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85.235

Parlamentarische Initiative.

Revision des Garantiegesetzes Bericht der Kommission des Nationalrates vom 6. Mai 1985

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21octies des alten GVG bzw. Artikel 21quater Absatz 3 des neuen GVG den vorliegenden Bericht und überweisen ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

Am 15. Dezember 1983 hat Nationalrat Bircher mit einer parlamentarischen Initiative angeregt, dass Artikel 96 Absatz l zweiter Satz der Bundesverfassung gestrichen und durch eine Bestimmung ersetzt werde, wonach bei den Wahlen in den Bundesrat die Landesteile und Sprachgruppen angemessen zu berücksichtigen seien. Am 29. November 1983 hatte die Fraktion der SVP eine Motion eingereicht, mit der sie das Garantiegesetz abändern will, damit bei der Festlegung der Kantonszugehörigkeit von Bundesratskandidaten nicht mehr das Bürgerrecht, sondern der Wohnort massgebend sei. Beide Vorstösse wurden der Kommission zur Vorberatung überwiesen.

Die Kommission ist zur Auffassung gelangt, dass die heutige Rechtslage nicht mehr zeitgemäss ist. Sie hält aber den Grundsatz nach wie vor für richtig, dass nur ein Vertreter eines Kantons gleichzeitig dem Bundesrat angehören kann.

Deshalb lehnt sie die parlamentarische Initiative Bircher ab. Auch das durch die Motion der SVP-Fraktion angeregte Wohnsitzprinzip lässt sich nicht ohne weiteres verwirklichen. Die Kommission unterbreitet deshalb eine eigene parlamentarische Initiative zur Revision von Artikel 9 des Garantiegesetzes. Als Anknüpfungspunkt für die Kantonszugehörigkeit eines Bundesratskandidaten soll an die Stelle des Heimatprinzips primär der Ort der politischen Tätigkeit zur Zeit der ersten Wahl und subsidiär der Wohnsitz oder das Bürgerrecht treten.

Ferner beantragt die Kommission, die heutige Sonderregelung abzuschaffen, wonach die gewählten Magistraten ihr politisches und bürgerliches Domizil am Heimatort behalten. Bundesräte, Bundesrichter und der Bundeskanzler sollen ihren Wohnsitz ebenfalls nach den allgemeinen Bestimmungen des ZGB begründen.

1985-593

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Anträge Die Kommission beantragt: 1. der Initiative der Kommission Folge zu geben und den Beschlussentwurf zur Änderung des Garantiegesetzes anzunehmen.

2. der parlamentarischen Initiative Bircher keine Folge zu geben.

3. den Motionsvorschlag der Fraktion der SVP als erfüllt abzuschreiben.

Beilagen 1 2 3

Entwurf zur Änderung des Garantiegesetzes Erläuterungen der Kommission Text und Begründung der Initiative Bircher und der Motion der SVP-Fraktion

6. Mai 1985

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Namens der Kommission Der Präsident: Frey-Neuenburg

Beilage l

Bundesgesetz über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft

Entwurf

Änderung vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung einer parlamentarischen Initiative, nach Einsicht in den Bericht einer Kommission des Nationalrates vom 6. Mai 1985') und in die Stellungnahme des Bundesrates vom ...2), beschliesst: I

Das Bundesgesetz vom 26. März 19343) über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft wird wie folgt geändert:

Art. 9 1 Massgebend für die Kantonszugehörigkeit im Sinne von Artikel 96 Absatz l der Bundesverfassung ist bei Mitgliedern der Bundesversammlung sowie kantonaler Regierungen oder Parlamente der Kanton, in dem sie gewählt worden sind. Bei anderen Kandidaten ist der Wohnsitz massgebend, bei fehlendem Wohnsitz in der Schweiz das zuletzt erworbene Bürgerrecht.

2 Die Kantonszugehörigkeit bei der ersten Wahl in den Bundesrat gilt auch für Wiederwahlen.

Artikel 13bis wird zu Artikel 13a

Art. 16a (neu) Für Mitglieder des Bundesrates und des Bundesgerichtes sowie den Bundeskanzler, die beim Inkrafttreten der Änderung vom ... dieses Gesetzes im Amt sind, gilt weiterhin die wohnsitzrechtliche Regelung des bisherigen Artikels 9, es sei denn, sie unterstellen sich innert eines Jahres dem neuen Recht.

» BB1 1985 II 531 > BEI 1985 II ...

> SR 170.21

2

3

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Politische und polizeiliche Garantien II 1 2

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

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Beilage 2 Erläuterungen der Kommission I II

Ausgangslage Ersatzwahlen in den Bundesrat vom 7. Dezember 1983

Sowohl die parlamentarische Initiative Bircher vom 15. Dezember 1983 als die Motion der SVP-Fraktion vom 29. November 1983 wurden im Zusammenhang mit den Ersatzwahlen in den Bundesrat vom 7. Dezember 1983 eingereicht. Sie beziehen sich insbesondere auf die Diskussionen um die Wählbarkeit des früheren St.-Galler Nationalrates Schmid. Die Vereinigte Bundesversammlung hatte auf Antrag seines Büros die Bestimmungen in Artikel 96 der Bundesverfassung und in Artikel-9 des Garantiegesetzes als Voraussetzung für die Wählbarkeit interpretiert. Damit wurde eine blosse Unvereinbarkeitsregel ausgeschlossen, die einem Gewählten bis zu seinem Amtsantritt Gelegenheit gegeben hätte, auf ein Bürgerrecht zu verzichten, das mit dem eines früher gewählten Bundesrates übereinstimmt.

Damit war die letztmals 1976 geführte Diskussion über die Wählbarkeitsvoraussetzung und über das Kriterium des Bürgerrechts neu entfacht. Zusätzlicher Anlass für ein neues Überdenken des Heimatprinzipes war die erstmalige Kandidatur einer Frau als Mitglied des Bundesrates.

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Arbeit der Kommission ^

Die Kommission wurde vom Büro in der Frühjahrssession 1984 mit der Vorberatung der parlamentarischen Initiative beauftragt. Sie hörte an ihrer ersten Sitzung den Initianten sowie drei Experten an, den Staatsrechtler 'Professor JeanFrançois Aubert, den Politologen Professor Erich Grüner und den Vizedirektor des Bundesamtes für Justiz, Dr. Paul Zweifel. Der Initiant sowie Dr. Zweifel nahmen an allen Sitzungen mit beratender Stimme teil.

Angesichts des engen sachlichen Zusammenhanges mit der parlamentarischen Initiative bat die Kommission das Büro des Nationalrates, die Motion der SVPFraktion gemäss Artikel 36 Absatz 4 des Geschäftsreglementes des Nationalrates ebenfalls der Kommission zur Vorberatung zuzuweisen. Der Rat stimmte dem entsprechenden Antrag des Büros am 5. Oktober 1984 zu.

An drei weiteren Sitzungen beriet die Kommission über die beiden Vorstösse sowie mögliche Lösungsvorschläge. Sie unterbreitet Ihnen mit diesem Bericht die entsprechenden Anträge.,

') Die Kommission besteht aus den folgenden Damen und Herren Nationalräten: FreyNeuenburg, Ammann-St. Gallen, Auer, Blunschy, Borei, Braunschweig, Cotti Gianfranco, Eppenberger-Nesslau, Fehr, Gautier, Müller-Aargau. Nebiker, Perey, Reich, Robbiani, Sager, Savary-Freiburg, Segmüller, Steinegger, Weber-Arbon, Wick.

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Geltendes Recht und seine Entstehungsgeschichte

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Artikel 96 Absatz l BV

Der geltende Artikel 96 Absatz l der Bundesverfassung hat folgenden Wortlaut: Die Mitglieder des Bundesrates werden von der Bundesversammlung aus allen Schweizer Bürgern, welche als Mitglieder des Nationalrates wählbar sind, auf die Dauer von vier Jahren ernannt. Es darf jedoch nicht mehr als ein Mitglied aus dem nämlichen Kanton gewählt werden.

Der zweite Satz, dessen Änderung der Initiant beantragt, war bereits in Artikel 84 der ersten Bundesverfassung von 1848 enthalten. Die Protokolle der Tagsatzung geben nur eine allgemeine Erklärung, weshalb diese Bestimmung in die Bundesverfassung aufgenommen wurde. Aber aus dem «Handbuch des Schweizerischen Bundesstaatsrechts» von Blumer, einem Mitglied der Tagsatzung, geht hervor, dass verhindert werden sollte, dass einzelne grosse Kantone einen übermässigen Einfluss auf die Landesregierung ausüben können.

Mehrmals würde darüber diskutiert, ob diese Beschränkung aufrechterhalten bleiben soll. Im Jahr 1874 wurde sie unverändert als Artikel 96 Absatz l zweiter Satz in die geltende BV übernommen, und auch anlässlich der Debatten über die Erhöhung der Zahl der Bundesräte in den Jahren 1917 und 1939 wurde nicht daran gerüttelt. Aus jüngerer Zeit sei an die als Postulate überwiesenen Vorstösse der Nationalräte Allgöwer, Breitenmoser, Raissig, Imboden (1965/66) und Vontobel (1969) sowie von Ständerat Kurt Bächtold (1969) erinnert, die den Bundesrat veranlassten, eine Vorlage zur Änderung von Artikel 96 Absatz l in Aussicht zu stellen. Nachdem aber im Vernehmlassungsverfahren eine Mehrheit von 14 Kantonen die Aufhebung der Wahlschranke abgelehnt hatten, verzichtete der Bundesrat auf eine Vorlage.

In der Folge reichten Nationalrat Bräm am 10. Dezember 1973 und die Nationalräte Breitenmoser und Schmid-St. Gallen am 28. und 29. Januar 1974 je eine parlamentarische Initiative ein. Nationalrat Breitenmoser verlangte neben der Erhöhung der Zahl der Mitglieder des Bundesrates von sieben auf elf eine Streichung der Wählbarkeitsschranke; Nationalrat Schmid wollte die Wählbarkeitsschranke durch eine Bestimmung ersetzen, wonach die Sprachen und Landesgegenden bei der Wahl angemessen zu berücksichtigen seien. Die vorberatende Kommission ging mit den beiden Initiativen teilweise einig. Sie beschloss, den beiden Initiativen eine eigene Kommissionsinitiative gegenüberzustellen, in der beantragt wurde, die Wählbarkeitsschranke, d. h. den zweiten Satz von Artikel 96 Absatz l BV ersatzlos zu streichen (BB1 1976 I 1305). Der Bundesrat schloss sich diesem Antrag an (BB1 1976 l 1574). Auf Antrag einer Kommissionsminderheit widersetzte sich aber der Nationalrat allen drei Initiativen (Amtl. Bull. N 1976 930).

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Artikel 9 des Garantiegesetzes

Mit Ausnahme des Postulates Imboden von 1965 und einer später zurückgezogenen Motion Gilbert Baechtold von 1973 verlangten alle erwähnten Vorstösse eine Änderung der Bundesverfassung. Daraus erklärt sich, dass die Konkretisie536

rung der Verfassungsbestimmung in Artikel 9 des Bundesgesetzes über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft (GarG) jeweils nur am Rande diskutiert wurde.

Artikel 9 GarG stellt zunächst den Grundsatz auf, dass die Mitglieder des Bundesrates und des Bundesgerichtes sowie der Bundeskanzler ihr politisches und bürgerliches Domizil in denjenigen Kantonen beibehalten, in denen sie verbürgert sind. Das Steuerdomizil ist seit einer Revision des GarG im Jahre 1947 geteilt: das bewegliche Vermögen, dessen Erträgnisse sowie Erbschafts- und Schenkungssteuern auf dem beweglichen Vermögen werden im Heimatkanton, das Arbeitseinkommen wird am tatsächlichen Wohnsitz besteuert.

Artikel 9 Absatz l regelt aber nicht nur das Domizil der gewählten Magistraten, sondern bestimmt zusätzlich, welchem Kanton ein Kandidat bzw. eine Kandidatin für das Amt eines Bundesrates gemäss Artikel 96 Absatz l BV zugerechnet werden soll. Es gilt grundsätzlich das Heimatprinzip. Falls der Kandidat mehrere Bürgerrechte besitzt, gilt der Kanton, in dem er zur Zeit seiner Wahl seinen Wohnsitz hatte; falls er in keinem dieser Kantone Wohnsitz hat, gilt das zuletzt erworbene Bürgerrecht.

Der ursprüngliche Zweck von Artikel 9 GarG, dies geht aus seiner Entstehungsgeschichte seit 1848 und aus der Einordnung in das Bundesgesetz über politische und polizeiliche Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft hervor, bestand darin, die Bundesbehörden vor allfälligen Übergriffen der bernischen Regierung und Gewalttaten der Bevölkerung zu schützen. Deshalb wurde die Fiktion aufgestellt, dass Bundesräte und Bundeskanzler, später auch die Bundesrichter, ihren Wohnsitz am Heimatort behalten und der entsprechenden kantonalen Hoheit und dem kantonalen Recht unterstellt bleiben. Diese «Exterritorialität» der Magistraten wurde durch die Schaffung von Bundesrecht, namentlich der Vereinheitlichung des kantonalen Privat- und Strafrechts, und in steuerlicher Hinsicht durch die Revision des Artikels 9 GarG von 1947 wesentlich gelockert. Später wurde die Exterritorialität der Magistraten eher damit begründet, dass diese mit ihrem Heimatort verbunden bleiben sollen. Immer wieder wurde aber auch argumentiert, dass das Abstellen auf den Bürgerort nicht mehr zeitgemäss sei.

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Bedeutung der Bestimmungen

Die Vereinigte Bundesversammlung entschied am 7. Dezember 1983, dass Artikel 96 Absatz l zweiter Satz BV eine Nichtwählbarkeitsbestimmung sei, dass also die Stimmen ungültig seien, die für einen Kandidaten abgegeben werden, der dem gleichen Kanton zuzuordnen ist wie ein bereits gewählter Bundesrat (Amtl. Bull. N 1983 1891). Abgelehnt wurde ein Antrag, der eine blosse Unvereinbarkeit annahm, so dass einem gewählten Kandidaten die Möglichkeit geblieben wäre, bis zum Amtsantritt auf das kollidierende Bürgerrecht zu verzichten.

Der von der Kommission beigezogene Experte, Professor Aubert, hält diesen Beschluss für richtig. Er räumt zwar ein, dass der Verfassungsgeber möglicherweise eine Unvereinbarkeitsregel habe schaffen wollen. Allerdings stelle sowohl 537

der Text der Verfassung als auch des konkretisierenden Artikels 9 GarG deutlich auf den Zeitpunkt der Wahl ab, so dass man eine Nichtwählbarkeitsbestimmung annehmen müsse. Diese schaffe auch für die Vereinigte Bundesversammlung im Moment der Wahl die nötige Klarheit, ob ein Kandidat wählbar sei oder nicht.

3

Kritik und Vorschläge des Initianten und der Motionärin ' '

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Parlamentarische Initiative Bircher vom 15. Dezember 1983

Der Initiant beanstandet namentlich, dass der heutige zweite Satz von Artikel 96 Absatz l BV die Wahlfreiheit der Bundesversammlung unzulässig einschränke. Persönlichkeit und Eignung eines Kandidaten für das Amt eines Bundesrates mussten den Vorrang haben vor einer starren Beschränkung auf einen Vertreter pro Kanton. Der Initiant betont, dass sich die Mobilität der Bevölkerung gegenüber 1848 wesentlich erhöht habe, so dass heute das Bürgerrecht oft einen zufälligen Anknüpfungspunkt darstelle. Er schlägt deshalb vor, die Wählbarkeitsschranke zu streichen und durch eine flexiblere Bestimmung zu ersetzen, wonach die verschiedenen Sprachgruppen und Landesteile angemessen zu berücksichtigen seien.

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Motion der SVP-Fraktion vom 29. November 1983

Die SVP-Eraktion möchte die verfassungsmässige Schranke aufrechterhalten.

Sie schlägt aber eine Revision von Artikel 9 GarG vor, damit anstelle des Bürgerrechts der Wohnort als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem Kanton gelte. Begründet wird dieser Vorstoss ebenfalls mit der Tatsache, dass die Mobilität der Bevölkerung erheblich zugenommen habe, so dass heute in der Regel eine engere Beziehung zum Wohnort als zum Bürgerort bestehe. Dies gelte namentlich auch für die verheirateten Frauen.

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Erwägungen und Vorschläge der Kommission

Die Initiative Bircher und die Motion der SVP-Fraktion haben zu Recht die Frage aufgeworfen, ob die geltende Verfassungsbestimmung und ihre Konkretisierung im Garantiegesetz noch zeitgemäss sind. Sie haben in der Kommission zu einer fruchtbaren Diskussion über Geschichte, Zweck und Wirksamkeit der heutigen Regeln sowie über mögliche Alternativen geführt. ;

'? Wortlaut und Begründungen der Vorstösse in Beilage 3.

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Parlamentarische Initiative Bircher

Die Initiative Bircher würde wohl die Auswahlmöglichkeit der Bundesversammlung geringfügig vergrössern, falls man ihren Zusatz, dass Landesteile und Sprachgruppen angemessen zu berücksichtigen sind, als rein deklamatorische Maxime und nicht als Rechtsnorm versteht. Die Kommission befürchtet allerdings, dass diese in der Praxis zu endlosen Diskussionen führen würde: wie sind die Landesteile und die Sprachgruppen zu definieren, wann sind Landesteile und Sprachgruppen angemessen im Bundesrat vertreten? Die Kommission ist auch nicht überzeugt, dass der heutige Artikel 96 Absatz l zweiter Satz die entscheidende Schranke bei der Auswahl der Bundesratskandidaten darstellt.

Ungeschriebene Regeln wie der Parteienproporz, die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe oder der gewohnheitsmässige Anspruch einzelner Kantone sind mindestens ebenso wirksam. Vor allem aber sieht die Kommission in der gegenwärtigen Verfassungsbestimmung nach wie vor einen guten Schutz der kleinen Kantone vor einer Majorisierung durch die grossen Kantone. Jedenfalls könnte die kantonale Vielfalt innerhalb des Bundesrates bei Annahme der Initiative Bircher geschwächt werden. Dies lehnt die Kommission ab. Sie betont auch, dass unser Bundesstaat keine Vereinigung von Landesteilen und Sprachgruppen, sondern ein Bund von Kantonen ist, deren Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit gerade heute mit Recht wieder stärker gefördert werden.

Aus diesen Gründen hat die Kommission beschlossen, dem Nationalrat zu beantragen, der parlamentarischen Initiative Bircher keine Folge zu geben. Der geltende Artikel 96 Absatz l zweiter Satz BV soll unverändert bestehen bleiben.

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Wohnsitzprinzip

Die Kommission ist allerdings einstimmig zur Auffassung gelangt, dass die heutige Konkretisierung der Wählbarkeitsschranke im GarG unbefriedigend ist. Im letzten Jahrhundert war es gewiss angebracht, das Heimatprinzip als Anknüpfungspunkt zu bezeichnen. Unterdessen hat sich namentlich die Mobilität der Bevölkerung stark erhöht - nach neuen Statistiken leben nur noch die Hälfte der Heimatberechtigten in ihrem Heimatkanton, ein Drittel lebt in einem ändern Kanton, die übrigen im Ausland (zum Vergleich: im Jahre 1850 lebten 90%, im Jahr 1900 immerhin noch 70% in ihrem Heimatkanton). Daraus ergibt sich, dass der ursprüngliche Zweck der Verfassungsbestimmung nicht mehr erreicht wird, eine möglichst grosse regionale Vertretung im Bundesrat zu ermöglichen. Dies wird auch durch die Praxis bestätigt: die geltende Regel hat z. B.

nicht verhindert, dass zwei ehemalige Stadtpräsidenten von Lausanne, die Herren Graber und Chevallaz, gleichzeitig Mitglieder des Bundesrates waren.

Besonders problematisch ist das Bürgerrecht als Kriterium für die Kantonszugehörigkeit von verheirateten Kandidatinnen. Sowohl nach geltendem wie nach dem beschlossenen revidierten Eherecht (Art. 161 ZGB) erwerben sie das Bürgerrecht des Ehemannes, mit dessen Heimatkanton sie häufig keinerlei eigene Verbindung haben.

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Schliesslich ist es stossend, dass die Wählbarkeit in den Bundesrat von kantonalem Recht abhängt. Erwerb und Verlust des Bürgerrechts sind überdies sehr unterschiedlich ausgestaltet. Nationalrat Schmid hätte als Doppelbürger durch eine blosse schriftliche Erklärung auf sein St.-Galler Bürgerrecht verzichten können, während in anderen Kantonen ein Verzicht nicht Ohne weiteres möglich ist.

Die Kommission hat geprüft, ob gemäss der Motion der SVP durch eine Révision des Garantiegesetzes vom Heimatprinzip zum Wohnsitzprinzip übergegangen werden soll. Sie hat sich von Professor Aubert überzeugen lassen, dass dies ohne Verfassungsänderung möglich wäre. Artikel 96 Absatz l zweiter Satz legt nur den Grundsatz fest, dass nicht mehr als ein Bundesrat aus dem gleichen Kanton gewählt werden darf. Er erwähnt aber nicht ausdrücklich, dass für die Bestimmung der Kantonszugehörigkeit das Bürgerrecht massgebend sein soll.

Somit ist der Gesetzgeber frei, von der heutigen Konkretisierung im Artikel 9 GarG abzugeben. Diese Meinung hatte übrigens schon 1966 der damalige Nationalrat und Staatsrechtslehrer Max Imboden vertreten.

Man darf davon ausgehen, dass ein Schweizer heute in der Regel an seinem Wohnsitz mehr verwurzelt ist als an seinem Heimatort. Der Wohnsitz kann aber - und dies ist im Hinblick auf den Zweck der Verfassungsbestimmung ein entscheidender Nachteil - sehr einfach gewechselt werden. Die Zugehörigkeit zu einem Kanton im Sinne von Artikel 96 Absatz l zweiter Satz BV dürfte deshalb erst nach einer gewissen Zeit angenommen werden. Damit stellt sich die Frage, wie lange diese Karenzfrist betragen und welches Kriterium für Personen gelten soll, die noch nicht lange genug an ihrem gegenwärtigen Wohnsitz wohnen: der frühere Wohnsitz, das Bürgerrecht? Es dürfte nicht immer einfach sein, in kürzester Zeit festzustellen, welchem Kanton ein Kandidat zuzuordnen ist.

Unbefriedigend bleibt auch die Situation der Ehefrau, die nach geltendem Zivilrecht automatisch den Wohnsitz ihres Mannes erwirbt (Art. 25 ZGB). Das von den eidgenössischen Räten am 5. Oktober 1984 revidierte Eherecht; über welches das Volk noch abstimmen muss, bringt allerdings den selbständigen Wohnsitz der Ehefrau.

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Ort der politischen Tätigkeit

Die Kommission hält das Wohnsitzprinzip zwar für eine Verbesserung. Sie hat aber nach einem zusätzlichen einfachen Kriterium gesucht, das im Hinblick auf den Verfassungsauftrag die Kantonszugehörigkeit besser umschreibt. Auf Anregung von Professor Aubert schlägt sie vor, den Ort der politischen Tätigkeit als primären Anknüpfungspunkt zu wählen. Dieser soll für Bundesratskandidaten gelten, welche Mitglieder der eidgenössischen Räte, einer kantonalen Regierung oder eines kantonalen Parlamentes sind. Für ehemalige Mitglieder dieser Behörden sowie für Mitglieder kommunaler Behörden oder für Personen, die nie ein politisches Amt innehatten, gilt der Wohnsitz am Tag der Bundesratswahl, bei fehlendem Wohnsitz in der Schweiz das zuletzt erworbene Bürgerrecht. Die Erfahrung zeigt, dass die überwiegende Zahl der Bundesräte der letzten Jahrzehnte am Tag ihrer Wahl Mitglieder der eidgenössischen Räte oder kantonaler 540

Regierungen oder Parlamente waren. Ausnahmen bilden die Bundesräte Stich und Schaffner, für welche gemäss unseren Vorschlägen der Wohnsitz, und Bundesrat Wahlen, für den das Bürgerrecht massgebend gewesen wäre.

Der Kanton der politischen Tätigkeit scheint der Kommission ein sinnvoller Anknüpfungspunkt. Ein Politiker wird zunächst einmal mit dem Kanton identifiziert, in dem er in politische Behörden gewählt wird. Man kann kaum als Mitglied der eidgenössischen Räte oder der kantonalen Exekutive oder Legislative gewählt werden, ohne mit dem betreffenden Kanton und seiner Bevölkerung verbunden zu sein. Ferner ist es im Gegensatz zum Bürgerrecht und Wohnsitz nicht möglich, den Ort der politischen Tätigkeit kurzfristig zu wechseln.

Schliesslich wird auch bei der verheirateten Frau primär ihre politische Tätigkeit entscheiden, und nicht ein vom Ehemann abgeleitetes Bürgerrecht oder sein Wohnsitz. Ein letztes Anliegen der Kommission betrifft die Praktikabilität der vorgeschlagenen Lösung. Da Kandidaturen für die Wahl in den Bundesrat oft erst im letzten Moment bekannt werden, müssen das Büro und nötigenfalls die Bundesversammlung rasch entscheiden können, ob eine Person wählbar ist.

Die politische Tätigkeit in den erwähnten Gremien lässt sich in kürzester Zeit eruieren.

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Weitere Alternativen

Die Notwendigkeit der Praktikabilität hat im übrigen die Kommission dazu geführt, verschiedene denkbare Alternativen zu verwerfen. So wurde abgelehnt, auch die Tätigkeit in Gemeindebehörden oder die frühere politische Tätigkeit eines Kandidaten zu berücksichtigen. Die Kommission hat sich auch gefragt, ob als Kriterium für die Kantonszugehörigkeit der «Lebens-Mittelpunkt» einer Person gewählt werden könnte. Sie musste aber feststellen, dass dies kein rechtlich definierter Begriff ist. Ausserdem zeigt die Rechtsprechung zum Begriff des zivilrechtlichen Wohnsitzes, dass dieser gerade zum Zweck hat, den «LebensMittelpunkt» und das «räumliche Zentrum der persönlichen Interessen» zu bestimmen (vgl. Eugen Bucher, Berner Kommentar zum ZGB, Band I, Abteilung 2, Teilband l, Bern 1976, 548 ff.). Weshalb wir den Ort der politischen Tätigkeit als primäres Kriterium dem reinen Wohnsitzprinzip vorziehen, haben wir oben begründet.

Ferner lehnte es die Kommission ab, ein Organ, beispielsweise das Büro der Vereinigten Bundesversammlung, in Zweifelsfällen entscheiden zu lassen, ob ein Kandidat wählbar sei. Ein politisch derart bedeutungsvoller Entscheid muss der Vereinigten Bundesversammlung selbst vorbehalten sein.

Es scheint nicht nötig, im Gesetzesartikel ausdrücklich den seltenen Fall zu regeln, dass ein Kandidat in einem Kanton als Mitglied der Bundesversammlung gewählt wurde und gleichzeitig Regierungsrat oder Parlamentarier eines anderen Kantons ist. Sinnvollerweise wird in diesem Fall das Mandat in der Bundesversammlung den Ausschlag geben.

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Domizil der gewählten Magistraten

Die Kommission hatte zunächst beabsichtigt, ihren Vorschlag als neuen Artikel 9bis in das Garantiegesetz einzufügen. Sie stellte dann fest, dass diese neue Bestimmung Auswirkungen auf den bisherigen Artikel 9 hat,; welche sich durch eine blosse Streichung des in Absatz l enthaltenen Verweises auf Artikel 96 BV nicht lösen lassen.

So wäre es schwer verständlich, das Bürgerrecht als Kriterium bei den Wahlen in den Bundesrat als überholt zu bezeichnen, es aber als Domizil der gewählten Magistraten beizubehalten.

Wir haben gesehen, dass der ursprüngliche Zweck vori Artikel 9 GarG darin bestand, die neu geschaffenen Bundesbehörden vor Übergriffen der bernischen Regierung und Bevölkerung zu schützen. Als im Jahre 1848 Bern zum ständigen Sitz der Bundesbehörden bestimmt wurde, musste sich der Kanton Bern ausdrücklich verpflichten, die zu schaffenden politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Bundesbehörden zu respektieren. Unterdessen hat sich der schweizerische Bundesstaat längst gefestigt, und die Unabhängigkeit der1 Bundesbehörden ist gewährleistet. So ist es gewiss nicht mehr nötig, den Magistraten vorzuschreiben, dass sie im Gegensatz zu allen anderen Bürgern ihren Wohnsitz in ihrem Heimatkanton behalten müssen. Infolge der bereits festgestellten Mobilität der Bevölkerung geschieht es heute sogar relativ häufig, dass Magistraten nach ihrer Wahl den Wohnsitz von Gesetzes wegen an ihrem Bürgerort begründen müssen, mit dem sie keine, jedenfalls keine besondere Verbundenheit haben. Umgekehrt bleibt es ihnen verwehrt, an ihrem tatsächlichen Wohnort an den kantonalen und kommunalen Abstimmungen teilzunehmen.

Problematisch ist die heutige Regelung nach dem noch geltenden Eherecht auch für eine verheiratete Frau. Sie muss möglicherweise-auf eine politische Tätigkeit an ihrem bisherigen Wohnsitz verzichten, nachdem ihr Ehemann z, B. in das Bundesgericht gewählt worden ist.

Aus all diesen Gründen beantragt die Kommission, die heutige Sondernorm über das Domizil der Magistraten aufzuheben und die Bundesräte und Bundesrichter sowie den Bundeskanzler den allgemeinen Regeln des Zivilgesetzbuches über die Begründung des Wohnsitzes (Art. 23 ff.) zu : unterstellen. Ein Magistrat wird dann wie jeder Bürger den Wohnsitz dort begründen, wo er sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens aufhält. Dies
bedeutet keineswegs, dass er notwendigerweise am Amtsort in Bern, Lausanne oder Luzern Wohnsitz nehmen muss. Auch das Verwaltungsorganisationsgesetz (Art. 30) sowie das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (Art. 19 und, 125) verlangen dies nicht. Er kann je nach seinen persönlichen und familiären Verhältnissen seinen Wohnsitz in seinem bisherigen Wohnsitz- oder Heimatkanton behalten und am Amtsort lediglich Wochenaufenthalter sein.

Der Vorschlag der Kommission beseitigt auch die komplizierte Regel in Absatz 2 von Artikel 9 GarG über die Besteuerung der verschiedenen Einkommens- und Vermögensteile. Ein Magistrat wird künftig wie jede natürliche Person für sein gesamtes Einkommen und Vermögen grundsätzlich am zivilrechtlichen Wohnsitz steuerpflichtig (vgl. Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer, Art. 4 Abs. l ; sowie die kantonalen Steuergesetze, z. B. Kanton 542

Neuenburg, Loi sur les contributions directes, art. 5, eh. l und art. 6; Kanton Bern, Gesetz über die direkten Staats- und Gemeindesteuern, Art. 5 Abs. l und Art. 6; Kanton St. Gallen, Steuergesetz Art. 5 Abs. 2.)

Das Bundesgericht hat diesen Grundsatz in seiner Praxis zum interkantonalen Doppelbesteuerungsrecht differenziert.

Der zivilrechtliche Wohnsitz gilt auch dann als Steuerdomizil, wenn der Steuerpflichtige in einem anderen Kanton arbeitet, vorausgesetzt er kehre regelmässig, mindestens für die Wochenenden, an den Ort seines Wohnsitzes zurück und er behalte einen Grossteil seiner persönlichen, vor allem familiären Beziehungen dort. Wenn aber der Steuerpflichtige beruflich eine leitende Tätigkeit ausübt, d. h. wenn er an der Spitze eines wichtigen Unternehmens steht, können die Beziehungen zum Arbeitsort gegenüber den familiären Beziehungen überwiegen.

Das Bundesgericht hat die Tätigkeit eines Mitgliedes des eidgenössischen Versicherungsgerichtes nicht als leitende Tätigkeit in diesem Sinne beurteilt (Entscheid vom 17. Febr. 1965, Archiv für schweizerisches Abgaberecht 35, 246), wohl aber die Tätigkeit eines Präsidenten der Generaldirektion der SBB (Entscheid vom 30. Nov. 1978, Bernische Steuerpraxis 33 [1979] 50),. Im letzten Fall hatte es entschieden, dass der Betroffene ein primäres Steuerdomizil am Arbeitsort und ein sekundäres am Wohnsitz habe, so dass sich die beiden Kantone in die Steuererträge zu teilen hatten. (Vgl. auch Kurt Locher, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, Basel, Bd. l § 3, I A, l und § 3 I B, l c und 3.)

Die Kommission beantragt, den bisherigen Artikel 9 zu streichen und an seine Stelle die neue Bestimmung über die Kantonszugehörigkeit der Bundesratskandidaten zu setzen. Der Vorschlag der Kommission beseitigt den historisch gerechtfertigten, heute aber überholten gesetzlich vorgeschriebenen Wohnsitz und ermöglicht den Magistraten, den zivilrechtlichen, politischen und steuerlichen Wohnsitz nach ihren persönlichen und familiären Verhältnissen zu bestimmen und allenfalls auch zu verändern. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, in Absatz 2 des neuen Artikels 9 ausdrücklich festzuhalten, dass die Kantonszugehörigkeit bei der ersten Wahl in den Bundesrat auch für Wiederwahlen bestehen bleibt.

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Übergangsrecht

Die Kommission beantragt, in einem neuen Artikel 16a festzuhalten, dass der bisherige Artikel 9 Garantiegesetz für diejenigen Magistraten weiterhin in Kraft bleibt, welche am Tage des Inkrafttretens der Gesetzesänderung im Amt sind.

Diese behalten für ihre weitere Amtszeit ihr bürgerliches, politisches und teilweise steuerliches Domizil am Heimatort. Sie haben aber die Möglichkeit, sich innert eines Jahres dem neuen Recht, d. h. den allgemeinen wohnsitzrechtlichen Regeln zu unterstellen, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung für alle neu gewählten Magistraten gelten werden. Der Bundesrat wird gebeten, nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung dafür besorgt zu sein, dass die betroffenen Personen über die Wahlmöglichkeit orientiert werden.

Unabhängig davon, ob amtierende Bundesräte ihren Wohnsitz am Heimatort behalten, oder ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihn nach dem 543

neuen Recht zu begründen, werden sie bei Wiederwahlen weiterhin dem1 Kanton zugeordnet, der bei der erstmaligen Wahl massgebend war. Dieser Grundsatz galt schon bisher als ungeschriebene Regel. Er wird im neuen Artikel 9 Absatz 2 ausdrücklich verankert sein.

Übergangsbestimmungen werden nach der heutigen Gesetzestechnik als selbständige Artikel in den Erlass integriert, und Einschaltartikel werden nicht mehr mit römischen Numeralien, sondern mit Kleinbuchstaben gekennzeichnet.

Da innerhalb eines Gesetzes die gleichen Kennzeichen verwendet werden sollten, beantragen wir, den bisherigen Artikel 13bls neu als Artikel 13a zu bezeichnen.

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Verfahren

Am 1. Januar 1985 sind die revidierten Bestimmungen des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) über das Verfahren der parlamentarischen Initiative in Kraft getreten. Nachdem die beiden ersten Kommissionssitzungen im Jahre 1984 stattgefunden hatten, beschloss die Kommission, weiterhin nach dem alten Recht vorzugehen.

Nationalrat Bircher hat seine Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung eingereicht. Gemäss Artikel 27 Absatz 2 des Geschäftsreglementes (GRN) hat die vorberatende Kommission dem Nationalrat zunächst Antrag zu stellen, ob die Ratsinitiative (Art. 21iuiniuies alt GVG) ergriffen werden soll.

Die Kommission ist nach ausführlichen Beratungen zum Schluss gekommen, dass die Bestimmung des Artikels 96 Absatz l zweiter Satz BV unverändert bestehen bleiben soll. Deshalb stellt sie den Antrag, der parlamentarischen Initiative Bircher keine Folge zu geben.

Hingegen haben die Diskussionen über die Initiative Bircher sowie über die der Kommission zur Vorberatung überwiesene Motion der SVP dazu geführt, dass die Kommission dem Nationalrat mit einer eigenen parlamentarischen Initiative beantragt, das Garantiegesetz zu ändern. Dazu ist sie gemäss Artikel 21octles alt GVG (entspricht Art. 21ter Abs. 3 neu GVG) befugt. Der Vorschlag der Kommission wird zusammen mit einem erläuternden Bericht den Mitgliedern des Nationalrates unterbreitet und dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

Gemäss Artikel 27 Absatz 4 GRN bittet die Kommission den Bundesrat, bei den Kantonen sowie bei den amtierenden Magistraten ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen, und über das Ergebnis in seiner Stellungnahme zu berichten.

Der Motionsvorschlag der SVP-Fraktion wird durch die Initiative der Kommission weitgehend verwirklicht. Deshalb beantragt die Kommission, diesen Motionsvorschlag ohne weitere Behandlung abzuschreiben.

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Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden

Die Annahme der parlamentarischen Initiative der Kommission hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Bund. Wie sie sich allenfalls auf die Kantone 544

und Gemeinden auswirken wird, lässt sich nicht voraussehen. Dies hängt davon ab, in welchen Kantonen zukünftige Magistraten ihren Wohnsitz und ihr Steuerdomizil bzw. ihre Steuerdomizile begründen werden. Ein Teil wird den Amtsort wählen, ein anderer Teil wird den früheren Wohnsitz beibehalten und im Gegensatz zur heute geltenden Regelung auch das Arbeitseinkommen dort versteuern. Im ganzen dürften sich mögliche Verluste und Gewinne ausgleichen. Es ist auch zu beachten, dass insgesamt lediglich etwa 50 Personen betroffen sind.

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Verfassungsmässigkeit

Das geltende Garantiegesetz enthält im Ingress keinen Hinweis auf seine Verfassungsgrundlage. Der Grossteil seiner Bestimmungen will die Funktionsfähigkeit der Bundesbehörden namentlich gegenüber kantonalen Behörden und in Rrisensituationen sichern. Die Kompetenz, entsprechende Regeln in einem Bundesgesetz aufzustellen, ergibt sich aus der Existenz und dem Wesen des Bundes selbst und aus dem Gesamtzusammenhang der Verfassung. Diese Meinung wurde bereits bei der Schaffung des ersten Garantiegesetzes im Jahre 1851 vertreten (BEI 1851 III 251).

Bei der hier beantragten Änderung geht es um die Wahl von Bundesbehörden, so dass sie sich auch auf BV Artikel 85 Ziffer l abstützen lässt.

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Beilage 3

Text und Begründung der Initiative Bircher und der Motion der SVP-Fraktion l

Parlamentarische Initiative. Bundesrat. Wählbarkeit (83.229)

Nationalrat Bircher hat am 15. Dezember 1983 die folgende Initiative eingereicht: Die Totalrevision der Bundesverfassung liegt nicht in greifbarer Nähe. Demgegenüber erweist sich die in der Verfassung zur Wahl des Bundesrates aufgestellte Wählbarkeitsschranke je länger je mehr als fragwürdig: Praktisch bei jeder Ersatzwahl wird die Auswahl durch die zahlenmässige Beschränkung auf höchstens einen Sitz pro Kanton unangemessen eingeschränkt. Die Bürgerrechtsinterpretation hat zusätzliche Fragwürdigkeiten aufgezeigt. Deshalb unterbreite ich in Form der allgemeinen Anregung die folgende parlamentarische Initiative : Die Vorschrift in Artikel 96 Absatz l zweiter Satz BV, wonach nicht mehr als ein Mitglied aus demselben Kanton gleichzeitig dem Bundesrat angehören darf, sei zu streichen. Anstelle dieses Satzes soll eine Bestimmung treten, nach der die verschiedenen Landesteile und Sprachgruppen bei der Wahl des Bundesrates angemessen zu berücksichtigen sind.

Der Initiant begründete in der Kommissionssitzung vom 21. August 1984 seine Initiative mündlich wie folgt: «Meine Initiative zielt auf eine Streichung der Vorschrift in Artikel 96 Absatz l zweiter Satz BV, wonach nicht mehr als ein Mitglied aus demselben Kanton gleichzeitig dem Bundesrat angehören darf. An ihre Stelle soll eine Bestimmung treten, nach der die verschiedenen Landesteile und Sprachgruppen angemessen zu berücksichtigen sind. Die Totalrevision der Bundesverfassung, wo man diese Frage hätte regeln können, liegt nicht in greifbarer Nähe. Die Wählbarkeitsschranke für den Bundesrat hat sich in der Vergangenheit immer als fragwürdig erwiesen. Die besten Kandidaten wurden teilweise durch diese Beschränkung aus dem Rennen geworfen. Die Bürgerrechtsinterpretation hat zusätzliche Fragwürdigkeiten aufgezeigt.

' Vor Bundesrats-Ersatzwahlen wird jeweils wochenlang gerätselt, wer überhaupt wählbar sei. Das Bürgerrecht der in Frage stehenden Kandidaten ist oft vorher gar nicht bekannt. Der St.-Galler Nationalrat Schmid wäre neben dem St.-Galler Bundesrat Furgler wählbar gewesen, wenn er vor dem Wahlgang sein St.Galler-Bürgerrecht aufgegeben hätte. Ein weiteres, konstruiertes Beispiel: Die Zürcher Regierungsrätin Hedy Lang, heimatberechtigte Schaffhauserin, hätte jederzeit neben dem Zürcher Bundesrat Friedrich Bundesrätin werden können, wenn sie nicht vor kurzem ein geschenktes Zürcher Bürgerrecht angenommen und auf ihr Schaffhauser Bürgerrecht freiwillig verzichtet hätte.

Aus diesen Beispielen geht klar hervor, dass sehr wohl zwei Vertreter aus demselben Kanton gleichzeitig dem Bundesrat angehören können, obwohl die Verfassungsbestimmung dies verunmöglichen will. Der SVP-Nationalrat Martignoni wäre 1979 nur deshalb als Bundesrat für den Kanton Bern wählbar gewe-

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sen, weil er ein Jahr zuvor zu seinem Rorschacher Bürgerrecht noch das Berner Bürgerrecht erworben hatte.1 Einige weitere Beispiele, wo Exponenten der Kantone Bern und Waadt dank der Bürgerrechtsklausel gleichzeitig dem Bundesrat angehörten: BE Schaffner und Wahlen/Gnägi, Feldmann und Max Weber; VD Graber und Chevallaz. Daneben gab es Kantone, die noch nie einen Bundesrat stellen konnten (SZ, SH, UR, NW, AI), andere sind seit Jahrzehnten ohne Vertretung (GE, BL, GL). In krassem Gegensatz dazu steht die Üb er Vertretung der Kantone ZH, BE und VD.

Zum Bürgerrecht liegen Statistiken vor, wonach durch die Mobilität immer mehr Schweizer sog. Fremdbürger geworden sind, also nicht mehr in jenem Kanton wohnen, in dem sie das Bürgerrecht besitzen (im Parlament ungefähr Vi aller Mitglieder). Besonders absurd ist die Bürgerrechtsbestimmung für die Frauen, die durch die Heirat das Bürgerrecht des Mannes erwerben.

Die Tagsatzung hat 1848 die bestehende Wahlschranke in der ersten Bundesverfassung gegen den Willen der vorberatenden Kommission beschlossen. Um ihre Aufhebung wurde in der Vergangenheit schon mehrmals und sehr hart gerungen. Fast am Ziel schien man 1973 mit den parlamentarischen Initiativen Breitenmoser und Schmid-SG. Die Mehrheit der vorberätenden Kommission befand diese Bestimmung als veraltet und für die Auswahl der besten Kandidaten als hinderlich und beantragte ihre ersatzlose Streichung. In der Hauptabstimmung wurde dann allerdings am Status quo festgehalten.

Die Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung zog 1973 die Schlussfolgerung: Verfassüngsentwurf der Herren Kölz/Müller (1984) zu Artikel 87 wird vorgeschlagen: <... Es dürfen nicht mehr als zwei im gleichen Kanton wohnhafte Bundesräte gewählt werden. Den nicht deutschsprachigen Landesteilen kommt eine der kulturellen Vielfalt der Eidgenossenschaft entsprechende Vertretung im Bundesrat zu.> Ich habe meine Initiative bewusst als allgemeine Anregung eingereicht, damit die Kommission den bestmöglichen Text finden kann. Ziel meiner parlamentarischen Initiative ist es, die nach Bundesratsersatzwahlen so oft gewünschte Revision dieser Bestimmung zügig an die Hand zu nehmen und damit eine Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten zu schaffen. Ich bin aber der Meinung, das Bürgerorts- durch das Wohnortsprinzip zu ersetzen, brächte neue Probleme und Ausschlussgründe. Dem engen Kantönligeist ist die Wahlfreiheit aus allen wählbaren Stimmberechtigten überzuordnen. Die hohen Anforderungen an das Amt eines Bundesrates wie Persönlichkeit, Qualität und Eignung je nach ent547

standener Vakanz müssen den absoluten Vorrang gemessen; Die ungeschriebenen Regeln des Faktischen werden automatisch für eine ausgewogene Verteilung sorgen. Diesem Anliegen könnte mit einem Verfassungszusatz Nachdruck verliehen werden, wonach die verschiedenen Landesteile und Sprachgruppen bei der Wahl des Bundesrates zu berücksichtigen seien. Vielleicht kann auf diesen rechtlich nicht ausführbaren Zusatz sogar verzichtet werden, dem in der Realität meist nachgelebt wird. Je weniger Fesseln die Bundesratswahlen einengen, desto näher kommen wir dem Ziel, wirklich nur die besten Frauen und Männer in den Bundesrat zu wählen.» 2

Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei.

Bundesräte. Kantonszugehörigkeit (83.914)

Die Motion hat folgenden Wortlaut: Artikel 96 Absatz l BV legt fest, dass nicht mehr als ein Mitglied des Bundesrates aus dem nämlichen Kanton gewählt werden darf.

Artikel 9 des Garantiegesetzes regelt die Materie auf Grund des Verfassungstextes dahingehend, dass das Bürgerrecht über die Kantonszugehörigkeit entscheidet.

Diese gesetzliche Regelung ist unzeitgemäss und daher zu revidieren: Der Bundesrat wird beauftragt, Artikel 9 des Bundesgesetzes über die politij sehen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft vom 26. März 1934 in dem Sinne abzuändern, dass bei der Festlegung der Kantonszugehörigkeit in der Regel der Wohnsitz massgebend ist.

Der Fraktionspräsident der SVP erläuterte die Motion in der Kommissionssitzung vom 23. Oktober 1984: : «Bei unserer Motion geht es um folgendes: - Die Wahlschranken der Kantonszugehörigkeit der einzelnen Bundesräte sollen aufrechterhalten werden.

- Anstelle des Bürgerorts soll aber der Wohnsitz als Kriterium der Zugehörigkeit zu einem Kanton gelten.

Das bedeutet, dass man Artikel 96 Absatz l BV unverändert beibehalten kann.

Wir haben anlässlich des Hearings von Prof. J.-F. Aubert gehört, dass das Kriterium Wohnsitz im Rahmen der Verfassung durchaus möglich ist. Eine obligatorische Volksabstimmung ist dafür also nicht nötig. Mit den Kantonen, wie sie in der Verfassung festgelegt sind, hat man ein klar definiertes Gebiet und auch eine politische Einheit. Bei der Initiative Bircher werden stattdessen, neue Elemente hineingebracht (Landesteile, Sprachgruppen). Mit den Kantonen wird auch ein wirkungsvoller Schutz der Minderheiten und der Randgebiete angestrebt. Die kleinen Kantone, die wenig Mandate zu präsentieren haben, würden beim Vorschlag Bircher möglicherweise benachteiligt, weil sie von den grossen Kantonen <überstimmt> würden. Wenn aber die Kantone als Einheit gelten, können die kleinen tatsächlich anerkannt werden. Deshalb ist es vernünftig, an der Kantonszugehörigkeit festzuhalten.

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Zu den Anforderungen an die Wahlschranken: Die Zugehörigkeit zu einem Kanton muss eindeutig feststellbar sein. Welche Stimmen bei einer Wahl gültig zu zählen sind, hat Einfluss auf das absolute Mehr. Es kommt bei einem knappen Wahlergebnis, wie es beispielsweise anlässlich der Wahl von Frau Kopp der Fall war, darauf an, dass das Büro in kürze entscheiden kann, ob vereinzelte Stimmen (für andere Kandidaten) mitzuzählen sind.

Die enge Beziehung eines Kandidaten zu seinem Gebiet ist mit dem Bürgerrecht nicht mehr unbedingt gegeben. Die Mobilität der Bevölkerung hat zugenommen. Beispielsweise waren im Kanton Zürich im Jahre 1838 93,8 Prozent der Einwohner Zürcher Kantonsbürger, 1980 waren es noch 43,9 Prozent. Zum Wohnsitz hat man in der Regel eine engere Beziehung als zum Bürgerort, namentlich dann, wenn man am Wohnsitz politisiert. Das Bürgerrecht hat überhaupt an Bedeutung verloren (vgl. etwa Wohnortskriterium im Falle von Unterstützungspflicht). 20 Prozent der National- und Ständeräte sind übrigens nicht in den Kantonen gewählt worden, in denen sie das Bürgerrecht haben. Auch im Hinblick auf das Problem der verheirateten Frauen ist es wichtig, auf den Wohnort abzustellen.

In der Vernehmlassung von 1972 haben 10 Kantone für Beseitigung der Wahlschranken plädiert, 14 Kantone für Beibehaltung. In der Untervariante (bei Beibehaltung der Wahlschranken) haben dann 20 von 24 Kantonen dem Wohnsitz den Vorrang gegeben. Auch beim Bürgerrecht können heute relativ leicht Änderungen eintreten; man kann zwei, drei Bürgerrechte haben. Ausserdem sind für den Erwerb des Bürgerrechtes Unterschiede von Kanton zu Kanton festzustellen, was zu gewissen Rechtsungleichheiten führt.

Der Wohnsitz als Kriterium ist aber ebenfalls nicht ganz unproblematisch, kann man ihn doch relativ rasch wechseln. Damit das von niemandem missbraucht wird, sind gewisse Kriterien festzulegen (z. B. Dauer der Wohnsitzbeibehaltung). Es muss auch eine gewisse Schranke eingebaut sein in dem Sinne, dass eine Verbindung mit dem Wohnsitz tatsächlich gegeben ist. Deshalb leuchtet uns die Idee von Professor Aubert ein, wonach primär der Ort der politischen Tätigkeit und subsidiär der Wohnsitz eines Kandidaten massgebend sein soll.»

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Parlamentarische Initiative. Revision des Garantiegesetzes Bericht der Kommission des Nationalrates vom 6. Mai 1985

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