betrachtet werden kann29.

Die vorgeschlagenen Massnahmen sind verhältnismässig, denn sie müssen auf einer genauen Bedarfsabklärung beruhen, sie können je nach Bedarf differenziert werden 26 27 28 29

BBl 2012 481 BBl 2012 7155 BGE 130 I 26 Erw. 4.5; 132 V 6 Erw. 2.5.3 ff.

BGE 130 I 26 Erw. 6.2

2338

und sie hindern die betroffenen Leistungserbringer angesichts der ganz unterschiedlichen Versorgungssituationen auf dem Schweizer Staatsgebiet nicht daran, ihren Beruf auszuüben. Das Vertrauensprinzip ist gewährleistet, da die vor Einführung einer Beschränkung zugelassenen Leistungserbringer das Recht, zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig zu sein, behalten. Schliesslich verzerrt der Entwurf den Wettbewerb nicht, denn neue Mitstreiter werden nicht dauerhaft oder vollständig vom Markt ausgeschlossen, sondern haben aufgrund von im Voraus festgelegten, transparenten Kriterien einen beschränkten oder erleichterten Zugang.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

5.2.1

Das Recht der Europäischen Union

Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union30 überträgt der Europäischen Union die Aufgabe, die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Schutz zu fördern.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen innerhalb der Union ist in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union31 geregelt.

Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 199932 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) in Kraft getreten. Ziel des Abkommens ist es insbesondere, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Schweiz ein Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbstständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einzuräumen (Art. 1 Bst. a FZA). Artikel 1 Buchstabe d FZA sieht ebenfalls vor, dass den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Schweiz gleiche Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer und Inländerinnen eingeräumt werden. In Übereinstimmung mit Anhang I des Abkommens ist daher vorgesehen, dass die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden (Art. 2 FZA) und dass das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit eingeräumt wird (Art. 4 FZA).

Dementsprechend sieht das FZA in Artikel 7 Buchstabe a vor, dass die Vertragsparteien insbesondere das Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländern und Inländerinnen in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie auf die Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen regeln.

Die Personenfreizügigkeit verlangt eine Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, wie dies Artikel 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorsieht. Das Recht der Europäischen Union sieht jedoch keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten sowie die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin bestimmen. Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen

30 31 32

ABl. C 191 vom 29.7.1992 ABl. C 306 vom 17.12.2007 SR 0.142.112.681

2339

Sicherheit wird durch die Verordnung (EG) Nr. 883/200433 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/200934 umgesetzt, zu deren Vollzug die Schweiz nach den Artikeln 8 und 16 Absatz 1 und nach Anhang II FZA verpflichtet ist.

5.2.2

Die Instrumente des Europarates

Die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 196135 stellt in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte die Entsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention36 dar. In Artikel 12 ist das Recht auf soziale Sicherheit verankert.

Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; eine Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, sodass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 1996 wurde die Charta von 1961 aktualisiert und angepasst.37 Es handelt sich dabei um ein von der Charta von 1961 gesondertes Übereinkommen, das diese nicht aufhebt. Das Recht auf soziale Sicherheit ist ebenfalls in Artikel 12 aufgeführt. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht ratifiziert.

Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 am 16. September 1977 ratifiziert.38 Unser Land hat jedoch Teil II über die ärztliche Betreuung, der insbesondere vorsieht, dass den geschützten Personen ärztliche Betreuung bei Krankheit ohne Rücksicht auf deren Ursache sowie bei Mutterschaft zu gewährleisten ist, nicht angenommen. Die Leistungsempfängerin oder der Leistungsempfänger kann zur Beteiligung an den Kosten der bei Krankheit gewährten ärztlichen Betreuung verpflichtet werden. Zudem kann die Dauer der erbrachten Leistungen pro Fall auf 26 Wochen beschränkt werden.

Die revidierte Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 6. November 1990 ist ebenfalls ein Übereinkommen, das von der Ordnung von 1964 zu unterscheiden ist; sie ersetzt diese nicht. Die revidierte Ordnung ist noch nicht in Kraft getreten.

5.2.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Der ambulante Bereich wird in sehr vielen Ländern auf die eine oder andere Weise gesteuert (vgl. Ziff. 1.6), wobei die entsprechenden Bestimmungen die international vereinbarten Regeln einhalten müssen. Das europäische Recht setzt zwar auf dem Gebiet der Personenfreizügigkeit Normen fest, jedoch ohne die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zu harmonisieren. Die Staaten sind daher frei, diese Fragen 33 34 35

36 37

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SR 0.831.109.268.1 SR 0.831.109.268.11 Der Wortlaut der Charta ist auf Französisch und Englisch auf der Website des Europarats unter folgender Adresse publiziert: http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/035.htm SR 0.101 Der Wortlaut der Charta ist auf Französisch und Englisch auf der Website des Europarats unter folgender Adresse publiziert: http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/163.htm AS 1978 1491

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nach ihren eigenen Vorstellungen zu regeln. Die Vereinbarkeit der früheren Version von Artikel 55a KVG mit dem Freizügigkeitsabkommen war ausserdem Gegenstand eines Entscheids des Bundesgerichts (BGE 130 I 26). Demnach verletzt die vom Bundesrat gestützt auf Artikel 55a KVG und vom Regierungsrat des Kantons Zürich erlassene Reglementierung zur Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ­ soweit dies gestützt auf Artikel 191 BV geprüft werden könne (E. 2) ­ weder das Freizügigkeitsabkommen (E. 3) noch die Wirtschaftsfreiheit (E. 4­6) noch widerspricht sie der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen (E. 7), dem Prinzip von Treu und Glauben (E. 8) oder dem Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens (E. 9). Die Vereinbarkeit der aktuellen, 2013 eingeführten Zulassungsbeschränkung im ambulanten Bereich mit dem FZA und dem Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation39 ist jedoch umstritten. Die Schweiz hat sich gegenüber den 28 EU-Staaten sowie den EFTA-Staaten (Norwegen, Island und Fürstentum Liechtenstein) in zwei Freizügigkeitsabkommen unter anderem verpflichtet, Medizinalpersonen nicht diskriminierend zur Berufsausübung zuzulassen. Damit geht einher, dass die Schweiz die von diesen erworbenen Diplome und Berufsbefähigungsausweise durch anerkennen und ihnen den Weg zum Binnenmarkt öffnen muss. Die Ausnahme von der Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a Absatz 2 KVG (kein Bedürfnisnachweis für Personen, die mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben) wirkt sich einseitig zulasten der Freizügigkeit von ausländischen Ärzten und Ärztinnen aus dem EU- und EFTA-Raum aus. So müssen Personen aus dem EU- und EFTA-Raum, welche die nach den Freizügigkeitsabkommen erforderliche ärztliche Weiterbildung an einer anerkannten ausländischen Weiterbildungsstätte absolviert haben, im gleichen Fachbereich weitere drei Jahre an einer Weiterbildungsstätte in der Schweiz anhängen, um zur Abrechnung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen zu werden. Diese erhöhte Anforderung kommt einer indirekten Diskriminierung gleich und ist somit völkerrechtlich problematisch. Zudem kollidiert sie nicht nur mit den
Freizügigkeitsabkommen, sondern steht auch im Widerspruch zu schweizerischem Verfassungsrecht. Die Wirtschaftsfreiheit verlangt vom Staat, direkte Konkurrenten ­ beispielsweise inländische Ärzte und Ärztinnen und solche aus dem EU- und EFTA-Raum ­ gleich zu behandeln. So hat er gemäss Bundesgericht die Pflicht, «sicherzustellen, dass eine allfällige Zugangsregelung nur nach sachlichen, den Grundsätzen des Wettbewerbs unter Konkurrenten sachgerecht Rechnung tragenden Kriterien erfolgt» (BGE 130 I 26 E. 4.5 S. 43). Die Ausnahme von der Zulassungsbeschränkung gemäss Artikel 55a Absatz 2 KVG wurde deshalb nicht in den vorliegenden Entwurf aufgenommen.

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SR 0.632.31

2341

5.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Artikel 96 KVG erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung zu erlassen. Der vorliegende Entwurf ermächtigt ihn zum Erlass von Bestimmungen im folgenden Bereich: ­

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Festlegung der Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit des Angebots im ambulanten Bereich (Art. 40c Abs. 1).