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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Ergänzung des Bundesgesezes über eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872.

(Vom 6. Juni 1879.)

Tit. !

Durch Beschluß der beiden Räthe vom 19. Februar und 21. August 1878 ist der Bundesrath eingeladen worden, ,,gesezliche ,,Bestimmungen vorzuschlagen, welche den Stimmberechtigten die ,,Möglichkeit der Stimmabgabe in thunlichster Nähe ihres Wohnsizes sichern ;" und durch Beschluß des Nationalrathes vom 20. Dezember 1878 erging an den Bundesrath die weitere, auf die eidg.

Abstimmungen bezügliche Einladung, ,,bis zur ordentlichen Juni,,session über endgültige Festsezung des Textes des eidg. Wahl,,und Abstimmungsgesezes (namentlich die Frage der Zulassung ,,gedrukter Stimmzeddel Bericht zu erstatten."

Diesen Einladungen Folge gebend, beehren wir uns, in NachO O g ' ' stehendem über beide Punkte Bericht und Antrag vorzulegen.

Der Art. 3 des Bundesgesezes betreffend die eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 lautet: ,,Das Stimmrecht wird von jedem Schweizerbürger da ,,ausgeübt, wo er als Ortsbürger oder als Niedergelassener ,,oder Aufenthalter wohnt."

928 Die Ausführung dieses Artikels hat seit dem Bestände des Gesezes nur bei zwei Rantonen zu Anständen und Verhandlungen in den eidg. Käthen Anlaß gegeben, bei Tessin und Genf.

Nachdem der Kanton Tessili, in welchem früher die cidg.

Wahlen und Abstimmungen in den Hauptorten der Kreise stattfanden, den Einladungen der Bundesbehörde Folge gebend, schon im Jahr 1873 die gerneindevveise Abstimmung eingeführt hatte, befand sich einzig G e n f noch im Widerspruch mit der oben angeführten Vorschrift des eidg. Abstimmungsgesezes, indem dort bis in die jüngste Zeit den Bürgern des ganzen Kantons für die Naüonalrathswahl nur e i n Abstimmungsort, das Palais électoral in Genf, und für die Abstimmung über Geseze d r e i Urnen, eine für die Stadt Genf, eine für das rechte Rhoueufer und eine für das linke Rhoueufer angewiesen waren.

Wiederholte Beschwerden aus dem Kanton Genf über Beeinträchtigung und Hemmung in der Ausübung des Stimmrechts und dadurch veranlagte Verhandlungen zwischen dem Bundesrathe und dem Staatsrath von Genf führten endlich dazu, daß der Große Rath das Gesez vorn 2. Februar 1878, betreffend die im Kanton Genf stattfindenden Abstimmungen über Bundesgeseze und Wahlen in den schweizerischen Nationalrath erließ, durch welches sieben Abstimmungsorte aufgestellt wurden.

o^ Zahlreiche Petitionen aus dem Kanton Genf, welche behaupteten, daß mit dem Geseze dem, was der Schweizerbürger in Genf nach der Vorschrift des Bundesgesezes zu fordern berechtigt sei, keineswegs Genüge geschehe, nöthigten die eidg. Räthe, nochmals mit der Angelegenheit sich zu befassen, und es war sehr begreiflich, daß sich bei der Berathung der Wunsch kund gab, endlich einmal mit dieser Frage ins Reine zu kommen.

In der Annahme, daß von weitern Verhandlungen mit Genf ein Erfolg nicht mehr zu erwarten sei und nur übrig bleibe, wenn auch mit Rüksicht auf Genf allein, durch eine klare gesezliche Be·stimmung vollständige Ordnung zu schaffen, beschlossen die beiden Räthe das oben augeführte Postulat und gaben, in Gewärtiguug der verlangten Gesezvorlage. den gegen das genferische Gesez vom 2. Februar 1878 gerichteten Petitionen keine weitere Folge.

Seither hat sich nun die Sachlage verändert.

Noch vor Schluß des Jahres 1878 beauftragte der Große Rath von Genf, auf den Antrag eines seiner Mitglieder, eine besondere Kommission mit der Revision der Gesezgebung über Wahlen und Abstimmungen, wobei unter Anderem namentlich da-

929 rauf Bedacht genommen werden sollte, ,,die vorliegende Ungleich,,heit zu beseitigen, "welche in Folge der sehr verschiedenen und ,,oft beträchtlichen Entfernungen zwischen dem Wohnsiz des ,,Wählers und seinem Abstimmungsorte unter den Bürgern in ,,Betreff der Leichtigkeit, ihr Stimmrecht auszuüben, bestehe."

Das Resultat der Arbeiten der Kommission und der darauf erfolgten Berathungen der gesezgebenden Behörde war das vom Großen Rathe am 26. April dieses Jahres erlassene Verfassungsgesez betreffend die Abstimmungsorte.

Dieses Gesez, welches nach Art. l Anwendung findet auf die Verfassungsabstimmungen, d i e W a h l e n i n d e n N a t i o n a l r a t h und in den Großen Rath und im Allgemeinen auf alle W a h l e n u n d A b s t i m m u n g e n , e i d g e n ö s s i s c h es o wohl als kantonale, welche von der Gesammtheit der stimmberechtigten Bürger des Kantons Genf vorgenommen werden, mit einziger Ausnahme der Wahl des Staatsraths, bestimmt g r u n d säzlich, daßjeder Wähler in dem Kreise stimmt, in w e l c h e m er w o h n t , und an dem Orte, welcher das Gesez bezeichnet.

Der Kanton Genf wird statt der bisherigen 7 in 24 Abstimmungskreise eingetheilt, nämlich: 1) Genf, ohne die Quartiere des Pâquis, Grottes, Montbrillant : e 6651 stimmberechtigte Bürger; 2) Céligny: 62 st. B.; 3) Bellevue, Genthod und Versoix: 349 st. B.; 4) Collex-Bossy : 104 st. B.; 5) Prégny und Grand-Saconnex: 200 st. B.; 6) Petit-Saconnex: 378 st. B.; 7) Genf, Quartiere des Pâquis, Grottes und Montbrillant : 1497 st. B.; 8) Meyrin und Vernier : 157 st. B. ; 9) Satigny: 190 st. B.; 10) Russin und Dardagny: 139 st. B.; 11) Chancy, Avusy, Sacconnex und Soral: 310 st. B.; 12) Cartigny und Avully: 135 st. B.; 13) Bernex, Aire-la-Ville und Confignon: 377 st. B.; 14) Lancy und Onex: 219 st. B.; 15) Plan-les-Ouates, Bardonnex und Perly-Certoux: 393 st. B.; 16) Troinex und Veyrier: 163 st. B.; Bundesblatt. 31. Jahrg. Bd. II.

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17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Carouge: 816 stimmberechtigte Bürger; Plainpalais: 1380 st. B.

Eaux-Vives: 897 st. B.; Thônex , Chêne - Bourg, Chêne - Bougeries und Puplinge : 555 st. B.; Presinges, Jussy, Gy und Meinier: 390 st. B.; Anières und Hermance: 198 st. B.; Collonge-Bellerive und Corsier: 283 st. B. ; Choulex, Vandoeuvres und Cologny: 328 st. B.

Es bedarf nur eines Blikes auf diese Einrichtung, welche durch die Volksabstimmung vom 25. Mai die verfassungsgemäße Sanktion erhalten hat, um zu dem Schlüsse zu kommen, daß nunmehr auch im Kanton Genf den Stimmberechtigten die Möglichkeit der Stimmabgabe in thunlichster Nähe ihres Wohnsizes gesichert ist. Hiemit findet sich diese Frage bei sämmtlichen Kantonen in einer dein Bundesgeseze entsprechenden Weise praktisch geregelt, und unter diesen Umständen dürfte es kaum nothwendig oder auch nur zwekmäßig sein, dem betreffenden Artikel des Bundesgesezes eine neue Fassung zu geben, welche möglicherweise neue Controverses hervorrufen könnte.

Demgemäß beehren wir uns, bei Ihnen zu beantragen, Sie möchten mit vorstehendem Berichte das fragliche Postulat als erledigt betrachten und davon im Protokoll Vormerkung nehmen.

II.

Das zweite Postulat verlangt Bericht über endgültige Festsezung des Textes des Bundesgesezes über eidg. Wahlen und Abstimmungen, namentlich mit Rüksicht auf die Frage der Zulassung gedrukter Stimmzeddel.

Es wird dabei zweierlei auseinander zu halten sein : Einerseits die Feststellung, beziehungsweise Bereinigung des Gesezestextes selbst, andererseits die Frage einer interpretativen Ergänzung des Gesezes.

Was den Gesezestext selbst anbelangt, so bedarf der ursprüngliche deutsche Text des Gesezes einer endgültigen Festsezung, beziehungsweise Bereinigung nicht. Dagegen hat eine Vergleichung des deutschen und französischen Textes des in Frage stehenden Bundesgesezes herausgestellt, daß die französische Uebersezung sich einer Freiheit bediente, wie sie wohl für einen Bericht annehmbar

931 sein mag, für die Wiedergabe eines Gesezestextes dagegen jedenfalls unstatthaft erscheint. Wir stellen im Nachfolgenden diejenigen Gesezesstellen, welche in den beiden Texten mehr oder minder wichtige Abweichungen aufweisen, zusammen : Art. 3, 2 Alinea. In Bezug auf die Mitglieder des Bundesrathes und den Kanzler der Eidgenossenschaft bleiben die Bestimmungen des Art. 2 im Bundesgeseze vom 16. Mai 1849 über Organisation und Geschäftsgang des Bundesrathes vorbehalten (I, 50).

En ce qui concerne les membres du Conseil fédéral et le Chancelier de la Confédération, sont réservées les dispositions de l'art. 2 de la loi fédérale du 16 mai 1849.

Art. 7. Wegen Verlezung der On peut recourir au Conseil in den Artikeln 2--6 enthaltenen fédéral contre les autorités canBestimmungen ist der Rekurs tonales pour refus ou suppresvon den kantonalen Behörden sion d'inscription, ainsi que pour an den Bundesrath gestattet.

toute infraction à la présente loi.

Art. 8.

Die NationalrathsLes élections au Conseil nawahlen und die Verfassungsab- tional et les votations sur des stimmungen finden mittelst schrift- changements à la Constitution se licher und geheimer Stimmgabe font au scrutin secret; l'élection statt ; die Wahl der Geschwornen des jurés peut se faire à mains kann in offener Abstimmung vor- levées.

genommen werden.

Stimmengabe durch StellverLe vote par procuration est tretung ist untersagt.

interdit.

Art. 15. Bei einer Gesammterneuerung des Nationalraths können die in Folge dieser Erneuerung abtretenden Beamten, welche in den neuerwählten Nationalrath ernannt worden sind, an den Verhandlungen dieses leztern Theil nehmen, bis die ihre Beamtungen betreffenden Erneuerungswählen stattgefunden haben.

Lors d'un renouvellement intégral du Conseil national, les fonctionnaires dont les fonctions expirent en conséquence de ce renouvellement peuvent être élus dans le nouveau Conseil et prendre part à, ces délibérations jusqu'à ce que les élections de renouvellement qui les concernent aient eu lieu.

Art. 16. Die Gesamnftwahlen behufs der Integralerneuerung des Nationalrathes beginnen je-

Les élections générales pour le renouvellement intégral du Conseil national ont lieu chaque

932 weilen am lezten Sonntage im fois le dernier dimanche du mois Weinmonate und werden, falls d'octobre ; si elles ne peuvent sie nicht in der ersten W ahi Ver- être terminées le même jour, handlung zu Ende geführt worden elles seront continuées au jour sind. an den durch die betref- fixé par le Gouvernement canfenden Kantonsregierungen hiefür tonal.

zu bestimmenden Tagen fortgesezt.

Art. 35. In allen Fällen, in welchen die Erledigung einer Stelle im Nationalrath vor dem Ablaufe der Amtsdauer des le/tern eintritt, soll diese Stelle sofort wieder besezt werden, es wäre denn, daß vor der Gesarnmterneuerung des Nationalrathes kein Zusammentritt desselben mehr in Aussicht stünde.

Dans tous les cas où une place devient vacante au Conseil national avant l'expiration des fonctions de ce corps, il y a immédiatement lieu à une nouvelle élection, à moins que le renouvellement intégral du Conseil national ne soit sur le point d'avoir lieu.

Art. 44. Uebertretungen der Les contraventions aux presVorschriften diesesGesezes werden criptions de la présente loi seront nach den Bestimmungen des Bun- punies conformément aux disdesgesezes vom 4. Februar 1853 positions du Code pénal fédéral über das Bundesstrafrecht be- du 4 février 1853.

straft (III, 404).

Mehrere der herausgehobenen Abweichungen sind für die Interpretation und Anwendung des Gesezes von keinem besonderu Belang. Wh rechnen darunter die Auslassung im Art. 3 ; die Uebersezung von Art. 16 und die Auslassung im Art. 44.

Bedauerlicher sind die Fehler der Uebersezung von Art. 15 und Art. 35, ersterer deßhalb, weil es unbegreiflich erscheint, wie das Gesez, nachdem es im Art. 14 von den eidg. Beamten gesagt hat: ,,ils sont cependant éligibles au Conseil national", dazu kommt, unmittelbar nachher in Art. 15 in Betreff derselben Beamten zu bestimmen: ,,ils peuvent être élus dans le nouveau Conseil11, eine Wiederholung, welche auf jeden, der das Gesez liest, den unangenehmen Eindruk legislatorischer Nachläßigkeit machen muß.

Und was die Uebersezung des Art. 35 betrifft, so ist klar, daß dieselbe sachlich etwas Anderes sagt, als der ursprünglich deutsche Text, indem unter Umständen ein Zusammentritt des Nationalraths noch in Aussicht stehen kann, obschon die Integralcrneuerung desselben in nächster Zeit bevorsteht, in welchem Falle nach dem

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deutschen Text die Wiederbesezung einer vakant gewordenen Stelle erfolgen müßte, während sie nach dem französischen Texte unterbleiben könnte. Indessen dürfte auch diesen Differenzen praktisch eine größere Bedeutung nicht beizumessen sein.

Wichtiger ist die auffallend willkürliche Uebersezung von Art. 7. Sie ist positiv unrichtig, und sagt einerseits zu wenig und andererseits zu viel.

Nach dem deutschen Text kann wegen Verlezung der in den Art. 2 -- 6 enthaltenen Bestimmungen gegen Verfügungen kantonaler Behörden an den Bundesrath rekurrirt werden, nach dem französischen lediglich ,,pour refus ou suppression d'inscription". Nun enthält aber Art. 3 eine Bestimmung, welche weder mit ,,refus1* noch mit ,,suppression d'inscription" etwas zu thun hat, wohl aber mit einem andern wichtigen Rechte des Bürgers, für welches der deutsche Text den Schuz des Bundesrathes sichert, welcher nach dem französischen Text wenigstens zweifelhaft ist. Freilich fügt dann die französische Uebersezung nach der ersten willkürlichen Beschränkung die noch willkürlichere Erweiterung bei, für welche im deutschen Text gar kein Anhaltspunkt vorliegt, nämlich die Worte : ,,ainsi que pour toute infraction à la présente loia und gibt dadurch wieder Anlaß zu Mißverständniß und Irrthum. Denn nicht alle Widerhandlungen gegen das eidg. Wahl- und Abstimmungsgesez sind zur Beurtheilung an die kantonalen Behörden und eventuell auf dem Rekurswege an den Bundesralh zur Entscheidung zu bringen, vielmehr unterliegen ganze Kategorien von Wahlbeschwerden ausschließlich, und zwar leztinstanzlich dem Entscheide des Nationalraths. Die auffallende Uebersezung wird nur begreiflich, wenn man weiß, daß sie die Uebersezung des ursprünglichen Entwurfes ist, der durch die Verhandlungen und Beschlüsse der Bundesversammlung verschiedentlich modiflzirt wurde.

Der unglüklichste Fehler im französischen Texte betrifft den Art. 8. Nach dem deutsehen Texte soll die Abstimmung geschehen mittelst s c h r i f t l i c h e r und geheimer Stimmabgabe, während der französische Text nur die Vorschrift geheimer Stimmabgabe enthält. Zur Beseitigung dieses Fehlers, welchen man bereits 1874 gewahr wurde, sollte der französischen Ausgabe der eidg. Gesez»ammlung ein Carton eingefügt und eine Publikation im Bundesblatt erlassen werden. Lezteres geschah (Feuille fédérale 1874,
Bd. I, S. 539), der Carton selbst, welcher den Text des Art. 8 in folgender Weise wiedergibt: ,,Les élections au Conseil national et les votations sur les changements de la Constitution se font par écrit et au scrutin secret ; l'élection des Jurés peut se faire à mains

934 levées. Le vote par procuration est interdit", scheint dagegen nicht durchweg eingefügt worden zu sein.

Um nun diese verschiedenen, mehr oder minder bedeutenden Inkorrektheiten gründlich zu beseitigen, werden wir, abweichende Beschlußfassung der Bundes versam mlung vorbehalten, nach nochmaliger Durchsicht des französischen Textes eine neue boreinigte Ausgabe desselben veranstalten und sie an die Stelle der jezigen treten lassen.

Was nun die zweite Seite des in Behandlung stehenden Postulates anbelangt, die Frage einer interpretativen E r g ä n z u n g d e s Gr e s e z e s , so ist durch die Thatsache, daß infolge des neuesten Abstimmungsgesezes von Genf die Frage des Abstimmungsortes für die ganze Schweiz in befriedigender Weise gelöst ist, das eine Hauptmotiv für eine Ergänzung des Gesezes weggefallen.

Auch der Punkt, welchen das Postulat hervorhobt, nämlich die Zulassung gedrukter Stimmzeddel, scheint uns den Erlaß einer Gesezesnovelle nicht zu erheischen.

Dei- Ausdruk ,,schriftlich" in Art. 8 hat allerdings wiederholt zu Anständen und Reklamationen Anlaß gegeben. Vorerst wurde aus den Kantonen Neuenburg und Solothurn bei den Nationalrathswahlen von 1875 gegen den Gebrauch von ,,gedrukten" Wahlzeddeln, als mit Art. 8 des Bundesgesezes vom 19. Juli 1872 im Widerspruch stehend, beim Nationalrath Beschwerde geführt. Bereits in unserer bezüglichen Botschaft vom 27. November 1877 haben wir uns näher über die in den genannten Kantonen bestehende Uebung gedrukter Wahlzeddel verbreitet und erinnern hier nur daran, daß der Nationalrath die hiegegen gerichteten Beschwerden abgewiesen hat, auf die Erwägung gestüzt, daß der mehrgenannte Art. 8 die schriftliche und geheime Stimmabgabe im Gegensaz zum offenen Handmehr fordere, welches für die Geschwornen wählen noch zuläßig ist; daß der Begriff ,,schriftlich" auch das Gedrukte umfasse und daß die Unabhängigkeit des Wählers nicht bedroht sei, sofern er nach freiem Ermessen den Stimmzeddel selbst schreiben oder sich eines gedrukten bedienen könne.

Anläßlich der Nationalrathswahlen vom Oktober 1878 wurde die Frage, ob gedrukte Wahlzeddel gültig seien oder nicht, neuerdings im Kanton W alli s aufgeworfen. Die an den Nationalrath gelangte bezügliche Wahlbeschwerde machte wesentlich geltend, daß im Kanton Wallis nach dem Geseze vom 3. September 1851
ausdrüklich das schriftliche Verfahren vorgeschrieben sei, und die eine Partei geglaubt habe, sich daran halten zu müssen, während die andere willkürlich davon abgewichen sei. Nachdem sich jedoch

935 unter Anderem herausgestellt, daß jenes angerufene kantonale Gesez nicht mehr zu Recht bestehe und das jezt geltende von jener bindenden Vorschrift nichts wisse, erklärte der Nationalrath die angefochtenen Wahlen für gültig.

Nach den bei verschiedenen Wahlprüfungsanläßen erfolgten Beschlüssen des Nationalraths kann somit darüber kein Zweifel obwalten, daß der Ausdruk ,, s c h r i f t l i c h " die Anwendung g e d r u k t e r Stimmzeddel nicht ausschließen soll.

' Es fragt sich indessen, ob der Gebrauch gedrukter Stimmzeddel durchaus frei zu geben oder nicht vielmehr gewissen einschränkenden Bedingungen zu unterwerfen ist.

Darf eine politische Partei nach ihrem Gutdünken Stimmzeddel druken lassen und gebrauchen, welche sich .von den ausgetheilten amtlichen Stimmzeddeln unterscheiden durch ein kleineres oder größeres Format, oder durch eine besondere Farbe oder durch angebrachte, leicht sichtbare Nummerirung u. s. w.? Unter Umständen kann dies zugegeben, unter andern Umständen muß es als durchaus unzuläßig bezeichnet werden. Da, wo der Bürger seine Stimmabgabe vollständig geheim, ohne Beisein irgend einer zweiten Person, vollziehen kann; oder da, wo der Bürger im Stimmlokale ein für alle gleiches Couvert erhält, in welches er seinen geschriebenen oder gedrukten Stimmzeddel bergen und verschließen kann, bleibt die Freiheit und Unabhängigkeit seiner Abstimmung, selbst bei Zulassung von gedrukten Stimmzeddeln beliebiger Farbe und beliebiger Größe durchaus gewahrt. Wo aber ein anderes Verfahren besteht, wo der Stimmzeddel selbst in die Urne geworfen werden muß, und wo dieser Akt in offenem Lokale, in Anwesenheit anderer vor sich geht, da sind gedrukte farbige Stimmzeddel oder solche besondern Formats als Parteirnittel zur Kontrolirung der Stimmgebung zu betrachten und mit der Freiheit und Unabhängigkeit der Abstimmung nicht verträglich.

"o'S Der Bund hat kein Interesse daran, ob bei eidg. Wahlen und Abstimmungen gedrukte Stimmzeddel zur Anwendung kommen; wohl aber hat er das höchste Interesse daran, daß überall Freiheit und Unabhängigkeit der Abstimmung gewahrt wird. Er wird den Gebrauch gedrukter Stimmzeddel weder gebieten noch verbieten und gemäß dem Standpunkt, den er im Gesez über die eidg.

Wahlen und Abstimmungen · eingenommen hat, auch bezüglich dieses Details den Kantonen möglichst freien Spielraum lassen; allein das muß er verlangen, daß gedrukte Stimmzeddel nur da zur Anwendung kommen, wo durch geeignete Einrichtung dafür gesorgt ist,

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daß der Gebrauch gedrukter Stimmzeddel in keinerlei Weise die Freiheit und Unabhängigkeit der Abstimmung beeinträchtige.

Zur Ordnung dieser Frage scheint, in Anbetracht der grundsäzlichen Anerkennung gedrukter Stimmzeddel, die Aufstellung eines neuen Gesezesartikels nicht nöthig zu sein. Es handelt sich nunmehr lediglich darum, vorzusorgen, daß diese Licenz nicht zu einem Mißbrauch und zu einer Beeinträchtigung anderer wichtiger Gesezesbestimmungen sich gestalte. Dies kann und soll unseres Erachtens in geeigneter Weise durch die Exekutive geschehen.

Nach dieser Erörterung der beiden Postulate und den dabei gewonnenen Ergebnissen schließen wir unsere Berichterstattung mit dem ehrerbietigen Antrage, es wolle die Bundesversammlung durch den vorliegenden Bericht die beiden Postulate als erledigt betrachten und davon im Protokoll Vormerkung nehmen.

Wir benuzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 6. Juni 1879.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, De r B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Konzessionirung einer schmalspurigen Strasseneisen bahn von der Schweizergrenze bei St. Julien über Genf bis an die Landesgrenze bei Fernex.

, (Vom 6. Juni 1879.)

Tit. !

Schon seit Ende 1877 sind zwei Eisenbahnkonzessionsgesuche pendent, welche beide denselben Zwek haben, die französischen Grenzstädtchen St. Julien (auf der Südseite des Kantons Genf) und Fernex (auf der Nordseite}, sowie die zwischenliegenden Gemeinden, mit der Stadt Genf und resp. unter sich in bessere Verbindung zu bringen.

Das eine dieser Gesuche, unterzeichnet von den HH. B.

D u ss au d, Mitglied des Großen Rathes von Genf, und Ch. R e v e l , rue Lafayette Nr. 38 in Paris, ist gerichtet auf die Bewilligung zum Bau und Betrieb einer durchgehenden Straßenbahn von l Meter Spurweite. Die beiden Linien von Fernex und von St. Julien würden in Genf zusammentreffen in der Rue des Grottes, in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs der Paris-Lyon-Méditerranée-Bahn.

Das andere Gesuch, ausgehend von der Compagnie générale des Tramways suisses in Genf, will dieselbe durchgehende Verbindung herstellen durch den Anschluß einer normalspurigen Straßen-

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Ergänzung des Bundesgesezes über eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872. (Vom 6.Juni 1879.)

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Jahr

1879

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.06.1879

Date Data Seite

927-937

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10 010 363

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