15.021 Botschaft zur Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» vom 18. Februar 2015

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Februar 2015

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-3285

2503

Übersicht Der Bundesrat beantragt dem Parlament, die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Er teilt das Anliegen der Initiative, die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung in Entwicklungsländern zu verbessern und die Armut zu bekämpfen. Er erachtet den von der Initiative verfolgten Ansatz jedoch als nicht sachgemäss, bezweifelt die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Massnahmen und befürchtet schädliche Nebenwirkungen für die Schweizer Volkswirtschaft.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» wurde am 24. März 2014 mit 115 942 gültigen Unterschriften von den «Schweizer JungsozialistInnen» (JUSO) eingereicht. Sie verlangt einerseits, dass gewisse spekulative Geschäfte mit Finanzinstrumenten, die sich auf Agrarprodukte beziehen, verboten werden. Andererseits soll sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen, solche Geschäfte zu bekämpfen.

Mit diesen Massnahmen wollen die Initiantinnen und Initianten das Ausmass spekulativer Geschäfte auf den mit den physischen Agrarmärkten verbundenen Finanzmärkten (den sogenannten Warenterminmärkten) begrenzen. Sie möchten damit erreichen, dass die Preise auf den internationalen Agrarmärkten weniger schwanken. Dadurch soll schliesslich die Ernährungslage in Entwicklungsländern verbessert werden.

Vorzüge und Mängel der Initiative Der Bundesrat teilt die Ansicht der Initiantinnen und Initianten, dass hohe Preise von Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung in Entwicklungsländern schwerwiegende Konsequenzen haben können. Dies insbesondere in Ländern, die stark auf den Import dieser Produkte angewiesen sind. Der Bundesrat erachtet den Vorschlag der Initiative jedoch aus verschiedenen Gründen als ungeeignet, um dieses Problem wirksam anzugehen.

Zunächst ist es aufgrund der vorliegenden Informationen wenig wahrscheinlich, dass spekulative Geschäfte auf den Warenterminmärkten massgeblich zu den starken Preissteigerungen von 2007/08 und 2010/11 beigetragen haben. Vielmehr sind diese starken Anstiege durch ein Zusammenspiel aus historisch tiefen Lagerbeständen und ungünstigen Wetterereignissen in wichtigen Anbaugebieten wie Dürren oder Fröste erklärbar, die durch Ausfuhrbeschränkungen von Exportländern und Aufkaufversuche von Importländern weiter verstärkt
wurden. Es ist deshalb grundsätzlich zu bezweifeln, dass eine Beschränkung spekulativer Geschäfte auf den Warenterminmärkten einen dämpfenden Einfluss auf stark ansteigende Preise hätte. Da die Spekulation auf diesen Märkten verschiedene nützliche und notwendige Funktionen erfüllt, ist eher zu befürchten, dass die Agrarmärkte aufgrund dieser Beschränkungen weniger gut funktionieren würden.

2504

Zweitens haben auf nationaler Ebene ergriffene Massnahmen praktisch keinen Einfluss auf die Vorgänge an den internationalen Warenterminmärkten. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass sich die Märkte, die im Fokus der Initiative stehen, grossmehrheitlich im Ausland befinden. Andererseits können Unternehmen das Verbot umgehen, indem sie ins Ausland ziehen oder die vom Verbot betroffenen Geschäfte dorthin verlagern. Die von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagene Regelung wäre somit ungeeignet, spekulative Geschäfte auf den Warenterminmärkten wirksam zu begrenzen.

Ein Verbot hätte in der Schweiz jedoch Auswirkungen auf verschiedene Gruppen von Unternehmen. Davon betroffen wären in erster Linie Banken, Unternehmen, die mit Agrarprodukten handeln, sowie industrielle Verarbeiter von solchen Produkten.

Für diese Unternehmen brächte das Verbot Kosten und je nach Betroffenheit auch relativ starke Einschränkungen in ihrer Geschäftstätigkeit mit sich. Dies bedeutete einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten aus dem Ausland. Es ist daher zu befürchten, dass Unternehmen mit Verlagerungen oder einer Einstellung der entsprechenden Geschäfte in der Schweiz auf eine solche Regelung reagieren würden. Bei einer Annahme der Initiative wäre somit mit Verlusten von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Steuereinnahmen zu rechnen. Dazu trägt auch bei, dass eine Annahme der Initiative die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz generell erhöhen würde, was eine negative Signalwirkung für den ganzen Wirtschaftsstandort Schweiz hätte.

Um die Anfälligkeit bestimmter Entwicklungsländer gegenüber starken Preisschwankungen zu verringern und die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern generell zu verbessern, sind aus Sicht des Bundesrates andere Ansätze zielführender. Der Bundesrat engagiert sich hierfür bereits im Rahmen verschiedener internationaler Organisationen, beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen. Im Rahmen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit setzt sich der Bund zudem dafür ein, die Landwirtschaft in Entwicklungsländern auf umweltverträgliche Art und Weise zu stärken. Dadurch kann längerfristig die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern generell
verbessert werden. Bei kurzfristigen Hungersnöten oder in Kriegssituationen engagiert sich die Schweiz hauptsächlich über die humanitäre Nothilfe.

Antrag des Bundesrates Aufgrund dieser Erwägungen beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Initiative Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

2505

Inhaltsverzeichnis Übersicht

2504

Abkürzungsverzeichnis

2507

1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit

2508 2508 2509 2509

2

Ausgangslage 2.1 Die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise und die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte 2.1.1 Die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise 2.1.2 Die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte 2.2 Auswirkungen der Preisspitzen auf die Entwicklungsländer 2.3 Politische Reaktionen 2.3.1 Internationale Agrarpolitik 2.3.2 Regulierung der Warenterminmärkte 2.3.3 Rechtslage und aktuelle Regulierungsprojekte in der Schweiz 2.3.4 Beitrag der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zur globalen Ernährungssicherheit

2510

3

Ziele und Inhalt der Initiative 3.1 Ziele der Initiative 3.2 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes 3.3 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

2524 2524 2524 2528

4

Würdigung der Initiative 4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative 4.2 Würdigung der zentralen Thesen der Initiative 4.2.1 Funktionen der Warenterminmärkte und die Rolle der Spekulation 4.2.2 Auswirkungen der Spekulation auf die Preise von Agrargütern 4.3 Umsetzbarkeit der Initiative 4.4 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme 4.4.1 Auswirkungen auf die betroffenen Akteure 4.4.2 Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 4.4.3 Wirksamkeit der Initiative 4.5 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

2528 2528 2529

Schlussfolgerungen

2541

5

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» (Entwurf)

2506

2510 2510 2512 2515 2518 2518 2519 2521 2523

2529 2530 2534 2535 2535 2539 2540 2541

2543

Abkürzungsverzeichnis AMIS CFTC DEZA EU FAO FinfraG FINMA G20 IOSCO IWF OECD SECO SNB UNCTAD UNO WTO

Agricultural Market Information System U.S. Commodity Futures Trading Commission Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Europäische Union Food and Agriculture Organization of the United Nations Finanzmarktinfrastrukturgesetz (Entwurf BBl 2014 7647) Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer International Organization of Securities Commissions Internationaler Währungsfonds Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Staatsekretariat für Wirtschaft Schweizerische Nationalbank United Nations Conference on Trade and Development Organisation der Vereinten Nationen Welthandelsorganisation

2507

Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» hat den folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 98a (neu)

Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln

Der Bund erlässt Vorschriften zur Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln. Dabei beachtet er folgende Grundsätze:

1

a.

Banken, Effektenhändler, Privatversicherungen, kollektive Kapitalanlagen und ihre mit der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung befassten Personen, Einrichtungen der Sozialversicherung, andere institutionelle Anleger und unabhängige Vermögensverwalter mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz dürfen weder für sich noch für ihre Kundschaft und weder direkt noch indirekt in Finanzinstrumente investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Dasselbe gilt für den Verkauf entsprechender strukturierter Produkte.

b.

Zulässig sind Verträge mit Produzenten und Händlern von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln über die terminliche oder preisliche Absicherung bestimmter Liefermengen.

Der Bund sorgt für einen wirksamen Vollzug der Vorschriften. Dabei beachtet er folgende Grundsätze:

2

a.

Aufsicht-, sowie Strafverfolgung und -beurteilung sind Sache des Bundes.2

b.

Fehlbare Unternehmen können unabhängig von Organisationsmängeln direkt bestraft werden.

Der Bund setzt sich auf internationaler Ebene dafür ein, dass die Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln weltweit wirksam bekämpft wird.

3

1 2

SR 101 Abs. 2 Bst. a enthält zwei orthographische Verschriebe. Sie haben keinen Einfluss auf den Sinn der Bestimmung und werden daher nach Rücksprache mit dem Initiativkomitee richtiggestellt. Abs. 2 Bst. a lautet demnach zutreffend: «a. Aufsicht sowie Strafverfolgung und -beurteilung sind Sache des Bundes.»

2508

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff. 103 (neu) 10. Übergangsbestimmung zu Art. 98a (Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln) Treten innerhalb von drei Jahren nach Annahme von Artikel 98a durch Volk und Stände die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg; diese gelten bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» wurde am 11. September 2012 von der Bundeskanzlei vorgeprüft4 und am 24. März 2014 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 17. April 2014 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 115 942 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.5 Die Initiative hat die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20026 (ParlG) hat der Bundesrat bis spätestens bis zum 24. März 2015 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 24. September 2016 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absätze 2 und 3 der Bundesverfassung:

3 4 5 6

a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem zwingenden Völkerrecht.

Die definitive Nummerierung dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

BBl 2012 8079 BBl 2014 3301 SR 171.10

2509

2

Ausgangslage

2.1

Die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise und die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte

Anlass für die Entstehung der Initiative bilden einerseits die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren sowie andererseits strukturelle Veränderungen auf den Terminmärkten für (Agrar-)Rohstoffe, die als «Finanzialisierung» bezeichnet werden. Im nationalen Kontext kann die Initiative auch im Zusammenhang mit der Bedeutung der Schweiz als Finanzplatz sowie als Zentrum für den physischen Handel mit (Agrar-)Rohstoffen (vgl. Ziff. 4.4.1) gesehen werden.

2.1.1

Die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise

Die Preise vieler Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel waren in den letzten Jahren von starken Preisschwankungen geprägt. Exemplarisch kann dies an der Entwicklung der Weltmarktpreise für Weizen, Mais, Reis und Soja gezeigt werden (Abb. 1). Weizen, Mais und Reis sind für die Ernährung in Entwicklungsländern von besonderer Bedeutung (vgl. Ziff. 2.2), und Soja zählt zu den international am stärksten gehandelten Agrarrohstoffen.

Der Weltmarktpreis widerspiegelt dabei in erster Linie Angebot und Nachfrage des international gehandelten Teils der globalen Produktion. Dieser Anteil unterscheidet sich je nach Gut relativ stark. Er lag 2012/13 beim Reis mit 7,5 % der Weltproduktion und beim Mais mit gut 11 % eher tief. Beim Weizen lag er im selben Zeitraum etwas höher bei gut 21 % und bei den Sojabohnen am höchsten bei gut 37 %.7 Ein tiefer Anteil bedeutet, dass der inländische Bedarf nach diesen Gütern vor allem durch die inländische Produktion gedeckt wird. Die Weltmarktpreise für bestimmte Nahrungsmittel sind vor allem für jene Länder wichtig, die viel von diesen Gütern importieren. Daneben hängt die Stärke des Zusammenhangs zwischen Weltmarktpreisen und nationalen oder lokalen Preisen von weiteren Faktoren ab. In Entwicklungsländern sind beispielsweise viele lokale Märkte aufgrund schlechter Transportwege nicht in den Weltmarkt integriert (vgl. Ziff. 2.2).

7

Quelle: AMIS, vgl. www.amis-outlook.org.

2510

Abbildung 1 Preisentwicklung der wichtigsten Grundnahrungsmittel8

Wie in der Grafik ersichtlich, stiegen die Preise aller betrachteten Nahrungsmittel nach Mitte 2006 stark an, gefolgt von einem ebenso starken Rückgang bis Mitte 2010. Die Startpunkte des Anstiegs waren allerdings je nach Gut verschieden. Während die Preise für Soja und Mais bereits 2006 zu steigen begannen, setzte der Anstieg beim Weizen (Mai 2007) und beim Reis (Oktober 2007) später ein, er erfolgte aber insbesondere beim Reis in einem extrem hohen Tempo. Ab Mitte 2010 kam es bei Soja, Weizen und Mais wiederum zu einem starken Anstieg mit darauffolgendem Rückgang, gefolgt von einem nochmaligen Anstieg Anfang 2012 (Soja) und Mitte 2012 (Mais, Weizen). Seither sind die Preise dieser drei Nahrungsmittel wiederum stark gefallen. Demgegenüber blieb die Preisentwicklung beim Reis nach dem Anstieg 2007 und dem starken Rückgang relativ konstant, und die Preise sind seit Mitte 2012 ebenfalls leicht gesunken.

8

Quelle: IWF, vgl. www.imf.org > research > commodity prices.

2511

Abbildung 2 Inflationsbereinigte Nahrungsmittelpreise im langfristigen Vergleich9

Die längerfristige Perspektive (bei der auch die Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus in Betracht gezogen werden muss) zeigt jedoch, dass die 2008 und 2011/12 erreichten Preisspitzen bei den Nahrungsmitteln keineswegs historische Höchstwerte darstellten und die Nahrungsmittelpreise seit den Nachkriegs-Höchstständen in den 1970er-Jahren bis zur Mitte der 2000er-Jahre einen sinkenden Trend aufwiesen (Abb. 2).10 Zudem zeigt sich, dass Ausschläge der Weltmarktpreise von einzelnen oder mehreren Nahrungsmitteln historisch gesehen nichts Neues sind. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Preise von Nahrungsmitteln aufgrund der Eigenschaften dieser Güter naturgemäss recht schwankend sind. Zum einen unterliegt ihre Produktion unvorhersehbaren äusseren Einflüssen (z. B. Dürren, Fluten), zum anderen sind sowohl Angebot als auch Nachfrage nach diesen Gütern kurzfristig relativ starr, insbesondere wenn die Lagerbestände tief sind. Dies hat zur Folge, dass bereits kleine Veränderungen von Angebot oder Nachfrage grosse Preisschwankungen auslösen können.

2.1.2

Die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte

Warenterminmärkte sind Märkte, auf denen Rohstoffe «auf Termin», d. h. auf einen zukünftigen Zeitpunkt hin, gehandelt werden.11 Dies geschieht in der Form eines Handels von Kontrakten, d. h. von zukünftigen vertraglichen Verpflichtungen oder 9 10

11

Quelle: IWF. Quelle für die Nahrungsmittelpreise IMF (wie Fussnote 8) sowie für den US-Konsumentenpreisindex: www.bls.gov/cpi/.

In dieser Grafik wurden die Preise mit dem US-Konsumentenpreisindex um die Teuerung bereinigt. Damit wird gewissermassen die Perspektive einer US-Konsumentin oder eines US-Konsumenten eingenommen. Die langfristige Perspektive der Konsumenten anderer Länder (insbesondere der Entwicklungsländer) müsste dementsprechend von den USA abweichende Inflationsraten und auch die Entwicklung des jeweiligen Wechselkurses zum US-Dollar berücksichtigen.

Märkte, auf denen ein zeitlich mehr oder weniger unmittelbarer Güteraustausch zwischen Käufer und Verkäufer stattfindet, werden als Spot- oder Kassamärkte bezeichnet.

2512

Rechten. In einem solchen Vertrag kann sich ein Produzent beispielsweise verpflichten, einem Händler zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Kaffee zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Die Warenterminmärkte sind dadurch eng mit den physischen Spot-Märkten verbunden. Die Hauptfunktionen der Warenterminmärkte sind die Absicherung gegen Preis- oder Ernteschwankungen und die Preisfindung (vgl. Ziff. 4.2).

Terminmärkte können nach der Art und Weise, wie auf ihnen gehandelt wird, weiter unterteilt werden. Grundsätzlich kann dies entweder über Handelsplätze (Börsen oder multilaterale Handelssysteme) oder «Over-the-counter» (OTC) geschehen, d. h.

ausserhalb von Handelsplätzen. Während der Börsenhandel relativ standardisiert ist, kann der OTC-Terminhandel unterschiedliche Formen annehmen. Darunter fallen sowohl der bilaterale Handel über organisierte Handelssysteme als auch direkt bilateral abgeschlossene Kontrakte zwischen zwei Parteien, wo auf die spezifischen Bedürfnisse der Vertragsparteien zugeschnittene Terminkontrakte ausgehandelt werden. Ein wichtiges Merkmal des OTC-Handels ist, dass die Vertragsparteien dabei jeweils das Risiko eines Ausfalls der Gegenpartei tragen.

Die auf Terminmärkten gehandelten Finanzinstrumente zählen zu den Derivaten12.

Sie können weiter unterteilt werden in Futures und Optionen, welche vornehmlich über Börsen gehandelt werden, sowie in Forwards und Swaps, die OTC gehandelt werden. Futures und Optionen sind standardisierte Terminkontrakte, welche die Pflicht (Futures) bzw. das Recht (Optionen) enthalten, einen bestimmten Vermögenswert an einem zukünftigen Zeitpunkt zu einem bestimmten Preis auszutauschen.

Die börsengehandelten Finanzinstrumente werden heutzutage allerdings praktisch ausschliesslich finanziell und nicht durch einen physischen Austausch der Ware erfüllt. Das heisst, sie werden durch ein entsprechendes Gegengeschäft ausgeglichen. Ein Forward wird meist als Ausdruck für ein bilaterales, nicht standardisiertes Termingeschäft gebraucht, beispielsweise wenn ein Bauer einem Müller sein Getreide bereits vor der Ernte zu einem bestimmten Preis verkauft. Ein Swap (engl.

für «Tausch») schliesslich ist ein Vertrag, der den Austausch von zukünftigen Zahlungsströmen beinhaltet, die sich ebenfalls von der Entwicklung einer zugrundeliegenden Variablen
ableiten. Swaps können also im Gegensatz zu den anderen Finanzinstrumenten im Rohstoffbereich nicht physisch erfüllt werden.

Mit der «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte ist gemeint, dass sich diese zuvor eher abgeschotteten Märkte Anfang der 2000er-Jahre durch regulatorische und technische Veränderungen (z. B. durch die Einführung des elektronischen Handels) zu öffnen begannen und zunehmend von neuen Akteuren genutzt wurden, die zuvor nicht oder nicht in diesem Ausmass auf diesen Märkten aktiv waren. Dies umfasst vor allem finanzielle Akteure wie Investmentbanken, Hedge Fonds und sogenannte Index-Investoren. Die Anzahl und das Volumen der gehandelten Rohstoff- und Agrarderivate stieg durch das Auftreten dieser Akteure, die erwähnten technischen Veränderungen und den zunehmenden physischen Handel dieser Güter seit 2000 stark an.

12

Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Bewertung von der zukünftigen Entwicklung einer oder mehrerer zugrunde liegender Variablen (sog. Basiswert) abgeleitet wird. Als Basiswerte können beispielsweise Aktien, Obligationen oder ein Wechselkurs verwendet werden. Ist der Basiswert ein Agrargut, so wird von einem Agrarderivat gesprochen.

2513

Im Zusammenhang mit der Debatte um die Auswirkungen der Spekulation auf den Warenterminmärkten stehen vor allem die Index-Investoren im Fokus. Dies sind Akteure, die gemäss einem bestimmten Korb von Rohstoffen (Index) in Rohstoffderivate investieren. Die entsprechenden Index-Produkte, meist Fonds oder strukturierte Produkte, werden hauptsächlich von Banken vertrieben und in Form von Anteilen an private oder institutionelle Anleger weiterverkauft. Das wesentliche Merkmal (traditioneller) Index-Händler ist dabei, dass sie ­ von Geschäften zur Einhaltung der Index-Vorgaben abgesehen ­ ausschliesslich als Käufer von Rohstoffderivaten auftreten. Da sie jedoch nicht physisch an den Gütern interessiert sind, die den Derivaten zugrunde liegen, verkaufen sie diese vor dem Auslaufen der Kontrakte wieder und kaufen neue, weiter in der Zukunft liegende Kontrakte. Die Überlegung hinter dieser sogenannt «passiven» Investitionsstrategie war einerseits die Anfang der 2000er-Jahre vorherrschende Erwartung von steigenden Rohstoffpreisen sowie andererseits die Idee, dass es in Terminmärkten auf der Käuferseite eine Rendite als Entschädigung für übernommene Preisrisiken zu verdienen gibt.

Zudem gelten Rohstoffe (v. a. Energie und Metalle) als positiv mit der Inflation korreliert, was einem Anleger einen gewissen «Inflationsschutz» bieten kann. Da die Preise von Rohstoffen (v. a. der Agrarrohstoffe) im Gegensatz zu Aktien oder Immobilien relativ stark von Faktoren abhängen, die nicht mit dem Konjunkturzyklus korreliert sind (v. a. von der Witterung), bieten sie zudem eine Möglichkeit zur Risiko-Streuung einer Anlage. Da die Renditen vieler klassischer IndexProdukte mit den seit 2012 sinkenden Preisen abgenommen haben, wurden in jüngerer Zeit auch Index-Produkte mit aktiverer und flexiblerer Ausrichtung entwickelt.

Der Hauptanstieg des Engagements der Index-Investoren fiel auf die Periode zwischen 2004 und 2006. In dieser Zeit vervierfachten (Weizen, Mais) bzw. verdreifachten (Soja) sich die Käufer-Positionen der Index-Investoren in den betrachteten Märkten. Nachdem die Positionen in der zweiten Hälfte 2008 bei allen Kontrakten und vor allem beim Mais stark zurückgegangen waren, erfolgte ein weiterer starker Anstieg zwischen März/Mai 2009 und Mai/Juni 2010. In dieser Periode verdoppelten sich die offenen Positionen
der Index-Investoren aus Käuferseite beim Mais bzw. stiegen um gut 60 % (Weizen) bzw. 70 % (Soja) an.13 Die Aktivität von Index-Händlern und anderen finanziellen Akteuren konzentriert sich praktisch ausschliesslich auf die stark gehandelten Kontrakte an Terminbörsen.

Im Agrarbereich sind dies hauptsächlich die an den amerikanischen Börsen gehandelten Futures auf Mais, Weizen, Soja, Zucker, Kaffee, Baumwolle, Kakao sowie Vieh. Die dort vorhandene Liquidität ist für diese Händler wichtig, da so das Risiko relativ klein ist, vor Auslaufen des Vertrags keine Gegenpartei mehr zu finden und das Geschäft physisch erfüllen zu müssen. Die zentrale und meist kontinuierliche Abrechnung einer Transaktion auf den Börsen minimiert das Gegenpartei-Ausfallsrisiko, und die Akteure können im Vergleich zum direkten Kauf des Gutes nur mit einer kleinen Anfangsinvestition operieren. Die standardisierten Kontrakte dieser Plattformen ersparen zudem den Aufwand, die Details des gehandelten Vertrags (z. B. über die Qualität und die Menge des Gutes oder die Lieferdaten) bei jeder Transaktion individuell auszuhandeln.

13

Sanders, D.R., Irwin, S.H. (2011): New Evidence on the Impact of Index Funds in U.S.

Grain Futures Markets. Canadian Journal of Agricultural Economics 59, S. 519­532 und die aktuellen Daten der CFTC: www.cftc.gov > Market Reports > Commitments of Traders > Historical Compressed.

2514

Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Nahrungsmittel sind unterschiedlich stark von der «Finanzialisierung» betroffen. Während die Kontrakte auf Weizen, Mais und Soja relativ stark gehandelt und darum auch in den wichtigsten RohstoffIndizes enthalten sind, ist dies beim Reis nicht der Fall. Es gibt zwar einen FuturesKontrakt auf Reis an der Börse in Chicago, doch die gehandelten Volumina und damit die Liquidität dieses Kontrakts sind sehr gering. Reis ist aus diesem Grund auch nicht in den erwähnten Rohstoff-Indizes enthalten.

Die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise und die «Finanzialisierung» werden von den Initiantinnen und Initianten als kausal verknüpft angesehen. Aus ihrer Sicht hat die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte dazu geführt, dass diese Märkte übermässig spekulativ geworden sind, was die Nahrungsmittelpreise stark von ihren fundamental gerechtfertigten Werten weggeführt, d. h. diese substanziell verzerrt habe. Konkret habe die Spekulation auf den Warenterminmärkten zwischen 2007 und 2009 zu einer Preisblase bzw. 2010/11 zum starken Preisanstieg bei vielen dieser Produkte geführt. Dies habe wiederum in zahlreichen Entwicklungsländern Schwierigkeiten bei der Lebensmittelversorgung verursacht.

2.2

Auswirkungen der Preisspitzen auf die Entwicklungsländer

Die wichtigsten Grundnahrungsmittel in Entwicklungsländern, die international gehandelt werden, sind Weizen, Mais und Reis. Diese machen zusammen über 90 % der getreidebasierten Kalorienzufuhr in diesen Ländern aus.14 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick darüber, in welchen Entwicklungsländern diese Nahrungsmittel mehrheitlich konsumiert und wie die Handelsbilanz dieser Länder aussieht.

Grundnahrungsmittel in:

Internationaler Handel

Weizen

Zentralasien inkl. Kaukasus, Nordafrika und Naher Osten inkl. Pakistan, Afghanistan und Nord-Indien, Süd-Asien, östliches und südliches Afrika

Die meisten Länder in Afrika, West- und Südost-Asien sind Netto-Weizen-Importeure. China und Indien sind dagegen Selbstversorger.

Reis

Ganz Asien und grosse Teile Afrikas, etwa Madagaskar, Senegal, Guinea Bissau, Elfenbeinküste oder Sierra Leone

Während viele asiatische Länder Selbstversorger oder sogar NettoExporteure sind (wichtige Ausnahmen sind die Philippinen, Bangladesch oder Laos), muss ein grosser Teil des afrikanischen Reiskonsums importiert werden.

Der internationale Reis-Handel ist relativ gering.

Mais

Östliches und südliches Afrika, Mittelamerika und Andenregion

Die lateinamerikanischen Gebiete (v. a. Mexiko) sowie Nord-Afrika sind Netto-Importeure, während die süd- und ostafrikanischen.

Länder als Region mehr oder weniger autark sind.

14

Shiferaw, B. et al. (2013): Crops that feed the world 10. Past successes and futures challenges to the role played by wheat in global food security. Food Security 5, S. 295.

2515

Entscheidend ist, inwiefern sich die im vorherigen Kapitel beschriebenen Preisschwankungen dieser Nahrungsmittel auf den internationalen Märkten auf die nationalen und lokalen Märkte auswirken. Denn für die Menschen in Entwicklungsländern (wie auch in anderen Ländern) sind die nationalen oder lokalen Preisentwicklungen ausschlaggebend.

Geschwindigkeit und Ausmass dieser Preisübertragungen (die sogenannte Preistransmission) variieren von Land zu Land. Sie werden durch eine ganze Reihe von politischen und strukturellen Faktoren bestimmt: Handelspolitik (Import- und Exportsteuern, temporäre Zollsenkungen oder Exportverbote), staatliche Nahrungsmittelkäufe oder -verkäufe, staatliche Lagerhaltung und Lagerbewirtschaftung, Transportkosten, Marktstruktur und Intensität des Wettbewerbs in der Versorgungskette sowie die Bevorzugung gewisser Nahrungsmittel oder Sorten (z. B. weisser statt gelber Mais) durch die Konsumentinnen und Konsumenten. Da die meisten international gehandelten Nahrungsmittel in Dollar notiert sind, ist auch die Entwicklung der nationalen Währung gegenüber dem US-Dollar wichtig. Schwächt sich dieser beispielsweise gegenüber der nationalen Währung ab, verbilligt dies die Importe und senkt tendenziell die Preise.

Zudem muss unterschieden werden zwischen der Transmission von kurzfristigen Preisschwankungen (Preisvariabilität) und der Transmission längerfristiger Entwicklungen. Langfristig folgt die nationale Preisentwicklung international gehandelter Nahrungsmittel den internationalen Marktpreisen. Dies ist bei Weizen und Mais ausgeprägter als bei Reis, da Letzterer zu einem geringeren Anteil international gehandelt wird. Unterschiede zwischen dem nationalen und dem internationalen Preisniveau können jedoch auch längerfristig bestehen bleiben. Diese hängen beispielsweise von der Handelspolitik eines Landes ab (z. B. Höhe der Importzölle) sowie von den Transportkosten.

Die kurzfristige Preisvariabilität von Mais, Reis und Weizen auf nationalen Märkten wird in der Regel durch die oben erwähnten national unterschiedlichen Faktoren geprägt. Dabei weisen die nationalen Märkte in vielen Entwicklungsländern stärkere Preisschwankungen auf als die internationalen Märkte. Dies ist insbesondere bei Ländern der Fall, die nicht über effektive Institutionen verfügen, die Preisschwankungen abfedern
können (z. B. da sie nicht in der Lage sind, eine effektive Lagerhaltung und die Vermarktung oder Verteilung der Reserven zu organisieren). In diesem Zusammenhang kann der internationale Handel eine wichtige Rolle spielen: Er kann bei offenen Märkten nationale Angebots- oder Nachfrageschwankungen ausgleichen und so die Preisvariabilität auf nationalen Märkten dämpfen.

Erwartungsgemäss unterscheiden sich die Auswirkungen der starken Anstiege der Weltmarktpreise von 2007/8 und 2010/11 innerhalb der Entwicklungsländer. Es lassen sich grundsätzlich drei Gruppen von Ländern unterscheiden: 1.

2516

Eine erste Gruppe von Ländern (z. B. China, Indien) war relativ schwach vom internationalen Preisanstieg betroffen. Sie setzten Massnahmen zur Stabilisierung des nationalen Marktes ein, wie z. B. Exportrestriktionen oder den Verkauf aus staatlichen Lagern. Dank dieser Eingriffe der Politik sowie staatlicher Hilfsprogramme konnte die Ernährungssituation in diesen Ländern stabil gehalten oder sogar verbessert werden. Kehrseite der Exportrestriktionen waren eine verstärkte Preiserhöhung auf internationalen Märkten und die reduzierte Verfügbarkeit dieser Nahrungsmittel in anderen importabhängigen Ländern (vgl. Ziff. 4.2).

2.

Eine zweite Gruppe bilden jene Länder, die netto mehr Grundnahrungsmittel importieren als exportieren. Typischerweise gehören afrikanische Länder in diese Kategorie (z. B. Äthiopien, Kenia, Mosambik, Sambia, Uganda, aber auch Ägypten), von denen viele über keine ausreichenden Devisen und Lagerbestände verfügten. Entsprechend schnellten die Nahrungsmittelpreise auch auf den nationalen Märkten in die Höhe. Da viele der ärmeren Haushalte einen grossen Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, können selbst mässige Preissteigerungen sehr schnell zu Unter- und Mangelernährung oder gar Hunger führen.

3.

Eine dritte Gruppe von Ländern profitierte tendenziell von den höheren Preisen, da sie netto mehr Grundnahrungsmittel exportieren als importieren und zugleich auch ein erheblicher Anteil ärmerer Bevölkerungsgruppen netto Nahrungsmittel verkauft. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Thailand und Vietnam. Hier verbesserte sich die Ernährungssituation in der Summe.

Häufige Merkmale von Ländern in der zweiten Gruppe sind eine schlechte Basisinfrastruktur (insbesondere Strassennetz), eine ungenügende Flexibilität des Nahrungsmittelangebotes, schlecht funktionierende Märkte, schwache Kapazitäten zum Nahrungsmittelimport, politische Instabilität und prekäre Sicherheitslage, eine hohe Abhängigkeit von einem einzigen Grundnahrungsmittel und Anfälligkeit auf klimatische Schwankungen und Veränderungen. In vielen dieser Länder führten die Preisanstiege auch zu sozialen Unruhen und sogenannten Hungerrevolten (z. B. Ägypten, Burkina Faso, Haiti, Jemen, Kamerun, Mauretanien, Mosambik).

Innerhalb der besonders betroffenen Länder sind wiederum bestimmte Bevölkerungsgruppen dem Preisanstieg stärker ausgesetzt. Dies betrifft besonders die ärmere, städtische Bevölkerung. Aber auch ländliche Haushalte sind betroffen, wenn sie nicht genügend Geld zum Kauf von Grundnahrungsmitteln haben und diese gleichzeitig nicht ausreichend selbst produzieren können.

Kleinkinder sind besonders gefährdet, da Fehl- und Mangelernährung in den ersten 1000 Lebenstagen zu langfristigen Schädigungen führen kann, welche die Chancen auf eine gesunde Entwicklung lebenslang einschränken. Da viele arme Haushalte bereits nahe am Existenzminimum leben und keine Ersparnisse haben, können auch kurzfristige Preiserhöhungen dazu führen, dass sich die Haushalte weiter verschulden und aus dem wirtschaftlichen Gleichgewicht geraten. Im ländlichen Kontext müssen dann Produktionsmittel wie Vieh oder Land verkauft werden, oder Schuldzinsen können nicht gezahlt werden. Der Verkauf von Vieh oder Land kann zur Armutsfalle werden, weil damit die Grundlage für die Produktion im darauf folgenden Jahr ausfällt. Ausserdem stehen die zusätzlich für Nahrung verwendeten Geldmittel nicht mehr zur Verfügung für andere Ausgaben wie Gesundheit und Ausbildung. Dies hat wiederum negative Konsequenzen für die langfristigen Entwicklungsperspektiven der betroffenen Menschen und Haushalte, besonders für Mädchen, die häufig als erste aus der Schule genommen werden. Schliesslich können kurzfristige Schwankungen auch dazu führen, dass Bauern weniger in Produktionsmittel investieren, weil die Planungssicherheit sinkt. Die FAO schätzt, dass die Anzahl unterernährter Menschen zwischen 2007 und 2008 auf dem afrikanischen Kontinent insgesamt um 8 % gestiegen ist.15

15

FAO (2011): The State of Food Insecurity in the World. How does international price volatility affect domestic economies and food security? S. 8.

2517

Aus einer Langfristperspektive kann hingegen ein Trend zu höheren Preisen bei guten politischen Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass sich die Anreize für Investitionen im Agrarsektor erhöhen und dadurch die Nahrungsmittelproduktion ansteigt, gerade auch in Entwicklungsländern. Dies kann die Widerstandsfähigkeit eines Landes oder einer Region gegen Preisschwankungen der Grundnahrungsmittel erhöhen. Voraussetzung hierfür ist indessen, dass die Preisaussichten einigermassen stabil sind und auch die entsprechenden Produktionsmittel wie Land, Saatgut und Dünger vorhanden sind. Eine erhöhte Nahrungsmittelproduktion geht einher mit einer höheren Nachfrage nach Arbeitskräften. Dies führt zu einer Zunahme der Verdienstmöglichkeiten in ländlichen Gebieten oder einem Anstieg der Löhne für landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Dieser Prozess dauert jedoch in der Regel einige Jahre und kann nicht kurzfristig höhere Haushaltsausgaben für Grundnahrungsmittel kompensieren.

Steigen die Investitionen im Agrarsektor und dadurch auch die Produktivität in diesem Sektor, so kann sich dies auch insgesamt positiv auf die ländliche Entwicklung auswirken. Denn höhere Einkommen aus dem Agrarsektor können zu einer steigenden Nachfrage nach nicht landwirtschaftlichen Gütern sowie Dienstleistungen führen. Daraus kann eine lokale wirtschaftliche Dynamik entstehen, die auch Einkommensmöglichkeiten in anderen Sektoren schafft.

2.3

Politische Reaktionen

Die starken Preisbewegungen seit 2007 und die damit verbundenen Konsequenzen für arme Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern haben auf politischer Ebene in verschiedenen Gebieten Diskussionen und Reformanstösse ausgelöst.16 In den folgenden Abschnitten werden diese Reaktionen in der internationalen Agrarpolitik sowie der Regulierung der Warenterminmärkte sowohl auf internationaler als auch auf Schweizer Ebene dargestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Regulierung der (Waren)Terminmärkte, wo auch die vorliegende Initiative ansetzt. Ebenso wird der Beitrag der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zur globalen Ernährungssicherheit gewürdigt.

2.3.1

Internationale Agrarpolitik

Ein wichtiger Fokus der politischen Diskussionen lag auf der Verbesserung der Funktionsweise der physischen Agrarmärkte. Besonders hervorgehoben wurden dabei die Verbesserung der Markttransparenz (z. B. bessere Informationen über die Produktion, den internationalen Handel sowie die Lagerbestände), der Aufbau von Notlagern, die als Puffer dienen können, die internationale Handelspolitik (z. B.

Abbau von Exporteinschränkungen für Nahrungsmittel) und eine bessere Abstimmung der politischen Interventionen im Krisenfall.

Zu den wichtigen internationalen politischen Beschlüssen in diesem Bereich gehört der Aufbau des «Agricultural Market Information System» (AMIS), das beim G20-Treffen vom Juni 2011 zur Erhöhung der Markttransparenz ins Leben gerufen 16

Für einen Überblick vgl. den von zehn internationalen Organisationen herausgegebenen Bericht «Price Volatility in Agricultural Markets: Policy Responses» vom Juni 2011.

2518

wurde. Die für Entwicklung und Ernährungssicherheit massgeblichen internationalen Organisationen (u. a. FAO, OECD, UNCTAD, Weltbank und WTO) bilden dazu ein gemeinsames Sekretariat, das in einem ersten Schritt für Weizen, Mais, Reis und Soja objektive und zeitnahe Daten sowie Informationen über Produktion, Handel, Nutzung und Lagerbestände zur Verfügung stellt. Mitglieder im AMIS sind neben den G20-Staaten und Spanien auch die derzeit weltgrössten Produktions- und Handelspartner dieser Rohstoffe (Ägypten, Vietnam, Thailand, Philippinen, Kasachstan, Nigeria und Ukraine). In dieser Konstellation soll AMIS in einem ersten Schritt konsolidiert werden, bevor über die Aufnahme weiterer Rohstoffe und Mitgliedländer entschieden wird.

Die Schweiz unterstützt im Rahmen verschiedener internationaler Organisationen (v. a. FAO und WTO) Bemühungen, das Funktionieren der internationalen Agrarmärkte zu verbessern. Im Rahmen der WTO-Doha-Runde strebt die Schweiz gemeinsam mit anderen Ländern derzeit etwa an, zur Verbesserung der Ernährungssicherheit klarere Regeln für Exportbeschränkungen in den Agrarverhandlungen zu erreichen. Das heute geltende WTO-Recht regelt in erster Linie den Angebotswettbewerb auf inländischen Märkten (Abbau von Zollschranken, Abbau von Produktionssubventionen) und auf Exportmärkten (Abbau von Exportsubventionen).

Regeln im Bereich der Nachfrage sind jedoch weniger weit entwickelt. Beispielsweise sind Exportrestriktionen, die nach 2007 massgeblich zu den Preisvolatilitäten beigetragen haben, unter gewissen Bedingung heute WTO-rechtlich zulässig oder nur teilweise geregelt.

Derzeit laufen in der WTO ebenfalls Verhandlungen zu einer definitiven Lösung über die Regeln für die Lagerhaltung von Nahrungsmitteln, die insbesondere von Indien verlangt wurden. Die Schweiz wird Lösungen unterstützen, die den Entwicklungsländern einen angemessenen politischen Spielraum zusichern, um die Ernährungssicherheit im eigenen Land zu verbessern, ohne dass dabei der internationale Wettbewerb im Agrarhandel stark verzerrt wird. Auch die Weiterentwicklung der bisher wichtigsten Agrarhandelsthemen in der WTO (Marktzugang, Inlandstützung, Exportwettbewerb) wird bei positivem Verhandlungsabschluss die Funktion der internationalen Agrarmärkte zur Stabilisierung der Ernährungsversorgung stärken.

2.3.2

Regulierung der Warenterminmärkte

Bei der Regulierung der Warenterminmärkte ist die Diskussion (die nicht nur Agrarderivate, sondern grundsätzlich alle Rohstoffderivate umfasst) in der G20 hervorzuheben. Die Staaten der G20 haben bereits 2009 vereinbart, die hohe Volatilität der Rohstoffpreise anzugehen. Im Fokus der G20 standen insbesondere die Verbesserung der Funktionsweise und die Erhöhung der Transparenz sowohl der physischen Märkte (vgl. vorangehende Ausführungen) als auch der Finanzmärkte und die Bekämpfung von Marktmissbrauch und Marktmanipulation. Inzwischen befindet sich die Regulierung der Warenterminmärkte allerdings nicht mehr weit oben auf der Agenda der G20.17

17

Im jüngsten «G20 Leaders Communiqué» vom 15./16. Nov. 2014 wird das Thema nicht erwähnt, und die entsprechenden internationalen Gremien (IOSCO, FSB) wurden diesbezüglich auch zu keinen weiteren Arbeiten aufgerufen.

2519

Aus den Arbeiten der G20 resultierten die 2011 von der International Organization of Securities Commissions (IOSCO)18 unter Führung der G20 und des Financial Stability Boards (FSB) erarbeiteten Prinzipien zur Regulierung und Überwachung der Märkte für Rohstoffderivate.19 Ein Verbot von Investitionen in bestimmte Derivateklassen, wie von der Initiative vorgesehen, war bislang in der internationalen Reformdiskussion kein Thema. Nach vorliegenden Kenntnissen wird ein solches Verbot ­ mit der Ausnahme von Frankreich20 ­ auch von keinem Land in Betracht gezogen.

Insgesamt hat die IOSCO 22 Prinzipien aufgestellt, die in fünf Gruppen21 unterteilt sind. Diese Prinzipien beziehen sich auf alle Rohstoffderivate und stellen die internationale Referenz bezüglich der Regulierung und Überwachung von Märkten für Rohstoffderivate dar. Die IOSCO-Prinzipien haben zum Ziel sicherzustellen, dass Märkte für Rohstoffderivate ihre Preisfindungs- und Absicherungsfunktion erfüllen können und dass möglicher Manipulation vorgebeugt wird. Vom Marktmissbrauch, bei dem ein mächtiger Akteur den Preis in einem Teilmarkt kurzfristig zu manipulieren versucht, ist die Spekulation zu unterscheiden, bei der ein Akteur Derivate abschliesst in der Hoffnung auf steigende oder sinkende Preise. Die IOSCOPrinzipien richten sich nicht spezifisch gegen die Spekulation. In einem Bericht vom Oktober 201222 und in einer im September 2014 veröffentlichten Aktualisierung23 kommt die IOSCO zum Schluss, dass die meisten relevanten Staaten einschliesslich der Schweiz diese Prinzipien bereits mehrheitlich erfüllen.

Gemäss den IOSCO-Prinzipien soll die Marktaufsicht24 u. a. über adäquate Interventionsmöglichkeiten verfügen, sobald die Märkte nicht ordnungsgemäss funktionieren. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Positionslimiten zu setzen. Positionslimiten sind Beschränkungen der Anzahl bestimmter Derivate, die von einem Marktteilnehmer in einem bestimmten Zeitraum gehalten werden können, und werden durch eine Behörde oder einen Handelsplatz angeordnet. Dadurch können die Einflussmöglichkeiten von einzelnen Marktteilnehmern auf die Preise und das Marktgeschehen beschränkt werden. Von der Idee her wollen Positionslimiten somit verhindern, dass eine Manipulation des Marktes durch den Aufbau von grossen Positionen möglich wird.

Mit der EU und den USA
sind derzeit zwei Jurisdiktionen mit bedeutenden Warenterminmärkten daran, die Regulierung ihrer Warenterminmärkte zu überarbeiten und Positionslimiten für spekulative Geschäfte auf den Warenterminmärkten einzuführen (EU) oder auszudehnen (USA). Positionen, die einen Absicherungszweck verfolgen, 18 19 20

21

22 23 24

Die FINMA ist Mitglied der IOSCO.

IOSCO (2011): Principles for the Regulation and Supervision of Commodity Derivatives Markets ­ Final Report.

In Frankreich ist seit Juni 2013 ein Gesetz zur Trennung und Regulierung von Bankgeschäften in Kraft, das den Banken den Eigenhandel mit Agrarderivaten verbietet.

Davon ausgenommen ist jedoch der Handel für Dritte.

Contract design; Surveillance of commodity derivatives market; Addressing disorderly commodity derivatives markets; Enforcement and information sharing; Enhancing price discovery on commodity derivatives markets IOSCO (2012): Survey on Implementation of the Principles for the Regulation and Supervision of Commodity Derivatives Markets ­ Final Report.

IOSCO (2014): Update to Survey on the Principles for the Regulation and Supervision of Commodity Derivatives Markets ­ Final Report, IOSCO.

Laut Definition der IOSCO umfasst der Begriff Marktaufsicht einerseits die Finanzmarktaufsichtsbehörde, andererseits aber auch die regulierten Märkte und deren Handelsüberwachungsstellen.

2520

sollen hingegen von den Beschränkungen ausgenommen werden. Diese Konzentration auf spekulative Geschäfte hat zum Ziel, die Absicherung von Preisrisiken durch kommerzielle Akteure möglichst nicht einzuschränken. In welchem Ausmass die Spekulation damit eingedämmt werden kann, hängt von der Umsetzung und der Reaktion der Marktteilnehmer ab. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Spekulation durch ein Ausweichen auf andere Märkte oder andere Rohstoffe lediglich verschiebt oder durch eine Aufsplittung der Positionen auf kleinere Marktteilnehmer unverändert bleibt. Die Manipulation des Marktes durch einzelne grosse Akteure wird durch Positionslimiten jedoch erschwert.

Der Umsetzungsprozess wurde in den USA durch ein Gerichtsverfahren verzögert.

Derzeit liegt lediglich der neue Vorschlag der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) vor, jedoch noch keine definitive Ausführungsbestimmung. In der EU wurde im Juni 2014 die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) veröffentlicht, die u. a. die Anwendung von Positionslimiten für spekulative Geschäfte vorsieht (vgl. Art. 57 MiFID II). Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) muss der EU-Kommission diesbezüglich bis zum 3. Juli 2015 Entwürfe der technischen Durchführungsstandards vorlegen. Die Mitgliedstaaten müssen die notwendigen Bestimmungen zur Umsetzung im nationalen Recht bis zum 3. Juli 2016 erlassen haben und diese auf den 3. Juli 2017 in Kraft setzen.

Abgesehen von den spezifischen Anforderungen an die Regulierung der Warenterminmärkte geriet der Derivatehandel als Folge der Finanzmarktkrise generell in den Fokus des internationalen Interesses. Es wurde nicht nur festgestellt, dass es auf den Märkten für OTC-Derivate an Transparenz und genügender Besicherung fehlt, sondern auch, dass diese Märkte aufgrund ihrer starken internationalen Vernetzung sowie der grossen Handelsvolumina und Ausfallrisiken die Stabilität des ganzen Finanzsystems gefährden können. Seither sind internationale Bemühungen im Gange, um die Transparenz und die Stabilität im OTC-Derivatemarkt zu verbessern. So haben sich die Mitglieder der G-20 insbesondere verpflichtet sicherzustellen, dass standardisierte OTC-Derivatekontrakte über eine zentrale Gegenpartei abgerechnet, sämtliche OTC-Derivatetransaktionen an Transaktionsregister gemeldet
und standardisierte OTC-Derivatetransaktionen, falls dazu geeignet, über Börsen oder andere elektronische Plattformen gehandelt werden. Die G-20 beauftragten das FSB damit, die Empfehlungen für die genannten Verpflichtungen zu erlassen und deren Umsetzung zu überwachen. OTC-Rohstoffderivate machen global gesehen mit gut 0,4 % Anteil am Wert aller ausstehenden OTC-Kontrakte nur einen sehr kleinen Teil der gesamten OTC-Derivate aus.25

2.3.3

Rechtslage und aktuelle Regulierungsprojekte in der Schweiz

Die Regulierung des Schweizer Finanzmarkts kennt keine spezifischen Vorgaben für den Handel mit Rohstoffderivaten oder anderen Finanzinstrumenten mit Bezug zu Rohstoffen. Es gelten jedoch die generellen Vorgaben des Börsengesetzes für den Effektenhandel.

25

Durchschnitt des Wertes der offenen Kontrakte von Juni 2009 bis Juni 2014 gemäss den Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), vgl. www.bis.org > statistics > derstats.

2521

In Bezug auf die Schweiz muss zudem festgehalten werden, dass es hierzulande keine Börse für physische Rohstoffe und keine namhafte Rohstoffderivatebörse gibt. Einzig an der Eurex Zürich werden Agrarderivate gehandelt.26 Das Volumen der gehandelten Agrarderivate auf dieser Plattform ist allerdings klein, und die Kontrakte werden ausschliesslich finanziell erfüllt und nicht physisch durch den jeweiligen Rohstoff. Zudem hat die Eurex mitgeteilt, dass die noch über Zürich handelbaren Agrarderivate ab Mai 2015 nach Leipzig verlagert werden.27 Ab diesem Zeitpunkt wird es also in der Schweiz keine Handelsplattform mehr geben, über die Agrarderivate gehandelt werden. An der SIX Structured Products Exchange bzw. an der SIX Swiss Exchange werden strukturierte Produkte oder Fonds gehandelt, die Agrarderivate enthalten.

Die Schweizer Börsenregulierung basiert im Grundsatz auf einer Selbstregulierung, bei der die Handelsplätze selbst die Regeln für den Handel und die Handelsteilnehmer aufstellen. Die FINMA muss diese allerdings genehmigen. Demgemäss verfügen bereits heute alle drei Plattformen über Interventionsmöglichkeiten in Situationen, in denen der Handel nicht ordnungsgemäss funktioniert. Die SIX-Plattformen können im Rahmen der Marktsteuerung alle ihnen notwendig erscheinenden Massnahmen ergreifen, um einen möglichst fairen und geordneten Handel aufrechtzuerhalten. Die Eurex kann beispielsweise Positionslimiten festlegen oder den Handel aussetzen oder einstellen, um einen ordnungsgemässen Börsenhandel sicherzustellen. Damit erfüllt die Schweiz bereits heute insbesondere auch die IOSCO-Prinzipien, die sich auf Positionslimiten beziehen.

Im Einklang mit den internationalen Bestrebungen, die OTC-Derivatemärkte zu reformieren, hat der Bundesrat am 3. September 201428 die Botschaft zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) zuhanden des Parlaments verabschiedet. Mit der Vorlage wird eine einheitliche, an die Entwicklungen des Marktes und an internationale Vorgaben angepasste Regulierung der Finanzmarktinfrastrukturen sowie der Pflichten der Finanzmarktteilnehmerinnen und -teilnehmer beim Effekten- und Derivatehandel (Marktverhaltensregeln) vorgenommen. Neben aufsichtsrechtlichen Vorgaben für Finanzmarktinfrastrukturen enthält das FinfraG auch Regeln zum Derivatehandel. Da der weitaus grösste Teil des
schweizerischen Derivatehandels heute grenzüberschreitend ist und schwergewichtig mit der EU stattfindet, orientiert sich die vorgeschlagene Regulierung in erster Linie am EU-Recht. Im Ergebnis sollen auch in der Schweiz künftig die drei zentralen Pflichten des Derivatehandels gelten: Abrechnung über eine zentrale Gegenpartei, Meldung an ein Transaktionsregister und Minderung der Risiken. Anders als in der EU sollen jedoch aus Gründen der Verhältnismässigkeit und in Anlehnung an die entsprechenden Regelungen in den USA Ausnahmen für kleinere Vertragsparteien im Finanzbereich geschaffen werden. Was die Pflicht betrifft, Derivatgeschäfte über eine Börse oder ein anderes Handelssystem zu handeln, so enthält der Gesetzesentwurf die entsprechenden rechtlichen Grundlagen. Deren Inkraftsetzung soll aber erst erfolgen, wenn diese Pflicht auch in den Partnerstaaten eingeführt ist.

26 27 28

Die Basiswerte der Agrarderivate, die momentan an der Eurex gehandelt werden, sind Butter, Kartoffeln, Molkenpulver, Magermilchpulver, Mastschwein und Ferkel.

Vgl. Pressemitteilung vom 10. Juni 2014 unter http://www.eurexchange.com > Über uns > News.

BBl 2014 7483

2522

Was spezifisch die Rohstoffderivate angeht, so sind diese von den Regeln des FinfraG grundsätzlich nicht ausgenommen, weshalb auch in diesem Bereich des Marktes mit der Gesetzesvorlage eine erhöhte Transparenz erwartet werden darf. Für den auch im Zusammenhang mit dem Rohstoffhandel oft kritisch betrachteten Hochfrequenzhandel besteht im FinfraG eine gesetzliche Grundlage, welche die Handelsplätze dazu anhält, einen geordneten Handel sicherzustellen. Damit könnte und müsste ein Handelsplatz eingreifen, wenn beispielsweise in einem Segment eine bestimmte Handelstätigkeit einen geordneten Handel gefährden würde. Nicht aufgenommen im FinfraG-Entwurf gemäss Botschaft des Bundesrates sind derzeit gesetzliche Grundlagen zur Einführung von Positionslimiten, also Beschränkungen der offenen Derivatpositionen, die von einem Marktteilnehmer gehalten werden können.

Um in diesem Bereich mit der EU-Regulierung äquivalent zu sein, hat der Bundesrat aber mittlerweile beschlossen, einen Vorschlag für eine solche gesetzliche Grundlage in die laufende parlamentarische Beratung des FinfraG einzubringen. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-N) hat sich in ihrer Sitzung vom 13. Januar 2015 allerdings gegen diesen Vorschlag ausgesprochen.

2.3.4

Beitrag der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zur globalen Ernährungssicherheit

Der Bundesrat geht das Problem der globalen Ernährungssicherheit vor allem im Rahmen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit an. Hier hat der Kampf gegen den Hunger und für mehr Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern eine hohe Priorität, welche die Schweiz mit verschiedenen Ansätzen verfolgt. Zum einen engagiert sie sich in längerfristigen Projekten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, zum anderen beteiligt sie sich an der internationalen humanitäre Nothilfe bei Hungerkrisen. Letzteres geschieht vor allem im Rahmen verschiedener Organisationen und Programme der Vereinten Nationen. Die wichtigsten sind das World Food Programme, das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, die UNICEF und die FAO. Diese Programme unterstützen in akuten Krisensituationen weltweit jährlich bis zu 90 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe und Ergänzungsnahrung. Gegenwärtig leistet das World Food Programme beispielsweise humanitäre Nothilfe in der Zentralafrikanischen Republik, im Irak, in Syrien, im Südsudan und in den von Ebola betroffenen Ländern. Die Preisschwankungen auf dem internationalen Markt gehören dabei zu den grössten Herausforderungen, da sie Menge und Qualität der verfügbaren Nahrungsmittel stark beeinflussen und sich deshalb direkt auf die Unterstützung auswirken. Die Schweiz beteiligt sich in der Periode von 2013­16 mit über 1,8 Mrd. CHF an humanitären Hilfsprojekten.29 In der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ist Landwirtschaft und Ernährungssicherheit eines von neun Themen für den Rahmenkredit «Technische Zusammenarbeit und Finanzhilfe zugunsten von Entwicklungsländern 2013­2016» und wird zudem spezifisch durch ein Globalprogramm «Ernährungssicherheit» angegangen.

Rund 15 % der gesamten Ausgaben der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (etwa 250 Mio. CHF) werden in den Bereich Landwirtschaft und Ernährungssicher-

29

BBl 2012 2558

2523

heit investiert, davon 33 % in Asien, 26 % in Afrika, knapp 10 % in Lateinamerika und im Mittelmeerraum und rund 32 % in globalen Programmen.

Konkret setzt sich die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit von DEZA und SECO für faire Landrechtsysteme und die nachhaltige Nutzung von Land-, Weideund Wasserressourcen ein. Sie fördert die ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Steigerung der Produktivität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sowie die Etablierung marktorientierter Wertschöpfungsketten. Ferner stärkt sie die angewandte landwirtschaftliche Forschung, ländliche Beratungs- und Ausbildungsdienstleistungen sowie die Selbsthilfe und Interessenvertretung der Kleinbauern und ihrer Verbände. Die Strategien und Massnahmen zielen unter anderem auf eine verbesserte Ernährungssicherheit der schwächsten Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern. Auf innenpolitischer Ebene setzt sich die internationale Zusammenarbeit für eine kohärente Ausrichtung der in diesem Zusammenhang relevanten aussenpolitischen Zielsetzungen, Aktivitäten und Instrumente des Bundes ein.

3

Ziele und Inhalt der Initiative

3.1

Ziele der Initiative

Das Ziel der Volksinitiative ist die Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln. Wie aus dem Argumentarium zur Initiative30 hervorgeht, sollen damit die Preisbildung auf den Agrarterminmärkten und die Funktionsweise der Agrarmärkte generell verbessert und schliesslich die Ernährungssicherheit von Entwicklungsländern erhöht werden.

Aus Sicht der Initiantinnen und Initianten hat die «Finanzialisierung» der Warenterminmärkte dazu geführt, dass diese Märkte übermässig spekulativ genutzt werden. Dies wiederum habe zwischen 2007 und 2009 zu einer Preisblase bzw. 2010/11 zu fundamental ungerechtfertigten Anstiegen der Preise vieler Agrargüter geführt (vgl. Ziff. 2.1). Dadurch habe die Spekulation in zahlreichen Entwicklungsländern massgeblich zu Nahrungsmittelkrisen beigetragen.

3.2

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Um den Inhalt der Initiative genauer zu erfassen, werden einige Begriffe und Ausdrücke des Initiativtextes im Folgenden genauer ausgelegt und erläutert.

Art. 98a (neu) Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. a «Agrarrohstoffen und Nahrungsmittel» Agrarrohstoffe sind Rohstoffe pflanzlichen und tierischen Ursprungs. Diese umfassen unter anderem Getreide (Reis, Weizen, Mais), Hackfrüchte (Kartoffeln, Zuckerrohr, Zuckerrüben), Ölpflanzen und Nüsse (Kakao, Kaffeebohnen, Raps, Erdnüsse), Früchte sowie sonstige pflanzliche Stoffe wie Baumwolle oder Kautschuk. Gemäss dem Argumentarium zur Initiative sollen darunter auch Verwen-

30

Vgl. www.juso.ch > Kampagnen > Spekulationsstopp > Ausführliches Argumentarium.

2524

dungsarten von Agrarrohstoffen für Nicht-Ernährungszwecke fallen wie z. B. Bioethanol oder Futtermittel für Tiere.

Unter Nahrungsmitteln werden unverarbeitete und verarbeitete oder veredelte Agrarrohstoffe verstanden, die der menschlichen Ernährung dienen.31 Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe werden in dieser Botschaft zusammen als «Agrargüter» bezeichnet.

Nicht unter die Definition der Initiative fallen damit Energierohstoffe (z. B. Erdöl, Erdgas) und mineralische Rohstoffe (z. B. Gold, Silber, Kupfer, Eisen).

Art. 98a (neu) Abs. 1 Bst. a «andere institutionelle Anleger» Der Begriff des institutionellen Anlegers umfasst im Schweizer Finanzmarktrecht alle Unternehmen «mit professioneller Tresorerie» (Art. 1 Bst. a der Kollektivanlagenverordnung vom 22. Nov. 200632). Eine solche setzt wiederum voraus, dass das betreffende Unternehmen mindestens einen qualifizierten professionellen Finanzverwalter dauerhaft mit der Verwaltung seiner Finanzanlagen betraut hat. In diesem Sinne sind ­ neben den im Initiativtext aufgeführten Finanzunternehmen (u. a.

Banken, Effektenhändler, Pensionskassen) ­ auch Unternehmen aus dem RohstoffHandelsbereich und aus der Nahrungsmittelindustrie von der Initiative betroffen, wenn sie diese Anforderung erfüllen.

«weder direkt noch indirekt» Gemäss Argumentarium soll mit der Formulierung «weder direkt noch indirekt» den aufgeführten Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz «sowohl die direkte Investition bzw. Spekulation mit Nahrungsmitteln, als auch Spekulation über Tochterfirmen im Ausland oder über weitere Unternehmen» verboten werden.

Fraglich ist allerdings, welche Unternehmen oder Gesellschaften im Einzelnen erfasst sein sollen und inwiefern die Bestimmung mit Blick auf das Territorialitätsprinzip33 einschränkend ausgelegt werden kann bzw. soll.

In der vorliegenden Botschaft wird von der Interpretation ausgegangen, dass die in dieser Formulierung enthaltene Geltung des Verbots ausserhalb der Schweiz nur für Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz gilt. Das heisst, für diese Unternehmen soll das Verbot eine weltweite Geltung haben, während es für ausländische Unternehmen nur für Geschäfte durch ihre Schweizer Niederlassungen oder Tochterfirmen gilt. Ein Unternehmen mit Hauptsitz im Ausland, das eine Niederlassung in der Schweiz hat, die von hier aus
aber nicht mit von der Initiative erfassten Finanzinstrumenten handelt, wäre dementsprechend nicht von der Initiative betroffen. Um eine dieser Interpretation entsprechende extraterritoriale Wirkung des Verbots für Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz zu erreichen, müssten diese mit entsprechenden Sanktionen zu einer weltweiten Einhaltung des Verbots verpflichtet werden.

31

32 33

Nahrungsmittelkrise, Rohstoff- und Ressourcenknappheit. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Stadler vom 29. Mai 2008, S. 17, vgl. www.blw.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Berichte.

SR 951.311 Das Territorialitätsprinzip gilt im öffentlichen Recht und besagt, dass das schweizerische öffentliche Recht grundsätzlich nur auf Sachverhalte anwendbar ist, die sich in der Schweiz zutragen. Zur Erstreckung einer Rechtsnorm auf Sachverhalte, die sich im Ausland zutragen vgl. BGE 133 II 331 E. 6.1.

2525

«Finanzinstrumente (...), die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen» Wie in Ziffer 2.1 dargelegt, stehen bei der Diskussion über die Auswirkungen der Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise die Warenterminmärkte und die darauf gehandelten Agrarderivate im Zentrum. Dementsprechend sollen unter dieser Formulierung Derivate mit einem Agrargut als Basiswert sowie Finanzprodukte (Fonds oder strukturierte Produkte), welche diese Derivate enthalten, verstanden werden.

Die Beschränkung auf Termingeschäfte hat zur Folge, dass spekulative Geschäfte auf den Spot-Märkten, also beispielsweise Personen, die mit den betreffenden Rohstoffen ein Lager aufbauen, um damit auf Preissteigerungen zu spekulieren, von der Initiative nicht erfasst sind.

Art. 98a (neu) Abs. 1 Bst. b «Zulässig sind Verträge mit Produzenten und Händlern von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln über die terminliche und preisliche Absicherung bestimmter Liefermengen.» Mit dieser Bestimmung wird das generelle Verbot von Investitionen in Agrarderivate gemäss Buchstabe a wieder eingeschränkt. Wenn bei einem Derivatgeschäft auf der einen Seite ein Akteur mit spekulativen Interessen steht und auf der anderen Seite ein Akteur, der damit eine «Absicherung bestimmter Liefermengen» (sogenanntes «Hedging») verfolgt, darf der Spekulant das Geschäft trotzdem abschliessen. Dahinter steht die Idee, dass Spekulanten, die als Gegenpartei die Absicherung von kommerziellen Akteuren34 erleichtern, für diese Märkte nützlich und notwendig sind (vgl. Ziff. 4.2). Das Verbot richtet sich somit nicht gegen die Spekulation generell, sondern nur gegen Geschäfte, bei der keine der beiden Seiten ein «Hedging» vornimmt.

Art. 98a (neu) Abs. 2 Bst. b «Fehlbare Unternehmen können unabhängig von Organisationsmängeln direkt bestraft werden.» Diese Formulierung legt nahe, dass ausschliesslich Unternehmen bestraft werden sollen, und zwar «unabhängig von Organisationsmängeln direkt». Dies entspricht einer Art strafrechtlicher Kausalhaftung («strict corporate liability» nach amerikanischem Vorbild), ganz unabhängig von der Strafbarkeit einer natürlichen Person und ebenfalls ganz unabhängig von einem Schuldvorwurf (sog. Organisationsverschulden), der dem Unternehmen gemacht werden kann. Die Initiative weicht damit stark ab vom geltenden Unternehmensstrafrecht im
Strafgesetzbuch35 (StGB) und im Militärstrafgesetz vom 13. Juni 192736 (MStG). Diesem zufolge können Unternehmen bestraft werden, wenn eine betriebstypische Tat wegen mangelhafter Organisation keiner bestimmten Person zugerechnet werden kann (Art. 102 Abs. 1 StGB und Art. 59a Abs. 1 MStG) oder das Unternehmen eine spezifische Straftatverhinderungspflicht hinsichtlich einer Katalogtat (Geldwäscherei, Bestechung etc.) ungenügend wahrnimmt (Art. 102 Abs. 2 StGB und Art. 59a Abs. 2 MStG).

34 35 36

Unter kommerziellen Akteuren werden Unternehmen verstanden, die auch im Geschäft mit physischen Agrargütern aktiv sind, also Produzenten, Verarbeiter und Handelsfirmen.

SR 311.0 SR 321.0

2526

Die Initianten erwähnen in Ziffer 6 des Argumentariums nur die Ausfallhaftung wegen personaler Desorganisation nach Artikel 102 Absatz 1 StGB, die praktisch wichtigere Straftatverhinderungspflicht nach Artikel 102 Absatz 2 StGB hingegen wird ebenso wenig thematisiert wie der Umstand, dass die Strafbarkeit nach Artikel 102 StGB und Artikel 59a MStGB in beiden Varianten an eine Anlasstat anknüpft, die von einer natürlichen Person begangen worden sein muss.

Die Einführung einer strafrechtlichen Kausalhaftung für Unternehmen, die der Wortlaut der Initiative nahelegt, wirft grundsätzliche Probleme auf. Kausalhaftungen gehören der Sache nach ins Zivil- oder ins Verwaltungsrecht, nicht hingegen ins Strafrecht. Das schweizerische Strafrecht steht auf dem Fundament des Schuldprinzips, das im Bereich Unternehmensstrafrecht auf soziale statt auf moralische Schuld setzt.37 Eine strafrechtliche Kausalhaftung des Unternehmens trägt damit auch das Risiko in sich, das Haftungssystem über das Strafrecht hinaus in Frage zu stellen, indem eine Handlung nicht mehr primär demjenigen zugerechnet wird, der sie schuldhaft verursacht hat: Unternehmen sind zivilrechtlich erst handlungsfähig, wenn sie ihre Organe bestellt haben und wenn sie ­ im Falle eines konstitutiv wirkenden Handelsregistereintrags ­ im Handelsregister eingetragen wurden; Organe bestehen aus natürlichen Personen, die für ihr Verschulden persönlich verantwortlich sind (für juristische Personen vgl. die Art. 54 f. des Zivilgesetzbuches38). Mit der Konstruktion einer strafrechtlichen Kausalhaftung würde ein Wertungswiderspruch innerhalb der schweizerischen Rechtsordnung entstehen.

Es sollten jedoch nicht ohne Not fundamentale Grundsätze aufgeweicht oder gar aufgelöst werden, indem im Strafrecht Kausalhaftungen nach amerikanischem Vorbild eingeführt werden, und zwar ungeachtet einer ganz anderen Rechtsordnung.

Es wäre ungereimt und unbillig, wenn das Unternehmen für verbotene Spekulationen mit Nahrungsmitteln «direkt» (kausal) bestraft werden könnte, ohne dass ein «personales» Unrecht ­ in Form einer Anlasstat und eines Organisationsverschuldens ­ vorliegen muss. Der Charakter eines politisch instrumentalisierten Strafrechts wäre diesfalls nicht von der Hand zu weisen, weil offensichtlich jemand anderes «direkt» bestraft wird (das Unternehmen), als
«indirekt» gemeint ist (das Management des Unternehmens).

Es fragt sich, ob die Initiative zwingend im Sinn der skizzierten strafrechtlichen Kausalhaftung des Unternehmens, in dem das Investitionsverbot verletzt wird, zu verstehen ist. Zumindest erscheint es nicht zwingend, die Initiative so zu verstehen, dass sie die Strafbarkeit natürlicher Personen, die das Investitionsverbot verletzen, ausschliesst. So erscheint es denkbar, neben der direkten Sanktionierung des Unternehmens die Verletzung des Investitionsverbots durch natürliche Personen strafbar zu erklären. Wie dies im Einzelnen umgesetzt wird, wird im Fall der Annahme der Initiative der Gesetzgeber zu klären haben.

37

38

Vgl. für Einzelheiten Botschaft des Bundesrates vom 21. Sept. 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 1979 2139, hier 2142.

SR 210

2527

3.3

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Kern der Initiative ist damit ein Verbot von Geschäften mit Agrarderivaten, bei denen keine der beiden Seiten eine Absicherung vornimmt. Dieses Verbot soll für Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz weltweit gelten; für ausländische Unternehmen mit einer Tochtergesellschaft oder einer Niederlassung in der Schweiz jedoch nur für die von dieser Tochtergesellschaft oder Niederlassung aus getätigten Geschäfte. Die Massnahme zielt darauf ab, diejenigen spekulativen Geschäfte zu eliminieren, die nicht als Gegenpartei die Absicherung von kommerziellen Marktteilnehmern erleichtern. Ebenso enthält die Initiative unter Absatz 3 die Vorgabe, dass sich der Bund auf internationaler Ebene dafür einsetzen soll, die Spekulation mit Agrargütern wirksam zu bekämpfen.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Der Bundesrat ist sich der besonderen Sensibilität der Frage des Börsenhandels mit Grundnahrungsmitteln im Kontext der Menschenrechte, namentlich dem Recht auf Nahrung, bewusst. Das Menschenrecht auf angemessene Ernährung wird in mehreren Völkerrechtsinstrumenten anerkannt. Der Internationale Pakt vom 16. Dezember 196639 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) befasst sich ausführlicher als jedes andere Rechtsinstrument mit diesem Recht. Gemäss Artikel 11 Absatz 1 des Paktes erkennen die Vertragsstaaten «das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschliesslich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen», während sie gemäss Artikel 11 Absatz 2 anerkennen, dass geeignete Massnahmen erforderlich sein könnten, um «das grundlegende Recht eines jeden, vor Hunger geschützt zu sein» zu gewährleisten. Das Recht auf angemessene Ernährung ist unteilbar mit der Würde der menschlichen Person verbunden, und für die Verwirklichung anderer in der internationalen Menschenrechtscharta verankerter Menschenrechte unerlässlich.

In diesem Sinne teilt der Bundesrat das Anliegen der Initiantinnen und Initianten, die Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern zu erhöhen und die Armut in diesen Ländern zu bekämpfen. Losgelöst von der Frage, ob die Preise für Nahrungsmittel durch die Spekulation verzerrt werden oder nicht, können hohe Preise für Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung in Entwicklungsländern schwerwiegende Konsequenzen haben.

Der Bundesrat geht das Problem starker Preisausschläge und deren Konsequenzen für die Ernährungssicherheit von Entwicklungsländern mit einer Kombination von Ansätzen an. Im Rahmen der internationalen Agrarpolitik setzt sich der Bundesrat für gut funktionierende Agrarmärkte ein (vgl. Ziff. 2.3.1) Auch eine angemessene Regulierung der Warenterminmärkte ist wichtig. Hier setzt sich die Schweiz sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene (z. B. im Rahmen der IOSCO) für gut funktionierende und transparente Warenterminmärkte ein, die ihre volkswirtschaftlich wichtigen Funktionen erfüllen können (vgl. Ziff. 2.3.2). Schlussendlich engagiert sich der Bund im Rahmen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 39

SR 0.103.1

2528

für eine nachhaltige Stärkung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern sowie in der humanitären Nothilfe (vgl. Ziff. 2.3.4).

4.2

Würdigung der zentralen Thesen der Initiative

Der Initiative liegt die Hypothese zugrunde, dass die Spekulation auf den Warenterminmärkten die Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren stark von ihren fundamental gerechtfertigten Werten weggeführt, d. h. diese substanziell verzerrt habe.

Die Spekulation habe dadurch zwischen 2007 und 2009 massgeblich zu einer Preisblase bzw. 2010/11 zum starken Preisanstieg bei vielen Agrargütern und Rohstoffen beigetragen.

4.2.1

Funktionen der Warenterminmärkte und die Rolle der Spekulation

Die Hauptfunktion von Warenterminmärkten ist, dass sich kommerzielle Marktteilnehmer gegen Preis- und Mengenrisiken absichern können. Dies ist gerade bei den oft sehr stark schwankenden Preisen von Agrargütern wichtig. Wenn beispielsweise ein Produzent weiss, dass er die nächste Ernte zu einem gesicherten Preis verkaufen kann, so erlaubt ihm dies eine bessere Planung und Kalkulation seines Geschäfts.

Oder wenn ein Verarbeiter (z. B. ein Kaffeeröster) weiss, dass er in drei Monaten zu einem bestimmten Preis Kaffeebohnen kaufen kann, gibt ihm das ebenfalls Planungssicherheit und erlaubt eine effizientere Lagerhaltung. Insgesamt werden dadurch Geschäftsrisiken minimiert, die sich aus möglichen Preis- oder Ernteschwankungen ergeben können. Solcherlei Nutzung von Terminmärkten wird, wie bereits erwähnt, «Hedging» genannt, und die entsprechenden Akteure werden als «Hedger» bezeichnet.

Dieser Mechanismus zeigt auch eine erste wichtige Funktion auf, welche die Spekulation auf diesen Märkten einnimmt. Gibt es zum Beispiel mehr Produzenten als Verarbeiter, die sich absichern wollen, oder entsprechen sich die Absicherungsbedürfnisse dieser Gruppen etwa bezüglich Liefermengen oder -daten nicht, so können Spekulanten diese Lücke ausfüllen und als Gegenparteien für diejenigen kommerziellen Akteure auftreten, die sonst keine Gegenparteien gefunden hätten. Da sich die Absicherungsbedürfnisse der Hedger normalerweise nicht ausgleichen, erleichtern Spekulanten also in erster Linie das Hedging. Diese Funktion der Spekulation wird, wie in Ziffer 3.2 erläutert, auch von den Initiantinnen und Initianten als positiv gesehen.

Die zweite wichtige Funktion von Terminmärkten mit öffentlichen Transaktionspreisen besteht darin, dass sie die Preisfindung für Agrargüter erleichtern und so einen weltweit sichtbaren Referenzpreis bilden. Funktionieren die Terminmärkte gut, so geben die dort ermittelten Preise eine Einschätzung für die zukünftigen SpotPreise auf der Basis der momentan verfügbaren Informationen wieder. Werden zum Beispiel neue Informationen über schlechte Wetteraussichten in den Kaffeeanbaugebieten Brasiliens bekannt, so wird sich diese Information wahrscheinlich in einem Anstieg der Terminmarkt-Preise für brasilianischen Kaffee niederschlagen. Auf diese Weise aggregieren die Preise der Terminbörsen Informationen und Erwartungen von Marktteilnehmern auf der ganzen Welt. Sie bilden dadurch einen Referenz2529

preis, der von Akteuren auf der ganzen Welt als Planungshilfe für betriebliche Entscheidungen genützt werden kann. So kann beispielsweise ein Bauer seine Entscheidung, ob er mehr oder weniger von einem Nahrungsmittel anpflanzen soll, davon abhängig machen, in welche Richtung der Terminmarkt-Preis deutet. Oder er hat, wenn er von einem Händler ein Angebot für seine Ernte erhält, eine Orientierungshilfe, ob dessen Angebot gut ist.

Auch bei dieser Funktion spielt die Spekulation eine entscheidende Rolle, denn sie ist der Mechanismus, durch den die Preise die aktuellsten Informationen widerspiegeln. Dies können etwa Informationen zum Wetter, zur Konjunktur in den Schwellenländern, zur Verbreitung eines Pflanzenschädlings, zum Einsatz neuer Supertanker, welche die Transportkosten verringern, oder zu neuen Anbaumethoden sein. Im Idealfall verhält es sich so, dass die Terminmarkt-Preise die zukünftig zu erwartenden Preise umso besser widerspiegeln, je mehr Akteure mit Informationen und daraus abgeleiteten Erwartungen über die Entwicklung der für das jeweilige Gut relevanten Fundamentalfaktoren spekulieren. Spekulation hat so einen positiven Effekt auf die Informations-Genauigkeit der Preise. Dies kommt auch den kommerziellen Marktteilnehmern zugute, da es ihnen bessere Kaufs- oder Verkaufsentscheidungen ermöglicht. Dadurch können zukünftige Verknappungen oder Überangebote besser abgeschätzt werden, was die Effizienz des Marktes insgesamt verbessert.

Eine weitere nützliche Funktion der Spekulation ist das sogenannte «market making», auf das sich einige Akteure explizit spezialisiert haben. Durch das kontinuierliche Kaufen und Verkaufen von Derivaten gegen kleine Margen führen diese Akteure Nachfrager und Anbieter zusammen, was das Funktionieren der Terminmärkte erleichtert. Ein weiterer Punkt ist die durch die zusätzlichen Spekulanten bereitgestellte Liquidität. Zusätzliche Spekulanten bedeuten mehr potenzielle Gegenparteien für kommerzielle Akteure und tendenziell tiefere Kosten für das Hedging.

Die Spekulation erfüllt also verschiedene notwendige und sinnvolle Funktionen auf den Warenterminmärkten. Dies wird auch im Argumentarium von den Initiantinnen und Initianten betont. Die Initiative richtet sich deshalb nicht gegen die Spekulation generell, sondern nur gegen Geschäfte, bei denen keine der beiden
Seiten eine Absicherung physischer Güter verfolgt (vgl. Ziff. 3.2). Wie die Ausführungen in diesem Abschnitt gezeigt haben, wird mit dieser Definition allerdings nur einer positiven Funktion der Spekulation auf diesen Märkten Rechnung getragen. Die sonstigen positiven Funktionen der Spekulation neben der Erleichterung des Hedging (fundamental ausgerichtete Spekulation, Market-Making, Liquidität) würden durch den Vorschlag der Initiantinnen und Initianten jedoch erschwert.

4.2.2

Auswirkungen der Spekulation auf die Preise von Agrargütern

Die Frage, inwiefern die Spekulation auf den Warenterminmärkten die Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren verzerrt hat und zwischen 2007 und 2009 zu einer Preisblase bzw. 2010/11 zum starken Preisanstieg bei vielen Agrargütern und Rohstoffen beitrug, hat in der Wissenschaft und bei internationalen Organisationen eine grosse Anzahl von Beiträgen mit uneinheitlichen Ergebnissen hervorgerufen. Die Preisbildung bei Agrargütern ist das Resultat eines komplizierten Zusammenspiels von verschiedenen Faktoren, die Angebot und Nachfrage bei diesen Gütern beein2530

flussen. Der Beitrag der Spekulation zu den Preisbewegungen ist deshalb schwierig zu isolieren. Zudem reicht es nicht aus, zu zeigen, dass spekulative Aktivitäten die Preise beeinflussen, sondern es müsste auch gezeigt werden, dass dieser Einfluss verzerrender Natur war, d. h. die Preise von ihren durch Angebot und Nachfrage gerechtfertigten Werten weggeführt hat. Weitere Probleme bestehen bei der Definition und Messung der spekulativen Positionen und bei der Datenlage. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die empirische Literatur bezüglich der gestellten Frage bis jetzt zu keinen eindeutigen Resultaten gekommen ist.

Auch die Einschätzungen internationaler Organisationen divergieren. Auf der einen Seite publizierte die OECD 2010 ein Papier, das zum Schluss kam, dass nicht die Spekulation (in Form von Index-Investoren), sondern vielmehr Fundamentalfaktoren 2007/08 zu den hohen Preisen geführt haben. Auch der IWF stellte im World Economic Outlook von 2008 fest, es gebe keine klare Evidenz, dass spekulatives Verhalten in den Terminmärkten die Preise verzerrt oder die Preisschwankungen verstärkt habe. Der IWF bestätigte diese Einschätzung im World Economic Outlook von 2011. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch die IOSCO in ihrem Bericht vom März 2009. Ein Bericht mit Beiträgen von zehn verschiedenen internationalen Organisationen (u. a. FAO, OECD, IWF und Weltbank) vom Juni 2011 ergab ebenfalls, dass derzeit kein solcher Nachweis vorliegt. Auf der anderen Seite kam eine Studie der Weltbank vom Juli 2010 zum Schluss, dass Finanzspekulation die Preisschwankungen 2007/08 verstärkt haben könnte. Die UNCTAD kam 2009 und 2011 ebenfalls zum Schluss, dass die «Finanzialisierung» die Preise auf den Rohstoffmärkten verzerrt habe.40 Wäre die Spekulation in der Lage, die Terminmarkt-Preise zu verzerren, scheint ein Einfluss auf die Spot-Preise vor allem über die Lagerhaltung denkbar. Ein auf diese Weise zustande gekommener Anstieg der Terminmarkt-Preise eines Gutes würde dazu führen, dass Verarbeiter oder sonstige Akteure Lager aufbauen, da das entsprechende Gut in Zukunft teurer eingekauft werden muss bzw. teurer verkauft werden kann. Die verfügbaren Daten zeigen jedoch bei allen Nahrungsmitteln ausser beim Reis für die Perioden starker Preisanstiege (2007/08 und 2010/11) stagnierende bzw.

abnehmende
Lager.41 Dies spricht dafür, dass die stark steigenden Preise reale Verknappungen abbildeten und die Lager entsprechend aufgebraucht wurden.

Wie in Ziffer 2.1 erwähnt, fiel der Hauptanstieg des Engagements der IndexInvestoren in den Agrar-Warenterminmärkten auf die Periode zwischen 2004 und 2006. Entsprechend wäre bei einer substanziell preistreibenden Wirkung der IndexInvestoren auch in dieser Periode der grösste Effekt auf die Preise zu erwarten. Wie in Ziffer 2.1 beschrieben, blieben die Preise vieler Agrargüter in dieser Periode jedoch noch relativ stabil, und die starken Preisanstiege setzten erst später ein (vgl.

Ziff. 2.1.1, Abb. 1). Ökonometrische Analysen zeigen zudem, dass die Positionsveränderungen von Index-Investoren und anderen finanziellen Akteuren in der Regel 40

41

Irwin, S. H., Sanders D. R. (2010): The Impact of Index and Swap Funds on Commodity Futures Markets: Preliminary Results, OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers, No 27. IMF (2008, 2011): World Economic Outlook. IOSCO (2009): Task Force on Commodity Futures Markets, Final Report. FAO/IMF/OECD/Weltbank/UNCTAD u.a. (2011): Price Volatility in Food and Agricultural Markets: Policy Responses. Baffes, J. and T. Haniotis (2010): Placing the 2006/08 Commodity Price Boom into Perspective, World Bank Policy Research Working Paper 5371. UNCTAD (2009): Trade and Development Report. UNCTAD (2011): Price Formation in financialized commodity markets.

Quelle: AMIS. Wie bereits erwähnt, ist die finanzielle Spekulation beim Reis allerdings nur sehr beschränkt möglich.

2531

den Positionsveränderungen von kommerziellen Akteuren nachfolgen und nicht umgekehrt.42 Dies deutet darauf hin, dass der Zustrom finanzieller Akteure im Zuge der «Finanzialisierung» hauptsächlich durch die Absicherungsbedürfnisse kommerzieller Akteure getrieben war.

In Ziffer 2.1 wurde gezeigt, dass auch die Märkte für Nahrungsmittel wie Reis, die nicht «finanzialisiert» wurden, starke Preisanstiege verzeichneten. Die Preisanstiege beim Reis waren sogar noch stärker als bei den anderen Nahrungsmitteln (vgl.

Ziff. 2.1.1, Abb. 1). Auch andere Nahrungsmittel bzw. Rohstoffe, die nicht aktiv auf Terminmärkten gehandelt werden, verzeichneten starke Preisanstiege.43 Wären die Preisanstiege vor allem durch das Engagement finanzieller Akteure verursacht worden, so wäre jedoch eher das Gegenteil zu erwarten gewesen, und es hätten signifikante Unterschiede im Preisverhalten von Rohstoffen mit hohem und solchen mit tiefem Finanzengagement sichtbar werden sollen. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf zu verweisen, dass die Agrarmärkte auch vor der Anfang der 2000erJahre einsetzenden «Finanzialisierung» bereits von starken Preisschwankungen gekennzeichnet waren (vgl. Ziff. 2.1).

Schliesslich ist zu sagen, dass es für die Erklärung der Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren gewichtige fundamentale Faktoren gibt, die einen substanziellen Beitrag der Spekulation als unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die wichtigsten Faktoren lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Vorfeld der starken Anstiege 2007/08 Seit Mitte der 1990er-Jahre führten Bevölkerungswachstum, steigendes Pro-KopfEinkommen und ein zunehmender Fleischkonsum vor allem in Schwellenländern sowie die Abwertung des US-Dollars gegenüber vielen Währungen zu einem starken Wachstum der Nachfrage nach Agrargütern.

In derselben Periode wuchs die Agrarproduktion ebenfalls stark an, jedoch weniger stark als die Nachfrage. Dies ist u. a. dadurch zu erklären, dass die Investitionen in den Agrarsektor (u. a. in Forschung und Entwicklung) seit den 1980er-Jahren in vielen Ländern rückläufig waren. Zudem reduzierte der seit den 1980er-Jahren wachsende Welthandel mit Agrargütern in vielen Ländern die Nachfrage nach einer Lagerung dieser Güter. Als Resultat lagen die Lagerbestände für wichtige Agrargüter (Weizen, Reis, Mais, Soja) im Vorfeld der Preisausschläge
auf einem historischen Tiefstand.

Zudem stiegen seit 2001 die Ölpreise an. Dies verteuerte sowohl die landwirtschaftliche Produktion (über Treibstoffe und Dünger, der oft aus Erdöl gewonnen wird) wie auch den Transport der Produkte. Im Zusammenhang mit den steigenden Erdölpreisen und verschiedenen staatlichen Förderprogrammen nahm zudem die Biotreibstoffproduktion (Ethanol und Biodiesel) stark zu. Dies kreierte eine zusätzliche Verbindung zu den Ölpreisen und löste eine Nutzungskonkurrenz mit den für die Nahrungsmittelproduktion verwendeten Flächen aus.

42

43

Gilbert, C.L., Pfuderer S. (2014): The financialization of food commodity markets.

In: Jha, R. et al (Hg.): Handbook on Food. Demand Supply, Sustainability and Security.

S. 127.

Nahrungsmittelkrise, Rohstoff- und Ressourcenknappheit. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Stadler vom 29. Mai 2008, S. 143, vgl. www.blw.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Berichte.

2532

Boom-Dynamik ab 2007 und Abschwung 2008 Ungünstige Wetterereignisse in wichtigen Anbaugebieten führten 2007 zu Preisanstiegen, die aufgrund der tiefen Lager besonders stark ausfielen. Dazu gehörten Dürren in Russland und der Ukraine, eine Jahrhundertdürre in Australien sowie Ernteprobleme aufgrund von Frost und Dürre in Argentinien.

Als Reaktion auf diese Anstiege ergriffen verschiedene Länder Politikmassnahmen, welche die Situation weiter verschärften und die Erwartungen und damit die Preisbildung auf den Agrarmärkten stark beeinflussten. Verschiedene Agrar-Exportländer reduzierten ihre Exporte (z. B. China, Argentinien, Russland und Vietnam), während auf der anderen Seite Netto-Importländer versuchten, zusätzliche Nahrungsmittel aufzukaufen und ihre Lager aufzustocken (u. a. die Philippinen oder Indien).

Die Preis-Hausse wurde 2008 durch zwei Dinge gestoppt: erstens durch die weltweite Rekordernte bei vielen Nahrungsmitteln, die auch durch die hohen Preiserwartungen angeregt worden war, sowie zweitens durch den Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, welche die Gesamtnachfrage und damit die Preise generell senkte.

Mit den sinkenden Preisen wurden in vielen Ländern die Lager wieder aufgestockt.

Preisanstiege 2011/12 Die Preisanstiege von 2011 wurden durch ungünstige Wetterbedingungen in wichtigen Anbaugebieten ausgelöst (Dürre und grossflächige Waldbrände in Russland, einsetzende Dürre in den USA, schwere Regenfälle in Australien, Frostschäden in Indien, v. a. beim Weizen). Darauf kam es zu Preissteigerungen und abnehmenden Lagern, was erneut ähnliche Politikmassnahmen wie 2008 auslöste (z. B. ein Exportverbot für Weizen in Russland, staatliche Weizenkäufe durch China, Ägypten, Indonesien und andere Länder), welche die Nahrungsmittelknappheit weiter verschärften und die Preise hochtrieben.

Preissenkungen seit 2012 Hauptgrund für die Abnahme der Weltmarktpreise der Agrargüter seit 2012 ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren das Angebot bei vielen Gütern der Nachfrage folgen konnte bzw. dieses 2013/14 sogar deutlich überstieg. Entsprechend konnten die knappen Lager wieder aufgefüllt werden. Mitverantwortlich dafür ist auch die Tatsache, dass nach 2012 in wichtigen Anbaugebieten, die für den Weltmarkt produzieren, keine wesentlichen witterungsbedingten Ausfälle zu verzeichnen waren.
Ebenso hat der sinkende Ölpreis eine Rolle gespielt. Eine wichtige Ausnahme bezüglich der Preisentwicklung betrifft Fleisch. Hier weisen die Weltmarktpreise weiterhin eine steigende Tendenz auf.

Ein zentraler Faktor für das Verständnis der gesamten Preisbewegungen ist die Höhe der Lagerbestände, da diese auf den Agrarmärkten eine Pufferfunktion einnehmen.

Identische Veränderungen von Angebot und Nachfrage können ­ je nachdem, wie hoch die Lagerbestände sind ­ sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. Sind die Lager gut gefüllt, können sie selbst starke Produktionsschwankungen abfedern. Sind die Lagerbestände hingegen gering, so können bereits kleine Änderungen der Nachfrage oder des Angebots grosse Preisreaktionen auslösen. Mitte 2007 waren die Lager bei vielen Agrargütern auf ein derart tiefes Niveau gesunken, dass sie ihre stabilisierende Rolle nicht mehr zu erfüllen vermochten. Dazu kommt, dass Angebot und Nachfrage nach Agrargütern in der kurzen Frist relativ starr sind, d. h. bereits

2533

kleine Veränderungen auf der Angebots- oder Nachfrageseite zu starken Preisreaktionen führen können (vgl. Ziff. 2.1).

All diese Argumente legen nahe, dass es wenig plausibel ist, dass die Spekulation auf den Warenterminmärkten die Agrarpreise in den letzten Jahren substanziell verzerrt haben könnte.

4.3

Umsetzbarkeit der Initiative

Um den Inhalt der Initiative umzusetzen, müsste bei jedem Agrarderivatgeschäft eines in der Schweiz niedergelassenen Akteurs überprüft werden, ob der Kontrakt zumindest einer Partei tatsächlich einer «terminlichen oder preislichen Absicherung bestimmter Liefermengen» dient oder nicht. Dies bedingt erstens eine Identifikation der beiden an der Transaktion beteiligten Parteien und zweitens eine Prüfung, inwiefern zumindest eine der Parteien damit eine Absicherung verfolgt.

Bei der heutigen Rechtslage ist die Identifikation der Gegenparteien schwierig umzusetzen, da die meisten Agrarderivate über Handelsplätze (Börsen oder multilaterale Handelssysteme) gehandelt werden und diese auf einer anonymisierten Basis arbeiten. Die Käufer und Verkäufer der Derivate sehen von ihren potenziellen Geschäftspartnern nur deren Verkaufs- und Kaufangebote, können jedoch die dahinter stehende Person oder das dahinter stehende Unternehmen nicht identifizieren.

Aus diesem Grund können sie beim Abschluss des Geschäfts auch nicht wissen, ob ihre Gegenpartei jetzt ein Spekulant oder ein Hedger ist.

Für die Umsetzung der Initiative müsste man deshalb auf substanzielle Anpassungen bei den Handelsplätzen und deren Betreibern hinwirken. Die relevanten Handelsplätze für Agrarderivate befinden sich jedoch nicht in der Schweiz, und es gibt keine Handhabe, um solche Anpassungen bei Handelsplätzen im Ausland durchzusetzen.

Dass die entsprechenden Handelsplätze bei einer Annahme der Initiative freiwillig solche Anpassungen für Schweizer Kunden vornehmen würden, erscheint wenig plausibel, da dies sowohl für die Handelsplätze als auch für die Kunden mit Kosten und Einschränkungen bei der Handelsausführung verbunden wäre. Aus diesem Grund dürfte es für Akteure aus der Schweiz bei einer Annahme der Initiative faktisch nahezu unmöglich sein, weiterhin spekulative Agrarderivatgeschäfte abzuschliessen. Eine Umsetzung der Initiative entspricht damit de facto einem generellen Verbot von Geschäften mit Agrarderivaten von Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz, die keine Absicherungsfunktion haben. Die Idee der Initiantinnen und Initianten, «gemischte» Agrarderivatgeschäfte zwischen Spekulanten und Hedgern vom Verbot auszunehmen, erweist sich somit in der Praxis als nicht durchsetzbar.

Die Kontrolle und Umsetzung des Verbots
könnte durch eine zu bestimmende Institution (z. B. im Rahmen der normalen Revision) geschehen. Bei der konkreten Definition, wann die Derivatgeschäfte eines Unternehmens der «terminlichen oder preislichen Absicherung bestimmter Liefermengen» dienen, könnte auf die im Zusammenhang mit dem FinfraG auszuarbeitende Hedging-Definition gemäss den Artikeln 97 Absatz 3 und 99 Absatz 4 des Entwurfs zum FinfraG zurückgegriffen werden.

2534

4.4

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Die Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme werden unter dem im vorherigen Abschnitt hergeleiteten Szenario für die konkrete Umsetzung dargestellt. Dieses umfasst ein de facto generelles Verbot von Geschäften mit Agrarderivaten, die keine Absicherungsfunktion haben, sowie ein Verbot von Investitionen in Fonds und strukturierte Produkte, welche Agrarderivate enthalten. Die Einhaltung des Verbots könnte wie gesagt beispielsweise im Rahmen der ordentlichen Revision bei den Unternehmen kontrolliert werden.

In den folgenden zwei Absätzen werden die Auswirkungen dieser Massnahmen auf die betroffenen Akteure und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dargestellt.

Danach wird die Frage ihrer Wirksamkeit behandelt.

4.4.1

Auswirkungen auf die betroffenen Akteure

Direkt von der Initiative betroffen sind alle Unternehmen, die mit Agrarderivaten oder entsprechenden Produkten handeln. Dies umfasst bei den finanziellen Unternehmen vor allem Banken, Versicherungen, Pensionskassen und Handelsplattformen und bei den kommerziellen Akteuren Agrarhandelsfirmen sowie die Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Indirekt ist auch der Staat davon betroffen.

Banken Banken können in verschiedener Form in den Handel mit Agrarderivaten involviert sein. Sie können solche Derivate erstens auf eigene Rechnung handeln. Sie können zweitens Fonds oder strukturierte Produkte vertreiben, die Agrarderivate enthalten und sich an private oder institutionelle Anleger richten (z. B. Index-Produkte). Oder sie können drittens für kommerzielle Kunden damit handeln, beispielsweise als Vermittler (Broker), wenn Unternehmen keinen direkten Zugang zu den Terminbörsen haben oder indem sie für kommerzielle Akteure Hedging-Geschäfte ausführen.

Aussagen zum Umfang solcher Geschäfte sind schwierig. Gemäss der jährlichen Publikation «Banken in der Schweiz» der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hielten Banken in der Schweiz per Ende 2013 gut 50 Milliarden Franken «übrige Derivate» aus Eigen- und Kundengeschäften,44 in denen auch Rohstoffderivate enthalten sind. Allerdings sind darin nur Geschäfte auf Stufe Unternehmung und nicht auf Stufe Konzern erfasst, d. h. Positionen ausländischer Tochtergesellschaften sind darin nicht enthalten. Dies kann bei grossen, international tätigen Banken mit Tochtergesellschaften im Ausland und Hauptsitz in der Schweiz ins Gewicht fallen.45 Gemäss Einschätzungen von Betroffenen ist der Vertrieb und Verkauf von auf Agrarderivaten basierenden Finanzprodukten für institutionelle und private Kunden der wichtigste Bereich für die Banken. Hier ist auch die Datenlage am besten.

Gemäss den Daten des Schweizerischen Fondsverbands waren im September 2014 44 45

SNB (2013): Die Banken in der Schweiz 2013, A116.

Wie in Ziff. 3.2 ausgeführt, soll das Verbot für Firmen mit Hauptsitz in der Schweiz weltweite Gültigkeit haben. Die Credit Suisse beispielsweise, weist in ihrem Jahresbericht 2013 auf Konzernebene ein Kontraktvolumen bei übrigen Derivaten (v. a. Rohstoffe) von 179,8 Mrd. CHF aus (S. 314), was die oben erwähnten 50 Mrd. CHF aus der SNB-Statistik bei Weitem übersteigt.

2535

gut 20 Mrd. Frankenüber in der Schweiz vertriebene Fonds in Rohstoffe in investiert,46 wobei die meisten dieser Fonds von Banken ausgegeben werden. Dies entspricht gut 2,5 % des in Fonds angelegten Vermögens. Auswertungen von verschiedenen Rohstoff-Fonds ergaben, dass im Bereich Rohstoffe etwa ein Drittel der Anlagen in Agrarrohstoffen liegt.47 Dies würde bedeuten, dass zwischen 6 und 7 Mrd. Franken über diese Fonds in Agrarrohstoffen angelegt sind. Diese Zahl deckt sich in etwa mit der Schätzung einer von Alliance Sud in Auftrag gegebenen Studie, die bei den wichtigsten Fondsanbietern auf dem Schweizer Finanzplatz auf 6 Mrd.

Franken Investitionen in Agrarrohstoffe kam.48 Bei den strukturierten Produkten waren in der Schweiz im September 2014 gemäss Statistik der SNB insgesamt gut 198 Mrd. Franken investiert.49 Nicht bekannt ist der Anteil Rohstoffe bzw. Agrarrohstoffe. Über das Ausmass des Eigenhandels der Banken mit Agrarderivaten und des Handels für kommerzielle Kunden gibt es keine Angaben.

Bei einer Annahme und Umsetzung der Initiative könnten Banken mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz keinen Eigenhandel mit Agrarderivaten mehr betreiben, keine entsprechenden Produkte mit Agrarderivaten für private und institutionelle Kunden mehr anbieten und müssten bei Agrarderivatgeschäften für kommerzielle Dritte die Absicherungsfunktion dieser Geschäfte nachweisen. Für Banken mit Hauptsitz in der Schweiz würden diese Einschränkungen sogar weltweit gelten.

Verglichen mit der Summe aller verwalteten Vermögen in der Schweiz, erscheint die Bedeutung der Agrarrohstoffe gering. Diese Einschätzung hängt allerdings stark davon ab, wie sich eine solche Regelung auf die generellen Geschäfte der Banken mit Rohstoff-Finanzprodukten auswirken würde. Da der Diversifikationsvorteil von Index-Produkten zu einem grossen Teil auf Agrarderivaten beruht (vgl. Ziff. 2.1), verlieren die entsprechenden Produkte an Attraktivität, wenn keine solchen Derivate mehr darin enthalten sein dürfen. Dies könnte einen Wettbewerbsnachteil für in der Schweiz tätige Anbieter von Rohstoff-Finanzprodukten ergeben. Ein zusätzlicher negativer Einfluss ergibt sich auch über die Verbindung zum physischen Handel mit Agrarrohstoffen, wo viele Banken in der Finanzierung tätig sind. Schrumpft das physische Handelsgeschäft oder wandern diese
Handelsfirmen ab (vgl. hierzu die Erläuterungen weiter unten), so wirkt sich das auch negativ auf die Banken aus, die diesen Handel finanzieren.

In einer ähnlichen Weise wie die Banken wären auch weitere finanzielle Unternehmen ausserhalb von Banken betroffen, die im Anlagegeschäft tätig sind. So gibt es einige Hedge Fonds, welche auf Anlagen im Rohstoffbereich spezialisiert sind, und entsprechende Produkte werden auch von Effektenhändlern und unabhängigen Vermögensverwaltern angeboten.

Versicherungen Versicherungen sind als Käufer von Index- oder anderen Produkten, welche Agrarderivate enthalten, in den Handel mit Agrarderivaten involviert. Gemäss Auskunft der FINMA beträgt der Anteil der Anlagen in Rohstoffe jedoch lediglich 0,1 % der gesamten Kapitalanlagen der Versicherer. Bei gesamten Kapitalanlagen der Versi46 47 48 49

Vgl. www.swissfunddata.ch > Marktdaten > Marktstatistiken.

Brot für alle, Fastenopfer, Alliance Sud (2013): Investitionen von Schweizer Banken in Agrarrohstoffe.

Mugglin, Markus (2014): Nahrungsmittel-Spekulation ­ (k)ein Problem? Studie im Auftrag von Alliance Sud, S. 15.

SNB (2014): Statistisches Monatsheft November, S. 51.

2536

cherer von gut 510 Mrd. Franken Ende 201350 wären dies lediglich 510 Mio. Franken. Der Anteil an Agrarrohstoffen wäre wohl wie bei den Fonds mit etwa einem Drittel zu gewichten. Eine Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass Versicherungen keine solchen Anlagen mehr tätigen könnten. Sie verlören damit auch den erwähnten Diversifikationsvorteil einer solchen Anlage (vgl. Ziff. 2.1).

Pensionskassen Auch Pensionskassen sind als Käufer von Index- oder anderen Produkten in den Handel mit Agrarderivaten eingebunden. Gemäss Pensionskassen-Statistik waren Ende 2013 gut 19 Mrd. Franken in der Kategorie «übrige alternative Anlagen» investiert, die unter anderem Investitionen in Rohstoffe umfassen. Dies entspricht 2,65 % des Vorsorgevermögens.51 Der genaue Anteil der Agrarrohstoffe daran ist nicht bekannt. Es dürfte sich nur um einen relativ kleinen Bruchteil handeln. Nimmt man die Resultate einer Umfrage der Zeitung «Der Sonntag» (Artikel vom 24. Febr.

2013) zum Massstab, bei der zwölf verschiedene öffentlichen Pensionskassen nach ihren Anlagen in Agrarrohstoffe befragt wurden, so investierten Pensionskassen im Durchschnitt 0,45 % ihres angelegten Vermögens in Agrarrohstoffe. Eine Annahme der Initiative hätte für die Pensionskassen ebenfalls zur Folge, dass sie keine solchen Anlagen mehr tätigen dürfen.

Handelsplattformen Wie bereits in Ziffer 2.3 erwähnt, gibt es in der Schweiz drei Handelsplattformen, über die Agrarderivate gehandelt werden, nämlich die Eurex Zürich, die SIX Structured Products Exchange AG sowie die SIX Swiss Exchange. Während auf der Eurex Derivate direkt mit professionellen Marktteilnehmern gehandelt werden, dienen die beiden anderen Plattformen im Derivatbereich dem Sekundärhandel, bei dem von Banken oder anderen Emittenten ausgegebene Produkte gehandelt werden.

Die SIX-Plattformen werden vor allem von privaten und institutionellen Anlegern in der Schweiz genutzt.

An der Eurex Zürich werden momentan sechs verschiedene Agrarderivate gehandelt. Die gehandelten Volumina sind allerdings sehr klein. An der SIX Structured Products AG sind insgesamt rund 35 000 strukturierte Produkte gelistet. Davon haben gemäss Schätzungen der SIX einige Hundert einen Bezug zu Agrarrohstoffen, die meisten davon über Rohstoff-Index-Produkte. Zudem sind an der SIX Swiss Exchange insgesamt gut 120 Fonds
(von gut 1300) auf Rohstoffe kotiert.52 Die gehandelten Volumina sind gemäss Auskunft der SIX auch hier bescheiden.

Da die in der Schweiz tätigen Emittenten von Finanzprodukten, die Agrarderivate enthalten, bei einer Annahme der Initiative keine solchen Produkte mehr vertreiben könnten, wären die SIX-Plattformen über einen entsprechenden Rückgang der gelisteten Produkte und der gehandelten Volumina von einer Annahme der Initiative betroffen. Wie bei den Banken ausgeführt, stellt sich zudem die Frage, inwiefern sich die Initiative auf den generellen Vertrieb von Rohstoff-Finanzprodukten auswirken wird. Sollte dieses Geschäft in der Schweiz generell zum Erliegen kommen, dürfte dies die SIX-Plattformen entsprechend stärker treffen. Die Eurex wäre von 50 51 52

FINMA (2014): Bericht über den Versicherungsmarkt 2013, S. 5.

Vgl. www.bfs.admin.ch > Themen > 13 - Soziale Sicherheit > Sozialversicherungen > Berufliche Vorsorge > Detaillierte Daten.

Schweizerische Bankier-Vereinigung (2013): Die Schweiz als Rohstoffhandelsplatz, S. 18.

2537

der Initiative nur insofern betroffen, als dass keine spekulativen Transaktionen von Schweizer Akteuren mehr abgewickelt werden könnten.

Agrar-Handelsfirmen Die Schweiz spielt im internationalen Handel mit Agrargütern eine bedeutende Rolle. Gemäss Schätzungen der Branchenverbände aus dem Jahr 2010 werden etwa 35 % des weltweiten Getreidehandels, 50 % des Handels mit Zucker und 60 % des Handels mit Kaffee über die Schweiz abgewickelt.53 Viele international tätige Agrar-Handelsunternehmen haben einen Sitz oder eine Filiale in der Schweiz. Die meisten dieser Unternehmen befinden sich in der Region Genfersee, in Zug, Lugano und im Raum Zürich.

Agrar-Handelsfirmen können auf verschiedene Arten in den Handel mit Agrarderivaten involviert sein. Zum einen sichern sie damit ihre physischen Einkäufe und Verkäufe ab. Darüber hinaus können sie aber auch spekulative Derivatgeschäfte abschliessen, die nichts mit dem eigenen physischen Geschäft zu tun haben. Einige grössere Agrarhändler bieten zudem ähnlich wie die Banken Dienstleistungen im Asset Management für institutionelle oder private Anleger an. Diese Dienstleistungen werden oft in rechtlich getrennten Unternehmen durchgeführt.

Über den Umfang dieser Aktivitäten ­ insbesondere der spekulativen Aktivitäten, die losgelöst vom physischen Geschäft betrieben werden ­ gibt es keine verlässlichen Angaben. Da das Hauptgeschäft der Agrar-Handelsfirmen der physische Agrarhandel ist und mit spekulativen Aktivitäten zusätzliche Risiken verbunden sind, ist davon auszugehen, dass diese Firmen die Derivatmärkte hauptsächlich für Absicherungsgeschäfte nutzen.

Bei einer Annahme der Initiative könnten die in der Schweiz tätigen Agrar-Handelsfirmen faktisch nur noch Absicherungsgeschäfte vornehmen, und sie müssten dies z. B. im Rahmen der Revision nachweisen. Die durch diese Regelung verursachten Einschränkungen der Geschäftstätigkeit und die mit dem Nachweis einer Absicherung verbundenen Kosten unterscheiden sich je nach Unternehmen. Sie hängen wesentlich davon ab, in welchem Ausmass das Unternehmen heute NichtAbsicherungsgeschäfte mit Derivaten tätigt (z. B. Spekulation ausserhalb des eigenen physischen Geschäfts, Dienstleistungen im Asset-Management) und wie komplex die verfolgten Absicherungsstrategien sind. Schwierigkeiten beim Nachweis dürften auch Handelsfirmen
haben, die reine Absicherungsgeschäfte betreiben, denn die Derivatgeschäfte werden heute den physischen Transaktionen nicht in jedem Fall genau zugeordnet. Ein zentraler Punkt ist dabei die genaue Definition, was unter einem «Absicherungsgeschäft» verstanden wird. Je nachdem, wie diese Definition ausfällt, könnten die Agrar-Handeslfirmen generell relativ stark betroffen sein. Eine angemessene Definition eines «Absicherungsgeschäfts» ist anspruchsvoll, ist allerdings auch im Kontext der Umsetzung der aktuellen Reformen ausserbörslicher Derivatemärkte ­ etwa in den USA und der EU ­ umzusetzen. Auch in der Schweiz werden im Rahmen der Umsetzung des neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetzes Absicherungsgeschäfte klar zu definieren sein.

Neben den durch die Initiative verursachten Einschränkungen und Kosten stellen die Unsicherheiten, wie eine konkrete Umsetzung der Initiative im Fall einer Annahme 53

Grundlagenbericht Rohstoffe (2013), Bericht der interdepartementalen Plattform Rohstoffe an den Bundesrat, S. 11 f.

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genau aussehen würde und was das für die Geschäftstätigkeit der Handelsfirmen bedeutet, ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problem dar. Insgesamt würde sich bei einer Annahme der Initiative insbesondere bei ausländischen Unternehmen mit weltweit mehreren Standorten die Gefahr erhöhen, dass sie ihre Hedging-Abteilungen oder den gesamten Schweizer Standort ins Ausland verschieben. Dies wäre mit einem Verlust an Arbeitsplätzen verbunden.

Verarbeiter von Agrargütern Die Verarbeiter von Agrargütern umfassen im Wesentlichen die Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Wie viele Unternehmen in diesem Bereich Agrarderivate einsetzen, ist nicht bekannt. Ein solcher Einsatz dürfte vor allem für grössere Unternehmen in Frage kommen, die in einem grösseren Ausmass auf importiere Agrargüter angewiesen sind (z. B. Kakao, Kaffee, Getreide, Mais). Ob einige dieser Firmen auch sonstige Derivatgeschäfte tätigen, ist nicht bekannt.

Analog zu den Agrar-Handelsfirmen müssten auch diese Firmen bei einer Annahme und Umsetzung der Initiative nachweisen, dass ihre Derivatgeschäfte ausschliesslich eine Absicherungsfunktion haben. Wie bei Ersteren würden sich dadurch Kosten zur Einhaltung dieses Verbots sowie eventuelle Einschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit ergeben. Die von einer Annahme der Initiative ausgelöste Rechtsunsicherheit hätte auch hier negative Auswirkungen.

Staat Die öffentliche Hand wäre vor allem durch verminderte Steuereinnahmen von einer Annahme der Initiative betroffen, die sich durch den Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung bei den betroffenen Firmen ergeben. Diese lassen sich allerdings nicht quantifizieren.

SNB Die Anlagen der Schweizerischen Nationalbank sind auf Zinspapiere und Beteiligungspapiere beschränkt. Sie investiert demensprechend nicht in Agrarderivate und ­ abgesehen von Gold ­ auch nicht in Rohstoffe. Die Nationalbank wäre deshalb nicht von der Initiative betroffen.

4.4.2

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft

Direkt von der Initiative betroffen wären vor allem im Rohstoff-Bereich aktive Banken, Agrar-Handelsfirmen sowie grössere Unternehmen in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie, die stark auf Importe von Agrargütern angewiesen sind. Zwar können die Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wertschöpfung in diesen Firmen und damit auch auf die Steuereinnahmen bei einer Annahme der Initiative aufgrund der zurzeit noch offenen Umsetzungsfragen und unvollständiger Informationen über das Ausmass der Agrarderivat-Geschäfte der Unternehmen nicht genau beziffert werden. Es ist aber klar, dass die mit einer Annahme der Initiative verbundenen Kosten zum Nachweis einer Einhaltung des Verbots, die damit verbundenen Einschränkungen in der Geschäftstätigkeit und die dadurch geschaffene Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Umsetzung negative Auswirkungen auf die oben erwähnten Grössen hätten.

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Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen wären allerdings nicht auf diese Firmen beschränkt. Das in der Initiative geforderte Verbot stellt einen relativ starken Eingriff in die verfassungsrechtlich gesicherte Wirtschaftsfreiheit dar. Eine Annahme der Initiative würde deshalb die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz generell erhöhen und das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Schweiz schwächen. Somit hätte eine Annahme der Initiative auch eine negative Signalwirkung für andere Unternehmen im Rohstoffsektor und darüber hinaus. Dies gilt insbesondere auch für Unternehmen, die in Zukunft in die Schweiz ziehen könnten, und für Unternehmen, die in der Schweiz gegründet werden könnten. Eine weitere negative Folge wäre, dass durch die weltweite Gültigkeit des Verbots für Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz eine Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Firmen entsteht, für welche das Verbot nur für Tätigkeiten in der Schweiz gilt.

4.4.3

Wirksamkeit der Initiative

Wie in Ziffer 3.1 erläutert, soll mit den Massnahmen der Initiative die Spekulation auf den Agrar-Terminmärkten beschränkt und dadurch die Preisbildung auf diesen Märkten und die generelle Funktionsweise der Agrarmärkte verbessert werden. Um die Wirksamkeit der Initiative abzuschätzen, stellt sich deshalb primär die Frage, inwiefern die vorgeschlagenen Massnahmen die Spekulation auf den WarenTerminmärkten beschränken würden und ob sie generell einen Einfluss auf die Preisbildung auf den Terminmärkten hätten.

Um dies abzuschätzen, ist zum einen wichtig, wie viel des internationalen Handels mit Agrarderivaten, insbesondere des spekulativen Handels, über die Schweiz läuft, und zum anderen, wie einfach es für die betroffenen Akteure wäre, sich dem Verbot spekulativer Geschäfte zu entziehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, ob ein Unternehmen seinen Hauptsitz in der Schweiz hat, da das Verbot für diese Unternehmen weltweit gelten soll (vgl. Ziff. 3.2). Eine Umgehung des Verbots wäre für solche Unternehmen dementsprechend nur durch eine Verlagerung des Hauptsitzes möglich, während für ausländische Unternehmen auch eine Verlagerung der unter das Verbot fallenden Aktivitäten möglich ist.

Aufgrund der Tatsache, dass ein bedeutender Teil des internationalen physischen Handels mit Agrargütern über die Schweiz abgewickelt wird, ist davon auszugehen, dass die Schweiz auch beim internationalen Handel mit Agrarderivaten eine gewisse Bedeutung hat. Allerdings sind Agrar-Handelsfirmen primär im physischen Geschäft tätig, sodass die meisten ihrer Derivatgeschäfte eine Absicherungsfunktion haben sollten. Über das Ausmass darüber hinaus gehender, spekulativer Geschäfte gibt es keine verlässlichen Angaben. Da die meisten grossen, in der Schweiz tätigen AgrarHandelsfirmen ausländische Firmen sind,54 ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie diese Geschäfte, sofern sie solche momentan von der Schweiz aus tätigen, an einen anderen Standort verlagern würden.

Bei den finanziellen Akteuren, die im Zusammenhang mit der Initiative besonders im Fokus stehen, dürfte die Bedeutung der von der Schweiz aus getätigten Geschäfte 54

Eine Ausnahme ist Glencore. Das Unternehmen ist allerdings vor allem im Geschäft mit energetischen und mineralischen Rohstoffen und weniger im Geschäft mit Agrarrohstoffen aktiv.

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mit Agrarderivaten eher gering sein. Unter den zwölf wichtigsten finanziellen Institutionen im Handel mit Rohstoffderivaten taucht nur eine Schweizer Grossbank auf.55 Zudem sind die in Agrarrohstoffen investierten Volumina von Schweizer Pensionskassen und Versicherungen relativ klein. Dass ausländische Banken ihre Rohstoffderivatgeschäfte vor allem von der Schweiz aus abwickeln würden, ist nicht bekannt. Sollte dies der Fall sein, wäre auch hier die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie diese Geschäfte aus der Schweiz auslagern würden.

Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass das vorgeschlagene Verbot praktisch keinen Einfluss auf die Spekulation auf den Agrar-Terminmärkten und die dort gebildeten Preise hätte.

4.5

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative zielt auf ein Verbot von Geschäften mit Agrar-Derivaten, bei denen keine der beiden Seiten eine Absicherung vornimmt. Von der Annahme ausgehend, dass die vorgeschlagenen Massnahmen in den Geltungsbereich des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der WTO und der Freihandelsabkommen der Schweiz fallen würden, wären sie damit vereinbar. Sie widersprechen den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nach diesen Abkommen nicht, da sie Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen keine günstigere Behandlung gewähren und betroffenen Unternehmen keine mengenmässige Beschränkung ihrer Aktivitäten vorschreiben.

5

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Bundesrat die Ansicht der Initiantinnen und Initianten teilt, dass hohe Preise von Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung in Entwicklungsländern schwerwiegende Konsequenzen haben können. Dies insbesondere in Ländern, die stark auf den Import dieser Produkte angewiesen sind. Der Bundesrat erachtet den Vorschlag der Initiative jedoch aus verschiedenen Gründen als ungeeignet, um dieses Problem wirksam anzugehen.

Zum einen ist es aufgrund der vorliegenden Informationen wenig wahrscheinlich, dass die Spekulation massgeblich zu den Preisspitzen der letzten Jahre bei vielen Agrargütern beigetragen hat. In dieser Hinsicht besteht deshalb kein ausreichender Handlungsbedarf für politische Massnahmen zur Beschränkung der Spekulation auf den Warenterminmärkten.

Zum andern hätten die vorgeschlagenen Massnahmen keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Vorgänge an den internationalen Warenterminmärkten, da die betroffenen Unternehmen der Regulierung durch einen Wegzug oder eine Verlagerung der betroffenen Geschäfte ausweichen können oder ihre Marktanteile von ausländischen Konkurrenten übernommen würden. Die Massnahmen wären also nicht geeignet, die Spekulation auf den Warenterminmärkten wirksam zu begrenzen.

55

Valiante, D., Egenhofer, C. (2013): Price Formation in Commodities Markets: Financialisation and Beyond, S. 27.

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Schliesslich würde die Initiative für die betroffenen Unternehmen Kosten und relativ starke Einschränkungen in ihrer Geschäftstätigkeit mit sich bringen; und zwar nicht nur für die «spekulierenden» Unternehmen, sondern auch für diejenigen, die nachweisen müssen, dass sie nicht spekulieren. Dementsprechend wäre bei einer Annahme der Initiative mit Verlusten an Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Steuereinnahmen zu rechnen. Dazu trägt auch bei, dass die Initiative die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz erhöhen würde und eine negative Signalwirkung für den ganzen Wirtschaftsstandort Schweiz hätte.

Aus ähnlichen Überlegungen spricht sich der Bundesrat auch gegen einen direkten Gegenentwurf oder einen indirekten Gegenvorschlag aus. Weder besteht ein entsprechender Handlungsbedarf, noch gäbe es geeignete alternative Massnahmen im Bereich der Regulierung des Derivathandels, welche die Schweiz ergreifen könnte.

Der Hauptgrund dafür ist, dass sich in der Schweiz keine relevanten Handelsplattformen für Agrarderivate befinden, an denen die Regulierung ansetzen könnte.

Zudem verfügt die in der Schweiz tätige Handelsplattform für Derivate im Rahmen der Selbstregulierung bereits heute über ausreichende Instrumente, um einen gut funktionierenden Derivathandel und eine marktgerechte Preisbildung zu gewährleisten. Mit den Bestimmungen im Börsengesetz, beispielsweise jene gegen Marktmanipulation und Insiderhandel, bestehen damit gute Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Warenterminhandel in der Schweiz. Mit dem FinfraG sollten diese weiter verbessert und den internationalen Entwicklungen bei der Regulierung der Derivatmärkte angepasst werden. So wird beispielsweise die vorgesehene umfassende Meldepflicht für Derivatgeschäfte auch auf den Warenterminmärkten zu einer Erhöhung der Transparenz beitragen.

Nachdem die EU im Rahmen der Regulierung ihrer Warenterminmärkte die Einführung von Positionslimiten für spekulative Geschäfte beschlossen hat, hat der Bundesrat dem Parlament, im Rahmen der Beratungen des FinfraG empfohlen, auch in der Schweiz eine rechtliche Grundlage für analoge Positionslimiten zu schaffen. Für den Bundesrat stehen dabei jedoch Überlegungen zur Äquivalenz mit dem EU-Recht und zur Reputation des Finanzplatzes im Vordergrund,
weshalb es sich bei dieser Empfehlung nicht um einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative handelt. Dennoch kann diese Regelung einen Beitrag dazu leisten, eine geordnete Preisbildung und Konvergenz zwischen den Preisen am Derivatmarkt sowie am Basismarkt der entsprechenden Waren sicherzustellen.

Zusätzlich zu diesen Massnahmen ist der Bundesrat bestrebt, die Funktionsweise der physischen Agrarmärkte zu verbessern. Wichtige Ansatzpunkte sind hier etwa die Lagerbestände, über die es oft wenig Informationen gibt, oder die politischen Handelsmassnahmen, die besser koordiniert sein sollten. Der Bundesrat setzt sich hierfür im Rahmen verschiedener internationaler Organisationen ein, wie beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen. Zudem engagiert sich der Bund im Rahmen der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit für eine nachhaltige Stärkung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern sowie in der humanitären Nothilfe.

Aus diesen Gründen beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

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