15.057 Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» vom 26. August 2015

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. August 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2015-1730

7043

Übersicht Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Ja zur Privatsphäre» ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag ab, da das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre, das die Initiative zu stärken beabsichtigt, in der Bundesverfassung bereits gewährleistet ist. Der Bundesrat misst dem Anspruch auf Schutz der Privatsphäre grosse Bedeutung bei und ist der Ansicht, dass dieser Anspruch im Bundesrecht bereits hinreichend konkretisiert ist, namentlich durch das Steuergeheimnis, das Datenschutzgesetz und das Berufsgeheimnis. Die Initiative würde für die grosse Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nichts ändern, jedoch einen sehr starren Rahmen im Steuerrechtsbereich vorgeben. Die Einschränkungen, zu denen die Initiative führen würde, hätten insbesondere auf die korrekte Veranlagung der Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden negative Auswirkungen. Aus Sicht des Bundesrates liegen deshalb keine Gründe vor, die eine Unterstützung der Initiative oder die Unterbreitung eines Gegenentwurfs rechtfertigen würden.

Ausgangslage Der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre ist in Artikel 13 der Schweizerischen Bundesverfassung verankert und in den eidgenössischen und kantonalen Gesetzen umgesetzt. Zudem ist er in mehreren grundlegenden und für die Schweiz bindenden völkerrechtlichen Abkommen wie beispielsweise der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankert. Der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre umfasst auch die finanzielle Privatsphäre. Der Staat verfügt nur in den gesetzlich festgelegten Fällen und nur im gesetzlich vorgesehenen Umfang über die Instrumente zur Beschaffung von Auskünften bei Dritten über die finanziellen Verhältnisse der Steuerpflichtigen, insbesondere wenn diese die Mitwirkungspflichten nicht erfüllen. Selbst wenn der Staat diese Informationen zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Steuergerechtigkeit oder im Rahmen eines Strafverfahrens einholen kann, so sind die damit betrauten Personen an das Amtsgeheimnis und das Steuergeheimnis gebunden, womit die Vertraulichkeit der bearbeiteten Daten gewährleistet ist.

Inhalt und Auswirkungen der Initiative Die Initiative zielt darauf ab, in der Bundesverfassung zusätzlich zum Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre ein Grundrecht auf Schutz der finanziellen Privatsphäre
zu verankern. Ausserdem legt die Initiative abschliessend fest, unter welchen Voraussetzungen im Steuerbereich von diesem Anspruch auf Schutz der Privatsphäre abgewichen werden kann, und sieht vor, dass die Fälle für eine Abweichung in anderen als steuerlichen Belangen im Gesetz geregelt werden.

Der Initiativtext hätte in anderen als steuerlichen Belangen nur deklaratorische Bedeutung, gelten für den Schutz der Privatsphäre in der Schweiz doch bereits umfassende Rechtsvorschriften. Zudem würde die Initiative insofern nichts am Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu den Steuerbehörden ändern, als die

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Steuerpflichtigen weiterhin gesetzlich verpflichtet wären, der Steuerbehörde alle nötigen Informationen einschliesslich über bei Banken hinterlegte Vermögenswerte zu erteilen. Die Initiative hätte nur für eine Minderheit der Bürgerinnen und Bürger Folgen, da Fälle, in denen die Steuerbehörde bei Dritten Informationen gegen den Willen oder ohne Zustimmung der Steuerpflichtigen Informationen einholen muss, Ausnahmen darstellen. Diese Möglichkeit würde durch die Initiative aber gefährdet.

Die Steuerbehörde würde wichtiger Instrumente beraubt, die sie zur Feststellung der Vermögenslage von Steuerpflichtigen benötigt, insbesondere wenn diese die Mitwirkung verweigern. Die Initiative hätte somit hauptsächlich zu Folge, dass die korrekte Veranlagung der Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden gefährdet wäre. Aufgrund ihrer Formulierung könnte die Initiative auch zur Folge haben, dass die Verfolgung gewisser Formen von Steuerhinterziehung bei den direkten und den indirekten Steuern für die zuständigen Behörden erschwert oder verunmöglicht würde. Hinzu kommt, dass die Initiative je nach Auslegung auch erhebliche negative Auswirkungen hinsichtlich der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung haben könnte. Zum einen könnte sie die Konformität des Schweizer Geldwäschereidispositivs mit dem Standard der Groupe d'action financière (GAFI) beeinträchtigen und zum andern ­ im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen in diesem Bereich ­ die Schweiz gegenüber ihren Vertragspartnern in eine schwierige Lage bringen. Angesichts all dieser Auswirkungen würde die Annahme der Initiative die Veranlagung der Steuern gefährden und der Reputation unseres Finanzplatzes schaden, ohne dass die Privatsphäre dadurch besser geschützt würde, als sie dies heute schon ist.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

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2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 Schutz der Privatsphäre 2.2 Zugang zu Informationen im Steuerbereich 2.2.1 Direkte Steuern 2.2.2 Indirekte Steuern 2.3 Internationales Amtshilfeverfahren auf Ersuchen 2.4 Geplante Gesetzesänderungen 2.4.1 Revision des Steuerstrafrechts 2.4.2 Revision des Verrechnungssteuerrechts 2.4.3 Spontaner und automatischer Informationsaustausch im Steuerbereich (AIA) 2.5 Rechtsvergleich

7049 7049 7051 7051 7054 7059 7059 7059 7060

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.3 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

7063 7063 7064 7064

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.2.1 Rechtsfolgen 4.2.2 Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung 4.2.3 Internationale Amtshilfe auf Ersuchen 4.2.4 Spontaner und automatischer Informationsaustausch im Steuerbereich (AIA) 4.2.5 Revision Steuerstrafrecht 4.2.6 Revision Verrechnungssteuerrecht 4.2.7 Finanzielle Auswirkungen 4.2.8 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative 4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

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7074 7074 7075 7075 7076 7077 7078

Schlussfolgerungen

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5

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» (Entwurf)

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7060 7061

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7081

Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» hat den folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 13 1

Schutz der Privatsphäre

Jede Person hat Anspruch auf Schutz der Privatsphäre.

Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs und auf Schutz ihrer finanziellen Privatsphäre.

2

3

Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.

Dritte sind im Zusammenhang mit direkten Steuern, die von den Kantonen veranlagt und eingezogen werden, zur Auskunft gegenüber Behörden über eine Person mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz, die der Auskunftserteilung nicht zustimmt, nur im Rahmen eines Strafverfahrens und ausschliesslich dann berechtigt, wenn der begründete Verdacht besteht, dass:

4

a.

zum Zweck einer Steuerhinterziehung gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise und andere Bescheinigungen Dritter zur Täuschung gebraucht wurden; oder

b.

vorsätzlich und fortgesetzt ein grosser Steuerbetrag hinterzogen oder dazu Beihilfe geleistet oder angestiftet wurde.

Über das Vorliegen eines begründeten Verdachts nach Absatz 4 entscheidet ein Gericht.

5

6 Im Zusammenhang mit indirekten Steuern gelten für die Auskunft gegenüber Behörden die Voraussetzungen nach den Absätzen 4 und 5 sinngemäss.

In anderen als steuerlichen Belangen regelt das Gesetz die Voraussetzungen, unter denen Auskunft erteilt werden darf.

7

1

SR 101

7047

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 197 Ziff. 112 (neu) 11. Übergangsbestimmungen zu Art. 13 (Schutz der Privatsphäre) Artikel 13 tritt in seiner geänderten Fassung mit Annahme durch Volk und Stände in Kraft.

1

Artikel 13 Absatz 2, soweit er den Schutz der finanziellen Privatsphäre regelt, und Absatz 4 ist für alle rechtsanwendenden Behörden massgebend.

2

Der Gesetzgeber passt innerhalb von drei Jahren die Gesetze an Artikel 13 Absatz 2, soweit er den Schutz der finanziellen Privatsphäre regelt, und Absätze 4­7 an. Der Bundesrat erlässt innerhalb eines Jahres die bis zum Inkrafttreten dieser Gesetzesänderungen erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu Artikel 13 Absätze 4 und 5.

3

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» wurde am 21. Mai 2013 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 25. September 2014 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 23. Oktober 2014 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 117 531 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist4.

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes5 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 25. September 2015 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 25. März 2017 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 BV:

2 3 4 5

a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2013 3443 BBl 2014 8641 SR 171.10

7048

c.

2

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Am 4. Juni 2013 lancierte ein gemischtes Komitee, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) der Lega der Tessiner (Lega), des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) und des Hauseigentümerverbands (HEV), die offizielle Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre». Die Lancierung erfolgte wenige Wochen, nachdem der Bundesrat den Vorentwurf einer Steuerstrafrechtsrevision (vgl. Ziff. 2.4) in die Vernehmlassung geschickt hatte, mit dem die kantonalen Steuerverwaltungen zusätzliche Möglichkeiten zur Verfolgung der Steuerhinterziehung erhalten sollten.

In der gleichen Zeit entschied der Bundesrat an Gesprächen zur Einführung eines internationalen Standards bezüglich automatischen Informationsaustauschs in Steuersachen teilzunehmen.

2.1

Schutz der Privatsphäre

Der Schutz der Privatsphäre ist in Artikel 13 BV als Grundrecht geregelt. Diese Bestimmung räumt jeder Person den Anspruch ein, «vom Staat nicht an der freien Gestaltung ihres Lebens und ihres Verkehrs mit anderen Personen gehindert zu werden»6. Das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und Korrespondenz wird auch in Artikel 8 der Konvention vom 4. November 19507 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschützt. Artikel 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt-II)8 hält fest, dass niemand «willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden darf» (Abs. 1). Absatz 2 besagt, dass jede Person Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen hat. Diese Garantie wird im Bundesgesetz vom 19. Juni 19929 über den Datenschutz (DSG) konkretisiert. Jüngere kantonale Verfassungen enthalten ebenfalls spezifische Bestimmungen zum Schutz der Privatsphäre10.

Der Schutz der Privatsphäre allgemein ­ der auch die finanzielle Privatsphäre umfasst ­ ist im Zivilgesetzbuch11 (ZGB) festgehalten. Die Artikel 27­29 ZGB legen den Schutz der Persönlichkeit gegen übermässige Bindung (Art. 27 ZGB) und gegen Verletzungen (Art. 28 ff. ZGB) sowie das Recht auf den Namen (Art. 29 ZGB) fest.

Durch diese Artikel wird das in der Verfassung enthaltene Grundrecht konkretisiert.

6 7 8 9 10 11

BBl 1997 I 152 SR 0.101 SR 0.103.2 SR 235.1 Vgl. Art. 12 Verfassung FR Art. 21 Verfassung GE SR 210

7049

Das Strafgesetzbuch12 (StGB) enthält ebenfalls mehrere Bestimmungen, mit denen dem Anspruch auf Schutz der Privatsphäre Nachachtung verschafft werden sollen.

Der dritte Titel des zweiten Buches «Strafbare Handlungen gegen die Ehre und gegen den Geheim- oder Privatbereich» umfasst die Artikel 173­179novies, welche die Strafen bei diesen Handlungen vorsehen. Ebenfalls mit dem Ziel, die Privatsphäre zu schützen, regeln die Artikel 320 ff. StGB das Amtsgeheimnis (Art. 320 StGB) und das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB). Die Pflicht, das Geheimnis und damit den Schutz der Privatsphäre zu wahren, findet sich auch im Bereich der Finanzen in Artikel 47 des Bankengesetzes vom 8. November 193413 (BankG); dieser Artikel schützt das Berufsgeheimnis im Bankbereich. Das BankG schützt die Informationen, die Banken aufgrund ihres Vertragsverhältnisses mit ihrem Kunden besitzen. Diese Informationen machen die Bank zur Geheimnisträgerin; deshalb ist es ihr ex lege untersagt, die Informationen an Dritte weiter zu geben. Eine vorsätzliche Verletzung des Geheimnisses wird als Vergehen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die fahrlässige Verletzung wird mit Busse bis zu 250 000 Franken bestraft. Artikel 47 BankG wurde durch das am 1. Juli 2015 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 14. Dezember 201414 über die Ausweitung der Strafbarkeit der Verletzung des Berufsgeheimnisses mit Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 1bis ergänzt. Das Gesetz sieht neu vor, dass strenger bestraft werden kann, wer sich durch die Verletzung des Bankgeheimnisses oder der andern Berufsgeheimnisse im Finanzmarktbereich einen Vermögensvorteil verschafft. Neu machen sich zudem auch Personen strafbar, die ein ihnen unter Verletzung des Berufsgeheimnisses offenbartes Geheimnis weiteren Personen offenbaren oder für sich oder einen anderen ausnützen. Das Bundesgesetz vom 14. Dezember 199015 über die direkte Bundessteuer (DBG) und das Bundesgesetz vom 14. Dezember 199016 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) halten fest, dass die Steuerbehörden an das Steuergeheimnis gebunden sind (Art. 110 DBG; Art. 39 StHG). Das heisst, dass die mit dem Vollzug der Steuergesetze betrauten Personen zur Geheimhaltung verpflichtet sind; vorbehalten bleibt die Auskunftspflicht, für die im Bundesrecht oder im
kantonalen Recht eine Grundlage vorgesehen ist. Es gibt nur wenige Ausnahmen vom Steuergeheimnis. Als Beispiel kann Artikel 34 StGB genannt werden, wonach die Steuerbehörden den Strafbehörden die Auskünfte geben müssen, die für die Bestimmung der Höhe der Strafe erforderlich sind.

Alle diese Gesetzesgrundlagen garantieren den Steuerpflichtigen, dass die Daten, die die Verwaltung allenfalls einholen muss, vertraulich behandelt und nicht öffentlich gemacht werden. Das Steuergeheimnis geht zudem insofern über das Amtsgeheimnis hinaus, als es eine Weitergabe von Informationen an andere Behörden als die Steuerbehörden nur beschränkt erlaubt. Von den Steuerbehörden eingeholte Informationen können somit nur in seltenen Fällen zu anderen als zu Steuerzwecken verwendet werden. Somit kann festgehalten werden, dass den Steuerbehörden gelieferte Daten über einen sehr weitgehenden Schutz verfügen.

12 13 14 15 16

SR 311.0 SR 952.0 AS 2015 1535 SR 642.11 SR 642.14

7050

2.2

Zugang zu Informationen im Steuerbereich

2.2.1

Direkte Steuern

Die wichtigsten direkten Steuern des Bundes und der Kantone sind die Einkommens- und Gewinnsteuern des Bundes und der Kantone sowie die kantonalen Vermögens-, Kapital- und Grundstückgewinnsteuern. Letztere richten sich bezüglich Zugang zu Informationen nach den gleichen Grundsätzen wie die Einkommens- und Gewinnsteuern und werden hier nicht genauer untersucht. Nach neuerer Lehre zählen auch die kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern zu den direkten Steuern.

Einkommens- und Gewinnsteuern des Bundes und der Kantone Veranlagungsverfahren ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Im Veranlagungsverfahren der direkten Steuern halten alle schweizerischen Steuergesetze fest, dass die steuerpflichtige Person alles tun muss, um eine vollständige und richtige Veranlagung zu ermöglichen (Art. 126 Abs. 1 DBG; Art. 42 Abs. 1 StHG). Die Steuerpflichtigen müssen also sämtliche Einkommens- und Vermögenswerte deklarieren und die entsprechenden Belege vorlegen. Dies gilt für alle Vermögenselemente auch für solche, die bei Banken hinterlegt sind. Es handelt sich dabei um die sogenannt gemischte Veranlagung, bei der die steuerpflichtige Person und die Verwaltung mitwirken. Dies im Gegensatz zum Prinzip der Selbstveranlagung, das für die indirekten Steuern gilt (vgl. Ziff. 2.2.2).

Kann die Veranlagungsbehörde aufgrund der Steuererklärung und der Beilagen die steuerbaren Faktoren nicht bestimmen, so hat sie die notwendigen Erhebungen, die ihr von Gesetzes wegen zustehen, vorzunehmen, insbesondere mittels Einvernahme, Einforderung von zusätzlichen Bescheinigungen und von Auskünften bei der steuerpflichtigen Person oder bei Dritten. Führen auch solche Erhebungen zu keinem oder einem für die Veranlagung ungenügenden Ergebnis, so ist eine Ermessensveranlagung vorzunehmen.

Bezüglich der Mitwirkung Dritter im Veranlagungsverfahren der direkten Steuern verpflichten die Steuergesetze des Bundes und der Kantone bestimmte Kategorien von Dritten zu Bescheinigungs-, Auskunfts- und Meldepflichten gegenüber der Veranlagungsbehörde (vgl. Art. 127­129 DBG; Art. 43­45 StHG).

Diese Dritten müssen der steuerpflichtigen Person auf Verlangen eine Bescheinigung zuhanden der Steuerbehörden ausstellen. Subsidiär haben sie diese Bescheinigungspflicht grundsätzlich auch gegenüber der Steuerbehörde: Reicht die steuerpflichtige Person
trotz Mahnung die geforderte Bescheinigung nicht ein, so ist die Veranlagungsbehörde befugt, diese beim Dritten direkt einzuholen. Es handelt sich dabei namentlich um den Lohnausweis des Arbeitgebers. In einigen Kantonen (BE, LU, FR, BS, BL, VD, VS, NE, JU) sind zudem die Arbeitgeber von Gesetzes wegen verpflichtet, der Steuerverwaltung direkt ein Doppel des Lohnausweises zuzustellen.

Ausserdem müssen Personen, die mit der steuerpflichtigen Person in einem Vertragsverhältnis stehen oder standen, dieser auf Verlangen eine Bescheinigung über das gemeinsame Vertragsverhältnis und die beiderseitigen Leistungen und Ansprüche ausstellen. So haben insbesondere Gläubiger und Schuldner der steuerpflichtigen Person den Bestand, die Höhe und Verzinsung der Forderungen oder Schulden zu bescheinigen. Zu beachten ist, dass Banken diese Pflicht gegenüber den Steuer-

7051

pflichtigen nicht aufgrund des Berufsgeheimnisses verweigern können. Sie sind hingegen nicht gehalten, den Steuerbehörden direkt Auskunft zu geben.

Zum andern bestimmt die Gesetzgebung auch Kategorien von Dritten, die der Veranlagungsbehörde direkt Auskunft zu erteilen haben. Es handelt sich dabei beispielsweise um die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden, die Kapitalgesellschaften, die Ehegatten (Art. 9 DBG; Art. 3 Abs. 3 StHG) und die Erben (Art. 157 DBG).

Strafverfahren Bezüglich der Ahndung von Widerhandlungen im Bereich der direkten Steuern hängt der Zugang zu Informationen über die steuerpflichtige Person von der Art der Widerhandlung ab, das heisst ob es sich um eine Steuerübertretung, ein Steuervergehen oder eine Widerhandlung handelt, für die besondere Untersuchungsmassnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) gelten.

Steuerübertretungen ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Wer als steuerpflichtige Person vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass sie nicht oder nicht vollständig veranlagt wird, begeht Steuerhinterziehung (Art. 175 Abs. 1 DBG). Die Steuerhinterziehung ist wie die versuchte Steuerhinterziehung oder das Verheimlichen oder Beiseiteschaffen von Nachlasswerten im Inventarverfahren eine Steuerübertretung.

Die Verfahren wegen Hinterziehung direkter Steuern werden von Verwaltungsbehörden geführt. Es handelt sich allerdings um Strafverfahren. Damit sind gegenüber der beschuldigten Person sämtliche strafrechtlichen Garantien wie beispielsweise das Verbot des Selbstbelastungszwangs zu respektieren. Obwohl es sich um Strafverfahren handelt, kommt nicht die Strafprozessordnung zur Anwendung, sondern das Verfahren wird nach den Grundsätzen des Veranlagungsverfahrens geführt. In der Untersuchung können deshalb keine Beweismittel mit strafprozessualen Zwangsmassnahmen beschafft werden (Beschlagnahme). Die im Veranlagungsverfahren geltenden Aussage- und Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen finden im Strafverfahren keine Anwendung, da sie das Verbot des Selbstbelastungszwangs verletzen.

Steuervergehen ­ Zugang zu Informationen bei Banken Neben der Steuerhinterziehung erfassen die Steuergesetze den Steuerbetrug als Straftat. Wenn eine steuerpflichtige Person ­ um falsche Angaben ihrer Steuererklärung zu rechtfertigen ­ mit gefälschten,
verfälschten oder inhaltlich unwahren Urkunden ihre Veranlagung verhindert oder verringert, handelt es sich um Steuerbetrug. Steuerbetrug ist ein eigenständiges Vergehen unabhängig von der Steuerhinterziehung; die beiden Vergehen können demzufolge kumulativ verfolgt werden.

Steuerbetrug liegt vor, wenn die steuerpflichtige Person zum Zweck einer Steuerhinterziehung gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher oder Lohnausweise zur Täuschung der Steuerbehörden gebraucht (Art. 186 DBG; Art. 59 Abs. 1 StHG).

Eine weitere Form von Steuervergehen ist die Veruntreuung von Quellensteuern. Sie liegt vor, wenn jemand, der zum Steuerabzug an der Quelle verpflichtet ist, die Steuer von der steuerbaren Leistung zwar abzieht, jedoch nicht dem Fiskus abliefert, sondern zu seinen oder eines anderen Gunsten verwendet (Art. 187 DBG; Art. 59 Abs. 1 StHG).

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Steuervergehen werden von den kantonalen Strafbehörden verfolgt. Das Verfahren richtet sich nach der Strafprozessordnung (StPO)17, womit die Strafbehörde über alle darin vorgesehenen Mittel verfügt (Art. 188 Abs. 2 DBG; Art. 61 StHG). Bezüglich Zugang zu Bankdaten verpflichtet das Bankengesetz die ihm unterstehenden Personen zur Wahrung des Berufsgeheimnisses. Die Verletzung des Bankgeheimnisses ist mit Strafe bedroht. Vorbehalten bleiben nach Artikel 47 Absatz 5 BankG die gesetzlichen Bestimmungen des Bundes und der Kantone über die Zeugnispflicht und die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde. Aussagen aufgrund dieser Pflichten sind somit nicht strafbar. Artikel 171 StPO hält fest, in welchen Fällen das Zeugnis aufgrund eines Berufsgeheimnisses verweigert werden kann. Das im Bankengesetz verankerte Berufsgeheimnis gehört nicht dazu. Somit besteht für die Strafbehörde Zugang zu Informationen bei Banken. In der Praxis kann die für die Verfolgung der Steuervergehen (insbesondere des Steuerbetrugs im Sinne von Art. 186 DBG) zuständige kantonale Staatsanwaltschaft Zugang zu Bankdaten haben, indem sie Untersuchungsmassnahmen einschliesslich Zwangsmassnahmen anordnet. Sie ordnet die Herausgabe der Bankdaten durch das betreffende Bankinstitut gestützt auf die Herausgabepflicht nach Artikel 265 StPO an.

Die Staatsanwaltschaft hat somit durch eigene Anordnung von Untersuchungsmassnahmen ohne vorgängige Bewilligung durch ein Gericht (z.B. Zwangsmassnahmengericht) Zugang zu Bankdaten.

Besondere Untersuchungsmassnahmen der ESTV ­ Zugang zu Informationen bei Banken Besteht der begründete Verdacht, dass schwere Steuerwiderhandlungen begangen wurden oder dass zu solchen Beihilfe geleistet oder angestiftet wurde, so kann der Vorsteher oder die Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) die ESTV ermächtigen, in Zusammenarbeit mit den kantonalen Steuerverwaltungen eine Untersuchung durchzuführen (Art. 190 DBG). Das Verfahren richtet sich nach den Artikeln 19­50 des Bundesgesetzes vom 22. März 197418 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR), mit Ausnahme der Bestimmung zur vorläufigen Festnahme (Art. 19 Abs. 3 VStrR). Das VStrR sieht Auskunfts- und Zeugnispflichten vor, die Ähnlichkeiten mit der StPO aufweisen. So kann die ESTV beispielsweise Zeuginnen und Zeugen befragen, Bankauskünfte einholen und
Unterlagen beschlagnahmen.

Gegen solche Untersuchungshandlungen kann Beschwerde beim Bundesstrafgericht geführt werden (Art. 26 ff. VStrR).

Kantonale Erbschafts- und Schenkungssteuern Erbschafts- und Schenkungssteuern werden nur von den Kantonen gestützt auf ihre eigenen Rechtsgrundlagen erhoben.

Ausnahmen sind der Kanton Schwyz, der keine Erbschafts- und Schenkungssteuer kennt, und der Kanton Luzern, der auf die Schenkungsbesteuerung in den meisten Fällen verzichtet.

Die Grundlage für die Schenkungssteuer ist eine separate Steuererklärung. Sie wird meist von der beschenkten Person verlangt, die sie innerhalb einer bestimmten Frist dem zuständigen Amt einzureichen hat. Vereinzelt ist auch die schenkende Person

17 18

SR 312.0 SR 313.0

7053

meldepflichtig. Hingegen ist nicht vorgesehen, dass die Steuerbehörde eine Bescheinigung von Dritten erlangt.

Die Veranlagung der Erbschaftssteuer erfolgt mehrheitlich auf der Grundlage eines Nachlassinventars; dieses muss beim Todesfall aufgenommen werden. Es wird in der Regel von Amtsstellen des Kantons erstellt, teils in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, teils nur durch diese.

Einige Kantone sehen kein amtliches Inventar vor. Hier erfolgt die Veranlagung aufgrund eines Privatinventars der Erben oder aufgrund anderer Angaben (Steuererklärung oder Inventar für die direkte Bundessteuer). Um ein korrektes Nachlassinventar zu erstellen, kann sich die Mitarbeit Dritter als nötig erweisen.

Die Strafbestimmungen sind mit denjenigen der Bundessteuer vergleichbar und nach der Schwere der Widerhandlung abgestuft.

2.2.2

Indirekte Steuern

Die verschiedenen indirekten Steuern weisen sowohl bezüglich der Veranlagung als auch der Strafverfolgung zahlreiche Ähnlichkeiten auf. In dieser Botschaft wird nur auf die Mehrwertsteuer (MWST), die Verrechnungssteuer (VST) und die Stempelabgaben eingegangen. Weitere indirekte Steuern beim Bund sind die Zölle (Zollgesetz vom 18. März 200519), die Tabaksteuer (Tabaksteuergesetz vom 21. März 196920), die Biersteuer (Biersteuergesetz vom 6. Oktober 200621), die Steuer auf Spirituosen (Art. 10, 17, 20­23 des Alkoholgesetzes vom 21. Juni 193222), die Mineralölsteuer (Mineralölsteuergesetz vom 21. Juni 199623), die Automobilsteuer (Automobilsteuergesetz vom 21. Juni 199624) oder die CO2-Abgabe (CO2-Gesetz vom 23. Dezember 201125). Die Gesetze zu den genannten Steuern sehen alle die Geheimhaltungspflicht sowie die Anwendung des VStrR in Strafsachen vor. Für die Veranlagung gilt das unten beschriebene Prinzip der Selbstveranlagung, das auch für die vorstehend genannten indirekten Steuern gilt. Hingegen wird die Mitwirkungspflicht Dritter in den anderen als den nachfolgend beschriebenen Gesetzen zu indirekten Steuern nicht erwähnt.

Mehrwertsteuer (MWST) Die MWST ist von ihrem Wesen her eine Verbrauchssteuer, die indirekt erhoben wird nach dem Prinzip einer Netto-Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug (Art. 1 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 200926; MWSTG). Grundlage ist die Annahme, dass derjenige, der etwas konsumiert, dem Staat einen finanziellen Beitrag schuldet. Es wäre allerdings zu kompliziert, wenn jede Bürgerin und jeder Bürger für sich jeglichen Konsum mit dem Staat abrechnen müsste. Die Steuer wird deshalb bei den Unternehmen (Produzenten, Fabrikanten, Händlern, Handwerkern, Dienstleistenden usw.) erhoben, die ihrerseits gehalten sind, die MWST auf die 19 20 21 22 23 24 25 26

SR 631.0 SR 641.31 SR 641.411 SR 680 SR 641.61 SR 641.51 SR 641.71 SR 641.20

7054

Konsumentinnen und Konsumenten zu überwälzen, indem sie die Abgabe in den Preis einrechnen oder als separate Position auf der Rechnung aufführen.

Veranlagungsverfahren ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Die Veranlagung der indirekten Steuern folgt einem anderen System als die der direkten Steuern. Indirekte Steuern werden nicht von der Steuerbehörde und der steuerpflichtigen Person, die eine Mitwirkungspflicht hat, veranlagt, sondern die steuerpflichtige Person nimmt die Veranlagung selber vor (Selbstveranlagung). Die Steuerpflichtigen deklarieren die Bemessungsgrundlage, berechnen die Steuer und zahlen den Steuerbetrag ein. Die zuständige Behörde nimmt lediglich Kontrollen vor. In diesem Kontrollverfahren haben die Steuerpflichtigen ebenfalls eine Mitwirkungspflicht. Mit dieser Mitwirkungspflicht soll die Kontrolle der Selbstveranlagung sichergestellt werden. Mit den bei der Kontrolle erhobenen Beweisen wird geprüft, ob die Selbstveranlagung korrekt ist.

Die steuerpflichtigen Personen sind gesetzlich verpflichtet (Art. 68 MWSTG), der ESTV ­ unter Vorbehalt des gesetzlich geschützten Berufsgeheimnisses ­ über alle Tatsachen, die für die Steuerpflicht oder für die Steuerbemessung von Bedeutung sein können, nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen einzureichen.

Ausserdem sieht Artikel 73 MWSTG in vor, dass bestimmte Kategorien von Drittpersonen der ESTV kostenlos sämtliche Auskünfte zu erteilen haben, die für die Feststellung der Steuerpflicht oder für die Berechnung der Steuerforderung erforderlich sind (Abs. 1 Bst. a) und Einblick in Geschäftsbücher, Belege, Geschäftspapiere und sonstige Aufzeichnungen zu gewähren, sofern die nötigen Informationen bei der steuerpflichtigen Person nicht erhältlich sind (Abs. 1 Bst. b). Zum Kreis der auskunftspflichtigen Drittpersonen gehört, wer (Abs. 2): ­

als steuerpflichtige Person in Betracht fällt;

­

neben der steuerpflichtigen Person oder an ihrer Stelle für die Steuer haftet (Art. 15 und 16 MWSTG);

­

Leistungen erhält oder erbracht hat;

­

in einer Gesellschaft, die der Gruppenbesteuerung unterliegt, eine massgebliche Beteiligung hält.

Zudem gilt die Auskunftspflicht von Drittpersonen, welche Leistungen erhalten oder erbringen, nicht für Unterlagen, die ihr zur Erbringung ihrer Leistung anvertraut worden sind oder die sie zur Erbringung ihrer Leistung selbst erstellt hat (Art. 130 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 200927; MWSTV), es sei denn, die nötigen Informationen seien nicht bei der steuerpflichtigen Person selbst erhältlich, das heisst, wenn die ESTV die verlangten Informationen von der steuerpflichtigen Person nicht innert nützlicher Frist erhalten hat28.

Das gesetzlich geschützte Berufsgeheimnis bleibt vorbehalten (Art. 73 Abs. 3 MWSTG). Dazu gehört das Bankgeheimnis nach Artikel 47 Absatz 1 Buchstabe a BankG. Somit hat die Behörde im Rahmen des MWST-Kontrollverfahrens keinen Zugang zu Informationen bei Banken.

27 28

SR 641.201 Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der MWST, BBl 2008 6885, hier 6999

7055

Einfuhrsteuer ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Nach Artikel 52 Absatz 1 MWSTG unterliegt die Einfuhr von Gegenständen einschliesslich der darin enthaltenen Dienstleistungen und Rechte der Einfuhrsteuer.

Die Erhebung der MWST auf den Einfuhren stellt das Pendant zur Befreiung der Exporte dar. Mit der Einfuhrsteuer wird das Bestimmungslandprinzip verwirklicht, indem die eingeführten Gegenstände am Ort des Verbrauchs mit dem gleichen Steuersatz belastet werden wie die im Inland gelieferten und konsumierten Güter. In fiskalischer Hinsicht unterliegen eingeführte und schweizerische Waren damit den gleichen Wettbewerbsbedingungen.

Die Einfuhrsteuer wird von der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) zusammen mit den übrigen Zollabgaben erhoben und verwaltet. Entsprechend gelten für die Einfuhrsteuer die Vorschriften für die Zollgesetzgebung sinngemäss, soweit die Bestimmungen im MWSTG nichts anderes anordnen (Art. 50 MWSTG). Die Einfuhrsteuer wird nach einem gemischten Verfahren erhoben: Die steuerpflichtigen Personen haben die Einfuhren zu deklarieren und die Behörde setzt die Steuer fest.

Die im Rahmen der MWST in der Schweiz vorgesehene Auskunftspflicht gilt sinngemäss (Art. 62 Abs. 2 MWSTG) für die Einfuhrsteuer. Es sind jedoch einige Präzisierungen insbesondere in Bezug auf die einzelnen Kategorien nach Artikel 73 Absatz 2 MWSTG nötig. Es muss insbesondere bestimmt werden, wer die Drittpersonen sind, die neben der steuerpflichtigen Person oder an ihrer Stelle für die Steuer haften (Art. 73 Abs. 2 Bst. b MWSTG).

Es gilt die gleiche Beschränkung der Auskunftspflicht wie bei der ordentlichen MWST.

Bei der Auskunftspflicht der Drittperson, die Leistungen erhält oder erbracht hat, gilt Artikel 73 MWSTG in Bezug auf die Einfuhrsteuer sinngemäss für die ausländischen Versender, die Schweizer oder ausländischen Importeure einer eingeführten Ware (Eigentümer, Halter, Bezüger, Leihnehmer, Leasingnehmer, Kommissionäre einer eingeführten Ware) sowie die Empfänger der eingeführten Ware.

Bei auskunftspflichtigen Drittpersonen, die eine massgebliche Beteiligung an einer Gesellschaft halten, die der Gruppenbesteuerung unterliegt, kann es sich um die Importeure oder die Empfänger der eingeführten Ware handeln.

Das Berufsgeheimnis ist wie bei der MWST gewährleistet. Da das Bankgeheimnis als Berufsgeheimnis
anerkannt ist, hat die Behörde in diesem Verfahren keinen Zugang zu Informationen bei Banken.

Strafverfahren ­ Zugang zu Informationen bei Banken Das VStrR beschreibt das Strafverfahren, bei dem die zuständige Verwaltungsbehörde des Bundes Widerhandlungen verfolgt und beurteilt (formelles Strafrecht).

Die einzelnen Verwaltungsgesetze bestimmen die Voraussetzungen, die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die angedrohten Strafen für jede Widerhandlung (materielles Strafrecht). Zu beachten ist jedoch, dass das VStrR auch materiell-rechtliche Bestimmungen enthält, indem es einzelne Verhalten als strafbare Handlung umschreibt wie den Leistungs- und Abgabebetrug (Art. 14 VStrR), die Urkundenfälschung (Art. 15 VStrR), die Unterdrückung von Urkunden (Art. 16 VStrR) oder die Begünstigung (Art. 17 VStrR).

Artikel 20 Absatz 1 VStrR erteilt der Verwaltung die Zuständigkeit für die Untersuchung. Mit der Durchführung von Einvernahmen, Augenscheinen und Zwangsmass7056

nahmen sind «besonders ausgebildete Beamte» zu betrauen. Die Verwaltung ist auch für die Beurteilung zuständig; hält jedoch das übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme für gegeben, so ist das Gericht zuständig (Art. 21 Abs. 1 VStrR).

Im Rahmen der Untersuchungen, für die sie zuständig ist, kann die Verwaltung mündliche oder schriftliche Auskünfte von Dritten ­ wie Banken oder Treuhänder ­ einholen (Art. 40 VStrR) sowie Zeuginnen und Zeugen und beschuldigte Personen einvernehmen (Art. 39 und 41 VStrR). Sie kann Sachverständige beiziehen (Art. 43 VStrR) und einen Augenschein anordnen (Art. 44 VStrR). Wenn der Sachverhalt nicht auf andere Weise aufgeklärt werden kann oder um Gegenstände zu sichern, die als Beweismittel dienen können, gibt das VStrR der Verwaltung ausserdem die Möglichkeit, Zwangsmassnahmen umzusetzen wie die Beschlagnahme von Gegenständen und anderen Vermögenswerten (Art. 46 VStrR), die Durchsuchung von Wohnungen, Personen und Papieren (Art. 48 und 50 VStrR) und die vorläufige Festnahme (Art. 51 VStrR).

In Bezug auf die Beschlagnahme ist festzuhalten, dass Rechnungsunterlagen und Bankauszüge nach Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a VStrR beschlagnahmt werden können, wenn sie als Beweismittel dienen. Das Gleiche gilt für Gegenstände und andere Vermögenswerte, die voraussichtlich der Einziehung unterliegen, sowie dem Staat verfallende Geschenke und andere Zuwendungen.

Nach Artikel 26 VStrR kann gegen Zwangsmassnahmen (Art. 45 ff. VStrR) und damit zusammenhängende Amtshandlungen und Säumnis bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden. Im Rahmen einer Beschwerde prüft das Bundesstrafgericht insbesondere, ob der Verdacht der Verwaltung ausreichend begründet, die Zwangsmassnahme rechtmässig und das Gebot der Verhältnismässigkeit eingehalten ist. Soweit nicht die Beschwerde nach Artikel 26 VStrR gegeben ist, kann gegen Amtshandlungen sowie gegen Säumnis der untersuchenden Beamtin oder des untersuchenden Beamten bei der Direktorin oder dem Direktor der beteiligten Verwaltung Beschwerde geführt werden (Art. 27 Abs. 1 VStrR). Gegen den Beschwerdeentscheid kann bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden, jedoch nur wegen Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (Art. 27 Abs. 3 VStrR).

Die Strafverfolgung der Widerhandlungen ­ Übertretungen, Vergehen und Verbrechen ­ obliegt bei der Inlandsteuer und bei der Bezugsteuer der ESTV, bei der Einfuhrsteuer der EZV (Art. 103 Abs. 2 MWSTG). Diese Verwaltungen sind auch für die Ahndung dieser Widerhandlungen zuständig, solange das EFD keine Freiheitsstrafe ins Auge fasst (Art. 21 Abs. 1 VStrR).

Zusätzlich zu den genannten Widerhandlungen im Sinne der Artikel 14­17 VStrR bearbeitet die ESTV oder die EZV Fälle von einfacher (Art. 96 MWSTG) oder qualifizierter Steuerhinterziehung (Art. 97 MWSTG), Verletzung von Verfahrenspflichten (Art. 98 MWSTG) und Steuerhehlerei (Art. 99 MWSTG).

Anders als bei den übrigen indirekten Steuern dürfen bei der MWST die Beweismittel aus einer Kontrolle ungeachtet dessen, ob sie mit oder ohne Androhung einer Einschätzung eingeholt wurden, in einem Strafverfahren nur mit Zustimmung der beschuldigten Person verwendet werden (Art. 104 Abs. 3 MWSTG). Diese Regelung geht über die Garantien nach Artikel 6 EMRK und Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe g UNO-Pakt-II hinaus. Artikel 104 Absatz 3 MWSTG erschwert die Aufgabe 7057

der ESTV und geht tendenziell mit einer häufigeren Verwendung von Zwangsmassnahmen wie die Herausgabe von Akten und die Beschlagnahme von Rechnungsund Bankunterlagen sowie der Durchsuchung nach Artikel 48 VStrR einher.

Verrechnungssteuer Die Verrechnungssteuer ist eine vom Bund an der Quelle erhobene Steuer auf dem Ertrag des beweglichen Kapitalvermögens (insbesondere auf Zinsen und Dividenden), auf Lotteriegewinnen und auf bestimmten Versicherungsleistungen. Die Steuer bezweckt gegenüber Personen mit Wohnsitz in der Schweiz die Sicherstellung der Einkommens- und Vermögenssteuern. Die Verrechnungssteuer wird daher Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz zurückerstattet, die ihrer Deklarationspflicht (bezüglich Einkommens- und Vermögenssteuer) nachkommen. Gegenüber Personen mit Wohnsitz im Ausland hat die Steuer teilweise definitiven Charakter.

Veranlagungsverfahren ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Steuerpflichtig ist der Schuldner oder die Schuldnerin der steuerbaren Leistung. Er oder sie hat auf der steuerbaren Leistung die Steuer zu entrichten und diese durch entsprechende Kürzung der Leistung auf deren Empfänger oder Empfängerin zu überwälzen. Die steuerpflichtige Person hat sich unaufgefordert bei der ESTV anzumelden, die vorgeschriebenen Abrechnungen und Belege einzureichen und gleichzeitig die Abgabe zu entrichten (Prinzip der Selbstveranlagung). Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Steuerpflicht auch durch Meldung der steuerbaren Leistung an die ESTV erfüllt werden (Meldeverfahren).

Strafverfahren ­ Zugang zu Informationen bei Banken Zuständig für die Strafverfolgung ist die ESTV (Art. 67 des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 196529; VStG). Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des VStrR. Dieses sieht im Rahmen der Untersuchungen auch das Einholen von Auskünften, die Zeugeneinvernahme und die Beschlagnahme vor (Art. 40 f., Art. 46 VStR). Das VStG kennt verschiedene Widerhandlungen mit auf Bussen beschränkten Strafen wie beispielsweise die Steuergefährdung (Art. 62 VStG) oder die Verletzung der Überwälzungsvorschrift (Art. 63 VStG). Hinzu kommen die Bestimmungen des VStrR, insbesondere wenn die Voraussetzungen des Abgabebetrugs oder der Begünstigung erfüllt sind.

Stempelabgaben Die eidgenössischen Stempelabgaben sind Steuern auf bestimmten Vorgängen des
Rechtsverkehrs. Ihre Erhebung knüpft an Vorgänge der Kapitalkonzentration, des Kapitalverkehrs oder an gewisse Versicherungen an. Es gibt drei Arten von Stempelabgaben:

29

­

die Emissionsabgabe auf der Ausgabe inländischer Beteiligungsurkunden,

­

die Umsatzabgabe auf in- und ausländischen Wertpapieren,

­

die Abgabe auf den Prämien bestimmter Versicherungen.

SR 642.21

7058

Veranlagungsverfahren ­ kein Zugang zu Informationen bei Banken Wer aufgrund des Bundesgesetzes vom 27. Juni 197330 über die Stempelabgaben (StG) abgabepflichtig wird, hat sich in der Regel unaufgefordert bei der ESTV anzumelden. Bei Fälligkeit der Abgabe hat die abgabepflichtige Person der ESTV unaufgefordert die vorgeschriebene Abrechnung mit den notwendigen Belegen einzureichen und gleichzeitig die Abgabe zu entrichten (Selbstveranlagung). Die Erfüllung der Anmeldepflicht und die Berechnung der abgabepflichtigen Person werden von der ESTV überprüft. Artikel 36 StG regelt die Auskunftspflichten Dritter gegenüber der ESTV.

Strafverfahren ­ Zugang zu Informationen bei Banken Zuständig für die Durchführung der Strafverfahren ist die ESTV (Art. 50 StG). Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des VStrR. Dieses sieht im Rahmen der Untersuchungen auch das Einholen von Auskünften, die Zeugeneinvernahme und die Beschlagnahme vor (Art. 40 f., Art. 46 VStR). Das StG sieht drei Arten von Widerhandlungen vor: Hinterziehung (Art. 45 StG), Abgabegefährdung (Art. 46 StG) und Ordnungswidrigkeiten (Art. 47 StG). Hinzu kommen die Bestimmungen des VStrR, wenn die Voraussetzungen für den Leistungs- und Abgabebetrug (Art. 14 VStrR) erfüllt sind.

2.3

Internationales Amtshilfeverfahren auf Ersuchen

Die Schweiz hat verschiedene Abkommen mit Partnerstaaten abgeschlossen, die einen Informationsaustausch im Steuerbereich vorsehen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und Steuerinformationsabkommen. Das Steueramtshilfegesetz vom 28. September 201231 (StAhiG) regelt die Umsetzung im nationalen Recht. Nach Artikel 8 Absatz 1 StAhiG dürfen zur Beschaffung von Informationen nur Massnahmen durchgeführt werden, die nach schweizerischem Recht zur Veranlagung und Durchsetzung der Steuern, die Gegenstand des Ersuchens sind, durchgeführt werden. Da die meisten DBA für die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen gelten, sind vor allem Massnahmen im Rahmen der Veranlagung und Durchsetzung dieser Steuern möglich (vgl. Art. 127­129 DBG und Art. 43­45 StHG). Nach Artikel 22 Absatz 6 StAhiG kann die Schweiz Amtshilfeersuchen zu Bankinformationen stellen, soweit diese Informationen nach schweizerischem Recht beschafft werden können. Somit können Bankinformationen seitens der Schweiz nur bei Steuerbetrug oder schwerer Steuerhinterziehung beschafft werden.

2.4

Geplante Gesetzesänderungen

2.4.1

Revision des Steuerstrafrechts

Die Vernehmlassungsvorlage zur Steuerstrafrechtsrevision sah vor, dass die kantonalen Steuerverwaltungen weiterhin die Steuerstrafverfahren betreffend Steuerhinterziehung führen sollen, dass dafür aber neu ­ wie bereits bei Strafverfahren der 30 31

SR 641.10 SR 672.5

7059

Bundesverwaltungsbehörden ­ das VStrR gelten soll. Zudem sollen die kantonalen Steuerverwaltungen auch Steuerbetrug verfolgen und beurteilen können. Steuerbetrug soll künftig dann gegeben sein, wenn die Steuerhinterziehung arglistig oder mittels Verwendung falscher Urkunden begangen wurde.

Im Nachgang zur Vernehmlassung hat der Bundesrat beschlossen, dass vor dem Verfassen der Botschaft die Unterschiede sowie die Vor- und Nachteile des VStrR gegenüber der StPO aufgearbeitet werden. Sollte sich dabei zeigen, dass wesentliche Gründe für die Anwendung der StPO in Steuerstrafverfahren sprechen, so wird der Botschaftsentwurf gestützt auf diese Verfahrensordnung zu erstellen sein. Andernfalls soll daran festgehalten werden, dass das VStrR für alle Steuerstrafverfahren gilt.

2.4.2

Revision des Verrechnungssteuerrechts

Die Vernehmlassungsvorlage vom Dezember 2014 schlug bei der Verrechnungssteuer einen Systemwechsel zum Zahlstellenprinzip vor. Damit kann Nachteilen des bisherigen Systems entgegengewirkt werden, beispielsweise der Tatsache, dass Schweizer Konzerne die Besteuerung umgehen, indem sie ihre Finanzierungen über ausländische Gesellschaften abwickeln.

Die Schweizerische Bankiervereinigung hat Ende März 2015 eine Stellungnahme zur Revisionsvorlage veröffentlicht. Sie unterstützt den Vorschlag des Bundesrats nicht und schlägt stattdessen vor, das bisherige System teilweise beizubehalten und für Schweizer Steuerpflichtige ein automatisches Meldeverfahren für Obligationenzinsen und ausländische Dividendenerträge einzuführen.

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 24. Juni 2015 vom Ergebnisbericht der Vernehmlassung Kenntnis genommen. Angesichts der Vielzahl negativer Stellungnahmen verzichtet er derzeit darauf, dem Parlament eine umfassende Reform der Verrechnungssteuer vorzuschlagen. Das Zahlstellenprinzip soll vor Ablauf der geplanten Ausnahmebestimmungen für bedingte Pflichtwandelanleihen (Contingent Convertible Bonds, CoCos), Anleihen mit Forderungsverzicht (Write-off-Bonds) und Obligationen mit spezifischen aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen zur Wandlung in Eigenkapital (Bail-in-Bonds) erneut diskutiert werden. In Anbetracht des Vernehmlassungsergebnisses soll zunächst der Ausgang der Volksabstimmung über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» abgewartet werden.

2.4.3

Spontaner und automatischer Informationsaustausch im Steuerbereich (AIA)

Die Schweiz hat am 15. Oktober 2013 das Übereinkommen des Europarats und der OECD über die Amtshilfe in Steuersachen (Amtshilfeübereinkommen)32 und am 19. November 2014 die Multilaterale Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (Multilateral Compe-

32

www.ocde.org > Topics > Tax > Exchange of informations > Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters > The Convention

7060

tent Authority Agreement, MCAA)33 unterzeichnet. Mit dem Amtshilfeübereinkommen wird unter anderem der spontane Informationsaustausch eingeführt. Das MCAA sieht die Einführung eines automatischen Informationsaustauschs über Finanzkonten vor.

Der Bundesrat hat eine Vernehmlassung zu den beiden Abkommen sowie einem Umsetzungsgesetz zum MCAA durchgeführt. Die beiden Vorlagen werden parallel geführt.

Die Vernehmlassung dauerte bis am 21. April 2015. Der Bundesrat hat die beiden Botschaften am 5. Juni 2015 verabschiedet.

Am 3. März 2015 unterzeichnete der Bundesrat im Hinblick auf die Einführung des AIA eine gemeinsame Erklärung mit Australien und am 27. Mai 2015 ein Abkommen mit der Europäischen Union zum automatischen Informationsaustausch in Steuersachen. Die Vernehmlassung zum AIA mit Australien endete am 19. August 2015, zum AIA mit der EU läuft sie bis am 17. September 2015.

2.5

Rechtsvergleich

Um einen Überblick zu erhalten über die Praxis bezüglich Bankgeheimnis und Zugang zu Finanzinformationen im Bereich direkte Steuern in unseren Nachbarländern, wurde untersucht, ob es ein Bankgeheimnis gibt und inwieweit der Staat im Steuer- oder Strafverfahren Finanzinformationen einholen kann. Die nachfolgenden Ergebnisse zeigen die Tendenzen in den umliegenden Ländern auf.

Frankreich In Frankreich ist das Bankgeheimnis als gewöhnliches Berufsgeheimnis ausgestaltet (Art. L. 511-33 Code monétaire et financier34 und Art. 226-13 und 226-14 Code pénal35), jedoch mit einer wichtigen Einschränkung: Einige Verwaltungen haben automatisch Zugang zu den verlangten Informationen. Es sind dies die Steuerbehörde, der Zoll, die Zentralbank (Banque de France), die Bankenkommission und die Finanzmarktbehörde. Die Justiz kann zudem im Rahmen von Strafverfahren dem Bankgeheimnis unterliegende Informationen einholen. Frankreich hat ausserdem Gesetze erlassen, welche die Bankinstitute zur Meldung verdächtiger Transaktionen verpflichten. Die Meldungen werden der dafür geschaffenen Meldestelle TRACFIN (Traitement du Renseignement et Action contre les Circuits Financiers clandestins) erstattet.

Deutschland Das Steuerrecht (§ 30a der Abgabenordnung vom 16. März 197736, AO) respektiert generell das Bankgeheimnis. Finanzbehörden sind verpflichtet, besondere Rücksicht auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und ihren Kundinnen und Kunden zu nehmen. Nach § 30a Absatz 5 AO sind Auskunftsersuchen der 33

34 35 36

www.ocde.org > Topics > Tax > Exchange of informations > Automatic exchange of informations > multilateral competent authority agreement > multilateral competent authority agreement Service public de la diffusion du droit, www.legifrance.gouv.fr Service public de la diffusion du droit, www.legifrance.gouv.fr Bundesgesetzblatt online, www.bgbl.de

7061

Finanzämter an Kreditinstitute ausdrücklich zugelassen. Danach gilt für Auskunftsersuchen an Kreditinstitute § 93 AO. Voraussetzung ist, dass eine Ermittlung bei der steuerpflichtigen Person selbst nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). Finanzämter dürfen sich dann an Kreditinstitute wenden, um Kontenstände sowie Zahlungs- und Zinseingänge zu erfragen. Die Banken müssen dem Bundeszentralamt für Steuern seit 1998 die Höhe der angemeldeten Freibeträge für Kapitalerträge und deren Inanspruchnahmen melden.

Österreich In Österreich ist das Bankgeheimnis in § 38 des Bankwesengesetzes (BWG)37 geregelt. Der ganze Artikel gilt gemäss § 38 Absatz 5 als Verfassungsbestimmung.

Das heisst, dass eine Änderung von § 38 nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Demnach dürfen Banken Auskünfte nur aufgrund eines richterlichen Auftrags geben, wenn ein Strafverfahren anhängig ist oder wenn ein verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren wegen eines vorsätzlich begangenen Finanzvergehens, ausgenommen einer Finanzordnungswidrigkeit, eingeleitet worden ist.

Im Juli 2015 hat das österreichische Parlament die Steuerreform 2015/2016 verabschiedet. Diese sieht namentlich vor, dass bereits im abgabenbehördlichen Verfahren die Möglichkeit bestehen soll, dass die Abgabenbehörde Bankinformationen erhält, wobei eine richterliche Genehmigung der Einsichtnahme vorgesehen wird. Als Begleitmassnahme soll ein zentral verwaltetes Kontenregister errichtet werden, das lediglich die «äusseren» Kontodaten enthält. «Äussere» Kontodaten sind zum Beispiel Kontoinhaber, wirtschaftliche Eigentümer, Name, Adresse, Konto- oder Depotnummer sowie Informationen über Eröffnung und Schließung. Im Gegensatz dazu sind «innere» Kontodaten, wie beispielweise Kontostand und Kapitalbewegungen, nicht in diesem Kontenregister enthalten. Damit erhalten Staatsanwaltschaften, Strafgerichte, Finanzstrafbehörden, das Bundesfinanzgericht und Abgabenbehörden des Bundes die Möglichkeit, einen Überblick darüber zu bekommen, über welche Bankkonten oder Depots eine Person verfügt und welche Personen Zugriff auf ein bestimmtes Konto oder Depot haben.

Sodann soll eine Pflicht von Kreditinstituten eingeführt werden, grössere Geldbewegungen zu melden. Kreditinstitute müssen Kapitalabflüsse über 50 000 Euro, die seit
dem 1. März 2015 erfolgt sind, dem Bundesministerium für Finanzen melden.

Italien In Italien gibt es kein eigentliches Bankgeheimnis mehr, jedenfalls nicht in steuerrechtlichen Belangen. Allerdings ist der Zugriff der Steuerbehörden auf Bankinformationen an Voraussetzungen geknüpft38.

Die Steuerbehörden können im Rahmen ihrer Prüfungstätigkeit Kontrollen durchführen, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Steuerhinterziehung besteht und die übergeordnete Behörde ihr Einverständnis gibt.

37 38

Rechtsinformationssystems des Bundeskanzleramtes, www.ris.bka.gv.at, BGBl. Nr. 532/1993 Das Bankgeheimnis in Italien ­ eine rechtsvergleichende Perspektive unter Berücksichtigung grundrechtlicher Erwägungen, in: Steuer und Wirtschaft International (SWI), Heft 05/2015, S. 237ff.

7062

Im Weiteren sind in Italien alle Banken seit dem Jahr 2011 verpflichtet, in regelmässigen Abständen alle Kontenbewegungen der Finanzverwaltung zu kommunizieren.

Dies erlaubt daraufhin den Steuerbehörden eine Kontrolle von auffälligen Beträgen.

Liechtenstein Das Liechtensteiner Bankgeheimnis ist in Artikel 14 des Bankengesetzes vom 21. Oktober 199239 (BankG) geregelt. Nach der Rechtsprechung des liechtensteinischen Staatsgerichtshofes ist das Bankgeheimnis zwar lediglich auf Gesetzesebene verankert, ihm kommt jedoch als Teilgehalt des grundrechtlichen Anspruches auf Geheim- und Privatsphäre gemäss Artikel 32 der Liechtensteiner Verfassung materiell Verfassungsrang zu.

Vergleichbar der Rechtslage in der Schweiz können die Steuerbehörden im Veranlagungsverfahren keine Informationen bei Banken einholen, auch wenn die steuerpflichtige Person die Mitwirkung verweigert (Art. 99 Abs. 2 des Gesetzes vom 23. September 201040 über die Landes- und Gemeindesteuern, SteG). Auch in Steuerhinterziehungsverfahren besteht kein Zugriff auf Bankinformationen (Art. 150 Abs. 4 SteG).

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Nach den Aussagen des Initiativkomitees bezweckt die Initiative die Verankerung des steuerlichen Bankgeheimnisses im Inland in der Verfassung. Damit sollen gemäss Initiativkomitee die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz nicht nur vor einem unverhältnismässigen und voraussetzungslosen staatlichen Eingriff in die Privatsphäre (Schnüffelstaat) geschützt werden, sondern auch vor allfälligen Gesetzesänderungen, die dem Staat die Beschaffung von Informationen erlauben würden, mit dem alleinigen Zweck, die Staatskassen zu füllen. Nach den Aussagen des Initiativkomitees würden die neuen Verfassungsbestimmungen weder Steuerhinterziehung noch Steuerbetrug begünstigen.

Die Ziele der Initiative werden aber über die Auslegung des Initiativtextes bestimmt.

Bei dieser Auslegung ist in erster Linie auf den Wortlaut der Verfassungsbestimmung nach den allgemeinen Auslegungsprinzipien abzustellen. Die Aussagen des Initiativkomitees sind deshalb nur beschränkt massgebend.

Bei objektiver Auslegung erweist sich die Verankerung des allgemeinen Begriffs «Anspruch auf Schutz der finanziellen Privatsphäre» in der Bundesverfassung als Hauptziel der Initiative. Mit anderen Worten will die Initiative eine Regel aufstellen, wonach die Behörde nur mit Zustimmung der betroffenen Person Informationen über eine natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz beschaffen kann. Zudem möchte die Initiative die Voraussetzungen festlegen, unter denen Dritte von diesem Grundsatz abweichen können und der Behörde Auskünfte in steuerlichen Belangen geben dürfen. In anderen als steuerlichen Belangen soll gemäss Initiativtext wie heute das Gesetz die Voraussetzungen der Auskunftserteilung regeln. Damit zielt die Initiative auf die Verankerung eines Anspruchs der 39 40

Gesetzesdatenbank LILEX, www.gesetze.li, No 952.0 Gesetzesdatenbank LILEX, www.gesetze.li, No 640.0

7063

Bürgerinnen und Bürger auf einen Schutz in der Verfassung, der über das steuerliche Bankgeheimnis im Inland hinausgeht.

Der Wortlaut der Initiative geht somit deutlich weiter als der vom Initiativkomitee angegebene Sinn und Zweck der Initiative.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen ergänzen den Wortlaut des geltenden Artikels 13 BV mit zusätzlichen Regeln zum grundrechtlichen Schutz auf finanzielle Privatsphäre, insbesondere in steuerlichen Belangen. Der Begriff «Anspruch auf Schutz der finanziellen Privatsphäre» wird eingefügt. Der Initiativtext legt ausserdem die Fälle in Steuerbelangen fest, in denen von diesem absoluten Recht abgewichen werden kann. Dritte sollen betreffend eine Person, die in der Schweiz Wohnsitz oder Sitz hat, ohne Zustimmung dieser Person nur dann zur Auskunft in steuerlichen Belangen berechtigt sein, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.

Es geht um die Auskunft im Zusammenhang mit direkten Steuern, die von den Kantonen veranlagt und eingezogen werden.

2.

Die Auskunftserteilung erfolgt im Rahmen eines Strafverfahrens.

3.

Es besteht der begründete Verdacht, dass: ­ zum Zweck einer Steuerhinterziehung gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise und andere Bescheinigungen Dritter zur Täuschung gebraucht wurden; oder ­ vorsätzlich und fortgesetzt ein grosser Steuerbetrag hinterzogen oder dazu Beihilfe geleistet oder angestiftet wurde.

4.

Der Verdacht ist von einem Gericht bestätigt worden.

Im Zusammenhang mit indirekten Steuern sollen die Voraussetzungen für die Auskunft gemäss Initiativtext sinngemäss gelten.

Die Übergangsbestimmungen regeln die Umsetzung bei Annahme der Initiative sowie die Fristen, in denen die Gesetzgebung angepasst werden muss. Bis zum Inkrafttreten dieser Gesetzesänderungen muss der Bundesrat die erforderlichen Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg erlassen.

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Absatz 1 des Initiativtextes räumt jeder Person den Anspruch auf Schutz der Privatsphäre ein. Die Bestimmung nimmt damit die heutige Sachüberschrift von Artikel 13 «Schutz der Privatsphäre» auf.

Durch die Aufnahme des neuen Absatzes 1 würde sich am Schutzbereich der Norm nichts ändern, werden doch die Begriffe «Privatsphäre» und «Privatlebens» (vgl.

nun Abs. 2 des Initiativtextes) als Synonyme verwendet. «Privatleben bedeutet den Anspruch jeder Person, vom Staat nicht an der freien Gestaltung ihres Lebens und ihres Verkehrs mit anderen Personen gehindert zu werden, sowie die Respektierung 7064

eines persönlichen Geheimbereichs» (Botschaft vom 20. November 199641 über eine neue Bundesverfassung). Eine präzise und umfassende Definition der Begriffe «Privatsphäre» bzw. «Privatleben» ist angesichts der Vielfältigkeit der Lebenssachverhalte allerdings kaum möglich, weshalb der Schutzbereich der Norm primär kasuistisch im Einzelfall zu bestimmen ist.

Der Begriff «finanzielle Privatsphäre» dürfte weit zu verstehen sein und ist vom ­ im Zusammenhang mit finanziellen Daten ­ regelmässig verwendeten Terminus «wirtschaftliche Verhältnisse» bereits abgedeckt. Dazu gehören etwa Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie Bankkundendaten (z. B.

auch Schuldpflichten gegenüber einer Bank). Solche Informationen bzw. Daten sind bereits heute vom Schutz der Privatsphäre gemäss Artikel 13 BV erfasst. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre gehören Informationen über die finanziellen Verhältnisse jedoch nicht zu den Daten, die für die Identität eines Menschen derart wichtig sind, dass sie dessen Persönlichkeit im engeren Sinne betreffen würden. Folglich handelt es sich bei diesen Daten denn auch nicht um «besonders schützenswerte Daten» im Sinne von Artikel 3 Buchstabe c DSG.

Der neue Absatz 2 von Artikel 13 BV übernimmt den heutigen Absatz 1 und ergänzt ihn mit dem Anspruch auf Schutz der finanziellen Privatsphäre.

Die Nennung der «finanziellen Privatsphäre» in der Verfassung würde lediglich eine explizite Konkretisierung ­ nicht aber eine Erweiterung ­ des Schutzes auf Privatsphäre bedeuten. Es stellt sich die Frage, ob sich diese Hervorhebung des finanziellen Bereichs rechtfertigt. Am Schutzbereich von Artikel 13 BV würde sich dadurch nichts ändern. Insbesondere würden diese Daten dadurch nicht per se zu besonders schützenswerten Personendaten. Es wäre zwar nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber, sofern die Volksinitiative angenommen würde, die steuerlich relevanten Daten mit Blick auf Artikel 13 Absatz 4 nBV als besonders schützenswerte bezeichnen würde. Diese Möglichkeit hätte der Gesetzgeber jedoch schon unter geltendem Verfassungsrecht, ohne dass eine Anpassung von Artikel 13 erforderlich wäre. Eine solche Qualifikation würde allerdings von der dargestellten Auffassung abweichen, dass Daten über die finanziellen Verhältnisse die Persönlichkeit
der betroffenen Personen nicht besonders stark berühren. Auch das von der Schweiz ratifizierte Übereinkommen des Europarats vom 28. Januar 198142 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten zählt in Artikel 6 Informationen über die finanziellen Verhältnisse nicht zu den «besonderen Arten von Daten», die eines qualifizierten Schutzes bedürfen. Eine unterschiedliche Bewertung dieses Schutzstandards durch die Schweiz könnte möglicherweise Auswirkungen auf die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Übermittlung von Personendaten ins Ausland haben (vgl. Art. 6 DSG). Würde der Datenschutz im Ausland nicht als dem schweizerischen Recht angemessen beurteilt, so dürften Personendaten nur noch unter gewissen Voraussetzungen (vgl. Art. 6 Abs. 2 DSG) ins Ausland übermittelt werden, was den grenzüberschreitenden Datenverkehr erschweren könnte.

Der neue Absatz 3 übernimmt den Wortlaut des heutigen Absatzes 2.

41 42

BBl 1997 I 1, hier 152 SR 0.235.1

7065

Der neue Absatz 4 bestimmt die Voraussetzungen, unter denen im Zusammenhang mit direkten Steuern, die von den Kantonen veranlagt und eingezogen werden, vom Grundrecht des Schutzes auf finanzielle Privatsphäre abgewichen werden kann. Der Absatz enthält viele unklare Begriffe, deren Auslegung aber von zentraler Bedeutung ist und die ­ im Rahmen der Umsetzung der Initiative ­ vom Gesetzgeber oder ­ bei der Beurteilung eines konkreten Falls ­ vom Gericht abhängig sein wird.

Mögliche Auslegungen dieser Begriffe sind: ­

Dritte: Aus Sicht des Bundesrats umfasst der Begriff natürliche und juristische Personen mit Sitz oder Wohnsitz in der Schweiz. Auf Dritte mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland sind die Bestimmungen der Bundesverfassung gestützt auf das Territorialitätsprinzip nicht anwendbar. Die Frage, wer unter den Begriff der Drittperson fällt, wird vom Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Initiative zu klären sein. Als eine mögliche Interpretation könnte festgelegt werden, dass es im Rahmen eines Verfahrens die betroffene Person, die Behörde und die Dritten gibt. Bei dieser Auslegung wäre der Begriff der Drittperson weit gefasst. Beispielsweise würde eine Muttergesellschaft bei einer Angelegenheit zwischen einer Tochtergesellschaft und der Behörde darunter fallen. In der Schweizer Gesetzgebung ist der Begriff der Drittperson in anderen als steuerlichen Bereichen sehr weit gefasst und schliesst auch Verwaltungsbehörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Funktionen ein (vgl. Art. 170 Abs. 2 ZGB oder Art. 101 Abs. 3 StPO). Eine extensive Auslegung des Begriffs Dritte ohne Berücksichtigung des Territorialitätsprinzips ist nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. Der Begriff könnte somit auch ausländische natürliche und juristische Personen sowie Behörden umfassen.

­

Auskunft: Dieser Begriff wird durch den Gesetzgeber genauer definiert werden müssen. Darunter können mündliche und schriftliche Auskünfte oder Schriftstücke verstanden werden. Der Begriff ist weit gefasst und kann so ausgelegt werden, dass jegliche Information über die betroffene Person darunter fällt. Jedoch ist auch bei dieser Auslegung eine Beschlagnahme nicht miterfasst, da in diesem Fall die Behörde nicht um die Mitwirkung der Dritten ersucht, sondern die Informationen selbst einholt.

­

­

Zur Auskunft berechtigt: Dieser Begriff kann auf zwei Arten ausgelegt werden: berechtigte Dritte sind zur Auskunft verpflichtet oder sie haben die Möglichkeit, Auskunft zu geben, sind aber nicht dazu verpflichtet. Die Formulierung lässt eher von einer Ermächtigung ohne Verpflichtung ausgehen.

Je nach Auslegung des Begriffs stellt sich die Frage des Verhältnisses zwischen Artikel 13 Absatz 4 der Initiative und den gesetzlich verankerten Begriffen des «Berufsgeheimnisses» (Art. 321 StGB) und des «Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund des Berufsgeheimnisses» (Art. 171 StPO). Bei Annahme der Initiative müsste der Gesetzgeber die Frage regeln, inwieweit eine an das Geheimnis gebundene Person zur Auskunft berechtigt ist.

Andernfalls müsste das Gericht im Einzelfall darüber befinden.

Grosser Steuerbetrag: Weder die Praxis zu Artikel 190 DBG noch die Lehre haben bisher klar definiert, was ein grosser Betrag ist.

Absatz 4 nennt in den Buchstaben a und b die beiden Kategorien von Steuerwiderhandlungen, die nicht unter den Anspruch auf Schutz der Privatsphäre fallen. Buchstabe a übernimmt den Wortlaut von Artikel 186 Absatz 1 DBG. Bezüglich der 7066

Auslegung ergeben sich deshalb keine Probleme. Buchstabe b übernimmt nur teilweise Artikel 190 Absatz 2 DBG. Anders als der offen formulierte Artikel im geltenden Recht setzt der eng gefasste Wortlaut der Initiative voraus, dass vorsätzlich und fortgesetzt ein grosser Steuerbetrag hinterzogen wird. Vorsatz und Dauer gelten kumulativ. Die Formulierung kann so ausgelegt werden, dass bei einer einmaligen vorsätzlichen Hinterziehung eines grossen Steuerbetrags der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre einschliesslich der finanziellen Privatsphäre gewährleistet bleibt.

Der neue Absatz 5 fügt ein Verfahrenselement im Rahmen der Abweichung vom Anspruch auf Schutz der finanziellen Privatsphäre an. Sind die Voraussetzungen von Absatz 4 gegeben, muss ein Gericht entscheiden, ob ein begründeter Verdacht nach Absatz 4 vorliegt. Form und Unterstellung dieses Gerichts wären vom Gesetzgeber zu bestimmen. Denkbar wären eine unabhängige Verwaltungsbehörde oder eine Strafbehörde. Auch diese Bestimmung ist auslegungsbedürftig. Insbesondere müsste bestimmt werden, wann das Gericht entscheidet, ob vor oder nach Erteilung der Auskunft, und ob die Beratung geheim oder mit Beteiligung der Betroffenen unter Gewährleistung der Parteirechte stattfindet. Wird von einer Beteiligung der verdächtigten Person ausgegangen, stellt sich die Frage, wie zu verhindern ist, dass der Gerichtsentscheid zur Vorenthaltung von Beweismitteln führt.

Der neue Absatz 6 sieht für den Bereich der indirekten Steuern eine sinngemässe Anwendung der Voraussetzungen vor. Die oben ausgeführten Auslegungskriterien zu den Absätzen 4 und 5 gelten somit auch für die indirekten Steuern.

Nach dem neuen Absatz 7 regelt in anderen als steuerlichen Belangen das Gesetz die Voraussetzungen, unter denen vom Anspruch auf Schutz der (finanziellen) Privatsphäre abgewichen werden kann. Diese Bestimmung kann als Auftrag aufgefasst werden, ein neues Gesetz zu erlassen oder bestehende Gesetze allenfalls zu ändern mit dem Ziel, die Fälle zu definieren, in denen Dritte in anderen als steuerlichen Belangen gegenüber Behörden zur Auskunft über eine natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz, die der Auskunftserteilung zustimmt, berechtigt sind.

Die Übergangsbestimmungen sehen vor, dass Artikel 13 in seiner geänderten Fassung mit der Annahme
durch Volk und Stände in Kraft tritt. Des Weiteren wird festgehalten, dass Artikel 13 Absatz 2 und Absatz 4 für alle rechtsanwendenden Behörden massgebend sind. Der Gesetzgeber hat drei Jahre Zeit für die Anpassung der Gesetze. Der Bundesrat muss innerhalb eines Jahres die bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderungen erforderlichen Ausführungsbestimmungen erlassen. Nur bezüglich Absatz 2 der Übergangsbestimmung ist die Auslegung fraglich. Nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesgerichts setzt die direkte Anwendbarkeit der Verfassungsbestimmungen voraus, dass Tatbestand und Rechtsfolgen genügend genau formuliert sind, sodass jede Person ihr Verhalten danach richten kann43. Ob Artikel 13 Absatz 4 der Initiative unmittelbar anwendbar ist, ist deshalb nicht einfach vorherzusagen; aufgrund der zahlreichen Begriffe, die einer Auslegung durch den Gesetzgeber bedürfen, ist jedoch davon auszugehen, dass er für eine direkte Anwendbarkeit nicht genügend genau formuliert ist.

43

BGE 125 I 361, E. 4a; BGE 139 I 16, E. 4.3.2.

7067

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Die Initiative zielt darauf ab, den Schutz der finanziellen Privatsphäre zu stärken und den Zugang der Behörde zu Finanzinformationen der Steuerpflichtigen zu begrenzen. Die finanzielle Privatsphäre ist Teil der Privatsphäre. Die geltende Verfassungsbestimmung, die das Recht auf Schutz der Privatsphäre gewährleistet, umfasst deshalb auch den finanziellen Bereich. Insoweit fordert die Initiative eine Bestätigung geltenden Rechts. Es stellen sich jedoch zahlreiche Fragen bezüglich der Verhältnismässigkeit zwischen dem Ziel, das die Initiative verfolgt, und den vorgeschlagenen Mitteln. Insbesondere die steuerrechtlichen Einschränkungen hätten Auswirkungen weit über den Schutz der Privatsphäre ­ auch der finanziellen ­ hinaus und könnten die korrekte Steuererhebung gefährden. Sie könnten sich zudem je nach Auslegung des Initiativtexts auf das Ansehen und die Beziehungen der Schweiz zum Ausland negativ auswirken. Somit ist festzustellen, dass die Forderungen der Initiative deutlich über das geltende Recht hinausgehen.

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1

Rechtsfolgen

Direkte Steuern Veranlagungsverfahren Mit der von der Initiative geforderten Änderung von Artikel 13 BV dürften Auskünfte und Bescheinigungen im Sinne von Artikel 127­129 DBG nur noch dann bei Dritten eingefordert werden, wenn die steuerpflichtige Person einverstanden ist oder wenn ein begründeter Verdacht auf Steuerbetrug oder vorsätzliche und fortgesetzte Hinterziehung eines grossen Steuerbetrags besteht. Dieser Verdacht muss von einem Gericht bestätigt werden.

Die Initiative hätte demzufolge erhebliche Auswirkungen auf die Durchführung der Veranlagungsverfahren. Im geltenden Recht bestehen Auskunfts-, Melde- und Bescheinigungspflichten Dritter. Diese Bestimmungen dienen einerseits der Vereinfachung der Verfahren, beispielsweise indem der Arbeitgeber den Lohnausweis direkt der Steuerbehörde zustellt. Sie ermöglichen es aber den Behörden anderseits auch, Informationen von Dritten zu beschaffen, wenn die steuerpflichtige Person ihrer Deklarationspflicht nicht oder nicht vollständig nachkommt. Wenn die nötigen Informationen von Dritten nicht mehr beschafft werden könnten, würde das Veranlagungsverfahren in Fällen, in denen die steuerpflichtige Person ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, erheblich erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Eine vollständige, richtige und somit rechtsgleiche Besteuerung wäre gefährdet.

Die Folge daraus wäre, dass bei unvollständigen Angaben und Auskünften durch die steuerpflichtige Person die Veranlagungen vermehrt aufgrund von Schätzungen und nach Ermessen (Art. 130 DBG) erfolgen müssten.

Aus verfahrensökonomischer Sicht wären solche neuen Regelungen problematisch.

Das Veranlagungsverfahren ist ein sogenanntes Massenverfahren. Beispielhaft ist zu nennen, dass heute eine Vielzahl der Kantone die Lohnausweise und andere Bescheinigungen vom Arbeitgeber und anderen Dritten direkt zugestellt erhalten 7068

und in ihr Veranlagungssystem einfliessen lassen, was erheblich zu einer schnellen Verarbeitung der Dossiers beiträgt.

Allgemein und bei allen Verfahren könnte die Initiative je nach Auslegung des Begriffs der Drittperson Auswirkungen auf die Amtshilfe im Inland haben. Wären nämlich als Dritte andere Verwaltungsbehörden als die zuständigen betroffen, so könnten sie nur noch mit Zustimmung der betroffenen Person Auskunft erteilen bzw. in den im Initiativtext bestimmten Fällen. Damit würde die Amtshilfe unter Behörden (Art. 111 DBG, Steuerbehörden; Art. 112 DBG, andere Behörden) stark eingeschränkt. Der zuständigen Behörde würden damit unter Umständen wichtige Instrumente zur Erfüllung ihrer Aufgaben entzogen.

Hingegen würde sich durch die Annahme der Initiative nichts ändern bezüglich Zugang zu Bankdaten: Bereits unter geltendem Recht können die Steuerverwaltungen bei den Banken wegen des Bankgeheimnisses keine Auskunft betreffend die Bankdaten der steuerpflichtigen Personen verlangen.

Strafverfahren ­ Steuerübertretungen Nicht alle von den kantonalen Steuerbehörden geführten Steuerhinterziehungsverfahren beruhen auf einem Verdacht, dass ein grosser Steuerbetrag hinterzogen wurde. Bei einer Annahme der Initiative würden in diesen Fällen, das heisst bei allen von den kantonalen Steuerbehörden verfolgten Widerhandlungen, die nicht unter Artikel 13 Absatz 4 Buchstabe b der Initiative fallen, die den kantonalen Steuerbehörden heute zur Verfügung stehenden Untersuchungsmittel eingeschränkt. Da sich das Steuerhinterziehungsverfahren nach den Grundsätzen des Veranlagungsverfahrens richtet, könnte die kantonale Behörde keine Auskünfte bei Dritten nach den Artikel 127 ff. DBG mehr einholen. Sie würde somit nur noch über die Informationen der steuerpflichtigen Person verfügen, um die Untersuchung vorzunehmen.

Die bereits begrenzten Möglichkeiten der Behörde, Informationen von Dritten einzuholen, würden damit noch eingeschränkt.

Strafverfahren ­ Steuervergehen Artikel 13 Absatz 4 Buchstabe a der Initiative übernimmt bei den Steuervergehen nur den Steuerbetrug (Art. 186 DBG); die Veruntreuung von Quellensteuern wird nicht erwähnt (Art. 187 DBG). Demnach könnte die Strafverfolgungsbehörde bei Annahme der Initiative nur noch im Fall von Steuerbetrug Auskünfte von Dritten einholen. Beim Verdacht auf Veruntreuung
von Quellensteuern wären Dritte nicht zur Auskunft berechtigt. Da die Veruntreuung von Quellensteuern keine qualifizierte Form der Hinterziehung von Quellensteuern darstellt, ist nicht ausgeschlossen, dass der zuständigen Behörde durch die Annahme der Initiative der Zugang zu Auskünften von Dritten bei dieser Straftat verwehrt wird.

Strafverfahren ­ besondere Untersuchungsmassnahmen der ESTV Hinsichtlich der besonderen Untersuchungsmassnahmen der ESTV übernimmt Artikel 13 Absatz 4 Buchstabe b der Initiative nur einen Teil des entsprechenden Tatbestands nach Artikel 190 DBG und bestimmt, dass Dritte gegenüber Behörden nur zur Auskunft berechtigt sind, wenn «vorsätzlich und fortgesetzt ein grosser Steuerbetrag» hinterzogen wurde. Bei Annahme der Initiative wären somit der Steuerbetrag und die Dauer der Hinterziehung ­ kumulativ ­ massgebend, damit die Behörde Zugang zu Informationen von Dritten erhält. Andere Tatbestandselemente wie beispielsweise die Komplexität der Tat wären für den Zugang zu Informationen 7069

nicht von Bedeutung. Als Folge würden die der Behörde im Rahmen der Verfolgung zur Verfügung stehen Möglichkeiten erheblich eingeschränkt. Würde beispielsweise eine steuerpflichtige Person mittels eines komplexen Vorgehens mit Scheinfirmen im Ausland einmalig einen grossen Steuerbetrag hinterziehen, hätte die Behörde ebenso wenig Zugang zu Informationen Dritter wie bei einer fortgesetzten Hinterziehung eines mittleren Betrags.

Mit Annahme der Initiative würde ausserdem eine Ungereimtheit bei der Verfolgung der Straftaten im Bereich der Quellensteuer geschaffen. Wie im Abschnitt oben erwähnt, hätte die Behörde im Fall der Veruntreuung von Quellensteuern (Art. 187 DBG), bei der es sich wie beim Steuerbetrug um ein Steuervergehen handelt, keinen Zugang zu Informationen Dritter. Hingegen hätte sie bei einer Steuerhinterziehung der Quellensteuer (Art. 175 Abs. 1 DBG), die als Steuerübertretung gilt, Zugang zu Informationen, wenn fortgesetzt ein grosser Steuerbetrag hinterzogen wird.

Allgemein würde mit Annahme der Initiative ein neues Verfahrenselement eingeführt, indem ein Gericht das Vorliegen eines begründeten Verdachts auf eine Straftat nach Artikel 13 Absatz 4 Buchstabe a und b der Initiative bestätigen muss. Die Umsetzung wird dem Gesetzgeber obliegen. Eine Verlängerung der Verfahrensdauer und eine Erhöhung der Verfahrenskosten wären nicht auszuschliessen.

Erbschafts- und Schenkungssteuern der Kantone Erbschafts- und Schenkungssteuern sind direkte Steuern, die von den Kantonen erhoben und veranlagt werden. Auf die Schenkungssteuer hätte die Initiative voraussichtlich keinen Einfluss, da die schenkende und die beschenkte Partei zur Auskunft über dieselbe Leistung verpflichtet sind. Bei den Erbschaftssteuern könnte die Initiative jedoch erhebliche Auswirkungen haben, da in diesem Fall in der Regel ein Nachlassinventar erstellt wird, bei dem eine Auskunftspflicht Dritter besteht. Es handelt sich dabei um Informationen im Zusammenhang mit direkten Steuern, die von den Kantonen erhoben und veranlagt werden. Die Einschränkungen der Auskunftspflicht nach Artikel 13 Absatz 4 der Initiative könnten somit eine vollständige und korrekte Veranlagung in diesem Bereich gefährden und zu Mindereinnahmen führen.

Indirekte Steuern Die Rechtsfolgen für die indirekten Steuern gemäss Ziffer 2.2.2 sind, abgesehen
von der MWST, beim Veranlagungsverfahren marginal. Da diese Steuern auf dem Selbstveranlagungsprinzip beruhen, sehen die jeweiligen Gesetze keine Auskunftspflicht Dritter vor. Beim Veranlagungsverfahren hätte die Initiative demnach hauptsächlich Auswirkungen auf die MWST.

Für das Strafverfahren gilt bei diesen Gesetzen das VStrR mit Massnahmen wie das Einvernehmen von Zeugen, die Herausgabe von Akten oder die Beschlagnahme.

Namentlich bei Einvernahmen von Zeugen bestünde ein zusätzliches verfassungsmässiges Zeugnisverweigerungsrecht, selbst wenn die Voraussetzungen von Artikel 13 Absatz 4 erfüllt sind, da diese Bestimmung zur Auskunftserteilung berechtigt, aber nicht dazu verpflichtet. Sind in Fällen von Artikel 13 Absatz 4 die Voraussetzungen nicht erfüllt, bestünde neu sogar eine verfassungsmässige Zeugnisverweigerungspflicht.

7070

Veranlagungsverfahren Unter den gegebenen Umständen erscheint es nicht ganz einfach, die konkreten Folgen abzuschätzen. Handelt es sich bei der gestützt auf Artikel 73 MWSTG auskunftspflichtigen Drittperson um eine selbst steuerpflichtige Person, sollten die Einschränkungen immerhin weniger gravierend sein. Selbst wenn diese Personen «bezogen auf das Verhältnis zwischen dem Rechtsträger und der Behörde als Dritte»44 zu gelten haben, werden sie der ESTV mit Bezug auf diese Tätigkeit dem Rechtsträger gegenüber regelmässig gestützt auf Artikel 68 MWSTG zur Auskunft verpflichtet sein (da ihre eigene Steuerpflicht oder Steuerschuld betroffen ist; z. B.

da sie ihm steuerbare Leistungen erbringen). Ferner müssten die Personen, die bislang noch nicht steuerpflichtig sind, aber als steuerpflichtige Person in Betracht fallen (erste Kategorie der auskunftspflichtigen Drittpersonen), für ihre eigenen Belange vom Anwendungsbereich der Initiative ausgeschlossen sein, und ihre Auskunftspflicht sollte insoweit weiterhin gelten.

In den übrigen Fällen jedoch (insbesondere, wenn keine Auskunftspflicht gestützt auf Artikel 68 MWSTG vorliegt) könnte die Initiative zu erheblichen Einschränkungen für die ESTV und ihre Tätigkeit führen. Betreffend die zweite (Mithaftende oder Steuernachfolger) und die letzte Kategorie von Drittpersonen (massgeblich an einer Gesellschaft einer MWST-Gruppe Beteiligte) nach Artikel 73 Absatz 2 MWSTG ist ohne Weiteres denkbar, dass diese Beteiligten in zahlreichen Konstellationen als «Dritte» im Sinne der Initiative zu qualifizieren sind: Gesellschafter einer einfachen Gesellschaft, Liquidatoren oder Erben. Je nach Auslegung wären die Möglichkeiten der ESTV, die für sie erforderlichen Auskünfte bei Leistungserbringern einverlangen zu können, stark eingeschränkt oder unter Umständen gänzlich verwehrt.

Allgemein und bei allen Verfahren könnte die Initiative je nach Auslegung des Begriffs der Drittperson Auswirkungen auf die Amtshilfe im Inland haben. Wären nämlich als Dritte andere Verwaltungsbehörden als die zuständigen betroffen, so könnten sie nur noch mit Zustimmung der betroffenen Person Auskunft erteilen bzw. in den im Initiativtext bestimmten Fällen. Damit würden die Amtshilfemassnahmen bei der MWST (Art. 75 MWSTG) stark eingeschränkt. Die zuständige Behörde würde unter Umständen
nicht mehr über wichtige Arbeitsinstrumente für die Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen.

Strafverfahren Nicht alle Widerhandlungen bei den indirekten Steuern setzen die Verwendung falscher Urkunden (Initiativtext Art. 13 Abs. 4 Bst. a) oder das fortgesetzte Hinterziehen grosser Steuerbeträge (Initiativtext Art. 13 Abs. 4 Bst. b) voraus. Als Beispiele kann man den Abgabe- und Leistungsbetrug (Art. 14 Abs. 1 und 2 VStrR), die Herstellung einer unwahren Urkunde (Art. 15 VStrR), die Unterdrückung von Urkunden (Art. 16 VStrR) und die Begünstigung (Art. 17 VStrR) erwähnen.

Die Tatbestände des Abgabe- und Leistungsbetrugs (Art. 14 VStrR) basieren ­ entgegen dem Tatbestand des Steuerbetrugs bei den direkten Steuern (Art. 186 DBG) ­ nicht auf dem Urkunden-, sondern auf dem Arglistmodell. Betrügerisches Verhalten setzt deshalb nicht zwingend die Verwendung einer falschen Urkunde voraus (vgl. Initiativtext Art. 13 Abs. 4 Bst. a). Damit fallen Straftaten nach Arti44

Vollständiges Argumentarium des Initiativkomitees, Ziff. 3.3 Bst b, S. 6, abrufbar unter: www.privatsphaere-schuetzen.ch > Darum geht es > Argumentarium (Stand: 24. Juli 2015).

7071

kel 14 VStrR, bei welchen sich die Arglist nicht aufgrund der Verwendung solcher Urkunden ergibt, nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 13 Absätze 4­6 der Initiative, mit der Folge, dass ihre Verfolgung kaum mehr möglich wäre.

Aus dem Verbot, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gewonnene Beweismittel im Strafverfahren zu verwenden (Art. 104 Abs. 3 MWSTG; vgl. oben Ziff. 2.2.2), ergibt sich ausserdem, dass die ESTV die Beweise mit den «Werkzeugen» des VStrR erheben muss. Die Erteilung von Finanzauskünften (Buchhaltung, Bankunterlagen, Dokumente zu nicht verbuchtem Geschäftsverkehr usw.) ist nicht nur ein Teil dieser «Werkzeuge», sondern die Hauptquelle der Informationen beziehungsweise Beweise bei der Verfolgung von Widerhandlungen im MWST-Bereich. Die Verfolgung bestimmter Vergehen bei der MWST wäre somit bei Annahme der Initiative namentlich aufgrund von Artikel 104 Absatz 3 MWSTG nur noch sehr schwer möglich.

Einfuhrsteuer Da für die Einfuhrsteuer sinngemäss die Auskunftspflicht nach den Bestimmungen für die MWST im Inland gilt (Art. 62 Abs. 2 MWSTG), kann auf die Erläuterungen oben verwiesen werden.

4.2.2

Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung

Die Initiative sieht vor, dass in anderen als Steuerbelangen, beispielsweise in Bezug auf die Geldwäscherei, das Gesetz die Voraussetzungen für die Auskunftserteilung regelt (Art. 13 Abs. 7 Initiativtext). Daraus könnte man schliessen, dass die Meldepflicht eines Verdachts an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) nach Artikel 9 des Geldwäschereigesetzes vom 10. Oktober 199745 (GwG) oder das Melderecht nach Artikel 305ter Absatz 2 StGB von der Initiative nicht berührt werden.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob Artikel 13 Absatz 7 der Initiative auch auf Verdachtsmeldungen anwendbar ist, die sich auf eine Steuervortat beziehen oder einen Zusammenhang mit Steuern haben und eine Person mit Wohnsitz in der Schweiz betreffen. Eine mögliche Auslegung wäre, dass Artikel 13 Absatz 4 der Initiative anwendbar ist, sobald ein Zusammenhang mit direkten oder indirekten Steuern besteht. Dies ist die Interpretation, die das Initiativkomitee im Argumentarium vornimmt.

Bei dieser Auslegung hätte die Initiative erhebliche negative Auswirkungen auf die künftige Anwendung des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 201446 zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d'action financière (GAFI) sowie auf das gegenwärtige Dispositiv zur Bekämpfung der Geldwäscherei und insbesondere das Meldesystem.

Zum einen würde die Initiative den Finanzintermediären, die mit dem genannten Gesetz eingeführte Verdachtsmeldung über Steuervortaten an die MROS (Art. 305bis Abs. 1bis nStGB [direkte Steuern] und Art. 14 Abs. 4 nVStrR [indirekte Steuern]) verbieten, wenn die betroffene Kundin oder der betroffene Kunde in der Schweiz 45 46

SR 955.0 AS 2015 1389

7072

Wohnsitz hat. Die Initiative (Art. 13 Abs. 6) hätte auch Auswirkungen auf das geltende Recht, und zwar in Bezug auf die Verdachtsmeldung des Zollschmuggels nach dem geltenden Artikel 14 Absatz 4 VStrR, wenn die betroffene Person Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz hat.

Somit könnte ein Finanzintermediär der MROS keinen Verdachtsfall von Steuervortaten der Kundinnen und Kunden oder wirtschaftlich Berechtigten mit Wohnsitz in der Schweiz melden. Diese könnten der Auskunftserteilung nicht zustimmen, da sie ja vom Finanzintermediär nicht über eine Verdachtsmeldung informiert werden dürfen (Art. 10a GwG). Es handelt sich dabei auch nicht um ein Strafverfahren. Mit anderen Worten wären die Steuervortaten de facto auf Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz nicht anwendbar, da diese der MROS nicht gemeldet werden könnten, was den GAFI-Empfehlungen widerspricht.

Zweitens könnte die Initiative je nach Auslegung des Begriffs «im Zusammenhang mit direkten Steuern» oder sinngemäss angewendet «im Zusammenhang mit indirekten Steuern» noch weiter gehen und einem Finanzintermediär auch die Meldung einer nicht fiskalischen Vortat an die MROS verbieten, wenn im betreffenden Fall auch noch ein steuerlicher Aspekt vorliegt, beispielsweise wenn eine Kundin oder ein Kunde mit Wohnsitz in der Schweiz Gelder krimineller Herkunft (Betäubungsmittelhandel = Vortat) deponieren will, die aber zudem auch nicht versteuert sind (Steuerhinterziehung = keine Vortat). In der Praxis besteht aber bei vielen Meldungen nachweislich oder mutmasslich ein Zusammenhang mit einer Steuerwiderhandlung. Die Finanzintermediäre müssten somit ihre Analysen vertiefen, um vor einer Meldung jeden steuerlichen Aspekt auszuschliessen, was mit höheren Compliancekosten verbunden wäre. Im Endeffekt bestünde die Gefahr eines starken Rückgangs an Verdachtsmeldungen. Damit würde die Effizienz des Schweizer Meldesystems, das von der GAFI schon 2005 und 2009 wegen ungenügender Meldezahlen bemängelt wurde, infrage gestellt.

Schliesslich könnte durch die Initiative, wenn sie nach den Vorstellungen des Initiativkomitees ausgelegt wird, der Austausch der MROS mit ausländischen Partnerstellen beeinträchtigt werden. Der Austausch von Informationen zwischen der MROS und den ausländischen Meldestellen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung
ist bereits heute ein zentrales Element der Tätigkeiten der Schweizer Meldestelle und der Geldwäschereibekämpfung in der Schweiz. Mit dem neuen Gesetz zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der GAFI wird das Meldewesen zudem massgeblich geändert. Das neue System, das am 1. Januar 2016 in Kraft tritt, stellt nicht mehr die Einziehung in der Schweiz ins Zentrum, sondern wertet die internationale Komponente und insbesondere die Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden auf (vgl. Art. 9a GwG). Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass die MROS insbesondere Finanzinformationen mit ihren Partnerstellen wirksam und umfassend austauschen kann. Dieses Element ist für die GAFIKonformität wesentlich und für die Mitgliedschaft der Schweiz bei der EgmontGruppe (weltweiter Zusammenschluss aller wichtigsten Meldestellen) zentral.

Einschränkungen in diesem Bereich würden der Glaubwürdigkeit der Schweiz und damit der Reputation des Schweizer Finanzplatzes international schaden.

Im Endergebnis würde die Initiative bei einer Auslegung, die auch auf Geldwäschereimeldungen zu Personen mit Wohnsitz in der Schweiz und einem Bezug zu schweizerischen Steuern abzielt, die Konformität der Schweizer Gesetzgebung mit den GAFI-Standards infrage stellen und zahlreiche Fragen für den Finanzplatz Schweiz aufwerfen.

7073

4.2.3

Internationale Amtshilfe auf Ersuchen

Die Initiative wird die bestehende Rechtslage mit Bezug auf Ersuchen aus dem Ausland und deren Beantwortung durch die Schweiz nicht beeinflussen. Die ersuchenden ausländischen Behörden sind nämlich für die Anwendung und Durchsetzung des Steuerrechts ihres Staates zuständig, nicht für die direkten Steuern, die von den Kantonen veranlagt und eingezogen werden.

Mit Bezug auf Ersuchen der Schweiz an andere Staaten ist festzuhalten, dass in diesem Fall ausländische Behörden die Auskünfte an die Schweiz erteilen. Da der Begriff «Dritte» gemäss der Rechtsauffassung des Bundesrates ausschliesslich natürliche und juristische Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz umfasst, hätte die Initiative seines Erachtens in diesen Fällen keine Auswirkungen. Sollte der Gesetzgeber allerdings von einer anderen Interpretation des Begriffs «Dritte» ausgehen, könnten möglicherweise die Daten nicht verwendet werden.

4.2.4

Spontaner und automatischer Informationsaustausch im Steuerbereich (AIA)

Wie beim Informationsaustausch auf Ersuchen ist davon auszugehen, dass sich die Initiative nicht auf die Möglichkeiten der Schweiz auswirken wird, anderen Staaten im Rahmen des spontanen und des automatischen Informationsaustauschs Daten zu übermitteln. Diese Daten werden nicht für die direkten Steuern verwendet, die von den Kantonen veranlagt und eingezogen werden, sondern zur Anwendung und Durchsetzung des ausländischen Steuerrechts.

Im Rahmen des spontanen und des automatischen Informationsaustauschs wird die Schweiz auch Daten aus dem Ausland erhalten. Da der Begriff «Dritte» gemäss der Interpretation des Bundesrates ausschliesslich Dritte mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz umfasst, hätte die Initiative seines Erachtens auch in diesen Fällen keine Auswirkungen. Sollte der Gesetzgeber allerdings von einer anderen Interpretation des Begriffs «Dritte» ausgehen, könnten möglicherweise die Daten nicht verwendet werden.

4.2.5

Revision Steuerstrafrecht

Da die Revisionsvorlage zum Steuerstrafrecht noch nicht vorliegt, sind die möglichen Auswirkungen der Initiative darauf schwer abzuschätzen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Revision zwei Hauptziele verfolgt: Einerseits sollen auf alle Steuerstrafverfahren dieselben Verfahrensbestimmungen Anwendung finden, und andererseits soll die Beurteilung eines Lebenssachverhalts unabhängig von der betroffenen Steuer nach möglichst einheitlich ausgestalteten Straftatbeständen und nach strafrechtlichen Grundsätzen erfolgen. Steuerhinterziehung soll somit wie die anderen Widerhandlungen gegen Steuergesetze behandelt werden. Eine Annahme der Initiative würde ein absolutes Hindernis für diese Änderung des Steuerstrafrechts darstellen.

7074

4.2.6

Revision Verrechnungssteuerrecht

Aufgrund der zahlreichen negativen Stellungnahmen in der Vernehmlassung hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage zu vertagen und das Ergebnis der Abstimmung über die vorliegende Initiative abzuwarten, bevor die Überlegungen fortgeführt werden. Angesichts der Einschränkungen, welche die Initiative beim Zugang zu Informationen bei Banken festlegen will und die dem aktuellen Trend steigender Transparenzanforderungen, auch bei den Bankinstituten, widersprechen, würde eine Annahme der Initiative die Revisionsmöglichkeiten jedoch einschränken.

4.2.7

Finanzielle Auswirkungen

Die folgenden, zum Teil gegenläufigen Wirkungsmechanismen sind bei Annahme der Initiative denkbar:

47

­

Das ökonomische Grundmodell der Steuerhinterziehung macht diese von der Entdeckungswahrscheinlichkeit und der Höhe der Busse abhängig47. Die Höhe der Busse wird durch die Initiative nicht berührt. Indem aber die Auskunftspflichten Dritter durch die Initiative eingeschränkt werden, würde die Wahrscheinlichkeit sinken, dass Steuerhinterziehung im Inland entdeckt wird. Dies wiederum würde den Anreiz erhöhen, Steuern zu hinterziehen.

Infolge dieses direkten Effekts wären Mindereinnahmen zu erwarten.

­

Da das Bankgeheimnis nur im Inland gilt, könnten die schweizerischen Steuerbehörden Informationen verwerten, die sie von ausländischen Steuerbehörden erhalten. Damit würden die Anreize für die in der Schweiz Steuerpflichtigen sinken, über ausländische Finanzinstitute Steuern zu hinterziehen. Da gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit sinken würde, dass Steuerhinterziehung im Inland entdeckt wird (vgl. vorausgehendes Argument), würden für steuerunehrliche Personen mit Steuerpflicht in der Schweiz Anreize geschaffen, Kapitalanlagen aus dem Ausland in die Schweiz umzuschichten.

­

Das Grundmodell der Steuerhinterziehung vernachlässigt «weiche» Faktoren, die ebenfalls das Ausmass an Steuerehrlichkeit bestimmen. Zu nennen wäre hier insbesondere die Steuermoral. Sie ist definiert als die Bereitschaft, Steuern zu entrichten, selbst dann, wenn die Bussen und die Entdeckungswahrscheinlichkeit vernachlässigbar sind, d. h. auf Basis des Grundmodells eine Steuerwiderhandlung als wahrscheinlich angenommen würde. So klar die Definition der Steuermoral ausfällt, so vielfältig sind die Ansätze, die deren Ausmass zu erklären versuchen. Die Initiative könnte aufgrund des negativen direkten Effekts zu negativen indirekten Effekten auf die Steuermoral führen. Dies wäre der Fall, wenn aufgrund der sinkenden Entdeckungswahrscheinlichkeit Steuerwiderhandlungen zunehmen und Bürgerinnen und Bürger ­ mit bisher hoher Steuermoral ­ den Eindruck gewinnen,

Becker G (1968), Crime and punishment: An economic approach. Journal of Political Economy 76, S. 169­217.

Allingham, Michael G. and Agnar Sandmo (1972), «Income tax evasion: A theoretical analysis», Journal of Public Economics 1, S. 323­338.

7075

dass andere ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen. Solche «Kaskadeneffekte», welche die Steuermoral unterminieren, sind möglich.

­

Auf der anderen Seite lässt sich aber auch nicht ausschliessen, dass die Initiative die Steuermoral stärken könnte. Viele Studien deuten darauf hin, dass für eine korrekte Steuerentrichtung das Vertrauen gegenüber dem Staat eine wichtige Grösse darstellt48. Die von der Initiative vorgesehene Einschränkung des staatlichen Handlungsbereichs könnte auch als Akt des Vertrauens des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern interpretiert werden, der eine reziproke Wirkung entfalten könnte. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass die Steuermoral durch die Initiative gestärkt werden könnte.

Wenn die heute bestehenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Dritter im Veranlagungs- und Strafverfahren stark eingeschränkt werden, sodass die Steuerbehörden nicht mehr oder nur erschwert korrekte und vollständige Steuerveranlagungen gewährleisten können, lassen sich eine Zunahme von Steuerwiderhandlungen und daraus entstehende Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden zumindest nicht ausschliessen. Die finanziellen Auswirkungen der Initiative lassen sich nicht quantifizieren, da sich das Ausmass der zum Teil gegenläufigen Wirkungsmechanismen nicht beziffern lässt.

4.2.8

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Mit einer Annahme der Initiative würden gewichtige administrative Effekte einhergehen. Für die Behörden dürfte der administrative Aufwand deutlich steigen, da in Zukunft zuerst ein Gericht entscheiden müsste, bevor Informationen bei Drittpersonen eingeholt werden können. Dies würde die Arbeit der Steuerbehörden erschweren. Die Initiative geht zudem weit über das Bankkundengeheimnis hinaus, da nicht nur die Mitwirkungspflichten von Banken betroffen wären. Beispielsweise könnte der Lohnausweis nicht mehr direkt vom Arbeitgeber an die Behörden versandt werden. Schliesslich würde die Initiative künftige Innovationen im administrativen Bereich verhindern, die der Vereinfachung des Veranlagungsverfahrens dienen würden, aber die Mitwirkung von Dritten erfordern würden.

Es ist nicht auszuschliessen, dass nach Annahme der Initiative deren Umsetzung zu neuer Rechtsunsicherheit führen würde. Dies betrifft die Geldwäscherei und die Terrorismusfinanzierung, insbesondere wenn der Verdacht im Zusammenhang mit Steuern auftritt und eine (beteiligte) Person mit Wohnsitz in der Schweiz involviert ist.

Schliesslich kann auch Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Besteuerung entstehen. Die Initiative will die Auskunftspflichten Dritter auf Personen mit Wohnsitz in der Schweiz beschränken. Unklar ist jedoch, wie mit Personen verfahren werden soll, die sowohl in der Schweiz als auch im Ausland einen Wohnsitz haben.

48

Feld L, Frey B (2002), Trust breeds trust: How taxpayers are treated. Economics of Governance 3, S. 87­99.

Frey B, Torgler, B. (2007), Tax Morale and Conditional Cooperation. Journal of Comparative Economics 35, S. 136­159.

OECD (2013), Taxation and Development: What Drives Tax Morale, abrufbar unter: www.oecd.org > A to Z > Centre for Tax Policy and Administration (CTP) > Global relations in taxation > Tax & Development > What Drives Tax Morale?

7076

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Für die Schweizer Steuerpflichtigen würde die Initiative den Schutz der Privatsphäre gegenüber den Verwaltungsbehörden insbesondere in Bezug auf die finanziellen Verhältnisse bestätigen. Die Steuerbehörde könnte bei Dritten nur mit der Zustimmung des Steuerpflichtigen oder unter den in Steuerbelangen in der Verfassung und in anderen als Steuerbelangen im Gesetz definierten Voraussetzungen Auskünfte über die steuerpflichtige Person einholen. Das Vertrauen gegenüber dem Staat könnte dadurch gestärkt werden. Die Bürgerinnen und Bürger hätten mehr Eigenverantwortung bezüglich ihrer Auskunftspflicht, da der Staat mit Ausnahme von Strafverfahren keine Informationen ohne ihre Zustimmung einholen könnte.

Die Behörde hätte aber auch keinen Zugang zu wichtigen Informationen von Dritten über betroffene Personen, um deren Vermögenslage festzustellen. Dadurch könnte sie Verfassungsgrundsätze wie die Gleichbehandlung oder die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr gewährleisten. Die neuen Einschränkungen wären ausserdem der Steuerehrlichkeit abträglich und könnten zu Mindereinnahmen führen. Der verwehrte Zugang zu Informationen, die für die korrekte steuerliche Behandlung der Steuerpflichtigen nötig sind, könnte auch zu Mehrkosten führen. In vielen Situationen können durch Auskünfte von Dritten nämlich die Interessen der steuerpflichtigen Person, die die Mitwirkung verweigert, und des Staates gewahrt werden. Ohne diese Informationen müsste die Verwaltung nach Ermessen vorgehen, was mit einem grösseren Aufwand, einem Risiko der Fehleinschätzung und daraus folgenden Steuereinbussen für den Staat verbunden wäre.

Beschwerdeverfahren gegen diese Ermessensveranlagungen würden zu weiteren Kosten führen. Da das Strafverfahren eine Voraussetzung für die Einholung von Auskünften bei Dritten wäre, könnte auch die Zahl der Strafverfolgungen erheblich ansteigen.

Darüber hinaus könnte sich die Dauer der Strafverfahren wegen des erforderlichen Gerichtsentscheids, ob ein Verdacht auf Steuerbetrug begründet ist, verlängern und somit auch mehr Kosten verursachen.

Auf internationaler Ebene könnte die Initiative, die dem globalen Trend zu mehr Transparenz entgegenläuft, zu Nachteilen für die Schweiz führen. Sie würde dem Ansehen des Landes und mit hoher Wahrscheinlichkeit den Beziehungen zu anderen
Ländern schaden, insbesondere weil sie auf Verfassungsstufe jeder Bürgerin und jedem Bürger den Schutz der finanzielle Privatsphäre garantiert. Der verstärkte Schutz könnte je nach Auslegung der Initiative mit verschiedenen erheblichen Problemen bei der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung verbunden sein und die Einhaltung der GAFI-Standards durch die Schweiz infrage stellen.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Auslegung der Initiative unklar ist, ist eine Beurteilung der Auswirkungen nur mit Vorbehalt möglich. Neben den genannten Aspekten könnte auch der Austausch von Informationen mit dem Ausland berührt sein, was zum Ausschluss der MROS aus der Egmont-Gruppe führen könnte. Zur Erinnerung: Im Juni 2013 hat das Parlament den Ausschluss mit der Verabschiedung einer Änderung des GwG gerade noch abgewendet und damit gezeigt, welche Bedeutung es dem Verbleib der Schweiz in dieser Gruppe beimisst. Ein Ausschluss hätte weitere negative Folgen bezüglich der Einhaltung der GAFI-Standards, die die Zugehörigkeit der MROS zur Egmont-Gruppe verlangen.

7077

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Initiative unklar formuliert ist, was sich bezüglich Rechtssicherheit als Problem erweisen kann. Im Übrigen lehnt die Schweizer Bankiervereinigung, gestützt auf ein juristisches Gutachten, die Initiative ab. Sie erachtet zwar eine Revision des Steuerrechts in Bezug auf die Steuerkonformität in der Schweiz für nötig, ist aber der Meinung, dass die Initiative einen falschen Weg vorschlage. Zudem kritisiert sie, dass mit der Initiative eine Verfassungsgrundlage für Steuerhinterziehung angeboten werde, was dem Ziel eines steuerkonformen Finanzplatzes Schweiz zuwiderlaufe. Ausserdem könnte der Staat, so befürchtet die Bankiervereinigung, durch einen verstärkten Schutz der finanziellen Privatsphäre, wie ihn die Initiative fordert, gezwungen sein, Kontrollaufgaben auf die Banken als eine Art verlängerter Arm des Fiskus zu übertragen.

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Wie in Ziffer 4.3 dargelegt, könnte die Initiative je nach Auslegung Auswirkungen auf die Verpflichtungen der Schweiz in der GAFI sowie in der Egmont-Gruppe haben.

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Schlussfolgerungen

Der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre, die auch die finanzielle Privatsphäre umfasst, ist ein Grundrecht. Der Bundesrat ist der Meinung, dass die geltende Regelung im Steuer- und Finanzbereich die Wahrung dieses Grundrechts sicherstellt und eine Präzisierung deshalb unnötig ist. Das in der Steuergesetzgebung verankerte Steuergeheimnis gewährleistet die besondere Geheimhaltung im Steuer- und damit im Finanzbereich. Eine Annahme der Initiative würde zudem das Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat insofern kaum beeinflussen, als die Auskunftspflicht der Bürgerinnen und Bürger von der Initiative nicht direkt tangiert wird.

Nach Ansicht des Bundesrats ist die Bundesverfassung nicht der richtige Ort für eine zu präzise Umschreibung des Schutzes der Privatsphäre, wie sie die Initiative vorschlägt. Die neuen Bestimmungen würden der Behörde einen starren Rahmen aufzwingen, der ­ auch bei einer restriktiven Auslegung ­ nur sehr schwer geändert werden könnte. In erster Linie würden durch die Initiative die Handlungsmöglichkeiten des Staates im Steuerbereich eingeschränkt und damit eine korrekte und vollständige Steuerveranlagung gefährdet. Damit würde die Steuerhinterziehung erleichtert, die Steuergerechtigkeit verletzt und die Steuermoral untergraben. Darüber hinaus könnte das durch die Initiative verfassungsmässig geregelte Steuerrecht in wichtigen Bereichen wie dem Zugang zu Informationen bei Widerhandlungen nur noch sehr beschränkt geändert werden.

Nach geltendem Recht dürfen die Behörden in bestimmten Fällen zur Erfüllung der verfassungsmässigen Aufgabe, d. h. für eine korrekte Veranlagung, Informationen von Dritten einholen. Diese Informationen werden aber nicht öffentlich bekannt. Die Behörden, die sie besitzen, sind an das Amts- und das Steuergeheimnis gebunden.

Deshalb ist der Schutz der finanziellen Privatsphäre auch in diesen Fällen gewährleistet. Der Staat holt keine Informationen aus reiner Neugier ein, sondern nur wenn 7078

Bürgerinnen und Bürger ­ absichtlich oder nicht ­ ihre Mitwirkungspflicht nicht erfüllt haben. Der Begriff «Schnüffelstaat» trifft somit auf die Schweiz mit Sicherheit nicht zu.

Obwohl der Begriff Bankgeheimnis im Initiativtext nicht und im Argumentarium nur sparsam verwendet wird, beabsichtigt die Initiative insbesondere die Verankerung des steuerlichen Bankgeheimnisses im Inland auf Verfassungsstufe. Dazu ist festzuhalten, dass das Parlament zu dieser Frage bereits Stellung genommen und diese Verankerung abgelehnt hat49. Das heisst aber nicht, dass das Parlament das Prinzip des Bankgeheimnisses abschaffen möchte. 2013 wurde eine Petition zur Abschaffung des Bankgeheimnisses eingereicht50, der beide Räte keine Folge gaben.

Das per 1. Juli 2015 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Ausweitung der Strafbarkeit der Verletzung des Berufsgeheimnisses hat das Bankgeheimnis sogar noch aufgewertet. Das auf eine parlamentarische Initiative zurückgehende und vom Bundesrat unterstützte Gesetz schützt die Persönlichkeitsrechte der Kundinnen und Kunden und stärkt das Vertrauen in den Finanzplatz Schweiz. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Initiative deutlich über die verfassungsmässige Verankerung des Bankgeheimnisses hinausgeht.

Wie das Initiativkomitee anmerkt, sind die meisten Steuerpflichtigen steuerehrliche Personen, für die sich mit der Initiative nichts ändern würde. Eben diesen Steuerpflichtigen gegenüber wäre es aber kaum zu rechtfertigen, dass ein Prinzip in die Verfassung aufgenommen wird, das der Unehrlichkeit Vorschub leistet und die Verfolgung der einfachen Steuerhinterziehung erschwert oder gar verunmöglicht.

In Bezug auf die internationalen Beziehungen befürchtet der Bundesrat, dass eine Annahme der Initiative ­ trotz der Annahme des Bundesgesetzes zur Umsetzung der revidierten GAFI-Empfehlungen im Parlament ­ als ein falsches Signal aufgefasst werden könnte.

Aus diesen Gründen beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, die Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen und ihr keinen direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag entgegenzustellen.

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Standesinitiative des Kantons Tessin 02.312.

Petition Lörcher 13.2019.

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