Beilage

Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz: Bilanz 2011­2014 und Perspektiven

2014-2930

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Übersicht Das Engagement der Schweiz zugunsten der Menschenrechte ist in der Rechtsordnung und der Tradition unseres Landes verankert und dient unseren Interessen.

Innerstaatlich ist der Schutz der Menschenrechte unerlässlich für die konkrete Verwirklichung der direkten Demokratie, da diese Rechte die Freiheit und Sicherheit des Einzelnen begründen. International trägt er zur internationalen Sicherheit, zur Verhütung von Konflikten und zur nachhaltigen Entwicklung bei, insbesondere in fragilen Ländern. Im Berichtszeitraum setzte sich die Schweiz in einem von gegensätzlichen Entwicklungen geprägten internationalen Umfeld weiterhin entschlossen, nach aussen wahrnehmbar und glaubwürdig für die Menschenrechte ein.

Trotz eines immer umfangreicheren Rechtsrahmens sind Menschenrechtsverletzungen nach wie vor weltweit an der Tagesordnung, ob sie von den Staaten nun vorsätzlich oder versehentlich begangen, explizit durch Berufung auf angeblich übergeordnete Erfordernisse abgetan oder einfach ignoriert werden. Diese Entwicklungen finden in einem Kontext statt, der gekennzeichnet ist von Wirtschaftskrisen, der wachsenden Bedeutung und grenzüberschreitenden Natur nichtstaatlicher Akteure, Kulturrelativismus, der rasanten Verbreitung sozialer Medien und der Vielschichtigkeit von Konflikten. Sie stellen die Schweiz und das in erster Linie auf einer Gemeinschaft souveräner Staaten gründende System der globalen Gouvernanz als Ganzes vor eine ständige Herausforderung.

In gewissem Sinne sind die Menschenrechte Opfer ihres Erfolgs. Gegenwärtig nimmt kaum eine politische Situation oder Krise ihren Verlauf, ohne dass die Dimension der Menschenrechte ausdrücklich in der damit einhergehenden allgemeinen Rhetorik, der Beschreibung der ihr zugrunde liegenden Ursachen oder den zu ihrer Beilegung formulierten Lösungsansätzen geltend gemacht wird. Die Schweiz begrüsst diesen Trend und unterstützt die stärkere Integration der Menschenrechte in den Prozess der internationalen Gouvernanz. Leider geht dies seit einigen Jahren mit einer zunehmenden Politisierung der Debatte und einer wachsenden Polarisierung bei bestimmten Themen einher, und selbst die Universalität der Menschenrechte wird in Frage gestellt.

In diesem anspruchsvollen Kontext bemühte sich die Schweiz während des Berichtszeitraums, den Dialog zu erleichtern und
kreative Lösungen zur optimalen Gestaltung des Systems für die Gouvernanz und Überwachung im Bereich Menschenrechte aufzuzeigen, den Einbezug der Menschenrechte in das gesamte politische Handeln zu fördern und eine den aktuellen Erfordernissen angemessene normative und institutionelle Architektur zu gewährleisten. Zudem setzte sich die Schweiz dafür ein, die Debatte über die Menschenrechtsverantwortung nichtstaatlicher Akteure, die entscheidende Rolle der Unternehmen bei der Einhaltung und den zentralen Stellenwert der Zivilgesellschaft bei der Überwachung der Verwirklichung, Förderung und dynamischen Weiterentwicklung der Menschenrechte voranzubringen.

Zur Verwirklichung dieser Ziele muss der Bundesrat entscheiden, in welchen Bereichen und Ländern er sich vorrangig engagiert, vor allem um die ihm zur Verfügung stehenden Mittel möglichst wirksam einzusetzen und konkrete politische und opera-

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tive Ergebnisse herbeizuführen. Somit lassen sich sechs Arbeitsschwerpunkte ableiten, in denen sich die Schweiz im Berichtszeitraum nachhaltig, sichtbar und mitunter entschieden engagierte: ­

Erstens war sie bestrebt, der Zivilgesellschaft stärker Gehör zu verschaffen und Menschenrechtsverteidiger zu schützen. Unser Land gewährte Menschenrechtsverteidigern nicht nur politische Unterstützung in zahlreichen Situationen, sondern legte dem Menschenrechtsrat jedes Jahr eine Resolution zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes bei friedlichen Demonstrationen vor.

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Zweitens verstärkte die Schweiz ihr Engagement für die Rechte der Frauen, etwa indem sie dieses Thema zu einem prioritären Bestandteil ihrer bilateralen Beziehungen und von Projekten vor Ort machte oder bei multilateralen Gesprächen eine Vermittlerrolle wahrnahm.

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Drittens verteidigte sie die Integration der Menschenrechte in die Entwicklungszusammenarbeit, die humanitäre Hilfe und die Friedensförderung, und zwar bei ihren eigenen Massnahmen sowie im Rahmen der Entwicklungsagenda für die Zeit nach den Millenniumsentwicklungszielen (Post-2015Agenda).

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Ein vierter Arbeitsschwerpunkt der Schweiz war die weltweite Abschaffung der Todesstrafe. Beispiele dafür sind die im Juni 2014 im Menschenrechtsrat eingebrachte Resolution und zwischenstaatliche Ad-hoc-Initiativen wie die Appelle, welche die Schweiz anlässlich des Internationalen Tages gegen die Todesstrafe am 10. Oktober lancierte.

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Fünftens spielte die Schweiz weiterhin eine Vorreiterrolle beim Einbezug der Menschenrechte in die Aktivitäten von Unternehmen, namentlich im Rahmen des Vorsitzes der Initiative «Freiwillige Grundsätze für Sicherheit und Menschenrechte», den sie 2013 innehatte.

­

Schliesslich wirkte die Schweiz prioritär auf die verstärkte Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte hin, indem sie sich namentlich dafür einsetzte, die Wirksamkeit der Vertragsorgane zu steigern, die Weiterverfolgung der allgemeinen regelmässigen Überprüfung zu verbessern, das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren oder ihren eigenen konzeptionellen Ansatz für die Vergangenheitsarbeit und die Prävention von Gräueltaten zu fördern.

Dank dem Engagement in diesen sechs Arbeitsbereichen war es möglich, konkrete Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig wichtige Herausforderungen für die Zukunft zu identifizieren. Der Bundesrat kann für sein konkretes Engagement in Menschenrechtsfragen auf verschiedene Instrumente zurückgreifen. Zu den vielfältigen bilateralen Instrumenten zählen Menschenrechtsdialoge und -konsultationen, die ein Mittel erster Wahl für den Austausch über die jeweiligen Prioritäten und bewährten Verfahren in diesem Bereich und ­ soweit möglich ­ die Förderung von Verbesserungen der Menschenrechtslage im Partnerland darstellen. Ein weiteres wichtiges Arbeitsinstrument der Schweiz auf diesem bedeutenden aussenpolitischen Gebiet ist das Engagement in der UNO. Die dritte Kategorie ist die Zusammenarbeit mit

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nichtstaatlichen Akteuren, über die unser Land auf die bessere Einhaltung der Menschenrechte hinwirken und eine Gouvernanz in diesem Bereich fördern kann, die den Realitäten vor Ort Rechnung trägt. Schliesslich verfügt die Schweiz mit Genf als der Welthauptstadt der Menschenrechte über ein einzigartiges Mittel, ihrem Menschenrechtsengagement mehr Wirkung und Sichtbarkeit zu verleihen.

Die Umsetzung der Menschenrechte durch die Schweiz ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit ihrer Menschenrechtsaussenpolitik. Der Bundesrat muss auch die allgemeine Kohärenz der Aussenpolitik sicherstellen, insbesondere eine Übereinstimmung zwischen seiner Menschenrechtspolitik und anderen Politikbereichen. Intern ermöglicht die Koordination zwischen den Amtsstellen die Berücksichtigung von Menschenrechtsbelangen (sogenanntes Mainstreaming) bei der Festlegung und Umsetzung der gesamten Schweizer Aussenpolitik. Dies gilt vor allem für die Aussenwirtschaftspolitik, die Sicherheitspolitik und die Migrationspolitik. Zudem setzt sich die Schweiz für den Einbezug der Menschenrechte bei der Formulierung der internationalen Politik in diesen und anderen Bereichen ein.

Um diese verschiedenen Ziele zu erreichen, wird sich die Schweiz bemühen, auch weiterhin als einflussreiche Akteurin der globalen Menschenrechtsgouvernanz aufzutreten. Ihr langjähriges Engagement, ihre nachgewiesene Sachkenntnis im Menschenrechtsbereich, ihr rechtsbasierter Ansatz, ihre Dialogbereitschaft und das Fehlen einer versteckten politischen Agenda stellen Vorzüge dar, die sich die Schweiz in diesem Zusammenhang nach Kräften zunutze machen wird.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Einleitung

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Hintergrund 1.1 Tradition und Grundlagen des Schweizer Engagements im Bereich der Menschenrechte 1.2 Menschenrechte in der internationalen Arena: Trends und Herausforderungen Schwerpunkte der Schweizer Menschenrechtspolitik 2011­2014 2.1 Vorbemerkungen 2.2 Förderung der Zivilgesellschaft und Schutz von Menschenrechtsverteidigern 2.2.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.2.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen 2.3 Engagement für die Rechte der Frauen und gegen Diskriminierung 2.3.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.3.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen 2.4 Menschenrechte, Friedensförderung, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit 2.4.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.4.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen 2.5 Abschaffung der Todesstrafe 2.5.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.5.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen 2.6 Wirtschaft und Menschenrechte 2.6.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.6.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen 2.7 Verstärkte Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte 2.7.1 Grundsätze und zentrale Handlungsfelder 2.7.2 Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen Instrumente der Schweizer Menschenrechtsaussenpolitik 3.1 Vorbemerkungen 3.2 Bilaterale Instrumente 3.3 Multilaterale Instrumente 3.3.1 Engagement in der UNO 3.3.2 Engagement in Regionalorganisationen

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3.4 3.5

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5

Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren Genf, Welthauptstadt der Menschenrechte 3.5.1 Rahmenbedingungen 3.5.2 Menschenrechtsrat: Chancen und Herausforderungen

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Garantie für Kohärenz: Grundsätze und Instrumente 4.1 Vorbemerkungen 4.2 Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik im Bereich der Menschenrechte 4.3 Einbezug der Menschenrechte und Kohärenz der Aussenpolitik: Grundsätze und Instrumente 4.3.1 Kohärenz von Aussenwirtschaftspolitik und Menschenrechtspolitik 4.3.2 Kohärenz von Sicherheitsaussenpolitik und Menschenrechtspolitik 4.3.3 Kohärenz von Migrationsaussenpolitik und Menschenrechtspolitik

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Schlussfolgerungen

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Bericht Einleitung Dies ist der dritte Bericht1 des Bundesrats an das Parlament in Erfüllung des Postulats der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom 14. August 2000 (00.3414 ­ «Regelmässige Berichterstattung über die Menschenrechtspolitik der Schweiz»), das folgenden Wortlaut hat: «Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament einmal pro Legislatur in einem Situationsbericht Auskunft zu geben über die getroffenen, eingeleiteten und geplanten Massnahmen und Bemühungen zur Förderung einer wirksamen und kohärenten Menschenrechtspolitik. Dieser Bericht soll insbesondere folgende Punkte berücksichtigen: ­

Übersicht über aktuelle Zielsetzung, Planung und getroffene Massnahmen in der schweizerischen Menschenrechtspolitik und Würdigung ihrer Wirksamkeit;

­

Darstellung, wie menschenrechtliche Kriterien in den verschiedenen Politikbereichen zur Anwendung kommen (insbesondere Entwicklungs-, Aussenwirtschafts-, Migrations- und Friedenspolitik usw.) und Offenlegung der Interessenkonflikte, in denen Werte der Menschenrechte gegen andere Werte abgewogen werden;

­

Aufzeigen, mit welchen Massnahmen Wirksamkeit und Kohärenz von aussenpolitischen und aussenwirtschaftspolitischen Aktivitäten verstärkt werden können und werden;

­

Einbezug von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zur Weiterentwicklung der Menschenrechtspolitik.»

Im einleitenden Kapitel des Berichts werden die Grundlagen des Menschenrechtsengagements der Schweiz angesprochen und die aktuellen internationalen Trends und Herausforderungen in diesem Bereich beschrieben (Ziff. 1). Daraufhin werden die Ziele und Arbeitsschwerpunkte der Schweiz im Berichtszeitraum (Ziff. 2) sowie die dem Bundesrat zur Verfügung stehenden Instrumente (Ziff. 3) vorgestellt.

Abschliessend wird auf die Frage der Kohärenz der Aussenpolitik aus einer Menschenrechtsperspektive (Ziff. 4) eingegangen und eine Reihe von Schlussfolgerungen gezogen.

1

Hintergrund

1.1

Tradition und Grundlagen des Schweizer Engagements im Bereich der Menschenrechte

Die Menschenrechte und Grundfreiheiten sind universelle Werte. Ihre Achtung spielt eine wichtige Rolle in Bezug auf Frieden und Sicherheit, das Gemeinwohl und den wirtschaftlichen Wohlstand, die ihrerseits den freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen den Ländern förderlich sind. Wie die jüngere 1

Die beiden ersten Berichte sind erschienen in BBl 2006 6071 und BBl 2011 1013, hier 1269.

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Geschichte regelmässig gezeigt hat, stellt ein Staat, der die Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht achtet, eine Gefahr primär für seine Bevölkerung dar. Je nach den möglichen Folgen einer solchen internen Situation kann dieser Staat auch zu einer Gefahr für die Nachbarstaaten, die Region und sogar für die ganze Welt werden.

Die Menschenrechte sind in den internationalen Verträgen und im Gewohnheitsrecht, jedoch auch in der Bundesverfassung2 (BV) enthalten. Sie leiten das innenwie aussenpolitische Handeln des Bundesrats. Artikel 54 BV nennt die Förderung der Achtung der Menschenrechte als eines der fünf Hauptziele der Schweizer Aussenpolitik. Das Menschenrechtsengagement der Schweiz ist nicht nur in ihrer Rechtsordnung, sondern auch in ihrer Tradition verankert. Zudem steht es im Einklang mit ihrem Engagement für das humanitäre Völkerrecht. Aussagekräftige Beispiele dafür sind die internationale Ausstrahlung der Schweiz über die Stadt Genf als «humanitäres und menschenrechtliches Zentrum» sowie die feste Zusammenarbeit zu diesem Thema mit der Zivilgesellschaft, in der Schweiz wie im Ausland.

Der Schutz der Menschenrechte dient auch den Interessen der Schweiz. Innerstaatlich ist er unerlässlich für die konkrete Verwirklichung der direkten Demokratie, da er die Freiheit und Sicherheit des Einzelnen begründet. Mit seinem Erfolg beweist das «Schweizer Modell», dass die Achtung der Menschenrechte Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Staates ist. Durch die Menschenrechte wird der Staat für sein Handeln rechenschaftspflichtig gemacht und sein Interesse allgemein dem der Bevölkerung untergeordnet. International trägt der Schutz der Menschenrechte zur internationalen Sicherheit, zur Verhütung von Konflikten und zur Entwicklung der fragilen Länder bei, allesamt globale Fragen, die auch im Interesse unseres Landes liegen.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Schweiz weiterhin entschlossen und glaubhaft für die Menschenrechte ein. Spezifische Werte, die sie als grundlegend ansieht, sind unter anderem das friedliche Zusammenleben und die gegenseitige Achtung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Religionen, Sprachen, Ethnien und Kulturen, ihre humanitäre Tradition, ihre allseits geschätzten guten Dienste, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Solidarität und Zuverlässigkeit. Neutralität,
die Nichtbeteiligung an festen Militärbündnissen und das Fehlen einer versteckten politischen Agenda stellen weitere wichtige Vorzüge dar, die dem Schweizer Menschenrechtsengagement Glaubwürdigkeit verleihen. Gestärkt wird dieses Engagement auch durch die Sachkenntnis der zivilgesellschaftlichen Akteure in der Schweiz, etwa der Hochschulen, und der Bundesverwaltung. Schliesslich wird die konkrete Umsetzung des menschenrechtlichen Engagements der Schweiz durch ein umfangreiches Netz von Botschaften und anderen externen Vertretungen ermöglicht.

Aufgrund der universellen und bereichsübergreifenden Dimension, die die Menschenrechte ihrer Existenz und ihrem Wesen nach aufweisen, hat die Schweizer Menschenrechtspolitik Auswirkungen auf andere Bereiche, in denen die Menschenrechte einen besonderen Stellenwert einnehmen. In der Aussenpolitischen Strategie 2012­2015 der Schweiz wird auf die übergreifende Bedeutung von Menschenrechtsbelangen in der Weltpolitik und beim internationalen Engagement unseres Landes hingewiesen3.

2 3

SR 101 Aussenpolitische Strategie 2012­2015, S. 5 und 14 (www.eda.admin.ch > Das EDA > Die Umsetzung der Schweizer Aussenpolitik).

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1.2

Menschenrechte in der internationalen Arena: Trends und Herausforderungen

Das Engagement der Schweiz für die Menschenrechte erfolgt in einem anspruchsvollen internationalen Kontext, der von gegensätzlich erscheinenden Entwicklungen geprägt ist. Einerseits nahm die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte in internationalen Foren während der letzten Jahrzehnte eine ausgesprochen dynamische Entwicklung.4 So wurden auf globaler, regionaler und nationaler Ebene zahlreiche Normen und Mechanismen zum besseren Schutz und zur stärkeren Achtung der Menschenrechte eingeführt oder konsolidiert.

Andererseits stellt die Erfüllung der Verpflichtungen und Zusagen der Staaten im Bereich der Menschenrechte noch immer die grösste Herausforderung dar. Trotz eines immer umfangreicheren Rechtsrahmens sind Menschenrechtsverletzungen nach wie vor weltweit an der Tagesordnung, ob sie nun von den Staaten vorsätzlich oder versehentlich begangen, explizit durch Berufung angeblich übergeordnete Erfordernisse (etwa die Sicherheit oder die nationale Souveränität) abgetan oder einfach missachtet werden. Diese Entwicklungen finden in einem Kontext statt, der von der grenzüberschreitenden Natur der Akteure und der zunehmenden Vielschichtigkeit und wachsenden Zahl von Konflikten gekennzeichnet ist. Sie stellen das vor allem auf einer Gemeinschaft souveräner Staaten gründende System der globalen Gouvernanz vor eine ständige Herausforderung. Straflosigkeit, Ungleichheit und Migration sind weitere globale Phänomene, die sich in besonders starkem und unvorhersehbarem Masse auf Menschenrechtsfragen auswirken.

Mehr als zwanzig Jahre nach der Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien über Menschenrechte herrscht in Fachkreisen deshalb allgemeine Frustration über den ehrgeizigen Inhalt dieser am 23. Juni 1993 verabschiedeten Dokumente und die Rückschritte, die seitdem in bestimmten Fällen verzeichnet wurden. In gewissem Sinne sind die Menschenrechte Opfer ihres Erfolgs. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl von Verträgen, Konsultationsprozessen, Ausschüssen, Resolutionen und anderen Instrumenten sowie die Zahl der Vertragsstaaten von Übereinkommen stetig zunimmt, stellt sich die Frage, ob die Menschenrechtsarchitektur in der Lage ist, den sich ständig wandelnden Anforderungen gerecht zu werden und den Bezug zur Realität der Menschenrechte und ihrer Verletzungen vor Ort zu wahren.

Ganz unbestreitbar
hat die bedeutende normative und institutionelle Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte im Zusammenspiel mit exogenen Faktoren wie der Globalisierung oder den neuen Technologien zu einem grösseren Einfluss von Menschenrechtsfragen bei der Bewältigung globaler Herausforderungen geführt. Gegenwärtig nimmt kaum eine politische Situation oder Krise ihren Verlauf, ohne dass die Dimension der Menschenrechte ausdrücklich in der damit einhergehenden allgemeinen Rhetorik, der Beschreibung der ihr zugrunde liegenden Ursachen oder den zu ihrer Beilegung formulierten Lösungsansätzen geltend gemacht wird. Veranschaulicht wird dieser Trend im Berichtszeitraum zum Beispiel durch die Welle der Proteste und Ereignisse des Arabischen Frühlings. Er äusserte sich auch dadurch, dass es den Menschenrechtsinstitutionen gelang, Einfluss auf den Umgang der internationalen Gemeinschaft mit bestimmten Ereignissen und ihre Reaktion darauf zu nehmen. Im Fall des Arabischen Frühlings konnte der Menschenrechtsrat aktiv werden, 4

Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz (2007­2011). Anhang 2 zum Aussenpolitischen Bericht 2010, BBl 2011 1013

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bevor die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) ihre Beschlüsse fassten, und dadurch der Perspektive dieser Organe zu Sicherheitsfragen und selbst humanitären Belangen eine Menschenrechtsdimension verleihen.

Die Schweiz begrüsst es, dass die Menschenrechte immer stärker als ein ihr innewohnender Aspekt in die Weltpolitik einbezogen werden. Sie unterstützt ferner ihre wachsende Integration in den Prozess der internationalen Gouvernanz. Leider geht diese Entwicklung seit einigen Jahren mit einer zunehmenden Politisierung der Menschenrechtsdebatte einher. So lässt sich unter den Staaten, auch den westlichen Ländern, eine Tendenz zur Instrumentalisierung der Menschenrechte für eine politische, geopolitische, wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Agenda beobachten.

Ein solches Vorgehen trägt nicht nur zur Aufheizung der Debatte bei, sondern nimmt dem Kern der Menschenrechte und ihrer Universalität die Legitimation. Es leistet dem Argument der Doppelstandards Vorschub, das häufig von den für Verletzungen kritisierten Ländern vorgebracht wird, um sich ihrer Verantwortung zu entledigen und zu versuchen, die Politik anderer Staaten oder Institutionen zur Förderung der Menschenrechte in Misskredit zu bringen.

Diese Entwicklungen finden in einem sich polarisierenden Umfeld statt. Zwar zeichnete sich Ende des 20. Jahrhunderts die Herausbildung einer zunehmend multipolaren Welt ab, doch hat sich eine echte Multipolarität im Bereich der Menschenrechte nicht auf Dauer durchgesetzt. Zum einen bilden sich infolge der Politisierung der Menschenrechte in Verbindung mit der Übernahme einer Führungsrolle durch bestimmte aufstrebende Wirtschaftsmächte vermehrt (regionale oder kulturelle) Blöcke bei einschlägigen Debatten oder Initiativen. Bei bestimmten Themen wie der Aufnahme von Menschenrechtsindikatoren in die globale Entwicklungsagenda oder der Rolle der Wirtschaft in Bezug auf die Menschenrechte besteht bereits spürbar die Gefahr eines Nord-Süd-Bruchs.

Zum anderen schlägt das Pendel hinsichtlich des Konzepts der Universalität der Menschenrechte seit einigen Jahren insofern erkennbar zurück, als einige Staaten versuchen, die Idee «traditioneller Werte» zu fördern, die angeblich dem Grundsatz der universellen Anwendung übergeordnet seien. Diese Art des
Kulturrelativismus wird beispielsweise als Argument angeführt, wenn es darum geht, die Diskriminierung von Frauen aufrechtzuerhalten, die Grundfreiheiten Homosexueller zu beschneiden oder bestimmte Hinrichtungsmethoden zu legitimieren. Sie trägt zur stärkeren Solidarität zwischen den Vertretern eines minimalistischen Menschenrechtsverständnisses und folglich zur weiteren Polarisierung der Debatte in den multilateralen Foren bei.

Staaten, die wie die Schweiz für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte eintreten, leiten aus den hier beschriebenen Trends ein generelles Ziel ab, nämlich die Verteidigung des Erreichten. Zudem entstehen angesichts dieser Herausforderungen kreative Lösungen, die dazu dienen, die Universalität der Menschenrechte zu verteidigen, ihren Einbezug in das gesamte politische Handeln zu fördern, das System für ihre Gouvernanz und Überwachung optimal zu gestalten und eine den aktuellen Erfordernissen angemessene normative und institutionelle Architektur zu gewährleisten. Einerseits geht es darum, den Folgen der neuen politischen Entwicklungen (neue internationale Konstellationen und Kräfteverhältnisse, Forderungen der Bevölkerung, Zunahme extremistischer Tendenzen) Rechnung zu tragen, ungeachtet dessen, ob sie auf den ersten Blick eine Chance für die Förderung der Menschenrechte bieten oder das Risiko einer grösseren Zahl von Verletzungen bergen. Auch 1224

die neuen Technologien können im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte ebenso Chancen bieten (Nutzung sozialer Medien, um Verletzungen zu verurteilen oder die politischen Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen) wie Probleme aufwerfen (Einsatz von Robotern oder Drohnen oder Speicherung von Personendaten im Internet). Andererseits muss zwingend über eine Ausweitung der Rolle nachgedacht werden, die in der internationalen Gouvernanz traditionell den Staaten vorbehalten ist. Somit gilt es, die Menschenrechtsverantwortung nichtstaatlicher Akteure, die entscheidende Rolle der Unternehmen bei ihrer Einhaltung und den zentralen Stellenwert der Zivilgesellschaft bei der Überwachung ihrer Verwirklichung, Förderung und dynamischen Weiterentwicklung zu untersuchen.

2

Schwerpunkte der Schweizer Menschenrechtspolitik 2011­2014

2.1

Vorbemerkungen

Die Förderung des Schutzes der Menschenrechte gemäss Artikel 54 Absatz 2 BV hat eine allgemeine programmatische Bedeutung. Im Sinne dieser generellen und universellen Zielsetzung werden weder von vornherein Rechte oder Themen festgelegt, die prioritär zu verteidigen oder zu fördern sind, noch Kategorien von Rechten ausgeschlossen. Der Bundesrat setzt sich somit für die Unteilbarkeit, Interdependenz und Universalität der Menschenrechte ein.

In der Praxis muss der Bundesrat jedoch entscheiden, in welchen Bereichen und Ländern er sich vorrangig engagiert, vor allem um die ihm zur Verfügung stehenden Mittel möglichst wirksam einzusetzen und konkrete politische und operative Ergebnisse herbeizuführen. Bei dieser Prioritätensetzung lässt sich die Schweiz von allgemeinen Grundsätzen leiten, zum einen dem Mehrwert, den ihr Engagement für ein bestimmtes Thema erbringt, zum anderen der Kohärenz des Ziels, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, mit anderen in der Verfassung vorgesehenen aussenpolitischen Zielen.

Im Berichtszeitraum engagierte sich die Schweiz in sechs Schwerpunktbereichen für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte: 1)

Förderung der Zivilgesellschaft und Schutz von Menschenrechtsverteidigern;

2)

Engagement für die Rechte der Frauen und Bekämpfung von Diskriminierung;

3)

Integration der Menschenrechte in die Agenden und Aktivitäten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe und der Friedensförderung;

4)

Eintreten gegen die Todesstrafe;

5)

Einbezug der Menschenrechte in die Aktivitäten von Unternehmen;

6)

Verstärkte Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte.

Diese Schwerpunkte und die damit verbundenen Unterthemen bilden Themenkomplexe, in denen sich die Schweiz im Berichtszeitraum nachhaltig, sichtbar und 1225

mitunter entschieden engagieren konnte. Für jedes Unterkapitel werden charakteristische Beispiele aufgeführt. Zum Teil erfolgte das Engagement vor dem in diesem Bericht erfassten Zeitraum.

Neben den sechs vorrangigen Interventionsbereichen werden andere Aktivitäten zugunsten der Menschenrechte durchgeführt, auf die in anderen Dokumenten eingegangen wird, die das Engagement der Schweiz auf diesem Gebiet leiten.5

2.2

Förderung der Zivilgesellschaft und Schutz von Menschenrechtsverteidigern

2.2.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Die Schweiz ist sich der wesentlichen Rolle bewusst, die eine unabhängige Zivilgesellschaft in allen Demokratien ­ in der Schweiz wie im Ausland ­ spielt. Eine aktive und entschlossene Zivilgesellschaft, deren Mitglieder miteinander in Verbindung stehen, ist in der Lage, das Handeln einer demokratischen Regierung jederzeit zu beobachten, sie zur Rechenschaft zu ziehen und sich ihr gegenüber kritisch zu zeigen. Ihre Rolle besteht darin, der gesamten Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, insbesondere was die Achtung der Menschenrechte betrifft.

Diese kritische Einstellung wird allerdings von einigen Staaten als Bedrohung wahrgenommen. In vielen Ländern sieht sich die Zivilgesellschaft daher mit einer Einschränkung ihres Spielraums und ihrer Handlungsfreiheit konfrontiert. Ihre Akteure sind traditionellen Repressionsformen wie Inhaftierung, Einschüchterung, Verschwindenlassen und sogar summarischer Hinrichtung ausgesetzt. Zudem behindern einige Regierungen die Arbeit von Vertretern der Zivilgesellschaft durch heimtückischere Methoden wie die gesetzliche Verankerung administrativer oder juristischer Kniffe, um die Eintragung einer Organisation zu behindern, ihre Finanzierung aus dem Ausland zu verunmöglichen oder ihnen die Kommunikation über öffentliche Kanäle und Lobbyarbeit zu untersagen. Als Rechtfertigungsgründe werden meistens das Transparenzgebot für die Tätigkeit der Zivilgesellschaft, die innere Sicherheit oder die nationale Souveränität angeführt. Diese Praxis richtet sich jedoch gegen die Handlungsfreiheit, die der Zivilgesellschaft bei der Förderung, Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte eingeräumt werden muss.

Die Schweiz befürwortet die Schaffung eines Handlungsrahmens für alle Akteure der Zivilgesellschaft, der ihnen Handlungsfreiheit und Sicherheit garantiert. Zur Stärkung des Einflusses der Zivilgesellschaft auf Menschenrechtsfragen konzentriert sie sich auf bestimmte Themen. Zunächst sind die Freiheit der Meinungsäusserung und das Recht auf Information zu nennen, die wesentliche Voraussetzungen für die Verwirklichung der Menschenrechte darstellen und die Grundlage jeder pluralistischen und demokratischen Gesellschaft bilden. Zwar sind gewisse Einschränkungen der Grundfreiheiten unter bestimmten Bedingungen und nach klar definierten Kriterien zulässig, doch gehen die in
einigen Ländern beobachteten Restriktionen so weit, dass sie die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Akteure, der Menschenrechtsverteidiger und der Medienschaffenden behindern und ihre Sicherheit gefährden.

5

Insbesondere zu erwähnen ist die Botschaft vom 29. Juni 2011 über die Weiterführung von Massnahmen zur Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit 2012­2016. Friedensförderung, Menschenrechte, Demokratie, humanitäre Politik und Migrationspolitik, BBl 2011 6311.

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Unabdingbar für das Engagement der Zivilgesellschaft sind auch die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit. Die Möglichkeit, eine Vereinigung zu gründen, eine Organisation eintragen zu lassen (sofern im Gesetz vorgeschrieben) und Finanzmittel von Dritten zu erlangen, ist eine unerlässliche Vorbedingung für die Ausübung gemeinnütziger Aktivitäten. Ebenso wichtig ist die Achtung des Rechts, sich friedlich zu versammeln: Die Zivilgesellschaft und insbesondere die Menschenrechtsverteidiger engagieren sich zunehmend in Form von Kundgebungen und Demonstrationen. Die Verstärkung dieses Trends wird durch einige der tiefgreifenden politischen Umwälzungen im Berichtszeitraum (etwa den arabischen Frühling) belegt. Die Polizei und andere Ordnungskräfte verhalten sich bei diesen Protestaktionen unterschiedlich und sind aufgrund der Situation mitunter gezwungen, Gewalt anzuwenden, um eine ursprünglich friedliche Kundgebung unter Kontrolle zu bringen. Dabei befolgen sie nicht immer den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und begehen in einigen Fällen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen: summarische Hinrichtungen, willkürliche Festnahmen, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.

Ein äusserst aktuelles Beispiel für den Berichtszeitraum (andere Kategorien von Menschenrechtsverteidigern werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt) sind LGBTI-Aktivistinnen und -Aktivisten (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersex), die sehr oft auf der Strasse ihren Widerstand gegen alle Arten von Diskriminierung bekunden, insbesondere bei friedlichen Paraden wie der Gay Pride.

Solche Kundgebungen sind in zahlreichen Ländern verboten. Gleichzeitig werden diese Personen auch hinsichtlich ihres Rechts diskriminiert, ihre Meinung zu äussern und sich zu Vereinigungen zusammenzuschliessen. Der Bundesrat misst dem Engagement gegen Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität grosse Bedeutung bei. Es gilt, die volle Achtung der Grundrechte dieser Personen in den verschiedenen Regionen der Welt zu gewährleisten, in denen sie auf Intoleranz stossen und ihre Aktivitäten sowie ihre sexuelle Orientierung strafbar sind.

2.2.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

Die Schweiz bekräftigt und unterstützt die Rolle der Zivilgesellschaft in diesen verschiedenen Bereichen und will ihr beim Schutz und bei der Förderung der Menschenrechte und der Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit partnerschaftlich zur Seite stehen. Sie anerkennt den entscheidenden Beitrag der Menschenrechtsverteidiger zur Umsetzung der international anerkannten Normen auf diesem Gebiet. Die Schweiz setzt sich für den Schutz dieser Personen ein, die infolge ihrer Aktivitäten in vielen Ländern Einschüchterungsversuchen und Verfolgung durch die Behörden ausgesetzt sind. Der Bundesrat spricht sich für einen besseren Schutz der Menschenrechtsverteidiger aus und interveniert bei Staaten, deren Behörden ihre Arbeit behindern oder sie physisch bedrohen.

Konkret beteiligt sich die Schweiz an der Stärkung des institutionellen Rahmens im Menschenrechtsrat und in der Generalversammlung der UNO und greift besondere Fälle bei ihren bilateralen Gesprächen oder mittels Ad-hoc-Demarchen auf. Zudem unterstützt sie konkrete Projekte zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern, die im Allgemeinen von internationalen nichtstaatlichen Organisationen (NGO) durch1227

geführt werden, beispielsweise vom International Service for Human Rights (ISHR) oder von Geneva for Human Rights (GHR). Diese zwei NGO widmen sich speziell der Aufklärung von Menschenrechtsverteidigern aus aller Welt über die Funktionsweise und die Nutzung der UNO-Gremien. Bei ihren Aktivitäten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Schweiz darüber hinaus die Entwicklung der Zivilgesellschaft und fördert ihre Beteiligung an innerstaatlichen Entscheidungsprozessen, um die Überwachung der Umsetzung der Menschenrechte im betreffenden Land zu stärken.

Mit der Ausarbeitung und Veröffentlichung ihrer Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern6 unterstrich die Schweiz die Bedeutung, die sie den Akteuren der Zivilgesellschaft in ihrer gesamten Aussenpolitik, insbesondere bei der Förderung der Menschenrechte, einräumt. Zu diesem Zweck erarbeitete sie ein Instrument für die Umsetzung ihrer Politik. Ziel dieser Publikation ist es, die Auslandsvertretungen für die Thematik und die Schutzbedürftigkeit von Menschenrechtsverteidigern zu sensibilisieren, die Beziehungen zu ihnen zu harmonisieren sowie konkrete Optionen für den Schutz dieser Personen aufzuzeigen und zugleich ihre Arbeit zu legitimieren. Ferner wird darin ein Appell an die Zivilgesellschaft gerichtet, indem deutlich gemacht wird, dass der effektive Schutz von Menschenrechtsverteidigern nur durch die Mitwirkung aller betroffenen Akteure möglich ist.

Der politische Wille zur Offenheit gegenüber Menschenrechtsverteidigerinnen -verteidigern und zu ihrem Schutz äusserte sich auch in anderen Initiativen. So richtete die Schweiz während ihrer Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Juni 2014 im Rahmen der «menschlichen Dimension» eine Konferenz speziell zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und zur Förderung der einschlägigen OSZE-Instrumente aus. Diesem Thema wurde verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, da zu jenem Zeitpunkt das Konzept der Menschenrechtsverteidiger von einigen Regierungen in Frage gestellt wurde, die ­ insbesondere in der OSZE ­ dazu neigen, auf gesetzgeberische Massnahmen zurückzugreifen, um die Aktivitäten der Zivilgesellschaft und der Menschenrechtsverteidiger zu behindern. Vor diesem Hintergrund stellen die Umsetzung der
Schweizer Leitlinien und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in der ganzen Welt wichtige Herausforderungen für die kommenden Jahre dar.

Eine weitere Priorität der Schweiz ist der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, die bei friedlichen Demonstrationen begangen werden. Der Bundesrat wirkt darauf hin, dass das internationale Interesse an dieser Frage nicht nachlässt, und fordert die Staaten zum Dialog auf. Im Juni 2011 befasste die Schweiz gemeinsam mit der Türkei und Costa Rica den UNO-Menschenrechtsrat mit dieser Frage.

Daraufhin wurden drei Resolutionen zum Thema verabschiedet, und zwar im März 2012, 2013 und 2014.

Im Zusammenhang mit dem Schwerpunkt der Schweizer Menschenrechtspolitik auf der Rolle der Zivilgesellschaft gibt es weitere konkrete Herausforderungen, vor allem in Situationen, in denen die Zivilgesellschaft Gefahr läuft, für die Legitimation der Politik eines Staates instrumentalisiert zu werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Organisationen als NGO auftreten, tatsächlich aber vollständig von der Regierung finanziert oder gar von ihr betrieben werden (sogenannte Governmental Non6

Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger/innen, Dezember 2013; www.humanrights.ch > Themendossiers > Menschenrechtsverteidiger/innen.

1228

Governmental Organisation, GONGO). Schliesslich hat die Priorität für die Aktivitäten der Zivilgesellschaft bei der Förderung der Menschenrechte auch zur Folge, dass Einzelpersonen, vor allem Jugendliche, weiterhin zu einem persönlichen Engagement in diesem Bereich motiviert sind. Nach Ansicht der Schweiz sollte daher ein Konzept zur Förderung des Nachwuchses aus den Reihen der NGO und der Menschenrechtsverteidiger entwickelt und ein entsprechender Rahmen gefördert werden.

2.3

Engagement für die Rechte der Frauen und gegen Diskriminierung

2.3.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Verletzungen der Menschenrechte von Frauen und Mädchen kommen häufig vor und betreffen Personen jeden Alters und überall in der Welt. Beispiele dafür sind häusliche Gewalt, Zwangs- oder Frühehen, Genitalverstümmelung oder sexuelle Verbrechen während Konfliktsituationen, aber auch Diskriminierung in der Schule oder im Zusammenhang mit dem Erbrecht. Die Diskriminierungen sind öffentlichen oder privaten Akteuren zuzuschreiben, die im öffentlichen oder privaten Raum handeln, und berühren alle Schichten der Gesellschaft.

Auch wenn bei der rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Mädchen in den letzten Jahren Fortschritte erzielt wurden, ist die tatsächliche Gleichstellung noch lange nicht realisiert. Die Stärkung der Stellung von Frauen und Mädchen durch Bildung, die Integration in den Arbeitsmarkt und das Recht auf Mitsprache im politischen und wirtschaftlichen Leben ist jedoch eine notwendige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung.

Ziel der aktuellen Bemühungen ist es, nicht nur die Rechte von Frauen und Mädchen zu konsolidieren, sondern auch gegen die Aktivitäten von konservativen und religiösen Gruppierungen vorzugehen, die solche Diskriminierungen rechtfertigen und begünstigen. Um einen gesellschaftlichen Normenwandel, die Beseitigung von Geschlechterstereotypen und eine Neuverteilung traditioneller Rollen innerhalb der Gesellschaft zu erzielen, muss die Schweiz ihr Engagement auf internationaler und innerstaatlicher Ebene fortführen. Der Bundesrat wird sich weiterhin auf allen Ebenen für Fortschritte im Bereich der Geschlechtergleichstellung einsetzen, so auch indem er Männer und Jungen stärker in diese Bemühungen einbezieht.

Die Rechte von Frauen und Mädchen zu fördern, das bedeutet auch, sich für die Stärkung ihrer Eigenständigkeit und ihrer wirtschaftlichen und politischen Stellung sowie für den Schutz ihrer Gesundheit und ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte zu engagieren. Ebenso gilt es, gegen alle Formen von Gewalt ihnen gegenüber vorzugehen. Dabei ist den verschiedenen Bedürfnissen und Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Dem gleichen Prinzip folgt die Schweiz auch bei ihrem friedenspolitischen Engagement. Frieden und Sicherheit können nur dann von Dauer sein, wenn es gelingt, die spezifischen Bedürfnisse beider Geschlechter
gleichermassen zu integrieren. Die unterschiedlichen Auswirkungen von Konflikten und Postkonfliktsituationen auf Frauen und Männer müssen auch bei der Analyse des Kontexts, der Formulierung eines politischen Konzepts zur Friedensförderung und seiner Umsetzung berücksichtigt werden. Zudem gilt es, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen im Einklang mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolu1229

tion 1325 (2000) des UNO-Sicherheitsrates über Frauen und Frieden und Sicherheit (Nationaler Aktionsplan 1325) zu gewährleisten. Dieser Plan stellt das strategische Referenzdokument für den Bundesrat auf diesem Gebiet dar.

Allgemein misst die Schweiz der Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung und dem Schutz von Minderheiten hohe Bedeutung bei, vor allem aufgrund der kulturellen und sprachlichen Vielfalt des Landes. Der Bundesrat engagiert sich daher gegen Verletzungen der Menschenrechte von Minderheiten sowie gegen Rassismus und Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe.

2.3.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

Die Schweiz steht beim Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen an vorderster Front. Ihr Engagement in diesem Bereich hat in den letzten Jahren stark an Profil und Wirksamkeit gewonnen. Unser Land gab den Anstoss zu Initiativen wie Women's human rights (Frauenmenschenrechte), einer englischsprachigen App und Website, die den Zugang zu einschlägigen internationalen Referenzdokumenten erleichtert. Anhand eines alphabetischen Index können hier Begriffsdefinitionen, Rechtsgrundlagen und Standardformulierungen zum Schutz der Rechte von Frauen schnell und einfach ermittelt werden. Zudem machte die Schweiz sich im Berichtszeitraum für die Aufnahme eines eigenständigen Gleichstellungsziels in die Entwicklungsagenda für die Zeit nach den Millenniumsentwicklungszielen (Post-2015Agenda) stark. Ferner unterstützt sie die UNO-Einheit für Gleichstellung und Ermächtigung der Frauen (UN Women) finanziell. Darüber hinaus schloss sie sich der Initiative Equal Futures Partnership (Partnerschaft für gleichberechtigte Zukunft) an, die von den USA lanciert wurde und die wirtschaftliche und politische Emanzipation von Frauen fördern soll.

Parallel dazu ist die Schweiz federführend bei der Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen auf multilateraler Ebene. Nach ihrem Beitritt zur Kommission für die Rechtsstellung der Frau (Commission on the Status of Women, CSW) spielte sie im März 2013 eine zentrale Rolle bei den Beratungen der 57. Tagung der Kommission und wurde zur Vertreterin der westlichen Regionalgruppe im Büro der CSW ernannt. Bei der 58. Tagung im Frühjahr 2014 agierte die Schweiz als Vermittlerin und trug damit zur Verabschiedung des Schlussdokuments (Vereinbarte Schlussfolgerungen) bei. In einem polarisierten Umfeld konnte sie dank eines transparenten und integrativen Ansatzes dafür sorgen, dass die Beratungen in einer konstruktiven Atmosphäre abliefen und in ein substanzielles Ergebnis mündeten. In den vereinbarten Schlussfolgerungen wird insbesondere unterstrichen, dass die Förderung der Rechte von Frauen eine unabdingbare Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung ist.

Das Engagement der Schweiz für die Rechte von Frauen und Mädchen schlägt sich auch in ihrer bilateralen Aussenpolitik nieder. Unser Land spricht diese Fragen häufig bei politischen Konsultationen und Menschenrechtsdialogen an, was
beispielsweise dazu geführt hat, dass Tadschikistan 2013 ein Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedete. Ferner unterstützt die Schweiz im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit in mehreren Ländern Projekte zur Förderung der Rechte von Frauen. Darüber hinaus haben sich das EDA und andere Bundesämter gemäss dem

1230

Nationalen Aktionsplan 1325 verpflichtet, die Genderperspektive durchgängig in ihre Programme zu integrieren.

In diesem Sinne betreibt die Schweiz auch ihre Friedenspolitik, wovon ihr Engagement gegen sexuelle Gewalt in multilateralen Foren und vor Ort zeugt, unter anderem mittels eines Dialogs mit bewaffneten nichtstaatlichen Akteuren. Auf multilateraler Ebene gibt die Schweiz immer wieder ihrer Überzeugung Ausdruck, dass die Konsolidierung der Rechte von Frauen und Mädchen einen wesentlichen Bestandteil der Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt. Diese Auffassung vertrat sie insbesondere an der internationalen Geberkonferenz der Aktion der Vereinten Nationen gegen sexuelle Gewalt in Konflikten, die im November 2014 in Genf stattfand. An der Konferenz konnte die internationale Gemeinschaft dafür sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, der Bekämpfung sexueller Gewalt bei bewaffneten Konflikten mehr Aufmerksamkeit zu widmen und mehr Mittel dafür bereitzustellen.

Zudem engagiert sich die Schweiz speziell gegen Früh- und Zwangsehen. Infolge dieser Praxis, die nach vor in zahlreichen Ländern besteht, kommt es zu schweren Verletzungen der Verletzungen der Rechte von Frauen und Mädchen, etwa des Rechts auf Selbstbestimmung, auf Bildung, auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und auf Bewegungsfreiheit. Um das Risiko von Früh- und Zwangsehen zu mindern, muss die Stellung von Mädchen in der Gesellschaft gestärkt werden. Dazu muss ihr Zugang zu Bildung gefördert und bei den sozialen Normen angesetzt werden, die diesen schädlichen Praktiken zugrunde liegen. Die Schweiz engagiert sich mit konkreten Projekten gegen Früh- und Zwangsheiraten. In Bangladesch unterstützt sie beispielsweise Bildungsangebote in englischer Sprache und im IT-Bereich für Mädchen, um ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit zu fördern. Auf multilateraler Ebene war die Schweiz massgeblich daran beteiligt, dass der Menschenrechtsrat im September 2013 im Konsens eine Resolution verabschiedete, die eine hochrangige Debatte zu diesem Thema im Juni 2014 ermöglichte.

Nicht nur Mädchen, sondern allgemein auch Kinder sind eine besonders schutzbedürftige gesellschaftliche Gruppe. Der Schutz ihrer Rechte und die Wahrung ihres Wohls müssen daher bei allen Fragen berücksichtigt werden, die die Menschenrechte betreffen. Das EDA
hat einen Aktionsplan für den Schutz von Kindern erarbeitet, die Streitkräften oder bewaffneten Gruppen angeschlossen sind7, um Kindersoldaten zu schützen. Die Umsetzung dieses Aktionsplans stützt sich auf die 2013 beschlossene Strategie des Bundesrats zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten8. Aufbauend auf ihren Bemühungen im Menschenrechtsrat, die internationalen Normen für den Schutz von Kindern zu konsolidieren, wird die Schweiz im Januar 2015 auf eigene Initiative einen Weltkongress zum Jugendstrafrecht in Genf organisieren.

Die Bekämpfung der Diskriminierung zieht sich auf internationaler und innerstaatlicher Ebene wie ein roter Faden durch die Menschenrechtspolitik des Bundesrates.

Auch wenn sich dieses Engagement mehr oder weniger direkt in allen behandelten Menschenrechtsthemen niederschlägt, thematisiert die Schweiz die Diskriminierung auch gesondert und tritt für die Förderung der Rechte von Minderheiten ein. So beteiligte sie sich im Berichtszeitraum aktiv an den Beratungen über die einschlägi7 8

Aktionsplan des EDA für den Schutz von Kindern, die in bewaffneten Konflikten Streitkräften oder bewaffneten Gruppen angeschlossen sind (2014­2016), September 2014.

Strategie zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten, Oktober 2013.

1231

gen UNO-Resolutionen zur Förderung des Schutzes der Rechte von Personen oder Gruppen, die Opfer von Diskriminierung sind. Insbesondere wirkte sie auf die Umsetzung der Erklärung und des Aktionsprogramms der Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz von 2001 hin, bei der sie eine Vermittlerrolle spielt.

2.4

Menschenrechte, Friedensförderung, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit

2.4.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Die Achtung, der Schutz und die Förderung der Menschenrechte sind zugleich Voraussetzung und Ziel des Friedens und der nachhaltigen Entwicklung. Die Schweiz sieht die Integration der Menschenrechte in die Massnahmen zur Friedensförderung, humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit als wesentliche Voraussetzung für die mittel- und langfristigen Ziele ihrer Tätigkeit in diesen Bereichen an. Vor diesem Hintergrund stellen die Förderung und Achtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zwei Aspekte desselben Engagements für Frieden und nachhaltige Entwicklung dar. Der Bundesrat unterstützt daher die internationalen Anstrengungen mit dem Ziel, die Menschenrechtspolitik besser in der Entwicklungszusammenarbeit, der Friedensförderung und der humanitären Aktion zu verankern, etwa mit der UNO-Initiative «Rights Up Front» (Die Menschenrechte zuerst).

Ein weiterer Beleg für den ganzheitlichen Ansatz der Schweiz ist die 2013 verabschiedete Strategie zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten, die den Zeitraum 2014­2017 erfasst. Diese Strategie umfasst die Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht sowie die Normen zum Schutz von Flüchtlingen. Sie soll zu einer besseren Einhaltung des Rechtsrahmens und der politischen Verpflichtungen in diesen drei Bereichen beitragen und ihre gemeinsame Integration bei Friedenssicherungsmissionen sowie bei operativen Einsätzen der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit verbessern, die zum Schutz der Zivilbevölkerung in Situationen bewaffneten Konflikts durchgeführt werden.

Bei den Ursachen, der Ausprägung und dem Verlauf eines Konflikts gibt es immer eine Menschenrechtsdimension, etwa in Form von Diskriminierungen, Verletzungen der Grundfreiheiten oder Straflosigkeit. Demgegenüber bildet die Achtung der Menschenrechte die Grundlage einer politisch stabilen, egalitären und wirtschaftlich florierenden Gesellschaft. Damit die Schweiz sich bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten wirksam engagieren kann, muss sie diese allgemeine Perspektive in ihre Politik im Bereich der Friedensförderung, der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit integrieren. Gleichzeitig muss sie aber auch den spezifischen Kontext der Situationen berücksichtigen, in denen sie diese Massnahmen durchführt.

Die Aktivitäten, welche die Schweiz
zur Unterstützung des Übergangs nach einem Konflikt, zur Armutsminderung und zur humanitären Hilfe durchführt, beruhen auf einem menschenrechtsbasierten Ansatz. Alle Programme in diesem Rahmen sollen also die Einhaltung der Menschenrechte fördern und sich an folgenden Grundsätzen orientieren: ­ 1232

Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung

­

Teilhabe und Integration

­

Rechenschaftslegung und Primat des Rechts

­

Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte.

Ferner werden auch Massnahmen speziell für die am meisten schutzbedürftigen Personen und Gruppen durchgeführt. Dabei werden Personen nicht als passive Hilfsempfänger angesehen, sondern als Menschen mit Rechten, deren Achtung sie einfordern können sollten (Rechtsinhaber), und zwar gegenüber staatlichen Institutionen, die zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung dieser Rechte verpflichtet sind, sowie gegenüber nichtstaatlichen Akteuren, die ebenfalls Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechtsnormen haben (Pflichtenträger). Mit ihrem Ansatz will die Schweiz es den Rechtsinhabern ermöglichen, ihre Rechte geltend zu machen, und gleichzeitig die Fähigkeit der Pflichtenträger in den Partnerländern stärken, ihre Verpflichtungen in Bezug auf die Achtung und den Schutz der Menschenrechte zu erfüllen. Dazu müssen geeignete Foren und Prozesse geschaffen werden, in denen die Regierungen und die Bevölkerung die Menschenrechte in ihrer Gesellschaft konkret verwirklichen können.

Dieser Ansatz findet seinen Niederschlag auch in der Aussenpolitik, die die Schweiz zur Förderung und Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte betreibt, etwa in den Bereichen Ernährungssicherheit, Wasserversorgung, Gesundheit und Bildung. In Anbetracht der sozialen Auswirkungen der Globalisierung und der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Förderung und Achtung dieser Rechte umso notwendiger. Die Schweiz unternimmt in dieser Hinsicht aktive Bemühungen, sowohl in ihren bilateralen Beziehungen als auch in den zuständigen multilateralen Instanzen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO).

In ihrer allgemeinen Aussenpolitik und insbesondere in ihrer Entwicklungspolitik engagiert sich die Schweiz für die universelle Anerkennung des Rechts auf Wasser und sanitäre Versorgung entsprechend der Definition des UNO-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Schweiz war massgeblich an der Schaffung des Mandats des Sonderberichterstatters über das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung im Juni 2006 sowie der Verlängerung des Mandats im Jahr 2013 beteiligt und unterstützt es von Anbeginn an finanziell und politisch.

2.4.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

Mit ihrer Entwicklungspolitik hat die Schweiz in den letzten Jahren unter Beweis gestellt, dass die Förderung und der Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte entscheidend zur Armutsbekämpfung, zur Verhütung oder Beilegung von Konflikten und zur Konsolidierung des Friedens beitragen. Indem etwa die Meinungs- und Redefreiheit gestärkt, der Zugang zur Justiz verbessert und die Reform des Sicherheitssektors, also der Polizei- und Militärkräfte, gefördert sowie das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung im Alltag gesteigert wird, lassen sich die Grundlagen einer guten Regierungsführung schaffen, die unerlässlich für die Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung ist. Entsprechend diesem Ansatz hat die Schweiz ihr 1233

Engagement in den genannten Bereichen im Laufe der vergangenen Jahre umfassend gefestigt. In Honduras konnte sie zum Beispiel bereits spürbare Ergebnisse erzielen, die als bewährte Verfahren in die multilaterale Debatte einfliessen könnten.

Ferner hat die Erfahrung der Schweiz gezeigt, dass die Integration eines menschenrechtsbasierten Ansatzes, der sich namentlich auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung stützt und Massnahmen für die am meisten schutzbedürftigen Personen und Gruppen vorsieht, eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg aller Entwicklungsbemühungen darstellt. Nach Auffassung des Bundesrates ist es daher dringend geboten, die Menschenrechte sowie die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und einer guten Regierungsführung in die Post-2015-Agenda aufzunehmen. Im Gegensatz zu den Millenniumsentwicklungszielen (MDG), deren Indikatoren auf nationalen Durchschnittswerten beruhen, sollen mit den Zielen der Post-2015-Agenda die Unterschiede innerhalb der Länder verdeutlicht werden, etwa hinsichtlich des Zugangs zur Bildung oder Gesundheit. Somit lässt sich die Diskriminierung, die Ausgrenzung oder der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen in Bezug auf einzelne gemessene Fortschritte unter Umständen nicht mehr durch das gute Abschneiden eines Landes bei einem bestimmten Indikator verdecken, wie es bei den MDG möglich war.

Bei den laufenden Verhandlungen setzt sich die Schweiz für die Festlegung neuer Entwicklungsziele ein, die den bürgerlichen und politischen Rechten genauso Rechnung tragen wie den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Allgemein herrscht Einvernehmen über die Notwendigkeit, die Menschenrechtsperspektive in Bereiche wie Ernährungssicherheit, Gesundheit oder Bildung zu integrieren. Einige Staaten führen jedoch Argumente wie die nationale Souveränität oder die kulturelle Besonderheit an, um ihren Widerstand gegen das Bestreben zu begründen, die Bedeutung der Meinungsäusserungs- und der Vereinigungsfreiheit oder des Zugangs zur Justiz zu bekräftigen. Andere behaupten, die Argumentation zugunsten der Menschenrechte diene allein als Mittel, die Entwicklungshilfe an gewisse Auflagen zu knüpfen. Dass die Zusammenhänge zwischen den Menschenrechten und der nachhaltigen Entwicklung derart in Frage gestellt werden, ist ein erhebliches Problem, das die Reichweite der
künftigen Entwicklungsagenda einschränken könnte.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Zunahme von Konflikt- oder Gewaltsituationen, die Fortschritte bei der Armutsbekämpfung und anderen grundlegenden Aspekten der menschlichen Entwicklung sehr schnell behindern oder gar zunichte machen können. Die Verstösse gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht verschärfen die sozialen und politischen Spannungen, was zu einer noch grösseren Instabilität und möglicherweise zu einem langfristigen Fortbestehen des Konflikts beitragen kann. In diesen fragilen Situationen sind die Staaten nicht immer willens oder in der Lage, ihren grundlegenden Verpflichtungen, darunter die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Rechts sowie der Schutz ihrer Bevölkerung vor solchen Rechtsverletzungen, nachzukommen.

Die Schweiz ist sich der Herausforderung bewusst, die durch diesen inneren Zusammenhang zwischen der Fragilität staatlicher Institutionen, der nachhaltigen Entwicklung und den Menschenrechten entsteht. Sie engagiert sich aktiv in Kontexten fragiler Staatlichkeit, um die Konfliktursachen anzugehen und zur Festigung der staatlichen und institutionellen Strukturen beizutragen. In Afghanistan etwa setzt sie sich dafür ein, das Land stärker zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Menschenrechte zu befähigen, indem sie das Justizministerium, die nationale Menschenrechtskommission und die Zivilgesellschaft unterstützt.

1234

Zudem richtet die Schweiz ihre Massnahmen an den spezifischen Gegebenheiten eines Landes oder einer Region aus, indem sie thematisch vor allem bei denjenigen Menschenrechten ansetzt, die von den Ursachen einer instabilen Situation berührt werden: So gilt ihr Hauptaugenmerk in Tunesien den Rechten von Frauen, in Mali und im Sudan dem Zugang zur Justiz und in Kolumbien der Einhaltung der Menschenrechte im Privatsektor, um nur einige Beispiele für jüngere oder aktuelle Friedensförderungsaktivitäten der Schweiz zu nennen.

Wenn die Schweiz die von einem bewaffneten Konflikt betroffene Bevölkerung unterstützt, bemüht sie sich, der Zivilbevölkerung rasch und ungehindert Zugang zu neutraler, unparteiischer und unabhängiger humanitärer Hilfe zu verschaffen, die dem konkreten Bedarf der betroffenen Personen gerecht wird. Dabei stellt sie sicher, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung eingehalten und gezielte Hilfe für die am meisten bedürftigen Gruppen bereitgestellt wird. Generell umfasst der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten auch die Achtung und Wahrung der Menschenrechte.

Aufbauend auf diesem integrierten Ansatz war die Schweiz in den letzten Jahren bestrebt, im eigenen Land ein besseres Verständnis der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu fördern und eine konstruktive Debatte zu diesem Thema anzustossen. Damit trägt sie den Entwicklungen Rechnung, die in der einschlägigen kantonalen und internationalen Rechtsprechung festzustellen waren, unter anderem im Anschluss an das Inkrafttreten des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt vom 16. Dezember 19669 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Mai 2013. Unter diesem Gesichtspunkt führen die zuständigen Instanzen auch die Debatte über die Justiziabilität der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte weiter.

2.5

Abschaffung der Todesstrafe

2.5.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Die Schweiz lehnt die Todesstrafe unter allen Umständen ab, da sie mit der Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde unvereinbar ist. Das Recht auf Leben ist eines der Grundrechte des Menschen. Zudem ist die Frage der Todesstrafe in Verbindung mit anderen Menschenrechtsverpflichtungen zu betrachten, insbesondere mit dem absoluten Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (insbesondere das Warten in den Todestrakten oder die Hinrichtungsmethoden). Ferner kann die Anwendung der Todesstrafe unter bestimmten Umständen einer aussergerichtlichen, willkürlichen oder summarischen Hinrichtung gleichkommen, etwa wenn sie nach einem unfairen Verfahren verhängt wird. Zudem haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt, dass Diskriminierung (aufgrund der Hautfarbe, der ethnischen Zugehörigkeit, der politischen oder sexuellen Orientierung) häufig Anteil an der Entscheidung hat, eine Person zum Tode zu verurteilen oder das Urteil zu vollstrecken. Überdies beruft sich die Schweiz bei ihrem Engagement gegen die Todesstrafe auf Argumente wie die Unumkehrbarkeit der Strafe oder die Unmöglichkeit der Revision des Urteils nach seiner Vollstreckung. Sie weist ferner darauf hin, dass die Todesstrafe weder eine abschreckende 9

SR 0.103.1

1235

noch eine stärkere Wirkung als andere schwere Strafmassnahmen entfaltet und weder Gerechtigkeit noch Wiedergutmachung für die Familien der Verbrechensopfer schafft.

Die Schweiz wirkt aktiv darauf hin, möglichst viele Staaten für die Abschaffung der Todesstrafe zu gewinnen. Zunächst sollen die Länder, welche die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben, dazu ermutigt werden, ein Moratorium für Hinrichtungen im Hinblick auf die vollständige Abschaffung der Todesstrafe zu beschliessen.

Ferner soll erreicht werden, dass diese Länder die Zahl der Verbrechen, auf welche die Todesstrafe steht, oder generell die Zahl der Todesurteile auf ein Mindestmass senken und die Mindestnormen des Völkerrechts einhalten (keine Verpflichtung zur Verhängung dieser Strafe, Verurteilung nur für schwerste Straftaten, keine Todesstrafe gegen Minderjährige, schwangere Frauen oder Personen mit einer geistigen Behinderung, Verbot von willkürlichen und unfairen Verfahren, Transparenz).

Schliesslich gilt das Engagement der Schweiz dem Ziel, den bestehenden Rechtsrahmen zu stärken und die Staaten zur Ratifikation der einschlägigen internationalen Instrumente zu bewegen.

Bei dieser Debatte ist die Schweiz bestrebt, die Todesstrafe nicht nur unter dem Blickwinkel des Rechts auf Leben, sondern auch in Verbindung mit anderen Menschenrechten zu betrachten, etwa dem Folterverbot oder Fragen im Zusammenhang mit Verfahrensgarantien oder Haftbedingungen. Dabei beschränkt sie sich nicht auf die Menschenrechte der zum Tode Verurteilten, sondern macht auch die Menschenrechte anderer unmittelbar Betroffener wie der nahestehenden Personen, der Eltern, Kinder und Ehegatten oder Partner geltend. Zudem entwickelt sie zwischenstaatliche Ad-hoc-Initiativen zugunsten der Abschaffung. Die Schweiz sucht aktiv den Dialog mit allen Staaten, die die Todesstrafe abschaffen wollen, um ihnen zur Seite zu stehen und sie in der Fortsetzung ihrer Bemühungen zu bestärken. Ferner unternimmt die Schweiz regelmässig bilaterale Vorstösse, entweder um zu bestimmten negativen politischen oder rechtlichen Entwicklungen Stellung zu nehmen oder gegen die nach ihrem Ermessen gravierendsten oder wichtigsten Fälle der Verhängung der Todesstrafe zu protestieren oder um positive Entwicklungen zu unterstützen.

2.5.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

Dank der neuen EDA-Strategie für die Abschaffung der Todesstrafe10 kann die Schweiz ihr Engagement gegen die Todesstrafe bekräftigen, systematischer gestalten und ausweiten. Mit dieser Strategie verfolgt sie allgemein das Ziel, die Todesstrafe weltweit bis 2025 abzuschaffen. In das Dokument flossen zahlreiche Initiativen ein, welche die Schweiz im Berichtszeitraum lancierte oder unterstützte.

Auf multilateraler Ebene engagierte sich die Schweiz aktiv bei den Beratungen über die zweijährliche Resolution der UNO-Generalversammlung, in der zur Einführung 10

EDA-Strategie für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe 2013­2016, Oktober 2013.

1236

eines weltweiten Moratoriums für Hinrichtungen aufgerufen wird. 2012 wurde die Resolution mit 111 Ja- und 34 Neinstimmen und 41 Enthaltungen angenommen. Die ist eine Bestätigung der Fortschritte, die die Befürworter der Abschaffung in den letzten Jahrzehnten weltweit verbuchen konnten. Darüber hinaus erhob die Schweiz die Neuverhandlung dieser Resolution im Herbst 2014 zu einer jährlichen Priorität ihres multilateralen Menschenrechtsengagements. Die wurde im Dezember mit einer Rekordmarke von 117 Ja-Stimmen angenommen (gegen 38 Neinstimmen und 34 Enthaltungen).

Um die von der Generalversammlung geleistete Arbeit zu vervollständigen, widmete sich die Schweiz im UNO-Menschenrechtsrat proaktiv dem Thema. Nachdem sie 2013 zwei Resolutionen mitverfasste hatte, verabschiedete der Menschenrechtsrat eine von ihr initiierte Resolution zur Frage der Todesstrafe, die im Juni 2014 eingebracht worden war. In der Resolution werden die zuständigen UNO-Instanzen aufgefordert, einen Bericht über die in den verschiedenen Phasen der Anwendung der Todesstrafe auftretenden Verletzungen der Menschenrechte der zum Tode Verurteilten und der ihnen nahestehenden Personen zu veröffentlichen und diese Frage regelmässig zu erörtern. Mit diesem neuen Prozess soll dem Rückgriff auf die Todesstrafe noch stärker die Legitimation entzogen werden.

Ferner nutzte die Schweiz weiterhin die Gelegenheit, die Frage der Abschaffung der Todesstrafe in multilateralen Regionalorganisationen wie dem Europarat oder der OSZE anzusprechen, indem sie die Abhaltung von Diskussionen zu diesem Thema im Plenum und durch Begleitveranstaltungen unterstützte. Ausserhalb des multilateralen Rahmens initiierte die Schweiz anlässlich des jeweils am 10. Oktober begangenen Internationalen Tages gegen die Todesstrafe einen weltweiten Appell gegen die Todesstrafe, der von mehreren Aussenministern mitgetragen wurde. Diese Initiative, die der politischen Bewegung für die Abschaffung Auftrieb verleihen soll, wurde 2012 erstmals lanciert, und zwar in Form eines von der Schweiz und ihren Nachbarländern gemeinsam unterzeichneten Appells. Einer zweiten, auf Europa ausgeweiteten Initiative schlossen sich am 10. Oktober 2013 die Aussenminister von 42 Mitgliedstaaten des Europarates an. 2014 wurde ein neuer, nun überregional und verstärkt integrativ ausgerichteter Appell
vom Bundespräsidenten und von elf Aussenministern unterzeichnet. Erstmals waren Länder beteiligt, die dabei sind, die Todesstrafe abzuschaffen, und andere, die sie bereits vollständig abgeschafft haben.

Im Gefolge des vierten Weltkongresses gegen die Todesstrafe, der 2010 in Genf stattfand, baute die Schweiz ihre Unterstützung für die Aktivitäten der Zivilgesellschaft und für andere nichtstaatliche Befürworter der Abschaffung aus. Sie unterstützte die Einsetzung der Internationalen Kommission gegen die Todesstrafe (ICDP) und trug damit zur Verwirklichung einer am Genfer Kongress lancierten Idee bei. Die Kommission, in der die Schweiz durch alt Bundesrätin Ruth Dreifuss vertreten ist, umfasst renommierte Persönlichkeiten, die bei den Staatschefs und Ministern der Länder, in denen es die Todesstrafe noch gibt, für die Abschaffung plädieren. Die Schweiz unterstützt die ICDP seit ihrer Einsetzung finanziell. Zudem wirkt sie an der strategischen Steuerung dieser Organisation sowie der Weltkongresse gegen die Todesstrafe mit, die von der NGO «Ensemble contre la peine de mort» (Gemeinsam gegen die Todesstrafe) organisiert werden. Der fünfte Weltkongress fand mit finanzieller Unterstützung der Schweiz und unter Beteiligung von hochrangigen Schweizer Politikern im Juni 2013 in Madrid statt.

Im Berichtszeitraum leistete die Schweiz auch finanzielle Unterstützung für die Arbeit anerkannter NGO, die sich bei ihren Aktivitäten vor Ort mit dem Thema 1237

Todesstrafe befassen. Mit diesen Aktivitäten soll beispielsweise eine fundierte Debatte in der Bevölkerung über die Todesstrafe und die Perspektive für ihre Abschaffung angestossen und die politische Mobilisierung für dieses Ziel gestärkt werden. Auch die Schweizer Vertretungen unterstützten kleinere Projekte lokaler NGO in Ländern, die die Todesstrafe beibehalten haben und/oder auf dem Wege zu ihrer Abschaffung sind.

Das gesteigerte Engagement der Schweiz und ihrer Partner gegen die Todesstrafe erfolgt in einer Zeit, in der sich die Bemühungen um ihre allmähliche Abschaffung weltweit in einer Schlüsselphase befinden. Einerseits haben derzeit etwa 160 Staaten oder Hoheitsgebiete die Todesstrafe entweder vollständig abgeschafft oder wenden sie nicht mehr an. Andererseits verläuft der Fortschritt nach wie vor ungleichmässig und unterschiedlich: Weltweit besteht die Gefahr einer Verlangsamung des Trends zur Abschaffung, was sich beispielsweise daran zeigt, dass mehrere Staaten nach einer Phase eines De-facto-Moratoriums in den letzten Jahren wieder Hinrichtungen vorgenommen haben.

Die Schweiz beabsichtigt, sich verstärkt für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der internationalen politischen Bewegung gegen die Todesstrafe einzusetzen. Ferner will sie Initiativen fördern, die die Debatte voranbringen und ein neues Licht auf diese Thematik werfen sollen, wie es bei den Resolutionen des Menschenrechtsrates oder den Interventionen auf der Ebene von Gerichtsverfahren (Revision und Umwandlung von Todesurteilen) der Fall ist. Schliesslich plant die Schweiz eine Ausweitung ihrer Unterstützung für politische Entscheidungsträger sowie andere Akteure, die sich in einem mitunter schwierigen internen Kontext für die Abschaffung engagieren. Mit der EDA-Strategie für die Abschaffung der Todesstrafe steht eine breite Palette von Instrumenten zur konkreten Ausgestaltung dieses Engagements zur Verfügung.

2.6

Wirtschaft und Menschenrechte

2.6.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Die im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat verabschiedeten UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Leitprinzipien) verpflichten die Staaten, den Schutz der Menschenrechte sicherzustellen, darunter auch bei der Tätigkeit des Privatsektors, während die Unternehmen die Menschenrechte zu achten haben. Ferner müssen der Staat und die Wirtschaft gerichtliche und aussergerichtliche Massnahmen festlegen, die den Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln für den Einzelnen und für die Gemeinschaft gewährleisten.

Unternehmen, welche die Menschenrechte achten, können zur Stabilität der Gemeinschaften, in denen sie operieren, beitragen, indem sie verantwortungsvoll wirtschaften und so die Entwicklung und das Wohlbefinden der Bevölkerung fördern. Dazu analysieren und berücksichtigen sie die Risiken von Menschenrechtsverletzungen, darunter auch die Risiken, die mit den sozialen, menschlichen und ökologischen Auswirkungen ihrer Tätigkeit verbunden sind. Besonders gefährdet sind transnationale Unternehmen mit Aktivitäten in Ländern, in denen der Rechtsstaat fragil ist oder Risiken im Zusammenhang mit Konflikten bestehen. Diese Unternehmen sind umso mehr gefordert, ihrer Verantwortung zur Anwendung internationaler Menschenrechtsnormen nachzukommen. Die Staaten, Bürger, Verbraucher 1238

und Anleger erwarten von der Wirtschaft in immer höherem Masse, dass sie die Rechte der Beschäftigten und der Verbraucher sowie die Menschenrechte des Einzelnen und der Gemeinschaften, in denen sie ihre Tätigkeit ausüben, achtet.

Die Schweiz ermuntert den Privatsektor, die Zivilgesellschaft, akademische Einrichtungen und die Regierungen, einen ständigen Dialog zu führen, um dauerhafte Lösungen zu finden, die den Beitrag der Wirtschaftsakteure zur Achtung der Menschenrechte, zum Frieden und zur Stabilität stärken und gleichzeitig ein günstiges Umfeld für Investitionen und nachhaltige Entwicklung aufrechterhalten. Als Standort einer Reihe der grössten multinationalen Unternehmen der Welt, etwa im Agrarund Lebensmittelbereich, in der Pharmaindustrie, im Finanzsektor, in der Förderindustrie und im Handel, wird die Schweiz somit ihrer Verantwortung gerecht, bei der Suche nach Lösungen mitzuhelfen, welche die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten und eine entsprechende Beratung der Unternehmen ermöglichen.

Die Schweiz beteiligt sich an Anstrengungen auf internationaler Ebene, die verhindern sollen, dass die Wirtschaftstätigkeit der in fragilen Kontexten agierenden Unternehmen zur Auslösung oder Aufrechterhaltung von Konflikten oder Menschenrechtsverletzungen beiträgt. Ferner wirkt die Schweiz darauf hin, dass der Privatsektor die Menschenrechte in seine nationalen und internationalen Aktivitäten integriert. Allgemein fördert der Bundesrat einen auf der sozialen Verantwortung der Unternehmen beruhenden Ansatz und setzt sich für die Konsolidierung der Prinzipien auf internationaler Ebene ein, die gegebenenfalls als Bezugsrahmen für gesetzgeberische Massnahmen in diesem Bereich dienen könnten.

Von Bedeutung ist auch der Einbezug des Privatsektors bei der Durchsetzung und Stärkung der Menschenrechte im Bereich der internationalen Informationsgesellschaft und der Internet Gouvernanz, weil im Internet oft (globale) Unternehmen und nicht der (nationale) Staat die Rahmenbedingungen der Internetnutzer bestimmen.

Für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte im Internet ist es wichtig, die diesbezügliche Rolle von Regierungen, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und der Individuen in einem offenen «Multistakeholder»-Dialog zu diskutieren und einen Konsens zu erreichen. Die Schweiz setzt sich daher auf
internationaler und europäischer Ebene dafür ein, dass sich zwischenstaatliche Organisationen für einen verstärkten Einbezug von Wirtschaft und Zivilgesellschaft öffnen und dass sich Letztere ihrer Verantwortung bewusst werden und diese wahrnehmen.

2.6.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

In den vergangenen Jahren hat sich der Bundesrat an mehreren freiwilligen MultiStakeholder-Initiativen beteiligt, welche die Achtung der Menschenrechte bei der Tätigkeit des Privatsektors fördern sollen. Bei diesen Initiativen erarbeiten die Regierungen, der Privatsektor und die Zivilgesellschaft gemeinsam praktische Instrumente zur Verhütung von Menschenrechtsverletzungen und zur Bewältigung von Risiken im Zusammenhang mit Konflikten. Die Schweiz hat sich dafür eingesetzt, diese Initiativen und die dadurch geförderten Normen stärker zu verbreiten und umzusetzen und sie in bestimmten Fällen um unabhängige Kontroll- und Überwachungsmechanismen zu erweitern.

1239

Auf der Grundlage des Montreux-Dokuments über private Militär- und Sicherheitsunternehmen von 2008 arbeitete die Schweiz in Abstimmung mit der britischen und der US-amerikanischen Regierung sowie mit Vertretern der Branche und der Zivilgesellschaft den Internationalen Verhaltenskodex für private Sicherheitsunternehmen (ICoC) aus. Der ICoC wurde im November 2010 lanciert und daraufhin von 58 privaten Sicherheitsdienstleistern unterzeichnet. Diese Zahl ist inzwischen auf über 700 Sicherheitsunternehmen aus aller Welt angewachsen. Die Unterzeichner verpflichten sich, die Menschenrechte zu achten und sich dem im Kodex vorgesehenen unabhängigen Kontrollmechanismus zu unterziehen. Der Kodex hat sich zum internationalen Referenzdokument im Bereich der privaten Sicherheit entwickelt und wird von zahlreichen Organisationen und Regierungen bei der Einführung nationaler und internationaler Normen herangezogen. Die Einrichtungen, die auf die Dienste von Sicherheitsunternehmen zurückgreifen, verlangen von diesen oft, dass sie dem Kodex beitreten und ihn einhalten.

Nach der Lancierung des ICoC setzte ein aus Vertretern von Regierungen, der Branche und der Zivilgesellschaft gebildeter temporärer Steuerungsausschuss den Prozess fort, indem er eine Charta für die Einführung eines ständigen Gouvernanzund Kontrollmechanismus in Form eines Vereins nach Schweizer Recht erarbeitete.

Die Vereinigung des Internationalen Verhaltenskodex für private Sicherheitsunternehmen (ICoCA) wurde am 20. September 2013 in Genf gegründet. Das ICoCASekretariat ist im Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) untergebracht. Der Vorstand der ICoCA, in dem Regierungen, die Industrie und die Zivilgesellschaft vertreten sind, hat Kriterien für den Beitritt zur Vereinigung aufgestellt und arbeitet derzeit an der Festlegung der Aufgaben für die Zertifizierung, Überwachung, Berichterstattung und Bearbeitung von Beschwerden. Bis August 2014 haben sich der Vereinigung sechs Staaten (Australien, Grossbritannien, Norwegen, Schweden, Schweiz und USA), 13 NGO und mehr als 170 private Sicherheitsdienstleister angeschlossen.

2011 trat die Schweiz als Vollmitglied den Freiwilligen Grundsätzen für Sicherheit und Menschenrechte (Freiwillige Grundsätze) bei, einer 2001 von den USA eingeleiteten Initiative, die sich an
Unternehmen des Bergbau-, Öl- und Gassektors richtet. Darin wird den Unternehmen nahegelegt, Risiken zu evaluieren und die notwendigen Massnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass die für die betriebliche Sicherheit zuständigen privaten Sicherheitsunternehmen sowie Militär- und Polizeikräfte die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Bevölkerung vor Ort wahren. In einem Aktionsplan verpflichtete sich die Schweiz, die Freiwilligen Grundsätze zu verbreiten und zu ihrer Umsetzung beizutragen, namentlich durch die Sensibilisierung der in der Schweiz ansässigen Unternehmen, die in verschiedenen Ländern natürliche Ressourcen fördern. Die Schweiz hatte zwischen März 2013 und März 2014 die Präsidentschaft der Initiative inne und richtete am 26. und 27. März 2014 ihre Vollversammlung aus.

Während der Präsidentschaft der Schweiz und unter ihrer Leitung wurde eine Strategie ausgearbeitet und verabschiedet, die auf drei Jahre angelegt ist und die Umsetzung der Initiative, die Transparenz und die Rechenschaftslegung verbessern soll.

Ein weiteres Ziel der Strategie besteht darin, die Freiwilligen Grundsätze an den im Juni 2011 mit einer Resolution des Menschenrechtsrates gebilligten Leitprinzipien auszurichten. Zudem bemühte sich unser Land verstärkt um die Verbreitung der Initiative, indem es mit Ghana das erste afrikanische Land zum Beitritt veranlasste und zum Beitrittsgesuch des wichtigsten Bergbauunternehmens mit Sitz in der 1240

Schweiz beitrug. Ferner förderte die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem IKRK und dem DCAF die Schaffung eines Instruments zur Umsetzung der Freiwilligen Grundsätze in einem komplexen Umfeld.

Darüber hinaus wirkt sie seit 2011 aktiv an der Ausarbeitung der Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles Handeln in den Zulieferketten mineralischer Rohstoffe aus Konflikt- und Risikogebieten mit und gewährte dafür finanzielle Unterstützung. Die Erarbeitung des Dokuments und die Würdigung der damit erzielten Fortschritte erfolgte in einem partizipativen Prozess, der alle Akteure der Zulieferkette für Metalle, insbesondere in der Region der Grossen Seen Afrikas, einschloss: Unternehmen im Bereich Rohstoffgewinnung, -veredelung und -nutzung, NGO, Regionalregierungen und Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten. Der Prozess ermöglichte die Stärkung der Rechenschaftspflicht der Zulieferkette mineralischer Rohstoffe aus Konfliktgebieten. Ähnliche, wenn auch nicht auf Konflikte beschränkte Ziele verfolgt die Schweiz mit ihrer 2013 lancierten Better Gold Initiative. Dabei soll eine verantwortliche Goldproduktion gefördert werden, indem die Produzenten Unterstützung erhalten und ein internationaler Markt für das Gold aus Unternehmen des Kleinbergbaus geschaffen wird, denen ein verantwortungsvoller Umgang mit den internationalen ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Normen attestiert wird. Die Initiative wird in Peru in Zusammenarbeit mit der Swiss Better Gold Association durchgeführt, einem Zusammenschluss der Schweizer Goldraffinerien.

Bei allen Themen, die mit der Rolle der Unternehmen im Bereich der Menschenrechte zusammenhängen, bemüht sich die Schweiz darum, die Debatte möglichst konstruktiv zu gestalten, auch wenn die Akteure mitunter gegensätzliche Ziele verfolgen, wie es die einschlägige Resolution des Menschenrechtsrates vom Juni 2014 veranschaulicht. Gemäss dem von Ecuador und Südafrika vorgelegten und von den westlichen Ratsmitgliedern zurückgewiesenen Resolutionsentwurf soll eine offene zwischenstaatliche Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingesetzt werden, ein verbindliches internationales Rechtsinstrument für transnationale Unternehmen und andere Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Menschenrechte auszuarbeiten. Da
die Schweiz der Umsetzung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Priorität beimisst, lehnte sie die Idee der Ausarbeitung eines solchen Instruments zum Zeitpunkt der informellen Verhandlungen über die Resolution ab. Sie befürchtet insbesondere, dass die Einleitung eines derartigen Prozesses zum jetzigen Zeitpunkt die Debatte blockieren und die Umsetzung der Leitprinzipien verlangsamen könnte.

Die Bemühungen der Schweiz auf internationaler Ebene wurden durch innerstaatliche Aktivitäten vervollständigt. Der Bundesrat arbeitet derzeit an einer Strategie zur Umsetzung der Leitprinzipien, womit er ein entsprechendes Postulat erfüllt11 und der Empfehlung 10 des Grundlagenberichts Rohstoffe vom März 2013 nachkommt.

Die Grundlage für diese Arbeiten bilden eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Aktivitäten der Schweiz zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien sowie eine Konsultation der Interessenvertreter von Unternehmen, NGO und Hochschulen zu ihren Erwartungen an die Strategie. Ein weiterer wichtiger innerstaatlicher Prozess, der derzeit in diesem Bereich stattfindet, betrifft die Umsetzung der Empfehlungen des Grundlagenberichts, die den zuständigen Eidgenössischen Departementen (EDA, 11

Postulat 12.3503 von Graffenried «Eine Ruggie-Strategie für die Schweiz».

1241

EFD, WBF und EJPD) übertragen wurde. Zur Überwachung der Umsetzung der Empfehlungen wurde eine interdepartementale Plattform Rohstoffe gebildet. Der erste Bericht über den Stand der Umsetzung wurde dem Bundesrat im März 2014 vorgelegt. Das WBF und das EDA sind in Zusammenarbeit mit anderen Departementen mit der Umsetzung derjenigen Empfehlungen betraut, welche die Verantwortung der Wirtschaft und der Staaten, die Entwicklungspolitik und das Reputationsrisiko betreffen. Zu diesem Zweck hat die Bundesverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft erste Konsultationen über die Einführung eines Standards für die soziale Verantwortung der Unternehmen im Rohstoffhandel aufgenommen.

Schliesslich verabschiedete der Bundesrat im Mai 2014 einen Bericht über die Achtung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt bei den Auslandaktivitäten von Schweizer Unternehmen in Erfüllung eines Postulats der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats12 und einer im Grundlagenbericht Rohstoffe abgegebenen Empfehlung. Darin umreisst er auf der Grundlage einer Untersuchung des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung über die Rechtsvorschriften zur sozialen Verantwortung von Unternehmen, die an anderen bedeutenden Wirtschaftsplätzen gelten, eine Reihe möglicher gesetzgeberischer Massnahmen, etwa zur Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen oder zur Einführung einer Sorgfaltspflicht für die im Ausland tätigen Unternehmen.

Seit dem Weltgipfel über die Informationsgesellschaft von Genf 2003 und Tunis 2005 ist die Schweiz in verschiedenen internationalen Prozessen aktiv und unterstützt den Einbezug aller Anspruchsgruppen aus aller Welt zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses über die jeweiligen Rollen und Verantwortungen bezüglich Menschenrechte in der Informationsgesellschaft und bei der Internet Gouvernanz. Die Schweiz bringt sich diesbezüglich sowohl in den relevanten UNOInstitutionen als auch in Multistakeholder-Prozessen wie dem Internet Governance Forum (IGF), dem Europäischen Dialog zur Internet Gouvernanz (EuroDIG) und der ICANN ein. Sie beteiligte sich auch aktiv an dem von Brasilien lancierten NETmundial-Prozess, in dessen Rahmen es im April 2014 erstmals gelungen ist, einen von Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft weitestgehend geteilten Konsens über
auf den Menschenrechten beruhende Grundprinzipien zu erzielen. Die im Frühjahr 2014 vom EDA in Zusammenhang mit dem UVEK lancierte Geneva Internet Platform (GIP) soll ebenfalls zu einem besseren Verständnis aller Stakeholders beitragen.

2.7

Verstärkte Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte

2.7.1

Grundsätze und zentrale Handlungsfelder

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das Völkerrecht eine ausgeprägt dezentrale Rechtsordnung, die nicht über supranationale Organe mit legislativen und exekutiven Befugnissen verfügte. Die Idee überstaatlicher Institutionen zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und 12

P 12.3980 APK-N «Rechtsvergleichender Bericht. Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechten und Umwelt im Zusammenhang mit den Auslandaktivitäten von Schweizer Konzernen».

1242

parallel zur Kodifizierung der Menschenrechtsnormen. Nachdem am 4. November 195013 die Europäische Menschenrechtskonvention verabschiedet worden war, wurde auf regionaler Ebene mit der Schaffung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein verbindliches Verfahren eingeführt. Auf internationaler Ebene war es lange Zeit nicht möglich, Gerichte einzusetzen, die zu rechtsverbindlichen Urteilen befugt sind.

In Ermangelung eines internationalen Gerichtshofs für Menschenrechte erfolgen der Schutz und die Überwachung dieser Rechte auf drei Ebenen. Erstens sieht ein Grossteil der Menschenrechtsverträge Vertragsorgane (treaty bodies) vor, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung und Anwendung der betreffenden Garantien auf staatlicher Ebene zu überwachen, indem sie zum Beispiel die regelmässigen Staatenberichte sowie Individualbeschwerden prüfen. Zweitens gibt es weitere und im Wesentlichen politische Instrumente für die Anwendung, so etwa den Menschenrechtsrat (s. Ziff. 4.5.2) und den Sicherheitsrat der UNO, der vor Kurzem bei der Durchsetzung der Menschenrechte mithilfe von Zwangsmassnahmen auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle spielte. Drittens sind diese Umsetzungsinstrumente in den letzten Jahrzehnten durch verschiedene internationale Strafgerichtshöfe ergänzt worden, die für die Strafverfolgung von Einzelpersonen zuständig sind, denen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vorgeworfen werden. Dennoch bleibt es in erster Linie Aufgabe der Staaten, die effektive Einhaltung der Verpflichtungen zu gewährleisten, die sich aus den Menschenrechtsverträgen ergeben, denen sie beigetreten sind.

Um die Handlungsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit des Menschenrechtsschutzsystems der UNO zu erhalten, ist eine konzertierte Zusammenarbeit aller Akteure (Vertragsorgane, Vertragsstaaten, Hochkommissariat für Menschenrechte OHCHR, Zivilgesellschaft) erforderlich. Ein gutes Beispiel ist die allgemeine regelmässige Überprüfung (UPR), die 2006 im Rahmen des Menschenrechtsrates eingerichtet wurde: Die Menschenrechtssituation jedes Landes wird alle vier Jahre in einem Peer-Review-Verfahren untersucht, gestützt auf drei Berichte: den des Staates selbst, den des OHCHR und den der Zivilgesellschaft.

Der Bundesrat stellt seit einigen
Jahren mit Besorgnis fest, dass die Überprüfung der Anwendung der Menschenrechtsverträge der UNO durch die zuständigen Vertragsorgane in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. Die Anzahl der Staaten, die Menschenrechtsverträge ratifizieren, nimmt stetig zu (dies ist eine der konkreten Auswirkungen der Empfehlungen im Rahmen der UPR), und die Verspätungen bei der Behandlung der regelmässigen Staatenberichte werden immer grösser, weil die Staaten ihre Berichte nicht rechtzeitig einreichen. Vor einigen Jahren ging es noch in erster Linie um institutionelle Veränderungen des Menschenrechtsschutzsystems, während es heute bei Reformfragen zunehmend um pragmatische und technische Aspekte der Vorlage der Berichte vor den Vertragsorganen, um die Harmonisierung ihrer Arbeitsmethoden und um ihre Interaktion mit anderen Überwachungsmechanismen (insbesondere dem Menschenrechtsrat) geht. Die Frage der Kosten und der Finanzierung von Lösungen dieser Probleme spielt ebenfalls eine zentrale Rolle in den Debatten. Die Schweiz setzt sich für diesen Ansatz zur Systemoptimierung ein, weil sie überzeugt ist, dass er die Möglichkeit bietet, einige der grössten Probleme abzubauen und so die Einhaltung der Menschenrechte besser zu überwachen. Sie ist 13

SR 0.101

1243

sich indessen bewusst, dass manche Fragen noch einer befriedigenden Antwort bedürfen (so etwa die Details der Erstellung der Staatenberichte an die Vertragsorgane oder die Möglichkeiten der Prävention von Vertragsverletzungen).

2.7.2

Charakteristische Beispiele für das Schweizer Engagement (2011­2014) sowie Herausforderungen

Um die Wirksamkeit der Vertragsorgane zu erhöhen, unterstützte die Schweiz von Anfang an die breit angelegte Konsultation, welche die Hohe Kommissarin 2009 lancierte. Sie legte besonderes Gewicht auf die Unabhängigkeit der Sachverständigen der Vertragsorgane und unterstützte das Ziel einer verbesserten Umsetzung der Empfehlungen, welche die Aufsichtsorgane ausgesprochen haben. Zudem unterstützte sie den Vorschlag, das Verfahren der Berichterstattung an die Vertragsorgane zu vereinfachen (simplified reporting procedure). Die Bemühungen um eine Stärkung der Vertragsorgane wurden im April 2014 durch eine Resolution der UNOGeneralversammlung bekräftigt. Nach Auffassung der Schweiz muss es das Ziel des Systems sein, allen Rechtsinhabern den bestmöglichen Schutz zu gewähren und dafür Sorge zu tragen, dass das menschenrechtliche Vertragswerk vor allem auf nationaler Ebene wirksamer wird. Daher wird die Schweiz auch weiterhin allfällige Synergien zwischen den Beteiligten und namentlich zwischen den Vertragsorganen selbst fördern.

Im Berichtszeitraum setzte sich die Schweiz zudem für eine Stärkung derjenigen Instrumente ein, welche die Durchsetzbarkeit der Menschenrechte, des Völkerrechts und des internationalen Strafrechts fördern können. Es geht darum, eine institutionelle Architektur zu schaffen, die in der Lage ist, Verstösse effektiv zu untersuchen und in schweren Fällen die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Die Schweiz unterstützt insbesondere die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), der für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zuständig ist. Von Ende 2011 bis Ende 2014 hatte die Schweiz das Vizepräsidium der Versammlung der Vertragsstaaten des Römer Statuts des ICC inne und förderte in dieser Eigenschaft eine enge Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten und dem Gerichtshof. Sie unterstützte zudem eine Initiative zur Erhöhung der Wirksamkeit und der Qualität der vom ICC eingeleiteten Verfahren.

Im bilateralen wie im multilateralen Rahmen weist die Schweiz systematisch darauf hin, dass die Straflosigkeit bekämpft werden muss, und sie setzt sich dafür ein, dass mehr Staaten dem Römer Statut beitreten (derzeit sind es 122). Zudem engagiert sie sich in der UNO dafür, dass die Aspekte im Zusammenhang mit der Rechenschaftslegung sowohl in die
Länderresolutionen als auch in die thematischen Resolutionen integriert werden. 2013 initiierte sie ein Schreiben, in dem sie mit Unterstützung von 57 Staaten den Sicherheitsrat aufforderte, die Situation in Syrien an den ICC zu überweisen. Auf nationaler Ebene unterbreitete der Bundesrat der Bundesversammlung im Februar 2014 die Änderungen des Römer Statuts betreffend das Verbrechen der Aggression und die Kriegsverbrechen zur Ratifikation. Diese Bemühungen zur Stärkung der Rechenschaftslegung finden auch Ausdruck in der Friedensförderung vor Ort. In Nepal, im besetzten palästinensischen Gebiet und in Tunesien unterstützt die Schweiz die Arbeit des Hochkommissariats für Menschenrechte bei dessen Bemühungen, Menschenrechtsverletzungen systematisch zu registrieren und zu bearbeiten.

1244

Komplementär zu ihrem Engagement im Bereich Rechenschaftslegung und internationale Justiz entwickelte die Schweiz ihr eigenes Konzept für Vergangenheitsarbeit und Prävention von Gräueltaten. So fördert sie ­ neben den Bemühungen um die Strafverfolgung von schweren Menschenrechtsverletzungen und um das humanitäre Völkerrecht ­ auch Initiativen für Sachverhaltsabklärung, Wiedergutmachung und institutionelle Reformen. Überdies unterstützt sie Bemühungen, die Rechte der Opfer zu schützen und die Fähigkeit der Staaten zu fördern, ihren Verpflichtungen nachzukommen. In diesem Zusammenhang war die Schweiz 2012 die treibende Kraft hinter der Resolution des Menschenrechtsrates, durch die ein Sonderberichterstatter über die Förderung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung eingesetzt wurde. Im Übrigen arbeitet die Schweiz mit zahlreichen staatlichen und nichtstaatlichen Partnern zusammen, die in Initiativen für Vergangenheitsarbeit oder Prävention von Gräueltaten aktiv sind (namentlich Argentinien, Tunesien, Kolumbien, Philippinen und Kosovo). Beispielsweise übernahm die Schweiz im Mai 2014 den Vorsitz der Kommission für Transitionsjustiz und Versöhnung. Dies geschah auf Ersuchen der Regierung der Philippinen und der Islamischen Befreiungsfront der Moros, der beiden Unterzeichner des Friedensvertrags für die Region Bangsamoro. Im Kosovo begleitet eine Schweizer Beraterin seit Juni 2014 die Interministerielle Arbeitsgruppe Vergangenheitsarbeit, deren Einsetzung dem Vermittler Martti Ahtisaari von der Schweiz empfohlen worden war. Die Schweiz unterstützte auch den Dialog und die Annäherung zwischen Gruppen von Akteuren, die sich für die Prävention des Völkermords engagieren, sowie Gruppen von Akteuren, die sich auf die Weiterentwicklung der Schutzverantwortung konzentrieren. Diese Bemühungen führten schliesslich zur Initiative zur Schaffung nationaler Mechanismen zur Verhinderung von Gräueltaten (GAAMAC). An der ersten internationalen Tagung, die im März 2014 in Costa Rica gemeinsam von der Schweiz, Argentinien, Australien, Costa Rica, Dänemark und Tansania organisiert wurde, nahmen 52 Regierungen teil. In der Abschlusserklärung wurden die Regierungen aufgerufen, auf nationaler Ebene eine Politik und Strukturen zu entwickeln, die als zentrales Element der Prävention von Gräueltaten zum Tragen kommen.

3

Instrumente der Schweizer Menschenrechtsaussenpolitik

3.1

Vorbemerkungen

Das Instrumentarium, das dem Bundesrat für die Umsetzung seines menschenrechtlichen Engagements zur Verfügung steht, umfasst diplomatische Mittel wie bilaterale Menschenrechtsdialoge, politische Interventionen und Demarchen auf bilateraler und multilateraler Ebene, Beteiligung an internationalen diplomatischen Initiativen sowie protokollarische und diplomatische Massnahmen von symbolischem Wert. Hinzu kommen direktere Tätigkeiten: Hilfsprogramme, Projekte, Entsendung von Expertinnen und Experten und verwaltungsinterne organisatorische Massnahmen wie beispielsweise der Feldeinsatz von Beraterinnen und Beratern für menschliche Sicherheit. Zudem verfügt der Bundesrat über rechtliche Instrumente wie etwa die aktive Teilnahme an der Kodifizierung und Weiterentwicklung der Menschenrechte, den Beitritt zu Übereinkommen und den Einsatz der in den Über-

1245

einkommen vorgesehenen zwischenstaatlichen Beschwerden und Individualbeschwerden.

Vorstehend wurden zahlreiche thematische Beispiele für die Anwendung dieser Instrumente in der Schweizer Aussenpolitik auf bilateraler und multilateraler Ebene und mittels Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren genannt. Das vorliegende Kapitel ist folglich in diese drei Bereiche gegliedert und zeigt zudem ein viertes Instrument auf: die Plattform, die Genf als Welthauptstadt der Menschenrechte darstellt. Diese Plattform überschneidet sich zwar teilweise mit den anderen bereits genannten Instrumenten, doch die Rolle Genfs in der internationalen Menschenrechtspolitik und namentlich in Bezug auf die im vorstehenden Kapitel beschriebenen Schwerpunkte ist für die Schweiz von besonderer strategischer Bedeutung.

Einige Aspekte dieser Rolle sollen im Folgenden eingehender behandelt werden.

3.2

Bilaterale Instrumente

Unter den bilateralen Instrumenten sind die bilateralen Menschenrechtsdialoge oder -konsultationen für den Bundesrat das Mittel erster Wahl für die Umsetzung der Schweizer Menschenrechtspolitik. Dieses Instrument sieht regelmässige und strukturierte bilaterale Treffen vor, die als Rahmen für einen vertieften Austausch über die Menschenrechtssituation im betreffenden Land sowie über die Einstellung dieses Landes zu aktuellen internationalen Fragen oder Initiativen im Bereich der Menschenrechte dienen. Das Format, die Dauer der Gespräche, die Wahl der Themen und die verfolgten Ziele variieren je nach Land.

Das allgemeine Ziel dieser Konsultationen ist es, die bilateralen Beziehungen zu festigen und ein Klima des Vertrauens und der gegenseitigen Verständigung zu schaffen, das einen Gedankenaustausch über die Prioritäten im Bereich der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene sowie über bewährte Praktiken erlaubt. Überdies sollen die Konsultationen so weit wie möglich die Verwirklichung von Reformen und eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Partnerland unterstützen. Diese Ziele und die häufig heiklen Themen erfordern die strikte Vertraulichkeit dieser bilateralen Gespräche.

In ihrer Dialogpolitik berücksichtigt die Schweiz die lokalen Bedingungen und die Bedürfnisse des Partnerlandes. Sie lässt sich nur mit denjenigen Ländern auf einen bilateralen Menschenrechtsdialog ein, deren Regierung eindeutig ihre Bereitschaft zu einem ernsthaften, kritischen und konstruktiven Dialog hat erkennen lassen und in denen Interesse an einer Zusammenarbeit im weitesten Sinne und auch in anderen Bereichen als den Menschenrechten besteht. Eine nach Auffassung der Schweiz wesentliche Voraussetzung für einen Dialog ist auch der Einbezug der Zivilgesellschaft in manche Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Dialog. Im Rahmen der verfügbaren Ressourcen wird anhand dieser Kriterien entschieden, ob es opportun ist, einen neuen Dialog zu eröffnen beziehungsweise einen bereits begonnenen Dialog fortzusetzen.

Was die begleitenden Massnahmen strukturierter Dialoge betrifft, so finanziert die Schweiz Expertentreffen und Projekte vor Ort, deren Ziel es ist, im Partnerland konkrete Verbesserungen der Menschenrechtssituation zu fördern. Diese Projekte widmen sich den Hauptthemen der offiziellen Gespräche, stützen sich so weit wie möglich auf Schweizer Fachwissen und Erfahrung und berücksichtigen gegebenen1246

falls Schweizer Aktivitäten, die im jeweiligen Land bereits angelaufen sind. Dieser Ansatz führt zu der für dieses Instrument charakteristischen Struktur mit drei Ebenen: (1) offizielle Gespräche mit Behörden über Menschenrechtsfragen; (2) technischer Austausch zwischen Expertinnen und Experten; (3) Unterstützung für Projekte einschliesslich Zusammenarbeit mit NGO und der lokalen Zivilgesellschaft.

Zurzeit unterhält die Schweiz bilaterale Menschenrechtsdialoge oder -konsultationen mit China, Nigeria, Russland, Senegal, Tadschikistan und Vietnam. Der Dialog mit Kuba beschränkt sich seit 2013 auf ein Kapitel der jährlichen politischen Konsultation, da er nicht mehr den oben erläuterten Kriterien entspricht. Der Dialog mit dem Iran ist seit 2011 ausgesetzt.

Die Menschenrechtsdialoge und -konsultationen tragen zur Glaubwürdigkeit und Bedeutung der Schweiz als Akteurin im Menschenrechtsbereich auf internationaler Ebene bei. Die Tatsache, dass nur wenige Länder solche Gespräche führen, verschafft der Schweiz einen Mehrwert in diesem Bereich und stärkt ihre Position.

Dazu kommt, dass die Schweiz aufgrund ihrer Diskretion sowie der Tatsache, dass sie weder eine versteckte Agenda hat noch einem festen militärischen oder politischen Bündnis angehört, die Möglichkeit hat, Gespräche zu führen, die manche ihrer traditionellen Verbündeten in Menschenrechtsfragen ­ darunter die Europäische Union und die USA ­ nicht führen können, derzeit beispielsweise mit China und Russland.

Neben diesen strukturierten Dialogen integriert das EDA seit Mai 2011 systematisch ein Kapitel über Menschenrechte in alle bilateralen politischen Gespräche, die sie regelmässig mit zahlreichen Ländern führt. Und schliesslich zögert sie nicht, in Fällen schwerer oder signifikanter Menschenrechtsverletzungen und häufig gemeinsam mit gleichgesinnten Ländern bilaterale Demarchen zu unternehmen, wenn ihr dies opportun erscheint.

Diese Bemühungen machen deutlich, dass sich alle Instrumente der Menschenrechtsaussenpolitik auf bilateraler Ebene ­ insbesondere die Dialoge ­ und auf multilateraler Ebene ergänzen. Die über diese Kanäle übermittelten Botschaften verstärken sich gegenseitig und sind damit dem Profil und der Kohärenz der Schweizer Position in Menschenrechtsfragen förderlich.

3.3

Multilaterale Instrumente

Die multilaterale Ebene ist ein wichtiger Schauplatz der Aussenpolitik eines kleinen Landes wie der Schweiz, und zwar namentlich im Menschenrechtsbereich. Die multilateralen Instanzen ermöglichen definitionsgemäss Koalitionen von Akteuren, und auf diese Weise erhöhen sich die Reichweite, die Resonanz und die Wirksamkeit der Interventionen der Schweiz. Die Schweiz wiederum zögert nicht, sich Initiativen anderer Staaten anzuschliessen, wenn sie ihr Gelegenheit bieten, ihre eigenen Ziele zu erreichen und ihre Interessen zu vertreten.

Die multilateralen Instanzen spielen für den internationalen Schutz und die Förderung der Menschenrechte nach wie vor eine herausragende Rolle. Die zahlreichen normativen Fortschritte und konkreten Errungenschaften (zum Beispiel die Sonderverfahren und Untersuchungskommissionen) müssen im heutigen internationalen Kontext aktiv verteidigt werden. Allein kann die Schweiz die Entscheidungsprozesse im multilateralen System nicht beeinflussen. Jedoch ist es ihr durch Bündnisse 1247

innerhalb der Gruppe der westlichen Länder sowie durch überregionale Bündnisse in den letzten Jahren gelungen, die Richtung mehrerer multilateraler Debatten in ihrem Sinne zu verändern und damit Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Die multilateralen Foren werden mithin auch künftig wichtige Instrumente sein, in denen der Bundesrat die Interessen der Schweiz bestmöglich vertreten und seine menschenrechtlichen Positionen fördern kann.

3.3.1

Engagement in der UNO

Die UNO ist im Hinblick auf die Menschenrechte die zentrale Weltorganisation. Die Schweiz konzentriert ihr Engagement auf den Menschenrechtsrat und den Dritten Ausschuss der Generalversammlung, verfolgt aber auch sehr genau die einschlägigen Arbeiten des Sicherheitsrats. In diesen Gremien nimmt die Schweiz aktiv an den Debatten über Menschenrechte teil und setzt sich dafür ein, dass sie verstärkt in die Weiterentwicklung der Normen einbezogen und dass die Förderung und der internationale Schutz der Menschenrechte intensiviert werden. Sie engagiert sich zudem für die Verstärkung der Instrumente zur Überwachung der Umsetzung der Menschenrechte. Sie plädiert überdies für die Integration der Menschenrechtsfragen in die Arbeiten anderer Instanzen der UNO, darunter das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC).

Die Menschenrechte, eines der drei Kernelemente der UNO neben Frieden und Sicherheit sowie Entwicklung, gewinnen in der Arbeit der UNO immer mehr an Bedeutung. Diese Tendenz, welche die Schweiz als positiv betrachtet, wird sich künftig noch verstärken, namentlich infolge der Umsetzung des vom UNOGeneralsekretär veröffentlichten Berichts «Rights Up Front». Diese Initiative soll das Engagement für die Menschenrechte im gesamten UNO-System verankern und als Komponente in die ganze Institution einbringen (Mainstreaming). Die Schweiz unterstützt diese Initiative aktiv und ganz im Sinne ihres Engagements für die Verankerung des menschenrechtlichen Ansatzes in der Post-2015-Agenda.

Diese Prozesse und die Möglichkeiten, die sie eröffnen, erfordern ausreichende Ressourcen für die Umsetzung. Für das UNO-Kernelement Menschenrechte stehen jedoch lediglich knapp drei Prozent des ordentlichen Budgets der Organisation zur Verfügung; der Grossteil der einschlägigen Aktivitäten wird auf freiwilliger Basis finanziert. Die Schweiz setzt sich zusammen mit anderen Staaten für eine Aufstockung der Finanzmittel für die Menschenrechtsarbeit im ordentlichen Budget der UNO ein. In diesem Kontext lancierte sie einen Mehrparteiendialog über diese Frage und rief den UNO-Generalsekretär im Juli 2014 in einem von 55 Staaten unterstützten Schreiben auf, die aus dem ordentlichen Budget bereitgestellten Finanzmittel für das Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) zu erhöhen.

In der UNO
unterstützt die Schweiz überdies verschiedene Programme, Fonds und Projekte, die den Schwerpunkten der Schweizer Menschenrechtsaussenpolitik entsprechen. Bei dieser Unterstützung handelt es sich um Finanzmittel oder die Entsendung von Expertinnen und Experten. Die Schweiz fördert zudem die Arbeiten der Sonderverfahren des Menschenrechtsrates durch die Bereitstellung von Fachleuten, die den Trägern von Mandaten, die den prioritären Themen der Schweizer Menschenrechtspolitik entsprechen, unmittelbar zuarbeiten. Es handelt sich zum Beispiel um den Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, den Sonderberichterstatter für Versamm1248

lungs- und Vereinigungsfreiheit, den Sonderberichterstatter für die Menschenrechte Binnenvertriebener und den Sonderberichterstatter über das Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser und Sanitärversorgung.

3.3.2

Engagement in Regionalorganisationen

Auch in regionalen Foren engagiert sich die Schweiz aktiv für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte, und dies verstärkt und ergänzt ihr Wirken in der UNO. Die Regionalorganisationen dienen auch als Bindeglied für die Bemühungen, welche die Schweiz mit ihren bilateralen Instrumenten unternimmt. Im Berichtszeitraum erlaubte der Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den die Schweiz 2014 innehatte, unserem Land eine aktive Förderung seiner Menschenrechtsaussenpolitik bei den 56 OSZE-Mitgliedstaaten, zu denen auch vier ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats zählen.

Der OSZE-Vorsitz gab der Schweiz Gelegenheit, die bedeutende Plattform zu nutzen, welche die Organisation für politischen Dialog und praktisches Handeln vor Ort bietet. Die OSZE vertritt ein globales Sicherheitskonzept, das drei Dimensionen hat: neben der politisch-militärischen Sicherheit und der Wirtschafts- und Umweltsicherheit auch eine dritte Dimension, welche die Achtung der Menschenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie umfasst. Die Schweiz hat sich seit der Gründung der Organisation für die Förderung der menschlichen Sicherheit in der OSZE eingesetzt. Die Schweiz hatte 2011 und 2012 den Vorsitz des Ausschusses der OSZE für die menschliche Dimension inne und konnte sich in der Organisation damit in Menschenrechtsfragen profilieren. Im Berichtszeitraum förderte die Schweiz zudem die Menschenrechtsarbeit der OSZE durch gezielte finanzielle Unterstützung für einzelne Projekte und durch die Bereitstellung von Expertinnen und Experten.

Die Schweiz hat ihr menschenrechtliches Engagement in der OSZE während ihres Vorsitzes verstärkt, indem sie im Interesse der Kohärenz und der Wirksamkeit vor allem diejenigen Themen bearbeitete, die bereits zuvor Schwerpunkte ihrer Tätigkeit in der OSZE gewesen waren, und indem sie andere Instrumente ihrer einschlägigen Politik einsetzte: Prävention von Folter, Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und ­verteidigern und Förderung der Geschlechtergleichstellung. Der OSZE-Vorsitz bot auch manchen Partnern der Schweiz (NGO, internationale Organisationen, unabhängige Experten, Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen) eine hervorragende Plattform, die ihnen erlaubte, die Sichtbarkeit ihrer Arbeit innerhalb der weltweit grössten regionalen
Sicherheitsorganisation zu erhöhen und dadurch neue Synergien zu entwickeln und bestehende Partnerschaften zu festigen.

Der Europarat, eine weitere Regionalorganisation, in der die Schweiz aktives Mitglied ist, ist ein wichtiges multilaterales Instrument der Schweizer Politik, die eine Stärkung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit anstrebt.

Die Schweiz engagiert sich intensiv für die Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die während des Schweizer Vorsitzes und anlässlich der Konferenz von Interlaken 2010 initiiert wurde. Diese Reform hat zu positiven Ergebnissen geführt, im Berichtszeitraum beispielsweise zu einer deutlichen Verringerung der hängigen Verfahren und damit zu einer erhöhten Effizienz des Gerichtshofs. Überdies unterstützt die Schweiz strategische Projekte des Europarats, indem sie finanzielle Mittel unter anderem für den Menschenrechtsfonds sowie für Initiativen bereitstellt, die demokratische Institutionen im Raum des Europarates und darüber 1249

hinaus ­ zum Beispiel in Georgien und im Kosovo ­ stärken sollen. Die Schweiz leistet mit der Bereitstellung von Expertinnen und Experten auch einen Beitrag an den Ausbau der Kapazitäten der Organisation.

Der Europarat ist auch ein Akteur und ein einzigartiges Forum der Weiterentwicklung der Menschenrechtsnormen. So trat 2014 das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Kraft14. Weitere Verträge liegen seit Kurzem zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten auf, darunter das Übereinkommen über die Fälschung von Arzneimitteln und Medizinprodukten und über ähnliche die öffentliche Gesundheit gefährdende Straftaten (2011)15 und das Protokoll Nr. 15 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (2013)16, welches das Prinzip der Subsidiarität vorsieht. Die Schweiz nahm aktiv an der Ausarbeitung dieser Verträge teil.

Die Schweiz hat Beobachterstatus in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und wirkt daher an der Verstärkung des interamerikanischen Menschenrechtssystems mit. Das Engagement der Schweiz in dieser Organisation ­ zum Beispiel zugunsten der Meinungsfreiheit ­ bewirkt durch den Multiplikatoreffekt, dass sich unsere Aussenpolitik bis in die 35 Mitgliedstaaten der OAS erstreckt.

3.4

Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren

Neben der zunehmenden Mitwirkung nichtstaatlicher Akteure an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Berichtszeitraum ist auch eine zunehmende Anerkennung nichtstaatlicher Akteure im Bereich der Menschenrechte zu beobachten. Der Bundesrat stützt sich bei seinen Bemühungen, zur Weiterentwicklung wie auch zur Anwendung der Normen beizutragen, auf ein ausgedehntes Netzwerk nichtstaatlicher Akteure, und hier insbesondere auf NGO, Hochschulinstitute, Think Tanks und den Privatsektor. Insofern ist die aktive Zivilgesellschaft nicht nur Ziel der Schweizer Menschenrechtspolitik, sondern auch ein wesentliches Mittel für die Umsetzung dieser Politik.

Die Zusammenarbeit mit NGO im Menschenrechtsbereich ist höchst vielfältig und reicht von der Ausführung von Projekten vor Ort über Kooperationen bei Verhandlungen in multilateralen Gremien bis hin zum Austausch von Informationen über bestimmte Themen oder einzelne Fälle. Die Schweiz befürwortet grundsätzlich den Einbezug von NGO in die bilaterale Behandlung von Menschenrechtsthemen sowie in multilaterale Foren. So unterstützt sie zum Beispiel die Anträge auf Beraterstatus, die von Schweizer NGO und NGO mit Sitz in der Schweiz beim Ausschuss für nichtstaatliche Organisationen am New Yorker Sitz der UNO eingereicht werden.

Die Schweiz stützt sich selbst in manchen Fällen proaktiv auf das anerkannte Fachwissen von nichtstaatlichen Organisationen. Zusätzlich zur finanziellen Unterstützung für ausgewählte Projekte stellt der Bund Kernbeiträge (core contributions) für NGO zur Verfügung, die im Hinblick auf die Hauptthemen des menschenrechtlichen Engagements der Schweiz über besondere Kompetenzen verfügen und eine strategische Position einnehmen, so etwa der Verein für die Verhütung von Folter (Associa14 15 16

Unterzeichnet von der Schweiz am 11. September 2013, aber noch nicht ratifiziert.

Noch nicht in Kraft. Unterzeichnet von der Schweiz am 28. Oktober 2011.

Noch nicht in Kraft. Das Verfahren für die Unterzeichnung durch die Schweiz ist angelaufen.

1250

tion pour la prévention de la torture, APT) oder die Weltorganisation gegen Folter (Organisation mondiale contre la torture, OMCT).

Eine weitere Komponente dieser breiten Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren ist die Unterstützung, die der Bundesrat im Juli 2009 dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) gewährte, das seine Arbeit im Mai 2011 aufnahm. Dieses Pilot-Netzwerk verschiedener Hochschuleinrichtungen und NGO hat den Auftrag, die Umsetzungskapazitäten in der Schweiz auszubauen, indem es namentlich Dokumentationen und Analysen zur Menschenrechtssituation im Land erstellt und die Tragweite und konkrete Umsetzung der einschlägigen internationalen Normen untersucht und auswertet. In der Endphase des Pilotprojekts wird eine externe Evaluation vorgenommen, und anschliessend entscheidet der Bundesrat im Jahr 2015, ob die Einrichtung einer nationalen Menschenrechtsinstitution angezeigt ist.

Die Schweiz ging überdies strategische Partnerschaften mit mehreren Hochschulinstituten und Think Tanks mit Sitz in der Schweiz ein, darunter die Genfer Akademie für das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte (Académie du droit international humanitaire et des droits humains, ADH) und das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF). Die Kompetenzen und neuen Ideen, die aus diesen Forschungszentren hervorgegangen sind, erlauben der Schweiz, ihren Einsatz für die Förderung der Menschenrechte zu profilieren und wirksamer zu gestalten. Abschliessend sei erwähnt, dass die Schweiz schon seit vielen Jahren mit Unternehmen zusammenarbeitet, um den Einbezug der Menschenrechte als Komponente in ihre Tätigkeiten zu fördern (s. Ziff. 2.6).

3.5

Genf, Welthauptstadt der Menschenrechte

3.5.1

Rahmenbedingungen

Das internationale Genf bietet erhebliche Vorteile sowohl für die Aussen- als auch für die Innenpolitik: Aussenpolitisch verschafft es unserem Land Einfluss, innenpolitisch ermöglicht es den Bundesstellen sehr gute Kontakte und bietet Zugang zu Informationen, die für die Entwicklung einzelner Politikfelder wesentlich sind. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Menschenrechte, denn aufgrund seiner strategischen Bedeutung ist Genf die Welthauptstadt der Menschenrechte. Hier hat das Hochkommissariat für Menschenrechte seinen Sitz, hier finden die meisten ordentlichen Tagungen der Vertragsorgane statt, und hier tagt im Palais des Nations seit der Gründung des Menschenrechtsrates 2006 erstmals eines der wichtigsten Organe der UNO ständig in der Schweiz. Die Dynamik der Zivilgesellschaft, der Hochschulen und der rund hundert hier ansässigen NGO, die auf Menschenrechte spezialisiert sind, trägt ebenfalls dazu bei, dass Genf heute das unumgängliche Zentrum der Reflexion über die Menschenrechte ist.

Daher ist auch künftig eine Verstärkung des Genfer Menschenrechtsclusters angezeigt. Dies entspricht der Strategie zur Stärkung der Gaststaatrolle der Schweiz, die im ersten Halbjahr 2013 gemeinsam vom Bund, dem Kanton und der Stadt Genf ausgearbeitet worden war und dem Bundesrat im Juni 2013 unter dem Titel «La Genève internationale et son avenir, Rapport du Groupe permanent conjoint Confédération-Canton sur les priorités de la Genève internationale» vorgelegt wurde.

Die Botschaft, welche die in der Strategie enthaltenen Massnahmen präzisiert und 1251

beziffert, wurde vom Bundesrat am 19. November 201417 genehmigt. Sie wird dem Parlament 2015 unterbreitet. Im Weiteren nutzt der Bundesrat regelmässig die Möglichkeit, die zahlreichen in Genf tätigen Akteure in die Organisation oder Unterstützung von Anlässen und Gesprächen über wichtige Themen seines menschenrechtlichen Engagements einzubeziehen, so etwa das Forum, das im Herbst 2011 anlässlich des fünften Jahrestags des Inkrafttretens des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) stattfand.

Hinsichtlich der Infrastruktur ist die notwendige Renovation des Palais des Nations eines der grössten UNO-Projekte, die derzeit diskutiert werden. Der Bundesrat spendete 50 Millionen Franken für die Renovation der Fassaden und sagte im Juni 2013 die Gewährung zinsgünstiger Darlehen in Höhe der Hälfte der damals geschätzten Kosten bis maximal 380 Millionen Franken zu. Der Kanton und die Stadt Genf werden sich mit höchstens 30 % am Darlehen des Bundes beteiligen. Der Bundesrat änderte im Übrigen seine Politik in Bezug auf die Renovation von Gebäuden, die internationalen Organisationen gehören. Neu können über die Immobilienstiftung für internationale Organisationen (FIPOI) Darlehen vergeben werden.

Um auch für Staaten attraktiv zu sein, die noch nicht in Genf vertreten sind und bei denen es sich meist um Länder ohne grössere finanzielle Ressourcen handelt, hat die Schweiz diesen Staaten ein allgemeines Angebot unterbreitet, das die Bereitstellung eingerichteter Räumlichkeiten, administrative und logistische Unterstützung im «Centre d'Accueil ­ Genève internationale» sowie Lösungen für die Mietkaution für Räume der ständigen Vertretungen umfasst. Im Übrigen gewähren Kanton und Stadt Genf den am wenigsten entwickelten Ländern, die in Genf vertreten sind, Mietzuschüsse für ihre ständigen Vertretungen. Zudem stellt die Schweiz Delegierten aus Ländern ohne Vertretung in Genf, die an den Sessionen des Menschenrechtsrates teilnehmen, möblierte Büros zur Verfügung. Auch können ständige Vertretungen, internationale Organisationen und manche NGO das Internationale Konferenzzentrum Genf (CICG) kostenlos benutzen.

Das Hochkommissariat für Menschenrechte ist als wichtigste zwischenstaatliche Institution für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte ein bedeutender strategischer Partner für die
Schweiz, und zwar nicht nur deshalb, weil es seinen Sitz in Genf hat, sondern auch, weil es die Menschenrechte universell verteidigt. Die Schweiz finanziert mit ihrem allgemeinen jährlichen Beitrag mehrere vom Hochkommissariat verwaltete freiwillige Fonds insbesondere in den Bereichen technische Zusammenarbeit und Bekämpfung der Folter. Auch unterstützt sie mehrere Regionalbüros der UNO, namentlich im besetzten palästinensischen Gebiet und in Honduras.

Der Bundesrat setzt sich überdies dafür ein, dass das Mainstreaming von Menschenrechtsfragen bei allen Aktivitäten der UNO, wie es in der Initiative des UNOGeneralsekretärs «Rights Up Front» vorgesehen ist, nicht zulasten der wichtigen Rolle Genfs in Menschenrechtsfragen geht, sondern diese konsolidiert. Auch der Einsatz der Schweiz für eine Stärkung der Vertragsorgane und für eine bessere Koordination ihrer Arbeiten zielt darauf ab, sowohl die Arbeit der Schlüsselinstitutionen der Menschenrechtsgouvernanz zu optimieren als auch die Attraktivität des Menschenrechtsstandorts Genf zu erhöhen.

17

Botschaft vom 19. November 2014 zu den Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat, BBl 2014 9229

1252

3.5.2

Menschenrechtsrat: Chancen und Herausforderungen

Die Bedeutung Genfs im Menschenrechtsbereich ist weitgehend auf die Relevanz, die Glaubwürdigkeit und die Effizienz der Tätigkeit des Menschenrechtsrates zurückzuführen. Dies gilt auch und vor allem im Berichtszeitraum, in dem er seine Aktivitäten deutlich ausweitete. Seit 2011 und den Ereignissen des Arabischen Frühlings wurde der Menschenrechtsrat stark in Anspruch genommen. Er reagierte mit Offenheit und in dringenden Fällen auch sehr rasch. Der Rat wurde vielfach angerufen, um humanitäre Krisen und Fälle zu behandeln, in denen gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen wird, so etwa in Syrien und dem besetzten palästinensischen Gebiet. Spürbar ist die Dynamik des Rates sowohl bei der Behandlung von Menschenrechtssituationen in einzelnen Ländern (Schaffung neuer Sonderverfahren oder Ermittlungsmechanismen) als auch bei thematischen Fragen (zunehmende Anzahl neu behandelter Themen und Schaffung neuer thematischer Sonderverfahren). Seit 2011 hat der Menschenrechtsrat jedes Jahr rund hundert Resolutionen verabschiedet.

Eine relativ gute Zusammenarbeit zwischen Staaten und regionalen Blöcken war ­ vor allem dank der Zunahme transregionaler Initiativen ­ von 2011­2013 festzustellen. Seither verzeichnet der Menschenrechtsrat auch weiterhin Fortschritte in der Sache, doch in der Form sind deutliche Veränderungen zu erkennen. Nach und nach zeichnet sich eine Polarisierung und Politisierung ab, die zum Teil durch die neue Zusammensetzung der Mitgliedstaaten des Rates und die ausdrückliche Absicht einer Gruppe von 18 Staaten zu erklären ist, die ihrer Kritik an den Menschenrechten mehr Gehör verschaffen wollen und sich zu diesem Zweck zu einer transregionalen Gruppe gleichgesinnter Staaten (Like-Minded Group18) zusammengeschlossen haben. Diese Gruppe blockiert Debatten und vertieft die Ost-West/Nord-Süd-Kluft bei Fragen im Zusammenhang mit «traditionellen Werten» (Frauen, Homosexualität), staatlicher Souveränität, Mitwirkung der Zivilgesellschaft, Demokratie und Bekämpfung der Straflosigkeit. Das Verhalten dieser Gruppe belastet das Gesprächsklima und erschwert die Arbeit des Menschenrechtsrates.

Der Menschenrechtsrat ist nicht nur mit dieser Polarisierung, sondern seit 2011 auch mit mehreren anderen Herausforderungen konfrontiert. Die Anzahl der in jeder Session verabschiedeten Resolutionen ist
gleichbleibend hoch, die der Mandate, der gemeinsamen Erklärungen und der Parallelveranstaltungen nimmt stetig zu. Die zunehmende Anzahl der Aktivitäten des Rates ist zwar zu begrüssen, zeugt sie doch von der Bedeutung, welche die Staaten ihm beimessen, aber sie hat auch Nachteile.

Die Aktivitäten des Rates sind weniger fokussiert und daher weniger sichtbar. Die Mitarbeit kleiner und mittelgrosser Delegationen wird schwieriger, und infolgedessen ist auch das Engagement immer ungleichmässiger, wodurch die Universalität der Institution gefährdet wird.

Eines der zentralen Arbeitsfelder des Menschenrechtsrates ist die allgemeine regelmässige Überprüfung (UPR), die bei der Gründung des Menschenrechtsrates 2006 eingeführt wurde und in Form einer Peer-Review erfolgt. Jeder UNO-Mitgliedstaat muss sich alle viereinhalb Jahre einer solchen Prüfung unterziehen. Die Schweiz 18

Ägypten, Äthiopien, Algerien, Bangladesch, Belarus, China, Indien, Iran, Kuba, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Sri Lanka, Südafrika, Venezuela, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam.

1253

wurde 2008 und 2012 überprüft (s. Ziff. 5.2). Das Verfahren ist weiterhin erfolgreich, und zwar vor allem deshalb, weil es nach wie vor universell und unparteiisch ist. Die UPR geniesst gute Akzeptanz und ermöglichte eine Reihe von Fortschritten, indem sie Staaten ermutigt, Defizite in ihrem Menschenrechtsschutz zu erkennen und zu beheben und den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu intensivieren. Dennoch ist auch hier die wachsende Anzahl der an die Staaten gerichteten Empfehlungen ­ durchschnittlich hundert ­ eine nicht geringe Herausforderung für die innerstaatliche Umsetzung.

Die Schweiz hatte von Juni 2010 bis Dezember 2013 Einsitz im Menschenrechtsrat; nach einem ersten Mandat von 2006­2009 hatte sie 2013 den Vizevorsitz des Rates inne. Seit dem 1. Januar 2014 hat sie Beobachterstatus und wird sich für die Jahre 2016­2018 erneut um einen Sitz bewerben. Der Beobachterstatus hat nur insofern etwas am Engagement der Schweiz geändert, als sie nicht mehr an der abschliessenden Abstimmung über die Resolutionen teilnehmen darf. Sie ergreift im Plenum häufig das Wort zu einzelnen Themen oder Situationen und beteiligt sich aktiv an den informellen Verhandlungen über zahlreiche Resolutionen.

Die Schweiz beteiligt sich im Allgemeinen an Debatten über länderspezifische Situationen. Zwischen 2012 und 2014 leitete sie mehrmals die Behandlung der Menschenrechtssituation in Bahrein und war sehr aktiv in den Verhandlungen über die Resolutionen zu Syrien. Im März 2014 schloss sie sich der ersten gemeinsamen Erklärung zur Menschenrechtssituation in Ägypten an. Bei den thematischen Fragen verstärkte sie ihre Bemühungen im Bereich der Rechenschaftslegung, als sie zusammen mit Argentinien im September 2011 einen Sonderberichterstatter über Transitionsjustiz einsetzte und 2012 die Gruppe der Freunde des Internationalen Strafgerichtshofs gründete. Zum Zeitpunkt des Arabischen Frühlings lancierte die Schweiz ein neues Thema im Rat: die Gewährleistung der Menschenrechte bei friedlichen Demonstrationen. In Partnerschaft mit anderen Staaten trug die Schweiz mit einer Resolution im Juni 2013 dazu bei, die Abschaffung der Todesstrafe in das langfristige Arbeitsprogramm des Menschenrechtsrates aufzunehmen. Neben eigenen Initiativen schliesst sich die Schweiz bei neuen Themen wie Privatsphäre im digitalen Zeitalter und
bei anderen Grundsatzfragen wie Rechte der Frau und Rechte des Kindes den Initiativen anderer Länder an.

Angesichts der Dynamik und des Potenzials des Menschenrechtsstandorts Genf muss sich die Schweiz aktiv für die Verteidigung dieses strategischen Vorteils einsetzen und diese einzigartige Plattform sowie die intensiven Diskussionen und positiven Entwicklungen fördern, die sie im Bereich der Menschenrechte in Gang setzt. Diese Bemühungen sind umso wichtiger, als einige ­ auch europäische ­ Staaten bestrebt sind, Aktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten anzuziehen, weil dieser Bereich politisch attraktiv ist und Entwicklungspotenzial birgt.

1254

4

Garantie für Kohärenz: Grundsätze und Instrumente

4.1

Vorbemerkungen

Die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz beschränkt sich nicht auf die in den vorstehenden Kapiteln genannten Schwerpunkte und Instrumente. Laut Verfassungsauftrag ist die Förderung der Menschenrechte sehr viel breiter angelegt. Menschenrechtsfragen müssen bei der Planung und Umsetzung der gesamten Aussenpolitik der Schweiz berücksichtigt werden, also auch in Bereichen, in denen es nicht vorrangig um die Förderung dieser Rechte geht.

Das allgemeine Ziel der Menschenrechtsförderung hat auch Auswirkungen auf die einschlägige Innenpolitik der Schweiz. Das Gebot der Achtung der Menschenrechte durch die Schweiz, das sich aus den internationalen Verpflichtungen unseres Landes ergibt, wird noch verstärkt durch die Pflicht der Schweiz zur Kohärenz. Diese besagt, dass der Bundesrat alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen muss, um die Umsetzung dieser Rechte im Inland sicherzustellen. Im Hinblick auf die Menschenrechte ist die Kohärenz daher als doppelte Aufgabe zu betrachten: zum einen als Abstimmung der zahlreichen sektoriellen Handlungsfelder der Aussenpolitik, zum anderen als sachlicher Zusammenhang zwischen Innen- und Aussenpolitik.

4.2

Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik im Bereich der Menschenrechte

Die Frage der Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik im Bereich der Menschenrechte ist eng verbunden mit der Ratifikation der internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und ihrer Anwendung im Rahmen der Schweizer Rechtsordnung.

Die effektive Umsetzung und Anwendung dieser Rechte, das heisst ihre Einhaltung, ihr Schutz und ihre Garantie auf internationaler und nationaler Ebene ist eine der zentralen Herausforderungen in diesem Bereich. Beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags können die Staaten einen Vorbehalt anbringen, also die Anwendung einer Bestimmung des Vertrags ausschliessen oder abändern. Dank der Möglichkeit von Vorbehalten werden mehr Staaten Vertragspartei, doch eine einheitliche Anwendung der Verträge ist dann nicht mehr gewährleistet. Insbesondere bei Menschenrechtsübereinkommen ist dafür zu sorgen, dass sie nicht durch Vorbehalte ihrer Substanz beraubt werden und damit das Ziel des allgemeinen Schutzes nicht mehr erfüllen können.

In diesem Sinne verbesserte die Schweiz ihre Praxis des Einspruchs gegen unzulässige Vorbehalte anderer Staaten, wenn diese multilateralen völkerrechtlichen Verträgen und insbesondere Menschenrechtsübereinkommen beitreten. Die Schweiz hat die Absicht, eine Praxis zu etablieren, nach der ungeachtet politischer Erwägungen förmlicher Einspruch gegen Vorbehalte erhoben wird, die im Sinne der Bestimmungen von Artikel 19 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 196919 über das Recht der Verträge, der die Kriterien für die Zulässigkeit von Vorbehalten nennt, möglicherweise unzulässig sind. Diese Praxis entspricht dem allgemeinen Ziel der 19

SR 0.111

1255

Schweizer Aussenpolitik, das Völkerrecht und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern.

Bevor die Schweiz ein internationales Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, versichert sie sich seiner Vereinbarkeit mit der Schweizer Gesetzgebung, damit garantiert ist, dass es anwendbar ist und kein frommer Wunsch bleibt. In diesem Zusammenhang spielen Behörden und Gerichte eine wichtige Rolle, denn sie müssen im Rahmen ihrer Tätigkeit den Grundrechten und den Menschenrechten Rechnung tragen.

Im Berichtszeitraum ist die Schweiz am 15. April 2014 dem UNO-Übereinkommen vom 13. Dezember 200620 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beigetreten. Zudem verabschiedete der Bundesrat am 29. November 201321 die Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Die Vorbereitungen für eine allfällige Schweizer Ratifikation des Fakultativprotokolls vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen vom 20. November 198922 über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren, das in einer Motion gefordert wurde, sind angelaufen.

In seinem Bericht über die revidierte Europäische Sozialcharta kam der Bundesrat am 2. Juli 201423 zum Schluss, dass die Schweiz aus rechtlicher Sicht die Mindestanforderungen für eine Ratifikation erfüllt.

Neben der Ratifikation internationaler Menschenrechtsinstrumente legt der Bundesrat besonderen Wert auf die Umsetzung der entsprechenden Verpflichtungen und die Überwachungsmechanismen, die in den ratifizierten Übereinkommen, Chartas und Protokollen vorgesehen sind. Die Mehrheit der Verträge sieht die Möglichkeit von Individualbeschwerden in Fällen vor, in denen Einzelpersonen bei erwiesenem Verstoss gegen eines ihrer vom betreffenden Vertrag garantierten Rechte und nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs ein internationales Kontrollorgan anrufen und Beschwerde gegen den Vertragsstaat einlegen können. Die Schweiz ist in erster Linie von Beschwerden betroffen, die dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorliegen. Die Urteile des Gerichtshofs sind für die Vertragsstaaten bindend, ihre Umsetzung wird vom Ministerkomitee des Europarats überwacht. Ein wichtiges Mittel für die innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs in der Schweiz ist die Möglichkeit für Einzelpersonen, per
Revisionsgesuch eine Wiedereröffnung des Schweizer Verfahrens zu beantragen.24 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist im Allgemeinen eine wichtige Quelle für die Weiterentwicklung der Schweizer Rechtsnormen bei der Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Zusätzlich zu den Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkennt die Schweiz die Zuständigkeit des UNO-Ausschusses gegen Folter25, des UNO-Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung26 und

20 21 22 23 24 25 26

SR 0.109 BBl 2014 453 Mo 12.3623 Amherd «Ratifizierung des dritten Fakultativprotokolls zur UNO-Kinderrechtskonvention».

BBl 2014 5611 Art. 122 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110).

Art. 22 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT; SR 0.105).

Art. 14 des Internationalen Übereinkommens vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD; SR 0.104).

1256

des UNO-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau27 für Individualbeschwerden. Zwischen 2011 und dem Ende des ersten Halbjahrs 2014 behandelte der Ausschuss gegen Folter 46 Individualbeschwerden gegen die Schweiz, die alle den Grundsatz des Non-Refoulement in Fällen betrafen, in denen die Gefahr der Folter oder der Misshandlung bestand; in fünf Fällen stellte das Gericht einen Verstoss gegen diesen Grundsatz fest. In solchen Fällen muss die Schweiz dem Ausschuss innert 90 Tagen einen detaillierten Bericht über die Massnahmen zur Umsetzung des Entscheids vorlegen. Im gleichen Zeitraum behandelte der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung eine Beschwerde gegen die Schweiz, die letztlich abgewiesen wurde. Beim Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau wurde keine Beschwerde gegen die Schweiz eingereicht.

Alle Menschenrechtsverträge der UNO sehen für die Vertragsstaaten eine Berichterstattungspflicht vor. Im Anschluss an die Prüfung der Staatenberichte formuliert das jeweils zuständige Vertragsorgan (treaty body) eine Reihe von Empfehlungen, über deren Umsetzung der betreffende Staat dem Vertragsorgan Rechenschaft abzulegen hat. Bei der Vorbereitung der Staatenberichte sorgt der Bundesrat dafür, dass sowohl die Kantone als auch die zuständigen Dienststellen des Bundes einbezogen werden, damit die Berichte so umfassend und aufschlussreich wie erforderlich sind. Der Bundesrat misst auch den Empfehlungen der Vertragsorgane grosse Bedeutung bei; diese Empfehlungen finden anschliessend Eingang in die Gesetzgebung und die Praxis der Schweiz. Im Berichtszeitraum legte die Schweiz den zuständigen Vertragsorganen drei Staatenberichte vor.28 Nach der Prüfung eines dieser Berichte richtete das zuständige Vertragsorgan 20 Empfehlungen an die Schweiz.29 Die Behandlung der beiden anderen Berichte durch die entsprechenden Vertragsorgane ist noch nicht abgeschlossen. Die allgemeine regelmässige Überprüfung (UPR) sei als letztes Beispiel für die besondere Aufmerksamkeit genannt, die der Bundesrat der Umsetzung der völkerrechtlichen Verfahren widmet, denen sich die Schweiz zu unterziehen hat. Bei den Vorbereitungen und der Nacharbeit zu den ersten beiden allgemeinen regelmässigen Überprüfungen der Schweiz im Menschenrechtsrat im Mai 2008 und im Oktober 2012 wurden
alle betroffenen Dienststellen der Bundesund kantonalen Behörden sowie NGO und Hochschuleinrichtungen, die im Menschenrechtsbereich tätig sind, eingehend konsultiert. Auch die Empfehlungen wurden im Rahmen einer breiten Vernehmlassung abgelehnt beziehungsweise angenommen. Um die angenommenen Empfehlungen und die eigenen Prioritäten der Schweiz in diesem Bereich möglichst gut aufeinander abzustimmen, hat die Kerngruppe Internationale Menschenrechtspolitik sodann eine thematische Gliederung vorgenommen, Befugnisse zugewiesen und Prioritäten für die Umsetzung der Empfehlungen festgelegt. Der Staatenbericht für den dritten Zyklus (die nächste UPR der Schweiz ist für April 2017 geplant) wird in Konsultation mit den gleichen Akteuren 27 28

29

Fakultativprotokoll vom 6. Oktober 1999 zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (FP-CEDAW; SR 0.108.1).

Siebter Bericht zur Umsetzung des UNO-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (2014); Zweiter, Dritter und Vierter Bericht zur Umsetzung des UNO- Übereinkommens über die Rechte des Kindes (2012); Siebter, Achter und Neunter Bericht des UNO-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (2012).

Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung, Abschliessende Stellungnahmen zum Siebten, Achten und Neunten Staatenbericht der Schweiz, UNO-Dokument CERD/C/CHE/CO/7-9 (engl.).

1257

und im Rahmen eines regelmässigen Gedankenaustauschs zu diesem Thema zwischen Bundesverwaltung und den interessierten Kreisen ausgearbeitet.

Aufgrund der zunehmenden Anzahl der Berichte, die regelmässig, jedoch in unterschiedlichen Zeitrahmen eingereicht werden müssen, ist die Schweiz heute permanent in ein Berichterstattungsverfahren eingebunden und muss gleichzeitig auch die Empfehlungen von Organen der UNO bearbeiten (im Fall der UPR sind dies die UNO-Ausschüsse oder der Menschenrechtsrat). Für die Umsetzung sind je nach Bereich der Bund oder die Kantone oder beide zuständig. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und auf ausdrücklichen Wunsch der Kantone prüft die Bundesverwaltung, ob es sinnvoll wäre, dem Bundesrat die Schaffung einer neuen Koordinationsinstanz vorzuschlagen, deren Aufgabe es wäre, die verschiedenen Verfahren hinsichtlich der Fristen sowie der Organisation und der Inhalte zu koordinieren. Diese Instanz könnte die Arbeit der verantwortlichen Dienststellen auf Bundes- und Kantonsebene unterstützen, Synergien zwischen den verschiedenen Verfahren entwickeln und gegebenenfalls die Verfahren organisatorisch aufeinander abstimmen.

Die Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik im Bereich der Menschenrechte hat noch eine weitere Dimension, nämlich die der spezifischen Interessen der Schweiz, die über die allgemeine Förderung der Menschenrechte hinausgehen. Dies findet zum Beispiel Ausdruck im Engagement der Schweiz in den Diskussionen über eine Erklärung der UNO über die Rechte der Bauern und anderer Menschen in ländlichen Gebieten. Angesichts der landwirtschaftlichen Tradition der Schweiz und der Bedeutung des Agrarsektors für die Volkswirtschaft des Landes ist der Bundesrat der Auffassung, dass eine solche Erklärung die Rechte dieser Personen ­ in der Schweiz wie auch anderswo ­ effektiv stärken würde.

4.3

Einbezug der Menschenrechte und Kohärenz der Aussenpolitik: Grundsätze und Instrumente

Der Bundesrat muss Sorge tragen für die allgemeine Kohärenz der Aussenpolitik der Schweiz und insbesondere für die Kohärenz seines Handelns im Menschenrechtsund in anderen Bereichen. In seiner Funktion als Koordinator bemüht sich das EDA, in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ämtern, die Kohärenz der Aussenpolitik zu verstärken, und zwar sowohl intern als auch in den multilateralen Foren und auf bilateraler Ebene. Vor allem muss gewährleistet sein, dass das aussenpolitische Wirken der Schweiz im Einklang steht mit den Vorgaben des Völkerrechts ­ einschliesslich der Menschenrechtsnormen, die ihm gegenüber geltend gemacht werden können. Es gibt allerdings völkerrechtliche Bestimmungen, die der Schweiz entgegengesetzte oder je nach Situation sogar widersprüchliche Verpflichtungen auferlegen können. In solchen Fällen ist es Aufgabe der zuständigen Dienststellen der Bundesverwaltung oder des Bundesrates, die Prioritäten abzuwägen und gegebenenfalls die Position der Schweiz zu diesen Bestimmungen sowohl extern als auch intern klarzustellen.

Es kann auch zu Interessenkonflikten zwischen den verschiedenen Zielen der Schweizer Aussenpolitik oder zwischen den Menschenrechten und anderen Interessen des Landes kommen, beispielsweise in manchen Fällen beim Export von Kriegsmaterial. Zum einen ist ein hohes Niveau der Achtung der Menschenrechte im Empfängerland festzulegen, denn missbräuchlicher Einsatz von Waffen kann zu schweren und systematischen Verletzungen der Menschenrechte in diesem Land 1258

führen. Zum anderen müssen bei der Interessenabwägung auch die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz und die Erhaltung der für die Landesverteidigung wichtigen Industriekapazitäten berücksichtigt werden. Um zu gewährleisten, dass der Export von Kriegsmaterial mit der gesamten Schweizer Aussenpolitik einschliesslich der Menschenrechtsaussenpolitik vereinbar ist, muss jeder einzelne Antrag gründlich geprüft werden.

Intern will der Bundesrat Sorge dafür tragen, dass die Menschenrechtsdimension systematisch in alle aussenpolitischen Entscheidungsprozesse integriert wird und dass diese Prozesse transparent sind. Zu diesem Zweck gibt es eine Reihe interner Informations-, Konsultations- und Entscheidmechanismen, darunter die Kerngruppe Internationale Menschenrechtspolitik, in der alle interessierten Departemente vertreten sind. Zudem gibt es Bemühungen, die Qualität der Ausbildung und die Sensibilisierung des Bundespersonals zu verbessern. Laut Artikel 35 Absatz 2 BV ist jede Person, die staatliche Aufgaben wahrnimmt, an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen. Überdies erlauben Koordinierung und Konsultation zwischen den Bundesstellen eine optimale Integration (Mainstreaming) der Menschenrechtsaspekte in die Definition und Umsetzung der gesamten Aussenpolitik der Schweiz. Dies ist namentlich der Fall für Bereiche wie die Aussenwirtschaftspolitik, die Sicherheitspolitik und die Migrationspolitik. Auch in diesen drei Bereichen setzt sich die Schweiz dafür ein, dass die Menschenrechte in die Formulierung der jeweiligen Politik auf internationaler Ebene einbezogen werden.

4.3.1

Kohärenz von Aussenwirtschaftspolitik und Menschenrechtspolitik

Der Bundesrat achtet darauf, dass auf allen Handlungsebenen die Kohärenz von Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik, Handelspolitik und Menschenrechtspolitik, den interdependenten Elementen einer Politik der nachhaltigen Entwicklung, gewährleistet ist.

Im Hinblick auf die Wirtschaft ist der Bundesrat der Auffassung, dass die Liberalisierung des Handels dank multilateraler Verträge (im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO) wie auch bilateraler Verträge (Freihandelsabkommen, bilaterale Abkommen für Investitionsförderung und Investitionsschutz) zum Wirtschaftswachstum und damit zum Wohlstand der Schweiz und ihrer Partner beitragen.

Positive Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Lebensstandard sind sowohl in den Partnerländern als auch in der Schweiz zu erwarten. Dank der zunehmenden bilateralen und multilateralen Verpflichtungen fördern diese Verträge überdies den Rechtsstaat und tragen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Wohlstand bei, indem sie namentlich den Privatsektor und das freie Unternehmertum unterstützen. Und schliesslich integrieren sie die Partner immer stärker in die internationale Rechtsordnung und die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Die Freihandelsabkommen (FHA) beruhen ebenso wie die anderen Instrumente der Aussenwirtschaftspolitik vor allem auf wirtschaftlichen Kriterien, berücksichtigen jedoch auch die Umwelt- und die Sozialstandards und generell auch die Menschenrechte. Seit dem Jahr 2010 schlagen die Schweiz und ihre EFTA-Partner ihren Verhandlungspartnern systematisch die Aufnahme entsprechender Bestimmungen 1259

vor, namentlich die Aufnahme eines Kapitels über «Handel und nachhaltige Entwicklung». Dieses Kapitel sieht spezifische Vorschriften zu Arbeitsstandards und Umweltschutz vor, darunter die effektive Umsetzung und Einhaltung der Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie der von den Vertragsstaaten ratifizierten multilateralen Umweltübereinkommen. Zudem schlägt die Schweiz Verweise auf die wichtigsten internationalen Menschenrechtsinstrumente sowie auf die Prinzipien der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen (Corporate social responsibility) vor. Der Bundesrat trägt durch die Aufnahme einer entsprechenden Klausel überdies Sorge dafür, dass die von der Schweiz geschlossenen Freihandelsabkommen die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen auch in den Bereichen Sozialschutz, Umweltschutz und Menschenrechte nicht einschränken oder in Frage stellen. Im Übrigen erlauben die Freihandelsabkommen den Vertragsstaaten ausdrücklich, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen und zur Erhaltung nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen Ausnahmemassnahmen zu ergreifen. Die spezifischen Interessen und Umstände des jeweiligen Vertragspartners im sozialen Bereich und im Umweltbereich werden bei der Aushandlung und der Umsetzung des Vertrags gebührend berücksichtigt.

Die Schweiz entwickelt ihre bilateralen Investitionsschutzabkommen (ISA) beständig weiter. Das SECO hat 2012 in Zusammenarbeit mit interessierten Bundesstellen neue Bestimmungen ausgearbeitet, welche die Aspekte der Nachhaltigkeit vertiefen.

Diese sollen deutlich machen, dass es notwendig ist, die Abkommen kohärent und im Einklang mit den anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz und der Partnerländer in Bezug auf die Vertretung öffentlicher Interessen (Menschenrechte, Umweltschutz, internationale Arbeitsnormen usw.) auszulegen und anzuwenden.

Seit 2012 bringt die Schweiz diese neuen Bestimmungen in die ISA-Verhandlungen ein und wird dies auch künftig tun.

In der Ministererklärung von Singapur 1996 verpflichteten sich die Mitgliedstaaten der WTO, die international anerkannten Arbeitsnormen einzuhalten. Doch bis heute gibt es in der WTO keine konkreteren Bestimmungen zu sozialen und zu Menschenrechtsfragen. Die Schweiz sprach sich zu Beginn der Doha-Runde für
die Aufnahme dieser Aspekte in die Verhandlungsagenda aus. Das wurde von mehreren Staaten hauptsächlich mit der Begründung abgelehnt, es sei eine Verwendung dieser Bestimmungen für protektionistische Zwecke zu befürchten. Der Bundesrat wird sich auf diesem Weg sowie mit den anderen ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten auch weiterhin um die Kohärenz der Bereiche Wirtschaft, Soziales, Umwelt und Menschenrechte bemühen.

4.3.2

Kohärenz von Sicherheitsaussenpolitik und Menschenrechtspolitik

Das oberste Ziel der Schweizer Sicherheitspolitik ist es, die Handlungsfähigkeit und die Selbstbestimmung sowie die territoriale Integrität der Schweiz zu gewährleisten und die Bevölkerung sowie ihre Lebensgrundlagen vor jeder direkten und indirekten Bedrohung zu schützen. Ungeachtet dessen, ob es sich um eine Bedrohung durch einen Staat oder durch Terroristen oder Kriminelle handelt, hat ein freier Staat hat das Recht und die Pflicht, sich gegen Bedrohungen und Angriffe zu wehren, die

1260

gegen ihn und gegen seine Bürgerinnen und Bürger gerichtet sind, indem er geeignete Massnahmen ergreift.

Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt: Staatliche Eingriffe müssen sich auf eine Rechtsgrundlage stützen, einem öffentlichen Interesse entsprechen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit einhalten. Der Staat muss die Grundrechte achten, namentlich das Recht auf Leben, den Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die persönliche Freiheit, die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit. Werden die Errungenschaften einer freien Gesellschaft zu rasch dem Kampf gegen Bedrohungen und Gefahren geopfert, dann gefährdet dies sowohl die Sicherheit als auch die Existenz einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft. Zugleich ist Sicherheit eine Voraussetzung für die effektive Anwendung der Menschenrechte, und umgekehrt gilt das Gleiche. Der Bundesrat ist sich daher bewusst, dass die Bekämpfung des Extremismus, des Terrorismus und anderer existenzieller Bedrohungen von entscheidender Bedeutung für den Schutz der Menschenrechte ist.

Das internationale Engagement der Schweiz im Sicherheitsbereich folgt den gleichen Grundsätzen: Für unser Land ist es sehr wichtig, dass der Kampf gegen Terrorismus ebenso wie der gegen andere Bedrohungen in ausgewogener Weise Prävention und Repression kombiniert und das Völkerrecht und insbesondere die Menschenrechte achtet. Diese Position vertritt die Schweiz in der UNO, im Europarat, in der OSZE und in anderen internationalen Gremien sowie auch im Globalen Forum zur Bekämpfung des Terrorismus. Auf der Grundlage der Weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus setzt sich die Schweiz für einen globalen und ausgewogenen Ansatz ein, der zu jeder Zeit den Rechtsstaat und die Menschenrechte berücksichtigt.

In diesem Kontext spielt die Schweiz eine wesentliche Rolle bei der Verbesserung der Verfahrensgarantien des Sanktionsregimes des Sicherheitsrates und insbesondere der Sanktionen gegen Al Kaida. Im Berichtszeitraum unterstützte die Schweiz mehrere Resolutionen der Generalversammlung und des Menschenrechtsrates der UNO und organisierte hochrangige internationale Treffen zum Thema Menschenrechte im Kontext der
Terrorismusbekämpfung, darunter im Rahmen der Schweizer OSZE-Präsidentschaft die Konferenz von Interlaken im April 2014.

Auf internationaler Ebene setzt sich die Schweiz für die Wahrung des Datenschutzes und der Privatsphäre ein, die durch die einschlägigen Menschenrechtsnormen garantiert sind. Dieses Thema ist gerade heute, da die Staaten sich Zugang zu immer mehr persönlichen Daten der Bürger verschaffen können, von höchster Aktualität. Diesbezüglich ist die Schweiz der Auffassung, dass alle Vertragsstaaten der anwendbaren völkerrechtlichen Instrumente grundsätzlich verpflichtet sind, die Bestimmungen dieser Verträge einzuhalten, und zwar auch bei Handlungen im Zusammenhang mit ihrer Souveränität oder ihrer inneren Sicherheit, die sie im Ausland vornehmen. Die Schweiz engagierte sich im Rahmen der ersten UNO-Resolution zu diesem Thema, die im Dezember 2013 von der Generalversammlung angenommen wurde. Die Resolution anerkannte ausdrücklich das Recht jedes Menschen auf Schutz seiner Privatsphäre im digitalen Zeitalter. Der Bundesrat begrüsste den Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte zu diesem Thema sowie die anschliessende Debatte im Menschenrechtsrat im September 2014. Die Schweiz wird sich in der Generalversammlung und im Menschenrechtsrat auch weiterhin vorrangig mit diesem Thema befassen.

1261

4.3.3

Kohärenz von Migrationsaussenpolitik und Menschenrechtspolitik

Die Schweiz bemüht sich darum, ihre Migrationsaussenpolitik und ihr Engagement für die Menschenrechte aufeinander abzustimmen und bei der Gestaltung und Umsetzung ihrer Migrationsaussenpolitik die Rechte der Migranten zu berücksichtigen.

Die Kohärenz der Migrationsaussenpolitik der Schweiz wird durch eine departementsübergreifende Zusammenarbeit gewährleistet, die als IMZ (Internationale Migrationszusammenarbeit) bekannt ist und an der die mit Migrationsfragen befassten Akteure der Bundesverwaltung beteiligt sind: EJPD (mit dem Bundesamt für Migration BFM und dem Bundesamt für Polizei Fedpol), EDA (mit der Politischen Direktion PD und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA) und WBF (mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO). Die departementsübergreifende Zusammenarbeit erlaubt eine effektive Umsetzung der Migrationsaussenpolitik der Schweiz, gewährleistet die Kohärenz von Migrationsaussenpolitik und beispielsweise der Menschenrechtspolitik und sichert eine ausgewogene Berücksichtigung der Mandate, Prioritäten und Zielsetzungen der beteiligten Bundesstellen.

Diese Struktur bietet zudem eine nützliche Plattform, um den verschiedenen Interessen der Schweiz im Migrationsbereich Rechnung zu tragen. Dazu gehören die internationale Gouvernanz der Migration, die Verknüpfung von Migration und Entwicklung, der Schutz von Flüchtlingen und besonders verletzlichen Migrantinnen und Migranten, die Rückkehr und Wiedereingliederung sowie die Prävention des Missbrauchs des Flüchtlingsstatus. Die Struktur erlaubt eine erfolgreiche Umsetzung von konkreten Projekten, Massnahmen und politischen Dialogen, die insbesondere dank des regelmässigen Austauschs und der engen Abstimmung zwischen verschiedenen Bundesstellen möglich sind. Diese erfolgen unter anderem im Rahmen von thematischen und geografischen Arbeitsgruppen. In diesem Kontext unterstützt die Schweiz zahlreiche Projekte für den Schutz der Rechte der Migranten. Hierbei setzt sie die Instrumente der Migrationsaussenpolitik ein, darunter die regionalen Schutzprogramme, die Migrationspartnerschaften, die Programme zum Thema Migration und Entwicklung sowie einzelne Strategien wie etwa das Schweizer Nordafrikaprogramm.

Auf internationaler Ebene fördert die Schweiz den gleichen integrierten und kohärenten Ansatz in Migrationsfragen, namentlich
im Hochrangigen Dialog über internationale Migration und Entwicklung der Generalversammlung der UNO. Im September 2013 trug die Schweiz aktiv zum Erfolg der zweiten Dialogrunde bei, in deren Rahmen einstimmig eine Erklärung angenommen wurde, die unter anderem die Notwendigkeit anerkannte, die Menschenrechte der Migranten besser zu schützen. Für einen verstärkten Schutz der Rechte der Migranten setzt sich die Schweiz in verschiedenen internationalen Prozessen und Foren ein, darunter die Vorbereitung der Post-2015-Agenda, das Globale Forum für Migration und Entwicklung und der Menschenrechtsrat.

In diesem Sinne hat die Schweiz mit der Nansen-Initiative (2012) auch Bemühungen angeregt, den Schutz von Menschen zu verbessern, die vor Naturkatastrophen ins Ausland flüchten. Im Rahmen regionaler Konsultationen soll im Konsens eine internationale Schutzagenda erarbeitet werden. Die Schweiz engagiert sich auch im Bereich der Prävention des Menschenhandels und plädiert dafür, dass die Normen 1262

zum Schutz der Opfer von Menschenhandel entsprechend einem menschenrechtsbasierten Ansatz verbessert werden. In Partnerschaft mit dem UNODC ist die Schweiz Mitbegründerin einer diplomatischen Initiative, welche die Schlüsselbegriffe der Begriffsbestimmungen im Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende Kriminalität (Protokoll von Palermo) klären will, um die Anwendung des Protokolls in den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsordnungen zu harmonisieren. Auf bilateraler Ebene setzt sich die Schweiz überdies für die Verbesserung des Austauschs von Informationen, Erfahrungen und Bekämpfungsstrategien mit den Akteuren der Transit- und Herkunftsländer der Opfer von Menschenhändlern ein.

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Schlussfolgerungen

Das menschenrechtliche Engagement der Schweiz beruht auf der Überzeugung, dass die Achtung der Grundrechte aller Menschen überall in der Welt den Werten und Interessen unseres Landes entspricht. Um dieses allgemeine Ziel zu erreichen, konzentrierte sich der Bundesrat im Berichtszeitraum auf eine Reihe von Handlungsfeldern. Diese Handlungsfelder wurden aus zwei Gründen ausgewählt: Zum einen verfügt die Schweiz auf diesen Gebieten über anerkannte Kompetenzen und kann folglich einen Mehrwert erzielen, und zum anderen entsprechen diese Handlungsfelder den anderen Interessen der Schweiz sowie den Erfordernissen einiger internationaler Entwicklungen und einem rationellen Einsatz der intern zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Durch die Kombination der verfügbaren bilateralen und multilateralen Instrumente konnte die Schweiz im Berichtszeitraum sowohl auf Weltebene als auch in einzelnen Ländern und Regionen wesentlich zur Entwicklung neuer Perspektiven zu bestimmten Themen beitragen. Sie will diesen Ansatz im Menschenrechtsbereich auch weiterhin verfolgen und ihr Engagement an den Kriterien Kompetenz, Sichtbarkeit und Mehrwert orientieren.

Um diese allgemeine Zielsetzung und die thematische Arbeit zu fördern, wird sich die Schweiz bemühen, auch künftig eine einflussreiche Akteurin der globalen Menschenrechtsgouvernanz zu sein. Zu diesem Zweck wird sie sich auch weiterhin proaktiv in die Debatten und Prozesse einbringen, deren Ziel die Weiterentwicklung, die Effizienz und die Relevanz der internationalen Menschenrechtsinstitutionen ist.

Sie wird alle Bemühungen unterstützen, die Menschenrechte in die Instanzen der globalen Gouvernanz einzubinden (Mainstreaming) und ihre Tätigkeiten kohärenter zu gestalten. Zudem wird sich die Schweiz für die Weiterentwicklung der Synergien zwischen internationalen Organisationen, Staaten und nichtstaatlichen Akteuren einsetzen, welche bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Der Bundesrat will den Austausch und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, den Hochschulen und dem Privatsektor über Menschenrechtsthemen ausbauen. Bei all diesen Bemühungen wird berücksichtigt, dass die Interessen von Genf als Welthauptstadt der Menschenrechte zu wahren sind.

Bei der Realisierung dieser Ziele verfügt die Schweiz über erhebliche
Vorteile. Ihr langjähriges Engagement und ihre erwiesene Kompetenz in Menschenrechtsangelegenheiten verstärken die Wirkung ihres Handelns. Weithin ist anerkannt, dass sie 1263

keine versteckte politische Agenda hat und dass sie unparteiisch ist, und deshalb schenkt man ihr Gehör und bringt ihr Achtung entgegen. Das Engagement der Schweiz gründet im Recht. Die Schweiz ist aber zugleich dialogbereit, und dies kommt ihrer traditionellen Rolle als Vermittlerin zwischen unterschiedlichen Auffassungen oder zwischen Gesprächspartnern mit gegensätzlichen Positionen zugute.

Der Mehrwert eines Schweizer Engagements, das sich an diesen Grundsätzen orientiert, dürfte angesichts der derzeitigen Herausforderungen für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte ­ zum Beispiel die zunehmende Polarisierung der Debatten ­ noch steigen.

Die Schweiz wird ihren komparativen Vorteil in Form von Glaubwürdigkeit nur dann erhalten können, wenn sie sich effektiv in Menschenrechtsfragen engagiert und wenn sie in der Lage ist, die Kohärenz ihrer Menschenrechtspolitik zu gewährleisten. Der Bundesrat wird sich daher mit besonderer Aufmerksamkeit den Herausforderungen zuwenden, die bei der Umsetzung der Verpflichtungen der Schweiz im Menschenrechtsbereich im In- und Ausland nach wie vor bestehen. Überdies wird er sich immer bemühen, die Berücksichtigung der Menschenrechte bei der Formulierung der gesamten Aussenpolitik zu garantieren und seine Botschaften an die multilateralen Gremien sowie im Rahmen bilateraler Beziehungen kohärent zu gestalten.

Er sorgt schliesslich für das ordnungsgemässe Funktionieren der internen Mechanismen, welche die ständige Suche nach einem Gleichgewicht zwischen der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte und den anderen Zielen der Schweizer Aussenpolitik tragen.

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