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Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung des Kantons Zug, betreffend die Wahlen d e r M i t g l i e d e r d e s K a n t o n s r a t h e s in der G e m e i n d e B a a r im Januar und Februar 1877.

(Vom 4. Juni 1879.)

Tit.!

Am 7. Januar 1877 fanden im Kanton Zug die Wahlen der Mitglieder des Kantonsrathes und des Regierungsrathes, sowie der Friedensrichter und ihrer Ersazmänner statt. Gegen die Wahlen in der G e m e i n d e B a a r wurde von konservativer Seite Einsprache erhoben wegen verschiedener formeller Fehler, insbesondere aber, weil 11 in der Gemeinde niedergelassene Falliten und Konkursiten Stimmkarten erhalten und an der Abstimmung Theil genommen haben. Der Regierungsrath des Kantons Zug entschied, daß 10 dieser Männer als Falliten gemäß § 25 der Kantonsverfassung bis nach erfolgter Rehabilitation irn Stimmregister zu streichen seien und ordnete die Nachwahlen auf den 4. Februar an. Es erfolgten neue Proteste und Prüfungen der Stimmregister, wobei von einer Kommission des Kantonsrathes konstatirt wurde, daß die Falliten nicht gestrichen worden waren. Der Kantonsrath kassirte daher diese Wahl Verhandlung, sprach dem Einwohnerrath von Baar sein Mißfallen aus und beauftragte die Regierung, diejenigen Bürger,

923 welche unbefugt gestimmt hatten, zur Verantwortung zu ziehen.

In dem spätem materiellen Entscheide bezüglich der Wahl vom 7. Januar erklärte der Kantonsrath die Stimmen der Falliteti und diejenigen einiger anderer niedergelassener Bürger, im Ganzen 14, als ungültig und bestimmte darnach, welche Kandidaten als gewählt zu betrachten seien.

Gegen diese Beschlüsse wurde sowohl von dem Einwohnerrath der Gemeinde Baar, als auch von 12 jener Bürger, welche als nicht stimmberechtigt erklärt worden waren, an uns rekurrirt. Am 10./24. August 1877 faßten wir unsern Entscheid über diesen Rekurs. Es waren dadurch verschiedene Fragen zu beantworten. Zunächst hatte die Regierung von Zug unsere Kompetenz und die Legitimation der Beschwerdeführer bestritten. Nachdem diese Vorfragen bejaht worden, kamen die Gründe zur Prüfung, welche die Streichung mehrerer Bürger von den Stimmlisten der Gemeinde Baar herbeigeführt haben : Fallitenzustand, Almosengenössigkeit, ungenügende Dauer des Wohnsitzes und das Stirnmrecht majorenner Söhne, die in gemeinschaftlicher Haushaltung mit dem Valer leben.

Dieser Entscheid ist dem wesentlichen Inhalte nach gedrukt im Geschäftsberichte pro 1877, Bundesblatt 1878, Bd. II, S. 497.

Mit Bezug auf 9 Bürger, denen der Kantonsrath v-on Zug das Stimmrecht bestritten hatte, erklärten wir den Rekurs, als begründet und richteten an denselben die Einladung, die Wahlen zu Baar vom 7. Januar und 4. Februar 1877 nochmals zu prüfen und auf Grundlage unseres Entscheides festzustellen.

Der Kantonsrath von Zug behandelte diese Angelegenheit neuerdings in seiner Sizung vom 24. Oktober 1877. Er ignorirte hiebei die in unserem Entscheide aufgestellten Grundsäze vollständig, indem er bezüglich der Wahlen vom 7. Januar einen Joseph Fellmann, den wir als stimmfähig erklärt hatten, strich und die Wahlen vom 7. Februar wegen formellen Unregelmäßigkeiten abermals gänzlich kassirte.

Der Einwohnerrath von Baar leitete einen neuen Rekurs ein und verlangte die Vollziehung unseres Entscheides. Nachdem unser Justiz- und Polizeideparteinent über Joseph Fellmann weitere Erkundigung eingezogen hatte, ergab es sich, daß derselbe als luzernischer Konkursit wirklich nicht stimmberechtigt sei. Wir stunden daher nicht an, in dieser Beziehung unsern Entscheid vom 10./24. Aug.

1877 zu modifiziren. Was dagegen die
Wahlen vom 4. Februar betrifft, so mußten wir auf unserem Entscheide beharren.

Wir enthielten uns jedoch, das Wahlergebuiß selbst festzustellen, sondern erließen an den Kantonsrath von Zug mit Beschluß

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vom 11./l8. Februar 1878 eine neue Einladung, auf Grundlage der von uns aufgestellten Gesichtspunkte in die materielle Prüfung einzutreten und das Ergebniß festzustellen. (Geschäftsbericht pro 1878, Bundesblatt 1879, Bd. II, S. 609.)

Mit Schreiben vom 3. September 1878 machte uns jedoch die Regierung von Zug die Mittheilung, unsere Schlußnahme habe den Kantonsrath in hohem Grade befremdet, indem dadurch der bei ihm entscheidend gewesene Kassationsgrund, uärnlich die formellen Unregelmäßigkeiten, nicht genügend gewürdigt worden seien, da der Einwohnerrath von Baar die Stimmregister nicht bereinigt, vielmehr .entgegen regierungsräthlichen Schreiben vom 1. und 3. Februar, womit ihm aufgetragen worden, 16 Falliten und andere Nichtstimmberechtigte zu streichen, dieses nicht gethan habe. Uebrigens sei der von uns aufgestellte Saz, daß das Stimmrecht der Konkursiten nach dem Rechte des Konkursortes zu beurtheilen sei und nicht nach dem Rechte ihres Wohnortes zur Zeit einer Wahl oder Abstimmung, von der Kommission des Nationalrathes im Berichte über die Geschäftsführung im Laufe des Jahres 1877 (Bundesblatt 1878, Bd. II, S. 862} als unrichtig erklärt und diese Ansicht sei von den eidgen. Räthen bestätigt worden. Die Regierung von Zug sprach daher die Erwartung aus, daß wir unsern. Entscheid in Wiedererwägung ziehen und nicht darauf beharren möchten, daß der Kantonsrath nach Maßgabe desselben in eine materielle Prüfung der Wahlergebnisse eintreten soll.

Vor der Beantwortung dieses Schreibens erhielten wir am 25. September 1878 von der Gemeindekanzlei im Auftrage des Einwohnerrathes Baar ein Telegramm, dahin gehend, daß die Angelegenheit betreffend die dortigen Kantonsrathswahlen gütlich erledigt sei; deßhalb verzichte der Einwohnerrath auf den Wahlrekurs und beabsichtige die sofortige Ausschreibung der ausstehenden Wahlen; er bitte uns daher um sofortige telegraphische Mittheilung dieser Abstandserklärung an die Regierung, da am folgenden Tage eine Sizung des Kantonsrathes stattfinde. Da zu dieser Zeit kein Rekurs betreffend die Wahlen in Baar bei uns anhängig war, so beschränkte sich unser Justiz- und Polizeidepartement, darauf, dem Einwohnerrath zu antworten, er möge seine Mittheilung an dio Regierung direkt machen.

Unter Bezugnahme auf dieses Telegramm machte uns die Regierung von Zug mit Schreiben
vom 4. Oktober die weitere Mittheilung, daß der Einwohnerrath von Baar auf den 13. Oktober für sämmtliche kassirte Wahlen Ersazwahlen angeordnet und sonach die vom Kantonsrath ausgesprochene Kassation nachträglich anerkannt habe. Das Schreiben vom 3. September sei somit, soweit

925 es sich auf die Wahlen vom 4. Februar 1877 beziehe, gegenstandlos geworden. Dagegen könne sie sich mit dem Entscheid betreffend die Falliten nicht befreunden und erwarte, daß wir das Recht des Wohnortes als maßgebend anerkennen werden.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 1878 antworteten wir der Regierung von Zug, daß wir von der thatsächlichen Erledigung der Anstände betreffend die Großrathswählen in ßaar Vormerk genommen haben, allein, da ein neuer Rekurs nicht vorliege, zur Zeit keinen Grund finden, auf die Frage, ob für das Stimmrecht der Falliten das Recht des Wohnortes oder dasjenige des Ortes, wo der Konkurs vollzogen worden, maßgebend sei, weiter einzutreten.

Wenn diese Frage noch Bedeutung hätte, so könnte sie nur durch einen Rekurs an die Bundesversammlung zum Austrage gebracht werden.

Die Regierung des Kantons Zug machte nun wirklich eine vom 3./5. Mai 1879 datirte Eingabe an die Bundesversammlung und stellte das Begehren : ,,Die hohe schweizerische Bundesversammlung wolle -- mit ,,Aufhebung des bundesräthlichen Entscheides vom 10. August ,,1877 -- e r k l ä r e n , es sei die Frage b e t r e f f e n d S t i m m ,, b e r e c h t i g u n g der K o n k u r s i t e n (bis nach Erlaß eines dies,,bezüglichen Bundesgesezes) nicht nach der Gesezgebung des Kon,,kursortes, sondern n a c h der G e s e z g e b u n g des W o h n o r t e s ,,zu entscheiden."· Da jedoch sowohl nach dem Telegramm des Einwohnerrathes Baar vom 25. September, als auch gemäß dem Schreiben der Regierung des Kantons Zug vom 4. Oktober 1878 die Wahlen in Baar, wodurch die beiden erwähnten Rekurse veranlaßt worden sind, stattgefunden haben, so scheint uns, daß auf das Begehren der Regierung von Zug, weil gegenwärtig ohne irgend ein praktisches Bedürfniß, nicht einzutreten sei. Aus diesem Grunde unterlassen wir auch, unsere beiden umfangreichen Entscheide, wie es sonst gemäß Ihrer bezüglichen Weisung geschehen müßte, noch besonders druken za lassen.

Unstreitig bietet die Frage, deren prinzipielle Lösung die Regierung des Kantons Zug anstrebt, ein hohes Interesse; allein wir finden, die Bundesversammlung habe jezt keinen Anlaß, darauf einzutreten. Allerdings bemerkt die Regierung von Zug in ihrem Mémoire, daß der Einwohnerrath von Baar erklärt habe, er werde bei der Führung der Stimmregister so lange unsern Entscheid vom 10. August in Anwendung bringen, als derselbe nicht von kompetentei- Seite aufgehoben worden. Abgesehen davon, daß die Mit-

926 theilungen betreffend die Vollziehung der Wahlen hiermit im Widerspräche zu stehen scheinen, und daß auch noch andere Gemeinden derselben Ansicht sein mögen, so hat dennoch die nähere Prüfung dieser Frage gegenwärtig kein Interesse. Wenn bei einer künftigen Wahl betheiligte Privaten wieder sich genöthigt sehen sollten, wegen der Verweigerung des Stimmrechtes aus Grund des Konkurses sich zu beschweren und wir bei der erneuerten Prüfung zu demselben Resultate kommen sollten, so mag dannzumal ein Rekurs an die Bundesversammlung am Plaze sein, sofern er vor der Vollziehung unseres Entscheides eingeleitet wird.

Unter allen Umständen müssen wir die Berufung der Regierung von Zug auf unsern Entscheid vom 31. März 1871 in Sachen Salomon Heimann als unzuläßig zurükweisen, weil es sich in jenem Falle um das Stimmrecht bei e i d g e n ö s s i s c h e n Wahlen und Abstimmungen handelte, wofür der Wortlaut des Art. 63 der Bundesverfassung von 1848 entscheidend war, während es sich im vorliegenden Falle um k a n t o n a l e Wahlen handelte. Die Regierung von Zug anerkennt jedoch selbst, daß für leztere noch keine positiven bundesrechtlichen Regeln bestehen, da sie nur einen provisorischen Entscheid verlangt bis nach Erlaß eines bezüglichen Bundesgesezes.

Wir beschränken uns auf diese Bemerkungen und schließen mit dein Antrage : Es sei auf den Rekurs der Regierung des Kantons Zug gegen unsern Entscheid vom 10. August 1877 nicht weiter einzutreten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 4. Juni 1879.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Ergänzung des Bundesgesezes über eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872.

(Vom 6. Juni 1879.)

Tit. !

Durch Beschluß der beiden Räthe vom 19. Februar und 21. August 1878 ist der Bundesrath eingeladen worden, ,,gesezliche ,,Bestimmungen vorzuschlagen, welche den Stimmberechtigten die ,,Möglichkeit der Stimmabgabe in thunlichster Nähe ihres Wohnsizes sichern ;" und durch Beschluß des Nationalrathes vom 20. Dezember 1878 erging an den Bundesrath die weitere, auf die eidg.

Abstimmungen bezügliche Einladung, ,,bis zur ordentlichen Juni,,session über endgültige Festsezung des Textes des eidg. Wahl,,und Abstimmungsgesezes (namentlich die Frage der Zulassung ,,gedrukter Stimmzeddel Bericht zu erstatten."

Diesen Einladungen Folge gebend, beehren wir uns, in NachO O g ' ' stehendem über beide Punkte Bericht und Antrag vorzulegen.

Der Art. 3 des Bundesgesezes betreffend die eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 lautet: ,,Das Stimmrecht wird von jedem Schweizerbürger da ,,ausgeübt, wo er als Ortsbürger oder als Niedergelassener ,,oder Aufenthalter wohnt."

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung über den Rekurs der Regierung des Kantons Zug, betreffend die Wahlen der Mitglieder des Kantonsrathes der Gemeinde Baar im Januar und Februar 1877. (Vom 4.Juni 1879.)

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Jahr

1879

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.06.1879

Date Data Seite

922-927

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