00.058 Botschaft zur Volksinitiative «für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik und eine Schweiz ohne Armee» vom 5. Juli 2000

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen die Botschaft zur Volksinitiative «für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik und eine Schweiz ohne Armee» und beantragen Ihnen, diese Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung und ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten.

Der Entwurf zum entsprechenden Bundesbeschluss liegt bei.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. Juli 2000

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11046

Der Bundespräsident: Adolf Ogi Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2000-1485

4825

Übersicht Die Volksinitiative «für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik und eine Schweiz ohne Armee» wurde am 10. September 1999 von der «Gruppe Schweiz ohne Armee» (GSoA) in Form eines ausgearbeiteten Entwurfes mit 110 108 gültigen Unterschriften eingereicht.

Eine erste Volksinitiative «für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik» wurde bereits 1989 von Volk und Ständen abgelehnt. Die hier vorliegende Volksinitiative der GSoA enthält auch wieder die radikale Forderung, die Armee abzuschaffen.

Anstelle der Wehrartikel soll in der Bundesverfassung (BV) der Grundsatz «Die Schweiz hat keine Armee» festgeschrieben werden. Gleichzeitig würde ein verfassungsmässiges Verbot für Bund, Kantone, Gemeinden und Private erlassen, militärische Streitkräfte zu halten. Einzig davon ausgenommen wäre die Möglichkeit, sich bewaffnet an internationalen Friedensbemühungen zu beteiligen. Die entsprechende Regelung müsste aber explizit dem Volk unterbreitet werden. Die zivilen Aufgaben der Armee hingegen wären vollumfänglich von den zivilen Behörden zu übernehmen.

Dem Zweckartikel der Bundesverfassung soll weiterhin Rechnung getragen werden; die Initianten schlagen aber eine Neugestaltung der schweizerischen Sicherheitspolitik vor. Diese neue Sicherheitspolitik hätte einen anderen Charakter als die geltende Sicherheitspolitik. Mit dem Einbezug von Fragen wie Geschlechtergleichstellung, Umwelt, soziale Gerechtigkeit usw. erhielte sie eine gesellschaftspolitische Dimension. Eine solche Sicherheitspolitik zielt auf eine utopische Gesellschaft und mag in diesem Sinne idealistisch erscheinen.

Als einen möglichen konkreten Ansatz zur Umsetzung dieser neuen, idealistischen Sicherheitspolitik sehen die Initianten die gleichzeitig eingereichte Volksinitiative «Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst (ZFD)».

Diese Botschaft stützt sich auf den Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 7. Juni 1999. In vieler Hinsicht entsprechen die darin festgelegten Interessen und Ziele der schweizerischen Sicherheitspolitik den Vorstellungen der Initianten. Jedoch wird aufgezeigt, dass die Armee zwar nicht das einzige Mittel dieser Sicherheitspolitik ist, dass sie aber einen zwingend notwendigen Beitrag dazu leistet. Entsprechend hätte eine Annahme der
Initiative schwer wiegende Folgen für die gesamte Konzeption der heutigen schweizerischen Sicherheitspolitik.

Dazu kommt, dass sie auch volkswirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, die nicht zu unterschätzen sind.

Auf Grund dieser Überlegungen wird die Volksinitiative zur Ablehnung empfohlen.

Ein Gegenvorschlag fällt ausser Betracht.

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Botschaft 1

Formelles

1.1

Wortlaut

Die Initiative lautet: I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 17 1

Die Schweiz hat keine Armee.

2

Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten ist untersagt, militärische Streitkräfte zu halten. Regelungen, welche die bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz betreffen, sind vorbehalten. Diese Regelungen sind obligatorisch dem Volk zur Abstimmung zu unterbreiten. Die Beteiligung der Schweiz mit unbewaffneten Verbänden bleibt davon unberührt.

3

Bisher von der Armee wahrgenommene zivile Aufgaben wie Hilfeleistungen für Katastrophenschutz oder Rettungsdienste werden von den zivilen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden übernommen.

Art. 18 Die Sicherheitspolitik des Bundes ist darauf ausgerichtet, konfliktträchtige Ungerechtigkeiten im In- und Ausland abzubauen. Er handelt dabei nach den Grundsätzen der Demokratie, der Menschenrechte und der gewaltfreien Konfliktbearbeitung.

Insbesondere fördert er Chancengleichheit und gerechte Beziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen den sozialen Gruppen und zwischen den Völkern sowie eine umweltverträgliche und gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen.

II

Die Artikel 13, 15 zweiter Satz, 19­22, 34ter Absatz 1 Buchstabe d, 42 Buchstabe c, 85 Ziffer 9 und 102 Ziffer 11 der Bundesverfassung werden aufgehoben.

III Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 24 (neu) 1

Nach der Annahme der Verfassungsbestimmungen von Artikel 17 und 18 durch Volk und Stände werden keine Rekrutenschulen, Wiederholungskurse und militärische Ausbildungskurse mehr durchgeführt.

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2 Innerhalb von zehn Jahren sind die Bestände der Armee aufzulösen, ihre Geräte und Einrichtungen einer zivilen Nutzung zuzuführen oder zu vernichten.

3

Der Bund fördert die Umstrukturierung der von der Abrüstung betroffenen Betriebe und Verwaltungen auf zivile Güter und Dienstleistungen. Er unterstützt betroffene Beschäftigte und Regionen.

1.2

Zustandekommen

Die Volksinitiative «für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik und eine Schweiz ohne Armee» wurde am 10. September 1999 von der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA) eingereicht. Mit Verfügung vom 21. Oktober 1999 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Volksinitiative mit 110 108 gültigen Unterschriften zustandegekommen ist (BBl 1999 8954).

1.3

Behandlungsfristen

Gemäss Artikel 29 Absatz 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG; SR 171.11) unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung die Botschaft zur Initiative spätestens ein Jahr nach deren Einreichung, somit bis spätestens 9. September 2000.

Die Bundesversammlung muss innert 30 Monaten seit der Einreichung der Initiative, somit bis zum 9. März 2002, darüber Beschluss fassen, ob sie ihr, so wie sie lautet, zustimmt oder nicht (Art. 27 Abs. 1 GVG).

1.4

Gültigkeit

1.4.1

Einheit der Form

Eine Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung kann entweder in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht werden (Art. 139 Abs. 2 BV). Die Volksinitiative «für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik und eine Schweiz ohne Armee» ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf abgefasst. Die Einheit der Form ist gewahrt.

1.4.2

Einheit der Materie

Eine Volksinitiative darf nur eine Materie zum Gegenstand haben. Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen einer Initiative ein sachlicher Zusammenhang besteht.

Die Initiative hat folgenden Inhalt: -

Sie sieht vor, dass die Armee abgeschafft wird;

-

die zivilen Aufgaben der Armee wie Hilfeleistung für Katastrophenschutz oder Rettungsdienste sollen von zivilen Behörden übernommen werden;

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-

nicht verboten ist die bewaffnete Beteiligung der Schweiz an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz; solche Regelungen müssen dem Volk jedoch separat zur Abstimmung unterbreitet werden;

-

die Sicherheitspolitik des Bundes soll darauf ausgerichtet werden, konfliktträchtige Ungerechtigkeiten im In- und Ausland abzubauen.

In den Übergangsbestimmungen ist vorgesehen, dass nach einer Annahme der Verfassungsbestimmungen von Artikel 17 und 18 keine militärischen Schulen und Kurse mehr durchgeführt werden und dass die Armee und die militärische Infrastruktur innert einer zehnjährigen Frist aufgelöst werden. Dabei hat der Bund die Umstrukturierung zu fördern und die betroffenen Beschäftigten und Regionen zu unterstützen.

Die Forderungen der Volksinitiative stehen in sich in einem offensichtlichen sachlichen Zusammenhang; eine unverfälschte Willensbildung des Souveräns ist möglich, d.h. wer dem Anliegen grundsätzlich zustimmt, kann ihm in allen Teilen zustimmen.

Angestrebt wird die Abschaffung der Armee und die vermehrte Ausrichtung der Sicherheitspolitik auf eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung. Offen gelassen wird eine allfällige bewaffnete Beteiligung der Schweiz an internationalen Friedensbemühungen. Auch dieses Anliegen, über das gegebenenfalls getrennt abgestimmt werden müsste, steht indes in engem Zusammenhang mit der Sicherheitspolitik. Damit ist auch die Einheit der Materie als zweite formale Voraussetzung für die Gültigkeit der Volksinitiative gegeben.

1.4.3

Weitere Gültigkeitserfordernisse

Neben der Einheit der Form und der Materie nennt die Bundesverfassung in Artikel 194 Absatz 2 die Einhaltung der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts als Gültigkeitserfordernis. Nach der Praxis der Bundesbehörden ist zudem die Durchführbarkeit einer Verfassungsbestimmung ebenfalls erforderlich für die Gültigkeit einer Volksinitiative.

Zwingende Bestimmungen des Völkerrechts werden durch die Volksinitiative nicht betroffen. Ebenso ist ihre Durchführbarkeit zu bejahen, auch wenn ein gewisser Widerspruch und eine gewisse Inkohärenz darin gesehen werden kann, dass sie einerseits das Halten militärischer Streitkräfte sowie die Durchführung von militärischen Schulen und Kursen generell verbietet, anderseits die bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz vorbehält. Eine solche Beteiligung kann nicht ohne die Bildung entsprechender Verbände erfolgen, die zudem in geeigneter Weise ausgebildet werden müssten. Eine solche Ausbildung würde auch militärische Elemente enthalten. Zudem würde eine bewaffnete Beteiligung natürlich die Beibehaltung einer gewissen Ausrüstung verlangen. Dadurch kommt aber zum Ausdruck, dass die Initianten selber eingestehen müssen, dass Gewalt, der man notfalls mit Waffen begegnen muss, heutzutage immer noch ein gesellschaftlicher Fakt ist.

Allerdings kann der Vorbehalt einer Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen so verstanden werden, dass auch die Bildung dieser speziellen Verbände sowie deren Ausbildung und Ausrüstung darunter fallen. Diese beiden Punkte müssten gegebenenfalls in den Regelungen enthalten sein, die dem Volk obligatorisch zur

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Abstimmung unterbreitet werden müssten. Mit dieser Auslegung entspricht die Volksinitiative auch dem Erfordernis der Durchführbarkeit.

Die Volksinitiative ist somit gültig.

1.5

Anpassungen an die neue Bundesverfassung

Jene Volksinitiativen, die sich noch auf die Bundesverfassung von 1874 beziehen, müssen in formaler Hinsicht an die neue Bundesverfassung angepasst werden. Ziffer III des Bundesbeschlusses vom 18. Dezember 1998 über eine neue Bundesverfassung (AS 1999 2556; BBl 1999 162) gibt der Bundesversammlung die Kompetenz, solche Anpassungen vorzunehmen.

Bei der vorliegenden Volksinitiative ist davon auszugehen, dass der materielle Text nicht geändert werden muss. Zu ändern ist aber die Artikelnummerierung. Gleichzeitig schlagen wir vor, die beiden Hauptbestimmungen der Initiative (Art. 17 und 18 des Textes) unter dem Abschnitt «Sicherheit, Landesverteidigung, Zivilschutz» als Artikel 58 und 59 der neuen Bundesverfassung vorzusehen. Aus systematischen Gründen sollte die Bestimmung über die Sicherheitspolitik (Art. 18 des Initiativtextes) vorangestellt werden. Damit käme sie unmittelbar hinter Artikel 57 BV zu stehen, der die äussere und innere Sicherheit des Landes zum Inhalt hat. Da die neue Bundesverfassung in Artikel 140 einen Katalog über die dem obligatorischen Referendum unterstellten Angelegenheiten enthält, müssen dort auch die Regelungen über eine bewaffnete Teilnahme der Schweiz an internationalen Friedensbemühungen aufgeführt werden. Schliesslich müssen die Artikel, die nach Ziffer II der Initiative aufgehoben werden sollen, angepasst werden. Die Initianten haben diesen Änderungsvorschlägen zugestimmt. Sie haben zusätzlich vorgeschlagen, den Titel des 2. Abschnitts zu ändern («Friedens- und Sicherheitspolitik, Zivilschutz»).

2

Allgemeine Beurteilung der Initiative

In Artikel 18 drücken die Initianten die Grundsätze aus, die ihre umfassende Sicht der Sicherheitspolitik bestimmen. Ihr Ansatz beschränkt sich nicht auf Krisenmanagement und Friedensunterstützung, sondern umfasst die Demokratie, Menschenrechte und Gewaltfreiheit und weist der Eidgenossenschaft allgemeine Ziele zu. Diese gehen weit über die Sicherheitspolitik hinaus, wie sie im Allgemeinen verstanden wird, und berühren alle Aspekte der Politik, im Innern wie auf internationaler Ebene. Die Ziele münden in eine ideale und harmonische Vision der menschlichen Gesellschaft aus: Förderung der Chancengleichheit und der gerechten Beziehungen zwischen den Geschlechtern, den sozialen Gruppen und den Völkern wie auch einer gerechten und umweltverträglichen Verteilung der natürlichen Ressourcen.

Mit dieser Vision würde die Sicherheitspolitik der Schweiz darauf ausgerichtet, die Welt zu verbessern, sodass Gerechtigkeit, Grosszügigkeit und Frieden regieren würden. Dass diese idealistische Sicherheitspolitik aber «glaubwürdiger» sein soll als die heutige Sicherheitspolitik der Schweiz ist zumindest fragwürdig und kann u.U.

als anmassend empfunden werden. Immerhin hat unsere Sicherheitspolitik sich über Jahrzehnte bewährt. Zudem verkennt die Zielsetzung der Initiative die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Schweiz. Politik, die sich zum Ziel setzt, die Welt zu verbessern, ist illusionär und garantiert keine unmittelbare Sicherheit, umso mehr als 4830

keines der vorgeschlagenen Instrumente bislang erkennbare Erfolge vorzuweisen hatte.

Mit dem Artikel 17, der jenem Artikel vorangeht, der die umfassende Vision einer neuen Sicherheitspolitik umschreibt, reduzieren die Initianten ihre Forderungen auf die Abschaffung der Armee. Das mag als ein erster Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung des Programms gesehen werden, das in Artikel 18 ausgelegt wird. Im Folgenden wäre zu prüfen, inwieweit eine Sicherheitspolitik, wie sie von den Initianten definiert wird, ohne Armee überhaupt verwirklicht werden könnte. In der gültigen sicherheitspolitischen Konzeption der Schweiz spielt die Armee eine zentrale und unverzichtbare Rolle als Instrument der Sicherheitspolitik. Übrigens entspricht dies auch den Konzepten anderer Staaten. In keinem Staat, der sich in einer vergleichbaren sicherheitspolitischen Lage befindet wie unser Land, bestehen Bestrebungen zur Abschaffung der Armee. Man kann somit davon ausgehen, dass im internationalen Vergleich die Einschätzungen des Bundesrates, wonach auch ein Staat, der sich nicht in einer unmittelbaren Bedrohungssituation befindet, nicht auf das Instrument der Armee verzichten sollte, offensichtlich geteilt wird.

3

Auslegung der Initiative

3.1

Allgemeines

Bei der Auslegung einer Volksinitiative ist vom Wortlaut des Initiativtextes auszugehen und nicht vom subjektiven Willen der Initianten. Eine allfällige Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten können aber mitberücksichtigt werden. Ebenso können die Umstände, die zu einer Initiative Anlass gegeben haben, für die Auslegung eine Rolle spielen. Die Auslegung des Textes erfolgt nach den üblichen Auslegungsregeln.

3.2

Armeeabschaffungsauftrag

Gemäss dem Willen der Initianten sollte die Armee abgeschafft werden, und das Halten von militärischen Streitkräften irgendeiner Art sollte sowohl dem Bund, den Kantonen und Gemeinden als auch Privaten untersagt sein.

Entsprechend würde sofort nach der Annahme der Verfassungsbestimmungen keine militärische Ausbildung mehr durchgeführt. Die Auflösung der Bestände der Armee hätte innerhalb von zehn Jahren zu erfolgen. Im Übrigen müssten die Geräte und Einrichtungen der Armee im gleichen Zeitrahmen von zehn Jahren ab Annahme der Verfassungsbestimmungen vernichtet oder einer zivilen Nutzung zugeführt werden.

Einzig eine bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen wäre nicht verboten; eine entsprechende Regelung müsste jedoch zuerst dem Volk unterbreitet werden.

Bei den unbewaffneten Verbänden, mit denen sich die Schweiz weiterhin an internationalen Friedensbemühungen beteiligen könnte, würde es sich natürlich nicht mehr um Armeeverbände handeln, sondern um zivile Verbände. Unter diese Art von Verbänden fallen z.B. gegenwärtig das Schweizerische Katastrophenhilfekorps oder Verbände von Zivilpolizisten. Denkbar wäre aber auch, dass solche Einsätze gegebenenfalls im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes geleistet würden, der in der pa4831

rallel eingereichten Volksinitiative «Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst (ZFD)» vorgesehen ist.

3.3

Auslegungsbedürftige Begriffe

3.3.1

«Bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen» (Art. 17 Abs. 2)

Wie bereits oben erwähnt, sieht die Volksinitiative selber noch keine konkrete Regelung für eine bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedenseinsätzen vor. Sie schliesst aber nicht aus, dass in Zukunft eine solche Beteiligung ins Auge gefasst werden könnte. Diese Beteiligung müsste dann aber auf Grund neuer Regelungen erfolgen, die zuvor dem Volk zu unterbreiten wären.

Eine detaillierte Auslegung dessen, was unter einer «bewaffneten Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen» zu verstehen ist, würde demnach erst in den entsprechenden Regelungen erfolgen. Somit würde auch die Anzahl der benötigten Personen, die Art der Verbände, deren Ausbildung, Material und Bewaffnung, je nach Art der internationalen Friedensbemühungen, an denen sich die Schweiz bewaffnet zu beteiligen beabsichtigen würde, in diesen Regelungen festgelegt.

3.3.2

«Zivile Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden» (Art. 17 Abs. 3)

Mit der Abschaffung der Armee würden auch keine militärischen Behörden mehr benötigt, weder auf der Stufe des Bundes noch auf jener der Kantone oder der Gemeinden. Entsprechend sollten auch die Aufgaben der Armee, die nicht militärischer Natur sind wie Katastrophenhilfe oder Rettungsdienst, vollumfänglich von zivilen Behörden übernommen werden.

Es handelt sich bei den zivilen Behörden des Bundes in erster Linie um das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (insbesondere die Abteilung Humanitäre Hilfe und Schweizerisches Katastrophenhilfekorps) und bei den Kantonen und Gemeinden um den Zivilschutz und die Feuerwehr. Diese Institutionen sind bereits heute für Katastrophenschutz und Rettung zuständig; die Armee ist in diesen Bereichen nur subsidiär tätig. Die Mittel und Möglichkeiten der zivilen Institutionen müssten ausgebaut und eventuell zusätzlich im Sinne von Artikel 24 der Übergangsbestimmungen durch die Übertragung gewisser Armeemittel verstärkt werden.

3.3.3

«Konfliktträchtige Ungerechtigkeiten» (Art. 18)

Dieser Begriff umschreibt die Probleme, die nach den Initianten im Zentrum stehen und nach neuen politischen Ansätzen verlangen. Die Initianten gehen davon aus, dass die heutigen sicherheitspolitischen Ansätze auf diese Probleme keine Antwort geben.

«Konfliktträchtige Ungerechtigkeiten» werden vorab im sozialen und ökologischen Bereich geortet: im Bereich der sozialen Sicherungen, die der Schweiz während Jahrzehnten Wohlstand und Stabilität garantiert hätten und die heute in Gefahr sei4832

en; bei der Frage der europäischen Integration, die das Land zu spalten drohe; bei der Gewalt im sozialen Nahbereich sowie im wachsenden Verkehr und Energieverbrauch mit den entsprechenden ökologischen Folgeproblemen.

Die Initianten erwähnen weiter eine weltweite Zunahme der sozialen Gegensätze, von entfesselten Finanzmärkten provozierte Konflikte und die Zerstörung der Umwelt, die Millionen von Menschen in die Flucht treibe.

Alle diese Probleme führten, so die Initianten, zu politischer und gesellschaftlicher Instabilität, die nicht mit militärischen Mitteln behoben werden könne. Die Initianten fordern dafür vielmehr eine Sicherheitspolitik, die auf der gewaltfreien Konfliktbearbeitung beruht und die in erster Linie die Behebung dieser konfliktträchtigen Ungerechtigkeiten durch die Förderung der Chancengleichheit und der gerechten Beziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen den sozialen Gruppen und zwischen den Völkern sowie durch eine umweltverträgliche und gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen anstrebt.

3.3.4

«Zivile Nutzung» von Geräten und Einrichtungen der Armee (Art. 24 Abs. 2)

Der Absatz 2 von Artikel 24 sieht vor, dass nach Auflösung der Armee die militärischen Geräte und Einrichtungen einer zivilen Nutzung zugeführt oder vernichtet werden. Dies könnte zu Gunsten von zivilen Institutionen, z.B. der Katastrophenhilfe oder Rettungsdienste, erfolgen. Beabsichtigt wird, alles, was zivil weiter verwendet werden kann, entsprechend einzusetzen; die übrigen Geräte und Einrichtungen sollten vernichtet werden.

3.3.5

«Umstrukturierung ... auf zivile Güter und Dienstleistungen» (Art. 24 Abs. 3)

In Absatz 3 von Artikel 24 geht es vor allem darum, den Personen, die durch die Auflösung der Armee ihre Arbeitsplätze verlieren würden, gleichwertige Alternativen zu bieten. Die Initianten sehen diesbezüglich vor allem zwei Möglichkeiten: Erstens sollten neue Aufgaben aus der zivilen Nutzung oder der umweltgerechten Entsorgung der Materialbestände, Waffen, Fahrzeuge, militärischen Bauten usw.

sowie aus der Beseitigung der durch die Armee verursachten Umweltschäden und aus der Umnutzung bislang militärisch genutzter Areale geschaffen werden.

Zweitens sollte der Bund einen Teil der eingesparten Armee-Ausgaben für wirtschaftsstimulierende Investitionsprogramme und Konversionsbemühungen in den betroffenen Betrieben einsetzen, um zivile Arbeitsplätze zu schaffen. Als Beispiel wird von den Initianten angeführt, dass Rüstungsbetriebe sich auf die Entsorgung von Kühlschränken, die Produktion von Kupplungsscheiben für Autos, die Herstellung von Airbus-Komponenten oder die Wiederverwertung von Batterien spezialisieren könnten. Es handelt sich dabei übrigens um Beispiele, wie sie die RUAG Suisse AG bereits heute zum Teil praktiziert, um aktuelle Abnahmen der Bedürfnisse im Rüstungsbereich auffangen zu können.

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3.4

Rechtsfolgen der Initiative

Die Annahme der Initiative hätte zur Folge, dass innerhalb von zehn Jahren nach der Annahme der Verfassungsbestimmungen die Armeebestände komplett aufgelöst und alle ihre Geräte und Einrichtungen einer zivilen Nutzung zugeführt oder vernichtet sein müssten. Die Militärdienstpflicht würde hinfällig und mit ihr auch der zivile Ersatzdienst.

Die vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen wenden sich an den Bund selbst, und ihr Rechtssinn ist hinreichend klar. Bei einer allfälligen Annahme würden die Bestimmungen über das Verbot, militärische Streitkräfte zu halten, unmittelbare Rechtswirkung entfalten. Eine Ausführungsgesetzgebung wäre hingegen notwendig für die bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen, die Übertragung von bisher von der Armee wahrgenommenen Aufgaben auf zivile Behörden sowie Konversions- und Umstrukturierungsmassnahmen. Zudem müssten Erlasse, die ausschliesslich den militärischen Bereich regeln, und die damit thematisch verbundenen Erlasse aufgehoben werden (Militärgesetz, Zivildienstgesetz, Bundesgesetz über den Wehrpflichtersatz usw.).

4

Die Rolle der Armee in der schweizerischen Sicherheitspolitik

Am 7. Juni 1999 hat der Bundesrat den neuen Bericht über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2000) verabschiedet und an das Parlament überwiesen (BBl 1999 7657). Dieser sicherheitspolitische Bericht stellt ausführlich die schweizerische Sicherheitspolitik und die Rolle der Armee darin dar. Er wurde von der Bundesversammlung in zustimmendem Sinne zur Kenntnis genommen (Nationalrat 10.12.99, Ständerat 21.03.00).

4.1

Interessen und Ziele der schweizerischen Sicherheitspolitik

Gemäss Artikel 2 der Bundesverfassung schützt die Schweizerische Eidgenossenschaft die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes. Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes. Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern. Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.

Massgeblich für die Ausrichtung und Gestaltung der Schweizer Sicherheitspolitik sind unsere Interessen. Es geht um die Erhaltung demokratischer Werte und den Frieden in Europa, um Stabilität im ganzen für uns strategisch relevanten Umfeld, um möglichst wenig Gewaltanwendung diesseits und jenseits unserer Grenzen und um gesicherte Lebensgrundlagen für die Bevölkerung, indem im Innern des Landes wie europa- und weltweit vitale Systeme funktionsfähig bleiben.

Aus dem Verfassungsauftrag und diesen Interessen leiten sich folgende sicherheitspolitischen Ziele ab:

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Wir wollen über unsere eigenen Angelegenheiten, im Innern wie nach aussen, frei entscheiden, ohne darin durch die Androhung oder Anwendung direkter oder indirekter Gewalt beeinträchtigt zu werden.

Diese möglichst grosse Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit wollen wir in der normalen Lage mit politischen Mitteln sichern. Damit ist durchaus vereinbar, dass wir in freier Entscheidung internationale Bindungen eingehen, wenn wir nach sorgfältiger Abwägung auf demokratischem Weg zur Überzeugung gelangen, dass diese den Interessen von Volk und Staat förderlich sind. Ausgeschlossen ist aber, dass wir unter Druck oder Zwang das Recht preisgeben, über unsere eigenen Angelegenheiten selber zu entscheiden. Wird direkte oder indirekte Gewalt gegen die Schweiz oder ihre demokratischen Institutionen angedroht oder ausgeübt, werden wir die Unversehrtheit unseres Staatsgebiets, aber auch unsere weiteren staatspolitischen Interessen mit allen zur Verfügung stehenden und geeigneten Mitteln verteidigen.

Wir wollen unsere Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen vor existenziellen Gefahren bewahren und schützen.

Einerseits gilt es, die Bevölkerung vor Not grossen Ausmasses, z.B. infolge von natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen, zu bewahren und ihr bei der Bewältigung solcher Schadenfälle beizustehen. Anderseits, und längerfristig ausgerichtet, sind die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu schützen. Dazu zählen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Energie und Rohstoffen, das Funktionieren einer Wirtschaft, die das Wohlergehen des ganzen Volkes fördert, der nicht benachteiligte Zugang zu den internationalen Märkten sowie eine intakte nationale und grenzüberschreitende Infrastruktur und Umwelt. Erhaltung und Schutz dieser Lebensgrundlagen sind weitgehend Gegenstand zahlreicher anderer Politikbereiche (z.B. Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt-, Verkehrs-, Energie und Kommunikationspolitik) und nicht der Sicherheitspolitik.

Wir wollen zu Stabilität und Frieden jenseits unserer Grenzen und zum Aufbau einer internationalen demokratischen Wertegemeinschaft beitragen, um das Risiko zu vermindern, dass die Schweiz und ihre Bevölkerung von den Folgen von Instabilität und Krieg im Ausland selbst berührt werden, und weil wir damit gleichzeitig unsere internationale Solidarität zum Ausdruck bringen.

Stabilität und Frieden sind
dann am besten gewährleistet, wenn auch auf internationaler Ebene jene Werte geteilt und gelebt werden sowie jene Strukturen und Institutionen bestimmend sind, für welche die Schweiz einsteht. Dazu gehören Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Beachtung der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten, aber auch eine prosperitätsfördernde und gerechte Wirtschaftsordnung. Es muss deshalb unser Ziel sein, diese Werte, Strukturen und Institutionen generell zu fördern und bei akuten Bedrohungen von Stabilität und Frieden Ansätze zur nachhaltigen Konfliktlösung zu unterstützen. Bestimmend für unser Engagement zu Gunsten des internationalen Friedens sind unser legitimes Eigeninteresse und unsere internationale Solidarität.

4.2

Stellenwert der militärischen Bedrohungen und Risiken

Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die konventionelle militärische Bedrohung mit Auswirkungen für die Schweiz wesentlich verringert. Sie kann langfristig 4835

dennoch nicht ignoriert werden, und die Existenz und Einsatzbereitschaft von Massenvernichtungswaffen ist zudem in Rechnung zu stellen. Es ist zu beachten, dass regionale und lokale bewaffnete Konflikte mit Eskalationsgefahr aufgeflammt sind.

Gleichzeitig geht die Proliferation von Massenvernichtungsmitteln und Trägersystemen weiter. Der Stellenwert nicht militärischer Risiken ist gestiegen: Organisierte Kriminalität und Drogenmafia vergrössern ihren Einfluss. Terrorismus und gewalttätiger Extremismus bleiben eine ständige Bedrohung. Menschenrechtsverletzungen, Wohlstandsgefälle, Ressourcenknappheit und Umweltschädigung erzeugen Migrationsdruck und Flüchtlingsströme. Die Verwundbarkeit der modernen Gesellschaft nimmt laufend zu. Die Sicherheitspolitik muss diese Entwicklung der Risiken berücksichtigen; sie kann indessen die weiterhin existierenden militärischen Risiken auch nicht ignorieren. Zu ihrer Bewältigung benötigt die Schweiz, als eines ihrer sicherheitspolitischen Instrumente, eine Armee.

4.3

Sicherheitspolitischer Auftrag der Armee

Der Auftrag der Armee umfasst Beiträge zur internationalen Friedensunterstützung und Krisenbewältigung, die Raumsicherung und Verteidigung sowie subsidiäre Einsätze zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren. Alle drei Teilaufträge sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit der Schweiz: Mit einer angemessenen Beteiligung an internationalen Bemühungen um Friedensunterstützung und Krisenbewältigung wird die Armee zu einem zentralen Instrument ausgreifender schweizerischer Interessenwahrung und Solidarität in dem für unsere Sicherheit relevanten strategischen Umfeld. Darunter fallen die Entsendung von Militärpersonen und Truppenkontingenten zur Stabilisierung und internationalen Krisenbewältigung im Rahmen von völkerrechtlich legitimierten Mandaten und die Vorbereitung auf solche Einsätze im multinationalen oder bilateralen Verbund mit anderen Streitkräften. Dass es sich dabei aber nicht um eine Beteiligung an friedenserzwingenden Operationen handeln darf, wurde immer wieder unterstrichen.

Unsere Teilnahme kann nur im Rahmen des Neutralitätsrechts und der schweizerischen Neutralitätspolitik erfolgen.

Der Auftrag der Armee zur Raumsicherung und Verteidigung besteht im Schutz von Volk und Staat gegen Gewaltanwendung strategischen Ausmasses. Bereits unterhalb der Kriegsschwelle schützt die Armee strategisch wichtige Räume und Installationen und trägt damit zu Sicherheit und Stabilität im Inland und in unserem Umfeld bei.

Wird die Schweiz militärisch bedroht, verteidigt die Armee Bevölkerung, Territorium und Luftraum und verschafft der Regierung ein Maximum an Handlungsfreiheit.

Der Beitrag der Armee zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren besteht in ihrer Mitwirkung bei der Katastrophenhilfe, Unterstützungseinsätzen (z.B.

Betreuung im Flüchtlingsbereich) und Sicherungseinsätzen (z.B. Objektschutz, Entlastung von Polizei bzw. Grenzwachtkorps). Die geeigneten Mittel der Armee werden in all diesen Fällen subsidiär, unter der Einsatzverantwortung der zivilen Behörden und in erster Linie dann eingesetzt, wenn die zivilen Mittel in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht nicht ausreichen oder wenn eine Schwergewichtsaufgabe (Aufgabe von nationaler Bedeutung) ansteht.

Die Erfüllung ihres dreiteiligen Auftrags erfordert von der Armee, dass sie den Übergang von der Strategie der Abhaltewirkung durch Verteidigungs- und Durch4836

haltefähigkeit (Dissuasion) zu einer Mehrfachstrategie der Kooperation, einerseits im Rahmen des sicherheitspolitischen Instrumentariums im Inland und anderseits mittels wechselseitiger Verstärkung der Sicherheitsdispositive mit Partnerstaaten und Stabilisierungsanstrengungen im gemeinsamen strategischen Umfeld anstrebt.

Die Armee muss demnach ihre Multifunktionalität ausbauen und sich konsequent auf die Bewältigung mehrerer und unterschiedlicher Aufträge ausrichten.

Für den Friedensunterstützungs- und Krisenbewältigungsauftrag muss die Armee in der Lage sein, nach kurzer Vorbereitung über längere Zeit in einem Krisengebiet, vor allem in Europa und in Kooperation mit anderen Streitkräften, modulartig aufgebaute Verbände einzusetzen. Zu diesem Zweck wird die Armee ihre Fähigkeit zur internationalen Sicherheitskooperation in den nächsten Jahren konsequent weiterentwickeln und die Interoperabilität fördern. Sie muss durch die Anpassung ihrer Gliederung, Struktur, Ausrüstung und Ausbildung die Fähigkeit zur multinationalen Zusammenarbeit erwerben und festigen.

Für den Raumsicherungs- und Verteidigungsauftrag muss die Armee im Stande sein, gleichzeitig und nach kurzer Vorbereitung mehrere Raumsicherungseinsätze durchzuführen (z.B. Kontrolle und Schutz des Luftraums, Sicherung grösserer Grenzabschnitte, Schutz von Schlüsselräumen, Offenhalten von Transversalen sowie Schutz von Alarm-, Informations- und Führungseinrichtungen). Zudem wahrt sich die Armee die Möglichkeit, militärische Angriffe abwehren zu können.

Um Beiträge zur Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren leisten zu können, muss die Armee nach kurzer Vorbereitung gleichzeitig mehrere subsidiäre Einsätze über längere Zeit durchführen können. In subsidiären Einsätzen unter ziviler Verantwortung muss sie die Handlungsfähigkeit der politischen Behörden stützen, wichtige Räume und Orte sowie lebenswichtige Einrichtungen sichern, die Bevölkerung vor massiver Gewalt schützen und Hilfe bei Katastrophen und anderen Notlagen leisten.

Dieses Bedürfnis an Multifunktionalität und Flexibilität verlangt nach einer hohen Bereitschaft und einer modernen Ausrüstung und Ausbildung der Truppen.

5

Auswirkungen einer Annahme der Initiative

5.1

Auf die Sicherheitspolitik

Der SIPOL B 2000 zeigt, dass die Armee trotz der massiven Änderungen im strategischen Umfeld der Schweiz nach wie vor wichtige Aufträge zu erfüllen hat: Der Verteidigungsauftrag der Armee wurde zwar neu gewichtet, ist aber nicht hinfällig geworden. Die beiden anderen Aufträge Friedensunterstützung und Krisenbewältigung sowie Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren sind momentan auf Grund ihrer höheren Wahrscheinlichkeit in den Vordergrund getreten. Die Armee hat bereits gezeigt, dass sie sich einem neuen Umfeld und neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen anpassen kann. Dies geschah schon mit der Armeereform 95 als Antwort auf das Ende des Kalten Krieges. Und nun wird die Armeereform XXI erarbeitet, womit der nochmals geänderten Bedrohungslage Rechnung getragen werden soll. Die Annahme der Initiative würde somit die gesamte Konzeption der neuen Schweizer Sicherheitspolitik fundamental ändern. Sie würde eines zentralen Instrumentes beraubt. Damit würde die Schweiz nicht nur ihre Fähigkeit

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zur militärischen Verteidigung aufgeben, sondern darüber hinaus in ihren Möglichkeiten zur internationalen Friedensunterstützung massiv eingeschränkt.

Im letzteren Bereich (Friedensunterstützung und Krisenbewältigung) sieht die Initiative zwar die Möglichkeit einer bewaffneten Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen vor. Wie diese Beteiligung aber aussehen und welche Mittel ihr zur Verfügung stehen würden, ist absolut offen und könnte erst nach der Annahme der Initiative geregelt werden. Da nach Annahme der Initiative per sofort die Ausbildung eingestellt und die Bestände und das Material abgebaut werden müssten und Regelungen betreffend Friedensunterstützung erst später getroffen werden könnten, könnte die Schweiz diesen Auftrag zunächst einmal nicht mehr wahrnehmen. Die Alternativen müssten ja zuerst geschaffen werden. Im Übrigen ist international anerkannt, dass die Fähigkeit zur bewaffneten Friedensunterstützung auf den allgemeinen militärischen Fähigkeiten einer Armee beruht. Ein Verzicht auf eine Armee mit einem Verteidigungsauftrag hätte demzufolge auch negative Auswirkungen auf die Friedensunterstützung.

Was den Bereich der Raumsicherung und Verteidigung betrifft, gibt es unbestreitbar neben kriegerischen Auseinandersetzungen auch andere Bedrohungen und Gefahren, deren Ausmasse zum Teil eine Herausforderung für die ganze internationale Gemeinschaft darstellen. Dies hat auch der neue sicherheitspolitische Bericht festgehalten. Es wäre aber verantwortungslos zu behaupten, die Gefahr eines militärischen Angriffs sei heute endgültig aus dem Weg geräumt, und die sicherheitspolitische Entwicklung auf fünfzehn oder zwanzig Jahre hinaus kann von niemandem zuverlässig vorausgesagt werden. Bei Annahme der Initiative müsste daher erwogen werden, den Schutz vor militärischen Gefahren durch den Beitritt zu einer militärischen Allianz sicherzustellen (wobei die Position der Schweiz in Beitrittsverhandlungen schwach wäre, weil sie nicht eigene Streitkräfte in die Allianz einbringen würde). Dies würde unweigerlich zu Abhängigkeit führen und hätte zwingend die Aufgabe der Neutralität zur Folge. Doch auch unabhängig von einem allfälligen Bündnisbeitritt wäre der Status der dauernden Neutralität der Schweiz bei einer Annahme der Initiative im Ergebnis kaum mehr aufrechtzuerhalten. Der Bundesrat
hat bereits in seiner Botschaft vom 25. Mai 1988 zur ersten Armeeabschaffungsinitiative (BBl 1988 II 967 und 977 ff.) ausführlich dargelegt, dass bei einem Verzicht auf eine Armee die Schweiz nicht mehr in der Lage wäre, ihrer völkerrechtlichen Pflicht nachzukommen, als dauernd Neutraler die notwendigen und zumutbaren militärischen Mittel für die Selbstverteidigung bereitzustellen.

Im Bereich der Prävention und Bewältigung existenzieller Gefahren schliesslich ist die Armee ein wertvoller Kooperationspartner für die zivilen Behörden sowohl im In- wie im Ausland. Die Mittel und Infrastruktur, die die Armee für ihre beiden ersten Aufträge braucht, können hier zusätzlich sinnvoll eingesetzt werden. Dies ist insbesondere für die Katastrophenhilfe der Fall: medizinische Versorgung, ABCSchutz, Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, Transporte, Übermittlung, Rettungs- und Bergungsmaterial, Warnung und Alarmierung, Wetter- und Lawinendienste, Veterinärdienste.

Gerade die Fähigkeit der Schweiz zur Katastrophenbewältigung wäre nach Annahme der Initiative zumindest bis zum Ersatz durch umfangreiche und ständig einsatzbereite und professionelle Rettungskorps entscheidend geschwächt.

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5.2

Auf die Volkswirtschaft

Grundsätzlich stehen die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft nicht im Zentrum dieser Initiative. Primär bezieht sich die Diskussion auf die Entwicklung einer anderen Sicherheitspolitik und nicht auf die Kosten der Armee oder die möglichen Einsparungen bei derer Abschaffung. Dennoch hätte selbstverständlich die Abschaffung der Armee tief greifende volkswirtschaftliche Konsequenzen; diese sind aber zum heutigen Zeitpunkt nur bedingt quantifizierbar. Insbesondere beim Bund, aber auch bei den Kantonen würde bei Annahme der Initiative eine grosse Zahl von Arbeitsplätzen verloren gehen. Nur ein Teil dieser Arbeitnehmer könnte ohne weiteres in der Privatwirtschaft weiterbeschäftigt werden. Das Gleiche gilt für breite Teile der inländischen Wirtschaft, die von Armeeaufträgen profitiert, insbesondere in der Rüstungsindustrie (RUAG). Auch mit einer Ausrichtung der Produktion auf zivile Güter und Dienstleistungen könnte ein beträchtlicher Abbau von Arbeitsplätzen nicht verhindert werden.

Hinzu kommt, dass einige Berggebiete, wirtschaftlich schwache Randregionen und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen ebenfalls von einer Armeeabschaffung direkt betroffen würden. Auch die mit der Einquartierung von Truppen verbundenen Ausgaben sind für die ortsansässige Bevölkerung sowie für Handel und Gewerbe von Bedeutung.

Die Wirtschaft müsste zwar nicht mehr für die indirekten Kosten des Milizsystems aufkommen. Hingegen würde während einer längeren Übergangsphase die Abschaffung der Armee Sozialplan-Kosten in unbestimmter Höhe verursachen. Zudem wäre die Arbeitslosenversicherung stark gefordert.

Aber nicht nur im personellen, sondern ebenfalls im materiellen Bereich hätte eine Annahme der Initiative bedeutende Konsequenzen. Grundsätzlich steht bereits heute fest, dass nicht alle Fahrzeuge, Geräte und Einrichtungen der Armee einer zivilen Nutzung zugeführt werden könnten. Ein Teil davon könnte verkauft werden. Wie es die Initianten selber unterstreichen, müsste jedoch ein weitaus grösserer Teil vernichtet werden. Der Verkaufserlös müsste deshalb zur Liquidation der grossmehrheitlich unverkäuflichen Munition und des Materials verwendet werden.

Schliesslich darf nicht unterschätzt werden, dass die Produktion und Instandhaltung von komplexem Rüstungsmaterial auch «Know-how-Gewinn» einbringt, der hinsichtlich Material-
und Produktionsverfahren für die Herstellung ziviler Güter verwendet werden kann.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Umlagerung der finanziellen Mittel auf neue sicherheitspolitische Schwerpunkte kaum im angestrebten Mass möglich ist.

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6

Beurteilung der Initiative

6.1

Vorläufer der Initiative

In den letzten fünfzig Jahren wurden immer wieder Volksinitiativen eingereicht, die auf eine drastische Verringerung der Militärausgaben oder auf eine direkte oder indirekte Schwächung der Schweizer Armee abzielten wie zum Beispiel die beiden Chevallier-Initiativen vom 2. Dezember 1954 «Vorübergehende Herabsetzung der militärischen Ausgaben» (Rüstungspause) und vom 17. Oktober 1956 «zur Begrenzung der Militärausgaben», die Volksinitiative vom 1. Juni 1992 «für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge», die Volksinitiative vom 24. September 1992 «für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik», die Volksinitiative vom 26. März 1997 «Sparen beim Militär und der Gesamtverteidigung ­ für mehr Frieden und zukunftsgerichtete Arbeitsplätze» (Umverteilungsinitiative). Am 12. September 1986 wurde die Volksinitiative «für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik» eingereicht. Sie war die erste Initiative, die eine komplette Abschaffung der Armee verlangte, und ihr Wortlaut war sehr ähnlich wie derjenige der heute vorgelegten Initiative.

6.2

Schlussfolgerungen

Eine Annahme der vorliegenden Initiative würde die Schweiz gegenüber weiterhin bestehenden militärischen Risiken, auch wenn sich diese im Vergleich zur Vergangenheit verringert haben, schwächen. Darüber hinaus würde die Fähigkeit der Schweiz, sich wirksam im Rahmen der internationalen Friedensunterstützung zu beteiligen, eingeschränkt.

Für die Schweiz hätte die Abschaffung der Armee auf jeden Fall schwer wiegende Folgen: Es würde zum einen erst einmal eine grössere internationale Isolation bedeuten, weil eine internationale Kooperation in vielen wichtigen sicherheitspolitischen Bereichen nicht mehr oder nur noch vermindert möglich wäre. Zum anderen wären wir gezwungen, zum Schutz gegen die neuen wie auch die klassischen Gefahren ernsthaft die Eingliederung in eine militärische Allianz zu erwägen. Ohne eigene Streitkräfte käme dies aber unweigerlich einer politischen Abhängigkeit und der Aufgabe der Neutralität gleich. Die sicherheitspolitischen Schwerpunkte, die die Initianten setzen möchten, sind zum grössten Teil bereits Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Auch die in den letzten Jahren erfolgten Sparbemühungen im Bereich der Landesverteidigung können hier erwähnt werden. Die Abschaffung der Armee ist jedoch keine Antwort auf die bleibenden Probleme; sie trägt in sich selbst noch nichts dazu bei, die konfliktträchtigen Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen.

Hingegen kann ein unabhängiger, eigenständiger Staat mit soliden Strukturen diesen Ungerechtigkeiten besser entgegenwirken und als vollwertiger internationaler Kooperationspartner einen viel grösseren Beitrag zu ihrer Bekämpfung leisten.

Volk und Stände sind aufgerufen, die schwer wiegenden Folgen einer Annahme der Initiative gründlich zu bedenken: Der verfassungsmässige Verzicht auf eine eigene Armee würde die Schweiz nicht nur wehrlos machen, ihre konstruktive Rolle in der internationalen Friedenssicherung schwächen und wirtschaftlich grosse Probleme zeitigen; damit würde auch ihre Glaubwürdigkeit als neutrales, eigenständiges und stabiles Staatswesen erschüttert.

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