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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs des Hrn. H. J. Gr e h l s e n , betreffend seine Ausweisung aus der Schweiz.

(Vom 16. Juni 1879.)

Tit.!

Mit Schreiben vom 5. dieses Monats hat Herr Fürsprecher A. Reichel in Bern uns mitgetheilt, daß er von H e i n r i c h J o a c h i m G e h l s e n , Publizist, aus Tönning in Schleswig-Holstein, wohnhaft gewesen in Bern, beauftragt sei, gegen unsern Beschluß vom 29. April 1879, womit Gehlsen aus der Schweiz ausgewiesen wurde, an die Bundesversammlung zu rekurriren und daß er den Mitgliedern beider Räthe ein bezügliches Memorial direkt zustellen werde.

In der Voraussezung, daß dieses geschehen sei, haben wir die Ehre, Ihnen beigeschlossen die wenigen, auf diese Angelegenheit bezüglichen Akten mitzutheilen, und sie mit einigen Bemerkungen zu begleiten, zu denen uns das Mémoire des Hrn. Reichel Anlaß bietet.

Herr J. Gehlsen kam gegen Ende des Jahres 1876 in die Schweiz, um sich den Gefängnißstrafen zu entziehen, welche ihm infolge seiner publizistischen Thätigkeit in Preußen drohten und zu denen er denn auch in contumaciam verurtheilt worden sein soll.

Seit Mitte März 1877 wohnte er in Bern, nachdem er von der

985 Centralpolizei eine Interimsbewilligung erhalten hatte. Am 17. Januar 1878 ertheilte ihm die Direktion der Justiz und Polizei des Kantons Bern eine Toleranzbewilligung, welche am 25. März 1879 für ihn und Familie bis 22. August 1879 verlängert wurde. Seine Papiere bestanden in dem Eheschein und in den Geburtscheinen der Familienglieder.

In der Schweiz angekommen, zog Gehlsen bald auch hier die Aufmerksamkeit auf sich durch die Fortsezung der ,,Reichsgloke", unter dem Titel ,,Der Glökner im Exil."1 Daneben bediente er sich notorisch auch vielfach der extremsten Tagespresse. Im April abhin wurden wir von verschiedenen Seiten auf einen von ihm herrührenden Artikel solcher Art aufmerksam gemacht, welcher in den Nummern 30 und 31 der in Zürich erscheinenden ,,Tagwacht'1, ,,Organ der Sozialdemokratischen Partei in der Schweiz und des Schweizerischen Arbeiterbundes1-', unter dem Titel ,,Zur Situation" und unterzeichnet ,,Bern, April 1879, H. J. G." erschienen ist.

In diesem Artikel knüpfte Gehlsen an das in einer frühern Nummer der ,,Tagwacht"1 erschienene Schreiben eines Herrn Dr.

Rudolf Meyer an, worin dieser sagte, daß nach seiner Ansicht ,,das Sozialistengesez die Sozialdemokratie nicht vernichten, sondern den B ü r g e r k r i e g herbeiführen wird u , welche Worte die Redaktion der ,,Tagwacht11 veranlaßten, die Hoffnung auszusprechen, daß es der Bismark'schen Politik nicht gelingen werde, die Sozialdemokratie auf die Barrikaden zu loken, daß vielmehr diese Politik von selbst zusammenbrechen müsse und die Sozialdemokratie ruhig ihre Zeit abwarten werde und bis diese gekommen, ihre Aufgabe in der stillen Agitation suchen müsse.

Diese Ansicht nun bekämpfte Gehlsen, zunächst ironisch, ,,die soziale Noth steigt zwar von Tag zu Tag, aber es wird nicht gemukst und das ist die Hauptsache. Wir sind ja man gute Deutsche."

Dann fährt er wörtlich fort: ,,Seit sechs Monaten nun erträgt eine Million thatkräftiger (nicht -durstiger) organisirter, überzeugungstreuer Männer eine unerhörte, tief demoralisirende, ja e n t e h r e n d e Knechtschaft und hat keine anderen Waffen dagegen gefunden als ,,stille Agitation" und ,,Abwarten." Das ist geradezu schwächlich. Das kann die h o h e A c h t u n g aller g e b i l d e t e n Menschen vor den humanen Zielen der Sozialdemokratie nicht paaren mit dem R e s p e k t und der Bewunderung für ihre Vorkämpfer, und schon darum ist die ,,stille Agitation" nicht nur unzureichend, sondern geradezu schädlich.

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,,Die Sozialdemokratie in ihrer duldenden und harrenden Stellung versündigt sich durch ihre Thatenlosigkeit an den Interessen des g a n z e n arbeitenden Volkes !

,,Denn sie ist kräftig genug zu e n e r g i s c h e r Agitation, so kräftig, wie dies bisher in keinem Lande ,,eine unterdrükte Partei gewesen ist. Und es gibt troz Sozialistengesez und troz aller Bismärker der Welt Gelegenheit genug zur ä u ß e r e n belebenden Agitation, um die Zeit schneller herbeizuführen, welche man jezt im stillen Kämmerlein ersehnt."

Diese Agitation soll die Sozialdemokratie in der Weise betreiben, daß sie einzelner brennender Tagesfragen sich bemächtigt, ,,z. B, Verkürzung der Militärdienstzeit, Einführung der Progressivsteuer, Wiederaufhebung der Korn- und Viehzölle, welche ja bald eingeführt sein werden u. s. w., mit einem Worte, all' derjenigen Fragen, welche ein lebhaftes Interesse in allen Volksschichten erregen. Nun errichtet sie im ganzen Lande bis in den kleinsten Winkel hinein Kornites zur Besprechung dieser Fragen und organisirt einen g r o ß a r t i g e n P e t i t i o n s s t u r m an den Reichskanzler und den Reichstag. Jedes ,,Nein ", das von Oben den berechtigten Bitten des Volkes zu Theil wird, mehrt die Zahl der Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Aber immer und immer wieder erscheinen die Massenpetitionen ; helfen sie, um so besser für das Volk ; helfen sie nicht, was das Wahrscheinlichere ist, auch gut, denn dann ist dem ganzen Volke klar geworden, daß es nur dem Egoismus Einzelner dient -- dann ist die Zeit da, wo das Volk in gerechter Erbitterung die flehende Feder mit der Manneswehr vertauscht und -- d r a u f s c h l ä g t .

,,Das ist die einzige Lösung des Knotens, und je eher er gelöst -wird, um so besser für das materielle und geistige Wohl des Volkes. Dann auch wird Licht und Raum geschaffen sein für die Sozialdemokratie und sie wird im Stande sein, an der Verwirklichung ihrer Ideale zu arbeiten mit all1 den Mitteln, welche einem f r e i e n Volke zur Verfügung stehen.

,,Und ist es etwa so entsezlieh, wenn einmal ein Volk, das Hunderttausende seiner besten Söhne für den Ehrgeiz und die Herrschsucht seiner Gewalthaber geopfert hat, einige Tausend in den Tod schikt für sich selbst, seine Freiheit, für die Gerechtigkeit, für Weib und Kind ? Oder sollen Millionen, soll ein ganzes Geschlecht in Noth und Elend zu Grunde gehen, bis die ,,stille Agitation1* ihren philosophischen Rundgang durch alle deutschen Dikschädel gemacht hat?"

987 Eine solche direkte Aufforderung zum gewalttätigen Angriffe, falls den Petitionen nicht in d e m Sinne entsprochen würde, wie die Petenten gerade meinen, konnten wir um so weniger ungeahndet lassen, als es sich nicht um Erörterungen der Stellung eines Volkes zur Regierung im Allgemeinen handelte, sondern speziell um eine Anleitung und Aufmunterung der d e u t s c h e n Partei der Sozialdemokratie gegen die d e u t s c h e Reichsregierung in aktuellen Fragen von fremdem Gebiete aus. Wir erließen daher am 29. April 1879 folgenden Beschluß : in Betracht: daß H. J. Gehlsen, abgesehen davon, daß er seit einigen Jahren als Flüchtling in der Schweiz wohnt, ohne diesen Wohnsiz nach Vorschrift von Art. 2 des Niederlassungsvertrages mit Deutschland vom 27. April 1876 legitimiren zu können, das Asyl zu einer aggressiven publizistischen Thätigkeit mißbraucht hat, die mit der völkerrechtlichen Stellung der Schweiz nicht verträglich und geeignet ist, die innere und äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden, indem er gegen die bestehende soziale Ordnung Unzufriedenheit und Widerstand förderte und speziell in einem neuern, mit seinen Initialen (H. J. G.) gezeichneten und von Bern datirten Artikel in der ,, T a g w a c h t " , betitelt ,,Zur Situation", der deutschen Sozialdemokratie die ,,duldende" und ,,abwartende" Haltung zum Vorwurfe macht und eine ,,energische Agitation" empfiehlt, die endlich ,,draufschlägt", als ,,einzige Lösung des Knotens", wobei es auf den Tod einiger Tausende nicht ankomme in Anwendung von Art. 70 und Art. 102, Ziff. 8, 9 und 10 der Bundesverfassung, beschlossen: 1. Heinrich Joachim Gehlsen, aus Tönning, in Schleswig-Holstein, wird aus dem schweizerischen Gebiete weggewiesen.

2. Dieser Beschluß wird der Regierung des Kantons Bern initgetheilt, mit der Einladung, denselben dem Gehlsen unter Einweisung auf Art. 63, Litt, a des Bundesstrafrechtes vom 4. Hornung 1853 (Amtl. Sammlung, Bd. III, S. 404) eröffnen zu lassen und ihm eine kurze Frist einzuräumen, innerhalb welcher er die Schweiz zu verlassen hat.

3. Dieser Beschluß ist auch dem Schweiz. Justiz- und Polizeidepartement mitzutheilen zur Ueberwachung der Vollziehung desselben.

988 Gemäß Disposi v 2 wurde dieser Beschluß in authentischer Expedition am folgenden Tage (30. April) der Regierung des Kantons Bern mit Begleitschreiben zur Vollziehung mitgetheilt und von dieser zur ordnungsmäßigen Antragstellung an die Justiz- und Polizeidirektion überwiesen. Noch am gleichen Tage (30. April) formulirte leztere ihren schriftlichen Antrag, worauf der Regierungsrath in seiner nächsten Sizung, die am \. Mai stattfand, die Verfügung traf, es sei unser Beschluß dem H. J. Gehlsen durch den Regierungsstatthalter von Bern ablesend zu eröffnen und ihm zum Verlassen des schweizerischen Gebietes eine Frist von 14 Tagen zu bestimmen. Diese Verfügung wurde so rasch in Vollziehung gesezt, daß schon Nachmittags des gleichen 1. Mai der Ausweisungsbeschluß dem Gehlsen in besagter Weise eröffnet werden konnte.

Wenn Gehlsen schon vorher von der Thatsache seiner Ausweisung Kenntniß erhielt, so war dies ganz einfach die Folge davon, daß unser Beschluß auch in das übliche Bulletin, welches nach jeder Sizung über die Gegenstände von allgemeinem Interesse angefertigt und für die Zeitungskorrespondenten zur Benuzung aufgelegt wird, summarisch aufgenommen wurde, obschon hiefür kein zwingender Grund vorlag.

Auf der andern Seite haben wir allerdings auch keine Direktion dafür gegeben, daß unser Beschluß dem H. Gehlsen abschriftlich mitgetheilt werden soll. Wir überließen es den bernischen Behörden, so zu verfahren, wie es im Kanton Bern für die Eröffnung der Entscheide oberer Behörden üblich ist. Unter keinen Umständen waren wir der Meinung, daß unser Beschluß dem Gehlsen nicht mitgetheilt werden soll, im Falle er eine Abschrift desselben verlangen würde. Es konnte diese Ansicht um so weniger bestehen, als solche Entscheide immer in extenso in das Bundesblatt aufgenommen worden sind (z. B. Bundesblatt 1870, Bd. II, S. 1039; 1873, II, 374) und das gleiche Verfahren auch für den Beschluß in Sachen Gehlseu beabsichtigt war und beobachtet wurde. (Bundesblatt 1879, Bd. II, S. 652.) Unser Justiz- und Polizeidepartement hat denn auch, sobald es von der Direktion der Justiz und Polizei des Kantons Bern mit Schreiben vom 6. Mai davon Kenntniß erhielt, daß Gehlsen eine Abschrift unsere Beschlusses zu erhalten wünsche und daß Zweifel darüber walte, welche Behörde ihm dieselbe mittheilen werde, umgehend, d. h. am
7. Mai, geantwortet, daß sein Begehren vollkommen gerechtfertigt erscheine, und daß diese Mittheilung am zwekmäßigsten durch das Regierungsstatthalteramt Bern stattfinde.

Es hat indeß diese Mittheilung an Gehlsen nicht erfolgen und auch die Vollziehung seiner Ausweisung nicht in gehöriger Weise

989 kontrolirt werden können, indem er schon am 6. Mai von Bern abreiste. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort ist den Bundesbehörden unbekannt, jedoch verlautet, daß er in London sich befinde. Inzwischen wurde er im allgemeinen schweizerischen Polizeianzeiger signalisirt.

Hiermit ist beantwortet, was Herr Reichel in seiner Rekursschrift an dem formellen Verfahren aussezt. Wir bemerken nur noch, daß wenn Herr Regierungsstatthalter v. Werdt wirklich ,,in Folge h ö h e r e r 0 r d r e tt dem Gehlsen eine Abschrift des Ausweisungsbeschlusses verweigert hat, diese Bemerkung nicht auf eine Bundesbehörde sich bezieht, und daß die Frist von 14 Tagen keineswegs zu kurz war, zumal Gehlsen sie gar nicht ausnuzte, sondern sogar viel früher verschwand. Zu einer besonders rüksichtvollen Behandlung Gehlsen's, die er anspricht, bestand kein Grund.

Es entsteht nun zunächst die Frage, ob gegen unsere Schlußnahme, die wir in Anwendung der uns im Art. 102 der Bundesverfassung eingeräumten Kompetenzen gefaßt haben, dem Hr. Gehlsen der Rekurs an die Bundesversammlung zustehe oder nicht. Wir müssen schon im Allgemeinen bestreiten, daß jeder Fremde alle den Sßhweizerbürgern durch die Bundesverfassung gewährleisteten Grundrechte auch für sich beanspruchen könne. Das Weltbürgerthum ist zurzeit von der schweizerischen Bundesverfaesuug noch nicht anerkannt, indem sie noch Kantone im Gegensaze zu der Schweiz und die Schweiz im Gegensaze zu andern Staaten voraussezt. Es wird bezüglich eines Ausländers in jedem einzelnen Falle zu prüfen sein, in wie fern es ihm gestattet sei, von den Rechten Gebrauch zu machen, welche die Bundesverfassung den ,, B ü r g e r n " 1 gewährt. Die von dem Rekurrenten zur Unterstüzung seiner Ansicht angeführten Beispiele sind nur theilweise richtig, wie man sich aus einer auch nur oberflächlichen Prüfung leicht überzeugen wird. Gegenwärtig ist allerdings durch Art. 59 a l l e n aufrechtstehenden Schuldnern mit festem Wohnsiz in der Schweiz mit Bezug auf persönliche Ansprachen der Gerichtsstand am Wohnorte garantirt; auch scheint die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Art. 49 eine allgemeine zu sein, indeß immerhin nur so weit, als deren Konsequenzen auf die Schweiz sich beschränken. Was die im Artikel 31 garantirte Handels- und Gewerbefreiheit betrifft, so ist es klar, daß diese den Angehörigen von Staaten, mit denen keine bezüglichen Verträge bestehen, nicht zu gut kommt.

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Was speziell nun das Rekursrecht betrifft, so ist dasselbe von der Petition zu unterscheiden, die Jedermann gestattet werden mag. Daß aber ein Fremder auch ein f ö r m l i c h e s Bes c h w e r d e r e c h t besize, ähnlich wie ein Sch weizerburger wegen Verlezung konstitutioneller Rechte, zumal in Fällen, wo ihm das Recht selbst nicht anerkannt, sondern höchstens freiwillig gewährt wird, wie beim Asj'le, müssen wir als eine unberechtigte Prätenlion zurükweisen. Es verstößt in hohem Grade osesen die Würde des O Staates, und kömmt auch nicht vor, daß ein Fremder von sich aus die fremde Regierungsgewalt, die ihm nicht zu Willen ist, bei ihrem Parlamente verklagen dürfte. Der Fremde kann, sofern ihm dieses Recht nicht durch förmlichen Staatsvertrag zugesichert ist, nicht kraft eigenen Rechtes gegen die Regierung des fremden Landes klagend oder Beschwerde führend auftreten, sondern hat sich an seine eigene Regierung zu halten, die allfällig die Rechte ihres Angehörigen gegenüber der fremden Regierung in Schuz nehmen mag.

In einem Rekurse ähnlicher Art, nämlich in demjenigen des Don Cajetan Carli, von Castagnette (Italien), Bischof in partibus von Almira, welcher im Jahre 1868 wegen Ausübung priesterlicher Funktionen, aufreizender Reden und Demonstrationen durch Entscheid des Staatsrathes aus dem Kanton Tessin ausgewiesen worden war und an die Bundesversammlung rekurrirte, weil er nicht durch bloße Polizeimaßregel, sondern nur durch gerichtliches Urtheil ausgewiesen werden könne, und weil übrigens nicht genügende Gründe vorliegen, wurde allgemein angenommen, daß ein Ausländer nicht legitimirt sei, ohne Dazwischenkunft seiner Regierung an die Bundesversammlung zu rekurriren. Dieser Rekurs wurde zwar thatsächlich zugelassen, jedoch unpräjudizirlich für die künftige Statthaftigkeit solcher Rekurse im Allgemeinen. (Bundesblatt 1869, Bd. m, S. 551 ; 1870, Bd. I, S. 25 und 1870, Bd. III, S. 229.)

Wir werden somit auch im gegenwärtigen Falle nur in diesem Sinne zu den Bedenken gegen die formelle Zuläßigkeit noch die weitern Gesichtspunkte für die materielle Unbegründetheit des Rekurses besprechen.

Wenn der Rekurrent zur Begründung seines Angriffes eine positive Vorschrift anrufen könnte, so müßte sie in dem Niederlassungsvertrage mit dem Deutschen Reiche vom 27. April 1876 (Amtliche Sammlung, neue Folge,
Bd. II, S. 567) zu finden sein.

Der Rekurrent ist aber nicht im Falle, eine solche Vorschrift anrufen zu können, die ihm gegenüber verlezt worden wäre.

Durch Art. l dieses Vertrages ist allerdings den Deutschen das Recht zugesichert, in der Schweiz ab- und zugehen und sich

991 daselbst dauernd oder zeitweilig aufhalten zu können, aber nur ,, w e n n sie den G e s e z e n und P o l i z e i v e r o r d n u n g e n n a c h l e b e n. w Gemäß Art. 7 können sie aber weggewiesen werden, ,, e n t w e d e r durch gerichtliches Urtheil, o d e r weil sie die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefährden, o d e r in Folge der Geseze und Verordnungen über die Armen- und Sittenpolizei."

Die Wegweisung wegen Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit des Staates steht nach Art. 70 der Bundesverfassung, welcher lautet : ,,Dem Bunde steht das Recht zu, Fremde, welche die innere oder äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen," den Bundesbehörden zu, und zwar dein Bundesrathe, dem nach Art. 102 die Wahrung der Interessen der Eidgenossenschaft gegen Außen und die Ueberwachung der öffentlichen Ordnung im Innern in erster Linie übertragen ist, und der auch in der Regel allein richtig ermessen kann, ob unter den gegebenen Verhältnissen eine Gefährde vorhanden sei.

Das Argument, welches der Rekurrent aus der Praxis Englands oder aus den Gesezgebungen anderer Staaten ableiten will, ist für uns ohne Bedeutung. Ein besonderes Gesez oder irgend welche spezielle Bestimmungen über die Anwendung von Art. 70 der Bundesverfassung sind nicht vorbehalten und auch nicht wohl möglich, weil die Handlungen, durch welche die i n n e r e Sicherheit gefährdet erscheint, eben so wenig aufgezählt werden können als jene, welche die ä u ß e r e Sicherheit zu gefährden geeignet sind, indem der Begriff der Gefährde nicht definirt werden kann, da sie nicht immer unter den gleichen Voraussezungen als vorhanden erscheinen wird, sondern in hohem Grade von den momentan bestehenden inneren und äußeren politischen Zuständen abhängig ist.

Wir glauben übrigens, daß unser Beschluß gegen Gehlsen durchaus im Einklänge stehe mit den Grundsäzen, welche die Schweiz über das Asyl politischer Flüchtlinge von jeher als für sich maßgebend anerkannt hat. Es bleibt den politischen Flüchtlingen ein großes Gebiet zu freier Bewegung und politischer Diskussion in der Schweiz übrig, aber es erscheint nicht als statthaft, daß sie unser Gebiet benuzen, um unter Mißachtung der Neutralität, die wir selbst beobachten wollen, in die politischen Kämpfe eines befreundeten Staates
eine Agitation hineinzutragen, die kein Staat dulden kann. Es wird Niemand das Bestreben eines Flüchtlings tadeln, die nach seiner Meinung besseren politischen und sozialen Zustände herbeizuführen ;

992 aber wenn er zugleich für den Fall, daß seinen Anträgen keine Folge gegeben würde, androht: -- ,,dann ist die Zeit da, wo das Volk in gerechter Erbitterung die flehende Feder mit der Manneswehr vertauscht und -- d ' r a u f s c h l ä g t a , wie Gehlsen es gethan hat, so ist nicht mehr von einer Verbesserung politischer Zustände auf g e s e z l i c h e m Wege die Rede, sondern auf demjenigen der G e w a l t . Derartige Bedrohungen, wenn sie auch nur im Wege der Presse geschehen, sind geeignet, die guten Beziehungen zwischen Staaten zu stören und demjenigen Staate, auf dem sie ungehemmt vor sich gehen würden, ernsthafte Konflikte herbeizuziehen. Dies zu verhüten, hat die Schweiz klares Recht und Interesse.

Man hat zwar noch eingewendet, es hätte Gehlsen gewarnt werden, oder man hatte ihm die eventuell anwendbaren Vorschriften zur Kenntuiß bringen sollen.

Allein die schweizerische Bundesverfassung liegt iu Jedermanns Hand ; es kennt auch Jedermann den Art. 70 derselben.^ Zudem hat unser Justiz- und Polizeidepartement noch am 7. Dezember 1878 ein Kreisschreiben erlassen, worin es in Uebereinstimmung mit den früher schon in ähnlichen Fällen adoptirten Grundsäzen dahin sich aussprach : ,,Wenn auch der Bundesrath auf der einen Seite keineswegs geneigt ist, das Asyl politischer Flüchtlinge, wie es bis anhin gewährt worden ist, zu schmälern, so ist er doch auf der andern Seite entschlossen, jeder Thätigkeit solcher Flüchtlinge, sei es durch Schrift oder Wort, wodurch die freundschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu andern Staaten gestört werden könnten, entgegenzutreten.a Dieses Kreisschreiben wurde bald nach seinem Erlasse in der Presse publizirt. Allerdings war es nicht nach dem Geschmake des Herrn Gehlsen, indem er bald einen Verein gründen half, welcher deutsche politische Flüchtlinge materiell unterstüzen und auch vor polizeilicher Kontrole möglichst wahren sollte. Es geschah dieses mit derselben heftigen Kritik der Landesbehörden und der von ihnen aufgestellten Grundsäze, die Gehlsen sich angewöhnt hat und die er auch auf seine Umgebung überzutragen beflissen war. Es ist nicht seine Schuld, wenn jener Verein nicht zu größerer Bedeutung gelangte, als es anfänglich schien. Unter allen Umständen hat Herr Gehlsen die Grenzen gekannt, die seiner politischen und publizistischen Thätigkeit in der
Schweiz wie jedem andern politischen Flüchtlinge gezogen sind. Wir können daher nicht finden, daß ihm gegenüber durch die Ausweisung eine unbekannte und nicht vorherzusehende Maßregel angewendet worden wäre.

993 Wir schließen diese Bemerkungen mit dem Antrage, auf deu Rekurs des Herrn Gehlsen nicht einzutreten, eventuell den Rekurs als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 16. Juni 1879.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident: Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Scliiess.

Bundesblatt. 31. Jahrg. Bd. II.

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs des Hrn. H. J.

Gehlsen, betreffend seine Ausweisung aus der Schweiz. (Vom 16.Juni 1879.)

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1879

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2

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21.06.1879

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984-993

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