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Aus den Verhandlungen der Schweiz. Bundesversammlung.

Die gesezgebenden Räthe der Eidgenossenschaft sind am 2. Juni 1879 zu ihrer ordentlichen Sommersession zusammengetreten.

Der abtretende Präsident des N a t i o n a l rat h es, Herr Dr. M. R ö m e r von Zürich, eröffnete die Verhandlungen mit folgender Ansprache : Meine Herren Nationalräthe !

Bei Eröffnung der lezten Session lag mir die Pflicht ob, des Verlustes mehrerer der hervorragendsteil Eidgenossen ehrend zu gedenken. Auch diesmal sollte es mir nicht erspart bleiben, wiederum des Hinscheides eines Mitgliedes unserer Versammlung Erwähnung zu thun, des Hinscheides eines schweizerischen Staatsmannes, der zwar in der lezten Zeit, eine gebrochene Kraft, sich mehr und mehr vom Schauplaz öffentlichen Wirkens zurükgezogen, in der Glanzperiode seines Lebens aber eine Epoche machende Stellung eingenommen und die Meisten seiner Zeitgenossen überragt hatte.

Alt-Bundesrath J a k o b S t a m p f li, von Schwanden, Kts. Bern, geb. 1820, ist am 15. Mai d. J. nach einem vielbewegten Leben in Bern gestorben. Große geistige Begabung und stürmischer Schaffensdrang bahnten dem aus dem Volke hervorgegangenen jungen Politiker bald den Weg zu den höchsten Ehrenstellen des Landes. Stämpfli erste politische Bethätigung gehört seinem Heimatskanton au, wo er als Haupt der sogen, ,,jungen Schule" während Jahrzehnten der leitende Staatsmann Berns war und beim Sturz des radikalen Regimentes, als Führer der Opposition erst recht in seinem Elemente, nicht mindere Erfolge erzielte. Mit unermüdlicher Arbeitskraft und reichem Wissen verband er entschlossenen Willen und eine so schneidige Konsequenz, daß er sich allerdings oft zu Einseitigkeit und Rüksichtslosigkeit gegen seine politischen Gegner hinreißen ließ, während er seinen Parteigenossen unbedingtes Vertrauen einflößte und sie ihm dafür mit einer Hingebung folgten, wie sie wohl wenigen Parteiführern zu Theil geworden ist.

817 Im eidgenössischen Staatsleben und zunächst im Bundesrathe nahm Stämpfli eine hochpatriotische Haltung e: n. Sein entschiedenes Auftreten im Neuenburgerhandel und in der Savoyerfrage sind noch in Aller Erinnerung. Wo immer er zu wirken berufen war, ließ er bleibende Spuren seiner schöpferischen Kraft zurük, wenn gleich seine rege Phantasie ihn zuweilen über's Ziel hinausschießen und manche seiner Pläne die gehoffte Verwirklichung nicht finden ließ.

Im Schiedsgerichte über die Alabama-Angelegenheit war es wesentlich Stämpfli's Urtheil, das den Ausschlag gab und seinen Ruhm weit über die Grenzen seines Valeriane es hinaustrug. Aber seine Größe als republikanischer Staatsmann liegt doch vor Allem darin, daß er, ein Volksmann im wahren Sinne des Wortes, stets mit dem Volke und dem Volksbewußtsein Fühlung behielt; dieser enge Zusammenhang mit dem Volke war die Macht, mit welcher er seinen gewaltigen Einfluß über dasselbe aus.übte. Intensiver als bei den Menschen gewöhnlichen Schlages träte in bei Stämpfli Licht und Schatten hervor und theilten seine Umgebung in entschiedene Freunde und entschiedene Gegner ; aber auch die Gegner versagen seiner politischen Bedeutung und seinen unbest.-eitbaren Verdiensten ·die Anerkennung nicht, und die Geschichte vnrd ihm einst einen Plaz unter den hervorragendsten Zeitgenossen anweisen.

Wenden wir nun unsere Blike von den Grabe, in welches am 17. Mai Stämpfli's irdische Ueberreste versenkt wurden, ab und wieder dem Leben zu, so stehen wir schon am folgenden Tage vor einem bedeutungsvollen politischen Ereigniß : der Volksabstimmung vom 18. Mai. An diesem Tage hat die Mehrheil der Stände und des Schweizervolkes (das leztere mit 200,000 gegen 180,000 Stimmen) die Revision des Artikel 65 der Bundesverfassung, im Sinne der .Zulassung der Todesstrafe, angenommen.

Nachdem der Sprechende s. Z. mit seiner Zürcherkollegen in einem Aufruf an ihre Mitbürger seine Ucberzeugung dahin ausgesprochen hat, daß unverbrüchliches Festhalten an 1er Bundes Verfassung vom Jahr 1874 und somit Verneinung der Rc visionsfrage die Parole für die Abstimmung sein solle, kann er nicht umhin, auch an dieser Stelle über das Resultat der Abstimmt, ng sein persönliches Bedauern auszudrüken. Mit dieser Revision des Art. 65 ist die erste Bresche in die bloß fünf Jahre alte Bundesverfassung gelegt.
Wenn es aber überhaupt nicht gut ist, mit jsder stärkeren Meinungsdifferenz das Fundament des Staates zu erschüttern, so ist dies noch viel weniger wohlgethan bei einer Verfassung wie diejenige vom Jahr 1874, welche gewissermaßen durch einen Kompromiß zu Stande gekommen ist und durch das Gleichgewicht der

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gegenseitigen Zugeständnisse zusammengehalten wird, weil hier mehr als bei einheitlichen Schöpfungen die Gefahr des Zerbröckeins nahe liegt, sobald nur erst ein Stein herausgebrochen ist.

Und wenn uns auf der einen Seite das Intaktlassen der Verfassung als politische Nothwendigkeit erschien, so konnten wir auf der andern Seite auch das ßedürfniß der Wiedereinführung der Todesstrafe nicht zugeben; wir hatten ernstliche Bedenken dagegen,, daß unter dem Di'uk vorübergehender Ereignisse, und mochten esauch die gehäuften schauerlichen Verbrechen der lezten Zeit seinr ein so wichtiger Entscheid gefaßt werde; und endlich lebten wir der Ueberzeugung, daß'ein Standpunkt, wie derjenige des Art. 65 der 1874er Verfassung, der in ernstem Ringen erkämpft und mit vollem Bewußtsein angenommen worden war, nicht so leicht, auch bei gedrükten Verhältnissen und schmerzlichen Erfahrungen, wieder preisgegeben werden sollte.

Das Volk hat am 18. Mai gesprochen und anders entschieden,, und diesen Volksentscheid respektiren wir -- wenn auch unterlegen -- als gute Republikaner. Nur das möchten wir bezweifeln, daß die Frage der Todesstrafe, ob sie schon dem Volke abgesondert zur Abstimmung vorgelegt wurde, rein prinzipiell entschieden worden sei. Denn wenn auch diesmal mehr als sonst der individuelle Entscheid des Einzelnen zum Ausdruk kam, so haben eben doch Viele, die zu den Gegnern der Todesstrafe und zu den radikalen Politikern gehören, als Föderalisten im Interesse der Kantoealsouveränetät die Revisionsfrage b e j a h t ; dagegen haben Manche, welche sonst die Todesstrai'e für ein Gebot der Gerechtigkeit halten, oder welche mit Rüksicht auf die gehäuften Verbrechen der Gegenwart die Wiedereinführung derselben unter andern Umständen befürwortet hätten, festhaltend an der Bundesverfassung ein N e i n in.

die Urne gelegt.

Hüten wir uns daher, die beiden Parteien des 18. Mai einfach nach der Schablone zu beurtheilen, als ob auf der einen Seite bloßdie Freidenkenden und Hochherzigen und auf der andern Seite bloß* die Freunde der Todesstrafe oder Reaktionäre gestanden hätten.

Aber .der Entscheid, wie er nun ausgefallen ist, soll uns um so mehr anspornen, durch unermüdliches Arbeiten am Wohle des Volkes und an der Besserung der als krank erkannten Zustände,, den Ideen, die wir für gut und richtig halten, nach und nach zum
Siege zu verhelfen. Stehen wir nach diesem Entscheide um so> treuer zu der Verfassung vom Jahr 1874, und machen wir um so energischer Front gegen alle weiteren Revisionsgelüste, kommen sie von welcher Seite sie immer mögen : aber überwachen wir auch

819 gewissenhaft deren weitere Ausführung. Je gerechter und loyaler der Ausbau der Verfassung geschieht, desto mehr werden die Gegner derselben auf beiden Seiten wieder Vertrauen zu ihr gewinnen und die Gelüste, aufs Neue an ihr zu rütteln, vergehen.

Und wer weiß, ob nicht aus diesem Abst mmungsresultat noch eine unverhoffte Frucht hervorgeht, wenn dasselbe ein kräftiger Impuls wird zu der als immer notwendiger sich herausstellenden Unifikation des schweizerischen S t r a f r e c h t e s , eine Centralisation, welche mehr als manche andere allseitige Zustimmung, selbst unter den Freunden der Kantonalsouveränetät f.nden dürfte? Möchten sich auf diesem Boden die Sieger und Besiegten des 18. Mai zusammenfinden.

Zum Schlüsse lassen Sie mich, meine Herren, Ihre Blike noch auf ein freudiges Ereigniß hinlenken ; denn mit Freuden werden Sie es Alle vernommen haben, daß das lezte Hinderniß, welches der Rekonstruktion des Gotthardunternehmens loch im Wege stand, gehoben ist. Hatte uns zuerst die Nachricht, dass die Genehmigung des Staatsvertrages vom 12. März 1878 beirr, italienischen Senat auf ernste Schwierigkeiten stoße, mit einigerBesorgnißß erfüllt, so begrüßten wir die Nachricht, daß auch dieserleztee Stein des Anstoßes beseitigt sei, mit um so größerer Befriedigung ; und wenn uns durch den Druk, den der Senatsbeschluß auf den Bau der Monte-Cenere-Linie ausüben soll, vielleichtnoch) manche schwierige Aufgabe zugeschoben wird, so dürfen wir uns doch vom schweizerischen Standpunkte aus freuen, daß die Wünsche unserer Miteidgenossen im Tessin ihrer Verwirklichung bedeutend näher gerükt worden sind. Der Bau derMonte-Cenere-Liniet liegt ja nicht nur im hohen Interesse des Kantons Tessin, sonderni eben so sehr des Gotthardunternehmens selbst und nicht am wenigsten unseres Gesammtvaterlandes.

Die Genehmigung des Finanzausweises du rch den Bundesrath, sowie der Austausch der Ratifikationen des Staa s Vertrages wird nun nicht mehr lange auf sich warten lassen; dem die Differenz mit dem Kanton Zug dürfte, wenn alles Uebrige geebnet ist, auch nicht länger unerledigt bleiben, wozu, wie mir soebeni mitgetheilt wurde, gegründete Hoffnung vorhanden ist.

Und so ist denn troz der Unbill der Ve rhältnisse durch patriotisches, opferwilliges Zusammenwirken all er Kräfte das Zustandekommen des großen Werkes gesichert,
une die Männer, welche mit zäher Ausdauer und unverdrossenem Muthe dasselbe in's Leben gerufen, durch die ersten Entstehungs- und Entwiklungs-Nöthen hindurchgekämpft, und bei der drohenden Gefahr des Zusammen-

820 brechens die Unternehmung wieder auf festen Boden gestellt haben, werden in der glüklichen Lösung ihrer Aufgabe den besten Lohn für ihre Anstrengungen finden ; es wird ihnen aber auch der Dank der Mit- und Nachwelt nicht ausbleiben. Und das Schweizervolk, das am 19. Januar d. J., alle Sonderinteressen und Bedenken hintansezend, mit seiner Abstimmung über das Alpenbahngesez für die Ehre der Schweiz einstand, darf nunmehr mit Genugthuung und Befriedigung auf jenen Tag zurükbliken und in den bisherigen Erfolgen die Gewähr für das einstige völlige Gelingen dieses großen nationalen Werkes finden.

Mit diesen Worten erkläre ich die ordentliche Sommersession des Jahres 1879 für eröffnet.

Im S t a u d e rat h hielt der abtretende Präsident, Herr Florian G e n g e l in Chur, folgende Eröffnungsrede,: Geehrte Herren !

Indem Sie zur ordentlichen Session dieses Jahres zusammentreten, finden Sie auf dem Kanzleitische den Bericht des h. Bundesrathes über die Abstimmung vom 18. Mai, betreffend die Revision des Artikels 65. Die leztere ist vom schweizerischen Volke angenommen worden, jedoch mit so kleinem Unterschiede zwischen Mehrheit und Minderheit, daß sich an das Stimmergebniß Betrachtungen knüpfen, welche von den gehegten Erwartungen und Befürchtungen ziemlich abstehen. Vor Allem hat die Abstimmung über den Artikel 65 die Thatsache dargethan, daß das schweizerische Volk nicht leicht an der Bundesverfassung ändern will, und eine neue Bürgsch aft gegeben für deren festen und dauernden Bestand. Aus der kleinen Mehrheit geht mit Sicherheit hervor, daß das SchweizerVolk die rasche Reihenfolge vorgefallener Mordthaten nicht mit gleichgültigem Auge anschaut, und daß es eine ernste Bestrafung derselben, wie überhaupt eine ernste, wenn auch gerechte Anwendung des Strafrechts will. Die über alle Voraussicht große Minderheit zeigt dagegen, daß dem Schweizervolke jeder Gedanke an einen Rükfall in mittelalterliche Zustände fremd ist und daß vielmehr die Zeit nicht mehr ferne sein dürfte, in welcher das Richtschwert mit allgemeiner Billigung in die Eke gestellt werden kann und die Abschaffung der Todesstrafe zum Rechtssaze in der Volksüberzeugung selbst geworden sein wird. Die Wirkung der Revision des Artikels 65 ist diejenige, daß die Kantone nunmehr die

821 Wahl haben, die Todesstrafe wieder einzuführen oder nicht. Das nächste Interesse wird sich an die Wahrnehmung knüpfen, ob von dieser Wahl Gebrauch gemacht werden wird und welcher. Als feststehend dürfte wohl gelten, daß die Todesstrafe auch da, wo sie wieder in Wirksamkeit tritt, nur angewendet werden wird auf vorbedachte Zerstörung von Menschenleben ohne Begleitung von Milderungsgründen. "Vorauszusehen ist, daß die einen Kantone die Todesstrafe wieder einführen werden, die andern nicht. Die darin zu Tage tretende Ungleichheit in einem so sichtbaren Punkte des Rechtswesens dürfte dem Gedanken der Rechtseinheit zu mächtiger Förderung gereichen. Und wenn einmal das Band eines und gleichen Rechtes die Eidgenossen umschlingt, so wird des 18. Mai als eines Tages gedacht werden, au welchem unter der Pflugschar eines scharfen Streites der Meinungen ein fruchtbares Saatkorn in die Erde gesenkt wurde, um später aufzugehen zum Besten des Vaterlandes.

Den drei hochverehrten Todten, deren wir bei Beginn der lezten Session trauernd gedacht, hat sich ein vierter beigesellt, der sich den ihm vorangegangenen Amtsgenossen im Andenken seiner Mitbürger als der Würdigsten Einer anreiht. Als ein Muster anregender und gestaltender Thatkraft, unentwegter, stets sich gleichbleibender Vaterlandsliebe und lebhaften Gefühls für nationale Ehre, als ein Vorbild jenes staatsmännischen Sinns, welcher in zusammenfassendem Geiste das Ganze über das Einzelne stellt, wird J a k o b S t ä m p f l i dem schweizerischen Volke stets unvergeßlich und theuer bleiben.

Hiemit erkläre ich die ordentliche Session des Jahres 1879 eröffnet.

Der Nationalrath bestellte sein Bureau wie folgt: Präsident: Hr. Arnold K ü n z l i , Oberst und Großrath, von und in Ryken (Aargau); Vizepräsident: ,, Karl B u r c k h a r d t , Regierungsrath, von und in Basel.

Stimmenzähler : Hr. Paul W u i 11 i è m o z, Einnehmer, von Vuarrens, in Pa,yerne (Waadt); ,, Ambros E b e r l e , Regierungsrath, von Einsiedeln, in Schwyz;

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Stimmenzähler: Hr. Gottfried J o o s t , Handelsmann und Großrath, von und in Langnau (Bern); ,, Dr. Gebhavd L u t z , Fürsprecher und Großrath, von und in Thal (St. Gallen).

Der Ständerath hat csein Bureau wie folgt bestellt : Präsident : Hr. Dr. Karl Rudolf S t e h l i n, Großrath, von und in Basel ; Vizepräsident : ,, Christian S a h l i , Fürsprecher, von Wohlen, in Bern.

Stimmenzähler: ,, Giovanni R e a l i , Dr. Med., von Cadrò, in Lugano ; ,, ,, Gustave A d o r , Großrath, von und in Genf.

Als neue Mitglieder sind eingetreten : Im Nationalrathe.

Herr Kommandant Friedrich G u g e l m a n n , von Attiswyl, in Langenthal (Bern), gewählt im 8. eidg. Wahlkreise am 18. Mai 1879, an der Stelle des zurükgetretenen Hrn. Friedrich B o r n in Herzogenbuchsee.

Herr Regierungsrath Joseph S t o c k m ä r , von Courchavon (Bern), in Bern, gewählt am 4. Mai 1879 vorn 10. eidg. Wahlkreise für den verstorbenen Hrn. F a u l e t in Pruntrut.

Im S t ä n d e r a t h .

Für Bern: Herr Albert Bit z in s, Regierungsrath, von Bern.

,, Luzern: ^ Vinzenz F i s c h e r , Regierungsrath, von Luzern.

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