645

# S T #

Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Kommission zur Vorberathung der Revision des Artikels 65 der Bundesverfassung.

(Vom 18. März 1879.)

Tit. !

In seiner Botschaft betreffend den Artikel 65 der Bundesverfassung verzichtet der Bundesrath auf alle theoretischen Erörterungen über die Rechtmäßigkeit, Zuläßigkeit und Zweckmäßigkeit der Todesstrafe. Er nimmt an, daß für solche Erörterung der Zeitpunkt gegeben war, als es sich um Aufnahme der betreffenden Bestimmung in die Bundesverfassung handelte. Er fragt, nachdem vor fünf Jahren nach einläßlicher Diskussion die Abschaffung der Todesstrafe für die ganze Schweiz beschlossen worden ist, heute einfach nach den Folgen, welche solche Aufhebung für das sittliche und rechtliche Leben unseres Volkes gehabt hat, und kommt zu dem Schlüsse, daß von einer maßgebenden Erfahrung noch nicht geredet werden könne, daß aber durchaus noch kein Grund der Befürchtung sich ergeben habe.

Ihre Kommission hätte nun freilich gar gerne eine etwas einläßlichere Prüfung der Frage erhalten und auch im Rahmen einer bloß fünfjährigen Erfahrung gerne Näheres vernommen über die Naturanlagen und die Lebensgeschichte der aufgetretenen Mörder und über die eigentlichen Triebfedern ihrer That. Eine einfache

646

Zahlenstatistik hat für unsere Frage schwerlich einen hohen Werth, was wir am besten daraus ersehen, daß oft die gleichen Ansätze, nur in anderer Gruppirung und anderer Beleuchtung, das Fundament ganz entgegengesetzter Schlußfolgerungen werden. Im vorliegenden Falle brauchen wir nur die bundesräthliche Botschaft mit dem Berichte der Mehrheit der Kommission zu vergleichen.

Die Stellung des Einzelnen zu unserer Frage wird eben durch tiefere Lebensanschauungen bedingt.

Die Mehrheit Ihrer Kommission, um zu einem dem bundesräthlichen entgegengesetzten Standpunkt zu gelangen, erhebt unsern Gegenstand auf den höhern Boden einer prinzipiellen Diskussion.

Sie hat dabei den großen Vortheil, einen Referenten bestellen zu können, welcher schon seit mehr als einem Dezennium die vorwürfige Frage zum Gegenstande spezieller Studien gemacht, die einschlägliche Literatur sich angeeignet und durchweg im Dienste der Apologie der Todesstrafe verwendet hat. So wird ihre Darlegung, statt einer bloßen Besprechung der bundesräthlichen Botschaft und gelegentlichen Ausweitung, zu einem trefflichen Vademecum der Freunde der Todesstrafe.

Die Minderheit zieht es vor, ihre Argumentation von einem bestimmten Grundgedanken herzuleiten, und dieser ist d i e A c h t u n g für das Menschenleben.

Sie wird auf diesem Wege mehr als einmal mit der Auffassung der Mehrheit zusammentreffen, öfters auseinander gehen und schließlich zu einem andern Resultate gelangen. Wir kommen nämlich zu dem gleichen Schlüsse wie der Bundesrath : es sei auf die Motion des Herrn Ständerath Freuler und auf die Petitionen von Schweizerbürgern, betreffend Revision der Bundesverfassung und die Wiedereinführung der Todesstrate, nicht einzutreten.

In der eigentlichen Diskussion, wie solche in der Kommission stattgefunden, kam die Mehrheit zu dem Schlüsse, daß die Abschaffung der Todesstrafe ein konstitutioneller Mißgriff, ein Eingriff in das Rechtsbewußtsein unseres Volkes und ein Angriff auf die fundamentalen Lebensbedingungen des ^Staates gewesen sei und bleibe.

Ueber die erstere Aussetzung können wir uns kurz fassen, da die Frage, ob zur Zeit der Bundesrevision es wohl gethan worden sei, als im § 65 ein einzelner, aus der Strafgesetzgebung herausgerissener Punkt für die ganze Schweiz einheitlich geordnet wurde, uns als fe'ue bloß theoretische Frage erscheint. Sollte sie praktisch

647

werden wollen, so sehen wir nicht ein, wo die Garantie liegt dafür, daß sie bloß auf den e i n e n Punkt beschränkt bleiben werde, denn es sind sicherlich auch noch andere Vorschriften in der Bundesverfassung vorhanden, deren Zweckmäßigkeit von dieser oder jener Seite bestritten werden möchte. Immerhin liegt in der Aufnahme des Verbots der Todesstrafe überhaupt nicht diejenige konstitutionelle Abnormität, welche vo.n Vielen darin gesehen werden will : schon die frühere Verfassung hat seit 1848 die Anwendung der Todesstrafe beschränkt, indem sie dieselbe für politische Vergehen aufhob.

Und unseres Wissens hat Niemand in dieser vereinzelten Normirung eines Punktes der Strafgesetzgebung eine besondere Ungehörigkeit gefunden.

Gegenwärtig möchten wir bloß noch folgende Betrachtungsweise zulassen : Die Abschaffung der Todesstrafe ist beschlossen worden; die Frage, welche seit mehr als einem Jahrhundert die größten Denker beschäftigt hat, welche von verschiedenen Staaten praktisch zu lösen versucht worden ist, wurde vor fünf Jahren vom Schweizervolke in's Leben eingeführt, und zwar nicht in der Weise, daß, wie die Mehrheit argumentirt, das Leben der Unschuldigen leichthin zum Gegenstande des Experiments gemacht wird, sondern in der festen Üeberzeugung, daß eine Gefahr für das Menschenleben damit gar nicht geschaffen wird. Wenn die Enquête des englischen Parlaments konstatirt, daß von 167 hingerichteten Personen ihrer 164 schon Zeugen von Hinrichtungen gewesen sind, so können wir in der Unterdrückung des blutigen Schauspieles kein gefährliches Experiment für das Menschenleben mehr erkennen.

Wir sehen ab von dieser eingebildeten Wirkung der Todesstrafe und sagen einfach: wir sind es der hochwichtigen Frage selber, wir sind es allen denen, welche ihr Sinnen und Denken ihr zugewendet, schuldig, den eingeschlagenen Weg in guten Treuen zu machen. Diese Frage wird ihre fernere Geschichte haben. Darf dann im Verlaufe derselben das Schweizervolk erscheinen als ein solches, das mit 340,000 Stimmen die Tödtung des Menschen von Rechts wegen entfernt und schon nach fünf Jahren ohne thatsächliche Aenderungen in Recht und Sitte einfach wieder eingeführt hat?

In der Üeberzeugung der Inopportunität einer derzeitigen Bundesrevision sind Bundesrath, Mehrheit und Minderheit der Kommission einig. Um die gegebene Anregung
einer solchen auf ihr Minimum zu beschränken, räth die Mehrheit der Kommission eine durch die Räthe vorzunehmende Partialrevision, d. h. eine auf diesen § 65 beschränkte Revision der Bundesverfassung an. Wir wissen nicht, wer die Gewähr dafür übernehmen und geben will, daß das einmal begonnene Revidiren auf diesen Punkt beschränkt bleibt. Und

648

sollten wir auch solche erhalten können, so widerstrebt es uns, so Stück um Stück unseres Grundgesetzes der Zerbröckelung anheim zu geben, und wir halten persönlich zu hoch von der Abschaffung der Todesstrafe, um dieselbe beim ersten Anblick der 30,000 Unterschriften aufzugeben. Wir halten es für möglich, daß ihrer 50,000 sich ansammeln, aber auch für gewiß, daß das Schweizervolk bei der Abstimmung die richtige Antwort geben wird.

Es wird zwar behauptet, diese Verfassungsbestimmung involvire eine fortwährende Verletzung des Rechtsbewußtseins unseres Volkes, das sich kund gebe in den vorliegenden Petitionen und nicht zur Ruhe kommen werde, bis der Stein des Anstoßes entfernt sei.

Wir können diese Ansicht nicht theilen. Auch wir halten das Rechtsbewußtsein des Volkes für ein hohes und heiliges Gut und wissen, wie nothwendig, namentlich bei unsern demokratischen Einrichtungen es ist, daß die Gesetzgebung und Ausübung des Strafrechts in beständiger Wechselwirkung stehe mit dem Rechsbewußtsein unseres Volkes. Wenn der Anblick oder die Kunde einer entsetzlichen That uns Alle durchzittert, wenn der Aufschrei des verletzten und empörten Rechtsgefühls Sühne fordert in vernichtender Strafe für den Mörder, so liegt darin wohl ein treibender Sporn für die Handhabung rücksichtsloser, strenger Gerechtigkeit, aber -- noch keine Weisung für die Strafart. Dieselbe Hand, welche Angesichts der Schandthat sich berechtigt fühlen würde selbst zur Uebung der Lynchjustiz, beruhigt sich, wenn der Elende in den Händen der Strafbehörden ist, und beruhigt sich, wenn er für immer aus dem Gedächtniß der Lebendigen verschwindet. Nur dann sucht sie fort und fort und kann nicht ruhen, wenn der Uebelthäter nicht ·entdeckt wird.

Diese Ansicht schöpfen wir, Tit., nicht bloß aus der eigenen Wahrnehmung, sondern auch aus der Geschichte des Rechtsbewußtseins. Wie Sie wissen, haben unsere Väter vor 14 Jahrhunderten ·dem Mörder und Todtschläger ein Wärgeld auferlegt, das sich lediglich nach dem Rang des Getödteten beinaß. Unter den Karolingern wurden Mord, Raub und Brand mit dem Tode bestraft, und mit der Zeit wurde der Kreis der todeswürdigen Verbrechen weit tmd weiter gezogen, bis wir im 14. Jahrhundert jenes entsetzliche "Wüthen finden mit Feuer und Schwert und eine Zahl von jährlichen Bluturtheilen, die wir heute so gerne für
übertrieben halten möchten. Dazu kam außer der Folter jene rafflnirte Steigerung ·der Verschärfung der Todesarten, von welcher wir uns heute mit Grausen abwenden. Meine Herren ! Auch damals strömte das Volk au Schaaren zur Richtstätte und fand sein Rechtsbewußtsein erst

649 dann befriedigt, wenn der Vatermörder anders als der gwöhnliche Mörder, wenn der Gotteslästerer in recht furchtbarer Weise zum Tode gebracht wurde. Damals sprach einer der Ersten im Volke, der Seckelmeister Fränkli von Bern, sein Rechtsbewußtsein aus in der strengen V e r u r t h e i l u n g des Satzes: daß es göttlicher wäre, zehen Schelmen Barmherzigkeit zu beweisen, denn einen Unschuldigen zu verletzen an Leib oder Ehren. Gestehen wir es nur, es liegt neben so viel Gutem auch ein grausamer Zug im Menschenherzen und dieser ist schrecklich, wo er mit göttlichem oder menschlichem Recht verbunden zu sein glaubt. Einst fand er seine Augenweide am blutigen Schauspiel, heute ist er angewiesen auf die Lektüre der grausigen Details eines Mordes und einer Hinrichtung. -- Es zog sich mit der Zeit der Kreis der todeswürdigen Verbrechen wieder enger und enger, bis heute, da auch die Mehrheit der Kommission und wohl auch ein großer Theil unseres Volkes eine andere Anwendung der, immerhin einfachen, Todesstrafe gar nicht mehr anders vertrüge, als für den vorbedachten Mord.

Und die Entfernung auch dieses Restes sollte das Rechtsbewußtsein unseres Volkes nicht ertragen?

Es wird hingewiesen auf jene jedem Menschenherzen eingegrabene Idee der Gerechtigkeit, welche Sühne fordert für jedes Unrecht, welche jeder Verletzung des Rechtes eine angemessene Strafe zuerkennt; auf jene Idee der Vergeltung, welche schon seit Jahrtausenden die Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung schuf mit der Bestimmung, daß da gelten müsse Äug um Auge, Zahn um Zahn, daß, wer Menschenblut vergieße, dessen Blut auch wieder vergossen werden soll. Wir theilen vollständig die Anschauung der Mehrheit über das Wesen der Strafe, über die Sühne, die Idee der Wiederherstellung der verletzten Gerechtigkeit. Darum wollen auch wir das S t r a f m a ß bestimmt wissen durch das Maß des Vergehens.

Eine bleibende Norm für die S t r a f a r t können wir aber in jenen tiefsinnigen Gedanken nicht finden. An das Äug um Auge denkt schon lange Niemand mehr; selbst des Todtschlägers Blut fordert heute Niemand mehr, seitdem eine Trennung der subjektiven Schuld vom objektiven Thatbestand vorgenommen und bei Ausmessung der Strafe in Rechnung gebracht wird. Es ist bloß noch der Frevel des vorbedachten Mordes, der nach der Mehrheit der Kommission nicht anders
richtig bestraft werden kann, als durch den Tod. Nicht anders richtig, denn der Tod sei die allein angemessene Strafe.

Sollte dies wirklich die Todesstrafe mehr sein, als die Gefängnißstrafe? Die Todesstrafe, welche die ganze Klasse dieser Verbrecher genau gleich behandelt, soll besser sein als die Gefängnißstrafe, welche den mit allen Bildungsmitteln ausgerüsteten, listigen und Bundesblatt. 31. Jahrg. Bd. I.

45

650 tückischen Verbrecher weit furchtbarer trifft als den verkommenen und in thierischer Lust würgenden Mörder ? Wir halten dafür, daß das Gefängniß seine Pein strikter der innern Strafbarkeit anpaßt als das Schwert, und darum auch gerechter ist.

So finden wir in jenem uralten Gesetze eine ewig bleibende Norm für das Strafmaß; die Strafart selber wird bestimmt durch die veränderlichen Anschauungen der jeweiligen Zeit, oder mit andern Worten : das Strafmaß adäquat dem Maße des Verbrechens ist eine Forderung der Sittlichkeit, die Strafart der Ausdruck der jeweiligen Sitte.

Wir erinnern in dieser Beziehung bloß noch an folgende zwei Thatsachen. Es ist das Zuchthaus, die systematische Beschäftigung der Sträflinge mit öffentlicher Arbeit, noch nicht älter als ein Jahrhundert. Und ferner, während in der Schweiz seit 30 Jahren die Todesstrafe für politische Vergehen aufgehoben ist und nicht mehr zurückverlangt wird, während hier ferner die Todesstrafe für den vorbedachten Mord festgehalten werden will, ist umgekehrt in Rußland die Todesstrafe für alle bürgerlichen Verbrechen abgeschafft und nur noch für das Verbrechen des Hochverraths aufrecht erhalten. In beiden Ländern will die Strafgesetzgebung im Dienste der Idee der Gerechtigkeit stehen.

Und wenn darauf hingewiesen wird, daß das auf christlicher "Weltanschauung beruhende Bechtsbewußtsein unseres Volkes die Todesstrafe gleichsam als eine gottgeordnete Institution verlange, so verstehen wir dieses einfach nicht. Unseres Wissens beschäftigte sich weder Christus noch Einer der Apostel mit den Fragen der äußeren Staatseinrichtung. Wer in den Worten : ,,Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst", eine Weisung für Aufrechthaltung der Todesstrafe finden wollte, würde mit gleichem Rechte in dem Worte Christi: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, die Empfehlung der Monarchie als der allein richtigen Staatsform besitzen. Das erste Christenthum nahm eben einfach die faktischen Verhältnisse hin und wies die Menschen an, ihre innere Herzensstellung zu Gott zu ordnen ; es beschäftigte sich nicht mit der Bestrafung, sondern mit der Vermeidung der Verbrechen; es wollte nicht die staatlichen noch gesellschaftlichen Verhältnisse umgestalten, sondern zeigen, wie in jedem Reich, in jedem Stand, selbst in Armuth und Schmerz ein Jeder in der Gotteskindschaft
glücklich sein kann.

Sie finden eine schöne Parallele in der Sklavenfrage. Wenn der Apostel die Sklaven anweist zur Treue gegen die Herren, so ist er darum kein Fürsprecher der Sklaverei. Diese war damals

651 schon fast so alt wie das Menschengeschlecht, und sollte von da an noch fast zwei Jahrtausende zu Recht bestehen. Sie war sowohl in das Rechtsbewußtseiu des Volkes übergegangen, als irgend eine andere staatliche oder gesellschaftliche Institution. Und ist es nicht gerade der Geist des Christenthums, der auch im schwarzen Bruder das Ebenbild Gottes sieht, der seit bald einem Jahrhundert die Frage erörterte, zu lösen suchte und nun in unsern Tagen, vor unsern Augen löst ?

Und gestehen wir nur offen, gerade ein christliches, auf positiver Glaubensüberzeugung beruhendes Motiv ist es, das Ihrem Berichterstatter auch die Todesstrafe als ein Unrecht erscheinen läßt.

Allerdings ist das Leben an sich der Güter höchstes nicht, sonst wäre es eine Thorheit und nimmer ein Heroismus, für einen hohen Gedanken freiwillig in den Tod zu gehen. Die christliche Weltanschauung findet eben im Menschenleben ein solches Glied einer höhern Weltordnung, dessen Bedeutung über das Grab hinausreicht. Diesseits ist ihm die Aufgabe gestellt einer Läuterung, die jenseits eine weitere Entwicklung und Vollendung erhalten soll.

Und darin finden wir den hohen Werth eines Menschenlebens.

Was sollte es denn sein anders als die Achtung für das Menschenleben, das uns die sorgsame Pflege all' jener der Gesellschaft abgestorbenen Glieder in den Irrenhäusern und Bewahranstalten für Blödsinnige aufs Gewissen bindet, als diese Achtung für das Menschenleben ? Warum empfinden wir da, wo die eigene Hand das Leben kürzt, neben allem Mitleiden doch den Stachel des Unrechts, und nur da, wo das Leben nicht sich selber genommen, sondern freiwillig hingegeben wird für das Vaterland oder eine tiefe Ueberzeugung, eine frühzeitige Läuteruug und vollständige Zweckerfüllung des Lebens ? Der leitende Faden für unsere Empfindung oder unser Urtheil ist die Achtung für das Menschenleben.

Und der Staat allein sollte bei der Wandelbarkeit seiner Grundsätze über die Strafarten der Verpflichtung zu dieser Achtung enthoben sein !

Es wird wohl hingewiesen auf die Bekehrungen und Besserungen der verurtheilten und zum Tode vorbereiteten Missethäter.

In Wirklichkeit finden wir da selten die nöthige Fassung ; meistentheils gibt sich der Zerknirschte stumpf und fast willenlos der Schlachtbank hin; oft genug setzt er sich leider in frivoler Weise oder in
erkünstelter Stärke über den bittern Augenblick hinweg.

Da legen wir denn doch mehr Gewicht auf die Möglichkeit der Umkehr des Gefangenen, dessen Leben tagtäglich an geordnete Pflichterfüllung gebunden ist. Wenn auch die Erfahrungen noch

652

immer gewichtige Einwendungen gegen solche Hoffnungen machen, so erscheint es denn doch menschenwürdiger, an solcher Besserung zu arbeiten und die Schwierigkeiten mit Umsicht und Geduld zu lösen, als sie einfach mit dem Schwerte zu zerhauen.

Wir sind überzeugt, daß das Rechtsbewußtsein des Volkes sich mit der Achtung für das Menschenleben nicht nur verträgt, sondern mit dieser im Grunde verbunden ist. Vielleicht bildet gerade diese Achtung für das Menschenleben auch mit den Grundton jener Ausbrüche der Entrüstung und des Entsetzens, welche jedem Morde folgen. Und wenn solches auch nicht der Fall sein sollte, so möchte es wohl eine würdige Aufgabe aller moralischen Mächte sein, diese Achtung zu pflegen. In jedem Falle sind wir überzeugt, daß schließlich immer der Anblick eines reuigen und stillen, fleißigen Sträflings für das von aller augenblicklichen Aufwallung freie Rechtsbewußtsein des Volkes ein ansprechenderer Anblick ist, als ein blutiges Haupt.

Es wird wohl auch in der fernem Diskussion uns entgegengehalten werden wollen, daß die Aufhebung der Todesstrafe einen Angriff auf die fundamentalen Einrichtungen des Staates involvire, da der Staat die Todesstrafe zur Aufrechthaltuag der Lebensordnungen bedürfe. Es wird damit der Staat als im Stande der Nothwehr betrachtet.

In der That des Mörders sehen wir allerdings einen Angriff auf die. Grundbedingungen der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, und darum ist der Mörder ein Feind von innen, wie derjenige, welcher des Vaterlandes Grenzen anfällt, ein Feind von außen ist. Beiden muß der Krieg erklärt, beide müssen unschädlich gemacht werden, und wenn es anders nicht geschehen kann, selbst mit Vernichtung ihres Lebens. Der Vergleich unserer Frage mit dem Kriege wird gewöhnlich in der Weise vollzogen, daß gesagt wird: Der Staat hat das Recht, den Wehrmann in den Tod für's Vaterland zu schicken, so hat er auch das Recht, den Mörder zu tödten. Dieser Vergleich ist kein richtiger. Der Staat schickt den Wehrmann nicht in den Tod, sondern in den Kampf zum Zwecke des Sieges. Fallen unsere Mitbürger, so beugen wir uns unter der Hand des Geschickes ; wir weihen das Grab der Gefallenen mit unserem Danke für das treue Erfüllen ihrer Pflicht bis zum Tode.

Je freiwilliger ihr Tod, je mehr derselbe die Folge und die Frucht der nicht kommandirten, sondern
der der eigenen Seele entsprungenen Impulse ist, desto mehr wird ihr Grab für Kinder und Kindeskinder ein heiliges Denkmal der vaterländischen Geschichte sein.

Aber dem Feinde, dem Feinde selber bestimmt der Staat den Tod, sofern.er nicht auf andere Weise unschädlich gemacht werden

653 kann. Dem Feinde gegenüber ist das Gebot: du sollst nicht tödten, suspendirt, da er uns selber mehr als das Leben, da er uns und den Unsrigen den Inbegriff des Glücks eines eigenartigen Daseins zu nehmen gekommen ist. Dem Feinde gegenüber befindet sich auch der Einzelne um so mehr im Stande der Eothwehr, je mehr er das Gefühl der Gefährdung seiner Mitbürger und seines Vaterlandes in seiner Seele zusammendrängt. ,,Es wird kein Pardon gegeben1' war einer der ersten Kriegsartikel zur Zeit der Burgunderkriege.

Und heute, welche Fortschritte hat doch die Achtung für das Menschenleben schon selbst im Kriege gemacht ! Wer den wehrlosen Gefangenen tödtet, erscheint uns schon als ein halber Mörder.

Ja auf dem Schlachtfelde selbst, mitten im Ringen um unsere staatliche Existenz, wenn der Feind, kaum verwundet, die tödliche Waffe sinken läßt, erfaßt ihn schon die helfende, die rettende Hand und sucht den letzten Funken des Lebens zu bewahren.

Vergessen wir nicht, meine Herren, daß die Genfer Konvention als ihr Symbol das Panier der schweizerischen Eidgenossenschaft trägt !

So finden wir, daß mit dem Verlaufe der Zeit die Achtung für das Menschenleben Schritt gehalten und immer tiefer Wurzeln geschlagen hat. Nur in jenem verschlossenen Winkel unseres festesten Gebäudes sollte sie keinen Boden finden. Die Schonung des Menschenlebens durch Durchführung der Freiheitsstrafen hat nach und nach die ganze Reihe der Verbrechen erfaßt; vor dem allerdings größten aber sollte sie auf einmal stille stehen. Und doch wissen wir Alle, wie die Logik eines verderbten Herzens von Stufe zu Stufe des Verbrechens führt und die Uebergänge von der einen Stufe zur andern oft kaum merklich sind und selbst die Kluft, die den Mörder vom Todtsehläger scheidet, gar oft nicht im freien Wesen oder Willen des Mörders, sondern in audern Umständen liegt.

Der verurtheilte und gefesselte Mörder ist für den Staat und die Gesellschaft kein Gegenstand der Nothwehr ; selbst wenn es ihm gelingen sollte, seine Fesseln zu brechen, so wäre er nicht mehr denn ein geächteter, verlorener Mensch.

,,Wenn aber der Mörder, namentlich der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilte und dadurch zur Verzweiflung gebrachte Mörder, so sehr des menschlichen Charakters und damit des menschlichen Anrechts sich entäußert hat, daß seine Hut dem Wärtor zur
beständigen Lebensgefahr wird? a Diese Frage stellt die Mehrheit der Kommission mit vollbewußter Prägnanz und spitzt die Sachlage in den allerdings schneidigen Satz zu : ,,so wäre denn im ganzen Lande keii anderes Leben

654

mehr gesichert vor dem Mörder, als dasjenige des lebenslänglich verurtheilten Mörders."

Die Vorfalle in der Basler Strafanstalt haben leider diese Sachlage in schauerliche Beleuchtung gestellt, und wir können es nicht umgehen, sie mit vollem Ernst ins Auge zu fassen. Wir sind auch hier nicht im Falle, eine kurze Formel aufzustellen, wie das Leben des Angestellten gegen den Angriff des Verbrechers sicher zu stellen sei. Wir verweisen einfach auf die Thatsache, daß das Zuchthaus im Allgemeinen erst eine Erfahrung von hundert, die moderne Strafanstalt erst eine solche von fünfzig Jahren hinter sich hat; daß ferner die Lösung der Aufgabe der Strafanstalt nach Seite der Bestrafung , der Besserung und der Befähigung des zeitlichen Sträflings zu späterem ehrenhaftem Fortkommen noch lange nicht gefunden ist. Wir erwarten von der Entwicklung des Instituts auch die Lösung der Frage, wie der Strafvollzug am lebenslänglich Verurtheilten zu gleicher Zeit gerecht und menschlich ausgeübt werden kann. Für diejenigen Kollisionen, wie die vorhin erwähnte, möchten wir erinnern an dasjenige Recht, welches zur Zeit des Krieges in Anwendung kommt und nicht für gewöhnliche bürgerliche Verhältnisse gilt. Wie dort ein strengeres Recht, ja selbst das Recht über Leben und Tod, geübt wird , wo Leben und höhere Lebensgüter in weitem Umfange in Gefahr gebracht werden, so wird vielleicht mit der Zeit sich ein Recht der Nothwehr auch für diejenigen Kreise ausbilden, welche als pflichtgetreue Organe der Lebensgefahr ausgesetzt sind.

Es ist lange genug die blutige Urtheilsvollstreckung auch als eine politische Nothwendigkeit erachtet worden, urn durch Erregung des Schreckens und der Furcht neuen Verbrechen vorzubeugen.

Dieser Anschauung der Dinge steht im Wege die Thatsache, daß gerade in jenen Zeiten so zahlreicher und martervoller Hinrichtungen die Verbrechen am zahlreichsten waren. Und auch die Erfahrung unserer Zeiten vermag keine starken Argumente für die Theorie der Abschreckung aufzustellen. Statt der Erschütterung, welche der blutige Abschluß einer verbrecherischen Laufbahn hervorbringen sollte, finden wir grausame Neugier, selbst grausamen Scherz und Unfug der Betrunkenen. Und als Folge eines solchen Tages finden wir bisweilen selbst bei Kindern die Nachahmung der Hinrichtung als ein.Kinderspiel! Das sind Saatkörner
nicht der Hebung, sondern der Verwilderung sittlicher Gefühle.

Wir fragen, ob es des Gesetzgebers nicht würdiger ist, in ganz anderer Weise pädagogisch vorzugehen, die erkennbaren Ursachen des Verbrechens ins Auge zu fassen und, soweit sie für ihn erfaßbar sind, zu entfernen. Die Regungen eines abgestumpften oder in

655 Leidenschaften gefangenen Herzens werden ihm zum großen Theile verborgen bleiben, aber der äußern Anstöße liegen denn doch sehr viele zu Tage. Es wird in der bundesräthlichen Botschaft hingewiesen auf die Noth der Zeit. Nach unserer Ansicht mit weniger Recht, denn von den in letztem Zeiten aufgetretenen Mordthaten wird wohl keine bezeichnet werden können, welche die Folge wäre eines vergeblichen Ringens um das Auskommen auf ehrlichem Wege.

Begründeter ist sicherlich der Hinweis auf die überhand nehmende Trunksucht, die wachsende Genußsucht und Ausschweifung, und wir fügen hinzu: die verwahrloste Erziehung eines großen Theiles unserer Jugend.

Durchgehen Sie die einzelnen Fälle, und Sie werden darin geradezu die Belege finden für die tiefe sittliche Schädigung unseres Volkes durch die genannten Schattenseiten unseres Lebens. Unsere Kommission hat, nachdem sie die erkennbaren Motive der einzelnen Frevelthaten neuester Zeit sich vergegenwärtigt, sich gefragt, ob nicht auch in der Wendung, welche unser staatliches Leben genommen hat, irgend welche Gründe der Verschlimmerung der Sitten liegen möchte. Und sie hat sich keineswegs verhehlt, daß das Wachsthum des Bewußtseins der Pflichten keineswegs Schritt gehalten hat mit demjenigen des Bewußtseins der Rechte. Es ist das Prinzip der persönlichen Freiheit in unserer Verfassung durchweg zur Geltung gebracht, und wir freuen uns dessen und möchten es nicht im mindesten trüben. Wenn aber in Folge der Freiheit in Schließung und Auflösung der Ehe die Erfüllung häuslicher Pflichten leicht genommen und der Gemeinde die Last der Erziehung bis zürn Erdrücken aufgebürdet wird ; wo die Freiheit der Niederlassung so leicht zum Deckmantel unsittlicher Lebensverhältnisse, wo die Gewerbsfreihcit an manchem Orte durch das Wuchern von Schenklokalen zur Karrikatur gemacht wird : da ist es wohl an der Zeit, den Rechten das Correlat der Pflichten an die Seite zu setzen. Klagen solcher Art werden vorzugsweise im deutschen Theile der Schweiz erhoben. Wenn die gesellschaftlichen Organismen, der Staat und seine Behörden ihr Augenmerk ernstlich richten auf die Erziehung unserer verlassenen Jugend, auf die in Unsittlichkeit geschaffenen Zerrbilder der Ehe, auf die auf die Leidenschaften spekulirenden Gewerbe, so werden, sie nach unserer Ansicht manchem schweren Verbrechen
sicherer vorbeugen, als durch das Fällen eines schuldigen Hauptes.

Nachdem wir, meine Herren, keine Nothwendigkeit erkennen ·weder für das Rechtsbewußtsein des Volkes noch für die Wohlfahrt des Staates zur Wiedereinführung der Todesstrafe, so könnten wir auch nicht Hand bieten zur Aenderunsr der betreffenden Ver-

656 fassungsbestimmung. Wir sind noch durch kein Argument erschüttert worden in unserer Achtung für das Menschenleben ; wir kennen nicht ein besonderes Sittengesetz für die Gemeinschaft und für den Staat; wir halten auch für diesen verbindlich das vor 3000 Jahren gegebene Gebot: Du sollst nicht tödten.

B e r n , den 18. März 1879.

Namens der Minderheit der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter: M. Birmann.

657

# S T #

Bericht einer

Fraktion der nationalräthlichen Commission zur Vorbe rathung der Revision des Artikels 65 der Bundesverfassung, betreffend die Todesstrafe.

(Vom 24. März 1879.)

Tit.!

Die Veranlaßung dazu, daß wir uns mit dem Art. 65 der Bundesverfassung zu beschäftigen, denselben in Wiedererwägung zu ziehen haben, ist eine zweifache.

Einmal die Anregung von Außen, die Volkspetitionen, welche in verschiedenen Formen die Aufhebung des Bundesverbots der Todesstrafe und der körperlichen Züchtigung verlangen.

Und zweitens die Motion des Herrn Ständerath F r eu l er, welche in den gesezgebenden Räthen selbstständig die Sache zur Verhandlung brachte.

Die Petitionen oder Volksbegehren für eine Revision des Art. 65 sind veranlaßt durch eine Reihe grausamer Mordthaten, welche in lezter Zeit in verschiedenen Gegenden der Schweiz die Gemüther in Aufregung gebracht, das Gefühl der öffentlichen Sicherheit erschüttert und in weiten Kreisen die Ueberzeugung hervorgebracht haben, daß die Abschaffung der Todesstrafe durch die Bundesverfassung von 1874 eine verfehlte Maßregel war.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission zur Vorberathung der Revision des Artikels 65 der Bundesverfassung. (Vom 18. März 1879.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1879

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

14

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.03.1879

Date Data Seite

645-657

Page Pagina Ref. No

10 010 265

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.