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Bericht einer

Fraktion der nationalräthlichen Commission zur Vorbe rathung der Revision des Artikels 65 der Bundesverfassung, betreffend die Todesstrafe.

(Vom 24. März 1879.)

Tit.!

Die Veranlaßung dazu, daß wir uns mit dem Art. 65 der Bundesverfassung zu beschäftigen, denselben in Wiedererwägung zu ziehen haben, ist eine zweifache.

Einmal die Anregung von Außen, die Volkspetitionen, welche in verschiedenen Formen die Aufhebung des Bundesverbots der Todesstrafe und der körperlichen Züchtigung verlangen.

Und zweitens die Motion des Herrn Ständerath F r eu l er, welche in den gesezgebenden Räthen selbstständig die Sache zur Verhandlung brachte.

Die Petitionen oder Volksbegehren für eine Revision des Art. 65 sind veranlaßt durch eine Reihe grausamer Mordthaten, welche in lezter Zeit in verschiedenen Gegenden der Schweiz die Gemüther in Aufregung gebracht, das Gefühl der öffentlichen Sicherheit erschüttert und in weiten Kreisen die Ueberzeugung hervorgebracht haben, daß die Abschaffung der Todesstrafe durch die Bundesverfassung von 1874 eine verfehlte Maßregel war.

658 Es sind diese Petitionen theils während der ordentlichen Wintersizung der Räthe im December 1878, theils seither eingekommen.

Sie stammen aus den verschiedensten Landestheilen der Schweiz, aus den Kantonen St. Gallen, Appenzell und Schaffhausen, aus dem Kanton Zürich, aus den Kantonen Bern, Freiburg und Waadt.

Die Zahl der Unterschriften beträgt mehr als 30,000,*) die Form der Motivirung und der Begehren selbst ist nicht völlig identisch, alle aber stimmen in dem Schlüsse überein, daß dem schweizerischen Volke Gelegenheit gegeben werden soll, auf dem Wege der Revision des Art. 65 das Verbot der Todesstrafe aus der Bundesverfassung wegzuschaffen.

Parallel damit hat Herr Ständerath Freuler am 2. December vorigen Jahres im Ständerath die Motion eingebracht : Die Bundesversammlung wolle beschließen: .1. Artikel 65 der Bundesverfassung sei aufgehoben, 2. An seine Stelle trete folgender Artikel : Auf politische Verbrechen und Vergehen darf im Gebiete der Eidgenossenschaft die Todesstrafe nicht verhängt werden.

3. Dieser Beschluß ist als Aenderung des Grundgesezes und als neues Gesez zu prornulgiren.

Diese Motion wurde am 17. December vom Ständerath erheblich erklärt und am 18. sammt den oben genannten Petitionen oder Volksbegehren dem Bundesrath zur Begutachtung zugewiesen.

Der Nationalrath trat am gleichen Tage diesem Beschlüsse bei, mit der weitern Verfügung, daß die Behandlung der Angelegenheit in einer besonders zu diesem Zweke angesezten Session der Räthe im Monat März 1879 stattfinden soll.

*) Die Zahl der Petenten ersteigt nach der Zusammenstellung des Justiz- und Polizeidepartements auf 3. März abhin 31,503, wobei jedoch die Nichtlegalisirten nicht abgezogen, aber anch die Kollektiveingaben mehrerer Vereine und Versammlungen im Kanton St. Gallen nicht in Berechnung gebracht sind. Darnach kamen Petitionen ein aus den Kantonen mit 5,952 Unterschriften, St. Gallen Zürich . 458 Schaffhausen ,, 2,176 682 Appenzell Bern .

. 339 Freiburg ,, 7,186 Waadt ,, 12,800 Seither sind noch circa 3000 Unterschriften aus dem Kanton Bern eingekommen.

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Der Bundesrath gab sein Gutachten unterm 7. März dahin ab, daß in die Motion Freuler und in die Petitionen um Wiedereinführung der Todesstrafe nicht einzutreten sei.

Die Priorität der Behandlung des Gegenstandes fiel dem Ständerathe zu, dessen Commission in ihrer Mehrheit zu einem dem Antrag des Bundesrathes entgegengesezten Vorschlag kam. Der Ständerath trat am 20. März dem Antrag der Mehrheit seiner Commission bei und beschloß: 1. Art. 65 der Bundesverfassung ist aufgehoben.

2. An seine Stelle tritt der frühere Art. 54 der Bundesverfassung von 1848, lautend : Wegen politischen Verbrechen darf kein Todesurtheil gefällt werden.

3. Dieser Revisionsartikel ist der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

Dieser Beschluß des Ständeraths liegt nun dem Nationalrathe zur seinerseitigen Behandlung vor.

Um eine Uebersicht über das Aktenmaterial zu geben, sind nun, außer den erwähnten Petitionen, hier noch'einige Kundgebungen zu verzeichnen, welche im Gegensaze zu denselben sich der Auffassung und den Anträgen des Bundesrathes anschließen : Bei den Akten liegen dießfalls: 1. Eine Resolution der Conferenz der neuenburgischen Advokaten vom 3. März 1879, die sich einfach für die Aufreehthaltung des Art. 65 ausspricht.

2. Eine Petition des Centralvorstandes des Schweiz. Grütlivereins d. d. Kriens 9. März 1879. Sie schließt dahin, es möchte den Petitionen für Abänderung des Art. 65 keine Folge gegeben, dagegen die Aufsicht über das Strafwesen von Bundeswegen geregelt, der Strafvollzug unter die Contrôle des Bundes gestellt, für die Errichtung zwekentsprechender Anstalten, besonders für jugendliche Verbrecher, die geeigneten Schritte gethan, endlich auf die Erziehung der Jagend von Bundeswegen ein wachsames Auge gerichtet werden.

3. Petition eines Herrn Publizisten Jaccard aus Ste. Croix, angeblich im Auftrag einer großen Zahl Bürger dieser Ortschaft.

Die Petition des Herrn Jaccard schließt auf Aufrechthaltung des Art. 65 und zeichnet sich durch einen besonders blühenden

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Styl aus: .,,L'échafaud", heißt es da, ,,c'est la barbarie, c'est le despotisme, le bourreau, c'est l'emblème des gouvernements tyranniques et despotiques" u. s. w. (Notiren wir beiläufig, daß in England, Frankreich, Deutschland und Italien die Todesstrafe noch gesezlich ist und auch die Bundesverfassung von Nordamerika deren Anwendung den Einzelstaaten nicht verbietet, so muß nach der Theorie des Herrn Eugen Jaccard unser Selbstbewußtsein an der Seite von Portugal und Rumänien mächtig wachsen !)

4. Eingabe des Herrn Conrad Kneubühler in Willisau, d.d. l I.März.

Herr Kneubühler will den Art. 65 aufrecht halten, empfiehlt dagegen dem Bundesrath, sein Augenmerk auf eine durch Unterhandlung mit einem größern Seestaate zu errichtende überseeische Strafkolonie für schwere Verbrecher zu richten, welche er einer Bundesstrafanstalt in der Schweiz vorzieht.

5. Eingabe einer 200 Mann starken Arbeiterversammlung in Bern zur Feier der Märzereignisse von 1848 und 1871, d. d. 17. März 1879. Dieselben protestiren ,,energisch" gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe, welche sie als ,,sittliche und politische Bankerotterklärung der herrschenden Gesellschaft,, 'betrachten müßten.

6. Memorial von drei Strafhausdirektoren Namens des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen, d. d. Zürich, 9. März. Diese sprechen sich in einläßlicher Motivirung für die Festhaltung des Art. 65 aus, nicht sowohl deßwegen, weil die Frage der Todesstrafe selbst in dem Vereine durchgängig gleichmäßiger Beurtheilung begegne, als vielmehr, weil sie in demselben den Anfang eines gemeinsamen schweizerischen Strafrechts erbliken, wofür der Verein sich schon früher ausgesprochen habe.

Unter dem der Commission zur Verfügung gestellten Aktenmaterial befinden sich auch eine Anzahl Drukschriften über die vorliegende Frage, die dem Bundesrathe und den gesezgebenden Räthen zu ihrer Belehrung zugekommen sind. England ist dabei vorzüglich zahlreich vertreten. Die meisten dieser Drukschriften liegen in englischer Sprache vor. Da jedoch in England die Todesstrafe noch besteht, ja selbst, außer den gewöhnlichen Formen des Köpfens und Hängens, in den auswärtigen englischen Besizungen dieselbe noch in Gestalt des Wegblasens vor Kanonen und in andern noch weniger bekannten Modalitäten praktizirt wird, auch die neunschwänzige Katze sich noch
in Verwendung befindet, so dachten wir, die englischen Drukschriften, als unrichtig adressirt, füglich außer Betracht stellen zu dürfen. Der Schriften unseres Herrn

661 Collegen Philippin und des belgischen Majors Bartel, sowie auch derjenigen des Herrn Professor Hilty, welche sämmtlich sich ebenfalls den Akten beigelegt finden, erwähnen wir einfach als verdienstlicher Privatarbeiten über die vorliegende Frage.

Schließlich müssen wir zur Vervollständigung unserer Uebersicht des Aktenmaterials noch der statistischen Erhebungen gedenken, welche der Bundesrath mittelst seiner an die Kantone versendeten Fragebogen veranstaltet hat. Diese Erhebungen hatten vorzüglich zum Zwek, eine Grundlage für Beurtheilung der Frage zu erhalten, welche Wirkungen die Todesstrafe zur Zeit ihres Bestandes auf die Zahl der todeswürdigen Verbrechen gehabt und wie sich dießfalls das Verhäliniß seit deren Abschaffung gestaltet habe. Die Richtigkeit der Schlüsse zu beurtheilen, welche aus diesem statistischen Material gezogen wurden, müssen wir einem Jeden überlassen.

Nachdem die Commission bereits ihre Arbeiten beendigt hatte, wurde ihr noch eine Zuschrift des Herrn Weltpostdirektors Eugen ·Borei überwiesen, welche erst am 24. dies an den Nationalrath eingelangt ist. Die Commission fand nicht mehr Gelegenheit, sich mit dieser Eingabe zu beschäftigen, deren Inhalt übrigens mit der konkreten Aufgabe, die uns gestellt ist, nichts zu thun hat. Herr Borei verlangt, daß die Bundesversammlung in Revision des Art, 64 sofort die Unification des gesammten.Civilrechts an die Hand nehme und die Art. 64 und 65 der gegenwärtigen Bundesverfassung durch Art. 55 des Projekts von 1872 erseze. Er begründet dieses Begehren wesentlich mit der betrübten Lage, in welcher er sieh als in Bern niedergelassener Bürger des Kantons Neuenburg bezüglich verschiedener civilrechtlicher Verhältnisse befinde und welche er mit der Bezeichnung ^absolute Rechtlosigkeita charakterisiren zu müssen glaubt, eine Lage, in welcher sich Tausende von Schweizern, die in einem andern als ihrem Heimatkanton oder im Ausland leben, gleichmäßig befinden. Da die Bundesversammlung gegenwärtig nur mit dem Art. 65, nicht aber mit dem Art, 64 der Bundesverfassung befaßt ist, und die schrekliche Lage, in welcher sich der Herr Weltpostdirektor befindet, noch keineswegs im Volke eine Bewegung gegen Art. 64, wie gegen Art. 65, hervorgerufen hat, so dürfte die Urgenz dieser verspäteten Anregung etwas in Zweifel gezogen werden.

Die Mitglieder
der Commission nun, die Sie mit der Vorberathung dieses Gegenstandes beauftragt haben, gingen in ihren Ansichten so sehr auseinander, daß wir Ihnen einen Mehrheits- und

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Minderheitsantrag nicht vorlegen können, indem sich für keinen materiellen Antrag eine homogene Mehrheit ergeben hat. Wir legen Ihnen daher als das Ergebniß unserer Berathungen eine Anzahl von Anträgen gedrukt vor, von welchen keiner die Mehrheit der Mitglieder auf sich vereinigt hat.

Ueber die formelle Frage, ob in eine Revision des Artikels 65 einzutreten sei oder nicht, hat sich allerdings eine Mehrheit der Stimmen in bejahendem Sinne ergeben, allein die Standpunkte der verschiedenen Gruppen der Commission, welche sich für eine Revision ausgesprochen haben, sind so verschieden, daß diese bloß formelle Mehrheit kaum in Betracht fallen kann.

1. Drei Mitglieder (Weck-Reynold, Arnold, Segesser) erklären sich für sofortige materielle Entscheidung nach dem Beschlüsse des Ständeraths, dem sie einfach beizutreten beantragen.

2. Zwei Mitglieder, die Herren Künzli und Brunner, denen sich in eventuellem Antrag auch Herr Scherb anschließt, wollen grundsäzlich die Revision des Artikels 65 ausspreehen. Dabei aber will Herr Künzli den Bundesrath ohne irgend welche Direction einladen, auf die nächste Junisizung eine neue Redaktion des Artikels vorzuschlagen. Mit dem Antrag des Herrn Künzli fällt gewissermaßen der eventuelle Antrag des Herrn Weber zusammen, welcher die Redaktion ebenfalls ohne bestimmte Direction, ob das Verbot der Todesstrafe aufgehoben werden soll oder nicht, dem Bundesrathe zuweist, aber für jeden dieser beiden Fälle eventuelle Directionen beifügt. Die Herren Brunner und Scherb endlich fügen dieser Einladung an den Bundesrath die Direction bei, daß das gesammte Strafrecht mit Einschluß des Strafvollzugs als Bundessache erklärt werde.

Die beiden unter l und 2 genannten Anträge, wiewohl alle beide auf Revision des Artikels 65 gehen, stehen einander diametral gegenüber. Der leztere in der Fassung der Herren Brunner und Scherb will das gesammte Strafrecht und den Strafvollzug centralisiren, der erstere will es von der Beschränkung des Artikels 65 emancipiren.

3. Beiden steht dann wieder entgegen die dritte Gruppe der Commission, bestehend aus den Herren Burkhard, Scherb und Weber, weiche im Anschluß an den Antrag des Bundesraths sich für Ablehnung jeder Revision des Artikels 65, beziehungsweise für einfache Abweisung der Petitionen und der Motion Freuler aussprachen.

4. Allen bisher genannten Anträgen, welche einen definitiven Entscheid über Revision oder Nichtrevision des Artikels 65 in irgend

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welchem Sinne geben wollen, steht der dilatorische Antrag des Herrn Philippin gegenüber, welcher die Behandlung der Petitionen und der Motion Freuler ohne Eintreten in die Materie auf die Junisizung verschieben und lediglich den Bundesrath bis dahin mit der Beantwortung einiger Fragen beauftragen will.

Es muß nun natürlich den verschiedenen Abtheilungon der Commission überlassen bleiben, ihre Anträge selbst zu motiviren.

Ich beschränke mich daher darauf, für die unter l genannte Abtheilung der Commission zu referiren, welche den Beitritt zu dem Beschlüsse des Ständeraths beantragt.

Fragen wir, um uns sofort den Standpunkt klar zu machen, den wir in der Sache einzunehmen haben, um was es sich denn eigentlich handle, so lautet die Antwort : Um nichts Anderes handelt es sich, als um die Frage, ob dem schweizerischen Volke die Gelegenheit gegeben werden soll, sich auf verfassungsmäßigem Wege darüber auszusprechen, ob es die neue Beschränkung des kantonalen Strafgesezgebungsrechts, welche durch Art. 65 in die Bundesverfassung hinein gekommen ist, fortdauern lassen wolle, ja oder nein.

Nichts Anderes wird von uns verlangt, nichts Anderes begehren die Potenten, nichts Anderes ist der Sinn der Motion des Herrn Freuler.

Indem wir, dem Beschlüsse des Ständeraths beitretend, das alte und das neue Recht dem Volke zur Auswahl vorlegen, geben wir ihm diese Gelegenheit; indem wir nach dem Antrag des Bundesraths Nichteintreten beschließen, versagen wir ihm dieselbe, soweit es an uns liegt.

Die Verfassung von 1874 hat der Kantonalsouveränetät das ganze Gebiet des Strafrechts, das sie bisdahin besaß, überlassen, mit der einzigen Ausnahme, daß sie die Todesstrafe und die körperlichen Strafen untersagte. Man verlangt nun in zahlreichen Volkskreisen , daß diese Ausnahme wegfalle und die Autonomie der kantonalen Legislatur hergestellt werde, wie sie vor 1874 bestund.

Wie das Volk das Recht hatte, im Jahre 1874 mit Mehrheit diese Beschränkung der kantonalen Autonomie zu beschließen, so hat es auch das Recht, sie heute wieder aufzuheben. Es kann aber dieses nicht anders geschehen, als auf dem Wege der partiellen Verfassungsrevision, eben weil ein Verfassungsartikel in Frage liegt.

664 Ob die gesezgebenden Räthe diese partielle Verfassungsrevision von sich aus einleiten, oder ob sie sich dazu zwingen lassen wollen, das ist eine Opportunitätsfrage.

Freilieh begegnet uns hier der speciose Einwurf: die Verfassung von 1874 kenne keine Möglichkeit einer Partialrevision ; entweder müsse die ganze Verfassung einer Totalrevision unterworfen werden, oder aber unverändert bleiben. Der gesunde Menschenverstand hat einige Mühe, diese Subtilität zu begreifen. Wer, seien es die Räthe oder 50,000 Bürger, das Recht hat, sämmtliche Artikel in Frage zu stellen, hat, sollte man meinen, offenbar auch das Recht, einen einzigen in Frage zu stellen, und eine Nothwendigkeit, auch den Artikel über Hochwildjagd und Vogelschuz der Revision zu unterwerfen, wenn man den Artikel betreffend die Todesstrafe revidirt, ist wohl kaum gegeben. Die Artikel 118 --121 regeln das Verfahren bei der Verfassungsrevision überhaupt und unterscheiden nicht zwischen Total- und Partialrevision. Man wird eben jeweilen nur dasjenige revidiren, dessen Revision verlangt wird, und nicht fragen, ob etwa noch Jemand da sei, der weiter zu revidiren wünsche.

Daß man aber, wie wir auch Meinungen begegnen, sagen hönnte, weil die Verfassung noch kaum 5 Jahre alt, und noch nicht völlig ausgebaut sei, dürfe daran nichts geändert werden, das können, wir nicht finden. Denn der Artikel 118 sagt : ,,Die Bundesverfassung kann jederzeit revidirt werden.tc Es ist kein Alter vorgeschrieben, das sie haben müßte, noch lesen wir da etwas über den Ausbau ; im Gegentheil kann das Volk finden, daß es gerade bei gewissen Dingen einen weitern Ausbau nicht wolle.

Was von der Bundesverfassung im Ganzen gilt, das gilt ohne Zweifel auch von jedem einzelnen Artikel.

Im Uebrigen ist ja die Frage durch die Bundesrevision von 1865 entschieden, das war die ausgesprochenste Partialrevision.

Nicht die ganze Verfassung wurde in Frage gestellt, sondern einige wenige Bestimmungen wurden herausgegriffen und dem Volke zur Abstimmung vorgelegt.

Wir wollen daher uns hiebei nicht lange aufhalten, aber auch bei der Befürchtung nicht, daß, wenn ein einziger Artikel abgeändert würde, dann die Lust zu weitern Abänderungen erwachen und die Schweiz in unabsehbare Verfassungswirren gestürzt werden könnte.

Das ist eine Sache, die man eben nicht hindern kann. So gut sich
eine Bewegung gegen den Art. 65 gebildet hat, kann auch, wenn sich weitgreifende Uebelstände zeigen, ein anderes Mal eine Bewegung gegen andere Artikel entstehen ; und wenn dieselbe sich innert den

665 verfassungsmäßigen Schranken hält, so werden wir auch da in lezter Instanz die souveräne Gewalt des Bundes entscheiden lassen müssen, und die sind eben nicht wir, sondern das Volk. Beschäftigen wir uns daher nicht mit Bewegungen,. die nicht oder einstweilen nur in unserer Phantasie vorhanden sind, sondern einfach mit derjenigen, über die wir heute zu sprechen haben.

Der Artikel 120 sagt: ,,Wenn eine Abtheilung der Bundesversammlung die Revision beschließt und die andere nicht zustimmt , oder wenn 50,000 stimmfähige Schweizerbürger die Revision verlangen, so muß in dem einen wie in dem andern Falle die Frage , ob eine Revision stattzufinden habe oder nicht, dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden. Sofern in diesem Falle clie Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger über die Frage sich bejahend ausspricht, so sind beide Räthe neu zu wählen, um die Revision an die Hand zu nehmen. " Nun hat der Ständerath bereits die Revision des Art. 65 beschlossen, und wenn er bei diesem Beschlüsse beharrt, wir aber demselben nicht zustimmen, so muß die Sache an das Volk gebracht werden.

Wenn aber der Ständerath auf seinem Beschlüsse auch nicht beharrte, sondern einem unserseits gefaßten ablehnenden Beseheide beiträte, so könnte nichts desto minder die Frage an das Volk gebracht werden, indem 50,000 Bürger das Revisionsbegehren stellten.

Es sind nun allerdings noch nicht 50,000 solcher Begehren gestellt, sondern nur circa 30,000, und man kann sogar zugeben, daß eine Anzahl derselben, die sich mehr auf den Standpunkt der Bitte als des strikten Begehrens gestellt haben, eliminirt werden könnte; allein es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn die Räthe dem Begehren um eine Volksabstimmung durch Ablehnung odor irgend welche Winkelzüge aus dem Wege gehen wollten, die erforderliche Zahl sich in kürzester Frist erfüllen würde.

Nun läge aber gerade in diesem Falle die G-efahr, welche Viele bei der Sache sehen, daß sich noch andere Desiderien geltend machen möchten, am nächsten. Durch den Widerstand der Räthe, das Volk zur Abstimmung über diese Eine Frage gelangen zu lassen, würde dasselbe auf allerlei Betrachtungen und Schlüsse geführt , welche möglicherweise dem Ausbau der Verfassung sehr wenig förderlich sein durften. Und die Abstimmung, die unter solchen Verhältnissen wohl verzögert, nicht aber verhindert werden
könnte, würde mit der allergrößteu Wahrscheinlichkeit ein Resultat ergeben, das auch den Schlußsaz des Art. 120 zur Anwendung brächte.

Bundesblatt. 31. Jahrg. Bd. I.

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Wenn man also das ,,principiis obstatt im Auge hat, so dürfte es gerathener sein, nicht durch Verweigerung oder Verzögerung der Gewährung eines Rechtes, das nun einmal dem Volke verfassungsgemäß zusteht und dessen Bedingungen, wenn sie nicht bereits erfüllt sind, in kürzester Frist erfüllt sein werden, weitern Bewegungen den Weg zu öffnen.

Nun könnten wir freilich sagen: Nach unsern Ueberzeugungen ist die Todesstrafe und sind die körperlichen Strafen überhaupt verwerflich; sie sind nun einmal abgeschafft, und wir bieten unsererseits in keiner Weise die Hand, diese Abschaffung irgendwie in Frage zu stellen.

Allein es handelt sich vorliegend gar nicht um unsere Ansichten und Ueberzeugungen über die Rechtmäßigkeit und Zwekmäßigkeit dieser Strafarten, und darum lassen wir auch alle Erörterungen darüber bei Seite, sondern es handelt sich nur darum, ob wir dem Schweizervolke, das in lezter Instanz zu entscheiden hat und dessen Anschauung das Gesez macht, die verlangte Gelegenheit geben wollen, sich durch Abstimmung darüber auszusprechen, ob das volle Gesezgebungsrecht über Strafsachen gegen gemeine, nicht politische Verbrechen den Kantonen zurükgegeben werden soll, oder ob es den Art. 65 aufrecht erhalten wolle.

Auch wenn wir dem Ständerathe beipflichten, ist damit die Aufhebung des Art. 65 noch nicht beschlossen ; und selbst wenn in der Abstimmung des Volkes und der Kantone diese Aufhebung die Mehrheit erhält, so ist deßhalb die Todesstrafe noch nicht wieder eingeführt. Denn dann hängt es erst wieder von den kantonalen Legislaturen ab, ob sie dieselbe in der That wieder einführen wollen oder nicht.

Aber dann , sagt man, könnte es sich ja ereignen, daß diese Strafarten in den einen Kantonen wieder eingeführt würden, in den andern aber nicht!

Und wenn auch dieses stattfände, so ginge es uns nichts an, ebenso wenig als es uns angeht, wenn in einem Kanton Diebstahl und Betrug mit Gefängniß, in dem andern mit Geldstrafe bestraft wird. Wer die Uniformität der Bestrafungen im Auge hat, darf nicht bei dem Art. 65 stehen bleiben, sondern müßte überhaupt die Centralisation des Strafrechts und Strafvollzugs anstreben, wie es die Herren Brunner und Scherb thun.

Hr. Künzli beantragt, wie Hr. Stehlin im Ständerath, den Bundesrath mit der Redaktion eines neuen Art. 65 zu beauftragen, nur mit dem Unterschied, daß Hr. Stehlin die Aufhebung des Verbots der Todesstrafe dem Bundesrath als Direction mitgeben wollte,

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während Hr. Künzli davon nichts sagt. Auf das Gleiche hinaus läuft auch der Antrag des Hrn. L. Weber. Diese Vorschläge beruhen auf der Ansicht, daß nach Art. 119 der Bundesverfassung bei der Gesezgebung alle drei Faktoren der Bundesgewalt betheiligt sein müssen: Bundesrath, Ständerath, Nationalrath. Nun hat aber der Bundesrath sein dießfälliges Gutachten schon abgegeben ; es lautet auf Nichteintreten , und damit ist jenes Requisit erfüllt.

Ihn mit der Redaktion zu behelligen , dafür ist kein Grund vorhanden. Wenn die Ansicht des Bundesrathes in den Räthen in Minderheit bleibt, so sind die Räthe vollständig befugt und, wie wir glauben, auch befähigt, die Redaktion ihres Beschlusses selbst zu formuliren.

Allerdings hat der Bundesrath in seiner Botschaft auch eventuelle Ansichten ausgesprochen. Er will dem Bunde für den Wegfall der im Art. 65 enthaltenen Beschränkung andere Befugnisse gegenüber der kantonalen Gesezgebung vorbehalten, welche noch stärkere Eingriffe in das Gebiet des kantonalen Strafrechts und Strafvollzugs in sich schließen , als selbst das Verbot der Todesstrafe. Allein gerade dieses wollen wir nicht. Entweder werde der kantonalen Gesezgebung die bürgerliche Strafgerichtsbarkeit voll und unverkürzt wieder anheimgegeben, oder die Sache bleibe wie sie ist.

Soweit die Motivirung des Antrags, zu welchem ich im Verein mit zwei andern Mitgliedern der Commission stehe.

Was schließlich meine eigene persönliche Ansicht betrifft, so werde ich, wenn ich in der kantonalen gesezgebenden Behörde eine solche auszusprechen habe, nicht für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmen ; allein wenn das Volk in Mehrheit sich gegen meine Ansicht erklärt, so anerkenne ich ihm dafür die volle Berechtigung. Der Bund dagegen verzichte auf den Eingriff in dieses Gebiet. Schon bei der Verfassungsrevision von 1866 hat das Schweizervolk mit großer Mehrheit sich gegen einen solchen Eingriff ausgesprochen, und ich bin zur Ueberzeuguug gekommen, daß, wenn 1874 artikelweise abgestimmt worden wäre, seine Stimmgebung über Art. 65 nicht anders ausgefallen wäre , als bei der Abstimmung von 1866.

B e r n , den 24. März 1879.

Der Berichterstatter:

Dr. Segesser.

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Bericht einer Fraktion der nationalräthlichen Commission zur Vorberathung der Revision des Artikels 65 der Bundesverfassung, betreffend die Todesstrafe. (Vom 24. März 1879.)

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29.03.1879

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657-667

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