# S T #

85.047

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie) vom 26. Juni 1985

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, Mit dem Antrag auf Zustimmung unterbreiten wir Ihnen die Entwürfe über die Änderung und Ergänzung der Bestimmungen betreffend die strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie im Schweizerischen Strafgesetzbuch und im Militärstrafgesetz.

Wir beantragen Ihnen ferner, folgende parlamentarische Vorstösse abzuschreiben: 1956 P 6989 Massnahmen gegen den Schund in Film und Literatur (N 18. 9. 56, Frei) 1962 P 8401 Bekämpfung der Homosexualität (N 5. 12. 62, Schmid Philipp) 1973 P 11524 Sittenstrafrecht (N 25. 6. 73, Tanner-Zürich) 1981 P 80.521 Nichthilfeleisten in Gefahr (N 19.6.81, Crevoisier) 1983 M 82.598 Videofilme. Gewaltdarstellungen (S 9. 3. 83, Zbinden, N 5. 10. 83) 1983 M 82.927 Video-Filme. Vertrieb (S9.3. 83, Guntern, N5. 10. 83) 1983 P 82.950 Brutalität in Video-Filmen (N 18. 3.83, Jaggi) 1984 M 83.378 Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit. Revision des Strafgesetzbuches (N 14. 12. 84, Christinat, S 6. 6. 85)

1985-506

40 Bundesblatt. 137.Jahrgang. Bd.II

1009

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Juni 1985

1010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Purgier Der Bundeskanzler: Buser

Übersicht Die vorliegende Revision bildet nach der Änderung der Bestimmungen über die Gewalìverbrechen die zweite Etappe der Strafrechtsreform (einschliesslich der entsprechenden Bestimmungen des Militärstrafrechts). Sie zielt darauf ab, die Tatbestände der strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie den heutigen kriminalpolitischen Bedürfnissen anzupassen.

Um eine differenzierte politische Willensbildung zu gewährleisten, unterbreiten wir Ihnen eine Botschaft mit zwei Gesetzesentwürfen. Der Entwurf A betrifft die strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben und gegen die Familie, der Entwurf B die strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit (Sexualstrafrecht).

Der Entwurf A führt zunächst die allgemeine Verpflichtung der zuständigen Behörde ein, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen wurde, dass eine Strafe unangemessen wäre. Diese Neuerung kann gerade in den Materien, die Gegenstand der vorliegenden Revision bilden, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.

Die besonderen Bestimmungen betreffend, folgende Änderungsvorschläge:

enthält der Entwurf A im wesentlichen

Der Tatbestand des Mordes wird neu umschrieben und die Strafdrohung flexibler gestaltet. Sie reicht neu von mindestens zehn Jahren bis zu lebenslänglichem Zuchthaus. Dem privilegierten Tatbestand des Totschlages unterliegt künftig nicht nur, wer «in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung», sondern auch, wer «unter grosser seelischer Belastung» handelt. Die Gefängnisstrafe bei der Tötung auf Verlangen setzt neu achtenswerte Beweggründe voraus.

Zu den wichtigsten Neuerungen in verschiedenen Bestimmungen über die Körperverletzungen und die Gefährdung von Leben und Gesundheit gehört, dass sie Kinder und fürsorgebedürftige Erwachsene besser schützen. Bei einfachen Körperverletzungen und wiederholten Tätlichkeiten gegenüber solchen Menschen wird dies durch die Verfolgung von Amtes wegen, bei der Vorschrift über das Verabreichen gesundheitsgefährdender Stoffe an Kinder durch die Ausweitung des Tatbestandes erreicht. Auch die neue Strafbestimmung betreffend Gewaltdarstellungen dient nicht zuletzt dem Schütze von Kindern und Jugendlichen. Diese Änderungen machen die geltenden, wenig wirksamen Bestimmungen über die Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern sowie die Überanstrengung von Kindern und Untergebenen entbehrlich. Im weiteren erfährt die bisherige Vorschrift betreffend das «im Stiche lassen eines Verletzten» eine Ausdehnung. Sie begründet neu eine allgemeine Beistandspflicht, indem zusätzlich mit Strafe bedroht wird, wer einem in unmittelbarer Lebensgefahr schwebenden,Mitmenschen nicht hilft oder andere an der Hilfeleistung hindert. Der Tatbestand des Raufhandels wird ebenfalls erweitert und durch eine neue Strafbestimmung über den Angriff ergänzt. Die den Zweikampf gegenüber ändern Formen der Körperverletzung und Tötung privilegierenden Sonderbestimmungen werden gestrichen. Eine wesentliche Änderung bedeutet

1011

schliesslich die Streichung sämtlicher Vorschriften, die - im Widerspruch zum Gedanken des Schuldstrafrechts - die sogenannten erfolgsqualifizierten Delikte einer erhöhten Strafe unterstellen.

Die bereits erwähnte neue Bestimmung über strafbare Gewaltdarstellungen bildet einen der Schwerpunkte dieser Revision. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass Brutalitätsdarstellungen einen mindestens ebenso schädlichen Einfluss insbesondere auf junge Menschen haben können wie die Pornographie. Solche Darstellungen sollen im weiteren eingezogen und schon an der Grenze provisorisch beschlagnahmt werden, was auch eine entsprechende Änderung des Zollgesetzes bedingt.

Von den Bestimmungen über die Delikte gegen die Familie erfahren jene betreffend die Blutschande (Inzest) und die mehrfache Ehe keine grundlegenden Änderungen. Bei beiden werden im wesentlichen nur die Strafdrohungen gemildert. Das seit dem 1. Januar 1978 geltende neue Kindesrecht führt zu einer wesentlichen Vereinfachung und teilweisen Einschränkung der geltenden Bestimmung über die Vernachlässigung von Unterhalts- und Unterstützungspflichten. Die Nichterfüllung solcher Pflichten ist nun allgemein strafbar, wenn diese auf dem Familienrecht beruhen und der Fehlbare über die notwendigen Mittel verfügt oder verfügen könnte.

Die grundlegend neu gestaltete Vorschrift über die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht richtet sich namentlich an Eltern, Vormünder und Lehrer und verstärkt ebenfalls den Schutz für Kinder und Jugendliche. Dem dienen auch zwei neue Bestimmungen, wonach die zuständige Strafbehörde und die an das Amtsoder Berufsgeheimnis gebundenen Personen verpflichtet bzw. berechtigt werden, strafbare Handlungen gegen Unmündige der Vormundschaftsbehörde zu melden.

Strafbestimmungen gegen den Ehebruch, das Verlassen einer schwangeren Frau sowie die Unterdrückung und Fälschung des Personenstandes entfallen.

Der Entwurf B befasst sich mit den Änderungen des Sexualstrafrechts. Wir verfolgen eine harte Linie, was die Pornographie betrifft, und streben im übrigen eine behutsame Liberalisierung an, beides nicht zuletzt im Interesse des Jugendschutzes. Diesem dienen denn auch die neu gefassten Bestimmungen über geschlechtliche Handlungen mit Kindern und mit Abhängigen. Die geschlechtlichen Handlungen umfassen hetero- und homosexuelles Verhalten. Das
allgemeine Schutzalter von 16 Jahren bleibt aufrecht; bei Abhängigkeitsverhältnissen besteht ein Schutz bis zur Mündigkeit.

Die Bestimmung über die Vergewaltigung (im geltenden Recht Notzucht) nennt als Opfer nicht mehr nur die Frau ab 16 Jahren, sondern jede Person weiblichen Geschlechts, wobei die Ehefrau des Täters als Opfer nicht in Frage kommt, da der Tatbestand auf den erzwungenen ausserehelichen Beischlaf beschränkt bleibt. Die homosexuelle Vergewaltigung wird als Nötigung zu einer ändern geschlechtlichen Handlung mit der gleichen Höchststrafe von zehn Jahren Zuchthaus bedroht.

Bei einer Reihe von Vorschriften wird die Strafdrohung etwas herabgesetzt. Wir sind der Meinung, dass der vorgeschlagene Strafrahmen genügt, um eine der Tatschuld angemessene Bestrafung zu gewährleisten.

1012

Die öffentliche unzüchtige Handlung des geltenden Rechts ist neu strafbar als Exhibitionismus oder als geschlechtliche Belästigung. Die Strafbarkeit kann entfallen, wenn der Exhibitionist sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht.

Die Tatbestände der Kuppelei, der Zuhälterei und der Begünstigung der Unzucht gehen in einem neuen Tatbestand der Förderung der Prostitution auf. Die neue Vorschrift schützt die Entscheidungsfreiheit der Prostituierten und bewahrt zugleich andere Personen davor, gegen ihren Willen zur Prostitution verleitet zu werden. Die Kantone können Vorschriften über Ort, Zeit oder Art der Prostitution erlassen und Widerhandlungen mit Haft oder Busse bestrafen. Dies erlaubt, auf die wenig wirksamen Übertretungstatbestände der Anlockung zur Unzucht, der Belästigung durch gewerbsmässige Unzucht, der Duldung der gewerbsmässigen Kuppelei in Mieträumen und der Veröffentlichung zu Gelegenheiten zur Unzucht zu verzichten.

Die Pornographie - im geltenden Recht unzüchtige Veröffentlichungen - bildet Gegenstand einer neuen Bestimmung, die zwischen weicher und harter Pornographie unterscheidet. Geschützt werden generell Jugendliche bis zum Alter von 16 Jahren.

Die Einfuhr und Verbreitung der harten Pornographie wird darüber hinaus ohne Rücksicht auf ein Schutzalter unter Strafe gestellt. Es handelt sich um Darstellungen, die geschlechtliche Handlungen mit Kindern, Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben. Die Einziehung solcher Gegenstände und deren vorläufige Beschlagnahme schon an der Grenze ist wie für die nichtpornographischen Gewaltdarstellungen zwingend vorgeschrieben.

Bei gemeinsamer Begehung strafbarer Handlungen im Sexualbereich soll der Richter neu die Möglichkeit erhalten, die Strafe zu erhöhen.

Schliesslich beantragen wir Ihnen im Zuge der parallel laufenden Revision des Militärstrafgesetzes, in einem Entwürfe die Artikel 218 und 219 des Militärstrafgesetzes zu ändern und den Truppenkommandanten Disziplinarstrafkompetenzen einzuräumen, die es ihnen erlauben, gegen Konsumenten geringer Mengen von Betäubungsmitteln direkt vorzugehen.

1013

Botschaft I

Allgemeiner Teil

II

Parlamentarische Vorstösse

Die Notwendigkeit einer Revision fand in den folgenden parlamentarischen Vorstössen ihren Niederschlag: Postulat Frei (6989; N 18. 9. 56) betreffend Massnahmen gegen den Schund in Film und Literatur: Weite Kreise des Volkes sind beunruhigt über die erschreckende Hochflut von Schundliteratur und minderwertigen Filmen, welche unser Land überschwemmt. Der Bundesrat wird darum eingeladen zu prüfen und den Eidgenössischen Räten Bericht und Antrag vorzulegen, welche rechtlichen Massnahmen eine wirksame Bekämpfung der Schundfilme und der Schundliteratur gewährleisten.

Postulat Schmid Philipp (8401; N 5. 12. 62) betreffend Bekämpfung der Homosexualität (am 13. Dez. 1961 als Motion eingereicht): Der Bundesrat wird im Zusammenhang mit der Revision des Strafgesetzbuches beauftragt, eine Abänderung von Artikel 194 des Strafgesetzbuches vorzuschlagen, welche eine schärfere Bestrafung der widernatürlichen Unzucht vorsieht und damit eine wirksame Bekämpfung der Homosexualität ermöglicht.

Postulat Tanner-Zürich (11524; N 25. 6. 73) betreffend das Sittenstrafrecht: Der Bundesrat wird eingeladen, den 5. Titel des Strafgesetzbuches «Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit» zeitgemäss zu revidieren. Dabei sollen die gewandelte Moral und Gesellschaftsauffassung sowie die eingetretene Akzeleration der Jugendlichen besonders berücksichtigt werden. Vordringlich neu zu formulieren sind die Artikel 204, 211 und 212 StGB, verbunden mit den die gleiche Materie beschlagenden Bestimmungen anderer Gesetze und Verordnungen.

Postulat Crevoisier (80.521; N 19. 6. 81) betreffend Nichthilfeleisten in Gefahr (am 1. Okt. 1980 als Motion eingereicht): Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, ob es nicht angezeigt wäre, eine Ergänzung zum Strafgesetzbuch vorzuschlagen, die vorsieht, dass sich,- unter bestimmten Voraussetzungen - strafbar macht, wer Personen in Gefahr im Stich lässt. Insbesondere sind die Pflichten der Personen zu umschreiben, die von Berufs wegen ändern Hilfe leisten müssen (z. B. Polizisten und Ärzte).

Motion Zbinden vom 30. November 1982 (82.598; S 9. 3. 83; N 5. 10. 83) betreffend Gewaltdarstellungen in Videofilmen: Der Bundesrat wird ersucht, den Räten eine Vorlage zur Revision des Strafgesetzbuches, des Zollgesetzes und eventuell weiterer Gesetze zu unterbreiten, die im Sinne des Jugendschutzes die Einfuhr, die Herstellung, den Handel und jegliche Verbreitung von Videokassetten mit verrohenden, jede Menschenwürde missachtenden Gewaltdarstellungen untersagt.

1014

Motion Guntern vom 14. Dezember 1982 (82.927; S 9. 3. 83; N 5. 10. 83) betreffend Vertrieb von Video-Filmen: Der Bundesrat wird beauftragt: 1. einen Entwurf vorzulegen, der den Verkauf, die Vermietung oder den Umtausch grausamer und perverser (Video-)Filme einschränkt oder verbietet; 2. Massnahmen zu treffen, die es ermöglichen, einen wirksamen Jugendschutz in diesem Bereiche durchzusetzen.

Postulat Jaggi (82.950; N 16. 12. 82) betreffend Brutalität in Video-Filmen: Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, ob die derzeitigen Gesetzesbestimmungen (namentlich der neue Artikel 259 Absatz 2 StGB) genügen, um Video-Filme, die brutale Szenen und Gewalt an Frauen zeigen, zu kontrollieren. Diese Filme - ihr kultureller Beitrag ist gleich Null - provozieren Gewalttätigkeit und zeichnen ein total erniedrigendes Bild sowohl von der Frau, die nur noch Objekt abscheulichster Praktiken ist, als auch vom Mann, der als brutaler Rohling dargestellt wird und das Bedürfnis hat, schamloseste Phantasien zu befriedigen.

Motion Christinat vom 16. März 1983 (83.378; N 14. 12.84; S 6. 6. 85) betreffend strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit: Der Bundesrat wird ersucht: 1. eine Änderung des Strafgesetzbuches vorzubereiten, die den Begriff der erschwerenden Umstände für die Fälle einführt, in denen Notzucht von einer Bande begangen wird; 2. die bandenmässige Begehung für alle Artikel vorzusehen, die strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit betreffen.

12

Expertenkommission

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beauftragte 1971 eine Expertenkommission 1 )*) unter dem Vorsitz von Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Hans Schultz, die Revision der Bestimmungen des Besonderen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuches etappenweise zu prüfen. Sie begann mit den Bestimmmungen über den Schwangerschaftsabbruch, deren Schicksal wir als bekannt voraussetzen, um sich dann den strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie zuzuwenden.

Die Kommission reichte im Januar 1977 dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement ihren Bericht und Vorentwurf ein.

Wenn wir Ihnen erst heute die entsprechende Vorlage unterbreiten, so ist dies darauf zurückzuführen, dass wir der Revision über die Gewaltverbrechen Priorität einräumten; diese Revision wurde 1977 in die Wege geleitet, und die entsprechenden Vorschriften traten am 1. Oktober 1982 in Kraft.

*' Die Anmerkungen finden sich am Schluss der Botschaft.

1015

13

Vernehmlassungsverfahren

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement holte 1981 die Vernehmlassungen der Kantonsregierungen, der in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien und der interessierten Organisationen2) über den Vorentwurf der Expertenkommission ein. Es äusserten sich insgesamt 54 Vernehmlasser.

Die Ergebnisse lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen: Während die Vorschläge in den Bereichen «Leib und Leben» und «Familie» im grossen und ganzen positive Aufnahme fanden, stiess ein Teil der Änderungen im Bereich «Sittlichkeit» auf heftige Kritik.

Anerkannt wurde zwar durchwegs, dass in diesem Bereich die veränderten gesellschaftlichen Vorstellungen nach einer Rechtsänderung rufen. Alle Vernehmlasser begrüssten den einheitlichen neutralen Begriff der «geschlechtlichen Handlung», der insbesondere die bisherigen Begriffe «Unzucht» und «unzüchtige Handlungen» ersetzen soll. Die weitgehende Entkriminalisierung, auf welcher der Vorentwurf der Expertenkommission beruhte, wurde jedoch überwiegend abgelehnt. Die hauptsächlichsten Anhaltspunkte der Kritik betrafen das Schutzalter 14 Jahre (vgl. Art. 187, 188, 197 des Entwurfs) und die Vorschrift über den Inzest. Vermisst wurde sodann ein Tatbestand, der die blosse Gewalttätigkeit erfasst. Auf die Stellungnahmen aus dem Vernehmlassungsverfahren werden wir im Kommentar zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen zurückkommen.

Eine verwaltungsinterne, interdépartementale Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, des Eidgenössischen Departementes des Innern und des Eidgenössischen Militärdepartementes wertete die Vernehmlassungsergebnisse aus und orientierte darüber das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zuhanden des Bundesrates. Nachdem der Bundesrat 1983 davon Kenntnis genommen und seine Vorentscheide über kontroverse, politisch relevante Fragen getroffen hatte (so z. B. Schutzalter; Inzest; Pornographie; Gewaltdarstellungen), beauftragte er die Arbeitsgruppe, den Vorentwurf im Sinne dieser Vorentscheide und der Vernehmlassungen zu überarbeiten. Daraus gingen die Entwürfe hervor, die wir Ihnen heute unterbreiten.

2

Besonderer Teil

21

Erläuterung des Entwurfes A für das Strafgesetzbuch (Allgemeine Bestimmung; strafbare Handlungen gegen Leib und Leben und gegen die Familie)

211

Strafbefreiung (Art. 66bis)

Im allgemeinen Zuweilen treffen die Folgen eines strafbaren Verhaltens nicht nur Dritte, sondern zugleich oder gar ausschliesslich den Täter selber. Diese Betroffenheit kann so schwer sein, dass der Täter im Grunde schon «bestraft» genug er1016

scheint und deshalb eine Verurteilung unangemessen ist. Dies gilt z. B. für den Verursacher einer fahrlässigen Brandstiftung, die keinen wesentlichen Schaden anrichtet, ihm aber schwerste Verbrennungen zufügt. Das geltende Recht erlaubt der Justiz in der Regel nicht, solchen Sonderfällen genügend Rechnung zu tragen, d. h. von einer Strafe gänzlich abzusehen. Eine Ausnahme stellen diesbezüglich bisher nur die Prozessordnungen jener Kantone dar, die das unbegrenzte Opportunitätsprinzip kennen (die Kantone Waadt, Neuenburg und Genf). Namentlich für die Justizbehörden ist dieser Zustand äusserst unbefriedigend. Sie nehmen in solchen Fällen oft Zuflucht zu bloss symbolischen Strafen, was letztlich der Glaubhaftigkeit des Rechts abträglich ist. Dem soll durch den neuen Artikel 66bis abgeholfen werden, der wörtlich dem Vorschlag der Expertenkommission entspricht.

Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass im Rahmen der vorliegenden Revisionsetappe des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches auch und gerade diese punktuelle Änderung des Allgemeinen Teils vorgeschlagen wird. Die Expertenkommission beriet die Problematik solcher Fälle zuerst im Zusammenhang mit der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung (Art. 117 und 125 StGB) und fasste zunächst auch nur eine entsprechende Ergänzung dieser Bestimmungen ins Auge. Genauere Prüfung zeigte aber bald, dass das Problem allgemeinerer Natur ist und deshalb eine Bestimmung im Allgemeinen Teil notwendig macht. Bei entsprechenden Bestimmungen nur im Besonderen Teil würde beispielsweise der durch einen von ihm verschuldeten Verkehrsunfall invalid gewordene «Täter» zwar der Strafe wegen der dabei begangenen fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung eines Dritten entgehen. Er bliebe jedoch wegen Verletzung von Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes oder etwa nach Artikel 239 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches strafbar, wenn er gleichzeitig durch die Beschädigung einer Telefonleitung einen der Allgemeinheit dienenden Betrieb fahrlässig gestört hätte.

Der Kerngehalt der neuen Bestimmung, d. h. die Strafbefreiung wegen schwerer Betroffenheit des Täters durch die Folgen seiner Tat, fand im Vernehmlassungsverfahren breite Zustimmung. Die Gegner begründeten ihre Haltung im wesentlichen wie folgt: Die Bestimmung bedeute eine teilweise Einführung des Opportunitätsprinzips,
greife mit anderen Worten schwer in das Legalitätsprinzip und damit in die Strafprozesshoheit der meisten Kantone ein. Sie bedeute eine Gefahr für Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit. Auch liege darin eine Abkehr vom Verschuldensstrafrecht, weil danach in erster Linie der Erfolg einer strafbaren Handlung für die Bestrafung ausschlaggebend sei. Das Institut der Begnadigung genüge vollauf, solchen Grenzfällen Rechnung zu tragen.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten : Es ist nicht richtig, die vorgeschlagene Bestimmung in erster Linie als teilweise Einführung des Opportunitätsprinzips zu betrachten. Vielmehr gilt es, sie mit ändern Strafbefreiungsgründen wie etwa der Verjährung zu vergleichen. Denn es ist eine Frage des materiellen Rechts, ob unter bestimmten Voraussetzungen, die im Täter begründet sind, eine Strafe grundsätzlich sinnvoll und angemessen sei oder nicht. Was die Gefahr der Rechtsungleichheit und Rechtsunsicherheit betrifft, so strebt die vorgeschlagene Bestimmung gerade das Gegenteil an. Sie soll erlauben, künftig dem Einzelfall gerechter zu werden und dem Grundsatz besser zu genügen, Gleiches gleich

1017

und Ungleiches ungleich zu behandeln. Wenn das den Strafverfolgungsbehörden zu diesem Zweck eingeräumte Ermessen die Rechtssicherheit gefährden sollte, dann würde dies für vergleichbare Entscheide, bei denen ihnen solches Ermessen seit jeher zusteht, erst recht zutreffen. Wir kommen darauf noch einmal zurück.

Schliesslich bedeutet die Bestimmung keineswegs eine Abkehr vom Verschuldensstrafrecht. Denn zum einen handelt es sich beim Erfolg, von dem hier die Rede ist, um die Folgen, die sich beim Täter selbst einstellen und nicht um die Tatfolgen, die das Opfer treffen. Zum zweiten hängt der Entscheid über die Unangemessenheit der Strafe wesentlich vom Verschulden des Täters ab, wie gleich anschliessend noch ausführlicher erläutert wird.

Voraussetzungen Voraussetzung für die Strafbefreiung ist nach dem Wortlaut der Bestimmung, dass der Täter selber entsprechend schwer betroffen ist, und zwar durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat. Dies bedeutet zunächst, dass schwer belastende mittelbare Folgen der Tat nicht zur Strafbefreiung führen. Das sind vor1 allem sämtliche Belastungen, die sich erst aus der Strafuntersuchung und der Verurteilung ergeben, wie z. B. lange Dauer und andere Unannehmlichkeiten des Verfahrens, Härte der Strafe, Gerichtskosten oder Schadenersatzansprüche.

Ausgeschlossen sind auch Folgen, die erst lange nach der Tat eintreten. Unmittelbare Folgen sind hingegen einmal Körperverletzungen, die der Täter selbst erleidet, etwa bei einem Verkehrsunfall, beim Hantieren mit Sprengstoffen, bei einer Feuersbrunst oder bei einer missglückten Fassadenkletterei. In Frage kommt ferner die psychische (seelische) Betroffenheit des Täters durch von ihm verschuldete Körperverletzungen oder Tötungen von Drittpersonen. In'erster Linie ist dabei an Personen zu denken, die dem Täter nahestehen.

Welchen Grad die physische oder psychische Betroffenheit des Täters im konkreten Fall erreichen muss, damit eine Bestrafung unangemessen wäre, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab, deren Beurteilung letztlich dem Ermessen der Strafverfolgungsbehörden anheimgestellt ist. Sie haben freilich zu beachten, dass dieser Entscheid wesentlich von der Schwere und Strafwürdigkeit der Tat und damit vom Verschulden des Täters abhängt. Je schwerer letzteres wiegt, desto schwerer müssen die Tatfolgen für den Täter
sein, um eine Strafe als unangemessen erscheinen zu lassen. Das bedeutet für die Fälle, in denen der Täter als Folge der von ihm verschuldeten Körperverletzung oder Tötung anderer Personen seelisch betroffen ist, dass diese in der Regel nur fahrlässig verursacht sein dürfen, was hauptsächlich etwa bei Verkehrsunfällen oder im Zusammenhang mit gemeingefährlichen Vergehen (vgl. Art. 221 ff. StGB) vorstellbar ist. Bei vorsätzlichen Verbrechen dieser Art dürfte eine Strafe höchst selten unangemessen sein, auch wenn sich beim Täter bisweilen im nachhinein Reue und Betroffenheit einstellen. Ausnahmen stellen hier vielleicht Verzweiflungstaten, dar, wie der sogenannte Mitnahmeselbstmord einer Mutter, bei dem schliesslich der Selbstmord scheitert, das in den Tod «mitgenommene» Kind aber stirbt, und der gemeinsam geplante Selbstmord zweier Menschen, der schliesslich für den einen fehlschlägt, so dass dieser wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115 StGB) strafbar wird. Strafbefreiungen bei Vor-

1018

Satzdelikten sind hingegen eher vorstellbar, wenn diese zu schwersten Körperverletzungen des Täters selber geführt haben.

Bei den Sachverhalten, auf die sich die neue Bestimmung richtet, handelt es sich mithin allgemein ausgedrückt um Grenzfälle, in denen meist schon ein ursprüngliches Rechtsgefühl sagt, dass da eine Strafverfolgung völlig verfehlt wäre. Wie einleitend angedeutet, steht als Begründung im Vordergrund, dass der Täter schon genug bestraft erscheint, also die Ausgleichsfunktion der Strafe bereits erfüllt ist. Freilich muss die Strafverfolgung unter sämtlichen denkbaren Gesichtspunkten, insbesondere speziai- wie generalpräventiv unangemessen sein, damit Strafbefreiung in Frage kommen kann.

Zuständige Behörde Sind die geforderten Voraussetzungen erfüllt, ermächtigt und verpflichtet die neue Bestimmung die zuständige Behörde, von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung abzusehen. Diese Formel stiess bei zahlreichen Vernehmlassungsadressaten auf Ablehnung. Viele befürchten, dadurch würde bereits die ermittelnde Polizei ermächtigt, von einer Anzeige beim Untersuchungsrichter abzusehen, weshalb zumindest der Passus «von einer Strafverfolgung» zu streichen sei. Dazu ist mit aller Deutlichkeit festzustellen, dass diese Bestimmung, ungeachtet allfälliger anderer Sprachregelungen in kantonalen Verfahrensgesetzen, unter der zuständigen Behörde ausschliesslich Organe der Strafrechtspflege, d. h. mit Justizhoheit ausgestattete Behörden (Justizbehörden) versteht, wozu namentlich die Untersuchungs- und Anklagebehörden sowie die urteilenden Gerichte gehören, keinesfalls jedoch die Polizei. Von der gleichen Voraussetzung ging bereits die Expertenkommission aus. Der vorgeschlagene Wortlaut ist notwendig, um sämtlichen Besonderheiten der kantonalen Prozessordnungen vor allem hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Untersuchungs- und Anklagebehörden gerecht zu werden.

Ein Teil der opponierenden Vernehmlasser gehen freilich noch weiter und möchten die Befugnis zur Strafbefreiung allein dem urteilenden Richter einräumen. Einmal halten sie nur diesen für genügend kompetent, die schwierige Ermessensfrage nach der Angemessenheit einer Strafe zu beantworten. Die vorgeschlagene Bestimmung stelle einen Einbruch ins bisherige System des Strafgesetzbuches dar, das in
verschiedenen Bestimmungen ausschliesslich den Richter ermächtige, unter bestimmten Voraussetzungen von einer Strafe abzusehen.

Zwar ist zuzugeben, dass es im Rahmen unseres Strafgesetzbuches eine Neuheit darstellt, neben dem Richter auch andere Strafverfolgungsbehörden zu Strafbefreiungen zu ermächtigen. Die Formel «zuständige Behörde» wird jedoch auch im Nebenstrafrecht wiederholt verwendet (vgl. z. B. Betäubungsmittelgesetz Art. 19a Ziff. 2; SR 812.121). Im weiteren ist im Jugendstrafrecht stets von der zuständigen Behörde die Rede. Vor allem aber scheint uns verfehlt, Untersuchungsrichter und Staatsanwaltschaft die Kompetenz für diesen zugegebenermassen wichtigen Entscheid abzusprechen - übrigens den gleichen Behöden, die täglich darüber entscheiden, ob in den zu behandelnden Fällen überhaupt ein Strafverfahren zu eröffnen oder ein laufendes wieder einzustellen sei, weil keine strafbare Handlung vorliegt, weil Rechtfertigungsgründe (Notwehr, Notstand) oder andere Strafbefreiungsgründe wie die Verjährung gegeben sind. Da-

1019

bei kann es sich oft um ebenso wichtige und schwierige Entscheide handeln wie bei dem, der künftig nach Artikel 66bis zu treffen wäre.

Damit ist bereits auch der These widersprochen, die vorgesehene Kompetenzregelung führe möglicherweise zu vermehrter Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit. Wer so argumentiert, müsste auch für eine Beschneidung der genannten Entscheidkompetenzen eintreten, die den Untersuchungs- und Anklagebehörden nach geltendem Recht zustehen. Es darf mit Gewissheit angenommen werden, dass Untersuchungsrichter und Staatsanwaltschaften niemals leichtfertig von einer Strafverfolgung absehen und in Zweifelsfällen den Entscheid darüber eher dem urteilenden Richter überlassen werden. Anderseits ist es wünschbar, dass in klaren Fällen, in denen eine Bestrafung sehr bald als unangemessen erscheint, schon der Untersuchungsrichter von der Strafverfolgung absehen kann, um dem Betroffenen ein langes und aufwendiges Verfahren zu ersparen, das unter Umständen ebenso belastend sein kann wie die Verurteilung selber.

Überdies ist eine solche Lösung aus Gründen der Prozessökonomie auch für den Staat von Vorteil. Schliesslich ist zu bedenken, dass es sich hier nicht um sehr häufige, jedenfalls nicht um täglich zu treffende Entscheide handeln wird.

Obligatorium oder Ermessen Gelangt die zuständige Behörde zum Schluss, der Täter selber sei durch die unmittelbaren Tatfolgen wirklich so schwer betroffen, dass eine Strafe unangemessen ist, dann muss sie von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen. Ein Teil der Vernehmlasser hat diesem Obligato· rium opponiert und eine Kann-Bestimmung gefordert, um der zuständigen Behörde völlig freies Ermessen zu belassen, sie insbesondere nicht zu verpflichten, bei sehr schweren Verbrechen von einer Strafe abzusehen. Der vorgeschlagene Wortlaut, der die Strafbefreiung an die Unangemessenheit einer Strafe knüpft, macht die Kann-Formel entbehrlich; darüberhinaus wäre sie widerspruchsvoll.

Sie würde der zuständigen Behörde ermöglichen, eine Strafe zwar für unangemessen zu halten, aber gleichwohl das Strafverfahren fortzuführen und eine Strafe zu verhängen. Genau das aber soll mit dieser Bestimmung künftig verhindert werden. Von der Strafe muss abgesehen werden, wenn sie wirklich unangemessen ist, und wo dies schon in einem
frühen Verfahrensstadium mit genügender Sicherheit feststeht, ist auf das weitere Verfahren zu verzichten. Die zuständige Behörde kann und soll ihr Ermessen ja bei der Interpretation der unbestimmten Rechtsbegriffe «schwer betroffen» und «unangemessen» pflichtgemäss walten lassen, um zu einem klaren und begründeten Entscheid zu gelangen: Diesem Entscheid könnte sich die zuständige Behörde aufgrund der KannFormel entziehen und mit willkürlichen Kriterien an einer Bestrafung festhalten.

212 212.1

Tötungsdelikte Mord (Art. 112)

Die vorgeschlagene neue Fassung von Artikel 112 enthält gegenüber dem geltenden Mordtatbestand zwei Neuerungen: erstens eine neue Umschreibung des1020

sen, was die Tat zum Mord, d. h. zur qualifizierten, besonders verwerflichen Tötung stempelt, und zweitens eine neue, etwas gemilderte Strafdrohung.

Die geltende Definition des Mordes ist unbefriedigend; danach macht sich des Mordes schuldig, wer unter Umständen oder mit einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder seine Gefährlichkeit offenbaren.

Diese Kriterien haben in der Praxis oft Schwierigkeiten bereitet und zu Auslegungen geführt, die in der Lehre verschiedentlich hart kritisiert werden. Zunächst weichen die Fassungen in den drei Amtssprachen voneinander ab, sprechen doch die romanischen Texte von Vorbedacht («préméditation», «premeditazione»), der deutsche hingegen von Überlegung. Schwerer wiegt aber, dass die genannten Auslegungen mit dem Schuldprinzip, das unser Strafgesetzbuch prägt, nicht zu vereinbaren sind. So hat das Bundesgericht wiederholt entschieden, das Gesetz sei insofern wörtlich zu interpretieren, als es für die Erfüllung des Tatbestandes genüge, wenn die besonders verwerfliche Gesinnung oder die besondere Gefährlichkeit nicht kumulativ, sondern bloss alternativ gegeben seien (vgl. BGE 106IV 344 mit Verweisungen). Die den Täter zum Mörder qualifizierende Gefährlichkeit braucht daher nicht auf verwerflicher Gesinnung und damit auf keinem Verschulden zu beruhen; sie kann sich aus rein objektiven Umständen herleiten, auf die sich der Vorsatz nicht bezog, was dem Schuldprinzip augenfällig widerspricht.

Problematisch ist ferner, dass die Rechtsprechung zu den Umständen, die für die Offenbarung der verwerflichen Gesinnung oder Gefährlichkeit erheblich sind, nicht nur die eigentlichen Tatumstände, also die Umstände oder Überlegungen bei der Tat zählt, sondern auch solche vor und nach der.Tat, soweit sie einen Schluss auf die Persönlichkeit des Täters zur Zeit der Tat zulassen. Das kann dazu führen, dass nicht auf die Gesinnung, d. h. die Einstellung des Täters gegenüber den durch die Rechtsordnung geschützten Werten zur Zeit der Tat, sondern auf solche lange vorher und nachher abgestellt wird. Dem Täter wird damit in Verletzung des Tatschuldprinzips letztlich eine Art Lebensführungsschuld zur Last gelegt. Das Vorleben des Täters ist zwar im Rahmen von Artikel 63 StGB bei der Strafzumessung mitzuberücksichtigen, nicht aber für die Qualifikation der Tat
als Mord entscheidend.

Die vorgeschlagene Neufassung vermeidet die genannten Unzulänglichkeiten.

Da es mit dem Schuldprinzip nur vereinbar ist, wenn die Gefährlichkeit des Täters nicht für sich allein, sondern bloss als Folge einer besonders verwerflichen Gesinnung zum Tatbestand des Mordes gehört, erübrigt es sich, sie im Tatbestand ausdrücklich zu erwähnen. Die Neuformulierung beschränkt sich deshalb auf die besonders verwerfliche Gesinnung, verwendet dafür allerdings etwas andere Worte. Sie spricht von «besonders skrupellosem» Handeln, das namentlich dann vorliege, wenn der Beweggrund des Täters, der Tatzweck oder die Art der Tatausführung besonders verwerflich sind. Diese nicht abschliessende Aufzählung verhindert, dass der Richter allein auf die Generalklausel der besonderen Skrupellosigkeit verwiesen wird, deren Auslegung und Begrenzung sonst neue Schwierigkeiten bereiten könnten. Eine ähnliche Unterteilung der Umstände, in denen sich die für den Mord charakteristische besondere Verwerflichkeit hauptsächlich offenbaren kann, ist in der Lehre und Rechtsprechung zum geltenden Mordtatbestand herausgearbeitet worden.3'

1021

Die Aufzählung macht zudem im Unterschied zur geltenden Regelung deutlich, dass es sich bei den für die Erfüllung des Tatbestandes erheblichen Umständen nur um die Tatumstände im eigentlichen Sinn, also um solche handelt, die unmittelbar mit der Begehung der Tat zusammenhängen. Denn nur dies verträgt sich mit dem unserem Strafgesetzbuch zugrunde liegenden Tatschuldprinzip.

Die Formulierung will ausschliesslich jenen Tätertyp erfassen und damit als Mörder qualifizieren, den der Psychiater Hans Binder beschrieben hat: skrupellos, gemütskalt, krass und primitiv-egoistisch, ohne soziale Regungen, der sich daher zur Verfolgung seiner eigenen Interessen rücksichtslos über das Leben anderer Menschen hinwegsetzt.4) Wir haben den Vorschlag der Expertenkommission unverändert übernommen.

Er stiess im Vernehmlassungsverfahren auf breite Zustimmung. Die wenigen ablehnenden Stimmen halten eine Revision für unnötig oder möchten die besondere Gefährlichkeit als Mordmerkmal ausdrücklich beibehalten; die damit verbundene Problematik sei nicht so gross und könne in Kauf genommen werden.

Die lebenslange Zuchthausstrafe, die der geltende Artikel 112 StGB für Mord obligatorisch vorsieht, ist seit längerem umstritten. Ihre Kritiker halten sie für kriminalpolitisch, kriminalpsychologisch und kriminalpädagogisch verfehlt, aber auch für unmenschlich. Da sie sich je nach Alter des Täters verschieden auswirkt, entspricht sie nicht dem im Einzelfall gegebenen Verschulden und kann überdies zu grossen Ungleichheiten führen. Da die lebenslängliche Zuchthausstrafe als solche im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vorgesehen ist (Art. 35), soll ihre Existenzberechtigung erst im Rahmen einer künftigen Revision des Allgemeinen Teils beraten werden. In Übereinstimmung.mit der Expertenkommission empfinden wir jedoch die geltende Strafdrohung als zu starr und schlagen deshalb vor, dem Richter auch die Möglichkeit zu geben, an Stelle einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe eine solche von bestimmter Höchstdauer zu verhängen, die freilich nicht kürzer als zehn Jahre sein dürfte.

Bei Einführung dieser flexibleren Lösung würden einige der erwähnten Unzulänglichkeiten beseitigt. Sie hätte auch den Vorteil, dass der Richter künftig weniger versucht wäre, in Mordfällen manchmal etwas gekünstelte Strafmilderungsgründe anzunehmen, um die
lebenslange Zuchthausstrafe vermeiden zu können. Die Kriminalstatistik zeigt nämlich, dass in der Praxis für Mord auch nach dem geltenden Recht nur selten die lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen wird.

Gegen diese flexiblere Strafdrohung waren die kritischen Verlautbarungen im Vernehmlassungsverfahren zahlreicher als gegen die neue Formulierung des Tatbestandes. Ein Teil lehnt die Lockerung der geltenden, starren Strafdrohung grundsätzlich ab. Es wird befürchtet, dass dann bei Zubilligung von Strafmilderungsgründen Zuchthausstrafen von wesentlich weniger als zehn Jahren möglich würden. Darin läge unangebrachte Milde angesichts stets zunehmender Gewaltkriminalität und der Tatsache, dass der Mordtatbestand wirklich nur auf die skrupellosesten, schwersten Tötungsdelikte Anwendung finden soll. Die Grenze zwischen Mord und vorsätzlicher Tötung würde verwischt, und die Dreiteilung der Tötungsdelikte verlöre ihren Sinn. Einige andere Vernehmlassungen begrüssen zwar eine Lockerung der Strafdrohung, schlagen jedoch eine

1022

höhere Mindeststrafe (12 oder 15 Jahre) vor. Wir halten trotz dieser Einwände an einer solchen von zehn Jahren fest. Sie scheint uns vertretbar und angemessen, handelt es sich dabei doch noch immer um die weitaus massivste Minimalstrafe des ganzen Strafgesetzbuches, die jene der vorsätzlichen Tötung um das Doppelte übersteigt.

212.2

Totschlag (Art. 113)

Für Artikel 113 wird als einzige materielle Änderung eine Ergänzung des geltenden Wortlautes vorgeschlagen : künftig soll nicht nur unter diesen privilegierten Tötungstatbestand fallen, wer in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung handelt, sondern auch, wer «unter grosser seelischer Belastung» tötet. Damit soll sichergestellt werden, dass Situationen miterfasst sind, in denen Täter nicht im Affekt, nicht aus einer relativ plötzlich entstandenen, akuten Drucksituation heraus handeln, sondern in Gemütslagen, die sich über längere Zeit hinweg entwickelt haben und die in ähnlicher Weise entschuldbar sind. Gemeint sind also chronische seelische Zustände, die lange Zeit gewissermassen schwelen, bis der Täter völlig verzweifelt und keinen ändern Ausweg als die Tötung mehr sieht. Als Beispiel sei etwa die Mutter genannt, die schliesslich ihr unheilbar krankes Kind tötet, weil sie dessen Leiden nicht mehr mitansehen kann und überhaupt die ganze damit verbundene Situation nicht mehr erträgt. Hintergrund solcher Gemütszustände können aber etwa auch völlig zerrüttete Familienverhältnisse sein.

Diese Ergänzung des geltenden Tatbestandes rechtfertigt sich umso mehr, als der historische Gesetzgeber die beschriebenen Situationen offensichtlich auch erfassen wollte. In den Materialien findet sich nämlich in diesem Zusammenhang wiederholt das Beispiel der armen Witwe, die sich in der Situation völliger Mittellosigkeit mit ihrem Kind ins Wasser wirft. Die Praxis hat denn auch gelegentlich aus solchen Situationen heraus begangene Tötungen schon unter den geltenden Artikel 113 subsumiert. Die vorgeschlagene Ergänzung soll hierüber für die Zukunft einfach Klarheit schaffen.

Die Neufassung entspricht dem Vorschlag der Expertenkommission, der im Vernehmlassungsverfahren sehr gute Aufnahme fand. Nur vereinzelte Stimmen bemängelten, diese Ergänzung sei unnötig oder zu weit gefasst und verwässere deshalb den Tatbestand. Sie lasse befürchten, dass künftig die Verantwortung für das Urteil in solchen Fällen dem Psychiater als Experten Überbunden werde. Der Totschlag verliere dadurch im Rahmen der Dreiteilung der Tötungstatbestände weitgehend seinen Ausnahmecharakter. Die anvisierten Fälle könnten unter Heranziehung der Milderungsgründe in Artikel 64 StGB ebenso angemessen beurteilt werden. Zumindest
müsse klargestellt werden, dass der Täter die grosse seelische Belastung nicht selber verschuldet habe. Nach eingehender Prüfung teilen wir diese Bedenken nicht, insbesondere, nachdem hier noch deutlicher als im Vernehmlassungsbericht dargelegt wird, welche Situationen mit der vorgeschlagenen Ergänzung genau erfasst werden sollen.

1023

212.3

Tötung auf Verlangen (Art. 114)

Auch für Artikel 114 StGB wird eine Ergänzung der geltenden Fassung vorgeschlagen. Wer einen Menschen auf dessen Verlangen tötet, soll künftig nur noch dann unter diesen privilegierten Tötungstatbestand fallen, wenn er «aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid» handelt. Der solchermassen eingeengte Tatbestand entspricht dem Prinzip des Schuldstrafrechts besser als der geltende, der für die erhebliche Privilegierung des Täters einzig darauf abstellt, ob dieser vom Opfer um seine Tötung ersucht wurde. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so droht dem Täter heute nur eine Gefängnisstrafe von höchstens drei Jahren, unabhängig davon, ob er dem Tötungswunsch des Opfers aus lauteren oder unlauteren Motiven entsprach. Dies reimt sich offensichtlich nicht mit Artikel 115 StGB, der mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bedroht, wer jemanden aus selbstsüchtigen Beweggründen zum Suizid verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet. Das Missverhältnis erscheint noch krasser, wenn man bedenkt, dass hier das Opfer die Tatherrschaft behält, d. h. sich letztlich selber umbringt oder auch noch davon ablassen kann,während die mit viel milderer Strafe bedrohte Tötung auf Verlangen vom Täter ausgeführt wird, also eine eigentliche vorsätzliche Tötung ist. Es ist daher folgerichtig, künftig nur noch den Täter zu privilegieren, der dies aus achtenswerten Beweggründen tut.

Was damit gemeint ist, wird mit dem als Hauptbeispiel angeführten Mitleid verdeutlicht.

Auch diese Neuerung entspricht dem Vorschlag der Expertenkommission. Sie fand im Vernehmlassungsverfahren beinahe uneingeschränkte Zustimmung.

Der Vorschlag, «ernstliches und dringendes» durch «ernsthaftes und eindringliches» Verlangen zu ersetzen, bedeutet weitgehend eine bloss redaktionelle Änderung. Uns scheint die neue Formulierung zeitgemässem Sprachgebrauch besser zu entsprechen. Immerhin wird mit dem Adjektiv «eindringlich» auch eine inhaltliche Verbesserung erreicht. Es drückt noch klarer aus, dass es sich,beim Verlangen des Opfers um ein beharrliches, sehr intensives Bitten gehandelt haben muss, das auf den Täter einen eigentlichen Druck ausübte. Nachdem die Expertenkommission zunächst dieselbe Formulierung erwogen hatte, schlug sie schliesslich vor, nur noch von ernsthaftem Verlangen zu sprechen, weil eindringlich schon in ernsthaft enthalten
sei und daher zur Charakterisierung des vom Opfer geäusserten Wunsches nichts Neues beitrage. Unseres Erachtens könnte aber eine derartige Verkürzung des geltenden Textes zur falschen Auslegung verleiten, das Tötungsverlangen des Opfers brauche künftig für eine Anwendung des Tatbestandes nicht mehr gleich intensiv zu sein wie bisher; eine Befürchtung, die verschiedentlich auch im Vernehmlassungsverfahren geäussert wurde.

Es stellte sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach einer Bestimmung über die Grenzen strafbarer Sterbehilfe. Für die Expertenkommission war im vornherein klar, dass sich eine solche Vorschrift höchstens mit der passiven Sterbehilfe befassen könnte, also mit dem Unterlassen lebensverlängernder ärztlicher Massnahmen an unheilbar Kranken, die dem Tode nahe sind und schwer leiden. Hingegen stand stets ausser Frage, dass die aktive Sterbehilfe, d. h. die 1024

Tötung durch einen lebensverkürzenden Eingriff, unter allen Umständen unannehmbar ist und strafbar bleiben soll. Freilich ist von Fall zu Fall abzuklären, ob Strafmilderungsgründe nach Artikel 64 StGB oder ein privilegierter Tatbestand (Totschlag, Tötung auf Verlangen) gegeben sind. Wir teilen diese Haltung der Expertenkommission in jeder Beziehung und haben dies auch in anderem Zusammenhang schon wiederholt zum Ausdruck gebracht.5' Nach eingehender Erörterung sämtlicher wesentlicher Aspekte dieser Problematik kam die Expertenkommission zum Ergebnis, die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe hange so stark von den Umständen des Einzelfalls ab, dass eine befriedigende allgemeine Rechtsnorm unmöglich sei und nur scheinbare Rechtsicherheit zu bieten vermöchte. Welche Massnahmen unerlässlich seien und welche unterlassen werden dürften, habe vielmehr der Arzt in eigener Verantwortung, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls, zu entscheiden. Wir sind der gleichen Meinung, die im übrigen auch im Vernehmlassungsverfahren keinerlei Widerspruch hervorrief.

212.4

Kindestötung (Art. 116)

Für Artikel 116, den privilegierten Tatbestand der Kindstötung durch die Mutter während der Geburt, schlagen wir als einzige Neuerung eine mildere Strafdrohung vor. Statt mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten soll diese Tat künftig nur noch mit Gefängnis schlechthin bedroht werden, womit sie von einem Verbrechen zu einem Vergehen würde. Als Begründung ist zunächst anzuführen, dass es wenig Sinn hat, eine Höchststrafe von drei Jahren Zuchthaus anstatt drei Jahren Gefängnis vorzusehen, da seit der Teilrevision von 1971 des Strafgesetzbuches zwischen der Zuchthaus- und Gefängnisstrafe im Vollzug keine Unterschiede mehr bestehen (vgl. Art. 37 StGB). Im weiteren entspricht es einer allgemein befolgten Linie, künftig von Mindeststrafen wenn immer möglich abzusehen. Schliesslich ist auf den kaum erklärbaren Unterschied zu Artikel 115 StGB (Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord) hinzuweisen, der zwar auch eine besondere Höchststrafe, jedoch keine besondere Mindeststrafe androht.

Eine Minderheit der Vernehmlasser war mit dieser Änderung von Artikel 116, die dem Vorschlag der Expertenkommission entspricht, nicht einverstanden. Einige sprachen sich gegen die Umwandlung von einem Verbrechen in ein Vergehen aus, insbesondere, weil sie darin einen Abbau des Schutzes für die Neugeborenen erblicken. Es handle sich hier immerhin um ein Tötungsdelikt, und dieses sei nach dem geltenden Artikel 116 bereits genügend privilegiert. Mit ähnlichen Argumenten sowie unter Verweis auf die Strafdrohung bei gewissen Vermögensdelikten wandte sich eine zahlenmässig etwa gleich grosse Gruppe lediglich gegen die Aufhebung der Mindeststrafe. Vereinzelte Vernehmlasser regten aber auch das Gegenteil an, d. h. eine Ausdehnung des Strafrahmens auf Haft oder gar die Möglichkeit, unter besonderen Umständen Straffreiheit vorzusehen. Die Mehrheit freilich stimmte dem von uns unverändert übernommenen Expertenvorschlag zu, zum Teil unter ausdrücklichem Hinweis auf die Ausnahmesituation, in der sich eine Mutter während und kurz nach der Entbindung befindet.

1025

Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass wir vorschlagen, den Begriff «vorsätzlich» im Tatbestand zu streichen. Er ist überflüssig, weil bereits Artikel 18 Absatz l StGB bestimmt, ohne anderslautende gesetzliche Vorschrift sei nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich verübe. Die,Änderung ist zwar rein redaktioneller Art, doch drängt sie sich aus Gründen der Konsequenz auf. Im Vernehmlassungsverfahren wurde ihr denn auch nicht opponiert.

212.5

Fahrlässige Tötung (Art. 117)

An der geltenden Fassung von Artikel 117 über die fahrlässige Tötung sollte unserer Meinung nach nichts geändert werden. Die Expertenkommission hatte vorgeschlagen, die Vorschrift mit einem Absatz 2 zu ergänzen, der für Fälle besonders leichter Fahrlässigkeit mit derselben Formel wie in Artikel 66bis die Strafbefreiung vorgesehen hätte. Sie dachte dabei in erster Linie an Unfälle im Strassenverkehr, weil es dort oft eine Frage des Zufalls sei, ob ein Fehlverhalten zu einem Verletzungsdelikt führe. Bei bloss geringem Verschulden solle es daher mit der Bestrafung der Verkehrswiderhandlung sein Bewenden haben. Die Vorschrift hätte laut Experten die Strafverfolgungsbehörden in Grenzfällen davon entbunden zu entscheiden, ob hinter der fraglichen Tötung eine leichte Fahrlässigkeit stand oder nicht. Sie hätte auch den Anreiz vermindert; solche Fälle anstatt von Anfang an auf dem Wege des Zivilprozesses zunächst auf jenem des Strafverfahrens auszutragen. Zwar räumte auch die Expertenkommission ein, eine solche Bestimmung gehöre eigentlich in den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches. Sie sah jedoch davon ab, weil deren Auswirkungen auf das Nebenstrafrecht unklar seien und einer eingehenden Abklärung bedürften.

Der Vorschlag wurde im Vernehmlassungsverfahren mehrheitlich abgelehnt, im wesentlichen mit folgenden Begründungen: Der neue Begriff der besonders leichten Fahrlässigkeit führe zu Schwierigkeiten in der Praxis und zu Rechtsunsicherheit. Die besonders leichte Fahrlässigkeit könne schon heute bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Diese Möglichkeit der Strafbefreiung müsste konsequenterweise auch bei ändern Tatbeständen vorgesehen werden.

Die Vorschrift gehöre in den Allgemeinen Teil, damit nicht die Verkehrsdelinquenten einseitig privilegiert würden. Viele Vernehmlasser möchten zudem wie bei Artikel 66bis des Entwurfs auch hier einzig den Richter zur Strafbefreiung ermächtigen.

Ob allenfalls ein derartiger Strafbefreiungsgrund einzuführen sei, sollte in' der Tat im Rahmen der Überprüfung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches abgeklärt werden. Diese Privilegierung nur gerade bei fahrlässiger Tötung und Körperverletzung vorzusehen, lässt sich kaum rechtfertigen. Abgesehen davon, würde der Richter durch eine solche Vorschrift von zugegebenermassen oft schwierigen Grenzziehungen nicht
völlig entbunden; diese würden sich bloss von der Unterscheidung zwischen Unschuld und besonders leichter Fahrlässigkeit auf diejenige zwischen besonders leichter und leichter Fahrlässigkeit verschieben.

1026

213

Körperverletzung

213.1

Schwere Körperverletzung (Art. 122)

Für Artikel 122 betreffend die schwere Körperverletzung werden zunächst zwei rein sprachliche Änderungen vorgeschlagen: Einmal soll künftig von «Körper» an Stelle von «Körperteil» des Opfers gesprochen werden. Zum zweiten wird das Adjektiv «siech» durch «gebrechlich» ersetzt, das verständlicher und zeitgemässer ist. Damit sind, wie das bereits in der geltenden französischen Fassung verwendete Wort «infirmité» andeutet, der Zustand dauernden Krankseins oder andere dauernde Beeinträchtigungen der Gesundheit wie Vergiftungen und nicht zuletzt die Drogensucht gemeint.

Eine wesentliche materielle Änderung liegt hingegen im Vorschlag, Ziffer 2 des geltenden Tatbestandes ersatzlos zu streichen; darin wird eine erheblich verschärfte Strafe für den Fall angedroht, dass das Opfer an den Folgen der Körperverletzung stirbt und der Täter dies voraussehen konnte. Es handelt sich hier um ein sogenanntes erfolgsqualifiziertes Delikt, das sich aus einem vorsätzlichen Grunddelikt und einer fahrlässig herbeigeführten schwereren Folge zusammensetzt. Diese und ähnliche Bestimmungen tragen noch Züge von Erfolgshaftung, die den Grundsätzen des Schuldstrafrechts widersprechen. Richtete der Täter seinen Vorsatz allein auf die Körperverletzung, wollte er also die Tötung wirklich nicht, dann war diese, falls voraussehbar, bloss fahrlässig verursacht. Die einzig richtige, mit dem Schuldgrundsatz zu vereinbarende Lösung wäre daher, den Täter unter Anwendung der Konkurrenzvorschriften von Artikel 68 Ziffer l StGB sowohl wegen schwerer Körperverletzung wie auch wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen. Danach wäre noch eine Höchststrafe von 15 Jahren Zuchthaus möglich, während die zur Aufhebung empfohlene Bestimmung in Artikel 122 Ziffer 2 erlaubt. Zuchthausstrafen bis zu 20 Jahren auszufällen. Nahm jedoch der Täter den Tod in Kauf (Eventualdolus), so geht Artikel 111 StGB vor (Vorsätzliche Tötung).

Der Verzicht auf Ziffer 2 der geltenden Bestimmung entspricht auch besser der Logik und Systematik unseres Strafgesetzbuches, die der Hierarchie der geschützten Rechtsgüter zugrunde liegt: Vorsätzlich gegen das Leben anderer gerichtete Taten sind grundsätzlich mit Zuchthausstrafen bis zu 20 Jahren, vorsätzlich «nur» auf Körperverletzung gerichtete Taten mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bedroht.

Der Vorschlag, Artikel 122 Ziffer 2 StGB
zu streichen, stammt von der Expertenkommission. Im Vernehmlassungsverfahren wurden dazu nur vereinzelte ablehnende Stimmen laut. Die Vorschrift stelle einen Auffangtatbestand für schwerste Fälle dar, der nicht ohne Not gestrichen werden sollte, zumal darunter fallende Taten sich eventualvorsätzlichen Delikten annäherten. Auch wird befürchtet, der Täter könnte zu milde bestraft werden, weil die Praxis Artikel 122 und 117 StGB nicht ohne weiteres kumulativ anwenden würde. Zudem fiel in diesem Zusammenhang der Vorwurf der Inkonsequenz. Dieser trifft nicht zu.

Die sogenannten erfolgsqualifizierten Delikte sollen auch in den ändern Artikeln, die Gegenstand dieser Revision bilden (Art. 123 Ziff. 2 und 3, 127 Ziff. 2,

1027

129 Abs. 3, 134 und 135 je Ziff. l Abs. 2 und 3, 195) gestrichen werden. Was die Todesfolge in den Artikeln 133 (Raufhandel) und 134 (Angriff) des Entwurfes betrifft, so hat sie dort als objektive Strafbarkeitsbedingung einen ändern Stellenwert (ausführlicher vgl. Ziff. 214.4). So oder so lassen sich diese und ähnliche Bestimmungen nicht damit rechtfertigen, die durch sie erfassten Straftaten seien beinahe eventualvorsätzlich. Diese Argumentation verstösst wiederum gegen das Schuldprinzip. Es gibt zwischen der Fahrlässigkeit und dem (Eventual)-Vorsatz keine weitere Schuldform. Wo der Vorsatz für eine Tat nicht nachgewiesen werden kann, bleibt der Täter allenfalls wegen fahrlässiger Begehung strafbar, doch sollen bei Beweisschwierigkeiten nicht Tatbestände mit leicht gemilderten Strafdrohungen in die Lücke springen, die auf blossen Vorsatzvermutungen beruhen. Aus diesen Überlegungen stehen wir mit Überzeugung hinter dem Streichungsvorschlag.

213.2

Einfache Körperverletzung (Art. 123)

Von den vorgesehenen Änderungen des geltenden Artikels 123 über die einfache Körperverletzung ist die auffälligste wohl ebenfalls die Aufhebung der in Ziffer 2 und 3 umschriebenen erfolgsqualifizierten Delikte. Dort wird mit schärferen Strafen bedroht, wer anstelle der gewollten einfachen eine schwere Körperverletzung bzw. den Tod des Opfers bewirkte und dies voraussehen konnte.

Zur Begründung des Streichungsvorschlags sei auf die diesbezüglichen Ausführungen zu Artikel 122 Ziffer 2 verwiesen (vgl. Ziff. 213.1). In den vorliegenden Fällen wird die Anwendung der Konkurrenzvorschriften von Artikel 68 Ziffer l StGB, die den Richter an das Höchstmass der angedrohten Strafart binden, allerdings nurmehr Maximalstrafen von drei Jahren Gefängnis zulassen. Denn die Bestimmungen über die fahrlässige Tötung und Körperverletzung (Art. 117 StGB bzw. Art. 125 des Entwurfs) drohen wie der vorliegende Artikel als Höchststrafe Gefängnis an. Die Tat wird zudem nur zum Offizialdelikt, wenn das Opfer stirbt.

Keinerlei inhaltliche Änderung bewirkt der Vorschlag, den bisherigen Absatz l von Ziffer l in zwei Absätze aufzuteilen, um deren verschiedene Aussagen besser hervortreten zu lassen.

Der bisher in Ziffer l Absatz 2 enthaltene qualifizierte Tatbestand soll neu zu Ziffer 2 werden und auch inhaltlich eine Änderung bzw. eine recht wichtige Ergänzung erfahren. Einmal ist vorgesehen, das neben Gift und Waffe als drittes qualifizierendes Tatmittel aufgezählte gefährliche «Werkzeug» durch den gefährlichen «Gegenstand» zu ersetzen. Denn der geltende Wortlaut ist missverständlich, weil die Rechtsprechung darunter seit langem sinnvollerweise nicht nur Werkzeuge im technischen Sinn versteht. So hat das Bundesgericht in einem neueren Entscheid (BGE 101IV 285) ein aus 4 m Entfernung gezielt gegen den Kopf des Opfers geschleudertes Bierglas als gefährliches Werkzeug bezeichnet.

Zum zweiten soll eine qualifizierte, von Amtes wegen verfolgte einfache Körperverletzung nicht mehr wie bisher nur dann vorliegen, wenn ein Wehrloser 1028

verletzt wird, sondern auch, wenn das Opfer eine Person ist, die unter der Obhut des Täters steht oder für die er zu sorgen hat. Dabei ist namentlich an ein Kind zu denken. Im Wortlaut lehnt sich diese Ergänzung an Artikel 127 Ziffer l StGB über die Aussetzung an. Sie soll Kinder in Zukunft klarer und besser als bisher gegen körperliche Misshandlungen schützen, soweit dies mit dem Mittel des Strafrechts überhaupt möglich ist; ein wirksamer strafrechtlicher Schutz misshandelter Kinder hängt weitgehend davon ab, dass solche Taten den Behörden rechtzeitig gemeldet werden, was oft nicht geschieht. Wie die Erfahrung in der Praxis zeigt, sind die Urheber der meisten Kindsmisshandlungen Eltern, Lehrer oder andere Erziehungsberechtigte. Diese können sich zur Rechtfertigung solchen Tuns auf keinen Fall auf ihr Züchtigungsrecht berufen; denn der Erziehungszweck fordert niemals eine eigentliche Körperverletzung des Kindes.

Die Ergänzung macht den geltenden Artikel 134 Ziffer l Absatz l StGB überflüssig, soweit er sich auf Gesundheitsschädigungen von Kindern durch Erziehungsberechtigte bezieht (vgl. ausführlicher Ziff. 214.7). Schliesslich erstreckt die vorgeschlagene Neufassung von Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 den besonderen strafrechtlichen Schutz auch auf Erwachsene, die vom Täter wegen ihrer Pflegebedürftigkeit abhängig sind. Das können nicht zuletzt auch Insassen von Alters- und Pflegeheimen sein, weil die neue Bestimmung auf die tatsächlich bestehende Obhut oder Fürsorgepflicht abstellt und sich nicht auf familienrechtlich begründete Pflichten beschränkt.

Die unterbreiteten Neuerungen gehen weitgehend auf die Vorschläge der Expertenkommission zurück. Sie lösten im Vernehmlassungsverfahren ein überwiegend positives Echo aus. Vereinzelt wurde kritisiert, die Strafdrohung sei verglichen mit dem geltenden Artikel 134, der doch in Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 des Entwurfes aufgehen solle, zu mild. Dem können wir nicht beipflichten. Ist die Körperverletzung nämlich schwer, kommt Artikel 122 zur Anwendung, der bis zu zehn Jahren Zuchthaus androht. Und daraus können unter Anwendung der Konkurrenzvorschriften von Artikel 68 Ziffer l StGB gar 15 Jahre werden, falls das misshandelte Kind stirbt.

In einigen wenigen Verlautbarungen wurde weiter bemängelt, der Anwendungsbereich von Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3
des Entwurfs sei enger als derjenige des geltenden Artikels 134, der neben der Schädigung des Kindes auch dessen schwere Gefährdung sowie die Begehung der Tat durch blosse Vernachlässigung erfasse. Was die Gefährdung betrifft, ist Artikel 134 StGB diesbezüglich unwirksam geblieben, unter anderem, weil in der Praxis der betreffende Vorsatz äusserst schwierig nachzuweisen ist (vgl. Ziff. 214.7). Sodann steht ausser Zweifel, dass die Neufassung von Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 auch die Begehung durch Unterlassung, d. h. durch Vernachlässigung erfasst, falls diese vorsätzlich geschah und wirklich zu einer Körperverletzung führte.

Schliesslich wurden gegen die vollständige Streichung von Artikel 134 über die Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern und dessen Einbau in Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 insofern Vorbehalte geäussert, als eine Schwächung der generalpräventiven Wirkung befürchtet wird, wenn die Misshandlung von Kindern nicht mehr in direkter und ausdrücklicher Form verboten wird. Diese Bedenken verstehen wir und haben ihnen Rechnung getragen, indem wir der Fas-

1029

sung der Expertenkommission den Passus anfügten: «namentlch an einem Bund». Das ändert am Inhalt der Bestimmung zwar nichts, streicht aber heraus, dass bei den vom Täter verletzten Personen, die unter seiner Obhut stehen oder für die er zu sorgen hat, in erster Linie an misshandelte Kinder gedacht ist.

213.3

Zufällige Folgen einer Körperverletzung (Art. 124: Aufhebung)

Artikel 124 des geltenden Rechts soll ersatzlos gestrichen werden. Er hält fest, ein Täter, der die von ihm verursachte schwere Folge weder wollte noch voraussehen konnte, sei bloss wegen der Körperverletzung zu bestrafen, die er wirklich verursachen wollte. Damit wird bezüglich der Körperverletzungen wiederholt, was als Kerngehalt des Schuldprinzips unserem Strafgesetzbuch ohnehin zugrunde liegt und in Artikel 18 StGB festgelegt ist, nämlich dass niemand wegen Folgen seines Verhaltens strafbar ist, für die ihn kein Verschulden trifft, die er also weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht hat. Artikel 124 erübrigt sich daher. Ihn beizubehalten trägt nichts zur Verdeutlichung des Schuldprinzips bei, sondern bewirkt eher das Gegenteil. In den Vernehmlassungen wurde diese Streichung fast einhellig gutgeheissen.

213.4

Fahrlässige Körperverletzung (Art. 125)

Für Artikel 125, der die Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung regelt, schlagen wir vor, den bisherigen Absatz 2 zu streichen, der gebietet, im Falle einer schweren Schädigung den Täter von Amtes wegen zu verfolgen. Damit ist künftig die Verfolgung sämtlicher fahrlässiger Körperverletzungen, ob leicht oder schwer, von einem Strafantrag abhängig. Die Änderung ist zunächst wünschbar, weil es im Falle von Fahrlässigkeit weitgehend eine Frage des Zufalls ist, wie schwer die verursachte Körperverletzung ausfällt, weshalb die bisherige Unterscheidung zwischen leichter und schwerer fahrlässiger Körperverletzung etwas Erfolgsstrafrechtliches an sich hat.

Hinzu kommt, dass es für die Strafverfolgungsbehörden in der Praxis oft schwierig zu beurteilen ist, ob eine schwere Schädigung im Sinne des Gesetzes und damit die Voraussetzung dafür vorliegt, von Amtes wegen ein Strafverfahren zu eröffnen. Vielfach ist ein solcher Entscheid ohne ärztlichen Bericht nicht möglich, der jedoch seinerseits voraussetzt, dass der Verletzte seinen Arzt vom Berufsgeheimnis entbindet. Macht er dies nicht, vermögen auch verschiedene nach Bundesgericht für die schwere fahrlässige Körperverletzung massgebende Kriterien wie schweres, langdauerndes Krankenlager oder eine entsprechende Behandlung in der Regel nicht weiter zu helfen, da der Entscheid über die Einleitung des Strafverfahrens meist innert relativ kurzer Zeit zu fällen ist. Solche Schwierigkeiten können freilich auch in Fällen vorsätzlicher Körperverletzung auftreten, weil es auch dort allein vom Grad der Verletzung abhängen kann, ob ein Antrags- oder Offizialdelikt vorliegt. Dies muss indessen in Kauf genommen werden, weil das durch den Vorsatz bedingte weit grössere Verschulden ge1030

bietet, schwere Körperverletzungen von Amtes wegen zu verfolgen und - im Zweifel über den Grad der Verletzung - sofort entsprechende Abklärungen vorzunehmen. Bei blosser Fahrlässigkeit hingegen ist es sinnvoll, dass intensive Erhebungen über den Gesundheitszustand und damit unvermeidliche Eingriffe in die Intimsphäre des Verletzten nur erfolgen, wenn dieser durch einen Strafantrag seinen Willen dazu bekundet.

Grundsätzlich kann der Urheber fahrlässiger schwerer Körperverletzungen, wenn er nicht mehr von Amtes wegen verfolg: wird und der Verletzte keinen Antrag stellt, straflos bleiben. Diese Gefahr ist jedoch gering, da sehr oft in diesem Zusammenhang noch andere Straftatbestände, wie die Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. l und 2 SVG) oder gemeingefährliche Delikte verschiedenster Art (Art. 222, 223, 225, 227-231, 234; 237 und 238 StGB) erfüllt werden, die alle schon bei fahrlässiger Begehung von Amtes wegen zu verfolgen sind. In diesen Fällen unterbleibt die Sicherung wichtiger Spuren auch bezüglich der Körperverletzung sicher nicht aus dem einzigen Grund, dass noch kein Strafantrag vorliegt. Auch steht nicht immer von Anfang an fest, ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Dann haben im Falle offensichtlich schwerer Körperverletzungen ohnehin erste Ermittlungen und Spurensicherungen zu erfolgen. Und falls das Opfer in Folge einer schweren Verletzung für gewisse Zeit bewusstlos oder sonstwie urteilsunfähig ist, verstreicht die Antragsfrist nicht. Denn nach Artikel 29 StGB beginnt sie erst am Tag zu laufen, an dem das antragsberechtigte Opfer von Tat und Täter Kenntnis erhält. Dauert die Urteilsunfähigkeit aber längere Zeit oder ist sie gar bleibend, steht das Antragsrecht gemäss Artikel 28 Absatz 2 StGB dem gesetzlichen Vertreter und im Falle einer Bevormundung auch der Vormundschaftsbehörde zu.

Aufgrund dieser Erwägungen halten wir an der Neuerung fest, die auf den Vorschlag der Experten zurückgeht. Dieser überzeugt unseres Erachtens mehr als die recht zahlreichen ablehnenden Vernehmlassungen. Darin wird erklärt, die Änderung liege nicht im Interesse der Opfer, die oft längere Zeit nur beschränkt handlungsfähig, aber nicht urteilsunfähig seien. Zudem zeigten sich schwere Folgen einer Verletzung häufig erst nach einer gewissen Zeit. Eine schwere Verletzung führe zu
einer bedeutenden Störung des Rechtsfriedens, und der generalpräventive Effekt des Offizialdelikts sei nicht zu unterschätzen.

Die Neuerung stehe im Widerspruch zur sonstigen Tendenz, das Antragsprinzip überall abzubauen, wo es zu Repressalien missbraucht werden könnte. Die fahrlässige schwere Körperverletzung sei das Korrelat zur fahrlässigen Tötung in Artikel 117 StGB, weshalb schon aus Gründen rechtsgleicher Behandlung die Verfolgung von Amtes wegen beizubehalten sei. Uns scheint der Vergleich mit der fahrlässigen Tötung in dieser Form fehlzugehen. Im übrigen verweisen wir auf unsere einleitende Begründung.

Wie bei der fahrlässigen Tötung wollte die Expertenkommission auch hier in Fällen besonders leichter Fahrlässigkeit die Strafbefreiung vorsehen. Wir nehmen diesen Vorschlag auch hier nicht auf und verweisen für die Begründung auf unsere Ausführungen zu Artikel 117 (vgl. Ziff. 212.5).

1031

213.5

Tätlichkeiten (Art. 126)

Während der bisherige Artikel 126 in unveränderter Fassung als Absatz l weiterbestehen soll, schlagen wir vor, ihm neu einen Absatz 2 anzufügen, der Tätlichkeiten zum Offizialdelikt erklärt, wenn sie vom Täter wiederholt gegenüber einer Person begangen werden, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat. Die Formel gleicht der Ergänzung, wie sie für den Tatbestand der qualifizierten einfachen Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3) vorgeschlagen wird (vgl. Ziff. 213.2). Sie soll zusammen mit dieser Bestimmung in erster Linie einen besseren Schutz der Kinder vor Misshandlungen gewährleisten und den geltenden Artikel 134 StGB ersetzen (vgl. Ziff. 214.7). Den strafrechtlichen Kinderschutz auch an dieser Stelle auszubauen, ist dringend geboten, zumal nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Tätlichkeit keine Misshandlung im Sinne des geltenden Artikels 134 Ziffer l Absatz l darstellt (vgl. BGE 80 IV 107 und 85 IV 126). Um unter den neuen qualifizierten Tatbestand von Artikel 126 Absatz 2 zu fallen, · müssen die Tätlichkeiten freilich wiederholt, d. h. etliche Male und gewissermassen gewohnheitsmässig gegenüber dem gleichen Opfer begangen werden. Solch wiederholte Tätlichkeiten sind Misshandlungen; denn sie können sich insbesondere auf die Psyche von Kindern äusserst schädlich auswirken.6) Absatz 2 ersetzt - wie schon oben gesagt - den Artikel 134 StGB.

Die neue Bestimmung soll gleich wie der neue Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 neben den Kindern ebenfalls Erwachsene schützen, die infolge ihrer Pflegebedürftigkeit von möglichen Tätern abhängig sind.

Der von den Experten unverändert übernommene Änderungsvorschlag ist im Vernehmlassungsverfahren auf etlichen Widerspruch gestossen. Zwar wird der neue Absatz 2 nur von sehr wenigen völlig abgelehnt. Verschiedentlich wurde aber verlangt, das Züchtigungsrecht der Eltern ausdrücklich vorzubehalten. Wir halten dies für völlig überflüssig. Ein allfälliges Züchtigungsrecht leitet sich beispielsweise bereits aus Artikel 302 des Zivilgesetzbuches (ZGB) ab. Soweit es besteht, ergibt sich die Straffreiheit deshalb aus Artikel 32 StGB (Rechtmässige Handlungen). Ein ausdrücklicher Vorbehalt wäre überdies verfehlt, weil die Norm, wie erwähnt, auch unter der Obhut des Täters stehende Erwachsene schützt, denen gegenüber keinerlei Züchtigungsrechte
bestehen.

Den wenigen, welche die Neuerung gänzlich ablehnen, bedeutet sie einen unerwünschten Eingriff des Staates in das Familienleben und die Erziehung der Kinder, und es wird eine Häufung unbegründeter und missbräuchlicher Denunziationen gegen Eltern und andere Erzieher befürchtet. Ferner wird geltend gemacht, es sei für die Behörden sehr schwierig, zwischen erlaubten und unerlaubten Tätlichkeiten im Bereich der Kindererziehung zu unterscheiden.

Wir können all diese Bedenken in keiner Weise teilen. Die Strafverfolgungsbehörden werden etwas unterschätzt. Ihre Erfahrung befähigt sie durchaus, einerseits unbegründete Strafanzeigen und anderseits krasse Überschreitungen des Züchtigungsrechts in der Regel rasch als solche zu erkennen. Ausserdem birgt schon das geltende Recht mit Artikel 134 die Gefahr missbräuchlicher Vorzeigungen gegen Erziehungsberechtigte in sich, doch halten sich diese bis heute in bescheidenem Rahmen. Ganz und gar nicht einverstanden sind wir mit dem 1032

Einwand, die neue Vorschrift greife in unzulässiger Weise in die Familie und die Kindererziehung ein. Wiederholte, sozusagen gewohnheitsmässig oder systematisch verabreichte Schläge überschreiten eindeutig das Erziehungs- und Züchtigungsrecht, auch wenn sie nicht sofort sichtbare Schädigungen hinterlassen. Gegen solches Tun von Amtes wegen einzuschreiten, wenn es bekannt wird, scheint uns zweckmässig und notwendig zu sein; denn das auf diese Weise misshandelte Kind wird in der Regel schon allein aus Angst vor Vergeltung keine Strafanzeige erstatten. Das gilt gleichermassen für alte, pflegebedürftige Leute. Unsere Ausführungen dürften schliesslich die mehrfach geäusserten Bedenken zerstreuen, künftig begehe schon eine von Amtes wegen verfolgte Tätlichkeit, wer seinem Kind nur zwei Ohrfeigen verabreiche. «Wiederholt begehen» meint, wie erläutert, eindeutig mehr. Verschiedentlich wurde angeregt, um einer zu engen Auslegung vorzubeugen, den Begriff «wiederholt» jedenfalls in der deutschen Fassung zu ersetzen, etwa mit «immer wieder», «systematisches Verüben» oder «fortgesetzt». Wir sind nach gründlicher Prüfung bei der vorgeschlagenen Fassung geblieben, weil andere Formulierungen umgekehrt zu weit ausgelegt werden könnten. Insbesondere muss vermieden werden, dass Tätlichkeiten erst dann unter die neue Bestimmung fallen, wenn sie während längerer Zeit wiederholt verübt wurden. Sie soll auch zur Anwendung kommen, wenn Schläge sehr zahlreich und systematisch, und sei es auch nur während weniger Stunden oder Tage, verabreicht wurden.

214 214.1

Gefährdung des Lebens und der Gesundheit Aussetzung (Art. 127)

Anstelle der bisherigen Ziffer l von Artikel 127, die in zwei Absätzen mit schwerfälligen Wiederholungen den Grundtatbestand der Aussetzung umschreibt, schlagen wir, der Expertenkommission folgend, eine einfachere und straffere Formulierung vor. Als einzige sachliche Änderung soll dabei nach einer allgemeinen Tendenz die Mindeststrafdrohung von einem Monat Gefängnis fallengelassen werden.

In vereinzelten Vernehmlassungen wurde diesem Ansinnen opponiert, weil darin ein ungerechtfertigter Abbau des strafrechtlichen Schutzes gesehen wird.

Die Neuerung bewirke mit der Zeit eine erhebliche Herabsetzung der durchschnittlichen Strafen. Und bei derart schwerwiegenden Delikten sei es unverhältnismässig. im Falle von Milderungsgründen die Möglichkeit zu eröffnen, gestützt auf Artikel 65 StGB nur Haft oder Busse auszufällen. Wir teilen solche Bedenken nicht; denn wir haben Vertrauen in die Vernunft und den Sachverstand unserer Richter bei der Strafzumessung und halten deshalb das bisherige Strafminimum für überflüssig.

Als weitere Neuerung wird vorgeschlagen, die geltende Ziffer 2 von Artikel 127 ersatzlos zu streichen. Sie umschreibt ein erfolgsqualifiziertes Delikt, indem sie für den Fall, dass der Ausgesetzte stirbt und der Täter dies voraussehen konnte, letzteren mit Zuchthaus schlechthin bedroht. Für die Begründung dieser Änderung sei auf die Ausführungen zu Artikel 122 Ziffer 2 verwiesen (vgl.

Ziff. 213.1).

1033

214.2

Unterlassung der Nothilfe (Art. 128)

Artikel 128, der mit Gefängnis oder Busse bedroht, wer jemanden im Stiche lässt, den er selbst verletzt hat oder der durch ein von ihm benutztes Fahrzeug, Reit- oder Zugtier verletzt worden ist, erfährt nach unserem Vorschlag verschiedene Änderungen., Zwar wird der Kerngehalt der Bestimmung nicht angetastet.

Nach wie vor soll wie bisher mit Gefängnis oder Busse belegt werden, wer einen Mitmenschen verletzt und ihn danach seinem Schicksal überlässt. Indessen hält die revidierte Bestimmung nicht mehr ausdrücklich fest, dass dies auch gilt, wenn dem Opfer die Verletzung durch ein vom Täter benutztes Fahrzeug,, Reitoder Zugtier zugefügt wurde. Insbesondere die Erwähnung des Fahrzeugs ist gänzlich überflüssig, seit Artikel 92 Absatz l in Verbindung mit Artikel 51 Absatz 2 des Strassenverkehrsgesetzes (SR 741.01) dem Fahrzeuglenker Strafe androht, wenn er seine Hilfeleistungspflicht gegenüber dem Unfallopfer nicht erfüllt. Aber auch das Reit- und das Zugtier werden mit Vorteil gestrichen;: nicht nur, weil sie heute als Transportmittel an Bedeutung verloren haben und ihre Aufzählung deshalb etwas antiquiert wirkt, sondern auch, weil sie in der Regel ohnehin nur «Tatmittel» des sie benutzenden Täters sind und dieser somit als verantwortlicher, mittelbarer Urheber der fraglichen Verletzung zu gelten hat.

Als rein redaktionelle Änderung wird weiter der Ausdruck «im Stiche lassen» durch «nicht hilft» ersetzt. Dies ist schon rein sprachlich wegen der Ausweitung des Tatbestandes notwendig, auf die wir noch zu sprechen kommen. Die neue Formulierung beschreibt zudem das strafwürdige Verhalten genauer und macht damit klar, dass es sich hier um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt. Denn was der Täter getan hat, anstatt zu helfen, ist unerheblich.

Wiederholten Anregungen im Schrifttum entsprechend, wird als wesentliche materielle Neuerung eine allgemeine Pflicht zur Nothilfe begründet, wie sie verschiedene Nachbarländer, aber auch eine Reihe von Kantonen im Rahmen ihrer Übertretungsstrafrechte kennen: Jedermann, der es unterlässt, einem in unmittelbarer Lebensgefahr schwebenden Menschen zu helfen, soll ebenfalls mit Gefängnis oder Busse bestraft werden. Damit wird eine Bestimmung fast wörtlich wieder aufgenommen, die im Entwurf von 1918 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch vorgesehen war, später jedoch aus
referendumspolitischen Überlegungen fallengelassen wurde. Weil diese Beistandspflicht jeden trifft, unabhängig davon, ob er für die Notlage des Hilfsbedürftigen irgendwie verantwortlich ist oder nicht, darf sie nicht zu weit ausgedehnt werden. Sie soll daher nicht bestehen bei «blosser» Leibesgefahr, sondern eben nur bei Lebensgefahr, die überdies unmittelbar sein muss. Gemeint sind Situationen wie jene des Ertrinkenden, des infolge eines Herzanfalls Zusammengebrochenen oder des Betrunkenen, der auf einer Strasse liegen bleibt. Die Beistandspflicht wird ausserdem dadurch begrenzt, dass dem Betreffenden die Hilfeleistung nach den Umständen zumutbar sein muss. Diese Voraussetzung könnte beispielsweise fehlen, wenn sich der mögliche Helfer selber einer erheblichen Gefahr aussetzen würde. Übrigens gilt nach "der neuen Bestimmung die gleiche Einschränkung ausdrücklich auch für die Hilfspflicht, die jemand gegenüber dem von ihm selbst verletzten Menschen hat. Bisher war die Zumutbarkeit der Hilfeleistung 1034

in diesen Fällen ungeschriebene Voraussetzung der Strafbarkeit. Sie dürfte hier in der Regel eher gegeben sein als im Falle der allgemeinen Hilfeleistungspflicht, weil die Mitverantwortung des Täters für die Verletzung, insbesondere wenn es sich um ein strafrechtliches Verschulden handelt, die Hilfe eher zumutbar macht.

Eine weitere wichtige Ausdehnung des Tatbestandes bedeutet es, wenn künftig, gleich jemandem, der die Nothilfe unterlässt, bestraft werden soll, wer andere bei der Hilfeleistung behindert oder sie gar gänzlich davon abhält. Dass solches Verhalten ebenso strafwürdig ist wie die Unterlassung, bedarf keiner weiteren Begründung. Auch diese Vorschrift fand sich bereits im erwähnten Entwurf von 1918 zum Strafgesetzbuch.

Wie steht es mit dem Verhältnis der neuen Bestimmung zu Artikel 92 in Verbindung mit Artikel 51 Absatz 2 des Strassenverkehrsgesetzes? Nach der zuletzt genannten Vorschrift sind bei einem Unfall mit einem Motorfahrzeug oder einem Fahrrad sowohl Beteiligte wie Unbeteiligte (diese ausdrücklich nur, soweit es ihnen zumutbar ist) verpflichtet, den Verletzten zu helfen. Tun sie es nicht, droht Artikel 92 Absatz l des Strassenverkehrsgesetzes Haft oder Busse an. Ergreift ein Fahrzeugführer, der selbst für den Tod oder die Verletzung eines Unfallopfers verantwortlich ist, die Flucht, so wird er nach Artikel 92 Absatz 2 des Strassenverkehrsgesetzes mit Gefängnis bestraft. Grundsätzlich ist zwischen diesen Vorschriften des Strassenverkehrsgesetzes und Artikel 128 StGB unechte Gesetzeskonkurrenz anzunehmen, sofern im Anwendungsfall sämtliche Tatbestandsmerkmale beider Bestimmungen gegeben sind. Allgemeinen Konkurrenzregeln folgend bedeutet dies, dass jeweils die Bestimmung mit der schärferen Strafdrohung vorgeht und allein zur Anwendung kommt. Bei Fahrerflucht ist demnach stets Artikel 92 Absatz 2 des Strassenverkehrsgesetzes, der Gefängnis allein androht, der Vorrang einzuräumen. Ist eine am Verkehrsunfall beteiligte Person irgendwie für die Verletzung eines oder mehrerer Opfer verantwortlich und unterlässt die ihr zumutbare Hilfe, ohne aber zu fliehen, kommt hingegen der neue Artikel 128 StGB zur Anwendung. Dasselbe gilt, wenn eine Person, die am Unfall zwar beteiligt ist, aber die Verletzung nicht verursacht hat, sowie völlig unbeteiligte Anwesende (z. B. Zuschauer) untätig
bleiben, obwohl die Verletzten in unmittelbarer Lebensgefahr schweben. Besteht diese Lebensgefahr nicht, sind in solchen Fällen jedoch die entsprechenden Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes, d. h. Artikel 92 Absatz l in Verbindung mit Artikel 51 Absatz 2, allein anzuwenden.

Unser Revisionsvorschlag geht in einem Punkt weiter als jener der Expertenkommission. Deren Neufassung von Artikel 128 hätte nämlich denjenigen, der die Hilfe gegenüber einem von ihm selber verletzten Menschen unterlässt, nur noch dann mit Strafe bedroht, wenn er damit gegen die neuformulierte allgemeine Beistandspflicht verstösst, der Verletzte also in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt. Die Expertenkommission liess sich dabei einmal von der Überzeugung leiten, die in der Praxis weitaus häufigsten derartigen Fälle würden ohnehin bereits von Artikel 92 des Strassenverkehrsgesetzes erfasst. Zudem erwachse dem, der für die Verletzung eines anderen verantwortlich sei, eine Garantenpflicht, so dass er wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar wäre, falls sich die Verletzung infolge der Vernachlässigung seiner Hilfspflicht

1035

verschlimmern würde. Im Vernehmlassungsverfahren begegnete der Expertenvorschlag jedoch, was diesen Punkt betrifft, vielen Vorbehalten. Es wird nicht verstanden, dass danach künftig jedermann in gleicher Weise verpflichtet sein soll, einem anderen Menschen zu helfen, unabhängig davon, ob er für den Zustand des Hilfsbedürftigen irgendwie verantwortlich ist oder nicht. Mit dem Hinweis auf Verletzungen durch Mitmenschen insbesondere beim Ski-, Bergund Wassersport sowie als Folge von Schlägereien wird bezweifelt, dass die meisten derartigen Fälle vom Strassenverkehrsgesetz erfasst werden. Die grosse Mehrheit der Kritiker verlangt daher, den geltenden Artikel 128 beizubehalten und ihm die von der Expertenkommission vorgeschlagene Bestimmung als neue Absätze 2 und 3 anzufügen. Denn anderseits fand die Idee breite Zustimmung, künftig jedermann mit Strafe zu bedrohen, der einem in unmittelbarer Lebensgefahr schwebenden Mitmenschen die mögliche und zumutbare Hilfe versagt oder der andere bei solcher Hilfe behindert oder sie gänzlich davon abhält.

Wir haben den erwähnten Forderungen, die wir für berechtigt halten, weitgehend Rechnung getragen. Wie eingangs erläutert, haben wir freilich den Wortlaut des geltenden Artikels 128 nicht völlig unverändert in die neue Bestimmung übernommen. Eine andere Möglichkeit, den in zahlreichen Vernehmlassungen geäusserten Bedenken Rechnung zu tragen, hätte darin bestanden, die allgemeine Beistandspflicht unter Straffolge im Unterlassungsfall auf alle Situationen auszuweiten, in denen Mitmenschen in «blosser» Leibesgefahr angetroffen werden. Eine solche Lösung war ursprünglich von der Expertenkommission erwogen worden. Sie hätte zwar den Vorteil, dass sich niemand seiner Verantwortung mit der Ausrede entziehen könnte, er habe nicht gewusst, dass die Verletzungen des Hilfsbedürftigen lebensgefährlich waren. Anderseits wäre ihr Anwendungsbereich aber zu unbestimmt, und die Hilfeleistungspflicht würde damit möglicherweise sogar weit über die geltende Vorschrift hinaus ausgedehnt, weil Leibesgefahr wohl nicht stets eine Verletzung des Gefährdeten voraussetzt.

Ähnliches gilt auch für die Formulierung «in schwerer Gefahr für die Gesundheit», wie sie in vereinzelten Verlautbarungen vorgeschlagen wurde. Zwar mag jeder Erwachsene die moralische Pflicht haben, kleine Kinder z. B. daran
zu hindern, sich ein Duell mit spitzen Stöcken zu liefern, weil dabei die Gefahr schwerer Augenverletzungen besteht. Im Unterlassungsfall eine Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren zu verhängen, wäre aber gewiss übertrieben. Wir halten daher unseren Vorschlag für richtig. Wer selbst jemanden verletzt, hat, unterliegt danach gerechterweise einer strengeren Pflicht zur Hilfe als der unbeteiligte Dritte, dessen Beistandspflicht nur bei unmittelbarer Lebensgefahr besteht.

214.3

Lebensgefährdung (Art. 129)

Für Artikel 129 Absatz l des geltenden Rechts, der mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Monat bedroht, wer wissentlich und gewissenlos einen Menschen in unmittelbare Lebensgefahr bringt, werden die zwei folgenden Änderungen vorgeschlagen: Einmal soll die verwerfliche Art der Tatbegehung anstatt mit «wissentlich und gewissenlos» künftig mit «in skrupelloser Weise» umschrieben werden. Zum zweiten wird die Höchststrafe 1036

von drei auf fünf Jahre Zuchthaus angehoben, gleichzeitig aber die Mindeststrafe von einem Monat fallengelassen.

Meinte «wissentlich» früher noch eine zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit stehende besondere Schuldform, nämlich die Wissensschuld, ist es nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichts einfach Ausdruck für den direkten Vorsatz und schliesst den Eventualvorsatz aus (vgl. BGE 94 IV 60). Weil aber ohnehin keine unmittelbare, sondern höchstens eine bedingte Lebensgefahr schaffen kann, wer mit Eventualvorsatz handelt, hat das Wort «wissentlich» hier keinerlei Bedeutung mehr und kann gestrichen werden. «Gewissenlos» anderseits handelt nach Bundesgericht der Täter, dessen Motive für die Lebensgefährdung sittlich zu missbilligen sind (vgl. BGE 94 IV 65) oder für dessen Verhalten es keinen verständlichen Grund gibt (vgl. BGE 700 IV 215). Wir teilen die von der Expertenkommission und einem Teil der Lehre vertretene Meinung, dass so verstanden das Tatbestandsmerkmal der Gewissenlosigkeit eigentlich überflüssig ist. Denn selbstverständlich ist jede unmittelbare Lebensgefährdung sittlich zu missbilligen, wenn dafür kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Und das Fehlen jeglichen verständlichen Grundes bedeutet erst recht keine besondere Qualifizierung des missbilligten Verhaltens. Der Tatbestand ist bei solcher Auslegung zu unbestimmt, und er ermangelt klarer Konturen. Er wird heute in der Praxis auf eine bunte Vielfalt von Verhaltensweisen angewendet. Die romanischen Fassungen («sans scrupule», «senza scrupoli») deuten indessen klar darauf hin, dass «gewissenlos» eigentlich einen besonderen Grad der Vorwerfbarkeit oder Verwerflichkeit meint und somit den Tatbestand auf schwere Fälle beschränken sollte. Es liegt daher nahe, in diesem Punkt die deutsche den romanischen Fassungen anzupassen und künftig mit Strafe zu bedrohen, wer «in skrupelloser Weise» einen Menschen in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Damit soll die Bestimmung auf Täter beschränkt werden, die jegliche Rücksicht auf das Leben anderer Menschen vermissen lassen und durch ausgefallenes, mutwilliges Handeln Leben gefährden. Diese Gesinnung hat typischerweise gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen, die der vorsätzlich begangenen Tötung zugrunde liegt. Die vorgeschlagene Änderung gleicht denn auch dem neuen Wortlaut des Mordtatbestandes, der
von «besonders skrupellosem Handeln» spricht (vgl. Ziff. 212.1).

In dieser geänderten Form soll die Vorschrift etwa die folgenden typischen Fälle erfassen: Der Schuss, der aus der Nähe auf einen Menschen abgegeben wird und diesen knapp verfehlt; mit unverminderter Geschwindigkeit auf Menschen zufahren (z. B. auf Polizisten, die eine Strasse sperren); Arbeitnehmer an oder mit Einrichtungen beschäftigen, denen die notwendigen Sicherheitsvorrichtungen fehlen oder die nicht im geringsten betriebssicher sind. Gedacht ist also an Situationen, in denen das Leben von Mitmenschen massiv gefährdet wird, dem Täter jedoch kein Tötungsvorsatz nachgewiesen werden kann.

Im Vernehmlassungsverfahren stiess der gleichlautende Expertenvorschlag kaum auf Opposition.

Die Anhebung der Höchststrafe von drei auf fünf Jahre Zuchthaus rechtfertigt sich durch die Schwere der Tat; umsomehr, als künftig nur noch wirklich schwere Fälle erfasst werden sollen, wie eben geschildert wurde. Im weiteren bedeutet es eine sinnvolle und naheliegende Angleichung an die Strafdrohung im Tatbestand der Aussetzung (vgl. Ziff. 214.1). Diese Verschärfung stiess im

1037

Vernehmlassungsverfahren denn auch auf keinerlei Opposition. Es wurde vereinzelt gar angeregt, eine noch höhere Maximalstrafe oder überhaupt keine besondere obere Begrenzung der Zuchthausstrafe vorzusehen. Einige wenige ablehnende Stimmen wurden aber dagegen laut, wie in den Artikeln 116 und 127 (vgl. Ziff. 212.4 und 214.1) die Mindeststrafdrohung zu streichen. Bestärkt durch die Zustimmung einer grossen Mehrheit, halten wir indessen auch hier an diesem Vorschlag fest und verweisen insbesondere auf unsere Begründung in Ziffer 214.1.

Als weitere Änderungen am geltenden Artikel 129 sollen dessen Absätze 2 und 3 ersatzlos gestrichen werden. Bei, Absatz 3 liegt der Grund einmal mehr darin, dass er ein erfolgsqualifiziertes Delikt umschreibt, wird doch der Täter mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bedroht, wenn das von ihm in Lebensgefahr gebrachte Opfer schliesslich stirbt. Für die Begründung der Streichung verweisen wir auch hier auf unsere Ausführungen zu Artikel 122 Ziffer 2 (vgl. Ziff. 213.1).

Absatz 2 macht es dem Richter zur Pflicht, mit der ausgefällten Freiheitsstrafe Busse zu verbinden, falls der Täter aus Gewinnsucht handelte. Diese Regelung mutet in einem Tatbestand wie Artikel 129 eigenartig an. Sie mag daher rühren, dass früher der Schutz der Arbeiter durch den vorliegenden Tatbestand im Vordergrund stand. Heute besteht dafür keine Notwendigkeit mehr. Denn die typischen Fälle strafbarer Lebensgefährdung geschehen in der Regel kaum aus Gewinnsucht. Zudem hat der Richter ja aufgrund von Artikel 50 Absatz l StGB stets die Möglichkeit, bei Vorliegen von Gewinnsucht neben der Freiheitsstrafe auch eine Busse auszusprechen. Der Streichungsvorschlag fand in der Vernehmlassung fast ungeteilte Zustimmung.

214.4

Zweikampf sowie Herausforderung und Aufreizung dazu (Art. 130-132: Aufhebung)

Die Artikel 130-132 des geltenden Rechts über den Zweikampf sollen ersatzlos gestrichen werden. Sie enthalten strafrechtliche Sonderregelungen für eine bestimmte, traditionelle Form des Zweikampfes, nämlich des vereinbarten, geregelten Kampfes mit gleichen Waffen. Während Artikel 131 den Zweikampf als solchen betrifft, stellen Artikel 130 die Herausforderung und deren Armahme sowie Artikel 132 die Aufreizung zum Zweikampf unter Strafe. Diese Bestimmungen, insbesondere Artikel 131, bedeuten über weite Strecken eine klare, heute nicht mehr gerechtfertigte Privilegierung solchen Verhaltens, jedenfalls dann, wenn es zu schweren Verletzungen oder zum Tod Beteiligter führt oder führen sollte. Denn ungeachtet derartiger Folgen wird der Zweikampf, nach Artikel 131 Ziffer l höchstens mit fünf Jahren Gefängnis bestraft, ist also nur ein Vergehen. Und schützen sich die Kämpfenden durch geeignete Vorkehren gegen Lebensgefahr, wie etwa bei studentischen Mensuren, gilt er aufgrund von Artikel 131 Ziffer 2 gar nur als Übertretung. Einzig auf jene Teilnehmer, die wissentlich den Regeln des Zweikampfes zuwiderhandeln, finden nach Artikel 131 Ziffer 3 die allgemeinen Vorschriften über Tötung und Körperverletzung Anwendung. Die Privilegierung wird in, keiner Weise dadurch aufgewogen, dass Zweikämpfe anderseits bereits als Gefährdungen strafbar sind, d. h. auch dann, wenn keiner der Kämpfer zu Schaden kommt; schon deshalb nicht, weil es sich 1038

dabei im Lichte der allgemeinen Vorschriften oft um strafbare Versuche zu Tötungen oder schweren Körperverletzungen handeln dürfte.

In analoger Weise wie der am Zweikampf direkt Beteiligte wird ferner der Anstifter privilegiert. Soweit sich die Anstiftung mit dem Tatbestand von Artikel 132 deckt, kann die Privilegierung noch stärker ausfallen. Denn die Bestimmung erlaubt, nur mit Haft zu bestrafen, wer jemanden zum Zweikampf mit einem Dritten aufreizt. Daran ändert grundsätzlich nichts, dass vereinzelt auch Verhaltensweisen erfasst werden, die ohne Artikel 132 straflos blieben: Kommt es nämlich nicht zum Zweikampf, ist die Aufreizung dazu nach Artikel 132 StGB gleichwohl strafbar, während nach Artikel 24 Absatz 2 StGB nur die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen, nicht aber zu einem Vergehen bestraft wird.

Eindeutig privilegiert werden schliesslich auch alle neben den Kämpfern am Zweikampf irgendwie Beteiligten wie Sekundanten, Zeugen oder Ärzte, schon deshalb, weil Artikel 131 Ziffer 4 deren strafbare Teilnahme auf die Aufreizung im Sinne von Artikel 132 beschränkt. Denn damit bleibt jede Gehilfenschaft zum Zweikampf völlig straflos.

Wie übrigens die jährlichen Urteilsstatistiken zeigen, ist der Zweikampf in der Praxis von sehr geringer Bedeutung. Es lässt sich auch aus diesem Grunde vertreten, dass durchwegs die allgemeinen Vorschriften über die vorsätzliche Tötung und Körperverletzung, den Versuch, die Teilnahme und die Strafmilderungen sowie der nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnte, aber von Praxis und Lehre anerkannte Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Verletzten zum Tragen kommen. Die studentischen Mensuren, die in diesem Zusammenhang allein noch von einer gewissen praktischen Bedeutung sind, blieben straflos, solange sie nur leichte Körperverletzungen zur Folge hätten. Da die Zielsetzung des Zweikampfes nicht schützenswert ist, kann hingegen nach heute überwiegender Meinung der Lehre nicht rechtsgültig in dadurch hervorgerufene schwere Körperverletzungen eingewilligt werden. Es läge in diesem Falle also kein anerkannter Rechtfertigungsgrund vor, und der Täter wäre wegen Körperverletzung strafbar.

Der von uns unterbreitete Vorschlag weicht insofern von jenem der Expertenkommission ab, als diese am Tatbestand der Herausforderung zum Zweikampfe (Art. 130) festhalten und ihn
durch Androhen von Gefängnis gar zum Vergehen erheben wollte. Sie machte dafür generalpräventive Gründe geltend. Wir halten nach eingehender Prüfung die Streichung auch dieses Artikels für die einzig konsequente Lösung, geht man, wie dies die Expertenkommission zu Recht tat, davon aus, die Sonderbehandlung des Zweikampfes sei antiquiert. Es wäre inkonsequent, einerseits den Zweikampf als solchen mit seinen Folgen sowie die Aufreizung dazu künftig den allgemein geltenden Strafbestimmungen zu unterstellen und anderseits die Herausforderung zum Zweikampf und deren Annahme als blosse Vorbereitungshandlungen weiterhin mit einer besonderen, gar noch höheren Strafe als bisher zu bedrohen. Wenn schon auf die Privilegierung des Zweikampfes verzichtet wird, soll anderseits mit der Erfassung reiner Vorbereitungshandlungen nicht eine über die allgemeinen Vorschriften hinausgehende Strafbarkeit beibehalten werden. Angesichts der praktischen Bedeutungs-

1039

losigkeit der geltenden Bestimmungen sehen wir dafür auch keinerlei kriminalpolitische Notwendigkeit.

Die Streichung von Artikel 131 und 132 fand übrigens im Vernehmlassungsverfahren fast ungeteilte Zustimmung, während eine Mehrheit damit einverstanden gewesen wäre, Artikel 130 beizubehalten.

214.5

Raufhandel (Art. 133)

Artikel 133 des geltenden Rechts, der mit Gefängnis oder Busse bedroht, wer sich an einem Raufhandel beteiligt, in dessen Folge ein Beteiligter stirbt oder verletzt wird, erfährt als einzige materielle Änderung folgende Ausweitung: Künftig soll der Tod oder die Körperverletzung irgendeines Menschen, also auch eines Zuschauers oder einschreitenden Polizisten - nicht nur eines direkt und aktiv Beteiligten -, als objektive Strafbarkeitsbedingung genügen. Diese Ausdehnung ist angesichts von Sinn und Zweck der Norm folgerichtig. Denn sie bedroht den Täter allein wegen seiner Beteiligung am Raufhandel bzw. wegen der darin liegenden typischen Gefährlichkeit mit Strafe und nicht wegen des Erfolges. Dieser wird für die Strafbarkeit nur vorausgesetzt, um den Tatbestand im vornherein auf Raufhändel zu beschränken, für deren Gefährlichkeit eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, wofür der eingetretene Tod oder die Körperverletzung eben deutliches Indiz ist. Der hauptsächliche Grund, weshalb die durch die Beteiligung begangene Gefährdung von Leib und Leben gesondert unter Strafe gestellt wird, liegt darin, dass bei Raufhändeln die Ermittlung der eigentlichen Urheber von Körperverletzungen oder Tötungen oft misslingt. Und dies alles trifft nun auch zu, wenn ein an der Schlägerei nicht eigentlich beteiligter Dritter davon betroffen wird. Wohl ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass ein Beteiligter verletzt oder getötet wird. Doch da bei Raufhändeln die klare Unterscheidung zwischen Beteiligten und Unbeteiligten oft schwerfallen dürfte, etwa wenn sie in einer Gaststätte stattfinden, können auch Unbeteiligte nicht selten Opfer von deren typischer Gefährlichkeit werden. Und deshalb ist es richtig, dies als objektive Strafbarkeitsbedingung genügen zu lassen. Hier besteht ein Unterschied zum neuen Tatbestand des Angriffs (vgl. Ziff. 214.6).

Die übrigen Änderungen am Wortlaut der Bestimmung sind rein redaktioneller Natur: zum einen wird nicht mehr besonders hervorgehoben, dass der Täter «wegen dieser Beteiligung» strafbar ist. Das geht auch sonst aus dem Tatbestand genügend klar hervor. Zum ändern wird der Ausschluss der Strafbarkeit desjenigen, der bloss abwehrt oder die Streitenden scheidet, neu in einem besonderen Absatz 2 formuliert. Die Bestimmung tritt damit deutlicher hervor.

Man mag sie zwar unter Hinweis auf
Artikel 33 StGB über die Notwehr als selbstverständlich und überflüssig bezeichnen. Aber für den, der den Streit nur zu beenden sucht, ist dies fraglich. Überdies schadet es nichts, wenn die Bestimmung klarstellt, dass solches Handeln gar nicht tatbestandsmässig ist und schon deswegen straflos bleibt, ohne dass es eines Rechtfertigungsgrundes bedürfte.

Die Änderungsvorschläge fanden die ungeteilte Zustimmung aller Vernehmlassungen.

1040

214.6

Angriff (Art. 134 [neu])

Nach überwiegender Ansicht in Lehre und Rechtsprechung liegt kein Raufhandel vor und ist demnach Artikel 133 StGB nicht anwendbar, wenn sich nicht zwei Parteien gegenseitig schlagen, sondern eine Partei gegenüber dem Angriff mehrerer Personen passiv bleibt. Damit sind die Angreifer im Vergleich mit den an einem Raufhandel Beteiligten in ungerechtfertigter Weise privilegiert. Denn ihr Verhalten ist mindestens ebenso gefährlich, und führt es auf der Seite der Angegriffenen zu Verletzungen oder zum Tod, bestehen die gleichen Schwierigkeiten, die eigentlichen Urheber ausfindig zu machen. Auch lässt sich nicht leichthin für alle am Angriff Beteiligten zum vornherein Mittäterschaft annehmen. Einmal, weil solche Zusammenschlüsse oft nicht von langer Hand vorbereitet sind, sondern spontan zustande kommen. Damit ist das für die Mittäterschaft typische bewusste und gewollte Zusammenwirken nicht gegeben. Zum zweiten kann den Beteiligten der Verletzungs- oder Tötungsvorsatz nur schwer nachgewiesen werden.

Diese Lücke soll mit dem vorgeschlagenen neuen Artikel 134 geschlossen werden, zumal solche Angriffe von Schlägertrupps auf einzelne Mitmenschen oder zahlenmässig weit unterlegene Personengruppen leider eine recht häufige Zeiterscheinung geworden sind. Einzelne Nachbarländer kennen denn auch bereits ähnliche Tatbestände.7) Die neue Bestimmung bedroht mit Gefängnis bis zu fünf Jahren, wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen zur Folge hat. Der Begriff der Beteiligung setzt eine Mehrheit, also mindestens zwei Angreifer voraus. Greift eine einzige Person an, kann nicht davon gesprochen werden, sie beteilige sich an einem Angriff. Auch die Expertenkommission ging davon aus, zur Erfüllung des Tatbestandes seien lediglich zwei Angreifer nötig. Die von ihr vorgeschlagene Formulierung «wer sich an einem von Mehreren ausgeführten Angriff ... beteiligt...» liess jedoch Zweifel darüber aufkommen, ob nicht mindestens drei Angreifer erforderlich seien. Wir hielten es für notwendig, hierüber mit einer geänderten Fassung Klarheit zu schaffen. Es ist richtig, dass der Tatbestand bereits von zwei Angreifern erfüllt wird, weil die besondere Gefährlichkeit sowie Beweisschwierigkeiten schon bei dieser kleinsten Mehrheit gegeben sein können.
Auch zur Bildung einer Bande bedarf es ja nur zweier Personen (vgl. BGE 100 IV 220). Und letztlich besteht damit auch Übereinstimmung zum verwandten Tatbestand des Raufhandels, für dessen Erfüllung zwar insgesamt drei Beteiligte notwendig sind, demzufolge aber auf der einen Seite ebenfalls zwei Personen genügen. Analog zum Tatbestand des Raufhandels erfasst die vorgeschlagene Formulierung im übrigen richtigerweise auch, wer sich einem bereits angehobenen Angriff anschliesst.

Wie beim Raufhandel handelt es sich hier um ein Gefährdungsdelikt. Der neue Tatbestand des Angriffs ist erfüllt, wenn ein oder mehrere Angegriffene verletzt oder getötet werden ; doch ist das nur objektive Strafbarkeitsbedingung. D. h.

der Täter macht sich allein schon wegen seiner Beteiligung am Angriff strafbar.

Dementsprechend muss dem Täter nur der Vorsatz zur Beteiligung, nicht aber 4l

Bundesblatt. 137.Jahrgang. Bd.II

1041

zur Körperverletzung oder zur Tötung nachgewiesen werden. Während wir für den Tatbestand des Raufhandels gerade in dieser Vorlage vorschlagen, es künftig als objektive Strafbarkeitsbedingung genügen zu lassen, wenn irgendein Mensch, unabhängig davon, ob er am Raufhandel beteiligt ist oder nicht, dessen Opfer wird (vgl. Ziff. 214.5), muss hier ein Angegriffener verletzt oder getötet worden sein. Denn im Gegensatz zum Raufhandel als einer allgemeinen, wechselseitigen Schlägerei richtet sich der Angriff gezielt auf im voraus bestimmte, wenige Opfer, die sich in der Regel klar von unbeteiligten Dritten unterscheiden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unbeteiligter Opfer wird, ist daher wesentlich geringer als beim Raufhandel.

Nur in vereinzelten Vernehmlassungen wurde die Schaffung einer derartigen neuen Bestimmung grundsätzlich abgelehnt. Dies wurde damit begründet, dass die geltenden Vorschriften über Mittäterschaft, Raufhandel, Landfriedensbruch und Raub genügten. Die Vorverlegung der Strafbarkeit auf die Gefährdung sei problematisch und der Nachweis der Beteiligung schwierig. Schliesslich handle es sich um ein typisches, dem Schuldgrundsatz widersprechendes Erfolgsdelikt.

Letzteres Argument trifft - auch nach überwiegender Meinung in der Lehre nicht zu, wenn der Täter im Einzelfall nur für seine Beteiligung, jedoch nicht für den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen verantwortlich gemacht wird. Die übrigen Einwände werden durch unsere vorstehenden Erläuterungen bereits klar widerlegt.

In einer Reihe von Vernehmlassungen, die den neuen Tatbestand grundsätzlich begrüssten, wurden Vorbehalte zu einzelnen Punkten angebracht. Das trifft in erster Linie auf die Strafdrohung zu. Fünf Jahre Gefängnis wurden als Höchststrafe verschiedentlich für zu niedrig gehalten und statt dessen zehn Jahre Zuchthaus gefordert. Umgekehrt verlangten zwei Vernehmlasser eine Milderung in dem Sinne, dass neben Gefängnis alternativ auch Busse anzudrohen sei. Uns scheint dagegen die vorgeschlagene Strafdrohung angesichts der Eigenart der Vorschrift und im Vergleich zu ähnlichen Tatbeständen richtig zu sein. Immerhin handelt es sich hier um ein Gefährdungs- und nicht um ein Verletzungsdelikt. Für dessen Begehung bedarf es, dies sei hier wiederholt, keines Verletzungs- oder Tötungsvorsatzes. Eine Strafdrohung in
ähnlicher Höhe wie bei der vorsätzlichen schweren Körperverletzung (Art. 122) oder der vorsätzlichen Tötung (Art. 111) vorzusehen, Hesse sich ja nur mit dem Hinweis auf den verpönten Erfolg begründen. Damit aber wäre erneut eines jener erfolgsqualifizierten Delikte geschaffen, die andernorts wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz ja gerade aus dem Gesetz entfernt werden sollen.

214.7

Misshandlung und Vernachlässigung eines Kindes (Art. 134 geltendes Recht: Aufhebung)

Wie schon zweimal angedeutet (vgl. Ziff. 213.2 und 213.5), soll Artikel 134 des geltenden Rechts aufgehoben bzw. durch andere Vorschriften ersetzt werden.

Weshalb dies ausgerechnet mit einer Bestimmung über die Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern geschehen soll, bedarf der Begründung. Dies gilt in erster Linie für den Grundtatbestand in Ziffer l Absatz l. Er bedroht mit Gefängnis, wer ein Kind unter 16 Jahren, dessen Pflege oder Obhut ihm obliegt, so 1042

misshandelt, vernachlässigt, oder grausam behandelt, dass dessen Gesundheit oder geistige Entwicklung eine Schädigung oder schwere Gefährdung erleidet.

Die Auslegung dieser recht schwerfälligen Formulierung hat seit jeher Schwierigkeiten bereitet. Was zunächst die Tathandlungen «misshandeln», «vernachlässigen» und «grausam behandeln» betrifft, ist deren genaue Deutung und Abgrenzung nicht notwendig, und sie sind in dieser Form eigentlich überflüssig.

Denn entscheidend ist allein, ob sie zum tatbestandsmässigen Erfolg geführt haben, ob also Gesundheit oder geistige Entwicklung des Kindes geschädigt oder zumindest schwer gefährdet worden sind. Als Gesundheitsschädigung gilt nach neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGE 105 IV 25 ff.) jede Körperverletzung im Sinne von Artikel 123 Ziffer l Absatz l, mit Ausnahme des Kahlscherens und ähnlichen, die Gesundheit nicht beeinträchtigenden Eingriffen. In früheren Entscheiden vertrat das Bundesgericht eine engere Interpretation, indem es geringe Körperverletzungen wie Schwellungen, Striemen, Flekken, Kratzspuren oder Erbrechen nicht als Gesundheitsschädigungen im Sinne von Artikel 123 betrachtete (vgl. BGE 80 IV 106 und 85 IV 126). Für die Schädigung der geistigen Entwicklung ist zweifelhaft, ob ihr irgendeine selbständige Bedeutung zukommt. Die Lehre vertritt jedenfalls mehrheitlich die Meinung, es müsse sich dabei in der Regel auch um eine Schädigung der Gesundheit handeln. Der Tatbestand sei andernfalls uferlos, insbesondere, weil als Tathandlung auch die Vernachlässigung möglich sei.

Bei dieser Sachlage ist es allein schon um der Klarheit willen angezeigt, Kinder gegen Schädigungen ihrer Gesundheit, die ihnen von ihren Erziehern zugefügt werden, künftig durch Artikel 123 über die einfache Körperverletzung zu schützen und auf die Sonderregelung in Artikel 134 zu verzichten. Damit dieser Schutz dem bisherigen zumindest gleichwertig ist (Verfolgung von Amtes wegen), wird Artikel 123, wie erläutert, durch den neuen qualifizierten Tatbestand in Ziffer 2 Absatz 3 ergänzt (vgl. Ziff. 213.2). Vor schweren Körperverletzungen schützt das Kind weiterhin Artikel 122, der im Gegensatz zu Artikel 123 dem Artikel 134 des geltenden Rechts ohnehin vorgeht.

Im übrigen empfiehlt es sich, die schwere Gefährdung von Gesundheit und geistiger Entwicklung des
Kindes nicht mehr in der Form unter Strafe zu stellen, wie es Artikel 134 des geltenden Rechts vorsieht. Sie ist nämlich von äusserst geringer praktischer Bedeutung; einmal deshalb, weil an sie überaus hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. BGE 98 IV 186). Ausserdem ist es meist sehr schwierig, dem Täter nachzuweisen, dass er die Gefährdung voraussehen konnte, geschweige denn, dass sich sein Vorsatz darauf richtete. Wir schlagen für diesen Gefährdungstatbestand freilich Ersatz vor, soweit ein solcher mehr Wirkung verspricht. Einmal handelt es sich dabei um den bereits erläuterten neuen Artikel 126 Absatz 2, wonach Tätlichkeiten von Amtes wegen zu ahnden sind, wenn sie wiederholt namentlich gegenüber Kindern verübt werden. Denn solche Züchtigungen gefährden in der Regel ohne Zweifel die ungestörte seelische Entwicklung der Kinder (vgl. Ziff. 213.5). Mit dem neu formulierten Artikel 219 unterbreiten wir überdies einen Gefährdungstatbestand, der die Unzulänglichkeiten des bisherigen Artikels 134 soweit als möglich vermeidet (vgl.

Ziff. 215.7). Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auch noch auf Artikel 127 über die Aussetzung zu verweisen (vgl. Ziff. 214.1).

1043

Die Absätze 2 und 3 von Artikel 134 Ziffer l ersatzlos zu streichen, rechtfertigt sich wiederum schon deshalb, weil es sich hier um typische erfolgsqualifizierte Delikte handelt, die den Schuldgrundsatz verletzen (vgl. Ziff. 213.1).

Anders verhält es sich mit Ziffer 2 des geltenden Artikels 134, die den Richter verpflichtet, die vormundschaftlichen Behörden von den nach Ziffer l strafbaren Handlungen in Kenntnis zu setzen, um geeignete Schutzmassnahmeh zugunsten des Kindes zu ermöglichen. Mit den neuen Artikeln 358bls und 358ter wird ein mehr als gleichwertiger Ersatz dafür vorgeschlagen (vgl. Ziff. 216.1 und 216.2).

Der Vorschlag, Artikel 134 des geltenden Rechts aufzuheben, fand im Vernehmlassungsverfahren breite Zustimmung, allerdings meist unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die als Ersatz vorgesehenen neuen Bestimmungen (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3, Art. 126 Abs. 2 und Art. 219) tatsächlich Gesetz werden.

Für die kleine Minderheit, die der Streichung opponierte, stand das Argument im Vordergrund, die Vorschrift werde durch die neuen Bestimmungen nur ungenügend ersetzt, sei es inhaltlich oder jedenfalls hinsichtlich ihrer psychologischen, generalpräventiven Wirkung. Auf diese Einwände sind wir schon bei der Besprechung der entsprechenden neuen Bestimmungen eingegangen (vgl.

Ziff. 213.1 und 215.7), doch sei wiederholt, dass die Vorschriften, die an die Stelle von Artikel 134 des geltenden Rechts treten, Kinder besser gegen Misshandlungen und Gefährdungen schützen, weil sie die Voraussetzungen für strafrechtliches Eingreifen klarer und teilweise weniger streng umschreiben.

214.8

Überanstrengung von Kindern und Untergebenen (Art. 135 geltendes Recht: Aufhebung)

Gleich wie Artikel 134 soll auch Artikel 135 des geltenden Rechts gänzlich aufgehoben werden. Den Grundtatbestand von Ziffer l Absatz l erfüllt, «wer aus Selbstsucht oder Bosheit die körperlichen oder geistigen Kräfte seines unmündigen Kindes oder eines ihm untergebenen unmündigen oder weiblichen oder gebrechlichen oder schwachsinnigen Angestellten, Arbeiters, Lehrlings, Dienstboten, Zöglings oder Pfleglings so überanstrengt, dass dessen Gesundheit eine Schädigung oder schwere Gefährdung erleidet». Auch hier ist nicht die eher kompliziert umschriebene Tathandlung der Überanstrengung entscheidend, sondern vielmehr, ob dadurch die Gesundheit des Opfers geschädigt oder schwer gefährdet wurde. Ist das Opfer ein Kind des Täters oder steht es aus ändern Gründen unter dessen Obhut und Fürsorge, gilt hier analog, was zur Aufhebung des geltenden Artikels 134 ausgeführt worden ist (vgl. Ziff. 214.7). Durch den neuen Artikel 123 Ziffer 2 Absatz 3 werden Schädigungen und durch den neuen Artikel 219 Gefährdungen der Gesundheit solcher Opfer künftig klarer erfasst. Im Vergleich zum geltenden Artikel 135 wird der Schutz eindeutig auch besser sein, weil die einschränkenden besonderen Gesinnungsmerkmale «Selbstsucht» und «Bosheit» nicht mehr Voraussetzung der Strafbarkeit sein werden. Soweit diese Vorschrift auch noch andere dem Täter untergebene Personen vor Überanstrengung schützt, ist sie überholt. Dem Schutz der Arbeitnehmer dient heute in erster Linie das öffentliche Arbeitsrecht. Führen schlechte 1044

Arbeitsbedingungen aber zu Gesundheitsschäden, die Körperverletzungen im Sinne der Artikel 122 ff. StGB darstellen, kommen diese zur Anwendung. Artikel 62 Absatz l des Arbeitsgesetzes (SR 822.11) behält übrigens die Bestimmungen des Strafgesetzbuches ausdrücklich vor. Ferner ist die diskriminatorische Gleichstellung von erwachsenen weiblichen mit unmündigen, gebrechlichen und insbesondere schwachsinnigen Arbeitnehmern durch den geltenden Artikel 135 ohnehin nicht mehr zeitgemäss. Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass die praktische Bedeutung der Bestimmung stets äusserst gering war.

Zur Streichung von Ziffer l Absätze 2 und 3 sowie Ziffer 2 gelten sinngemäss unsere Erläuterungen zur Aufhebung der völlig analogen Bestimmungen in Artikel 134 Ziffer l Absätze 2 und 3 sowie Ziffer 2 (vgl. Ziff. 214.7).

Im Vernehmlassungsverfahren regte sich gegen die Aufhebung von Artikel 135 noch geringere Opposition als gegen jene von Artikel 134.

214.9

Gewaltdarstellungen (Art. 135 -[neu])

Beim neuen Artikel 135 handelt es sich um eine Bestimmung, wie sie bisher, jedenfalls was deren Kerngehalt betrifft, im Strafgesetzbuch nicht enthalten war.

Sie bedroht die Herstellung und jegliche Form der Weitergabe, Veröffentlichung oder Verbreitung bestimmter grausamer Gewaltdarstellungen sowie eine Anzahl von Vorbereitungshandlungen dazu mit Gefängnis oder Busse.

Der Tatbestand entspricht hinsichtlich der Tatmittel, d. h. der Medien oder Träger der strafbaren Darstellungen sowie hinsichtlich der Tathandlungen wörtlich dem neuen Pornographie-Artikel (Art. 197). Deshalb verweisen wir diesbezüglich vollumfänglich auf die Ausführungen zu Artikel 197 (vgl. Ziff. 232.41). Die beiden Bestimmungen unterscheidet also einzig die Art der verpönten Darstellungen, dort die Pornographie und hier die Brutalität. Es bleibt als Kern des neuen Artikels 135 demnach zu erläutern, welche Gewaltdarstellungen er verbieten will. Sie sind im Gesetzestext mit «eindringlich dargestellte, grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere ohne schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wen» umschrieben. Diese Formulierung bringt den zentralen Beweggrund für die Schaffung eines derartigen Tatbestandes zum Ausdruck: Wie die Pornographie können Brutalitätsdarstellungen entweder das sittliche Empfinden in einem unerträglichen Mass verletzen oder aber, was schwerer wiegt, das Verhalten insbesondere junger Menschen in einer für sie und die Gesellschaft negativen Weise beeinflussen. Es sind verrohende, zu gewalttätigem Verhalten gegenüber Mitmenschen verleitende Wirkungen zu befürchten. Dies kann nicht hingenommen werden, wenn wir anderseits die tatsächliche Anwendung von Gewalt gegen Mitmenschen durch zahlreiche 'Bestimmungen unter Strafe stellen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass nicht die Darstellung sämtlicher Gewalttätigkeiten bis hin zur harmlosesten Tätlichkeit bestraft werden soll, sondern nur jene, welche die befürchteten schlechten Einflüsse auf die Betrachter haben können. Daher bedarf es einmal der Einschränkung auf schwere, extreme Formen der Gewaltdarstellung, auf Brutalitäten im engsten Sinn. Der geläufige, 1045

auch an ändern Stellen im Strafgesetzbuch gebrauchte Begriff der «Grausamkeit» (vgl. Art. 139 Ziff. 3, 195 Abs. 3 StGB bzw. Art. 189/190 des Entwurfs, Ziff. 232.21 und 232.22) erscheint uns dafür sehr geeignet. Grausam ist eine Gewalttätigkeit dann, wenn sie in der Realität für das Opfer besonders schwere körperliche oder seelische Leiden mit sich brächte. Oft wird diese Wirkung nicht bloss durch einmalige, sehr intensive Gewalt, sondern durch die besondere, ausgefallene Art, die Dauer oder die Wiederholung der Gewaltanwendung hervorgerufen. Sie setzt ausserdem einen jeder menschlichen Regung baren Gewalttäter voraus. Die Eindringlichkeit der grausamen Darstellung als weiteres Merkmal fordert, dass die Darstellung geeignet ist, in das Bewusstsein des Betrachters einzudringen. Diese Einprägsamkeit braucht nicht unbedingt mit einer wiederholten, länger dauernden Darstellung verbunden zu sein. Auch eine einmalige, intensive Darstellung kann als eindringlich gelten.

Ausserdem muss es sich um Darstellungen «ohne schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert» handeln; nur in diesem Falle wohnt ihnen -jedenfalls, was die Wirkung auf den erwachsenen Betrachter betrifft - jenes Gefährdungspotential inné, das pönale Sanktionen rechtfertigt. Eines kulturellen Wertes entbehren Darstellungen, die sich im wesentlichen darin erschöpfen, Grausamkeiten bloss zur Unterhaltung oder Belustigung darzubieten. Dokumentarische oder künstlerische Werke hingegen führen Grausamkeiten vor Augen, um die Folgen individueller oder kollektiver Gewalt exemplarisch zu illustrieren und das kritische Bewusstsein für deren Verwerflichkeit zu wecken oder zu schärfen. Es kommt entscheidend auf diesen Kontext der dargestellten Grausamkeiten an. Ist er gegeben und wird Gewalt weder verherrlicht noch verharmlost, so lässt sich ein kultureller Wert annehmen.

Der wissenschaftliche Wert hängt von der Notwendigkeit der Darstellung für Lehre und Forschung ab.

Die Bestimmung nennt bewusst Brutalitäten gegen Menschen und Tiere (Tiere im Sinne von Art. l Abs. 2 des Tierschutzgesetzes ; SR 455), da beide Formen von Gewaltdarstellungen jene verrohende, letztlich zu Gewaltakten gegen Mitmenschen befähigende Wirkung ausüben können. Der Einbezug des Tieres bezweckt hier also den Schutz des Menschen, weshalb Artikel 27 des Tierschutzgesetzes
diesen Einbezug nicht entbehrlich macht.

Aufgrund der Einsicht, dass Brutalitätsdarstellungen einen mindestens ebenso schädlichen Einfluss insbesondere auf junge Menschen haben können wie die Pornographie, bestand ohne Zweifel schon lange ein latentes Bedürfnis nach einer solchen Strafnorm. Die Schwierigkeit, sie zu formulieren und einzugrenzen, war wohl der Hauptgrund, weshalb sie bisher nicht Gesetz wurde. Indessen ist das Bedürfnis danach in den vergangenen drei bis vier Jahren, in deren Verlauf sich die Gewohnheit sprunghaft verbreitet hat, in privatem Kreis Filme ab Videokassetten zu konsumieren, sehr dringend geworden. Dabei fanden auch Kassetten brutalen Inhalts zunehmenden Absatz, erschreckenderweise nicht zuletzt bei Jugendlichen. Zwar erlauben die geltenden Artikel 204 StGB (Unzüchtige Veröffentlichungen) und 212 StGB (Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder), gegen die fraglichen Erzeugnisse vorzugehen, sofern sie Brutalitäten zusammen mit strafbarer Pornographie enthalten. Gegen die ausschliessliche Darstellung von Gewalttätigkeiten bieten jedoch nur die Be-

1046

Stimmungen einiger Kantone eine Handhabe, die im Rahmen des Übertretungsstrafrechts die Verbreitung von verrohend wirkenden Schriften, Filmen usw. mit Strafe bedrohen. In der Öffentlichkeit wurde daher bald der Ruf laut, diese Gesetzeslücke rasch zu schliessen. Auch in den eidgenössischen Räten erfolgten sozusagen aus allen politischen Lagern entsprechende Vorstösse (Einfache Anfrage Oester vom 20. Sept. 1982; Motion Zbinden vom 30. Nov. 1982; Motion Guntern vom 14. Dez. 1982 und Postulat Jaggi vom 16. Dez. 1982).

Nach Ziffer l Absatz 2 sind Darstellungen, die blosse Gewalttätigkeit zum Gegenstand haben, vom Richter einzuziehen, ohne dass der in Artikel 58 StGB verlangte Nachweis zu erbringen ist, dass solche Erzeugnisse die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden würden. Die gleiche Regelung sehen wir im übrigen für die Einziehung von Darstellungen der harten Pornographie vor (vgl. Ziff. 232.41).

Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so soll der Richter neben einer Gefängnisstrafe zwingend auch Busse verfügen. Wir beantragen Ihnen diese Regelung, weil Artikel 50 StGB für den Fall der Gewinnsucht lediglich die Möglichkeit einer zusätzlichen Busse vorsieht.

Unseres Erachtens enthält auch der Expertenentwurf keine Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach die ausschliessliche Darstellung von Brutalitäten zweifelsfrei erfassen würde. Die gegenteilige Ansicht, Artikel 204 Ziffer 4 des Expertenentwurfs über die harte Pornographie schliesse blosse Gewalttätigkeiten ein s) , überzeugt nicht restlos. Auch das Vernehmlassungsverfahren zeigte, dass diese Bestimmung in der Regel nicht so verstanden wurde. : In einer Reihe von Vernehmlassungen wurde eine zusätzliche, separate Bestimmung über die Gewaltdarstellungen verlangt.

Die umfangreichen rechtsvergleichenden Abklärungen blieben wenig ergiebig.

Von den in die Untersuchung einbezogenen europäischen Ländern kennen nur die Bundesrepublik Deutschland und Schweden Bestimmungen, welche die Verbreitung gewisser Gewaltdarstellungen generell unter Strafe stellen. Die Bundesrepublik ist im Begriffe, ihre Vorschrift zu verschärfen, weil sie sich infolge gewisser unbestimmter Gesetzesbegriffe als zu wenig wirksam erwies.

Frankreich, Grossbritannien und Italien verfügen diesbezüglich bloss über gewisse Jugendschutzbestimmungen,
während Österreich, Holland und Belgien sich darauf beschränken, Gewaltdarstellungen strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie zusammen mit Pornographie gezeigt werden.

Ein Blick auf die Systematik des «Zweiten Buches» des Strafgesetzbuches erhellt rasch, dass als geeigneter Standort des neuen Artikels von den bestehenden neunzehn Titeln nur der erste (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben) oder der zwölfte (Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden) ernsthaft in Betracht fallen. Zur Einordnung unter die «Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit» (4. Untertitel) im Ersten Titel hat uns schliesslich das Hauptmotiv für die strafrechtliche Verfolgung von Gewaltdarstellungen bewogen: deren Eignung, bei vielen Betrachtern die Bereitschaft zur eigenen Gewaltanwendung gegen Mitmenschen zu erhöhen oder zumindest die Gleichgültigkeit gegenüber Gewalttätigkeiten im allgemeinen zu fördern. Das bedeutet letztlich nichts anderes als eine abstrakte Gefährdung von Leib und Leben.

1047

214.10

Verabreichen gesundheitsgefährdender Stoffe an Kinder (Art. 136)

Der geltende Artikel 136 bedroht mit Haft oder Busse, wer einem Kind unter 16 Jahren geistige Getränke von einer Art oder in einem Masse zu trinken gibt oder geben lässt, die des Kindes Gesundheit schädigen oder gefährden. Die Vorschrift erfährt nach unserem Vorschlag drei erhebliche Änderungen, die alle auf eine Verschärfung hinauslaufen und somit ein weiteres Element eines wirksameren Jugendschutzes darstellen, wie ihn diese Vorlage unter anderem anstrebt.

War es bisher nur der Alkohol, dessen Abgabe an Kinder strafbar war, soll dies künftig auch für andere gesundheitsgefährdende Stoffe, insbesondere für Betäubungsmittel im Sinne von Artikel l des Betäubungsmittelgesetzes (S R 812.121) gelten.

Unter «ändern Stoffen» sind jedoch auch Medikamente, die ohne medizinische Indikation abgegeben werden, und Raucherwaren zu verstehen. Die Verabreichung soll, wie bisher für Alkohol, erst strafbar sein, wenn sie in Mengen erfolgt, welche die Gesundheit der betroffenen Kinder wirklich gefährden können. Wir haben diese Präzisierung, die auch in zahlreichen Vernehmlassungen verlangt wurde, wieder in den Gesetzestext eingefügt.

Demgegenüber soll die Abgabe schon geringster Mengen von Betäubungsmitteln an Kinder strafbar sein. Das Gesetz stellt also die unumstössliche Vermutung auf, dass Drogen für Kinder in jeder Quantität gefährlich sein können.

Dies bedeutet eine bewusste Abweichung von Artikel I9b des Betäubungsmittelgesetzes, der die unentgeltliche Abgabe von Betäubungsmitteln zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums für nicht strafbar erklärt, wenn es sich dabei um geringfügige Mengen handelt. Es versteht sich, dass Artikel 136 StGB jener Bestimmung vorgeht. Artikel 19b des Betäubungsmittelgesetzes bleibt somit in diesem Zusammenhang nur noch für die unentgeltliche Abgabe von Betäubungsmitteln an über 16jährige anwendbar. Die Expertenkommission begründete diese Regelung mit der Erfahrung, dass je länger desto mehr jüngere Menschen zu Drogen greifen. Daran hat sich leider bis heute wenig geändert.

Gleich wie bei den bisherigen Artikeln 134 und 135 ist auch beim geltenden Artikel 136 die Tathandlung als solche für die Strafbarkeit nicht entscheidend, sondern vielmehr, ob sie zu einer Schädigung oder mindestens zu einer konkreten Gefährdung der Gesundheit des Kindes führte. Dabei ist
dem Täter stets der darauf gerichtete Vorsatz zu beweisen. Nach revidiertem Artikel 136 ist ein solcher Erfolg nicht mehr nötig und darin besteht die zweite entscheidende Neuerung. Der Tatbestand ist mit dem Verabreichen des gefährlichen Stoffes erfüllt, sofern eben die Menge für eine Gefährdung grundsätzlich ausreichte.

Ob im Einzelfall wirklich eine Gefährdung bestand, braucht nicht mehr nachgewiesen zu werden. Demnach handelt es sich jetzt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Eigentliche Gesundheitsschädigungen in Folge solchen Verhaltens sollen künftig sinnvollerweise durch die entsprechenden Körperverletzungstatbestände erfasst werden.

1048

Als dritte wichtige Änderung soll aus der bisherigen Übertretung ein Vergehen werden, droht für die Tat doch künftig Gefängnis oder Busse, Angesichts der schweren Gefahr, der man die Gesundheit der Kinder insbesondere durch Drogen bewusst aussetzt, ist diese Verschärfung ohne weiteres gerechtfertigt.

Was die Schutzaltersgrenze betrifft, schlagen wir keine Änderung des geltenden Rechts vor. Die Kinder sollen gegen diese Art der Gefährdung weiterhin bis zum vollendeten 16. Altersjahr geschützt werden. Das entspricht sinnvollerweise auch der Altersgrenze in ändern Bestimmungen, vornehmlich jener in Artikel 187 unseres Entwurfs. Die Expertenkommission hatte, in Parallele zu Artikel 187, auch in dieser Vorschrift eine Senkung auf 14 Jahre vorgeschlagen, doch stiess diese Änderung hier wie dort auf massive Kritik zahlreicher Vernehmlassungen.

In einer Anzahl von Verlautbarungen wurde zwar die generelle Bestrafung der Abgabe von Drogen an Kinder begrüsst, eine solche Regelung aber anstatt im Strafgesetzbuch im Betäubungsmittelgesetz gewünscht. Für diese Lösung spricht, dass damit alle eigentlichen Betäubungsmitteldelikte im gleichen Gesetz geregelt würden, und ihr wäre ohne Zögern zuzustimmen, gäbe es nicht Artikel 136 StGB. Dessen Existenz lässt es aber als ebenso zweckmässig erscheinen, sämtliche gesundheitsgefährdenden Stoffe, deren Abgabe an Kinder strafbar sein soll, in dieser Bestimmung zusammenzufassen. Diese Lösung ist überdies verfahrensmässig einfacher, weil damit das Betäubungsmittelgesetz nicht auch noch einer Teilrevision unterzogen werden muss.

Abgesehen von den erläuterten Einwänden zu einzelnen Punkten stiess die vorgeschlagene neue Bestimmung als Ganzes im Vernehmlassungsverfahren auf ein fast ausschliesslich positives Echo.

215

Delikte gegen die Familie

215.1

Inzest (Art. 213)

Die vier Änderungen am geltenden Artikel 213 über die Blutschande, die wir vorschlagen, sind nicht grundlegender Natur. Namentlich bleibt der Beischlaf zwischen Blutsverwandten in gerader Linie und zwischen Geschwistern generell strafbar.

Der vorgeschlagene neue Randtitel «Inzest» entspricht unseres Erachtens dem heutigen Sprachgebrauch weit besser als der veraltete und unschöne deutsche Begriff «Blutschande». Dass damit ein weiteres Fremdwort in die Gesetzessprache Eingang findet, erscheint für einmal als das kleinere Übel.

Inzestuöse Beziehungen sollen, anstatt wie bisher mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Monat, künftig mit Gefängnis bedroht werden. Damit wird aus dem bisherigen Verbrechen ein Vergehen. Diese an sich bescheidene Milderung lässt sich allein schon damit rechtfertigen, dass der Vorschlag der Expertenkommission, den Inzest zwischen Personen über 18 Jahren gänzlich straflos zu lassen, im Vernehmlassungsverfahren immerhin eine Reihe von Anhängern fand. Überdies gilt auch hier, was zur gleichen Än1049

derung schon bei Artikel 116 ausgeführt wurde (vgl. Ziff. 212.4): Eine Höchststrafe von drei Jahren Zuchthaus vorzusehen hat wenig Sinn mehr, nachdem seit der StGB-Teilrevision von 1971 zwischen Zuchthaus und Gefängnis im Vollzug keine Unterschiede mehr bestehen. Und von Mindeststrafdrohungen soll künftig entsprechend einer allgemein befolgten Linie wenn immer möglich abgesehen werden. Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass inzestuöse Beziehungen mit Kindern unter 16 Jahren in Idealkonkurrenz auch den Tatbestand von Artikel 187 des Entwurfs (Geschlechtliche Handlungen mit Kindern) erfüllen, der mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis die schärfere Strafe androht (vgl. Ziff. 232.11). In solchen Fällen könnte deshalb eine Zuchthausstrafe bis zu siebeneinhalb Jahren verhängt werden.

Allerdings ist dies noch immer eine erheblich mildere Strafdrohung, als sie der geltende Artikel 191 Ziffer l Absatz 2 (Unzucht mit Kindern) für die gleiche Tat kennt, nämlich Zuchthaus von 2-20 Jahren. Schon deshalb ist es richtig, solche Beziehungen mit über 16jährigen Unmündigen keiner qualifizierten Strafe mehr zu unterstellen, also den geltenden Absatz 2 von Artikel 213 zu streichen. Zudem kann auch hier Idealkonkurrenz gegeben sein, nämlich zu Artikel 188 des Entwurfs (Geschlechtliche Handlungen mit Abhängigen), sofern der Inzest mit dem Unmündigen durch Ausnützung von dessen Abhängigkeit zustande gekommen ist. Freilich könnte in solchen Fällen nach Artikel 68 Ziffer l letzter Satz höchstens eine Gefängnisstrafe von drei Jahren ausgefällt werden, da sowohl Artikel 213 des Entwurfs (Inzest) wie Artikel 188 des Entwurfs nur Gefängnis androhen.

Dass Unmündige nur dann straflos bleiben, wenn sie, wie nach geltendem Recht, einer Verführung durch Mündige erlegen sind, ist nicht recht einzusehen.

Denn es kann durchaus vorkommen, dass Jugendliche von um einige Jahre älteren aber noch unmündigen Geschwistern zum Inzest verführt werden. Auch in solchen Fällen sollten die Verführten konsequenterweise straflos bleiben.

Der Expertenentwurf sah hier eine tiefgreifende Entkriminalisierung vor. Seine Inzest-Bestimmung beschränkte sich darauf, den Beischlaf mit seinem mehr als 14, aber noch nicht 18 Jahre alten Kind oder Grosskind mit Gefängnis zu bedrohen. Der Inzest mit unter 14jährigen hätte danach bloss vom neuen
Artikel 187 erfasst werden sollen, der die geschlechtlichen Handlungen mit Kindern dieses Alters (nach unserem Vorschlag Kinder bis zum vollendeten 16. Altersjahr) generell unter Strafe stellt. Inzestuöse Beziehungen zwischen über 18 Jahre alten Erwachsenen hingegen wären gänzlich straflos geblieben, unter Geschwistern schon ab 14 Jahren, sofern nicht Artikel 188 des Entwurfs über die geschlechtlichen Handlungen mit abhängigen Jugendlichen anwendbar gewesen wäre.

Zur Begründung dieser Vorschläge führte die Expertenkommission im wesentlichen aus, eugenische Schäden des Inzestes liessen sich nicht nachweisen. Falls Kinder aus solchen Beziehungen geschädigt seien, dann nicht wegen des Inzestes, sondern weil sie aus erheblich belasteten Familien stammten. Wie das Vernehmlassungsverfahren offenbarte, war diese Begründung missverständlich. Es wurde nicht klar, dass die Kommission bloss ausdrücken wollte, der Inzest als solcher führe nicht zwingend zu eugenischen Schäden; sie wollte damit die

1050

überdurchschnittlich hohe Quote von genetisch geschädigten Kindern aus Inzestbeziehungen nicht bestreiten. Im übrigen hielt sie dafür, seelische Schädigungen an jüngeren, aber über 18jährigen Beteiligten seien nicht feststellbar.

Ebensowenig sei ein Inzest in der Regel Hauptursache für die Störung einer Familie; denn die Familie, in denen er vorzukommen pflege, sei schon vorher nicht mehr intakt gewesen. Es sei vielmehr erst die wegen dieser Tat durchgeführte Strafverfolgung, die für die betroffene Familie sehr schädlich sein könne.

Demnach bedürften einzig die Heranwachsenden des strafrechtlichen Schutzes vor inzestuösen Beziehungen, damit ihnen so die umsorgende, stützende und helfende Atmosphäre der Familie erhalten bleibe. Diese sei nicht mehr gewährleistet, wenn Eltern oder Grosseltern sexuelle Beziehungen mit ihren Nachkommen pflegten, weil die Rolle des Erziehers und jene des Sexualpartners miteinander nicht vereinbar seien.

Diese Begründung rief im Vernehmlassungsverfahren und in der weiteren Öffentlichkeit massive Kritik hervor. Auf wenig Verständnis stiessen zunächst, wie schon angedeutet, die Ausführungen der Experten zur Gefahr eugenischer Schädigungen von Kindern aus Inzest-Beziehungen. Bezweifelt wurde auch, dass sich über 18jährige gegen sexuelle Zumutungen älterer Aszendenten in der Regel wehren könnten. Familienbedingte Abhängigkeiten würden im Gegenteil oft auch gegenüber erwachsenen Nachkommen, insbesondere gegenüber Töchtern, mit Erfolg missbraucht. Ferner wurde betont, es komme nicht nur darauf an, ob einzelne am Inzest Beteiligte seelisch geschädigt würden. Entscheidend sei vielmehr, dass der Inzest die Familie als Institution in Frage stelle. Inzestuöse Beziehungen zwischen Beteiligten jeden Alters seien grundsätzlich dazu angetan, den Familienfrieden zu stören. Aus Gründen des Familienschutzes, aber auch aufgrund ethisch-moralischer Erwägungen müsse der Inzest mithin strafbar bleiben. Dies entspreche einem weitverbreiteten, gesunden Volksempfinden, auf das Rücksicht zu nehmen sei. Denn das Inzestverbot habe eine sehr lange Tradition und sei im Bewusstsein unserer Bevölkerung tief verwurzelt.

Schliesslich verwiesen viele auf die generalpräventive Wirkung dieser Strafbestimmung, die allein mit dem Hinweis auf eine hohe Dunkelziffer in diesem Bereich nicht in Frage gestellt
werden könne.

Wie aus den einleitenden Erläuterungen ersichtlich wird, haben wir der erdrükkenden Mehrheit ablehnender Vernehmlassungen und den dazu vorgetragenen Argumenten Rechnung getragen. Wir unterbreiten Ihnen für Artikel 213 nur Änderungen, die auch im Vernehmlassungsverfahren mehrheitlich Zustimmung fanden. Das gilt namentlich für die mildere Strafdrohung und das Absehen von einer qualifizierten Strafe für Inzest mit 16-20jährigen.

215.2

Ehebruch (Art. 214: Aufhebung)

Artikel 214 StGB ist seit langem umstritten. Danach werden der Ehegatte und die Person, mit der er den ausserehelichen Beischlaf vollzog, auf Antrag des betrogenen Ehegatten bestraft, sofern dieser Ehebruch Ursache der Ehescheidung oder -trennung war. Der kriminalpolitische Nutzen dieser Strafnorm ist zweifel1051

haft; weder in speziai- noch in generalpräventiver Hinsicht lassen sich überzeugende Argumente für sie anführen. Sie wurde in den letzten Jahren nach Verurteilungsstatistiken kaum je angewendet. Für den betrogenen Ehegatten kann die Bestimmung zu einem fragwürdigen Instrument der Rache werden. Aus heutiger Sicht ist hier eine Strafnorm fehl am Platz. Die zivilrechtlichen Bestimmungen betreffend Ehetrennung und -scheidung sowie deren Folgen genügen, um einem tatsächlich betrogenen Ehegatten Genugtuung zu verschaffen.

Der Vorschlag der Expertenkommission, den Tatbestand zu streichen, fand im Vernehmlassungsverfahren denn auch einhellige Zustimmung.

215.3

Mehrfache Ehe (Art. 215)

Wer verheiratet ist und eine weitere Ehe schliesst, wird nach geltendem Artikel 215 mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Unverheiratete, die mit einer schon verheirateten Person eine Ehe eingehen, werden etwas weniger hart angefasst, wohl weil sie selber keine Treuepflicht verletzen. Ihnen droht «nur» Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Gefängnis.

Beide materiellen Änderungen, die wir für diesen Tatbestand vorschlagen, betreffen die Strafdrohungen: Zum einen soll die unterschiedliche Behandlung von verheirateten und unverheirateten Tätern aufgehoben werden. Die verheiratete Person, die eine weitere Ehe eingeht, trifft nicht zwingend und im vornherein ein höheres Verschulden als den bisher unverheirateten Partner. Und ist im Einzelfall ein solcher Unterschied feststellbar, besteht auch bei gleicher Strafdrohung genügend Spielraum, diesen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Zum zweiten soll die von Artikel 215 erfasste Tat künftig kein Verbrechen, sondern nurmehr ein Vergehen sein, indem sie neu mit Gefängnis "schlechthin bedroht wird. Bei aller Notwendigkeit, die monogame Ehe als ein tragendes Element unserer Gesellschaft und Kultur weiterhin auch strafrechtlich zu schützen, erscheint die bisherige Strafdrohung aus heutiger Sicht doch als zu < hoch. ' Für die weiteren Gründe, die dagegen sprechen, Zuchthaus bis zu drei Jahren oder die Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis anzudrohen, verweisen wir auf unsere Ausführungen an anderer Stelle (vgl. Ziff. 212.4, 214.1 und 215.1).

Die vorgesehene Gleichbehandlung von verheirateten und unverheirateten Tätern hinsichtlich der Strafdrohung ermöglicht es, die zwei Absätze der geltenden Bestimmung zusammenzufassen. Darüberhinaus soll der Tatbestand, was den Inhalt des bisherigen Absatzes 2 betrifft, noch weiter vereinfacht werden, freilich, ohne damit sachliche Änderungen zu bewirken. Es soll nicht mehr davon gesprochen werden, «der Unverheiratete, der wissentlich mit einer verheirateten Person eine Ehe schliesst», sei strafbar. Einmal ist es künftig unnötig, den unverheirateten Täter ausdrücklich als solchen zu bezeichnen, weil nur er gemeint sein kann. Denn Verheiratete fallen ohnehin aufgrund des ersten Satzes unter den Tatbestand, unabhängig davon, ob sie die zusätzliche Ehe mit einem verheirateten oder unverheirateten Partner schliessen.

1052

Ferner soll das Adverb «wissentlich» fallengelassen werden. Sofern es nämlich die Bedeutung von «vorsätzlich» hat, ist es überflüssig. Damit der Tatbestand erfüllt ist, muss sich das Wissen bzw. der Vorsatz des unverheirateten Täters nach den allgemeinen Regeln ohnehin - wie auf alle ändern objektiven Tatbestandsmerkmale - auch darauf beziehen, dass der Partner verheiratet ist. «Wissentlich» könnte wie beim geltenden Artikel 129 (Gefährdung des Lebens) aber auch dahin interpretiert werden, es bezeichne den direkten Vorsatz und schliesse damit den Eventualvorsatz aus (vgl. Ziff. 214.3). Für einen solchen Ausschluss besteht in diesem Zusammenhang jedoch keine Berechtigung.

Alle hier unterbreiteten Änderungen gehen im wesentlichen auf den Vorentwurf der Expertenkommission zurück und wurden im Vernehmlassungsverfahren fast ausnahmslos gutgeheissen. Vereinzelte Kritik erwuchs der Herabsetzung der Strafdrohung. Auch wenn diese Stimmen durchaus nicht die Mehrheit bildeten, haben wir ihnen teilweise Rechnung getragen, indem wir in Abweichung vom Expertenvorschlag als Strafdrohung nur Gefängnis und nicht alternativ auch noch Busse vorsehen. Damit soll verhindert werden, dass in einzelnen Fällen nur eine Geldstrafe ausgefällt wird, was uns für dieses Delikt doch zu mild schiene, vor allem, wenn dieses von begüterten Leuten begangen wird.

Wir halten es hingegen für unnötig, den Tatbestand dahingehend zu präzisieren, dass ihn nur erfüllt, wer «nach schweizerischem Recht» verheiratet ist.

Diese Ergänzung wurde in einer Vernehmlassung angeregt, um die Bestrafung in Fällen auszuschliessen, in denen die Schweiz die Scheidung und Wiederverheiratung von Ausländern zulässt, obwohl nach dem Heimatrecht eines oder beider Partner die Scheidung nicht anerkannt wird und die frühere Ehe fortbesteht (sog. hinkende Ehen). Gerade weil nach schweizerischem Zivilrecht Scheidung und Wiederverheiratung in derartigen Fällen gültig sind, versteht es sich von selbst, dass damit keine Straftat nach Artikel 215 StGB begangen wird. Anderseits darf der Tatbestand nicht bloss auf Fälle eingeschränkt werden, in denen die schon bestehende Ehe in der Schweiz geschlossen wurde. Eine solche Interpretation wäre nach der angeregten Formulierung möglich. Die mehrfache Ehe ist ebenso strafwürdig, wenn die erste Ehe im Ausland geschlossen wurde
und vom schweizerischen Recht anerkannt wird. Form und Gültigkeit der Ehe richten sich gemäss internationalem Privatrecht ohnehin grundsätzlich nach dem Recht des Ortes der Eheschliessung. Das bedeutet auch, dass nach Artikel 215 StGB nicht strafbar ist, wer nach ausländischem Recht schon gültig mit mehreren Partnern verheiratet ist. Ein neuer, zusätzlicher Eheschluss darf bloss nicht in der Schweiz erfolgen oder erfolgt sein.

215.4

Unterdrückung und Fälschung des Personenstandes (Art. 216: Aufhebung)

Nach Artikel 216 wird mit Gefängnis, in schweren Fällen gar mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft, wer den Personenstand eines ändern unterdrückt oder fälscht, namentlich ein Kind unterschiebt. Der Tatbestand erscheint aus folgenden Gründen entbehrlich: Die von ihm erfassten Verhaltensweisen sind in vielen Fällen auch nach Artikel 253 (Erschleichung einer falschen Beurkundung), 1053

254 (Unterdrückung von Urkunden) und eventuell 317 (Urkundenfälschung durch Beamte) strafbar, weil oft die Fälschung eines Registers erwirkt werden muss. Ja, sie erscheinen eigentlich erst dann wirklich strafwürdig. Anders verhält es sich, wenn die Tat durch Aussetzung oder Auswechslung Neugeborener begangen wird. Doch zum einen sind diese Fälle höchst selten. Und ergibt sich daraus eine Gefährdung von Leib oder Leben der betreffenden Kinder, greifen zudem die neu vorgeschlagenen Artikel 219 (Verletzung der Fürsorge und Erziehungspflicht) oder 127 (Aussetzung) ein.

Wir schliessen uns aus diesen Gründen dem Streichungsvorschlag der Expertenkommission an, der auch im Vernehmlassungsverfahren sehr gut aufgenommen wurde. Freilich wurden aus Kreisen von Zivilrechtsexperten Bedenken gegen die vollständige Streichung des Artikels laut. Weder die Seltenheit von Kindsaussetzungen noch die Tatsache, dass sie künftig von ändern Bestimmungen erfasst würden, falls das Kind dabei Schaden leide, seien genügende Argumente dafür. Denn das in hohem Grade schützenswerte Rechtsgut sei hier das durch Geburt begründete Kindsverhältnis zur Mutter und, falls sie verheiratet ist, auch zum Vater. Anders gesagt: Das Kind habe ein Recht darauf, seine Eltern zu kennen. Dieses wesentliche Element des Kindesrechts sei in Frage gestellt, wenn sich die Mutter straflos ihres Kindes entledigen könne. Deshalb wurde von dieser Seite vorgeschlagen, einen auf die Unterdrückung des Personenstandes beschränkten Artikel 216 mit gemilderter Strafdrohung weiter bestehen zu lassen. Aus den eingangs erwähnten Gründen halten wir indessen an unserem Streichungsvorschlag fest.

215.5

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217)

Hinter den Änderungen am geltenden Artikel 217 über die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten, die wir Ihnen unterbreiten, steht weitgehend das Bestreben, diese Strafnorm inhaltlich und auch sprachlich mit dem seit dem I.Januar 1978 in Kraft stehenden neuen Kindesrecht in Übereinstimmung zu bringen. Der Tatbestand erfährt dadurch eine wesentliche Verkürzung und Vereinfachung. Strafbare Handlung als solche ist freilich nach wie vor die Vernachlässigung familienrechtlicher Unterhalts- oder Unterstützungspflichten.

Keine Änderung erfährt auch die Strafdrohung, die auf Gefängnis schlechthin lautet. Auch bleibt die Tat weiterhin ein Antragsdelikt.

Hingegen wird darauf verzichtet, wie bisher durch ausdrückliche Bezeichnung der Unterhalts- oder Unterstützungsberechtigten die Pflichten näher zu umschreiben, deren Vernachlässigung Strafe nach sich zieht. Denn mit familienrechtlichen Unterhalts- und Unterstützungspflichten sind die zu erfassenden Pflichten bereits genügend klar definiert. Gemeint sind alle derartigen Verpflichtungen, die sich aus dem Familienrecht als dem Zweiten Teil des Zivilgesetzbuches (ZGB) ergeben. Es sind dies die Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehegatten (Art. 160, 161 und 192 Abs. 2 ZGB, bzw. Art. 163 des BG vom 5. Okt.

1984')), dem geschiedenen Ehegatten (Art. 151 und 152 ZGB) und dem Kind (Art. 276 ZGB), die vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der un1054

verheirateten Mutter (Art. 295 ZGB) sowie die Verwandtermnterstützungspflicht (Art. 328 und 329 ZGB). Nicht erfasst ist die Beistandspflicht eines Stiefelternteils nach Artikel 278 Absatz 2 ZGB. Da die Unterhaltspflichten offensichtlich im Vordergrund stehen, ist es sinnvoll, diesem Umstand mit einer Änderung des bisherigen Marginale in «Vernachlässigung von Unterhaltspflichten» Rechnung zu tragen. Die Änderung ist für die französische Fassung nicht notwendig, lautet diese doch schon bisher auf Unterhaltspflicht («obligation d'entretien»).

Vollends entbehrlich ist der bisherige Absatz 2 von Ziffer l ; dieser erfasst die Vernachlässigung vermögensrechtlicher Verpflichtungen, die der blosse «Zahlvater» nach altem Zivilrecht gegenüber einer von ihm ausserehelich Geschwängerten sowie gegenüber dem Kind, das einer solchen Verbindung entspross, zu erfüllen hat. Das neue Kindesrecht kennt die blosse Zahlvaterschaft und auch die Unterscheidung von ehelichen und ausserehelichen Kindern nicht mehr. Ist die Vaterschaft einmal rechtlich festgestellt, besteht zwischen Vater und Kind ein anerkanntes Verwandtschaftsverhältnis. Demnach handelt es sich bei den entsprechenden Unterhaltspflichten um solche familienrechtlicher Art, die vom neu formulierten einzigen Absatz der Ziffer l erfasst werden. Das gleiche gilt für die Ansprüche der unverheirateten Mutter.

Erheblich geändert werden sollen auch die besonderen Voraussetzungen, welche die Strafbarkeit einschränken. MUSS der Täter bisher aus bösem Willen, aus Arbeitsscheu oder aus Liederlichkeit handeln, um den Tatbestand zu erfüllen, setzt die neue Bestimmung nur noch voraus, dass er über die Mittel zur Erfüllung seiner Pflichten verfügt oder verfügen könnte. Damit wird auch erfasst, wer zwar einerseits nicht über ausreichende Mittel zur Pflichterfüllung verfügt, es anderseits aber unterlässt, ihm offenstehende und zumutbare Möglichkeiten zum Geldverdienen zu ergreifen. Diese Änderung des Tatbestandes bedeutet im Grunde nur eine Anpassung an die seit Jahren vom Bundesgericht vertretene Auslegung, wonach aus bösem Willen handelt, wer «ohne zureichenden Grund absichtlich nicht zahlt, obwohl er zahlen könnte» (vgl. BGE 73 IV 178). Und als zureichender Grund wurde praktisch nur die völlige Leistungsunfähigkeit anerkannt. Die Motive «Arbeitsscheu» und «Liederlichkeit»
sind infolge dieser Rechtsprechung bedeutungslos geworden.

Eine letzte Änderung betrifft schliesslich die Ziffer 2. Danach stand bisher neben den von Artikel 28 StGB genannten Personen das Recht zum Strafantrag im Falle dieses Delikts auch den vom Kanton hiezu bezeichneten Behörden zu.

Künftig sollen nun auch noch dazu ermächtigte «Stellen» antragsberechtigt sein. Damit sind Amtsstellen, aber auch private Organisationen gemeint, die sich mit dem Eintreiben solcher Forderungen befassen.

Der Revisionsvorschlag der Expertenkommission zu Artikel 127 sah textlich nicht so tiefgreifende Änderungen wie die jetzt von uns unterbreitete Neufassung vor. Zwar war es die Kommission, welche die Änderung der besonderen, in der Person des Täters liegenden Strafbarkeitsvoraussetzungen angeregt hatte.

Auch stammt der Vorschlag von ihr, den Kreis der Antragsberechtigten auf private Stellen auszudehnen. Hingegen wollten die Experten in Ziffer l Absatz l im übrigen nur das Adjektiv «familienrechtlich» streichen und mit Ziffer l Absatz 2 weiterhin die Nichterfüllung vermögensrechtlicher Pflichten gegenüber

1055

ausserehelich Geschwängerten oder ausserehelichen Kindern strafbar erklären.

Letzteres hielten sie für notwendig, um auch weiterhin die vermögensrechtlichen Verpflichtungen zu erfassen, die aufgrund altrechtlicher Zahlvaterschaften noch bis längstens 1996 bestehen. Diese können jedoch nach Meinung von Zivilrechtsexperten ohne weiteres als familienrechtliche Unterhaltspflichten bezeichnet werden, weshalb eine derartige Übergangsregelung entbehrlich ist. Damit wird auch vermieden, im Strafgesetzbuch den Begriff des ausserehelichen Kindes aufrechtzuerhalten, den es nach revidiertem Kindesrecht nicht mehr gibt.

Schliesslich wird mit dem Verzicht auf eine solche Bestimmung richtigerweise Ansprüchen kein strafrechtlicher Schutz gewährt, die, weil die unverheiratete Mutter den Behörden die Identität des Vaters nicht preisgibt und somit rechtlich die Vaterschaft nicht festgestellt und ein Kindesverhältnis nicht begründet werden kann, einzig auf einem Unterhaltsvertrag beruhen. Diese rein vertraglichen Ansprüche verdienen den strafrechtlichen Schutz nicht mehr, weil :es im Interesse des Kindes nach dem revidierten Zivilrecht keine blossen Zahlvaterschaften mehr gibt oder geben sollte. Die Nichterfüllung solcher Verpflichtungen mit Strafe zu bedrohen, grenzt zudem an eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Schuldverhaft-Verbotes (Art. 59 Abs. 3 BV). Auch die von der Expertenkommission vorgesehene Streichung des Adjektivs «familienrechtlich» in Ziffer l Absatz l würde die Nichterfüllung rein vertraglicher, nicht auf dem Familienrecht beruhender Unterhalts- und Unterstützungspflichten gegenüber Angehörigen strafbar machen. Dies käme dem abgeschafften Schuldverhaft noch näher. Aus diesen und den eingangs erläuterten Gründen haben wir an dem von der Expertenkommission vorgeschlagenen Text recht erhebliche Änderungen vorgenommen.

215.6

Verlassen einer Geschwängerten (Art. 218: Aufhebung)

Nach Artikel 218 ist bisher auf Antrag strafbar, wer eine von ihm ausserehelich geschwängerte Frau in bedrängter Lage im Stiche lässt und dadurch einer Notlage preisgibt. Die ohnehin unglücklich formulierte und in der Praxis nahezu bedeutungslose Bestimmung soll fallengelassen werden. Sie ist fragwürdig, da sie die Verletzung einer sittlichen Pflicht, deren Umfang nirgends genau umschrieben ist, mit Strafe bedroht. Im übrigen hat die Revision des Zivilgesetzbuches die Stellung der unverheirateten Mutter hinsichtlich ihrer finanziellen Ansprüche wesentlich verbessert (vgl. Art. 282, 283 und 295 ZGB), was auch eine gewisse Bedeutung für die Zeit der Schwangerschaft hat. Die ausserehelieh Geschwängerte gerät nicht mehr so leicht in eine Notlage, auch wenn einzuräumen ist, dass Artikel 218 StGB damit nicht bloss eine Bedrängnis materieller Art meint.

Im Vernehmlassungsverfahren wurde der Streichungsvorschlag des Expertenentwurfes von der grossen Mehrheit begrüsst.

1056

215.7

Verletzung der Fürsorge oder Erziehungspflicht (Art. 219)

Nach dem geltenden Artikel 219 mit dem Randtitel «Verletzung der Erziehungspflicht» machen sich ausschliesslich Eltern strafbar, die ihr Kind zu dauernder Pflege Personen übergeben, bei denen es, wie sie wissen oder zumindest annehmen müssen, in sittlicher oder körperlicher Hinsicht gefährdet ist. Dieser Sonderfall strafbarer Verletzung der Erziehungspflicht war in der Praxis von sehr geringer Bedeutung.

Der an seiner Stelle vorgeschlagene neue Tatbestand hat mit dem bisherigen weniger gemeinsam, als der Standort und das ähnliche Marginale zunächst vermuten Hessen. Es soll vielmehr Ersatz sein für die in den bisherigen Artikeln 134 und 135 unter anderem enthaltenen allgemeineren Gefährdungstatbestände, die aufgehoben werden (vgl. Ziff. 214.7 und 214.8). Strafbare Handlung soll die Verletzung oder Vernachlässigung jeder Fürsorge- oder Erziehungspflicht sein, die jemand gegenüber einer unmündigen Person hat. Zum möglichen Täterkreis gehören damit alle, denen es von Gesetzes, Amtes, Berufes oder Vertrages wegen oder tatsächlich obliegt, für einen Unmündigen zu sorgen oder ihn zu erziehen. Das sind neben den Eltern beispielsweise Lehrer und Vormünder. Die jungen Menschen sollen nicht nur bis zum 16. Altersjahr, sondern bis zu ihrer Mündigkeit dem besonderen Schutz dieser Strafnorm unterstehen. Denn die zu ihrer Fürsorge und Erziehung Verpflichteten haben bis zu diesem Zeitpunkt eine wesentliche Verantwortung besonders für deren Ausbildung wahrzunehmen.

Die Verletzung der genannten Pflichten ist freilich nur strafbar, wenn sie die körperliche oder seelische Entwicklung der betroffenen Kinder oder Jugendlichen gefährdet. Das macht die Tat zum konkreten Gefährdungsdelikt. Ohne diese Einschränkung wäre der Tatbestand zu weit und würde selbst geringfügige Versäumnisse der für Erziehung und Fürsorge Verantwortlichen erfassen.

Strafe ist aber nur da zu rechtfertigen und kriminalpolitisch notwendig, wo die normale, gesunde Entwicklung von Geist und Körper der Heranwachsenden wirklich in Gefahr gebracht werden. Anderseits wird bewusst nicht mehr vorausgesetzt, dass diese Gefährdung schwer zu sein hat. Die Erfahrung mit den Artikeln 134 und 135 des geltenden Rechts hat gezeigt, dass eine so,weitgehende Einschränkung die Wirksamkeit dieser Vorschriften sehr beeinträchtigt (vgl. Ziff. 214.7 und 214.8). Um ferner
der Wirkungslosigkeit des Tatbestandes vorzubeugen, die sich daraus ergeben könnte, dass dem Täter der Gefährdungsvorsatz oft nur ungenügend nachgewiesen werden kann, wird auch die fahrlässige Begehung der Tat strafbar erklärt. Da freilich bei wirklichen Fahrlässigkeitstaten das Verschulden gering sein kann, ist für solche Fälle die Möglichkeit vorzusehen, nur eine Busse aussprechen zu können.

Mit Ausnahme von Absatz 2, den wir etwas verdeutlicht haben, entspricht die erläuterte neue Fassung von Artikel 219 StGB dem Vorschlag der Expertenkommission, dem von den meisten Vernehmlassungen zugestimmt wurde. Nur Vereinzelte lehnten den Tatbestand grundsätzlich ab, weil er dem Bestimmtheitsgrundsatz in Artikel l StGB nicht genüge und daher eine uferlose Einmischung des Staates in den Erziehungs- und Fürsorgebereich mit sich bringen 1057

könne. Das Zivilrecht biete hier genug Interventionsmöglichkeiten. Einige andere Vernehmlasser wünschten, dass für die Strafbarkeit eine schwerwiegende Pflichtverletzung und eine erhebliche Gefährdung vorausgesetzt werde. Die Gründe, die gegen eine solche Einschränkung des Tatbestandes sprechen, haben wir oben bereits dargelegt. Den Schutz des Tatbestandes auf erwachsene Fürsorgebedürftige auszudehnen, wie vereinzelt auch angeregt wurde, ist nicht notwendig. Erwachsene in dieser Lage können sich selber zur Wehr setzen, jedenfalls, wenn sie urteilsfähig sind. Ist letzteres nicht der Fall, dürfte die in erster Linie zur Fürsorge verpflichtete Person ein Vormund sein, der bekanntlich unter staatlicher Aufsicht steht.

Nach dem Vorschlag der Expertenkommission hätten mit einem neuen Absatz 3 die Behörden der Strafrechtspflege verpflichtet werden sollen, anderen zuständigen Behörden von Straftaten im Sinne der Absätze l und 2 Mitteilung zu machen, um allenfalls notwendige zusätzliche Massnahmen zum Schütze der betroffenen jungen Menschen zu veranlassen. Ebenfalls in deren Interesse hätte ein Absatz 4 die sonst aufgrund von Artikel 320 und 321 StGB zur Wahrung des Amts- oder Berufsgeheimnisses verpflichteten Personen berechtigen sollen, Vormundschafts- oder Jugendschutzbehörden die besagten Pflichtverletzungen zu melden. Wir schlagen demgegenüber vor, diese Mitteilungspflichten und -rechte auch auf andere Straftaten zu beziehen und sie deshalb in den beiden neuen Artikeln 358bis und 358ter zu begründen (vgl. Ziff. 216.1 und 216.2).

215.8

Entziehen von Unmündigen (Art. 220)

Eine einzige materielle Änderung sehen wir für Artikel 220 des geltenden Rechts vor, nach welchem sich strafbar macht, wer dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt eine unmündige Person entzieht oder vorenthält: Das Verb «vorenthält» soll durch die Wendung «sich weigert, sie ihm zurückzugeben» ersetzt werden. Dies bedeutet nicht nur eine Anpassungen die geltenden romanischen Fassungen, sondern will auch eine inhaltliche Änderung im Sinne einer gewissen Einschränkung des Tatbestandes sein. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGE 99 IV 271 ff.) liegt nämlich strafbares Vorenthalten schon dann vor, wenn jemand entlaufene Jugendliche auch nur kurzfristig beherbergt und verköstigt. Wir sind mit der Expertenkommission der Meinung, dass dies zu weit geht. Auf diese Weise wird unter Umständen kriminalisiert, wer aus Hilfsbereitschaft und Mitgefühl Jugendliche aufnimmt, die z. B. vor zerrütteten Verhältnissen im Elternhaus geflüchtet sind oder sich aus ändern Gründen in einer Notsituation befinden. Die Bestimmung darf nicht dazu zwingen, im Extremfall jungen Menschen Hilfe zu verweigern und sie auf der Strasse stehen zu lassen, während z. B. gerade der benachbarte neue Artikel 219 mit Strafe bedroht, wer durch Vernachlässigung seiner Fürsorgepflicht einen Unmündigen in seiner körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet.

Anderseits muss sicherlich den Interessen des rechtmässigen Inhabers elterlicher oder vormundschaftlicher Gewalt Rechnung getragen werden. Strafrechtlicher Schutz zu seinen Gunsten ist dann gerechtfertigt, wenn das «Vorenthal1058

ten» gewissermassen ein aktives Tun des Täters und deshalb dem strafbaren «Entziehen» vergleichbar ist. Dazu bedarf es nebst dem Gewähren von Kost und Logis zusätzlicher Beeinflussung des jungen Menschen, die auf das Ausüben tatsächlicher Gewalt, in letzter Konsequenz auf ein Zurückhalten seiner Person hinausläuft. Wer sich weigert, den Unmündigen seinen Eltern, einem Elternteil oder dem Vormund zurückzugeben, bringt in jedem Fall klar zum Ausdruck, dass er selbst mit Wissen und Willen aktiv daran beteiligt ist, den unrechtmässigen Zustand des Entzogenseins aufrecht zu erhalten.

Eine rein sprachliche Änderung betrifft nur den geltenden französischen Text: «puissance paternelle» soll durch «autorité parentale» ersetzt werden, um die Übereinstimmung mit dem in dieser Weise geänderten Zivilgesetzbuch wieder herzustellen.

Der Expertenentwurf sah weitergehende Einschränkungen des Tatbestandes vor, als wir sie nun unterbreiten. Um der geschilderten weiten Auslegung des Verbs «vorenthalten» zu begegnen, regte er dessen ersatzlose Streichung an.

Ferner sollte die Täterhandlung künftig auf dauerndes Entziehen beschränkt werden, namentlich um zu verhindern, dass Streitigkeiten geschiedener Eheleute über die Ausübung des Besuchsrechts unter Anrufung dieses Artikels auf dem Wege des Strafprozesses ausgetragen würden. Vor allem aber sollte die Bestimmung nach Meinung der Expertenkommission nicht mehr als Kampfmittel in Eheschutz- oder Scheidungsverfahren verwendet werden. Deshalb schlug sie vor, den Täterkreis ausdrücklch auf Personen zu beschränken, denen keine elterliche Gewalt über die betreffenden Unmündigen mehr zusteht. Dies sei ohnehin der ursprüngliche Sinn der Bestimmung gewesen. Diese Einschränkungen stiessen im Vernehmlassungsverfahren verschiedentlich auf Ablehnung. Während sich gegen die Beschränkung der Tathandlung auf, «dauerndes» Entziehen recht viele Stimmen erhoben, die jedoch auch nicht in der Mehrheit waren, opponierten gegen die Einengung des Täterkreises im geschilderten Sinne sowie gegen die ersatzlose Streichung von «vorenthalten» allerdings nur wenige.

Wenn wir diesen Einwänden schliesslich dennoch weitgehend Rechnung getragen haben, so deshalb, weil auch Fachleute des internationalen Privatrechts, die direkt mit der Problematik von Kindsentführungen ins Ausland konfrontiert sind,
gegen die Einengung des Tatbestandes im Sinne des Expertenvorschlages schwerste Bedenken äusserten. In der Tat zeigen die Statistiken, dass Artikel 220 StGB in den letzten Jahren jeweils fast ausschliesslich auf Fälle anzuwenden war, in denen Ausländer ihre Kinder in ihr Heimatland entführten oder es jedenfalls versuchten und damit einem Erziehungsberechtigten in der Schweiz die Möglichkeit zur Ausübung seiner elterlichen Gewalt entzogen. Das zeigt, dass dieser Tatbestand mit seiner vorbeugenden Wirkung, die er in der heutigen Form zweifellos hat, vor allem im Hinblick auf solche Fälle notwendig ist. Mit den von den Experten vorgeschlagenen Änderungen ginge diese Wirkung weitgehend verloren. Es wurde vorgeschlagen, den Täterkreis auf Personen ohne elterliche Gewalt zu beschränken. Damit würde aber ausgerechnet der häufigste Fall der Kindsentführung künftig straflos. Ein erst kürzlich ergangenes Urteil des Bundesgerichts (vgl. BGE 770 IV 35) zeigt deutlich, dass eine Person, welche die elterliche Gewalt noch zusammen mit dem ändern Elternteil innehat, sehr wohl Täter sein kann und von der vorliegenden Strafnorm zu Recht erfasst

1059

wird. Der Bundesgerichtsentscheid betrifft einen Vater, der sich nach einer Ausübung seines Besuchsrechts weigerte, sein Kind der Mutter zurückzugeben, von der er noch nicht geschieden, aber gerichtlich getrennt war. Er verstiess damit gegen die richterliche Verfügung, die das Kind für die Dauer des Scheidungsverfahrens der Obhut der Mutter unterstellte und dem Vater nurmehr ein Besuchsrecht einräumte.

Aber auch die Einschränkung der strafbaren Handlung auf dauerndes Entziehen würde die Wirksamkeit des Tatbestandes empfindlich herabsetzen. In vielen Fällen könnte man wohl nicht mehr rasch genug gegen den mutmasslichen Täter vorgehen, weil es im entscheidenden Moment noch an genügenden Verdachtsmomenten für seinen auf dauerndes Entziehen gerichteten Vorsatz fehlen würde. Einzugreifen, bevor der Täter mit den Kindern die Schweiz verlassen hat, ist jedoch entscheidend. Sind die Kinder einmal im Ausland, ist es trotz Ausschöpfung der Möglichkeiten internationaler Rechtshilfe äusserst schwierig, sie wieder zurückzuführen.

In einigen wenigen Vernehmlassungen wurde angeregt, künftig auch das Entziehen «blosser» Obhut unter Strafe zu stellen. Das ist für all jene Fälle nicht notwendig, in denen die unmündige Person von einem Heim oder einem ändern Pflegeort weggeholt oder ferngehalten wird, an welchem sie sich mit dem Einverständnis des Inhabers der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt aufhielt. Dann ist nämlich nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGE 99 IV 269 f.) Artikel 220 StGB ohnehin anwendbar. Hält sich der junge Mensch hingegen aufgrund eines jugendgerichtlichen Entscheides an einem solchen Ort auf, greift weder Artikel 220 noch Artikel 305 StGB über die Begünstigung ein, wenn er dort weggeholt wird. Einzelne Vernehmlasser forderten deshalb eine entsprechende Änderung von Artikel 305 StGB. Wir verzichten jedoch darauf, da Artikel 305 StGB die staatliche Rechtspflege schützt, während das von Artikel 220 StGB geschützte Rechtsgut die elterliche oder vormundschaftliche Gewalt über die Unmündigen ist. Schliesslich sehen wir auch keine Notwendigkeit, das Besuchsrecht jenes Elternteils, der keine elterliche Gewalt mehr hat, durch Artikel 220 StGB besonders zu schützen, wie dies vereinzelt verlangt wurde. Artikel 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen) dürfte zur Durchsetzung dieser Rechte genügen.

216

Mitteilung bei strafbaren Handlungen gegenüber Unmündigen

216.1

Mitteilungspflicht (Art. 358bis)

Im Laufe der Verfolgung strafbarer Handlungen, die gegenüber Unmündigen begangen wurden, erweist sich nicht selten, dass neben den kriminalrechtlichen Sanktionen noch andere, oft ebenso wichtige Massnahmen zum Schütze der betroffenen Unmündigen nötig wären. Artikel 358bis verpflichtet die betreffenden Strafverfolgungsbehörden (vgl. Ziff. 211), in solchen Fällen den vormundschaftlichen Behörden sofort Mitteilung zu machen.

Die neue Bestimmung erweitert die Mitteilungspflicht, wie sie die Ziffern 2 der bisherigen Artikel 134 und 135 StGB begründen. Denn diese beschränken sich 1060

auf die Mitteilungspflicht des Richters gegenüber den vormundschaftlichen Behörden im Falle der Misshandlung und Vernachlässigung oder der Überanstrengung von Kindern im Sinne der Ziffern l von Artikel 134 und 135 StGB.

Beide Bestimmungen sollen, wie oben dargelegt, aufgehoben und unter anderem durch den neuen Gefährdungstatbestand in Artikel 219 ersetzt werden (vgl.

Ziff. 214.7 und 215.7). Die Expertenkommission schlug daher vor, in Artikel 219 Absatz 3 auch eine neue, erweiterte Mitteilungspflicht vorzusehen. Danach hätten bei Verletzungen der Fürsorge- oder Erziehungspflicht im Sinne von Artikel 219 Absatz l und 2 des Entwurfs nicht mehr nur der Richter, sondern alle Behörden der Strafrechtspflege insbesondere den Fürsorge-, Vormundschafts-, Jugendschutz- oder Schulbehörden Mitteilung zu machen.

Die Mitteilungspflicht auf alle Strafverfolgungsbehörden auszudehnen, ist sehr wichtig. Denn die zusätzlichen Massnahmen kommen oft zu spät, wenn den entsprechenden Behörden erst im Zeitpunkt des Urteils Mitteilung gemacht wird. Indessen ist nicht einzusehen, weshalb die Mitteilungspflicht nur gerade im Zusammenhang mit der Tat nach Artikel 219 des Entwurfs bestehen soll. Sie erscheint doch zumindest im Falle von Körperverletzungen, Tätlichkeiten, Missbrauch sexueller Art oder Verabreichen gesundheitsgefährdender Stoffe als ebenso notwendig. Deshalb schlagen wir vor, eine Mitteilungspflicht bei allen Straftaten gegenüber Unmündigen vorzusehen, freilich nur für den Fall, dass den Strafverfolgungsbehörden im Verlauf des Strafverfahrens zusätzliche Massnahmen als notwendig erscheinen, die nicht in ihre Kompetenz fallen. In Abweichung vom Expertenvorschlag beschränken wir uns aber in Anlehnung an den heutigen Artikel 134 Ziffer 2 StGB auf eine Mitteilungspflicht an die vormundschaftlichen Behörden. Diese sind die typischen Jugendschutzbehörden.

Ob und welche Massnahmen zusätzlich ergriffen werden und ob noch anderen Behörden oder Stellen Mitteilung zu machen ist, sollen die vormundschaftlichen Behörden im Einzelfall entscheiden.

Was den Standort der neuen Bestimmung im Gesetz betrifft, kann sie nicht in den Vierten Titel des Dritten Buches des Strafgesetzbuches aufgenommen werden. Dieser handelt von der Rechtshilfe zwischen Bund und Kantonen sowie den Kantonen unter sich. Hier geht es hingegen um eine
Art Rechtshilfe zwischen Straf- und Zivilbehörden, meist des gleichen Kantons. Von der Einordnung der Vorschrift bei den «ändern Massnahmen» (Art. 57-62 StGB) im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches haben wir abgesehen, um den Eindruck einer Art Sanktion zu vermeiden. Und als Ergänzung von Artikel 371 ZGB wäre sie wenig sinnvoll, weil sie von den Andressaten dort kaum gesucht würde.

Im Vernehmlassungsverfahren waren die ausdrücklichen Stellungnahmen zur Mitteilungspflicht, wie sie Artikel 219 Absatz 3 des Expertenentwurfs vorschlug, nicht sehr zahlreich. Die wenigen unter ihnen, die Kritik übten, taten es ausnahmslos im Sinne einer Verstärkung der Mitteilungspflicht. Sie verlangten entweder deren Verallgemeinerung, wie wir es jetzt vorschlagen, oder sie regten gar die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden zur Aufsichtsbeschwerde für den Fall an, dass ihre Mitteilung ohne Folgen bliebe. Letzteres wäre jedoch wenig sinnvoll, da der Entscheid, ob und welche zusätzlichen Massnahmen zu ergreifen seien, ja ins Ermessen der benachrichtigten Behörde gestellt werden soll.

1061

216.2

Mitteilungsrecht (Art. 358ter)

Während Artikel 358bis zum Teil bestehende Vorschriften ersetzen soll, die aufgehoben werden (Art. 134 und 135 je Ziff. 2), handelt es sich bei Artikel, 358ter auch inhaltlich um eine völlig neue Bestimmung. Sie will Personen, die aufgrund von Artikel 320 oder 321 StGB üblicherweise zur Wahrung des Amtsbzw. Berufsgeheimnisses verpflichtet sind, von dieser Verschwiegenheitspflicht insoweit befreien, als sie gegen Unmündige begangene Straftaten, von denen sie Kenntnis erhalten, den Vormundschaftsbehörden mitteilen dürfen. Freilich sind das Amts- und Berufsgeheimnis schon heute nicht absolut geschützt, dürfen sie doch vom Verpflichteten nach Artikel 320 und 321 je Ziffer 2 StGB mit Einwilligung der vorgesetzten Behörde oder des Geheimnisherrn geoffenbart werden.

Zudem bestehen auch gesetzliche Zeugnis- und Auskunftspflichten, die Artikel 321 StGB übrigens ausdrücklich vorbehält. Artikel 358ter entbindet, ähnlich wie Artikel 14 Absatz 4 des Strassenverkehrsgesetzes (SR 741.01), von diesem etwas schwerfälligen Umweg über die Bewilligung der vorgesetzten Behörden und erlaubt so in dringenden Fällen eine sofortige Mitteilung. Anders als Artikel 358bls begründet diese Bestimmung keine Pflicht, sondern lediglich ein Recht zur Mitteilung. Damit ist es im konkreten Einzelfall völlig ins Ermessen des Geheimnissträgers gestellt, ob eine Mitteilung an die Vormundschaftsbehörde wirklich im Interesse des Unmündigen liegt, wie Artikel 358ter voraussetzt. Dabei geht es nicht nur um das Interesse der Opfer der betreffenden Straftaten, sondern auch um jenes anderer Unmündiger (z. B. von Geschwistern oder Mitschülern der Opfer), zu deren Schutz vor weiteren Taten möglicherweise besondere Massnahmen notwendig sind. Dass die Vor- und Nachteile abgewogen werden müssen, verhindert voreilige, eher schädliche Mitteilungen der Verantwortlichen sowie unberechtigte Eingriffe der Behörden in die Privatsphäre der Familie. Irrt sich der Geheimnisträger in dieser Frage oder auch über das Vorliegen einer Straftat als Voraussetzung für eine berechtigte Mitteilung, kann er sich auf Sachverhaltsirrtum im Sinne von Artikel 19 StGB berufen.

Die Bestimmung entspricht Artikel 219 Absatz 4 des Expertenentwurfs, mit der wichtigen Abweichung allerdings, dass analog zu Artikel 358bis das Mitteilungsrecht nicht auf Verletzungen der Erziehungs-
oder Fürsorgepflicht im Sinne von Artikel 219 Absätze l und 2 des Entwurfs beschränkt ist, sondern sich auf alle Straftaten gegen Unmündige erstreckt (vgl. Ziff. 216.1).

Zu den Vernehmlassungen in dieser Frage gilt weitgehend, was dazu bei Artikel 358bis ausgeführt wurde (vgl. Ziff. 216.1).

Da die vorliegende Bestimmung eine Ausnahme von Artikel 320 und 321 StGB regelt, hätte man sie im Gesetz auch in deren Nachbarschaft ansiedeln können.

Wir halten es jedoch für praktischer, sie neben Artikel 358bis als der Bestimmung über die verwandte Mitteilungspflicht der Strafverfolgungsbehörden zu setzen und auf die Beziehung zu Artikel 320 und 321 StGB ausdrücklich zu verweisen. Für die Begründung des Standorts im Vierten Titelbls sei auf die Erläuterungen bei Artikel 358bis verwiesen (vgl. Ziff. 216.1).

1062

22

Erläuterung des Entwurfes A für das Militärstrafgesetz (Allgemeine Bestimmung; Verbrechen oder Vergehen gegen Leib und Leben)

Das Militärstrafgesetz ist den Änderungen im Strafgesetzbuch anzupassen. Dies betrifft folgende Vorschrift der Allgemeinen Bestimmungen: Artikel 47a (neu) (Strafbefreiung) Im Grundsatz entspricht der neue Artikel 47 a MStG dem Artikel 66b's des Entwurfes. Im Zusammenhang mit dem militärgerichtlichen Ermittlungsverfahren kann jedoch nicht von der zuständigen Behörde gesprochen werden, die von der Strafverfolgung absieht. Deshalb wird hier formuliert: «Ist der Täter ..., so ist von der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung abzusehen».

Bei den Besonderen Bestimmungen handelt es sich um: Artikel 116 Absatz l (Mord) Artikel 117 (Totschlag) Artikel 118 (Tötung auf Verlangen) Artikel 121 (Schwere Körperverletzung) Artikel 122 Ziffern 2 und 3 (Einfache Körperverletzung. Tätlichkeiten: Aufhebung) Artikel 123 (Zufällige Folgen einer Körperverletzung: Aufliebimg) Artikel 125 (Herausforderung zum Zweikampf: Aufhebung) Artikel 126 (Aufreizung zum Zweikampf: Aufhebung) Artikel 127 (Zweikampf: Aufliebung) Artikel 128 (Raufhandel) Artikel 128a (neu) (Unbefugter Angriff) In Abweichung von dem im übrigen gleich lautenden neuen Artikel 134 des Entwurfes StGB soll in Artikel 128tf MStG formuliert werden: «Wer sich unbefugt an einem Angriff ... beteiligt, der...». Denn wie das Militärkassationsgericht in seiner Vernehmlassung mit Recht ausgeführt hat, deckt sich der neue Tatbestand des Angriffs sonst mit einem Verhalten, das dem Soldaten im Ernstfall nicht selten zur Pflicht gemacht wird. Die Ergänzung soll klarstellen, dass nur der rechtswidrige Angriff unter Strafe gestellt wird. Im neuen Artikel 134 des Entwurfes StGB bedarf es dieser Präzisierung nicht, weil Artikel 32 StGB das gesetzlich gebotene oder erlaubte Handeln für straflos erklärt. Der Allgemeine Teil des Militärstrafgesetzes kennt jedoch keinen vergleichbaren Rechtfertigungsgrund. Aus Anlass des vorliegenden Problems einen solchen einzufügen, wie das Militärkassationsgericht anregte, würde unseres Erachtens den Rahmen dieser Revision sprengen. Diese Frage ist aufzuschieben bis zum Zeitpunkt der Revision des Allgemeinen Teils des MStG.

1063

23

Erläuterung des Entwurfes B für das Strafgesetzbuch (Sittlichkeit)

231

Allgemeines

Es ist unverkennbar, dass unsere heutigen Vorstellungen über die Sexualität andere sind als die Vorstellungen, die zur Zeit herrschten, da das Strafgesetzbuch und damit der Abschnitt über «Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit» entstand.

Eine Anpassung der Gesetzesbestimmungen an diese veränderten gesellschaftlichen Auffassungen drängt sich somit auf.

Im Vernehmlassungsverfahren wird eine Anpassung grundsätzlich nicht abgelehnt. Unterschiedliche Ansichten bestehen jedoch über das, was nicht mehr strafwürdig und das, was immer noch strafwürdig sein soll.

Unter dem Vorbehalt dieser unterschiedlichen Einstellungen gehen wir mit den grundsätzlichen Erwägungen der Expertenkommission einig, dass nach unserem Staatsverständnis der Bürger selber über sein Verhalten entscheiden soll, sofern er dadurch nicht einen anderen schädigt. Dies gilt ganz besonders für das zur Intimsphäre gehörende sexuelle Verhalten. Sexuelles Verhalten ist daher dann strafbar zu erklären, wenn es einen anderen schädigt oder schädigen könnte, wenn ein Partner in solches Verhalten nicht in verantwortlicher Weise einwilligen kann oder wenn jemand davor bewahrt werden soll, sexuelle Handlungen gegen seinen Willen wahrzunehmen.

Diesen Grundsätzen tragen wir bei den Änderungen im Fünften Titel Rechnung, in erster Linie durch die folgenden Vorschläge, die auf die Expertenkommission zurückgehen und in der Vernehmlassung begrüsst wurden.

Um den etwas moralisierenden Begriff der Sittlichkeit, der mit dem Begriff der guten Sitten nicht gleichzusetzen ist, zu vermeiden, schlagen wir als neue Überschrift vor: «Strafbare Handlungen im Sexualbereich».

Aus ähnlichen Überlegungen ersetzen wir die Begriffe «Unzucht» und «unzüchtige Handlungen» generell durch den wertneutralen Begriff «geschlechtliche Handlung».

Ferner möchten wir den Jugendschutz, dem das Strafrecht in diesem Bereich einen vorrangigen Platz einräumt, in einem Ersten Abschnitt «Gefährdung der Entwicklung von Unmündigen» voranstellen. Die beiden weiteren Abschnitte enthalten die Vorschriften über den Schutz der Selbstbestimmungsfähigkeit: Im zweiten Abschnitt unter dem Aspekt der «Angriffe auf die geschlechtliche Freiheit und Ehre», im dritten Abschnitt unter jenem der «Ausnützung geschlechtlicher Handlungen». Die neue Einteilung bedingt eine neue Numerierung.

1064

232

Strafbare Handlungen im Sexualbereich

232.1

Gefährdung der Entwicklung von Unmündigen

232.11

Geschlechtliche Handlungen mit Kindern (Art. 187)

Diese Bestimmung tritt anstelle von Artikel 191 StGB (Unzucht mit Kindern).

Schutzalter Geschützt wird die ungestörte Entwicklung des Kindes, bis es die notwendige Reife erreicht hat, die es zur verantwortlichen Einwilligung in sexuelle Handlungen befähigt. Wir beantragen Ihnen, diesen Schutz wie bisher Kindern bis zum Alter von 16 Jahren zu gewähren.

Eine feste Altersgrenze, wie sie auch das geltende Recht kennt, hat gegenüber einer Regelung, die auf die Unreife des Kindes im Einzelfall abstellen würde, den entscheidenden Vorteil der Bestimmtheit. Der Täter soll sich nicht leichthin von Strafe befreien können, indem er geltend macht, er habe sich in bezug auf den massgebenden Umstand dieser - schwer zu bestimmenden Reife - im Irrtum befunden. Darauf abstellen zu wollen, ob das Kind sexuell erfahren war oder nicht, liefe im Strafverfahren darauf hinaus, dass das Opfer der Verdorbenheit bezichtigt und damit selbst auf die Anklagebank versetzt würde.

Auch die Expertenkommission entschied sich für eine feste Altersgrenze, befürwortete jedoch eine Herabsetzung des geltenden Schutzalters auf 14 Jahre. Sie liess sich von der Erwägung leiten, dass einer früheren körperlichen Entwicklung heutiger junger Menschen im allgemeinen auch eine beschleunigte seelische Reife entspreche. Das schien ihr nicht zuletzt auch aufgrund empirischer kriminologischer Untersuchungen gerechtfertigt, welche die provokative Verhaltensweise von Opfern im oberen Bereich des Schutzalters darlegen.10' Im Vernehmlassungsverfahren ergab sich für ein Schutzalter von 14 Jahren keine Mehrheit.

Eine beträchtliche Minderheit sprach sich für eine Altersgrenze von 15 Jahren aus. Ihre Hauptargumente für diese Altersgrenze: - Sie trifft sich mit jener, die für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Kindes massgebend ist (Art. 82 und 89 StGB); - mit diesem Alter erlischt grundsätzlich die Schulpflicht, äusseres Zeichen für das Ende der Kind-Phase; - allgemein entspreche das Schutzalter 16 nicht mehr den heutigen Lebensumständen; sowohl die Einstellung zur Sexualität als auch das Verhalten von Jugendlichen habe sich gewandelt. Deshalb würden denn auch sogenannte Unzuchtsdelikte je länger desto weniger geahndet; die grosse Dunkelziffer im Bereich der Sexualdelikte bringe die Schwierigkeiten der Durchsetzung des heutigen Rechtszustandes
zum Ausdruck.

Eine andere gewichtige Minderheit empfahl die Beibehaltung der heutigen Schutzaltersgrenze von 16 Jahren. Sie lehnt ein Schutzalter von 14 oder 15 Jahren ab, weil die seelische Reife mit der früher eintretenden körperlichen Entwicklung nicht Schritt halte. Auch eine frühere und bessere Aufklärung biete noch keine Garantie für die entscheidende charakterliche Reife; dass Kinder im 1065

oberen Bereich des Schutzalters häufig Anstoss zu sexuellen Handlungen gäben, falle weniger ins Gewicht als die Konsequenzen einer Herabsetzung des Schutzalters: Risiko früher Schwangerschaften und Abtreibung, da die Verabreichung hormoneller Schwangerschaftsverhütungsmittel an Jugendliche medizinisch nicht angezeigt sei; Risiko, dass der Wegfall der präventiven Wirkung des geltenden Schutzalters unter Jugendlichen als Signal zu grösserer sexueller Freizügigkeit missverstanden werde.

Wir haben uns den Entschluss, im Sinne der letztgenannten Vernehmlassungen am Schutzalter 16 festzuhalten, nicht leicht gemacht, zumal die rechtspolitische Tendenz, dieses Schutzalter nach unten zu liberalisieren, ihren Niederschlag auch in ausländischen Rechtsordnungen gefunden hat.11) Diese Feststellung ändert jedoch nichts an der für uns entscheidenden Tatsache, dass weite Kreise der Bevölkerung eine Liberalisierung in diesem Punkte ablehnen. Es empfiehlt sich, diesem sittlichen Empfinden, das sich auf gute Gründe berufen kann, Rechnung zu tragen.

Tathandlung Die verpönte Tathandlung setzt die Beteiligung eines Kindes an einer geschlechtlichen Handlung voraus. Die neue Bestimmung unterscheidet damit nicht mehr wie Artikel 191 StGB zwischen Beischlaf, beischlafsähnlicher und anderer unzüchtiger Handlung.

Erfahrungsgemäss kann eine beischlafsähnliche oder eine andere geschlechtliche Handlung - je nach den Begleitumständen und der Art der Ausführung beim Kind einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als der Beischlaf selbst.

Der Begriff der beischlafsähnlichen Handlung hat eine weite Auslegung erfahren (vgl. etwa BGE 86 IV 178), und diese macht die Abgrenzung gegenüber den anderen unzüchtigen Handlungen besonders schwierig.12) Diese Schwierigkeiten entfallen mit der Reduktion auf den umfassenden Begriff der geschlechtlichen Handlung. Im Strafverfahren erlaubt dies auch eine etwas einfachere Befragung des Kindes.

Unter dem neuen Begriff der geschlechtlichen Handlung ist wie bisher die hetero- und homosexuelle Handlung zu verstehen.

Ziffer l deckt sich, was die Begehung der geschlechtlichen Handlung betrifft, materiell mit Artikel 191 Ziffer 2 des geltenden Rechts. Strafbar ist, wer mit einem Kind eine geschlechtliche Handlung vornimmt, es zu einer geschlechtlichen Handlung verleitet oder es in eine geschlechtliche
Handlung einbezieht.

Die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung mit einem Kind bedeutet, dass es unmittelbar an dieser Handlung mitwirkt, sei es auch nur auf passive Weise.

Der Täter verleitet das Kind zu einer geschlechtlichen Handlung, wenn er es anhält, geschlechtliche Handlungen mit einem Dritten oder am eigenen Körper vorzunehmen (z. B. zur Masturbation). Es liegt auf der Hand, dass der IJehrer, der im Rahmen der Sexualkunde geschlechtliche Handlungen lediglich beschreibt, ohne das Kind weitergehend zu beeinflussen, sich keiner Verleitung schuldig macht.

1066

Die Einbeziehung eines Kindes in eine geschlechtliche Handlung besagt deutlicher als bisher, dass der Täter bewusst die geschlechtliche Handlung vor dem Kinde ausführt und will, dass dieses die Handlung wahrnimmt. Wird also das Kind zufälligerweise Zeuge gewisser sexueller Vorgänge zwischen einem älteren Bruder und dessen Freundin, oder wird es gar, beispielsweise wegen enger Wohnverhältnisse, sexueller Beziehungen zwischen seinen Eltern ansichtig, so sollen diese Fälle straflos bleiben. Dies ist bei der geltenden Formulierung keineswegs gewährleistet, macht sich doch auch schon strafbar, wer bloss in Kauf nimmt, dass das Kind seine Handlung wahrnehmen kann.

Diese Revisionspunkte beruhen auf dem Vorentwurf der Expertenkommission und wurden in den Vernehmlassungen begrüsst.

Strafdrohung In Übereinstimmung mit der Expertenkommission und den meisten Vernehmlassungen erachten wir die Strafdrohung von Zuchthaus bis zu 20 Jahren oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten, die das geltende Recht für Beischlaf und beischlafsähnliche Handlungen mit Kindern vorsieht, als zu hoch. Wir schlagen deshalb für alle geschlechtlichen Handlungen mit Kindern eine Strafdrohung von Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis vor.

Zwingt der Täter das Kind mit Gewalt oder schwerer Drohung zu einer geschlechtlichen Handlung und erfüllt damit gleichzeitig den Tatbestand der Vergewaltigung oder der Nötigung zu einer ändern geschlechtlichen Handlung (Art. 189 und 190 des Entwurfs), kann sich die Strafe bis zu 15 Jahren Zuchthaus erhöhen, weil Idealkonkurrenz nach Artikel 68 StGB vorliegt. Dies gilt auch bei Idealkonkurrenz mit Inzest (Art. 213 des Entwurfs).

Ein besonderes Problem stellt sich im Falle des Irrtums über das Alter des Kindes: Der Täter beruft sich vielfach darauf, durch das Bild der äusseren Entwicklung des Kindes oder durch falsche Angaben getäuscht worden zu sein.

Um dieser Problematik zu begegnen, schlagen wir in Artikel 187 Ziffer 3 des Entwurfs vor, den Täter mit Gefängnis zu bestrafen, wenn er in der irrigen Vorstellung handelte, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, diesen Irrtum jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht hätte vermeiden können. Diesen Fahrlässigkeitstatbestand kennt schon das geltende Recht. Die Expertenkommission hat ihn aufgehoben, in der Meinung, bei einem Schutzalter von 14 Jahren werde
der Irrtum erheblich seltener; es genüge überdies, dass der Täter verurteilt werden könne, sobald ihm nachzuweisen sei, dass er zumindest in Kauf nahm, er habe es mit einem jüngeren Kind zu tun und die Tat auch für diesen Fall wollte (Eventualvorsatz). Bei einem Schutzalter von 16 Jahren dürften sich indes nach wie vor Fälle von Irrtum ergeben. Zudem sollte das Fehlen einer speziellen Fahrlässigkeitsvorschrift nicht dazu führen, in Zweifelsfällen Eventualvorsatz anzunehmen, wo dieser nicht gegeben ist. Scheint das Opfer nahe an der Schutzaltersgrenze zu sein, so muss der Täter erhöhte Vorsicht beobachten; er ist nur straflos, wenn er aufgrund bestimmter Tatsachen annehmen durfte, er habe es mit einer Person über 16 Jahren zu tun (vgl. BGE 100 IV 230). Diese erhöhte Vorsicht gilt auch für den reiferen Mann, der sich mit einem jungen Mädchen einlässt, da ihm eine solche schon seine Lebenserfahrung nahelegt (vgl. BGE 55 IV 77). Etwas anders dürften Fälle jugendlicher Täter zu beurteilen sein, liegt es

1067

doch in der Natur ihrer Beziehungen, dass man von ihnen nicht dieselbe Wachsamkeit hinsichtlich der Erkundung des Alters ihres Geschlechtspartners verlangen darf; die Rechtsanwendung wird hier in Anlehnung an die von uns vorgeschlagene Ziffer 2 flexible Lösungen finden müssen.13' Strafbefreiungsgründe Wir schlagen Ihnen vor, in Ziffer 2 den Organen der Strafrechtspflege die Möglichkeit einzuräumen, auf Strafverfolgung, Überweisung an das Gericht oder Bestrafung aus Gründen des geringen Altersunterschiedes zwischen Täter und Opfer oder der Eheschliessung zwischen ihnen zu verzichten. Die Formulierung ist dieselbe wie die bei Artikel 66bis des Entwurfs, mit dem Unterschied, dass es sich hier um eine Kann-Vorschrift handelt (vgl. Ziff. 211).

Ziffer 2 kann einmal dem Täter zugutekommen, der zur Zeit der Tat das ,18. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat, also selbst dem Schutzalter kaum entwachsen ist. Es handelt sich um eine Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen fast gleichaltrigen jungen Leuten, die auch der Tatsache Rechnung trägt, dass der jüngere Partner gelegentlich die aktive Rolle spielt und damit den um weniges älteren «Täter» faktisch zum Opfer macht.

Eine Minderheit der Vernehmlasser vertritt die Auffassung, dass sich diese Entkriminalisierung schon in Anwendung von Artikel 97 und 98 StGB erreichen lasse (Aufschub der Anordnung einer Strafe oder Massnahme/Absehen von Massnahmen oder Strafen). Es trifft zwar zu, dass auch diese Bestimmungen einen Strafaufschub oder eine Strafbefreiung durch die urteilende Behörde erlauben. Es leuchtet jedoch ein, dass die Beschränkung auf die urteilende Behörde und die einschränkenden Voraussetzungen für diese Strafbefreiung den mit Artikel 187 Ziffer 2 des Entwurfs angestrebten Zweck vereiteln würden. Die Anwendung des Jugendstrafrechts bleibt ausgeschlossen, wenn nach der vorgesehenen Bestimmung eine Strafverfolgung oder Überweisung an die urteilende Behörde unterbleibt.

Die Expertenkommission hatte weitergehend vorgeschlagen, den im Schutzalter stehenden Täter von der Strafbarkeit auszunehmen. Sie liess sich von der Erwägung leiten, dass es nicht angehe, einerseits Personen im Schutzalter wegen ihres jugendlichen Alters vor sexueller Fremdbestimmung zu schützen, sie andererseits aber dann doch für Handlungen auf diesem Gebiet erwachsenen,
reifen Personen gleichzustellen. Wir ziehen indes mit einer gewichtigen Anzahl von Vernehmlassern dieser starren gesetzlichen Straffreiheit eine differenzierte Strafbefreiung im Sinne von Artikel 187 Ziffer 2 des Entwurfs vor. Wir sind der Meinung, dass die vorgeschlagene Regelung eine flexible, dem Einzelfall angepasste Behandlung junger Täter erlaubt.

Strafbefreiung soll auch dann möglich sein, wenn die verletzte Person mit dem Täter die Ehe eingegangen ist. Eine entsprechende, zwingende Vorschrift figurierte bisher in den Artikeln 196 StGB (Verführung, aufgehoben) und 197 StGB (Missbrauch der Notlage oder Abhängigkeit einer Frau, Art. 193 des Entwurfs).

Nicht anders sollte es sich verhalten, wenn die ernsthafte Liebesbeziehung eines Jugendlichen mit einem Partner im Schutzalter zur Ehe führt.

Da der Täter nicht zwingend straffrei ausgeht, wenn er das Opfer heiratet, dürfte die von einzelnen Vernehmlassern befürchtete Nebenwirkung entfallen,

1068

dass der Täter auf das Opfer Druck ausübt und auf den Abschluss der Ehe drängt, einzig, um in den Genuss dieser Vorzugsbehandlung zu gelangen. Diese Vorschrift wird von den Vernehmlassem mehrheitlich begrüsst, mit dem Hinweis, dass es stossend wäre, den Ehemann wegen vorehelicher Beziehungen zu seiner Ehefrau zu bestrafen.

Der fakultative Strafbefreiungsgrund von Artikel 187 Ziffer 2 des Entwurfs wird übrigens nur innerhalb eines beschränkten Zeitraumes wirksam, da die Strafverfolgung ohnehin nach Ablauf von zwei Jahren verjährt, wie wir unten vorschlagen. Ist die verletzte Person weiblichen Geschlechts, so kann sie, nach schweizerischem Recht, frühestens und unter bestimmten Voraussetzungen nach dem vollendeten 17. Altersjahr die Ehe eingehen (Art. 96 Abs. 2 ZGB). Sie müsste daher zur Zeit der Tat mindestens 15 Jahre alt gewesen sein, damit der Täter noch innerhalb der Verjährungsfrist gegebenenfalls in den Genuss der Straffreiheit gelangt.

Verjährung Nach Ziffer 4 soll die Verjährungsfrist von zehn Jahren (Art. 70 StGB) auf zwei Jahre verkürzt werden. Diese Änderung erfolgt im Interesse des Opfers. Sie geht auf den Vorentwurf der Expertenkommission zurück, die den Erfahrungen von Psychologen und Psychiatern Rechnung tragen wollte. Es soll vermieden werden, dass ein Opfer, das sein seelisches Gleichgewicht zurückerlangt hat, darin durch Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen erneut erschüttert wird. Auch die in dieser Materie besonders heikle Beweiserhebung profitiert von einer kurzen Verjährungsfrist.

232.12

Geschlechtliche Handlungen mit Abhängigen (Art. 188)

Auch Jugendliche im Alter von über 16 Jahren bedürfen des strafrechtlichen Schutzes vor sexuellem Missbrauch, wenn sie in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, das ihre Entscheidungsfreiheit derart beeinträchtigt, dass sie sich gegen sexuelle Zumutungen nicht genügend wehren können. Diesem Schutz dient bisher Artikel 192 StGB.

Die als Ersatz dafür vorgeschlagene neue Bestimmung unterscheidet nicht mehr zwischen Beischlaf und anderen unzüchtigen Handlungen, sondern verwendet wie Artikel 187 des Entwurfes den Begriff der geschlechtlichen Handlung. Ausserdem zählt sie die Personen, die als abhängig gelten, nicht mehr abschliessend auf, sondern führt stattdessen eine Generalklausel ein. Sie schützt generell die Unmündigen, die in einer wie immer gearteten Abhängigkeit stehen, und selbstverständlich auch alle bisher abschliessend aufgezählten Personen.

Die Abhängigkeit kann sich in erster Linie aus einem Erziehungs- oder Betreuungsverhältnis ergeben, weshalb diese beiden in der neuen Bestimmung als Hauptbeispiele genannt werden. Das Betreuungsverhältnis wird aufgenommen, damit nicht Fälle straflos ausgehen, wo die Ausnützung durch Personen erfolgt, denen eine Aufsicht über den Jugendlichen obliegt, ohne dass sie direkt erzieherisch auf ihn einwirken müssen. Zu denken ist etwa an Personen, die fürsor1069

gerisch (z. B. in der Drogenhilfe) tätig sind, ferner an Betreuer in einem Ferienlager oder auch an den Freund der Familie, dem deren Tochter für eine Ferienreise anvertraut wurde (vgl. zu einem solchen Fall BGE 99 IV 265).

Um weitere nicht als eigentliche Erziehungs- oder Betreuungsverhältnisse geltende Abhängigkeiten zu erfassen, enthält die vorgeschlagene Bestimmung eine Generalklausel «oder auf andere Weise begründeten Abhängigkeit». Wir meinen, auf diese Weise die strafwürdigen Beeinflussungsmöglichkeiten Jugendlicher zu erfassen.

Die Ausnützung muss im Einzelfall nachgewiesen werden; sie ergibt sich nicht a priori aus dem Abhängigkeitsverhältnis. Die gegenteilige Annahme würde das Selbstbestimmungsrecht, das dem Jugendlichen ab 16 Jahren auch in sexuellen Dingen zusteht, zu sehr einschränken.

Nützt der Täter die Abhängigkeit des Opfers aus, um dieses zu einer geschlechtlichen Handlung mit einem anderen zu verleiten, so braucht zwischen dem anderen und dem Opfer keine Abhängigkeit zu bestehen. Der Tatbestand des Verleitens ist dem geltenden Recht entnommen (Art. 192 Ziff. 2 Abs. 2 StGB).

Die Expertenkommission empfahl, die obere Altersgrenze, die im geltenden Recht bei der Mündigkeit liegt, auf 18 Jahre herabzusetzen, in der Meinung, die jungen Menschen seien heute ab diesem Alter selbständig genug, sich selbst dann für ihre Rechte zu wehren, wenn sie in Abhängigkeit stehen. Wir ziehen indessen die Mündigkeit als obere Altersgrenze vor. Dafür spricht, dass z. B.

Ausbildungsverhältnisse, aus denen sich Abhängigkeiten ergeben, oft über das Alter von 18 Jahren hinaus andauern.

Strafdrohung Der Expertenkommission folgend sehen wir als Strafe Gefängnis vor. Die im Vergleich zu Artikel 187 des Entwurfes mildere Strafdrohung rechtfertigt sich im Hinblick auf das höhere Alter des Opfers. Dieser Unterschied zwischen beiden verwandten Tatbeständen besteht schon im geltenden Recht. Handelt es sich bei der geschlechtlichen Handlung um Beischlaf, so kann Idealkonkurrenz mit Artikel 213 (Inzest) des Entwurfs bestehen.

Strafbefreiung Die fakultative Strafbefreiung für den Täter, der mit dem Opfer die Ehe eingeht, entspricht Artikel 187 Ziffer 2 des Entwurfes. Je mehr sich das Opfer der Mündigkeit und damit dem normalen Heiratsalter nähert, desto mehr rechtfertigt sich diese Strafbefreiung.

Verjährung Die
Verkürzung der Verjährungsfrist auf zwei Jahre entspricht ebenfalls Artikel 187 Ziffer 4 unseres Entwurfes. Wir verweisen auf die dortigen Erwägungen (vgl. Ziff. 232.11). Wichtig ist vor allem, dass die Strafverfolgung rasch eintritt, dies allein bietet Gewähr, den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Aus diesem Grunde lehnen wir auch den in der Vernehmlassung vereinzelt erhobenen Vorschlag ab, die Verjährungsfrist sollte, damit namentlich Jugendliche nach Abschluss der Lehre noch die Möglichkeit erhielten, Strafan-

1070

zeige einzureichen, erst nach Abschluss des Abhängigkeitsverhältnisses zu laufen beginnen. Der Vorschlag wäre im übrigen ohne eine Änderung von Artikel 71 StGB über den Beginn der Verfolgungsverjährung nicht zu verwirklichen; dies würde jedoch den Rahmen dieser Revision erheblich sprengen.

232.2

Angriffe auf die geschlechtliche Freiheit und Ehre

232.21

Vergewaltigung (Art. 189)

Der Tatbestand der Vergewaltigung - bisher etwas altertümlich als Notzucht bezeichnet - nimmt im Untertitel «Angriffe auf die geschlechtliche Freiheit und Ehre» wie im geltenden Recht als Artikel 187 den ersten Platz ein.

Was die materiellen Änderungen betrifft, so verzichtet die neue Bestimmung in erster Linie auf die Unterscheidung zwischen einfacher und qualifizierter Vergewaltigung. Diese Unterscheidung macht die Anwendung der geltenden Bestimmungen von Artikel 187 StGB schwierig. Nach dessen Absatz l ist strafbar, wer Gewalt oder schwere Drohung einsetzt, um mit einer Frau den ausserehelichen Beischlaf zu vollziehen. Nicht nötig ist, dass die Frau bis zur Erschöpfung Widerstand leistet. Mit der Formulierung «nachdem er sie ... bewusstlos oder zum Widerstand unfähig gemacht hat» verlangt Absatz 2 hingegen nach Lehre und Rechtsprechung die absolute Wehrlosigkeit der Frau. Nur dies rechtfertige die hohe Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus14' (vgl. BGE 107 IV 180).

Wie aus der Rechtsprechung zu Artikel 187 StGB (u. a. BGE 98 IV 100 ff.) hervorgeht, ist es jedoch nahezu unmöglich, sinnvoll zwischen der qualifizierten und der einfachen Begehung zu unterscheiden.

Aus diesen Gründen fassen wir die Tatbestände der bisherigen einfachen und qualifizierten Vergewaltigung zusammen und entsprechen damit dem Vorschlag der Experten, dem im Vernehmlassungsverfahren zugestimmt wurde. Die neue Bestimmung stellt damit nach wie.vor auf die Nötigungsmittel der Gewalt oder der schweren Drohung ab. Während es zur Verübung eines Raubes (Art. 139 StGB) der Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bedarf, braucht hier die Drohung nicht so weit zu gehen. Sie kann z. B. vorliegen, wenn ein Arbeitgeber einer Frau droht, sie zu entlassen.

Zwar müssen Gewalt und schwere Drohung einen gewissen Grad an Widerstandsunfähigkeit des Opfers bewirken, ansonst dessen Einwilligung anzunehmen wäre. Damit der Tatbestand jedoch auch den Täter erfasst, der das Opfer durch Narkotika, Drogen usw. bewusstlos gemacht oder sonstwie gänzlich am Widerstand gehindert hat, muss auch die Wendung «zum Widerstand unfähig machen» darin enthalten sein. Bewusst heisst es nicht: «auf andere Weise zum Widerstand unfähig machen». Denn dies könnte, wie bezüglich des Raubtatbestandes geschehen, zur Auslegung führen, dass nur jene
Gewalt oder schwere Drohung, die das Opfer völlig widerstandsunfähig macht, zur vollendeten Tat genügt (vgl. BGE 81 IV 226).

Artikel 187 StGB führt zu einer weiteren Schwierigkeit, indem er als Opfer der Vergewaltigung eine Frau nennt, d. h. nach Artikel 110 Ziffer l StGB eine weibliche Person, die das 16. Altersjahr zurückgelegt hat. Vergewaltigt jemand ein 1071

Mädchen unter 16 Jahren, so kann er daher bislang nur gestützt auf Artikel 191 Ziffer l StGB (Unzucht mit Kindern) in Verbindung mit Artikel 181 (Nötigung) bestraft werden. Und verkennt der Täter das Alter eines weniger als 16 Jahre alten Opfers, so ist er nur entweder wegen untauglichen Versuchs zur Vergewaltigung - was eine Strafmilderung nach freiem Ermessen ermöglicht (Art. 23 in Verbindung mit Art. 66 StGB) - oder nach Artikel 191 Ziffer 3 StGB (Unzucht mit einem Kinde in irriger Vorstellung über sein Alter) strafbar. Aus diesen Gründen nennt die neue Bestimmung für das Opfer keine Altersgrenze mehr.

Die neue Bestimmung nennt als Opfer «eine Person weiblichen Geschlechts».

Sie erfasst den eigentlichen Beischlaf zwischen Mann und Frau. Die gleichgeschlechtliche Vergewaltigung gilt nach Artikel 190 des Entwurfes als Nötigung zu einer anderen geschlechtlichen Handlung und wird mit der gleichen Höchststrafe von zehn Jahren Zuchthaus bedroht. Auch die Expertenkommission lehnte eine völlige Gleichstellung von homosexueller und heterosexueller Vergewaltigung ab. Dagegen sprechen vor allem physiologische Gründe.

Vergewaltigung in der Ehe Die Vergewaltigung in der Ehe wird von Artikel 187 StGB nicht erfasst. Das soll auch nach Artikel 189 des Entwurfs so bleiben, indem dieser die Strafbarkeit nach wie vor auf den Zwang zum ausserehelichen Beischlaf beschränkt.

Wir. weichen damit vom Expertenvorschlag ab, der vorsah, künftig auch die Vergewaltigung der Ehefrau auf deren Antrag zu verfolgen und zu bestrafen.

Auch wenn dieser Vorschlag im Vernehmlassungsverfahren recht viel Zustimmung fand und wir für die Beweggründe, die dahinter stehen, Verständnis haben, überwiegen für uns die Argumente, die gegen diese Neuerung sprechen: In der Praxis ergäben sich in solchen Fällen regelmässig erhebliche Beweisschwierigkeiten. Ein rechtsgenüglicher Beweis für eine eigentliche Vergewaltigung durch den Ehemann, wie er insbesondere bei einer derart schweren Strafdrohung unbedingt zu erbringen ist, wäre oft nicht möglich. Die Strafverfolgungsbehörden würden zu peinlichen, die Intimsphäre der Betroffenen empfindlich tangierenden Ermittlungen gezwungen, was für den weiteren Bestand der betreffenden Ehen keineswegs förderlich wäre. Kommt aber die Bestimmung vor dem Hintergrund einer bereits nicht mehr völlig intakten
Ehe zum Tragen, so ist auch die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, sie würde von der Ehefrau zur Unterstützung ihrer Trennungs- oder Scheidungsklage missbraucht.

Und in diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass es für die Kinder des betroffenen Ehepaares oft nachteilig wäre, wenn sie als Auskunftspersonen zu der behaupteten Vergewaltigung ihrer Mutter befragt würden. Schliesslich .weisen wir darauf hin, dass mit der Beschränkung des Vergewaltigungstatbestandes des geltenden Rechts auf den ausserehelichen Beischlaf keine schlechten: Erfahrungen gemacht wurden. Es ist uns auch kein parlamentarischer Vorstoss der letzten Jahre bekannt, der verlangt hätte, die Strafbarkeit der Vergewaltigung der Ehefrau einzuführen.

Fast alle diese Erwägungen sprechen auch gegen den in etlichen Vernehmlassungen gemachten Vorschlag, die Begehung der Tat gegenüber der Ehefrau wenigstens für jene Fälle strafbar zu erklären, in denen die Ehegatten bereits getrennt leben.

1072

Diese Regelung schliesst im übrigen nicht aus, dass sich die Ehefrau auch gegenüber ihrem Ehemann auf den allgemeinen Schutz der persönlichen Freiheit (Art. 180 ff. StGB) und der körperlichen Integrität (Art. 122 ff. StGB) berufen kann.

Strafdrohung Die Strafdrohung für die einfache Vergewaltigung lautet heute nach Artikel 187 Absatz l StGB auf Zuchthaus von l bis zu 20 Jahren, für die qualifizierte nach Absatz 2 auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren. Wir beantragen in Artikel 189 Absatz l des Entwurfes, diese drakonischen Strafdrohungen für die Vergewaltigung ohne mildernde Umstände auf Zuchthaus von einem bis zu zehn Jahren herabzusetzen.

Die Strafdrohung erhöht sich nach Artikel 68 Ziffer l StGB auf 20 Jahre Zuchthaus, wenn Konkurrenz mit (eventual)-vorsätzlicher Tötung (Art. 111 StGB) vorliegt, und auf 15 Jahre Zuchthaus bei Konkurrenz mit schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB).

- Entlastende Umstände Auch bei der Vergewaltigung gibt es gewisse Umstände, die den Täter entlasten.

Die geltende Bestimmung über die Notzucht bietet keine Handhabe, um ihnen gebührend Rechnung zu tragen. Wohl kann der Richter nach Artikel 64 StGB die Strafe mildern, «wenn der Täter durch das Verhalten des Verletzten ernstlich in Versuchung geführt wurde». Jedoch trifft dieser Umstand, von der sehr engen Auslegung durch die Rechtsprechung (vgl. BGE 97 IV 76, 98 IV 67) abgesehen, eine für die Vergewaltigung besonders charakteristische Situation nicht. Es ist die Situation, in der zwischen Täter und Opfer schon vor der Tat eine intime Beziehung bestanden hat, beispielsweise längere Zeit hindurch einverständlicher Geschlechtsverkehr gepflogen wurde, die Partnerin jedoch unvermittelt die Bereitschaft zum Beischlaf verweigert.

Den Täter in einem solchen Falle milder zu bestrafen, als wenn er die Tat gegenüber einer ihm unbekannten Frau begeht, erscheint angemessen. Wir übernehmen deshalb im Prinzip den Vorschlag der Expertenkommission, der in den Vernehmlassungen mehrheitlich befürwortet wurde. Der Täter wird nach Artikel 189 Absatz 2 des Entwurfes mit Gefängnis von drei Tagen bis zu drei Jahren - anstatt mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren - bestraft, wenn in der persönlichen Beziehung zwischen ihm und dem Opfer entlastende Umstände liegen.

Mit dem Begriff der persönlichen Beziehung wird die intime Bekanntschaft
zwischen dem nachmaligen Täter/Opfer-Paar umschrieben, die zwar nicht lange gedauert haben, aber über eine oberflächliche Begegnung hinausgehen muss.

Ein entlastender Umstand dürfte daher nicht von vornherein darin erblickt werden, dass die Frau eine Prostituierte ist, wohl aber grundsätzlich in der Tatsache einer eheähnlichen Gemeinschaft. Der Schutz der Frau soll jedoch auch in diesem Fall nur dann abgeschwächt werden, wenn sie in ihrer Bereitschaft zum geschlechtlichen Verkehr dem Täter im Rahmen dieser Beziehung sehr weit entgegengekommen ist, sich ihm dann jedoch unvermittelt verweigert. Auch wenn sich innerhalb einer gegebenen persönlichen Beziehung die Momente des Ver42 Bundesblatt. 137.Jahrgang. Bd. II

1073

schuldens und des Mitverschuldens weniger genau abgrenzen lassen als bei der Vergewaltigung einer unbekannten Frau, so können wir davon ausgehen, dass die Rechtsprechung nicht vorschnell entlastende Umstände annehmen wird.

Für Fälle eigentlicher Provokation des Täters durch das Opfer soll dagegen der diesbezügliche mildernde Umstand von Artikel 64 StGB genügen. Nach dieser Vorschrift bedarf es zwar, um den Täter ernstlich in Versuchung zu führen, eines aktiven Verhaltens der Verletzten, eines psychischen Drucks, der im,Falle der Vergewaltigung jedoch subtilere Formen annehmen kann. Die Expertenkommission hatte daher in Artikel 190 ihres Vorentwurfes als spezifischen Milderungsgrund vorgesehen, dass die Verletzte durch das Verhalten unmittelbar Anlass zur Vergewaltigung gegeben hat. Dies wäre z. B. der Fall, wenn sie sich ohne weiteres mit sexuellen Handlungen leichterer Art einverstanden erklärt oder gar den späteren Täter dazu herausgefordert hat. Im Vernehmlassungsverfahren sind dagegen deutliche Vorbehalte geäussert worden. Die Einwände lassen sich kurz folgendermassen zusammenfassen: - auch die Person, die dem Täter anfänglich entgegengekommen sei und sich später weigere, verdiene den vollen Schutz des Strafrechts; für die Tatbeständlichkeit sei allein entscheidend, dass eine Frau gegen ihren ausdrücklichen Willen zum Beischlaf gezwungen wurde, nicht wie sie sich vorher verhalten habe; jeder Partner müsse jederzeit sagen können, wann er aufhören wolle; - der Täter werde im Strafverfahren stets behaupten, er habe auf das Einverständnis des Opfers zählen dürfen, was einer frauenfeindlichen Einstellung Vorschub leiste; - es bedeute, die betroffene Frau habe die Vergewaltigung letzten Endes gesucht und gewollt, zumindest akzeptiert; damit kehre sich das Verfahren gegen den Täter in ein solches gegen das Opfer, das beweisen müsse, dass es am Verhalten des Täters keine Schuld trage; - die Frau, die in einem Strafverfahren wegen Vergewaltigung ohnehin eine Schädigung ihres guten Rufes und dessen Publizität scheue, sollte nicht . durch eine solche Vorschrift noch vermehrt von einer, Strafanzeige abgeschreckt werden; greife man auf die allgemeinen Strafmilderungsgründe zurück, könne man dem Einzelfall besser gerecht werden und der Frau eine moralische Verurteilung ersparen.

Wir machen uns diese Einwände
zu eigen und verzichten darauf, in Artikel 189 des Entwurfs einen besonderen Strafmilderungsgrund wegen Provokation einzuführen. Hat die Verletzte den Täter provoziert, lässt sich nach Artikel 64 und 65 StGB die Grundstrafe auf Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ermässigen.

- Strafschärfung

bei grausamer Begehung der Tat

In Abweichung von der Expertenkommission schlagen wir Ihnen in Absatz 3 einen Qualifikationsgrund mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus vor. Es handelt sich um den aus Artikel 195 Absatz 3 StGB übernommenen Qualifikationsgrund der grausamen Begehung. Das Merkmal der Gewalt erfährt in der Grausamkeit, definiert als Roheit, Gefühllosigkeit, Quälerei, eine Steigerung in körperlicher und/oder psychischer Hinsicht. Grausamkeit ist gegeben,

1074

wenn der Täter dem Opfer wissentlich und willentlich besondere Leiden zufügt, die über das Mass dessen hinausgehen, was schon zur Erfüllung des Grundtatbestandes gehört (vgl. BGE 106 IV 367 f. zu Art. 182 Ziff. 2 Abs. 3 StGB alte Fassung).

Als grausam soll in jedem Falle die Begehung .unter Verwendung einer Schusswaffe oder einer anderen gefährlichen Waffe gelten, dies in Anlehnung an die ausdrückliche Regelung der Verwendung der Waffe bei Diebstahl und Raub (Art. 137 Ziff. 2 Abs. 3, 139 Ziff. l bis StGB).

Je nach den Umständen wird auch bei einer Vergewaltigung, die mehrere Täter gemeinsam begehen, das Merkmal der Grausamkeit erfüllt. Für die gemeinsame Begehung eines Delikts im Sexualbereich schlagen wir eine besondere Qualifikation vor (siehe Ausführungen zu Art. 200 des Entwurfs; vgl. Ziff. 232.6).

Die Qualifizierung wird ohne Rücksicht auf die Privilegierung wegen entlastender Umstände (vgl. Art. 189 Abs. 2 des Entwurfs) angewendet; sie ist jedoch der Milderung gemäss Artikel 64 und 65 StGB, die für die Besonderen Bestimmungen des StGB insgesamt gelten, zugänglich.

232.22

Nötigung zu einer anderen geschlechtlichen Handlung (Art. 190)

Artikel 188 des geltenden Rechts wird zu Artikel 190. An seinem Inhalt wird wenig geändert. Wie bei der Bestimmung über die Vergewaltigung soll durch die Formulierung klar werden, dass das zum Widerstand-unfähig-Machen ein eigenes, alternativ zu den Mitteln der Gewalt und der schweren Drohung bestehendes Nötigungsmittel ist. Die Worte «auf andere Weise» (Art. 188 StGB) werden daher gestrichen. Der Täter braucht die Widerstandsunfähigkeit nicht durch Gewalt oder schwere Drohung bewirkt zu haben (vgl. BGE 75 IV 116); es genügt, wenn er das Opfer z. B. durch Narkotika bewusstlos gemacht hat.

Ferner erachten wir es als unnötig, im Gesetzestext weiterhin ausdrücklich die beiden Varianten der erzwungenen Handlung - Duldung und Vornahme - zu nennen; auch wenn das Opfer bloss duldet, ist der Tatbestand erfüllt, ohne dass dies besonders gesagt werden muss. Die Nötigungsmittel werden somit gleich umschrieben wie bei der Vergewaltigung.

Das erzwungene Verhalten besteht in jeder anderen geschlechtlichen Handlung als dem in Artikel 189 des Entwurfs (Vergewaltigung) erfassten Beischlaf. Die Frage stellt sich, ob zwischen den beischlafsähnlichen und den übrigen geschlechtlichen Handlungen zu differenzieren sei. Wir verzichten darauf, da diese Begriffe infolge ihrer Unbestimmtheit für eine Abstufung der Strafbarkeit ungeeignet sind. Der höheren Strafwürdigkeit von erzwungenen hetero- und homosexuellen Handlungen, die einer Vergewaltigung gleichkommen, wird dadurch Rechnung getragen, dass der Strafrahmen wie für die Vergewaltigung bis zu zehn Jahren Zuchthaus reicht. Diese Höchststrafe ist gegenüber jener des geltenden Artikels 188 um fünf Jahre höher. Für harmlosere, aber immer noch erhebliche geschlechtliche Handlungen bleibt Gefängnis angedroht. Die Bestrafung nach Artikel 177 StGB (Angriff auf die Ehre durch Tätlichkeiten) oder Artikel 198 des Entwurfes (Geschlechtliche Belästigungen) bleibt für die Fälle vor1075

behalten, welche die Voraussetzungen von Artikel 190 des Entwurfes nicht erfüllen.

Diese Änderungen, die wir von der Expertenkommission übernehmen, haben im Vernehmlassungsverfahren weitestgehende Zustimmung gefunden.

Hinsichtlich der Opfer ist zu beachten, dass Artikel 190 des Entwurfes wie bisher Artikel 188 StGB ganz allgemein Personen schützt. Das bedeutet, dass auch der Mann Opfer sein kann und überdies, dass die genötigte Person nicht anderen Geschlechts als der Täter zu sein braucht. Ferner werden auch weibliche Personen unter 16 Jahren geschützt, was wiederum erlaubt, die nach Artikel 187 des Entwurfs ausgesprochene Strafe in schweren Fällen entsprechend'zu schärfen (Idealkonkurrenz zwischen den beiden Bestimmungen).

Obwohl es sein Wortlaut an sich zuliesse, wird der geltende Artikel 188 StGB auf solche erzwungene Handlungen im ehelichen Bereich unseres Wissens praktisch nicht angewendet. Indem wir auch Artikel 190 des Entwurfs diesbezüglich nicht ausdrücklich einschränken, lassen wir dessen Anwendbarkeit auf Fälle offen, in denen andere geschlechtliche Handlungen dem Ehegatten abgenötigt werden. Abweichend vom Expertenentwurf verzichten wir anderseits aber auch darauf, die gegenüber dem Ehegatten begangene Tat ausdrücklich (auf Antrag) strafbar zu erklären.

Entlastende Umstände Entlastende Umstände sind selbstverständlich auch bei den im Rahmen von Artikel 190 des Entwurfes denkbaren Beziehungen (es können auch dauernde homosexuelle Beziehungen sein) zu berücksichtigen. Wir verweisen auf unsere Ausführungen zu Artikel 189 des Entwurfes (vgl. Ziff. 232.21).

Strafschärfung bei grausamer Begehung In Parallele zu Artikel 189 Absatz 3 des Entwurfs (Vergewaltigung) sehen wir auch hier für die grausame Begehung der Tat eine Qualifizierung, d. h. eine Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus vor (vgl. Ziff. 232.21).

232.23

Schändung (Art. 191)

Diese Bestimmung tritt an die Stelle der Artikel 189 StGB (Schändung) und 190 StGB (Unzucht mit Schwachsinnigen). Die Kritik an der Unterscheidung zwischen der eigentlichen Schändung und der Schändung minderen Grades, wie der Tatbestand von Artikel 190 StGB in der Lehre oft bezeichnet wird, hat bis heute angehalten; sie hat ihren Grund in den wenig greifbaren Unterschieden zwischen den in den beiden Bestimmungen aufgezählten Zuständen des Opfers, die dessen Schutzwürdigkeit begründen. Keine besonderen Schwierigkeiten bietet der Begriff des Schwachsinns, der den Begriff des Blödsinns in Artikel 189 StGB ersetzt. Hingegen hält es sehr schwer, beim Opfer jenen Grad des Schwachsinns festzustellen, der nicht den Schutz durch Artikel 189 StGB mit einer Strafdrohung von Zuchthaus bis zu zehn Jahren verlangt, aber dennoch so erheblich ist, dass sich die Strafdrohung nach Artikel 190 Absatz l StGB -

1076

Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Monat - rechtfertigt. Die Anwendung von Artikel 190 StGB bereitet übrigens auch aus anderen Gründen Mühe. Die Täter sind mangels Intelligenz oft nicht in der Lage, den Schwachsinn ihres Partners richtig einzuschätzen. Die Fähigkeit, das Unrecht ihrer Tat einzusehen, ist ihnen daher kaum nachzuweisen. Vermögen doch sogar durchschnittlich Intelligente jenen geringeren Grad von Schwachsinn des Partners, den Artikel 190 StGB voraussetzt, oft nicht zu erkennen, zumal, wenn Täter und Opfer sich nur flüchtig kannten 15 ) (vgl. BGE 82 IV 153).

Die Expertenkommission hat aus diesen Gründen die beiden geltenden Tatbestände (Schändung und Unzucht mit Schwachsinnigen) in einem einzigen Tatbestand vereint, mit dem Ziel, Personen zu schützen, die seelisch oder körperlich nicht in der Lage sind, sich gegen sexuelle Zumutungen zu wehren. Wir machen uns den Vorschlag der Expertenkommission im Prinzip zu eigen.

Opfer ist unabhängig vom Alter eine urteilsunfähige oder wehrlose Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die der Täter in Kenntnis ihres Zustandes zu einer geschlechtlichen Handlung missbraucht.

In Abweichung vom geltenden Recht umfasst die Tathandlung, dem Expertenentwurf folgend, auch den erzwungenen ehelichen Beischlaf. Der sexuelle Missbrauch des urteilsunfähigen oder widerstandsunfähigen Ehepartners widerspricht derart der Treue- und Beistandspflicht in der ehelichen Gemeinschaft, dass die Erwägungen, die wir gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung der Ehefrau ins Feld geführt haben, hier zur Begründung der Straflösigkeit nicht mehr zutreffen. Auf ein ausdrückliches Antragsrecht des Ehegatten wird indes auch hier verzichtet.

Die Widerstandsunfähigkeit umfasst ausser der physischen auch die psychische Wehrlosigkeit, wie dies Artikel 189 und 190 StGB mit den Begriffen der Geisteskrankheit, des Schwachsinns, der Bewusstlosigkeit oder der Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit umschreiben. Diese Zustände haben miteinander gemeinsam, dass sie eine gültige Einwilligung zu einer geschlechtlichen Handlung und die Verantwortung dafür ausschliessen. Es liegt nahe, für die Folgen jener Störungen den zivilrechtlichen Begriff der Urteilsunfähigkeit zu verwenden. Urteilsunfähig ist danach, wer dauernd oder - etwa infolge Einnahme von
Betäubungsmitteln oder Alkoholika oder im Zusammenhang mit einem Unfall - vorübergehend unfähig ist, vernunftgemäss zu handeln.16' Das Merkmal des Missbrauchs zu einer geschlechtlichen Handlung, das an die Stelle der Vollziehung des Beischlafs und der Vornahme einer anderen unzüchtigen Handlung tritt, bringt deutlicher zum Ausdruck, dass der Täter die Wehrlosigkeit des Opfers in Kenntnis dieses Zustandes ausnützt. Ist das Opfer zwar geistig behindert, im übrigen aber im sexuellen Bereich nicht wehrlos, so ist der Tatbestand der Schändung nicht erfüllt. Dieser kann nicht dazu dienen, jede sexuelle Betätigung von Personen, die unter gewissen geistigen Ausfallerscheinungen leiden, zu unterbinden.

Strafdrohung und Abgrenzung zu Artikel 187 des Entwurfs Die Strafdrohung beträgt Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis. Sie ist gegenüber der Strafe für Vergewaltigung (Art. 189 des Entwurfs) milder, da der 43 Bundesblatt. 137.Jahrgang. Bd.II

·

1077

Täter hier die bereits vorhandene Unfähigkeit zur Zustimmung oder zum Widerstand ausnutzt, dort diese Unfähigkeit gegen den Willen des Opfers erst bewirkt. Die Tat an einem Opfer, das aus irgendwelchen Gründen in seiner Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist, sich jedoch wehrt und dadurch Einsicht in die Bedeutung des geschlechtlichen Vorgangs beweist, ist eine Vergewaltigung.17' Handelt es sich beim Opfer um ein irgendwie geistig behindertes Kind, wird es nicht immer leicht sein, zu entscheiden, ob die Tat den Unrechtsgehalt der Schändung erfüllt. Denn je jünger das Kind ist, desto schwerer lässt sich die Einsichtsunfähigkeit infolge seines Alters von der Urteilsunfähigkeit infolge geistiger Behinderung unterscheiden. Die Expertenkommission hatte aus diesen Gründen jegliche Fälle von Urteilsunfähigkeit bis zum Alter von 14 Jahren (Schutzalter gemäss ihrem Vorschlag) in Artikel 187 des Vorentwurfs über geschlechtliche Handlungen mit Kindern verwiesen. Wir sehen von dieser Lösung, die den Absichten des Täters nicht gerecht wird, ab. Beruht die Urteilsunfähigkeit des Opfers vor allem darauf, dass es das 16. Altersjahr noch nicht vollendet hat, soll Artikel 187 unseres Entwurfes anwendbar sein; tritt dagegen der eigentliche Missbrauch einer Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit in den.Vordergrund, soll die Tat von der Bestimmung über die Schändung erfasst werden. Zu denken ist namentlich an die Fälle .des Missbrauchs von Bewusstlosen, z. B. eines unter Drogeneinfluss stehenden Jugendlichen.

232.24

Geschlechtliche Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten (Art. 192)

Die Bestimmung unterscheidet sich von Artikel 193 StGB, den sie ersetzt, indem sie die Aufsichtsfunktion des Täters über das Opfer für sich allein nicht mehr genügen lässt. Entscheidend für die Strafbarkeit nach Artikel 192 des Entwurfs ist nurmehr, ob der Täter die Einwilligung des Opfers in eine geschlechtliche Handlung durch Ausnützen von dessen Abhängigkeit erlangt.

Ebenso wird bestraft, wer das Abhängigkeitsverhältnis in dem Sinne ausnützt, dass er das Opfer zu einer geschlechtlichen Handlung mit einem Dritten verleitet.

Die Ausdrücke «Anstaltspflegling» und «Anstaltsinsasse» erlauben, auf die bisherige Aufzählung der verschiedenen Anstaltstypen zu verzichten. Anstaltsinsasse ist z. B. eine Person, die verwahrt wird, weil sie die öffentliche Sicherheit gefährdet (Art. 43 Ziff. l Abs. 2 StGB). Da für die Strafbarkeit die Ausnützung einer Abhängigkeit erforderlich ist, wird es belanglos, ob jemand auf amtliche Anordnung und somit zwangsweise oder freiwillig, etwa als Patient eines Altersheims, in der Institution weilt.

Auch diese Bestimmung verwendet den einheitlichen Begriff der geschlechtlichen Handlung (vgl. Ziff. 232.11) und übernimmt als Strafe die Gefängnisstrafe von Artikel 193 Absatz 2 StGB.

Für den fakultativen Strafbefreiungsgrund in Absatz 2 verweisen wir auf unsere Ausführungen zu den Artikeln 187 und 188 des Entwurfes (Geschlechtliche Handlungen mit Kindern, mit Abhängigen).

1078

232.25

Ausnützung der Notlage (Art. 193)

Die Bestimmung tritt anstelle von Artikel 197 StGB (Missbrauch der Notlage oder Abhängigkeit einer Frau), der eine Parallelvorschrift zu Absatz 2 von Artikel 194 StGB (Widernatürliche Unzucht) bildet. Verschieden sind die beiden Vorschriften nur hinsichtlich des Opfers, das dort gleichen Geschlechts ist wie der Täter, hier nur weiblichen Geschlechts sein kann. Gemäss unserer Absicht, hetero- und homosexuelles Verhalten strafrechtlich gleich zu behandeln, heben wir den Tatbestand der widernatürlichen Unzucht auf (vgl. Ziff. 232.33) und erweitern entsprechend Artikel 193 unseres Entwurfs: Opfer kann nicht mehr nur eine Frau, sondern jede Person sein; Tathandlung ist nicht allein der Beischlaf, sondern die geschlechtliche Handlung an sich.

Verzichtet wird auf das Tatbestandsmerkmal von Artikel 197 StGB, dass das Opfer sich in einer «durch ein Amts- oder Dienstverhältnis oder einer auf ähnliche Weise begründeten Abhängigkeit» befindet. Denn für Personen in Abhängigkeitsverhältnissen, die des Schutzes bedürfen, greifen in ausreichender Weise andere Vorschriften ein: für unmündige Personen Artikel 188 des Entwurfs, für Personen in Anstalten Artikel 192 des Entwurfs, für weitere Fälle des Amts' missbrauchs Artikel 312 StGB. Auch hier gehen im übrigen die Artikel 189 und 191 des Entwurfs vor (Vergewaltigung und Schändung).

Die neue Vorschrift beschränkt den Schutz auf Personen in schwerer Notlage, und diese müssen zu geschlechtlichen Handlungen veranlagst werden. Personen, die sich leichthin durch Vergebung sexueller Gunst aus ihren Schwierigkeiten befreien oder gar die Initiative zu den geschlechtlichen Handlungen ergreifen, kommen als Opfer nicht in Frage.

Anders liegt der Fall, wenn eine geschiedene Frau mit drückenden Familienverpflichtungen in sexuelle Zumutungen des Arbeitgebers einwilligen muss, um die Arbeitsstelle, auf die sie dringend angewiesen ist, zu erhalten. Über Nötigung (Art. 181 StGB) wäre dieser Fall nicht zu erfassen, weil niemand mit der Nichteinstellung bedroht werden kann, da ein Recht der Betroffenen auf Einstellung fehlt. Den Schutz der neuen Bestimmung kann auch der Jüngling beanspruchen, der - yon zu Hause weggelaufen und auf der Suche nach Unterkunft und Arbeit - von einem homosexuellen Mann aufgegriffen und gegen entsprechende sexuelle Dienste zeitweilig ausgehalten wird.
Das Strafmass von Artikel, 197 StGB - Gefängnis - wird beibehalten, ebenso der fakultative Strafbefreiungsgrund bei Eheschluss zwischen Täter und Opfer, und zwar in der bereits bei den Artikeln 187, 188 und 192 des Entwurfs angewandten Formulierung.

232.26

Exhibitionismus (Art. 194)

Diese Bestimmung tritt teilweise an die Stelle von Artikel 203 StGB (Öffentliche unzüchtige Handlungen), dessen Anwendungsbereich entsprechend eingeschränkt wird. Beim Tatbestand der öffentlichen unzüchtigen Handlung lässt 1079

sich die Grenze der Strafbarkeit nur schwer bestimmen; er gab Anlass zu einer weiten richterlichen Auslegung. So wurde eine Handlung, welcher der Täter selber keinerlei sexuelle Bedeutung zumass, als unzüchtig eingestuft, weil dieses Verhalten das durchschnittliche sittliche Empfinden verletzte (vgl. BGE 89 IV 131). Die Doktrin hat demgegenüber festgehalten, dass jedenfalls Handlungen ohne sexuelle Bedeutung niemals unzüchtig sein könnten.18) Sie hält im übrigen den Massstab der durchschnittlichen sittlichen Anschauung für verfehlt.19) Um den Strafrichter von der Pflicht, in solchen Fällen den Sittenrichter spielen zu müssen (vgl. BGE 103 IV 171, 104 IV 258), zu befreien, hat die Expertenkommission aus dem Komplex der bei Artikel 203 StGB möglichen Handlungen den Exhibitionismus herausgenommen und als selbständigen Tatbestand ausgestaltet. Diesem Vorschlag, den wir uns zu eigen machen, wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich zugestimmt. Bedenken gegen die praktische Durchführbarkeit des Vorschlages sollen im folgenden ausgeräumt werden.

Die exhibitionistische Handlung nach Artikel 194 des Entwurfs versteht sich als ein bewusstes Zurschaustellen der Sexualorgane aus sexuellen Beweggründen.

Der Exhibitionismus reicht, beim Wort genommen, so weit, als es dem Täter nur auf die Wahrnehmung der Entblössung ankommt. Geschieht die Entblössung zur Vorbereitung eines weitergehenden sexuellen Angriffs, z. B. einer Vergewaltigung, fällt dies nicht mehr unter den so verstandenen Exhibitionismus.

Keine exhibitionistische Handlung ist, mangels der erforderlichen sexuellen Tendenz, das Entblössen zur Provokation, zur Verrichtung der Notdurft.20) In solchen Fällen kann Artikel 198 des Entwurfes (geschlechtliche Belästigung) eingreifen (vgl. Ziff. 232.51).

Auf das Merkmal der Öffentlichkeit kommt es in diesem Zusammenhang nicht an; ohne Bedeutung ist,-ob die Entblössung in einem Hausflur, einem Lift, einem geschlossenen Eisenbahnabteil vorgenommen wird oder aber in einer vielbegangenen Strasse.

Der Exhibitionist als Täter ist eher harmlosen Zuschnitts. In der Literatur wird im Exhibitionismus eine Ersatzhandlung erblickt, die zur Kompensierung einer fehlenden Anerkennung auf dem Gebiet der Sexualität dient. Sein Verhalten wird vorwiegend durch unbewusste Impulse bestimmt; er leidet oft unter seiner Neigung,
die er selber als Misslingen der normalen Sexualanpassung erlebt.

Selten sind die Fälle, in denen Exhibitionisten zu eigentlichen Vergewaltigungshandlungen übergehen. Ebenso selten scheint sich neuesten Untersuchungen zufolge die exhibitionistische Anfälligkeit als Durchgangsstadium zur gewaltsamen Sexualkriminalität überhaupt zu erweisen.21 Strafantrag, Strafdrohung und -verfahren Die Beschränkung des geltenden Tatbestandes der öffentlichen unzüchtigen Handlung auf den Exhibitionismus erlaubt die Umwandlung in ein Antragsdelikt. Denn geschütztes Rechtsgut ist nicht mehr die öffentliche Sittlichkeit, sondern die geschlechtliche Freiheit des einzelnen Opfers exhibitionistischer Handlungen, welches selbst entscheiden soll, ob es sich dadurch verletzt fühlt. Das Antragsdelikt schliesst aus, dass das Opfer, welches der Tat keine besondere Bedeutung zumisst oder den zuerst erlittenen Schock überwunden hat, nach ei-

1080

niger Zeit durch das Strafverfahren gezwungen wird, sich erneut mit dem unliebsamen Vorfall zu beschäftigen.

Der Vollzug einer kurzfristigen Freiheitsstrafe, zu der der Exhibitionist oft verurteilt wird, ist nach übereinstimmender Auffassung von Medizinern und Juristen für diesen Täter besonders ungeeignet. Die generai- und spezialpräventive Wirkung der Strafe wird in seinem Falle bezweifelt. Anderseits gilt nach nahezu ebenso einhelliger Meinung die psychotherapeutische Behandlung als in hohem Masse erfolgversprechend; dies nicht zuletzt wegen der erwiesenen Behandlungswilligkeit des Exhibitionisten. Nach einer solchen ärztlichen Behandlung soll die Gefahr eines Rückfalls gering sein. Erfolgversprechend ist die ärztliche Behandlung jedoch nur, wenn sie im Einverständnis mit dem Exhibitionisten, auf keinen Fall aber unter Zwang durchgeführt wird.22^ Aus diesen Erwägungen wird dem Exhibitionisten zwar eine Strafe angedroht (Abs. 1), jedoch auch die Möglichkeit eröffnet, dass das Strafverfahren eingestellt wird, wenn er sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht oder einer solchen bereits untersteht (Abs. 2). Dies bedingt eine Überwachung des Falles durch die Untersuchungsbehörden in Zusammenarbeit mit dem den Exhibitionisten behandelnden Arzt.

Die Strafdrohung darf angesichts des meist nicht hohen Unrechtsgehalts der Tat und der geringen Schädigung der Betroffenen niedrig sein: falls der Richter für den Täter keine Behandlung in Betracht zieht, soll er eine Strafe bis zu sechs Monaten oder eine Busse aussprechen können. Dieser Ansatz liegt immer noch hoch genug, um den Exhibitionisten in seiner Behandlungswilligkeit zu bestärken. Für Fälle, in denen der Exhibitionist sein Opfer in Angst und Schrecken versetzt, können schliesslich nach dem Tatbestand der Drohung (Art. 180 StGB) bis zu drei Jahre Gefängnis ausgesprochen werden.

Die Regelung von Absaiz 2 ist jener von Artikel 19a Ziffer 3 des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG; SR 812.121)2i) entlehnt. Das beim drogenabhängigen Täter angewandte methodische Vorgehen, um diesem mit Hilfe des Arztes die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen, empfiehlt sich auch beim Exhibitionisten. Den Behörden soll die Möglichkeit eingeräumt werden, das Strafverfahren unter bestimmten Voraussetzungen einstweilen zu sistieren, es aber wieder aufzunehmen,
wenn diesen Voraussetzungen nicht Genüge geleistet wird. Sistierende Behörde wird in erster Linie die Untersuchungsbehörde sein, muss doch sorgfältig ermittelt werden, ob der Betreffende bereits in Behandlung steht oder gewillt ist, sich in Behandlung zu begeben. Würde sich der Untersuchungsrichter davon überzeugen, dass die Behandlungswilligkeit fehlt oder die Behandlung vom Exhibitionisten nicht ernsthaft in Aussicht genommen wird, müsste er das Strafverfahren weiterführen. Dies bedeutet auch, dass die Polizei den Fall des Täters, der bestätigt, dass er in Behandlung steht, nicht selbst abschliessen darf. Anderseits ist es auch nicht erforderlich, dass der Sistierungsentscheid erst auf der Ebene des Gerichts getroffen wird.

Da das Strafverfahren wieder aufzunehmen ist, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht, muss sein Fall von der Untersuchungsbehörde überwacht werden. Zu verweisen ist hier etwa auf die Parallele einer laufenden Methadonbehandlung eines Drogenabhängigen, die ebenfalls zur Einstellung des Strafver-

1081

fahrens nach Artikel 19a Ziffer 3 BetmG führen kann. Wie in jenem Fall müsste der Untersuchungsrichter mit dem behandelnden Arzt die Durchführung der Behandlung absprechen, namentlich diesen zu dauernder Begleitung des Exhibitionisten verpflichten sowie zur Mitteilung, falls jener die Behandlung vorzeitig beendigt.

Schliesslich soll auch hier eine zweijährige Verjährungsfrist eingeführt werden.

Eine Abweichung gegenüber den anderen Tatbeständen, bei denen wir sie vorsehen (Art. 187 Ziff. 4 und 188 Ziff. 3 des Entwurfs, Geschlechtliche Handlungen mit Kindern und mit Abhängigen), würde sich nicht rechtfertigen.

232.3

Ausnützung geschlechtlicher Handlungen

232.31

Förderung der Prostitution (Art. 195)

Mit der Expertenkommission sind wir der Meinung, dass die geltenden Vorschriften über die Kuppelei und die Zuhälterei keine eigentlichen Sexualdelikte erfassen, sondern verschiedene Formen fast ausnahmslos wirtschaftlicher Ausnützung sexuellen Verhaltens anderer Personen unter Strafe stellen. Die Doktrin vermisst bei den Tatbeständen der Kuppelei (dem Vorschubleisten zur Unzucht, d. h! dem ausserehelichen Beischlaf und entsprechenden Ersatzhandlungen, Art. 198, 199 StGB) ein klar fassbares geschütztes Rechtsgut. Bestraft wird die Beteiligung an einem Verhalten, das zwar unsittlich sein mag, aber meist straflos ist. Dem wurde auch nicht mit einer einschränkenden Auslegung des Unzuchtsbegriffs begegnet (vgl. BGE 71 IV 95, 98 IV 256). Keinen Grund für die Strafbarkeit ergibt die Abneigung gegen das Geschäft des Kupplers, der aus sexuellem Verhalten finanzielle Vorteile schlägt. Auch die Vorschriften über die Zuhälterei (Art. 201 StGB) - namentlich die passive - befriedigen nicht. In der Praxis gerät das eigentlich entscheidende Merkmal der Ausbeutung, dass Prostituierte in einem Abhängigkeitsverhältnis ausgenützt und in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden, gegenüber rein rechnerischen, vermögensrechtlichen Überlegungen in den Hintergrund.24) Eine strafrechtliche Regelung findet auf diesem Lebensgebiet daher nur dann einen sicheren Ausgangspunkt, wenn -sie sich als Schutz der persönlichen Freiheit versteht. Demzufolge schlagen wir als Ersatz für die Artikel 198, 199, 200 und 201 StGB eine einzige Bestimmung unter dem Randtitel «Förderung der Prostitution» vor. Danach ist strafbar, wer eine unmündige Person oder eine Person unter Ausnützung ihrer Notlage oder irgendeine Person wegen eines Vermögensvorteils der Prostitution zuführt oder darin festhält. Strafbar ist ferner die Überwachung der Prostituierten bei ihrer Tätigkeit. Die neue Vorschrift soll die Entscheidungsfreiheit der Person, welche der Prostitution nachgeht, schützen und zugleich andere Personen davor bewahren, gegen ihren Willen zur Prostitution verleitet zu werden. Auch ausländische Regelungen lösen diese Probleme in ähnlicher Weise.25) Was ist unter Prostitution zu verstehen? Prostitution kann sowohl hetero- wie homosexuelle Prostitution sein. Sie besteht im gelegentlichen oder gewerbsmäs1082

sigen Anbieten und Preisgeben des eigenen Körpers an beliebige Personen zu deren sexueller Befriedigung gegen Entlöhnung in Geld oder anderen materiellen Werten. Die sexuelle Handlung braucht nicht in der Vornahme des Beischlafs zu bestehen.

Der Prostitution fiihrt zu, wer jemanden in dieses Gewerbe einführt und zu dessen Ausübung bestimmt. Angesichts der Beeinflussungsmöglichkeiten, die vom blossen Ratschlag bis zum massiven Druck reichen, bedarf es einer gewissen Intensität der Einwirkung, damit ein Zuführen angenommen werden darf. Zuführen reicht weiter als Verleiten. Auch eine Person, die die Prostitution bereits ausübt, kann zu einer konkreten Prostitutionshandlung verleitet werden, z. B.

um einen bestimmten Betrag für die Anschaffung eines Wagens aufzubringen.

Dagegen kann nur eine Person, die nicht in der Prostitution steht, der Prostitution zugeführt werden.

Festhalten in der Prostitution meint Vorkehren aller Art, die diesem Zwecke dienen, wie z. B. Gewalt, Drohung, das Verstricken in Abhängigkeiten, namentlich auch finanzieller Art.

Absatz l der neuen Bestimmung schützt zunächst die Unmündigen. Dieser generelle Schutz Minderjähriger rechtfertigt sich angesichts ihrer noch nicht voll entwickelten Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Selbständige Bedeutung wird diese Vorschrift nur erhalten, wenn das Opfer wenigstens 16 Jahre alt ist. Jüngere Personen der Prostitution zuzuführen, ist in Idealkonkurrenz mit Artikel 187 Ziffer l Absatz 3 des Entwurfes (Verleitung zu einer geschlechtlichen Handlung) strafbar.

Nützt der Täter eine Abhängigkeit der zwar 16-, aber noch minderjährigen Person aus, liegt keine Idealkonkurrenz zu Artikel 188 Ziffer l Absatz 2 des Entwurfes vor. Hier ist Artikel 195 des Entwurfes mit der wesentlich schärferen Strafdrohung allein anwendbar, da die Zuführung zur Prostitution eine verwerflichere Form der Verleitung zu geschlechtlichen Handlungen darstellt.

Ausserdem erübrigt sich Artikel 200 StGB (Begünstigung der Unzucht), wonach strafbar ist, «wer ohne gewinnsüchtige Absicht der Unzucht mit Personen unter 18 Jahren Vorschub leistet oder eine solche Person zur .Unzucht .aufreizt». Solches Verhalten kann eine strafbare Teilnahme an den von Artikel 188 (Geschlechtliche Handlungen mit Abhängigen) und 193 (Ausnützung der Notlage) des Entwurfes erfassten Straftaten
darstellen. Er gilt im übrigen als zu weit, da Eltern oder Lehrer darunter fallen, die mit «unzüchtigen» Handlungen zwischen ihren heranwachsenden Kindern oder Schülern und gleichaltrigen Partnern rechnen müssen und nicht dagegen einschreiten. Geht es um den Schutz im Hinblick auf die Prostitution, genügt der Tatbestand des Artikels 195 des Entwurfes.

Der Tatbestand der Förderung der Prostitution ist nach Absatz l von Artikel 195 des Entwurfes auch erfüllt, wenn die wegen ihrer Abhängigkeit in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigte Person dazu gebracht wird, sich der Prostitution hinzugeben, oder daran gehindert wird, die Prostitution aufzugeben.

Wie bei der Variante des Jugendschutzes ist nicht von Bedeutung, aus welchen Motiven der Täter gegenüber dem Opfer handelt.

1083

Der Begriff der Abhängigkeit ist weit zu verstehen. Er wird im Gesetzestext nicht näher definiert; vielmehr wird die Bewertung der Situation dem Richter überlassen. Die Abhängigkeit mag bereits darin bestehen, dass das Opfer dem Täter hörig ist. Als naheliegendes Beispiel für das Ausnützen einer Abhängigkeit dient das Halten eines Bordells. Der Betrieb eines solchen soll deshalb wie nach geltendem Recht (Art. 199 Abs. l StGB) strafbar sein, nun aber unter einem gegenüber jener Regelung deutlich greifbaren Schutzobjekt: nämlich der Personen, die in die Prostitution verbracht werden oder sie aufgeben wollen.

Als Bordelle kommen verschiedene Einrichtungen in Betracht, u. U. auch ein Massagesalon (vgl. BGE 98 IV 255, ohne Hinweis auf Art. 199 Abs. l StGB).

Das Bordell braucht nicht notwendigerweise eine räumliche Institution zu sein; auch beim Call-Girl-Ring kann eine Vermittlung unter Ausnützung einer Abhängigkeit stattfinden. Beim sogenannten Eros-Center handelt es sich dagegen um eine relativ freie Einrichtung, in der die dem Bordell eigene Aufsicht und Leitung der Prostituierten fehlt; sie hat sich, gemessen an der Strassenprostitution, offenbar bewährt. Es ist allerdings nicht auszuschliessen, dass sich auch in einer solchen Einrichtung gewisse Formen von Abhängigkeiten der Prostituierten entwickeln. Der vorgeschlagene Artikel ermöglicht es der Polizei jedoch, dies dauernd zu überprüfen. Unter der Voraussetzung, dass keine Abhängigkeit besteht, entfällt die Bestrafung des Trägers eines Eros-Centers.

Artikel 195 Absatz 2 des Entwurfes umschreibt eine zweite Form strafbarer Förderung der Prostitution. Sie setzt voraus, dass der Täter beabsichtigt, einen Vermögensvorteil zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal verschmilzt mit dem Motiv des Täters.

Diese Vorschrift soll vor allem die geltende Regelung über die Zuhälterei ersetzen und dabei das Gewicht der Strafbarkeit auf die ausbeuterische Tätigkeit des Zuhälters verlegen. Einkommensleistungen des oder der Prostituierten dürfen nur dann straflos entgegengenommen werden, wenn dem daran Beteiligten weder ein Zuführen zur noch ein Festhalten in der Prostitution um eines Vermögensvorteils willen nachgewiesen werden kann, d. h. solange, als die betreffende Person die freie Entscheidung über ihr Einkommen behält.

Ferner wird der Täter strafbar, der um
des eigenen Vermögensvorteils willen die Handlungsfreiheit einer sich prostituierenden Person in anderer Weise beschneidet, sie dazu bringt, ihre Tätigkeit in einer Weise auszuüben, die ihrem eigentlichen Willen nicht entspricht. Diese Generalklausel umschreibt eine besondere Art des Festhaltens in der Prostitution. Ihr wird genügt, wenn die Prostituierte angehalten wird, ihre Tätigkeit fortzusetzen, obschon sie dieselbe im einzelnen Fall abbrechen und keine weiteren Kunden suchen und bedienen möchte, oder wenn der Prostituierten zugemutet wird, sexuelle Handlungen auszuführen, die sie nicht vornehmen möchte. Die Prostituierte muss sich von der Prostitution nicht lösen wollen; hingegen soll sie diese konkreten Auswirkungen des Festgehaltenwerdens im Gewerbe nicht erdulden müssen. Insofern kann die Beeinträchtigung ihrer Handlungsfreiheit eine geringfügigere sein als diejenige der anderen Tatbestände nach Artikel 195 Absätze l und 2 des Entwurfs.

1084

In allen diesen Fällen wird die prostituierte Person unter einem gewissen Druck des Täters und einer mehr oder weniger starken Abhängigkeit von ihm stehen.

Doch muss diese Abhängigkeit nicht eigens bewiesen werden; es genügt der Nachweis, dass der Täter ein bestimmtes Verhalten der Prostituierten um seines wirtschaftlichen Vorteils willen erreicht. Es trifft zu, dass selbst dann der Nachweis dieser Tat nicht leicht und meistens erst möglich sein wird, wenn die Pro. stituierte ihr Gewerbe aufgegeben oder sich von ihrem Zuhälter getrennt hat.

Dieselben Schwierigkeiten stellen sich jedoch schon jetzt einer wirksamen strafrechtlichen Verfolgung der Zuhälterei entgegen.

Strafdrohung Die Tatbestände der Absätze l und 2 sind unter derselben Strafdrohung in einer einzigen Bestimmung vereinigt, sind es doch lediglich zwei alternative Formen der Tathandlung, eine Person der Prostitution zuzuführen oder darin festzuhalten. Dies erlaubt dem Richter, den Gegebenheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Als Höchststrafe sind fünf Jahre, Zuchthaus, im Minimum Gefängnis angedroht. Diese Höchststrafe entspricht den qualifizierten Tatbeständen von Artikel 198 Absatz 2 und 199 Absatz l StGB. Eine Überprüfung von Artikel 199 Absatz 2, der eine Höchststrafe von zehn Jahren Zuchthaus für die gewerbsmässige Verkuppelung Unmündiger vorsieht, wurde bereits in BGE 106 IV 121 angeregt. Auf besondere Mindeststrafen (Art. 198 Abs. 2, 201 StGB) soll nach allgemein befolgter Linie verzichtet werden. Liegt Gewinnsucht vor, kann im übrigen der Richter nach Artikel 50 Absatz l StGB neben der Freiheitsstrafe zu Busse verurteilen; er kann ferner Artikel 58 Absatz l Buchstabe a anwenden und den unrechtmässigen Vorteil einziehen.

Die Landesverweisung, die für den ausländischen Kuppler gemäss geltendem Artikel 199 Absatz 3 StGB obligatorisch ist, kann der Richter schon gestützt auf Artikel 55 Absatz l StGB aussprechen. Die Nationalität als solche ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung; hat sich der Täter in der Schweiz eingelebt, soll die Resozialisierung in der Schweiz stattfinden (vgl. BGE 104 Ib 154).

Eine Vorschrift, dass der Täter obligatorisch des Landes zu verweisen ist, rechtfertigt sich ohnehin nur dort, wo er speziell gegen die Schweiz gehandelt hat.

Wir möchten zum Schluss nicht verhehlen, dass Artikel 195 des
Entwurfs dem Konzept der UNO-Konvention vom 21. März 1950 zur Unterdrückung des Menschenhandels und der Ausbeutung der Prostitution Dritter insoweit widerspricht, als er auf die Handlungsfreiheit der Prostituierten abstellt und damit Prostituiertenhäuser nur erfasst, wenn darin eine Abhängigkeit ausgenützt wird.

Die Ratifizierung dieser Konvention durch die Schweiz ist allerdings schon bisher aus Gründen der Rücksicht auf die kantonale Souveränität gescheitert (Art. 6 der Konvention verbietet die administrativ-polizeiliche Erfassung der Prostituierten und deren Überwachung und Kontrolle). Auch die Bundesrepublik Deutschland, Italien und Österreich haben die Konvention nicht ratifiziert.

44 Bundesblatt. 137Jahrgang. Bd.II

1085

232.32

Menschenhandel (Art. 196)

Wir schlagen Ihnen eine gegenüber Artikel 202 des geltenden Rechts (Frauenund Kinderhandel) gestraffte Bestimmung vor. Sie entspricht dem Vorentwurf der Expertenkommission, die sich bemühte, die Vorschrift angesichts der von der Schweiz ratifizierten Konventionen auf diesem Gebiet26) möglichst zurückhaltend zu ändern. Diese Konventionen verwenden als Umschreibung für die Absicht des Täters stets den Ausdruck «um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten».

Die neue Vorschrift erweitert die geltende in bezug auf das Tatopfer. Der Schutz von Frauen und Minderjährigen soll sich weitergehend als nach Artikel 202 StGB neu ganz allgemein auf Menschen, d. h. auf Personen jeden Alters und Geschlechts erstrecken. Wie bisher geht es dagegen nur um den Handel, mit dem der Unzucht eines anderen Vorschub geleistet wird, somit also nicht um den Menschenhandel zu anderen Zwecken. Wie einige Vernehmlasser zu Recht bemerken und wie dies auch schon Gegenstand der Diskussion in der Expertenkommission war, gibt es weitere strafwürdige Formen eines Handels mit Menschen als Ware, z. B. mit ausländischen Arbeitskräften. Indessen wäre dieses Problem nicht bei den Sittlichkeitsdelikten, sondern im Rahmen der Freiheitsdelikte zu lösen, die zum Teil bereits eine Handhabe zur Bestrafung bieten : (Art. 180 ff. StGB).

Ziffer l des geltenden Artikels 202 StGB nennt, den Konventionstexten entsprechend, ausser dem Handeltreiben Teilakte solchen Verhaltens (vgl. BGEÌ 96 IV 118 ff.): anwerben, verschleppen, entführen. Diese Aufzählung entfällt. Was das Anwerben betrifft, bringt der geltende Gesetzestext ohnehin nicht zum Ausdruck, dass als Opfer dieser Tat Personen zu gelten haben, die in bezug auf das Schicksal, das sie erwartet, ahnungslos sind. Erfasst wird damit auch, wer Prostituierte anwirbt, die voll einverstanden sind z. B. das Etablissement zu wechseln. Als überflüssig erweist sich das Anwerben schon deshalb, weil nach Artikel 195 Absatz 2 des Entwurfes unter Strafe gestellt wird, wer um eines Vermögensvorteils willen eine Person der Prostitution zuführt.

«Verschleppen» und «Entführen» sind Tathandlungen, die .bereits von Artikel 183 StGB (Freiheitsberaubung und Entführung) mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bedroht sind. !Dies reicht auch für den Fall des Handeltreibens aus.

Sofern die drei genannten
Arten des Vorgehens Vorbereitungshandlungen zum Menschenhandel darstellen, fallen sie unter Absatz 2 der neuen Vorschrift. Er entspricht - mit Ausnahme der weiteren Anwendung auf Menschen und der milderen Strafdrohung - Ziffer 3 von Artikel 202 StGB.

Unter den Tatbestand fallen auch Handlungen, die einer milderen Strafe Bedürfen, als sie das geltende Recht vorsieht: Statt Zuchthaus schlechthin werden neu Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten angedroht (Abs. l des.

Entwurfs). Für die Vorbereitungshandlungen wird die Strafe auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis ermässigt (Abs. 2 des Entwurfs).

Wie im geltenden Recht hat der Richter in jedem Falle auch auf Busse zu er1086

kennen (Art. 202 Ziff. 3 StGB/Art. 197 Abs. 3 des Entwurfs). Dagegen verzichten wir, wie bei der gewerbsmässigen Kuppelei, auf das Obligatorium der Landesverweisung für den ausländischen Täter (vgl. Ziff. 232.31).

Die zahlreichen Qualifikationen von Artikel 202 Ziffer 2 StGB erübrigen sich.

Der weite Strafrahmen erlaubt, unter Anwendung der allgemeinen Regeln der Strafzumessung auch dem besonders schweren Verschulden in diesen Fällen gerecht zu werden. Völkerrechtlich ist die Schweiz nicht gehalten, solche Qualifikationen vorzusehen.

Die Verankerung des Weltrechtsprinzips in der geltenden Ziffer 5 von Artikel 202 erübrigt sich infolge der Bestimmung von Artikel 6bis StGB, die für solche Fälle geschaffen wurde.

232.33

Widernatürliche Unzucht (Art. 194 geltendes Recht: Aufhebung)

Das geltende Recht lässt homosexuelle Handlungen zwischen mündigen Personen straflos. Diese Art sexueller Tätigkeit ist daher an sich nicht strafbar. Homosexuelles Verhalten wird in Artikel 194 StGB unter drei, voneinander unabhängigen Voraussetzungen als strafbar angesehen: Wenn eine mehr als 16 Jahre alte, unmündige Person zu homosexuellen Handlungen verführt wird (Abs. 1), wenn solche Handlungen in Missbrauch einer Notlage oder einer Abhängigkeit ausgeführt wurden (Abs. 2) oder wenn sich jemand als Strichjunge betätigt (Abs. 3).

Die Expertenkommission hat die Streichung dieser Bestimmung vorgeschlagen.

Hetero- und homosexuelles Verhalten sei strafrechtlich in derselben Weise zu behandeln, die neuen Bestimmungen im Sexualbereich böten ausreichenden Schutz. Dieser Auffassung wurde im Vernehmlassungsverfahren weitgehend zugestimmt,, zum Teil allerdings ein höheres Schutzalter - bis zu 18 oder 20 Jahren - für homosexuelle Beziehungen gefordert. Wir übernehmen den Vorschlag der Expertenkommission; eine besondere Schutzaltersgrenze erachten wir als mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbar.

Unter den Voraussetzungen von Artikel 188 Ziffer l Absatz 2 des Entwurfs (Geschlechtliche Handlungen mit Abhängigen) wird die Verleitung Jugendlicher von 16 Jahren bis zur Mündigkeit zu homosexuellen Handlungen bestraft; zusammen mit Artikel 193 des Entwurfs (Ausnutzung der Notlage) bietet diese Bestimmung wirksamen Ersatz für Artikel 194 Absatz 2 StGB.

Auf den Verführungstatbestand von Absatz l im geltenden Artikel 194 StGB verzichten wir. Nach der neueren Forschung, auf die sich die Expertenkommission stützte, darf angenommen werden, dass für über 16jährige Jugendliche (für jüngere Kinder greift Art. 187 des Entwurfs ein) keine Gefahr mehr besteht, durch homosexuelle Kontakte in ihrem Sexualverhalten beeinflusst zu werden.

Die sexuelle Entwicklung junger Menschen scheint jedenfalls in diesem Alter hinsichtlich hetero-, homo- oder bisexueller Richtung festgelegt zu sein. Homosexuelles Verhalten unter nahezu gleichaltrigen Jugendlichen kann überdies eine pubertäts- oder entwicklungsbedingte Erscheinung sein, die keine nachhaltigen Folgen zeitigt; in solchen Fällen sollten daher auch jugendstrafrechtliche Massnahmen ausser Betracht bleiben.

1087

Schliesslich wird die männliche Prostitution der weiblichen Prostitution gleichgestellt. Sie unterliegt aber den Voraussetzungen von Artikel 195 des Entwurfs (Förderung der Prostitution). Damit erübrigt sich auch Absatz 3 von Artikel 194 StGB.

232.34

Erschwerende Umstände (Art. 195 geltendes Recht: Aufhebung)

Die bei der Vergewaltigung und der Nötigung zu einer anderen geschlechtlichen Handlung (Art. 189 und 190 des Entwurfs) eingefügte Qualifikation für die grausame Begehung der Tat entstammt Artikel 195 Absatz 3 StGB. Die übrigen Qualifikationen dieser Bestimmung können gestrichen werden: Führte das Sexualdelikt zum Tode des Opfers und konnte der Täter dies voraussehen (Art. 195 Abs. 2 StGB), so kann in Idealkonkurrenz die Strafe durch gleichzeitige Anwendung des Tatbestandes der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) geschärft werden (vgl. Erläuterungen zu Art. 122 StGB, Ziff. 213.1). Gleiches gilt bei der voraussehbaren Folge einer schweren Schädigung der Gesundheit, d. h.

einer schweren Körperverletzung (Art. 195 Abs. 3 StGB); dann wird in Idealkonkurrenz der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) anwendbar, wenn Strafantrag gestellt wird.

232.35

Verführung (Art. 196 geltendes Recht: Aufhebung)

Das geltende Recht bestraft, wer eine Unmündige von mehr als 16, aber weniger als 18 Jahren durch Missbrauch ihrer Unerfahrenheit oder ihres Vertrauens zum Beischlaf verführt. Wir folgen dem auch in den Vernehmlassungen mehrheitlich akzeptierten Vorschlag der Expertenkommission, diese Vorschrift zu streichen. Einzelne Fälle des von Artikel 196 StGB erfassten Verhaltens dürften den Tatbestand von Artikel 188 des Entwurfes erfüllen. Einer weiterreichenden Strafbestimmung widerspricht die erhöhte Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die Jugendlichen ab 16 Jahren zuzubilligen ist. Im übrigen führt der zum Schütze der Heranwachsenden gedachte Artikel 196 StGB auch dazu, einen Prozess gegen die Ehrbarkeit und Unbescholtenheit des Opfers zu inszenieren.

232.4

Pornographie

232.41

Pornographie (Art. 197)

Artikel 197_des Entwurfes mit dem neuen Randtitel «Pornographie» ersetzt den geltenden Artikel 204 StGB (Unzüchtige Veröffentlichungen).

Als unzüchtig im Sinne von Artikel 204 StGB gilt nach der Rechtsprechung ein Gegenstand, wenn er in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen verstösst. Darunter fällt in erster Linie die sog. eigentliche Pornographie. In Fällen, die nicht zur eigentlichen Porno1088

graphie zu zählen sind, ist Artikel 204 StGB mit Zurückhaltung und erst anzuwenden, wenn die Darstellung geschlechtlicher Vorgänge eindeutig den von der Mehrheit des Volkes getragenen sittlichen Vorstellungen zuwiderläuft und somit als Störung oder Belästigung der sozialen Ordnung angesehen werden muss (vgl. BGE 96 IV 68 E. 3, WO Ib 395).

Der Begriff der Pornographie hat dem Begriff des Unzüchtigen voraus, dass er eindeutig Darstellungen oder Darbietungen sexuellen Inhalts umschreibt. In der Regel wird es sich dabei um Darstellungen handeln, die sexuelles Verhalten aus seinen menschlichen Bezügen heraustrennen und dadurch vergröbern und aufdringlich wirken lassen. Als pornographisch wäre eine Darstellung sexueller Vorgänge zu bezeichnen, die Sexualität in fortschreitender Steigerung verzeichnet und auf sich selber reduziert.27) Es ist allerdings einzuräumen, dass in Grenzfällen auch beim Begriff der Pornographie der Richter den Umfang der Strafbarkeit bestimmen muss. Auch wenn es somit nach wie vor nicht immer leicht sein wird, festzulegen, wann eine Darstellung als pornographisch zu werten ist, wird der unsichere Randbereich doch um einiges enger.28' Artikel 197 des Entwurfs entspricht weitgehend dem Vorschlag der Expertenkommission, trägt aber gewissen in der Vernehmlassung erhobenen Einwänden Rechnung. Dem Strafrecht kommen auf diesem Gebiet drei Aufgaben zu: dieses soll junge Menschen vor der Wahrnehmung solcher Darstellungen bewahren; es soll verhindern, dass jemand gegen seinen Willen Darstellungen sexuellen Inhalts wahrnimnt, und es soll harte Pornographie schlechthin verbieten. In bezug auf diese letzte Aufgabe wollte die Expertenkommission die harte Pornographie lediglich einschränken.

Zu ausländischen Strafbestimmungen über Pornographie siehe Anmerkung 29.

Das Verbot von Ziffer l umfasst sowohl die weiche wie die harte Pornographie.

Die harte Pornographie wird in Ziffer 3 erschöpfend umschrieben als geschlechtliche Handlungen mit Kindern, Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten. Sämtliche anderen pornographischen Darstellungen, Gegenstände oder Vorführungen gelten demnach als weiche Pornographie. Geschütztes Rechtsgut ist in Ziffer l wiederum die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher; deshalb erstreckt sich das Verbot für die weiche Pornographie - die harte
Pornographie ist gänzlich verboten - auf Jugendliche bis zu 16 Jahren. Soll der damit verankerte Jugendschutz seine volle Wirkung entfalten können, gilt es, das Verbreiten von weicher wie harter Pornographie durch Radio und Fernsehen gänzlich zu verbieten. Bei diesen Massenmedien lässt sich der Empfängerkreis nicht begrenzen; mithin ist nicht zu vermeiden, dass Jugendliche irgendwelche Radio- oder Fernsehsendungen mithören oder -ansehen. Deshalb wird in Ziffer l Absatz 3 ein absolutes Verbot vorgesehen. Im übrigen ist das Anbieten, Zeigen, Überlassen oder Zugänglichmachen von weicher Pornographie an Personen ab 16 Jahren straflos.

Sanktioniert wird ein abstraktes Gefährdungsdelikt; unnötig ist deshalb, dass die jugendliche Person in ihrer Entwicklung eine effektive Fehleinstellung erfährt. Das Schutzalter von 16 Jahren stimmt mit jenem bei Artikel 187 des Entwurfs (Geschlechtliche Handlungen mit Kindern) überein. Lässt man zu, dass geschlechtliche Handlungen bei Jugendlichen über 16 Jahren in deren eigenem

1089

Verantwortungsbereich liegen, kann man ihnen die Reife für die Wahrnehmung von weicher Pornographie nicht absprechen.

Das Herstellen und Einführen von weicher Pornographie ist straflos. Es sind dies an sich wenig strafwürdige Handlungen, es sei denn, der Täter wisse oder müsse annehmen, dass sie zur Vorbereitung von strafbaren Handlungen im Sinne von Ziffer l dienen, also z. B. dazu, pornographische Abbildungen Personen unter 16 Jahren zu überlassen. Dieser Nachweis dürfte jedoch in der Praxis sehr schwer zu erbringen sein, weshalb auf eine entsprechende Regelung verzichtet wird (vgl. demgegenüber Ziff. 3 in bezug auf die harte Pornographie).

Ziffer 2 droht dem Busse an, der die in Ziffer l Absatz l genannten Erzeugnisse und Darbietungen öffentlich ausstellt, zeigt oder jemandem unaufgefordert anbietet. Geschütztes Rechtsgut ist hier das Interesse des Einzelnen, nicht 'ungewollt mit Pornographie konfrontiert und damit in seiner Intimsphäre beeinträchtigt zu werden. Wer es nicht wünscht, soll von diesen Dingen nicht Kenntnis nehmen müssen.

Als unaufgefordert angeboten gilt z. B. pornographisches Material, das einer Person per Post zugesandt wird, ohne dass sie es verlangt hat. «Öffentlich ausstellen» umfasst jegliche öffentliche Werbung, etwa durch entsprechende Bilder in einem Kinoaushang, wobei ein solcher Aushang, wenn er sich an einer von Jugendlichen häufig begangenen Stelle befindet, den Tatbestand gemäss Ziffer l erfüllt. Unter den Tatbestand in der einen oder anderen Form fallen pornographische Gegenstände oder Abbildungen, wenn sie in gut sichtbarer Aufmachung im Schaufenster eines Ladengeschäfts präsentiert werden.

Was pornographische Darbietungen im besonderen anbetrifft, wird das Verbot von Artikel 204 Ziffer l Absatz 3 StGB, solche öffentlich vor- oder aufzuführen beibehalten. Die Vorführung eines Films in einem Kino fällt nach der Rechtsprechung unter den Begriff der öffentlichen Ausstellung. Öffentlich ist danach die Vorführung, wenn die Wahrnehmung der Filmbilder einem unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird. Das Bundesgericht hat bereits in BGE 96 IV 70 gewissermassen den nun in Artikel 197 Ziffer! vorgesehenen Tatbestand des «unaufgeforderten Anbietens» vorweggenommen, indem es ausführte : Im Gegensatz zu allgemein zugänglichen Schriften und Bildern entfällt bei
Filmvorführungen auch weitgehend die Gefahr, dass das Publikum gegen seinen Willen mit Darstellungen sexuellen Inhalts konfrontiert wird, namentlich wenn die Kinobesucher durch entsprechende Anzeigen zum voraus auf Gegenstand und Charakter des Filmes aufmerksam gemacht werden. Erwachsene Personen, die unter solchen Voraussetzungen wissentlich der Vorführung eines Filmes mit gewagten Szenen beiwohnen, finden sich in der Regel damit ab oder nehmen doch keinen Anstoss daran und sind infolgedessen auch weniger schutzbedürftig, so dass in derartigen Fällen die Toleranzgrenze weiter gezogen werden darf als bei Veröffentlichungen, bei denen Möglichkeiten der Sicherung und Kontrolle fehlen.

Somit erfüllen pornographische Vorführungen, die entsprechend angekündigt werden, womit der Besucher auf den Charakter derselben hingewiesen und vorbereitet wird, den Tatbestand nicht. Die pornographische Darbietung ist aber jedenfalls dann verboten, wenn angenommen werden muss, dass ein wenn auch

1090

enger, unbestimmter Kreis von Personen das, was ihm geboten wird, nicht erwartet. So bestünde etwa ein unaufgefordertes Anbieten darin, dass in einem Kino, welches nicht auf Filme pornographischer Tendenz spezialisiert ist, entgegen der Ankündigung ein Film dieser Art gezeigt wird. Die Ausgestaltung entsprechender Vorschriften fällt in die Kompetenz der Kantone. Deren Bestimmungen über Kinovorführungen bleiben in Ziffer 2 Absatz 2 ausdrücklich vorbehalten. Dies gilt vorab für die Regelung, ab welchem Alter - das jedoch über 16 Jahren zu liegen hat - Jugendliche zu diesen Vorführungen zugelassen werden. Insofern haben die Kantone eine lediglich einschränkende Kompetenz.

Es versteht sich, dass die Kantone ermächtigt sind, in das kantonale Übertretungsstrafrecht eine eigentliche Strafbestimmung aufzunehmen und nicht blosse administrative Massnahmen zu erlassen (Art. 335 Ziff. l StGB).

Ziffer 3 sieht ein absolutes Verbot der harten Pornographie vor. Diese umfasst abschliessend geschlechtliche Handlungen mit Kindern, mit Tieren, geschlechtliche Handlungen, die menschliche Ausscheidungen zum Inhalt haben, oder sexuell gefärbte Gewalttätigkeiten (die Erfassung ausschliesslicher Gewalttätigkeiten erfolgt durch Art. 135 des Entwurfs, vgl. Ziff. 214.9). Bei allen Arten von Trägern harter Pornographie, seien es Schriften, Aufnahmen, Abbildungen, Gegenstände oder Darstellungen, handelt es sich um solche, welche die besonders genannten sexuellen Handlungen oder Inhalte darstellen. Die Vorschrift dient in erster Linie einem vorbeugenden Jugendschutz; geschützt werden sollen auf diese Weise aber auch die Erwachsenen. Ziffer 3 geht weiter als der entsprechende Vorschlag der Expertenkommission, die den Schutz auf Personen bis zu 18 Jahren beschränkte. Sie enthält überdies keine Ausnahmeregelung, wie sie die Kommission für angebracht hielt, wenn harte Pornographie aufgrund persönlicher Beziehungen im Familien- oder Freundeskreis unter Personen über 18 Jahren vermittelt wird. Wir erachten das Weiterreichen im privaten Kreis für nicht weniger schädlich, als wenn die betreffenden Erzeugnisse einem grösseren Kreis von Personen zugänglich gemacht werden. Dieses grundsätzliche Verbot erleichtert überdies einen konsequenten Jugendschutz, weil keine Ausnahmen missbräuchlich in Anspruch genommen werden können.

Die Aufzählung
in Ziffer 3 ist erschöpfend. Was nicht darunter fällt, gilt als weiche Pornographie. Diese Kasuistik hat gewisse Nachteile: sie ist möglicherweise nicht vollständig und könnte zudem auch weniger gravierende Fälle erfassen. Wir haben ihr dennoch den Vorzug vor einer Generalklausel gegeben, da eine solche offene Tatbestandsformulierung die Unterscheidung zwischen weicher und harter Pornographie verwischt hätte.

An Tathandlungen umschreibt Ziffer 3 nicht nur Verletzungshandlungen, sondern - im Unterschied zu Ziffer l - auch Vorbereitungshandlungen. Durch den Einbezug von Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen und Lagern sind legale Umgehungsmöglichkeiten ausgeschaltet. Durch das Inverkehrbringen wird der Vertrieb erfasst, somit Lieferanten und Verteilerorganisationen.

Die betreffenden pornographischen Gegenstände sind einzuziehen. Es gilt sicherzustellen, dass harte Pornographie in jedem Falle mit Beschlag belegt werden kann. Der Nachweis der Voraussetzungen von Artikel 58 Absatz l StGB, insbesondere Buchstabe b, dass die Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden, erübrigt sich damit.

1091

Strafdrohung Mit Gefängnis oder Busse in den Ziffern l und 3 von Artikel 197 des Entwurfs übernehmen wir den Strafrahmen des geltenden Artikels 204 StGB. Dem meist geringfügigeren Eingriff des unaufgeforderten Anbietens in Ziffer 2 entspricht die Strafdrohung einer Busse; er stellt eher eine Belästigung und damit einen Übertretungstatbestand dar. Nach Ziffer 4 treffen den Täter, der aus Gewinnsucht handelt, zwingend Gefängnis und Busse. Ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit können im übrigen Vermögenswerte eingezogen werden, soweit die Einziehung zur Beseitigung eines unrechtmässigen Vermögensvorteils oder Zustandes als geboten erscheint (Art. 58 Abs. l Bst. a und Abs. 4 StGB).

Die erläuterte Bestimmung erlaubt, auf eine besondere Vorschrift des Jugendschutzes, wie sie sich in Artikel 212 StGB (Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder) findet, zu verzichten. Deren Bedeutung ist schwer bestimmbar, enthält sie doch den Begriff der Unsittlichkeit, der noch wei'tergeht als derjenige des Unzüchtigen nach Artikel 204 StGB (vgl. dazu BGE 103 IV 175).

232.5

Übertretungen im Sexualbereich

232.51

Geschlechtliche Belästigungen (Art. 198)

Artikel 198 des Entwurfes enthält zwei Übertretungstatbestände, die beide die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung schützen. Die Bestimmung ersetzt zusammen mit Artikel 194 des Entwurfes über den Exhibitionismus den Artikel 203 StGB (Öffentliche unzüchtige Handlungen). Sie tritt ferner an die Stelle von Artikel 205 StGB (Unzüchtige Belästigung).

Sofern er nicht wegen Exhibitionismus (Art. 194 des Entwurfs) strafbar ist, wird nach Artikel 198 Absatz l des Entwurfs bestraft, wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine geschlechtliche Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt. Für die Strafbarkeit wird auf der Opferseite vorausgesetzt, dass jemand ungewollt mit einer geschlechtlichen Handlung konfrontiert wird, d. h. sie wahrnehmen muss, und dass diese Handlung bei der betroffenen Person Ärgernis erregt. Der Täter seinerseits muss dieses Ärgernis erregen wollen; Eventualvorsatz genügt. Nicht strafbar ist die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung in einer Weise, dass mit der Wahrnehmung durch Dritte nicht gerechnet zu werden braucht, der Täter u. U. selber von Dritten hiebei überrascht wird (z. B. Liebespärchen im Auto an einem entlegenen Ort). Es soll überdies nicht darauf ankommen, ob die geschlechtliche Handlung öffentlich vorgenommen und daher von anwesenden oder zufällig hinzukommenden unbestimmten Dritten wahrgenommen werden kann (vgl. zu «öffentlich» im Sinne von Art. 203 StGB BGE 89 IV 131) oder ob sich die Konfrontation zwischen Täter und Opfer in einem Rahmen abspielt, der für andere Personen nicht einsehbar ist. Insofern ist diese Vorschrift weiter als Artikel 203 des geltenden Rechts.

Anders als bei der exhibitionistischen Handlung im Sinne von Artikel 194 des Entwurfes (vgl. Ziff. 232.26) braucht die geschlechtliche Belästigung nicht in ei1092

ner Entblössung der Sexualorgane zu bestehen. Gleichgültig ist überdies, ob der Täter die geschlechtliche Handlung aus sexuellen Beweggründen vornimmt oder aber aus anderen Gründen - etwa um zu schockieren -, da es lediglich darauf ankommt, dass er mit seiner Handlung Ärgernis erregt.

Zu ähnlichen Straftatbeständen des ausländischen Rechts siehe Anmerkung 30.

Bestraft wird nach Absatz 2 ferner, wer jemanden, der ihm keinen Anlass gegeben hat, in geschlechtlicher Weise tätlich belästigt. Dieser Tatbestand ersetzt Artikel 205 StGB (Unzüchtige Belästigung).

Der Tatbestand ist in dem Sinne präziser, als er im Unterschied zu Artikel 205 StGB nicht mehr bloss eine verbale Belästigung (vgl. BGE 90 IV 205), sondern eine tätliche Zudringlichkeit verlangt. Diese hat in geschlechtlicher Weise zu erfolgen. Abgestellt wird somit auf die Art der Tathandlung und nicht mehr in erster Linie auf die Absicht des Täters.

Erfasst werden namentlich Fälle, in denen jemand auf überraschende Weise eine ahnungslose Person an den Geschlechtsteilen anfasst. Diese Tat ist strafwürdig, ob sie in der Öffentlichkeit geschieht oder nicht. Schon im geltenden Artikel 205 StGB sieht die Rechtsprechung vor allem den Zusammenhang mit den Strafbestimmungen gegen Angriffe auf Schamhaftigkeit und Ehre der belästigten Person gegeben, weniger mit dem Schutz von öffentlichem Anstand und Sitte (vgl. BGE 70 IV 85).

Es handelt sich weder um Tätlichkeiten im Sinne von Artikel 126 StGB, welche die körperliche Integrität des Opfers beeinträchtigen, noch um eine Nötigung zu einer geschlechtlichen Handlung im Sinne von Artikel 190 des Entwurfes.

232.52

Unzulässige Ausübung der Prostitution (Art. 199)

Das geltende Recht geht davon aus, dass die (heterosexuelle) Prostitution selber straflos bleiben soll. Dagegen stellt es gewisse störende Begleiterscheinungen unter Strafe; dies geschieht durch einige Übertretungstatbestände: Artikel 206 StGB (Anlocken zur Unzucht), Artikel 207 StGB (Belästigung durch gewerbsmässige Unzucht), Artikel 210 StGB (Veröffentlichung von Gelegenheiten zur Unzucht).

Der Ausübung der an sich zulässigen Prostitution strafrechtlich wirksame Grenzen zu setzen, ist deswegen schwierig, weil die Verhältnisse nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern nicht selten innerhalb eines Kantons von Ort zu Ort sehr verschieden sind. Die oben aufgeführten Vorschriften erfüllen ihren Zweck nur mangelhaft. Bei Artikel 206 StGB geht es um die Strafbarkeit der Prostituierten, die durch ihre Zudringlichkeiten Anstoss erregt (vgl. BGE 95 IV 132 ff.). Artikel 207 StGB kann nur von der Prostituierten selbst verwirklicht werden (vgl. BGE 89 IV 201); die oft erheblich stärker störende Belästigung durch das Verhalten von Freiern und Zuhältern wird dadurch nicht erfasst. Als Notbehelf gegen letzteres dient etwa die Bestrafung wegen unnötigen Herumfahrens 31 ' oder der Rückgriff auf das kantonale Übertretungsstrafrecht, welcher eine Verurteilung wegen Nachtlärms bezweckt. Diese Erfahrungen veranlassten 1093

die Polizei in grösseren Städten, die Prostitution auf bestimmte Gebiete ausserhalb von Wohnquartieren, Kirchen, Schulen und Spitälern zu verweisen (Vorschriften über die Strassenprostitution der Städte Zürich und Bern). Diese Vorschriften halten sich im Rahmen, von Artikel 31 der Bundesverfassung (BV; Handels- und Gewerbepolizei). Die Ausübung der Prostitution gilt als wirtschaftliche Tätigkeit, die durch Artikel 31 Absatz l BV geschützt ist, soweit nicht Artikel 206 StGB Platz greift (vgl. BGE 99 la 504 ff., 101 la 473 ff.).

Ein Verzicht auf die wenig wirksamen Artikel 206 und 207 StGB ohne gleichzeitige ausdrückliche Ermächtigung zu kantonalen Vorschriften könnte als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers aufgefasst werden, mit dem Sinn, dass diese Handlungen straflos zu bleiben hätten. Sollen die Kantone zu Eingriffen befugt sein, die über blosse polizeiliche Bedürfnisse hinausgehen, und Regelungen treffen können, die nicht am Prinzip der Verhältnismässigkeit scheitern, bedarf es einer bundesrechtlichen Rahmenvorschrift.

Die Expertenkommission hat aufgrund dieser Erwägungen eine Bestirnmung vorgeschlagen, wonach es Sache der Kantone sein soll, Vorschriften zu erlassen über Ort, Zeit oder Art der Ausübung der Prostitution sowie über die Verhinderung der belästigenden Begleiterscheinungen; sie verband diese Bestimmung mit einer bundesrechtlichen Blankettstrafdrohung.

Diese Bestimmung hat in der Vernehmlassung, wenn auch etwa mit der Bemerkung, dass Absatz l einen unechten Vorbehalt des Gesetzgebers zugunsten der Kantone darstelle, Zustimmung gefunden. Wir übernehmen diesen Vorschlag, freilich mit der Ergänzung, die Kantone hätten auf die Strafdrohung dieser Bestimmung hinzuweisen.

Die Ermächtigung der Kantone zum Erlass solcher Vorschriften findet ihre Grenzen am allgemeinen Grundsatz, dass die Prostitution selbst straflos bleiben muss.

Während durch Vorschriften über Ort, Zeit und Art der Ausübung der Prostitution Regelungen zu Lasten der Prostituierten getroffen werden können, lassen Vorschriften über die belästigenden Begleitumstände auch Regelungen zu Lasten der Freier und überhaupt jeglicher Dritter zu, die im Zusammenhang mit der Prostitution eine Belästigung der Allgemeinheit verursachen (z. B. unnötiges Herumfahren, Autotüren Auf- und Zuschlagen).

Den Kantonen steht es frei,
ihre Kompetenzen an die Gemeinden zu delegieren. In Betracht fallen vor allem grössere Städte und ihre Agglomerationsgemeinden.

Diese möglichen Regelungen in bezug auf das störende Umfeld der Prostitution sollen somit den Gegebenheiten der lokalen Verhältnisse im grösstmöglichen Masse Rechnung tragen. Die angedrohten Sanktionen müssen jedoch bündesrechtlich einheitlich ausgestaltet werden. Artikel 199 des Entwurfs wird dadurch zur Blankettstrafnorm, dass er den Kantonen verbindlich vorschreibt, als Strafen Haft oder Busse anzudrohen. Die bundesrechtliche Strafdrohung ist in die kantonalrechtliche Vorschrift aufzunehmen. Diesem Zwecke dient der Passus «unter Hinweis auf die Strafdrohung dieser Bestimmung». Damit gilt dieselbe Regelung, wie sie Artikel 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen) für die betreffenden Verfügungen vorsieht (vgl. BGE 68 IV 47).

1094

Artikel 206 und 207 StGB können somit aufgehoben werden, desgleichen Artikel 208 StGB (Besondere Bestimmungen für Unmündige), der infolge der Vorschriften von Artikel 100 und 100bis StGB über junge Erwachsene überflüssig geworden ist.

Ferner kann Artikel 210 (Veröffentlichung von Gelegenheiten zur Unzucht) gestrichen werden, der Vorbereitungshandlungen im Umfeld der Prostitution erfasst, einschliesslich Hinweise von Personen, die auf die eigene - straflose - Bereitschaft zur Unzucht aufmerksam machen (vgl. BGE 108 IV 173).

232.6

Gemeinsame Begehung

232.61

Gemeinsame Begehung (Art. 200)

Die jüngere kriminologische Erfahrung lehrt, dass nicht nur Vermögensdelikte, sondern vermehrt auch Sexualdelikte kollektiv begangen werden. Es drängt sich daher auf, diese Erscheinung im Rahmen der hier zu revidierenden Bestimmungen zu berücksichtigen.

Nach Artikel 200 des Entwurfs erhält der Richter die Möglichkeit, bei gemeinsamer Begehung strafbarer Handlungen im Sexualbereich die Strafe zu erhöhen. Er darf jedoch das höchste Mass der angedrohten Strafe nicht um mehr als ·die Hälfte überschreiten. Er ist dabei an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (20 Jahre bei Zuchthaus, drei Jahre bei Gefängnis, drei Monate bei Haft). Es handelt sich um eine neue Qualifikation, die sich in der Formulierung auf Artikel 68 Ziffer l StGB (Zusammentreffen von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen) stützt und die im geltenden Artikel 195 StGB (Erschwerende Umstände) nicht enthalten ist.

Die «gemeinsame Begehung» ist hier dem Strafschärfungsgrund der bandenmässigen Begehung - wie sie Artikel 137 und 139 je Ziffer 2 Absatz 2 StGB (Diebstahl und Raub) kennen - vorzuziehen. Bandenmässigkeit ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, «wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer selbständiger, im einzelnen möglicherweise noch unbestimmter» Delikte zusammenzuwirken (vgl. BGE 100 IV 220). Die Täter «kollektiv» begangener Sittlichkeitsdelikte finden sich dagegen oft spontan zusammen. Die gewählte Formulierung erlaubt die Tat auch dann zu erfassen, wenn sie aus einer Augenblickssituation heraus geboren wurde.

Das gemeinsame Vorgehen erfasst jene Form des bewussten und gewollten Zusammenwirkens, das seinen Ausdruck in der Mittäterschaft findet. Das bedeutet, dass ungeachtet der jeweiligen Rollenverteilung der Tatbeteiligte am Entschluss oder an der Verwirklichung des Deliktes unter Umständen und in einem Ausmass mitwirkt, dass er als Hauptbeteiligter und nicht bloss als Gehilfe in Erscheinung tritt (BGE 77 IV 91, 104 IV 170).

Dieser neue Qualifizierungsgrund wird vor allem für gemeinsame Vergewaltigungen von Bedeutung sein, die von der Rechtsprechung nicht in jedem Falle als qualifizierte Begehung im Sinne von Artikel 187 Absatz 2 StGB betrachtet wer1095

den (vgl. Ziff. 232.21). Die Unterstellung unter diese Vorschrift hängt von der Einschätzung der verbliebenen Widerstandsfähigkeit des Opfers ab (BGE 89 IV 85, 98 IV 97).

Die Vergewaltigung ebenso wie die Nötigung zu einer anderen geschlechtlichen Handlung kann der Richter, wenn sie von mehreren Personen begangen werden, mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bestrafen (wo die gemeinsame Begehung das Ausmass der Grausamheit erreicht, mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren), die gemeinsam begangene Schändung mit Zuchthaus bis zu 7'/2 Jahren.

Bei einigen wenigen Delikten, wie z. B. bei geschlechtlichen Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 des Entwurfs), wirkt sich die vorgeschlagene Strafschärfung insofern nicht voll aus, als die Tat mit Gefängnis schlechthin bedroht wird, d. h. bis zu drei Jahren Gefängnis als gesetzlichem Höchstmass der Strafart. Allerdings dürfte die gemeinsame Begehung in solchen Fällen den Richter veranlassen, eine Strafe auszusprechen, die regelmässig im oberen Drittel des Strafrahmens liegt.

232.7

Anpreisen von Gegenständen zur Verhütung der Schwangerschaft (Art. 211 geltendes Recht: Aufhebung)

Die Aufhebung war bereits in Artikel 16 Absatz l des in der Volksabstimmung vom 28. Mai 1978 verworfenen Schwangerschaftsgesetzes vom 24. Juni 1977 (BB1 1977 III 88) vorgesehen.

232.8

Mitteilung bei Pornographie (Art. 358)

Anzupassen ist lediglich die Terminologie in dieser Vorschrift, die übrigens im Zusammenhang mit den der Schweiz konventionshalber auferlegten Pflichten steht (Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebes von unzüchtigen Veröffentlichungen vom 12. September 1923; SR 0.311.42).

232.9

Erklärung gesetzlicher Ausdrücke (Art. 110 Ziff. l geltendes Recht: Aufhebung)

Für den Sprachgebrauch des StGB ist Frau jede weibliche Person, die das 16. Altersjahr zurückgelegt hat. Das StGB enthält den Ausdruck «Frau» im Bereich «Gewaltverbrechen» nicht mehr, nachdem seit der entsprechenden Revision die Tatbestände der Freiheitsberaubung und der Entführung jedermann schützen (vgl. Art. 183 StGB). Falls Sie unserem Antrag zustimmen, auch bei den Änderungen des Titels «Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit» den im geltenden Recht der Frau vorbehaltenen Schutz auf die Person als solche zu erweitern (Art. 189, 191, 193 und 196 des Entwurfs, nämlich Vergewaltigung/ Schändung/Ausnützung der Notlage/Menschenhandel), gibt es den Ausdruck 1096

«Frau» im gesamten StGB nicht mehr. Die Vergewaltigung (Art. 189 des Entwurfs) bezieht sich zwar ausschliesslich auf Opfer weiblichen Geschlechts, jedoch ohne Altersbegrenzung. Ziffer l von Artikel 110 StGB kann demnach gestrichen werden.

24

Erläuterung des Entwurfes B für das Militärstrafgesetz (Sittlichkeit)

Das Militärstrafgesetz ist auch in diesem Bereich den Änderungen im Strafgesetzbuch anzupassen.

Gliederungstitel vor Artikel 153: 12. Abschnitt (Strafbare Handlungen im Sexualbereich) Artikel 153 (Vergewaltigung) Artikel 154 (Nötigung zu einer ändern geschlechtlichen Handlung) Artikel 155 (Schändung) Artikel 156 (Geschlechtliche Handlungen mit Kindern) Artikel 157 (Gleichgeschlechtliche Handlungen) Wir übernehmen den Vorschlag der Expertenkommission, dem die Vernehmlassungsergebnisse nicht entgegenstehen. Ein Vorschlag auf Aufhebung von Artikel 157 Ziffer l MStG ist in der parlamentarischen Beratung über die Änderung des MStG von 1979 im Nationalrat mit 62 zu 37 Stimmen abgelehnt worden (Amtl. Bull. N 1978 125). Innerhalb der militärischen Gesellschaft, die eine geschlossene, hauptsächlich aus Männern bestehende Gemeinschaft darstellt, wären homosexuelle Beziehungen mit der militärischen Disziplin und Ordnung unvereinbar.

Homosexuelle Handlungen von Personen, die dem Militärstrafrecht unterstehen, bleiben daher nach Ziffer l strafbar. Die Qualifikation von Ziffer 2 erhält eine neue Formulierung. Massgebend ist danach die Ausnützung der militärischen Stellung.

Artikel 158 (Erschwerende Umstände: Aufhebung) Artikel 159 (Exhibitionismus) Da das Militärstrafgesetz mit Ausnahme der Ehrverletzungsdelikte keine Antragsdelikte kennt, stellt der Exhibitionismus im Militärstrafrecht ein Offizialdelikt dar. Dies rechtfertigt sich nicht zuletzt auch durch die Tatsache, dass ein solches Vergehen durchaus geeignet ist, Disziplin und Ordnung in der Truppe in Frage zu stellen.

Artikel 159a (Gemeinsame Begehung) 25

Änderung des Zollgesetzes

Artikel 36 Absatz 4 des Zollgesetzes (Beschlagnahme an der Grenze) Nach dieser Bestimmung sind Veröffentlichungen und Gegenstände unsittlicher Natur, die bei der Revision entdeckt werden, zu beschlagnahmen und der Bun-

1097

desanwaltschaft anzuzeigen. Die Bestimmung ist Artikel 135 und 197 des Entwurfs anzupassen. Im Einklang mit diesen Neuerungen steht, dass dieser Beschlagnahme die eindringlich dargestellte grausame Gewalttätigkeit (vgl.

Art. 135 des Entwurfs) sowie die harte Pornographie (vgl. Art. 197 Ziff. 3 des Entwurfs) unterworfen sein sollen. Praktische Gründe erfordern im übrigen, die Bundesanwaltschaft davon zu entlasten, den Charakter der an der Grenze beschlagnahmten Erzeugnisse zu beurteilen. Letztere sind nach der Neufassung von Artikel 36 Absatz 4 vielmehr vom betreffenden Zollamt direkt der zuständigen kantonalen Staatsanwaltschaft zu überweisen, womit der Entscheid durch eine richterliche Behörde anstelle einer Verwaltungsbehörde gewährleistet ist.

Der Rechtssicherheit dient der Vorbehalt, dass Filme, für die eine Einfuhrbewilligung vorliegt, von der vorläufigen Beschlagnahme auszunehmen sind.

26

Erläuterung des Entwurfes C für die Änderung des Militärstrafgesetzes (Disziplinarische Ahndung des Konsums geringer Mengen von Betäubungsmitteln)

Artikel 218 (Militärgerichtsbarkeit) und Artikel 219 (Bürgerliche Gerichtsbarkeit) Es scheint uns zweckmässig, die laufende Revision des Militärstrafgesetzes auch dazu zu benützen, eine neue Bestimmung in dieses Gesetz aufzunehmen, mit welcher den Truppenkommandanten Disziplinarstrafkompetenzen eingeräumt werden, die es ihnen erlauben, gegen Konsumenten geringer Mengen von Betäubungsmitteln direkt vorzugehen. Diese Kompetenz entspricht einer Notwendigkeit. Darüberhinaus ist das Problem mit dem Bereich «Leib, Leben» eng verbunden.

Die Ahndung von während des Militärdienstes begangenen Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel (BetmG; SR 812.121) obliegt im Sinne von Artikel 7 und 219 des Militärstrafgesetzes den zivilen Gerichtsbehörden. Gemäss Artikel 19a BetmG, wird mit Haft oder Busse bestraft, «wer unbefugt Betäubungsmittel vorsätzlich konsumiert oder wer zum eigenen Konsum eine Widerhandlung im Sinne von Artikel 19 des (gleichen) Gesetzes begeht», also insbesondere, wer Betäubungsmittel herstellt, aufbewahrt, befördert, kauft, verkauft, verteilt, verschafft, erwirbt usw.

«In leichten Fällen kann die zuständige Behörde das Verfahren einstellen oder von einer Strafe absehen». Artikel I9b des Gesetzes erklärt denjenigen jedoch als nicht strafbar, der sich darauf beschränkt, nur den eigenen Konsum vorzubereiten oder der Betäubungsmittel für den gleichzeitigen und gemeinsamen Konsum unentgeltlich abgibt, vorausgesetzt, dass es sich um geringfügige Mengen handelt.

Drogenkonsum in geringen Mengen während des Militärdienstes ist also in jedem Falle straflos.

1098

Soweit das Militärstrafgesetz Bestimmungen kennt, die es erlauben, Drogenkonsumenten zu bestrafen, beschränken sich diese auf: - Verbrechen oder Vergehen, die infolge selbstverschuldeter Trunkenheit oder Betäubung im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit verübt wurden (Art. 80 Ziff. 2MStG); - Personen, die sich durch Verstümmelung oder auf andere Weise der Erfüllung der Militärdienstpflicht bleibend oder zeitweise entziehen, wobei nachzuweisen ist, dass der Drogenkonsum Mittel zum Zweck war (Art. 95 MStG); - Fahrzeugführer unter Drogeneinfluss (Art. 31 Strassenverkehrsgesetz und Art. 2 Verordnung über die Strassenverkehrsregeln) ; - Wachen, die sich durch Drogenkonsum ausserstand setzen, ihre Dienstpflicht zu erfüllen (Art. 76 Ziff. l Abs. l MStG).

Ist das Tatbestandsmerkmal des Drogenkonsums - was schon bei geringen Mengen der Fall ist - nicht gegeben, kann die Tat nach Militärstrafrecht nicht verfolgt werden.

Der Konsum geringer Mengen von Betäubungsmitteln ist relativ häufig während den Rekrutenschulen, seltener in den Wiederholungskursen. Ebenfalls eher selten sind die Fälle von Widerhandlungen, die im Sinne von Artikel 19 BetmG den bürgerlichen Strafbehörden überwiesen werden müssen. Der Genuss geringer Mengen von Betäubungsmitteln hat keine Dienstuntauglichkeit zur Folge, denn in der Regel sind solche Konsumenten sozial integriert. Dies schliesst indes nicht aus, dass der Drogenkonsum auch in kleinen Mengen den betreffenden Wehrmann zu einer Gefahr für sich selbst und für die ihn umgebenden Personen werden lässt, insbesondere während Schiessübungen. Unter Drogeneinfluss stellt jeder Wehrmann ein Risiko für die Disziplin in der Mannschaft und für die Sicherheit in der Truppe und damit für die Wehrbereitschaft der Armee dar.

Wir haben uns mit diesem von Truppenkommandanten aufgeworfenen Problem befasst und kommen zum Schluss, dass diese empfindliche Gesetzeslücke zu schliessen ist. Wir sehen deshalb vor, die Militärgerichtsbarkeit auch auf Fälle unbefugten Drogenkonsums geringer Mengen während der Dienstzeit auszudehnen (vgl. Art. 218 Abs. 4 und Art. 219 Abs. l unseres Entwurfes für die Revision des Militärstrafgesetzes).

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen für Bund und Kantone

Es entstehen keine zusätzlichen Kosten; personelle Auswirkungen ergeben sich keine.

4

Richtlinien der Regierungspolitik

Die Revision des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes betreffend die strafbaren Handlungen gegen Leib, Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie ist in den Richtlinien der Regierungspolitik 1983-1987 angekündigt (BB1 19841 157, Ziff. 36). · 1099

5

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit der Vorlage ist gegeben aufgrund der Artikel 20 und 64bis der Bundesverfassung, die das Heerwesen und die Gesetzgebung des Strafrechts zur Bundessache erklären.

0683

1100

Anmerkungen "

Für diese Revisionsetappe gehörten der Expertenkommission folgende Persönlichkeiten an: Dr. iur. Arthur Bachmann t, Justizdirektor des Kantons Zürich (Winterthur); Frau Dr. med. Monique Barrelet (Neuenburg); Prof. Dr. med. Max Berger (Bern), bis Ende 1973; Dr. iur. Jean-Claude Chappuis, Generalsekretär des Justizund Polizeidepartements des Kantons Waadt (Morges) ; Prof. Dr. iur. François Clerc (Saint-Biaise); Frau Kantonsrichterin Dr. iur. Ita Maria Eisenring (Rorschach); Oberrichter Dr. iur. Peter Fink (Zürich); Prof. Dr. iur. Jean Gauthier (Lausanne); Prof. Dr. iur. Philippe Graven (Genf); Bundesanwalt, Dr. iur. Rudolf Gerber (Bern), seit November 1973; Dr. iur. Alois Grendelmeier t (Zürich); Prof. Dr. med. Georges-André Hauser (Luzern); Frau Prof. Dr. iur. Valentine Lenoir-Degoumois (Genf); Frau Dr. iur. Ruth Levi-Anliker (Pully); Oberstbrigadier Dr. iur. Ernst Lohner, Oberauditor der Armee (Bern); Prof. Dr. iur. Peter Noli t (Gossau ZH): Staatsanwalt Dr. iur. Willy Padrutt (Chur); Dr. iur. Dominique Poncet (Genf) ; Oberrichter Dr. iur. Marco Ramelli (Locamo) ; Prof. theol. Louis Rumpf (Lausanne); Bundesrichter Prof. Dr. iur. Vital Schwander (Lausanne); Prof. Dr. med. Heinrich Stamm (Baden); Frau Dr. iur. Judith Stamm (Luzern); Obergerichtspräsident Dr. iur. Hans-Martin Steinbrück f (Aarau), bis November 1976; Prof. Dr. iur. Günther Stratenwerth (Reinach BL); Frau Fürsprecherin Dr. iur. Antoinette Stucki-Lanzrein (Muri bei Bern); Prof. Dr. theol. Alois Sustar (Chur); Dr. iur. Hans Walder, alt Bundesanwalt (Seftigen). bis August 1973; Dr. iur. Hans Wieland, alt Staatsanwalt (Basel); Prof. Dr. med. Rudolf Wyss (Münsingen).

2

'

Schweiz. Anwaltsverband. Schweiz. Kriminalistische Gesellschaft (Vorstand), Demokratische Juristen der Schweiz, Schweiz. Evangelischer Kirchenbund, Schweiz.

Bischofskonferenz, Christkatholische Kirche der Schweiz, Schweiz. Israelitischer Gemeindebund, Bund Schweiz. Frauenorganisationen, Evangelischer Frauenbund der Schweiz. Schweiz. Katholischer Frauenbund. Schweiz. Gemeinnütziger Frauenverein, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen, Eidgenössische Kommission für Jugendfragen, Pro Juventute, Schweiz. Berufsverband diplomierter Sozialarbeiter und Erzieher. Schweiz. Organisation der Homophilen. Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich. Militärkassationsgericht.

3

>

Vgl. etwa Rehberg, Strafrecht III, Zürich 1983, S. 3.

4)

Binder. Der juristische und psychiatrische Massstab bei der Beurteilung der Tötungsdelikte, Zeitschrift für Strafrecht, 67 (1952), S. 313 ff. und 324 ff.

Amtl. Bull. N 1979 34 f.; S 1979 250 f.: BB1 1983 II 27, Ziff. 722.

SJZ 51. 1955, S. 141 Nr. 96; Ammon, Betschart, Corboz u. a., Kindsmisshandlung, Diessenhofen 1983.

7

>

Vgl. z. B. § 227 deutsches StGB; § 91 österreichisches StGB.

>

Vgl. SJZ 78, 1982, S. 252, Anm. 41.

"

Vgl. BB1 1984 III 20.

I0

Reinhardt Heinz, Die Bestrafung der Unzucht mit Kindern unter besonderer Berücksichtigung des Verhaltens und der Persönlichkeit des Opfers. Diss. Bern 1967, S. 46 ff.

An ausländischen Regelungen für das Schutzalter erwähnen wir die folgenden: §176 des deutschen Strafgesetzbuches: 14 Jahre: Artikel 331 des französischen Code pénal: 15 Jahre: Artikel 245/247 des niederländischen Strafgesetzbuches: 16 Jahre; §§206-208 des österreichischen Strafgesetzbuches: 14 Jahre; 6. Kapitel, §§3, 6 Abs. l des schwedischen Kriminalgesetzbuches: 15 Jahre.

8

>

"'

12

>

Jenny Guido, Angriffe auf die sexuelle Freiheit: Art. 187 und 188 StGB, Diss. Basel 1975, S. 172 ff.

45 Bundesblatt. 137Jahrgang. Bd.II

.

1101

13)

Girardin Michel, Les dispositions de l'article 191 CP et la jurisprudence qui s'y rapporte sont-elles encore en harmonie avec la notion actuelle de la morale et des bonnes moeurs?, Zeitschrift für Strafrecht, 86 (1970) S. 207.

14

Stratenwerth, Schweiz. Strafrecht BT II 3. Aufl. (1984) § 24 Rz 14.

>

15

)

Gartmann H., Zur Praxis der psychiatrischen Begutachtung Schwachsinniger gemäss Art. 190 StGB, Zeitschrift für Strafrecht 67 (1952), S. 101.

I6

>

Vgl. dazu auch Bucher, Berner Kommentar, Personenrecht, 1976, Nr. 3, 6, 67 ff., 87 zu Art. 16 ZGB.

")

Jenny, a. a. O. S. 177 Fn l.

1S

)

Peter Strasser, Die öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach Schweiz. Strafrecht, Art. 203 StGB, Diss. Bern 1951, S. 46; Stratenwerth, Schweiz. Strafrecht, a.a.O.

§ 27 Rz 6.

19

>

Schultz, zu BGE 89 IV 129, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 101, (1965) S. 29.

2

°)

Lenckner zu §183 dStGB, Rz 3, in Kommentar Schönke-Schröder, 21. Aufl.

(1982).

21)

Jürg Schaufelberger, Die öffentlichen unzüchtigen Handlungen, Eine kriminologische Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der in den Jahren 1967/68 im Kanton Zürich strafrechtlich beurteilten Fälle, Diss. ZH 1973, S. 100 ff.

22

>

Schaufelberger a. a. O. S. 154/55; für die u. a. in Betracht fallende medikamentöse Kastration vgl. SJZ 65 (1969) S. 71.

23

>

BetmG Art. 19a Ziff. 3: «Untersteht oder unterzieht sich der Täter wegen Konsums von Betäubungsmitteln einer ärztlich beaufsichtigten Betreuung, so kann von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Das Strafverfahren wird durchgeführt, wenn sich der Täter der Betreuung oder der Behandlung entzieht.»

>

Hafter, Lehrbuch des Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil, S. 147/148; Stratenwerth a.a.O. §26 Rz 53/54; Schultz, zu BGE 105 IV 197, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 117 (1981) S. 33; Schultz, Die Revision des schweizerischen Sexualstrafrechts, SJZ 78 (1982) S. 252.

24

25

)

Strafgesetze der BRD, §§ 180 a, Förderung der Prostitution, und 181 a, Zuhälterei, beide im Abschnitt über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, und Österreichs, §§213-215.

26)

Vgl. die Protokolle der UNO vom 12. Nov. 1947 zu den von der Schweiz ratifizierten internationalen Übereinkommen betreffend - Unterdrückung des Mädchenhandels (18. 5. 1904; ohne Verpflichtung zum Erlass von Strafbestimmungen, SR 0.311.31), - Bekämpfung des Mädchenhandels (4. 5. 1910; SR 0.311.32), - Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels (30.9. 1921; Zusatzabkommen des Völkerbundes, dehnt den Handel auf Kinder beiden Geschlechts aus und erhöht das Schutzalter auf 21 Jahre; SR 0.311.33), - Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen (11. 11. 1933; SR 0.311.34).

Nicht ratifiziert wurde die Konvention der UNO zur Unterdrückung des Mädchenhandels und der Ausbeutung der Prostitution Dritter, die die genannten Vertragsinstrumente ablösen soll (21. 3. 1950).

Zwecks Ratifikation der Konventionen von 1910 und 1921 wurde das Bundesgesetz betr. die Bestrafung des Frauen- und Kinderhandels geschaffen (BG vom 30. 9. 1925; s. Art. 398 Abs. 2 Est. m StGB).

1102

27

>

2S

>

2!>)

,'

Hanack, Gutachten zum 47. Deutschen Juristentag 1968, S. 240.

Lenckner zu § 184 dStGB, Rz 4, a. a. O..

Bundesrepublik Deutschland Die Verbreitung pornographischer Schriften («weiche» Pornographie) ist in bestimmten Fallgestaltungen nach § 184 Absatz l StGB strafbar. Die Herstellung und Verbreitung «harter» Pornographie ist stets strafbar (§ 184 Abs. 3 StGB). Unter «harter» Pornographie werden pornographische Schriften verstanden, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben.

Zu verweisen ist ferner auf das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 29. April 1961. Schriften, die geeignet sind. Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende und zu Gewalttätigkeit anreizende Schriften. Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen gleich. Die in dieser Liste enthaltenen Schriften usw. unterliegen einem ausgedehnten Verbreitungs- und Werbeverbot.

Über die Durchführung der Aufgaben dieses Gesetzes wacht die Bundesprüfstelle.

Sie entscheidet auch über die Aufnahme in die Liste.

Frankreich Der Vertrieb von Werken pornographischen Charakters auf dem Wege der Presse wird in der Regel mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren und einer Busse von 360-30 000 fFr. bestraft (Art. 283 des Code pénal).

Die Staatsanwaltschaft berücksichtigt indessen, bevor sie eine Strafverfolgung einleitet, den Wandel der Sitten, so dass diese Bestimmung nurmehr im Falle solcher pornographischer Werke angewendet wird, die Handlungen mit Kindern oder Tieren zum Gegenstand haben.

Das Innenministerium kann aber die Verbreitung von Werken pornographischen Charakters einschränken, namentlich auf dem Wege des Verbots von öffentlichen Bekanntmachungen und des Verkaufs an Minderjährige bis zu 18 Jahren.

Verboten ist im übrigen jede pornographische Einfügung in Publikationen, die ihrem fnhalt nach vor allem für Jugendliche und Kinder bestimmt sind.

Für die Herstellung und den Vertrieb von Filmwerken pornographischen Charakters sieht die Novelle vom 30. Dezember 1975 eine Spezialregelung vor: die Mehrwertsteuer wird erhöht, die Einfuhr mit einer Spezialsteuer belegt, die Hersteller des Films und die
Kinobesitzer sind von jeglicher finanziellen staatlichen Unterstützung ausgeschlossen. Der Klassierung legt eine Aufsichtskommission das folgende objektive Kriterium zugrunde: Pornographisch ist der Film, der eine nicht vorgetäuschte geschlechtliche Handlung zeigt, namentlich Beischlafsszenen.

Im französischen Recht gibt es den Begriff der weichen Pornographie nicht.

Niederlande Die Verbreitung der Pornographie wird nach den Artikeln 240 und 240bis des niederländischen Strafgesetzbuches bestraft. Diese Regelung unterscheidet nicht zwischen harter und weicher Pornographie. Eine Neuordnung wird vorbereitet, die auf 1979 zurückgeht. Der vom Parlament noch nicht angenommene Gesetzesentwurf sieht vor, die Strafbarkeit der Pornographie einzuschränken auf die unerwartete Konfrontation mit Abbildungen und Gegenständen pornographischer Art und Jugendliche unter 16 Jahren davor zu schützen, dass sie mit solchen Erzeugnissen versorgt werden.

Österreich Pornographie ist grundsätzlich nicht frei, sondern unterliegt den Strafbestimmungen des Pornographiegesetzes aus dem Jahre 1950. Während der Wortlaut dieser Bestimmungen «unzüchtige Schriften, Abbildungen, Laufbilder und andere un-

1103

züchtige Gegenstände» schlechthin erfasst, hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Begriff «unzüchtig» zunehmend restriktiv interpretiert. Seit fast zehn Jahren wird danach die «einfache Pornographie» nicht mehr schlechthin als strafbar angesehen und verfolgt, sondern nur noch unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere unter den, Gesichtspunkten des Belästigungs- und Jugendschutzes (z. B. bei Vertrieb im Supermarkt - nicht dagegen im Sex-Shop - und Darstellung in reisserischer, das Sexuelle aus dem Zusammenhang herauslösender Form). Allgemein als unzüchtig im Sinne des § l Pornographiegesetz werden von der Rechtsprechung weiterhin Abbildungen und dergleichen angesehen, die sexuelle Handlungen mit Kindern, in Verbindung mit Gewalt, oder homosexuelle Handlungen darstellen, ohne dass dies förmlich als «harte Pornographie» bezeichnet würde.

Schweden Die Pornographie ist nicht völlig freigegeben. Die Abbildung von Kindern in pornographischen Darstellungen ist verboten. § 10a des Kapitels 16 des schwedischen Kriminalgesetzbuches lautet : «Wer ein Kind in einer pornographischen Darstel- ' lung abbildet, mit der Absicht, die Darstellung zu verbreiten, oder wer eine solche Darstellung verbreitet, wird, unter Vorbehalt rechtfertigender Umstände, für Begehung des Delikts der Pornographie mit Kindern mit, Busse oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.» Eine Strafbestimmung enthält ferner § 11 des Kapitels 16: «Wer an einem öffentlichen Ort pornographische Darstellungen ausstellt, in einer Schaufensterauslage oder durch ein ähnliches Vorgehen, in einer Art und Weise, die geeignet ist, öffentlichen Anstoss zu erregen, wird für Begehung einer unrechtmässigen Ausstellung pornographischer Darstellungen mit Busse oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Dieselbe Strafe trifft den, der per Post oder sonstwie jemanden unaufgefordert mit pornographischen Darstellungen beliefert.» 30)

Bundesrepublik Deutschland: § 183a StGB, Erregung öffentlichen Ärgernisses; Österreich: § 218 StGB, Öffentliche unzüchtige Handlungen; Italien: Codice penale Art. 527, Obszöne Handlungen und Art. 726 (Polizeiübertretung), Handlungen, die gegen das allgemeine Anstandsgefühl verstossen. Unziemliche Reden; Frankreich: Code pénal Art. 330 des Abschnittes «attentats aux moeurs».

31

Art. 33 Est. d der Verordnung vom 13. Nov. 1962 über den Strassenverkehr (SR 741.11); BGE 91 IV 151 E. le.

>

0683

1104

Schweizerisches Strafgesetzbuch Militärstrafgesetz

Entwurf A

(Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben und gegen die Familie) Änderung vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 1985 '), beschliesst:

I Das Schweizerische Strafgesetzbuch2) wird wie folgt geändert: Art. 66bis (neu) Strafbefreiung

' Ist der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen worden, dass eine Strafe unangemessen wäre, so sieht die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung ab.

2

Unter der gleichen Voraussetzung ist vom Widerruf des bedingten Strafvollzuges oder der bedingten Entlassung abzusehen.

Art. 112

Mord

Totschlag

Handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich, so ist die Strafe lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter zehn Jahren.

Art. 113 Handelt der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von einem bis zu fünf Jahren.

Art. 114

Tötung auf Verlangen

Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, eiMenschen auf dessen ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Gefängnis bestraft.

ngn

D BB1 1985 II 1009 » SR 311.0

1105

StGB/MStG

Kindestötung

3. Körper-

Art. 116 Tötet eine Mutter ihr Kind während der Geburt oder solange sie unter dem Einfluss des Geburtsvorganges steht, so wird sie mit Gefängnis bestraft.

Art. 122 Wer vorsätzlich ' einen Menschen lebensgefährlich verletzt,

Verletzung.

Schwere Körper- wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines zung Menschen verstümmelt oder unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt, wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Art. 123 Einfache Körper- 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper Verletzung Q(jer Qesunciheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Gefängnis bestraft.

In leichten Fällen kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern (Art. 66).

2. Die Strafe ist Gefängnis, und der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er Gift, eine Waffe oder einen gefährlichen Gegenstand gebraucht, wenn er die Tat an einem Wehrlosen oder an einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind.

Art. 124 und 125 Abs. 2 Aufgehoben Art. 126 Abs. 2 (neu) 2 Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt an einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind.

1106

StGB/MStG

Art. 127 4. Gefährdung Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er der Gesundheit. zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unAussetzung mittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

Art. 128 Unterlassung der Nothiife

Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der ^ unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte, wer andere davon abhält, Nothilfe zu leisten, oder sie dabei behindert, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Art. 129 Gefährdung des Lebens

Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

Art. 130-132 Aufgehoben

Art. 133 Raufhandei

' Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

2

Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.

Art. 134 Angriff

Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen zur Folge hat, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft.

Art. 135 Gewaltdarsteiiungen

' Wer Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände oder Vorführungen, die, ohne schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert zu haben, grausame Gewalttä-

1107

StGB/MStG

tigkeiten gegen Menschen oder Tiere eindringlich darstellen, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

2

Die Gegenstände werden eingezogen.

3

Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so ist die Strafe Gefängnis und Busse.

Art. 136 Verabreichen Wer einem Kind unter 16 Jahren alkoholische Getränke oder angefähSer dere Stoffe in einer Menge, welche die Gesundheit gefährden Stoffe an Kinder ]cann) Oder Betäubungsmittel im Sinne des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1951 ') über die Betäubungsmittel verabreicht oder zum Konsum überlässt, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Art. 213 Inzest

' Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Gefängnis bestraft.

2

Unmündige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.

3

Die Verjährung tritt in zwei Jahren ein.

Art. 214 Aufgehoben

Art. 215 Mehrfache Ehe Wer eine Ehe schliesst, obwohl er verheiratet ist, wer mit einer verheirateten Person eine Ehe schliesst, wird mit Gefängnis bestraft.

Art. 216 Aufgehoben

Art. 217 VernachUnteTaitJ-011 pflichten D SR 812.121

1108

' Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Gefängnis bestraft.

StGB/MStG 2

Das Antragsrecht steht auch den von den Kantonen bezeichneten Behörden und Stellen zu.

Art. 218

Aufgehoben Art. 219

Verletzung der ' Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer unEraSmgspnìcht mündigen Person verletzt oder vernachlässigt und .sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft.

2 Handelt der Täter fahrlässig, so kann statt auf Gefängnis auf Busse erkannt werden.

Art. 220

Entziehen von Wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder der Unmündigen vormundschaftlichen Gewalt entzieht oder sich weigert, sie ihm zurückzugeben, wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Vierter Titelbis: Mitteilung bei strafbaren Handlungen gegenüber Unmündigen (neu)

Mitteiiungs'

p IC

Art. 3S8bis Stellt die zuständige Behörde bei der Verfolgung von strafbaren Handlungen gegenüber Unmündigen fest, dass weitere Massnahmen erforderlich sind, so informiert sie sofort die vormundschaftlichen Behörden.

Art. 358ter

Mitteiiungsrecht

Ist an einem Unmündigen eine strafbare Handlung begangen worden, so sind die zur Wahrung des Amts- und Berufsgeheimnisses (Art. 320 und 321) verpflichteten Personen berechtigt, dies in seinem Interesse den vormundschaftlichen Behörden zu melden.

1109

StGB/MStG II

Das Militärstrafgesetz1) wird wie folgt geändert:

Strafbefreiung

Mord

Totschlag

Tötung auf erangen

Art. 47a * Ist der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen worden, dass eine Strafe unangemessen wäre, so ist von der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung abzusehen.

2 Unter der gleichen Voraussetzung ist vom Widerruf des bedingten Strafvollzuges oder der bedingten Entlassung abzusehen.

Art. 116 Handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich, so ist die Strafe lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter zehn Jahren.

Art. 117 Handelt der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von einem bis zu fünf Jahren.

Art. 118 Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, eingn Menschen auf dessen ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Gefängnis bestraft.

Art. 121 2. KörperWer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt, Verletzung.

Schwere Körper- wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines ng Menschen verstümmelt oder unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt, wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht, D SR 321.0

1110

StGB/MStG

wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Art. 122 Ziff. 2 und 3, 123, 125-127 Aufgehoben

Art. 128 Raufhandel

' Wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

2

Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet.

3

In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung.

Art. 128a (neu) Unbefugter ngn

' Wer sich unbefugt an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen zur Folge hat, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft.

2

In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung.

III

Das Zollgesetz1) wird wie folgt geändert:

Art. 36 Abs. 4 4

Werden bei der Revision Waren entdeckt, die strafbare pornographische oder Gewaltdarstellungen enthalten (Art. 135 und Art. 197 Ziff. 3 StGB2)) und deswegen voraussichtlich der Einziehung unterliegen, so sind sie vorläufig zu beschlagnahmen und der Staatsanwaltschaft des Kantons, in dem der Adressat der Sendung seinen Wohnsitz oder Sitz hat oder der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Filme, für welche eine Einfuhrbewilligung besteht, unterliegen dieser vorläufigen Beschlagnahme nicht. Über die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme wird ausschliesslich von den zuständigen kantonalen Strafverfolgungsbehörden nach kantonalem Prozessrecht entschieden. Die Beschwerde gegen Massnahmen der Zollverwaltung ist ausgeschlossen.

'> SR 631.0

2

> SR 311.0; AS ...

1111

StGB/MStG IV

Referendum und Inkrafttreten Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

1

0683

1112

Schweizerisches Strafgesetzbuch Militarstrafgesetz

Entwurf B

(Strafbare Handlungen im Sexualbereich) Anderung vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 1985J \ beschliesst: I

Das Schweizerische Strafgesetzbuch2) wird wie folgt geandert: Art. 110 Ziff. 1 Aufgehoben Fiinfter Titel: Strafbare Handlungen im Sexualbereich Art. 187(191)3) 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine geschlechtliche 1. Gefahrdung der Entwicklung von Unmiindigen. Handlung vornimmt, Geschlechtliche Handlungen mit ein solches Kind zu einer geschlechtlichen Handlung verleitet, Kindern ein solches Kind in eine geschlechtliche Handlung einbezieht, wird mit Zuchthaus bis zu ftinf Jahren oder mit Gefangnis bestraft.

2. Hat der Tater zur Zeit der Tat das 18. Altersjahr noch nicht zuriickgelegt oder hat die verletzte Person mit ihm die Ehe geschlossen, so kann die zustandige Behorde von der Strafverfolgung, der Oberweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

3. Handelte der Tater in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hatte er jedoch bei pflichtgemasser Vorsicht den Irrtum vermeiden konnen, so ist die Strafe Gefangnis.

4. Die Verjahrung tritt in zwei Jahren ein.

') BB1 1985 II 1009 > SR 311.0 Die in Klammern gesetzten Artikel verweisen auf die bisherigen Artikel des StGB.

2

3)

1113

StGB/MStG Art. 188 (192)

Geschlechtliche 1. Wer mit einer unmündigen Person von mehr als 16 Jahren, die AbhängteTM mil von ihm durcn ein Erziehungs- oder Betreuungsverhältnis oder auf andere Weise abhängig ist, unter Ausnützung dieser Abhängigkeit eine geschlechtliche Handlung vornimmt, wer eine solche Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit zu einer geschlechtlichen Handlung verleitet, wird mit Gefängnis bestraft.

2. Hat die verletzte Person mit dem Täter die Ehe geschlossen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

3. Die Verjährung tritt in zwei Jahren ein.

Art. 189 (187, 195) 2. Angriffe auf l Wer eine Person weiblichen Geschlechts zum ausserehelichen Hchfïreiheit'" Beischlaf zwingt, indem er gegen sie Gewalt anwendet, sie schwer und Ehre.

bedroht oder sie zum Widerstand unfähig macht, wird mit ZuchtVergewaltigung . T U u ^ a haus bis zu zehn Jahren bestraft.

2 Liegen in der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer entlastende Umstände, so ist die Strafe Gefängnis.

3 Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich; eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren.

Art. 190 (m, 195) Nötigung zu l Wer eine Person zu einer ändern geschlechtlichen Handlung geschlechtlichen zwingt, indem er gegen sie Gewalt anwendet, sie schwer bedroht Handlung oder sie zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

2 Liegen in der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer entlastende Umstände, so ist die Strafe Gefängnis.

3 Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren.

Schändung

1114

Art. 191 (189, 190) Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zu einer geschlechtlichen Handlung missbraucht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jähren oder mit Gefängnis bestraft.

l

StGB/MStG 2

Liegen in der personlichen Beziehung zwischen Tater und Opfer entlastende Umstande, so ist die Strafe Gefangnis.

Art. 192 (193) Geschlechtliche Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen.

Beschuldigten

Ausniitzung der Notlage

1

Wer mit einem Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten unter Ausniitzung der Abhangigkeit des Verletzten eine geschlechtliche Handlung vornimmt oder ihn zu einer solchen Handlung verleitet, wird mit Gefangnis bestraft.

2 Hat die verletzte Person mit dem Tater die Ehe geschlossen, so kann die zustandige Behorde von der Strafverfolgung, der Uberweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

Art. 193 (194, 197) 1 Wer eine Person unter Ausniitzung einer schweren Notlage veranlasst, eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Gefangnis bestraft.

2 Hat die verletzte Person mit dem Tater die Ehe geschlossen, so kann die zustandige Behorde von der Strafverfolgung, der Uberweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

Art. 194 (203)

Exhibitionismus

3. Ausniitzung geschlechtlicher Handlungen.

Forderung der Prostitution

1

Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird, auf Antrag, mit Gefangnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bestraft.

2 Unterzieht sich der Tater einer arztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Tater der Behandlung entzieht.

3 Die Verjahrung tritt in zwei Jahren ein.

Art. 195 (198-201) 1 Wer eine unmundige Person oder eine Person unter Ausniitzung ihrer Abhängigkeit der Prostitution zufiihrt oder darin festhalt, wird mit Zuchthaus bis zu fiinf Jahren oder mit Gefangnis bestraft.

·- Ebenso wird bestraft, wer eines Vermogensvorteils wegen eine Person der Prostitution zufiihrt, darin festhält oder die Handlungsfreiheit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beemtrachtigt, dass er sie bei dieser Tatigkeit iiberwacht oder Ort, Zeit, Ausmass oder andere Umstande der Prostitution bestimmt.

1115

StGB/MStG Art. 196 (202) Menschenhandel ' Wer mit Menschen Handel treibt, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.

2 Wer Anstalten zum Menschenhandel trifft, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

3

In jedem Fall ist auch auf Busse zu erkennen.

Art. 197 (204, 212) 4. Pornographie 1. Wer pornographische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornographische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

2. Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer l öffentlich ausstellt oder zeigt oder sie sonst jemandem unaufgefordert anbietet, wird mit Busse bestraft.

Die Kantone können für Kinovorführungen einschränkendere Bestimmungen vorsehen.

3. Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer l, die geschlechtliche Handlungen mit Kindern, Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

Die Gegenstände werden eingezogen.

4. Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so ist die Strafe Gefängnis und Busse.

Art. 198 (203, 205) s. Übertretungen Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine geschlechtliche cLcmecahüeicheCh' Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt, igungen ^^ jemanden, der ihm keinen Anlass dazu gegeben hat, in geschlechtlicher Weise tätlich belästigt, wird, auf Antrag, mit Haft oder Busse bestraft.

1116

StGB/MStG

UnzulJissige Ausiibung der Prostitution

Art. 199 (206-210) 1 Die Kantone konnen, unter Hinweis auf die Strafdrohung dieser Bestimmung, Vorschriften ilber Ort, Zeit oder Art der Ausiibung der Prostitution und iiber die Verhinderung belastigender Begleiterscheimmgen erlassen. Sie konnen diese Befugnisse den Gemeinden ubertragen.

2 Wer einer solchen Vorschrift zuwiderhandelt, wird mil Haft oder mit Busse bestraft.

Art. 200

6. Gemeinsame Begehung

Begeht jemand eine strafbare Handlung dieses Titels gemeinsam mit einer oder mehreren Personen, so kann der Richter die Strafe erhb'hen, darf jedoch das hochste Mass der angedrohten Strafe nicht urn mehr als die Halfte uberschreiten. Dabei ist er an das gesetzliche Hochstmass der Strafart gebunden.

Art. 201-212 Aufgehoben1)

Mitteilung bei Pornographie

Art. 358 Stellt eine Untersuchungsbehorde fest, dass pornographische Gegenstande (Art. 197 Ziff. 3) in einem fremden Staat hergestellt oder von dort aus eingefiihrt worden sind, so informiert sie sofort die zur Bekampfung der Pornographie eingesetzte Zentralstelle der Bundesanwaltschaft.

II

Das Militärstrafgesetz2) wird wie folgt geandert: Zwolfter Abschnitt: Strafbare Handlungen im Sexualbereich

Vergevvaltigung

Art. 153 1 Wer eine Person weiblichen Geschlechts zum ausserehelichen Beischlaf zwingt, indem er gegen sie Gewalt anwendet, sie schwer

>) Diese aufgehobenen Artikel werden (mit Ausnahme von Art. 211), ersetzt durch die Artikel 195, 196, 197, 198, 199 (vgl. Kommentar der Botschaft Ziff. 23). Artikel 211 wird ersatzlos gestrichen.

2

> SR

321.0

1117

StGB/MStG bedroht oder sie zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

2 Liegen in der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer entlastende Umstände, so ist die Strafe Gefängnis.

3 Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren.

Art. 154 Nötigung zu ' Wer eine Person zu einer ändern geschlechtlichen Handlung gSchiechtiichen zwingt, indem er gegen sie Gewalt anwendet, sie schwer bedroht Handlung oder sie zum Widerstand unfähig macht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

2 Liegen in der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer entlastende Umstände, so ist die Strafe Gefängnis.

3 Handelt der Täter grausam, verwendet er namentlich eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter drei Jahren.

Schändung

Art. 155 ' Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zu einer geschlechtlichen Handlung missbraucht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

2 Liegen in der persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer entlastende Umstände, so ist die Strafe Gefängnis.

Art. 156 Geschlechtliche 1. Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine geschlechtliche Handlungen n* Handlung vornimmt, ein solches Kind zu einer geschlechtlichen Handlung verleitet, ein solches Kind in eine geschlechtliche Handlung einbezieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

2. Hat der Täter zur Zeit der Tat das 18. Altersjahr noch nicht zurückgelegt oder hat die verletzte Person mit ihm die Ehe geschlossen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.

1118

StGB/MStG 3. Handelte der Täter in der irrigen Vorstellung, das Kind sei mindestens 16 Jahre alt, hätte er jedoch bei pflichtgemässer Vorsicht den Irrtum vermeiden können, so ist die Strafe Gefängnis.

4. Die Verjährung tritt in zwei Jahren ein.

GleichHand'iunhglnhe

Art. 157 1. Wer mit einer Person gleichen Geschlechts eine geschlechtliche Handlung vornimmt, wird mit Gefängnis bestraft.

In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung.

2. Wer von einer Person gleichen Geschlechts unter Ausnützung seiner militärischen Stellung die Duldung oder Vornahme einer geschlechtlichen Handlung erlangt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft.,

Art. 158 Aufgehoben Art. 159 Exhibitionismus ' Wer eine exhibitionistische Handlung vornimmt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bestraft.

2 Unterzieht sich der Täter einer ärztlichen Behandlung, so kann das Strafverfahren eingestellt werden. Es wird wieder aufgenommen, wenn sich der Täter der Behandlung entzieht.

3 Die Verjährung tritt in zwei Jahren ein.

4 In leichten Fällen erfolgt disziplinarische Bestrafung.

Gemeinsame Begehung

Art. 159a (neu) Begeht jemand eine strafbare Handlung dieses Titels gemeinsam m j t emer ocjer me h reren Personen, so kann der Richter die Strafe erhöhen, darf jedoch das höchste Mass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte überschreiten. Dabei ist er an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden.

1119

StGB/MStG III

Das Zollgesetz1) wird wie folgt geändert:

Art. 36 Abs. 4 4 Werden bei der Revision Waren entdeckt, die strafbare pornographische oder Gewaltdarstellungen enthalten (Art. 135 und Art. 197 Ziff. 3 StGB)2) und deswegen voraussichtlich der Einziehung unterliegen, so sind sie vorläufig zu beschlagnahmen und der Staatsanwaltschaft des Kantons, in dem der Adressat der Sendung seinen Wohnsitz oder Sitz hat, oder der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Filme, für welche eine Einfuhrbewilligung besteht, unterliegen dieser vorläufigen Beschlagnahme nicht. Über die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme wird ausschliesslich von den zuständigen kantonalen Strafverfolgungsbehörden nach kantonalem Prozessrecht entschieden. Die Beschwerde gegen Massnahmen der Zollverwaltung ist ausgeschlossen.

IV

Referendum und Inkrafttreten Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

1

0683

» 631.0 2

> SR 311.0; AS

1120

»

Militärstrafgesetz

Entwürfe

(Disziplinarische Ahndung des Konsums geringer Mengen von Betäubungsmitteln) Änderung vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 1985 '', beschlie'sst: I

Das Militärstrafgesetz2' wird wie folgt geändert: Art. 218 Abs. 4 4 Der Militärgerichtsbarkeit ist auch unterworfen, wer während der Dienstzeit unbefugt geringfügige Mengen von Betäubungsmitteln im Sinne von Artikel l des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 19513> über die Betäubungsmittel (BetmG) vorsätzlich konsumiert oder besitzt oder zum eigenen Konsum eine Widerhandlung gegen Artikel 19 BetmG begeht. Der Täter wird disziplinarisch bestraft.

Art. 219 Abs. l 'Unter Vorbehalt von Artikel 218 Absätze 3 und 4 bleiben die dem Militärstrafrecht unterstehenden Personen für strafbare Handlungen, die in diesem Gesetz nicht vorgesehen sind, der zivilen Strafgerichtsbarkeit unterworfen.

II

Referendum und Inkrafttreten Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

1

0683

') BEI 1985 II 1009 > SR 321.0 > SR 812.121

2

3

1121

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie) vom 26. Juni 1985

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1985

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

35

Cahier Numero Geschäftsnummer

85.047

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

10.09.1985

Date Data Seite

1009-1121

Page Pagina Ref. No

10 049 767

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.