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Schweizerisches Bundesblatt.

33. Jahrgang. IV.

Nr. 50.

26. November

1881.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

per Zeile 15 Kp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden Drnk nnd Expedition der in Bern.

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Bericht der

Mehrheit der nationalräthlichen Commission, betreffend den Gesezesentwurf über Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien.

(Vom 5. November 1881.)

Tit.

Angesichts der ausführlichen Begründung und manigfaltigen Auseinandersezungen, welche der vorliegende Gesezesentwurf in der in Ihren Händen befindlichen Botschaft des Bundesrathes und in dem Mehrheits- und Minderheitsbericht der ständeräthlichen Commission gefunden hat, kann es weniger unsere Aufgabe sein, die verfassungsmäßige Berechtigung des Bundes zur Gesezgebung auf diesem Gebiete, sowie die Notwendigkeit eines solchen Gesezes überhaupt nachzuweisen, als vielmehr den vom bundesräthlichen und ständeräthlichen Entwurfe etwas abweichenden Vorschlag unserer Commission zu begründen. Immerhin müssen wir uns auch über erstere Punkte einige Bemerkungen erlauben und sodann die gegen Epidemien überhaupt zu ergreifenden Schuzmaßregeln, namentlich aber die Frage der Impfung, in welch' lezterer unsere Commission sich prinzipiell in Mehrheit und Minderheit theilt, etwas einläßlicher besprechen.

Artikel 69 der neuen Bundesverfassung lautet: ,, D e m B u n d e s t e h t d i e Gesezgebung ü b e r d i e g e g e n gemeingefährliche Epidemien und Viehseuchen zu t r e f f e n d e n g e s u n d h e i t s p o l i z e i l i c h e n V e r Bundesblatt. 33. Jabrg. Bd. IV.

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f ü g u n g e n z u . " Während also die Verfassung von 1848 dem Bunde nur das Recht einräumte, beim Auftreten gemeingefährlicher Seuchen gesundheitspolizeiliche Verfügungen zu treffen, gewährleistet die neue Verfassung demselben wohlbewußt die gesezgeberische Ordnung dieser Materie in ihrer Gesammtheit und zu jeder Zeit. Eine Einschränkung findet das Gesezgebungsrecht desBundes dabei nur insofern, als man dasselbe auch auf jene Epidemien ausdehnen wollte, welche nicht zu den ,,gemeingefährlichen "· gezählt werden dürfen. Welche Epidemien aber zu den ,,gemeingefährlichen"' gehören, das zu bestimmen ist wieder Sache des Gesezgebers, und wenn der Bundesrath und nach ihm der Ständerath in ihren bezüglichen Entwürfen als solche P o k e n , a s i a t i s c h e C h o l e r a , F l e k f i e b e r und P e s t bezeichnen, so sind sie wohl nicht zu weit gegangen, und wir schließen uns dieser Auffassung vollkommen an.

Gerade in der Art und Weise des Auftretens und der Weiterverbreitung dieser Seuchen liegt nun aber auch die N o t h w e n d i g k e i t , von Bundeswegen gewisse gesezliche Normen aufzustellen, nach welchen dieselben bekämpft vyerden sollen und allein bekämpft werden können, sowie dem Bunde die Oberaufsicht über die Vollziehung des Gesezes in den Kantonen zu übertragen.

Hier genügen Polizeimaßregeln einzelner kleinerer Gemeinwesen, ja selbst der größern Kantone, welche zur Abwehr getroffen werden, und wenn dieselben auch noch so rigorose Bestimmungen enthalten, nicht, da die Hauptsache in einer einheitlichen Durchführung der Anordnungen, nach bestimmten leitenden Grundsäzen und ohne Rüksicht auf kantonale Liebhabereien und Grenzpfähle besteht.

Angesichts der großen sanitarischen und volkswirtschaftlichen Interessen, die hier in Frage kommen, müssen kleinere Eifersüchteleien kantonaler Autoritäten gegenüber derjenigen des Bundes verschwinden. Wir haben ohne Rüksicht auf die Kantonalsouveränität schon längst ein eidgenössisches Viehseuchengesez geschaffen und sollten davor zurükschreken, den Bund ein Wort mitsprechen zu lassen , wenn es sich um die Erhaltung von tausend und tausend Menschenleben handelt. Wenn man die Sorgfalt sieht, mit welcher die ersten Fälle von Rinderpest verfolgt, die ersten Coloradokäfer vernichtet, die Reblaus bekämpft wurde, so wird man gern die Thatkraft und Energie
der leitenden Organe anerkennen, aber man wird um so mehr berechtigt sein, zu fragen, warum man nicht Gleiches that, um das Auftreten, resp. die Weiterverbreitung derjenigen Krankheiten des Menschengeschlechts zu hindern, die nach allgemeiner Ansicht vermeidbar sind. Fast möchte es scheinen, als ob man bei uns den Werth des Menschenlebens noch nicht mit volkswirtschaftlichem Geist abzuschäzen vermöchte!

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Uebrigens kann man, namentlich angesichts der Vorlage unserer Commission, wohl kaum mehr von einem Eingriff in die Befugniß d e r Kantone sprechen, d a u n s e r E n t w u r f n u r d i e l e i t e n d e n G r u n d s ä z e i m A l l g e m e i n e n a u f s t e l l t , die Ausführung des Gesezes aber in allen Einzelheiten den Kantonen überträgt, allerdings und selbstverständlich in der Meinung, daß der Bund die Vollziehung zu überwachen und die ihm für dieselbe erforderlich und geeignet scheinenden Maßregeln zu treffen habe.

Die Kantone machen die Epidemiepolizei und nicht der Bund; dieser hat nur dafür zu sorgen, daß in den erstem eine solche Organisation vorhanden sei, welche es ermöglicht, die Bestimmungen des Gesezes in zwekentsprechender Weise zu vollziehen. Deßhalb muß dem Bundesrathe auch das Recht vorbehalten bleiben, die bezüglichen kantonalen Geseze und Verordnungen zu prüfen und zu genehmigen und nöthigenfalls deren Abänderung zu verlangen.

Allerdings, wenn die dem Bunde zustehende Berechtigung, die Vollziehung des Gesezes zu überwachen, nicht illusorisch sein soll, so muß ihm auch das Recht zustehen, überall da selbst einzugreifen und die nöthigen Verfügungen zu erlassen, wo die gesezlichen Vorschriften nicht ausgeführt oder umgangen werden wollten. Man hat sodann Einsprache gegen den vorliegenden Gesezesentwurf erheben zu sollen geglaubt vom Standpunkte der Wahrung der m e n s c h l i c h e n W ü r d e und der i n d i v i d u e l l e n F r e i h e i t !

Wenn wir nun auch glauben und hoffen, daß angesichts der Fassung, welche unsere Commission dem Entwurfe gegeben hat, diese Vorwürfe größtentheils dahin fallen, so müssen wir doch noch mit einigen Worten darauf eintreten.

Wir vermögen nämlich im ganzen Gesezesvorsehlag nicht einen Paragraphen zu entdeken, der die menschliche Würde auch nur einigermaßen beeinträchtigte oder der den Begriffen der Civilisation nicht entspräche; und was die Beschränkung der individuellen Freiheit betrifft , so wird dieselbe nur insoweit in Anspruch genommen, als es im Interesse des allgemeinen Wohles absolut nothwendig ist. So wenig wir die natürlichsten und heiligsten Gefühle der Familie verlezen, so wenig wir das Individuum ganz dem allgemeinen Interesse opfern wollen, ebensowenig können wir aber auch zügeben, daß aus übel verstandener Humanität ganze
Familien und Gemeinden durch Krankheit und Tod dezimirt und daß unter dem Titel der Menschenwürde und der individuellen Freiheit es dem Einzelnen freigestellt werde, eine anstekende Krankheit unbehelligt weiter zu verbreiten.

Wir betrachten es, um mit Sonderegger zu reden, umgekehrt als eine Forderung der Humanität, daß auch auf dem abseits-

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liegenden und dustern Gebiete der Volkskrankheiten der schweizerische Wahlspruch : ,,Alle für Einen und Einer für Allea eine gewisse Bedeutung habe, und daß das Vaterland nicht bloß alle modernen Methoden, das Leben aufzureiben, sondern auch die modernen Hülfsmittel, es zu erhalten, kenne und übe. Ein Epidemiengesez ist eben nicht nur eine Institution zur Pflege der Kranken, sondern ganz besonders zum Schuze der Gesunden,. so recht eigentlich ein großes Werk der "Barmherzigkeit !

Uebrigens finden wir gerade in solchen Staaten, in denen die individuelle Freiheit vor allem hoch gehalten wird, in England und vielen Staaten der amerikanischen Union, mit Bezug auf Organisation der öffentlichen Gesundheitspflege und sanitarische Gesezgebung solche Einrichtungen und Bestimmungen, wie sie unser GesezesVorschlag enthält. In diesen Staaten besteht namentlich auch ein centrales Gesundheitsamt, welches gegenüber von Epidemien für die Einheit und Energie der Sehuzmaßregeln zu sorgen hat.

Allerdings gibt es noch kein deutsches Epidemiengesez; aber alle großem deutschen Staaten haben ihre einheitliche Leitung des Medizinalwesens und der Epidemienpolizei, und es besteht ein centrales Reichsgesundheitsamt, bei welchem gerade jezt ein Reichsgesez, betreffend Maßregeln zum Schuze gegen Infektionskrankheiten des Menschen, in Bearbeitung ist.

Die Niederlande haben ebenfalls ein Epidemiengesez,' welches Alles enthält, was der eidgenössische Entwurf verlangt, ausgenommen die obligatorische Impfung, deren Abwesenheit durch eine ungewöhnlich hohe Pokentodesziffer illustrirt wird. Wenn anderseits mit Frankreich, Italien, Oesterreich, die keine solchen Geseze besizen, exemplirt werden will, so ist daran zu erinnern, daß man sich in Frankreich einfach mit Ministerialverfügungen behilft und einen Inspektor mit großen Befugnissen in's Land hinausschikt, wo ein Einschreiten als nöthig erachtet wird. Uebrigens vermögen wir die Notwendigkeit nicht einzusehen, warum wir Schweizer gerade jene Staaten uns zum Vorbilde nehmen sollten, welche in dieser Beziehung die allerschlechteste Ordnung haben !

Endlich machen wir darauf aufmerksam, daß das, was wir durch die Vorlage für die ganze Schweiz anstreben, in der Hauptsache schon in einer Reihe von Kantonen besteht, so in Zürich, Basel-Stadt, St. Gallen, Thurgau, Luzern, Neuenburg
und andern, daß aber die besten sanitären Sehuzmaßregeln nichts nüzen, wenn sie auf einen zu kleinen Raum beschränkt und daß darum die einzelnen Kantone machtlos sind, wenn es sich um wirksame Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes, einer großen, Tod und Verderben bringenden Epidemie handelt!

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Wenn wir sonach mit Bezug auf Verfassungsmäßigkeit und Notwendigkeit eines eidgenössischen Epidemiengesezes mit Bundesrath und Ständerath einig gehen, so weichen wir dagegen von jenen ab bezüglich der A u s d e h n u n g und der F o r m des zu erlassenden Gesezes, ohne indessen bei unsern Reduktionsvorschlägen so weit zu gehen, wie die Minderheit der Commission des Ständerathes. Ein Gesez im Sinne der leztern wäre ein Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt.

In erster Linie wollen wir das Gesez n u r angewendet wissen auf die ,, g e m e i n g e f ä h r l i c h e n E p i d e m i e n a , wie sie im e r s t e n A l i n e a des A r t. l aufgeführt sind. Wir wollen nicht, indem wir im zweiten Alinea dieses Artikels sofort eine ganz bedeutende Erweiterung in der Anwendung auch auf andere Krankheiten zugeben, die im ersten Alinea enthaltene Definition illusorisch machen. Das Gesez soll angewendet werden gegen Seuchen, die nicht nur lokale Bedeutung, sondern die eine entschiedene Tendenz zur Weiterverbreitung über größere Landesstreken haben, zu deren Bekämpfung im eigenen Kanton die kantonale Gesezgebung nicht ausreicht, oder wo es sich darum handelt, deren Verschleppung in andere Kantone zu verhüten.

Allerdings können auch andere Epidemien, als die vier in Art. l, Alinea l genannten, einen Charakter annehmen, daß sie ,,gemeingefährlich1111 auftreten, und es kann nöthig werden, gegen dieselben mit den gleichen energischen Maßregeln einzuschreiten; allein diese Fälle gehören zu den Ausnahmen. Diese Krankheiten als solche können n i c h t von v o r n h e r e i n unier den in Art. 69 der Verfassung aufgenommenen Begriff der Gemeingefährlichkeit gestellt werden, welch' leztere ihnen erst eigen wird unter gewissen zeitlichen und örtlichen ungünstigen Verhältnissen und Bedingungen, durch welche die Bösartigkeit des Uebels und dessen Anstekungsund Verbreitungsfähigkeit bestimmt wird. Hieher rechnen wir den S c h a r l a c h , die D i p h t h e r i t i s , den T y p h u s und die R u h r.

Während diese Epidemien jahrelang nur sporadisch oder mehr endemisch in kleineren Gebieten auftreten, während ihre Intensität und Gefährlichkeit lange Zeit eine nur geriuge ist, können auch sie plözlich den Charakter Alles verheerender Seuchen annehmen, größere Gebiete überziehen und Tausende dahinraffen. So sehr es daher d
a n n gerechtfertigt erscheint, auch gegen sie alle im Geseze vorgesehenen Maßregeln anzuwenden, so wenig scheint es angezeigt, im erstem Falle den ganzen großen Apparat der Seuchenpolizei zu verwenden, auf diese Weise die Schärfe des eidgenössischen Seuchengesezes nuzlos abzustumpfen und eine laxe Handhabung

286 desselben zu begünstigen, abgesehen davon, daß sich die öffentliche Meinung eine solche Interpretation des Art. 69 der Verfassung und eine solche rigorose Gesezesanwendung nicht gefallen ließe. Wir halten es deßhalb nicht für gerechtfertigt, eine nur ausnahmsweise und eventuelle Anwendung des Gesezes an die Spize derselben zu stellen und glauben der Verfassung eher zu genügen und den Zweck besser zu erreichen, wenn wir in A r t. 19 d e s E n t w u r f e s diejenigen Maßnahmen feststellen, welche zu ergreifen sind, wenn auch die zuleztgenannten Epidemien wirklich ,,gemeingefährlich" werden.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied unserer Vorlage von derjenigen des Ständerathes und namentlich des Bundesrathes beruht darin, daß wir uns bemüht haben, in dieselbe nur die l e i t e n d e n G r u n d s ä z e aufzunehmen, ohne damit das Wesentliche außer Acht zu lassen. Dadurch, daß der ursprüngliche Entwurf zu sehr in1 s Detail eingetreten ist, daß man geglaubt hat, für jeden denkbaren konkreten Fall mit scrupulösester Gewissenhaftigkeit ganz spezielle Regeln der Durchführung aufstellen zu müssen, hat man es dahin gebracht, das Aussehen des Gesezes viel grimmiger zu machen, als es in der That ist. Möge man nicht vergessen, daß troz aller Ausführlichkeit nicht Alles reglementirt werden kann, daß am Ende nicht der todte Buchstabe des Gesezes, sondern dessen Ausführung und vernünftige Anwendung die Hauptsache ist. Gerade die Thatsache, daß die in den Vorlagen enthaltenen Hauptpunkte seit Jahren schon in einer Reihe schweizerischer Kantone bestehen und genau durchgeführt werden, gewährt uns die Beruhigung, daß dies auch mit einem eidgenössischen Epidemiengesez der Fall sein wird, wenn in demselben auch nicht die ganze Seuchenpolizei von A bis Z paragraphirt ist. Ein Epidemiengesez, welches in den Hauptpunkten allerdings strenge Anforderungen stellen muß, kann dennoch leicht und schonend ausgeführt werden, wenn man halbwegs Verständniß und guten Willen dafür hat, wenn die richtigen Organe gefunden und unnüze Plakereien vermieden werden.

'.!

Von diesem Standpunkte aus sind wir dazu gelangt, die Bundeskompetenz und diejenige der Kantone möglichst kurz zu präzisiren und sodann in wenigen Artikeln das allein Nothwendige, aber nach unserer Ansicht dennoch vollkommen Genügende, über militärische Gesundheitspolizei,
vorbeugende Maßregeln, Anzeigepflicht, Isolirung, Leichenbesorgung, Desinfektion, Vaccination, zeitlich gemeingefährliche Epidemien, Kosten und Strafbestirnmungen festzustellen.

Wir haben deßhalb alles Detail, das sich auf die Ausführung mit Bezug auf die Seuchen im Allgemeinen bezieht, gestrichen, und

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beantragen Ihnen im Fernern, auch sämmtliche Artikel, welche sich unter Titel HI ,,Besondere Bestimmungen" befinden, mit Ausnahme derjenigen über die Vaccination, wegzulassen.

Mit Bezug auf die B u n d e s k o m p e t e n z und d i e j e n i g e der K a n t o n e überträgt der Entwurf dem Bundesrathe die Oberaufsicht mit der Ermächtigung, die zur Vollziehung erforderlichen Maßregeln zu treffen. Die Kantone vollziehen innerhalb des Rahmens der im Geseze aufgestellten Grundsäze. Wenn wir Ihnen, wie der Ständerath, beantragen, die im Entwurfe des Bundesrathes vorgesehene Sanitätscommission zu streichen, so geschieht es nicht deßhalb-, weil wir glauben, daß der Bundesrath bei der ihm übertragenen Oberaufsicht allen ärztlichen Beirath entbehren könne.

Nein. Die Aufgaben, die eine richtige Handhabung des Epidemiengesezes stellt, liegen nicht so einfach, daß sie mit andern Hülfsmitteln, als denen eines eingehenden Studiums und der persönlichen Erfahrung bearbeitet werden könnten, und so gut in juristischen Fragen der Jurist und in pädagogischen der Lehrer mitzusprechen hat, so gut muß hier das Votum der Medizin gehört und beachtet werden, aber hiezu braucht es k e i n e r s t ä n d i g e n Commission.

Es dürfte genügen, wenn der Bundesrath die ihm geeignet scheinenden Fachexperten zuzieht, wenn er es für nöthig erachtet. Es ist ja denkbar, daß eine solche Commission, speziell für die im Geseze vorgesehenen Zweke, jahrelang nicht in Fall kommt, zu amten. Wozu also eine neue Behörde auf dem Papier kreiren?

Wozu eine Commission, wenn unter Umständen l, 2, 3 Experten genügen ?

D i e m i l i t ä r i s c h e G e s u n d h e i t s p o l i z e i überträgt ·der Entwurf'unmittelbar dem Bundesrath. Während eine Minderheit unserer Commission die dabei zu treffenden Maßnahmen nur innerhalb dem Rahmen dieses Gesezes gestatten will, hält die Mehrheit dafür, daß hier keine Beschränkung stattfinden solle, daß es, entsprechend der centralen Verwaltung des eidgenössischen Heerwesens und den bei der Armee in ganz außerordentlicher Weise möglichen Verkommenheiten und mit Bezug auf allfällige Epidemien kaum vorherzusehenden Complikationen, dem Bundesrathe gestattet ;sein soll, die ihm mit Bezug auf die Gesundheitspolizei der Armee ^überhaupt nothwendig scheinenden Maßregeln zu treffen. Wir stehen nicht an, es hier schon
auszusprechen, daß wir zu diesen Maßnahmen auch die R e v a c c i n a t i o n u n s e r e r M i l i z e n zählen, zu deren Anordnung wir dem Bundesrathe das Recht ausdrücklich vindiziren.

Sodann will die Mehrheit der Commission auch das zweite Alinea des Art. 4, welches die Minderheit zu streichen beantragt,

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aufrechthalten, da es für die Gesundheitspolizei der bürgerlichen Bevölkerung eines Kantons, zum Zweke der Anordnung sichernder Maßnahmen, eben so nöthig ist, von einer epidemischen Erkrankung eines auf seinem Territorium befindlichen Militärs Kenntniß zu haben, als von derjenigen eines Bürgers.

Die am wenigsten bestrittenen Forderungen im ganzen Geseze, sind wohl diejenigen, die wir unter dem Titel : ,, V o r b e u g e n d e M a ß r e g e l n a zusammengefaßt haben. Ein großer, ja der hauptsächlichste Theil dessen, was da verlangt wird, gehört ja nicht nur der Seuchenpolizei an, sondern bildet eine wesentliche Aufgabe der so warm anerkannten öffentlichen Gesundheitspflege überhaupt. Contrôle der Lebensmittel und der Getränke, Reinhaltung von Wohnhäusern,, Straßen, Pläzen, Höfen und Gewässern, Sanirung des Untergrundes, Pflege der scrupulösesten Reinlichkeit im Allgemeinen und bei den Einzelnen sind die ersten Anforderungen, welche die Hygieine an unsstellt, selbst \venn weit und breit keine Epidemie in Sicht ist, deren strengste Handhabung daher um so dringender ist, wenn eine solche uns bedroht. Auch hier gilt das geflügelte Wort: ,,Si vis pacem, para bellum !"· Die öffentliche Gesundheitspflege muß nach jeder Richtung hin bemüht sein, mit den sanitären Uebelständen aufzuräumen, bevor die Invasion einer Seuche erfolgt ist; sie muß eine planmäßige Förderung aller Salubritäts-Verhältnisse vorbereiten, um einem etwaigen Ueberfall mit den Waffen in der Hand zu begegnen.

Dabei kann natürlich zur Abwehr dringender Gefahren niemals die Erledigung theoretischer Fragen abgewartet werden, die nöthigen Schuzmaßregeln müssen an der Hand bewährter Thatsachen und Erfahrungen und nicht selten aus Gründen der Wahrscheinlichkeit und Zwekmäßigkeit getroffen werden. Die Hauptthätigkeit wird auf die Erforschung der Infectionsherde, in denen das Centrum der sanitären Uebelstände wurzelt, gerichtet bleiben." Es wird stets eine schwierige Aufgabe sein und bleiben, das Wesen ,,der spezifischen Kranheitskeimett zu ergründen, aber die Geseze und Bedingungen, unter denen sie ihre weitere Entwiklung finden, ü b e r t r a g b a r und i n f e c t i ö s werden, sind erforschbar. Es sind daher auch ihre wichtigsten Brutstätten aufzusuchen, zu vernichten und vor allem der Kampf zur Vernichtung des Schmuzes über und unter der
Erde in unerbittlichster Weise zu führen, da lezterer höchst wahrscheinlich der Hauptträger der spezifischen Krankheitskeime ist und daher der Kampf gegen denselben im eigentlichen Sinne des Wortes ein Kampf ums Dasein ist.

Die unbedingte und unverzügliche A n z e i g e p f l i c h t , wie wir sie in Art. 6 des Entwurfes verlangen, ist der Anfang und die Grundlage jeder Seuchenpolizei. Von Vorbeugung, von Er-

289 stikung einer Seuche in ihren ersten Anfängen kann bei übel angewandter ärztlicher Geheimthuerei keine Rede sein. Dennoch hat der ärztliche Verein des Kantons Genf in einer Eingabe an den Bundesrath sich gegen die Anzeigepflicht ausgesprochen. Weil in § 378 des Genfer Strafgesezes die Strafe festgesezt ist, die den Arzt treffen soll, welcher Geheimnisse ausschwazt, dürfe der Arzt auch nicht anzeigen, in welchem Hause er einen an einer der genannten Epidemien Erkrankten behandle. Allein der angerufene Art. 378 sieht in seiner Redaktion ausdrücklich den Fall vor, daß Geseze den Arzt verpflichten können, sein Geheimniß gegenüber der Behörde zu offenbaren, indem er die Bewahrung des secret médical nicht unter allen Umständen verlangt, sondern beifügt: Hors le cas où la loi oblige les médecins à se porter dénonciateurs. Dieser Fall muß aber gerade bei den besprochenen Epidemien eintreten 5, denn wer kann leugnen, daß die durch unterlassene Anzeige vermittelte Ausbreitung von Poken, Flekfieber, Cholera oder Pest nicht ein Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit sei? Sobald daher die ärztliche Erfahrung die Anstekungsfähigkeit und die Gemeingefährlichkeit einer Krankheit festgestellt hat, ist auch der Gesezgeber verpflichtet, zur Verhütung des öffentlichen Schadens Anzeige zu verlangen. Die größere Pflicht muß die kleinere aufheben, das Interesse von 1000 Menschen wiegt schwerer als das eines Einzelnen.

Im Kapitel I s o l i r u n g haben wir am ursprünglichen bundesräthlichen und auch am ständeräthlichen Entwurf am meisten Kürzungen vorgenommen. Nicht als ob wir nicht auch der Ansicht wären, daß die Absonderung der betreffenden Kranken von den Gesunden eine absolute Noth wendigkeit wäre, sondern deßwegen, weil wir glauben, daß mit unserer Redaktion alles Nöthige gesagt ist, und daß es gerade in diesem Gebiete eine Unmöglichkeit, ist, für jeden einzelnen Fall gesezliche Bestimmungen aufzustellen, alle Eventualitäten vorauszusehen und alles zu reglementiren, indem hier vor allem das gilt, was wir oben im Allgemeinen auseinandergesezt haben.

Dagegen sind wir weit entfernt, uns auf den Standpunkt der Minderheit der Commission des Ständerathes zu stellen, daß überhaupt keine Isolirung stattfinden dürfe. Im Gegentheil : Ohne möglichste Isolirung anstehender Kranker ist jede Seuchenpolizei eine unnüze
Plage, ein Widerspruch in sich selber. Wir geben zu, daß die Isolirung nicht absolut schüzt, aber sie schüzt so viel als möglich und hat sich noch überall, wo es Ernst galt, bewährt.

Uebrigens existiren all' die Schreklichkeiten, wie sie diesbezüglich im ständeräthlichen Minderheitsbericht geschildert werden, in der

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Wirklichkeit gar nicht, sind theilweise Phantasiegebilde und beruhen nicht zum mindesten auf Verwechslung der Isolirung mit der Auslogirung, zwangsweisen Ueberführung in ein Absonderungshaus etc. Man darf im G-egentheil behaupten, daß in Zeiten schwerer, in hohem Grade infectiöser Epidemien zuweilen eine Art Volks. Justiz geübt wird, welche weit rüksichtsloser verfährt als irgend ein Epidemiengesez, und daß anderseits die Maßregeln, wie wir sie mit Bezug auf Absonderung vorschlagen, abgesehen von vielen -anderen Staaten, in einer Menge schweizerischer Kantone schon längst gefordert, mit Vertrauen aufgenommen und in strenger, aber daneben humaner und verständiger Weise ausgeführt worden sind.

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' · Eine Minderheit unserer Commission will bei diesem Anlaß auch denjenigen gesunden Personen, welche nicht als Krankenpfleger oder durch eigenes Verschulden der Isolirung unterworfen werden und dadurch ihren Erwerb verlieren, ohne weiteres Anspruch auf Entschädigung gewähren, während die Mehrheit mit 'dieser Ansicht, als zu weit gehend und unter Umständen ganz kolossale Ansprüche zur Folge habend, sich nicht befreunden kann, Wir glauben in dieser Richtung genügend vorgesorgt zu haben, wenn wir in Art. 10 die Desinfektion auf öffentliche Kosten überoehmen, in Art. 15 den Kostenpunkt der Impfung reguliren und ïm Uebrigen, wie es in Art. 5 geschieht, für unentgeltliche Verpflegung und ärztliche Behandlung armer Kranken sorgen, wobei wir es als selbstverständlich betrachten, daß auch Gesunde, die , arm sind und in Folge der Isolirung erwerbsunfähig werden, schon vom Standpunkte der Armengesezgebung aus unterstüzt, resp. entschädigt werden müssen, ohne daß es im vorliegenden Geseze noch expressis verbis gesagt werde. Eine Entschädigungspflicht des Staates oder der Gemeinden aber allen Betroffenen, auch Wohlhabenden und Reichen gegenüber zu statuiren, scheint uns kaum gerechtfertigt. Jedenfalls kann es nicht Sache des Bundesgesezes sein, A l l e s , was sich auf die Vertheilung der Kosten auf den Einzelnen, auf die Haushaltung, auf die Gemeinde oder den Kanton bezieht, festzusezen, sondern es muß dies theilweise den Kantonen überlassen werden, in deren Händen die Organisation und Verwaltung des öffentlichen Gesundheitsdienstes liegt.

Auch m i t Bezug a u f V o r k e h r u n g e n b e t r e f f e n d d i e !L
e i c h e n beschränkt sich unser Entwurf auf das Noth wendigste, mit Hinweglassung alles dessen, was Sache der Vollziehung ist.

Wenn es sich um Bekämpfung von Infektionskrankheiten handelt, ist eine systematische D e s i n f e k t i o n unerläßlich. Für das Zustandekommen jener Krankheiten sind nach den jezt heri>

29L sehenden Ansichten vorzugsweise organische, vermehrungsfähige Keime (Bactérien) erforderlich ; in einzelnen Fällen werden indessen auch Miasmen, d. h. nicht organische, gasartige, bisher noch völlig unbekannte Stoffe als Faktoren vermuthet, welche infectiöse Krankheiten veranlaßen oder zu ihrer Entstehung beitragen. Die Angriffspunkte der Desinfektion bilden daher in erster Linie die organischen Krankheitskeime und alle Momente, welche deren Entwiklung und Verbreitung begünstigen , in zweiter Linie die hypothetischen gasartigen Miasmen. Die praktische Anwendung der Desinfektion erstrekt sich auf die verschiedensten Objekte, Kranke und Gesunde, Aerzte und Wärter, Wohnräume, Effekten, Exkremente, Aborte, Kanäle etc. etc. Als Mittel zu derselben können eine Menge Stoffe, feste, flüssige und gasförmige, und zwar in mannigfaltiger Weise, angewendet werden. Die Hauptsache für den Erfolg ist jedoch, daß eine gewisse Systematik in allen Desinfektionsmaßregeln gehandhabt und dieselben mit der minutiösesten Genauigkeit, sowie unter Aufsicht und steter Contrôle der zuständigen Behörden, durchgeführt werden. Eine oberflächliche, unvollständige Desinfection ist schlimmer als gar keine, da sie den Betroffenen das Gefühl der Sicherheit verleiht und dieselben von weitem Vorsichtsmaßregeln abhält, ohne daß das Nöthige doch gethan worden wäre. Auch über diesen Punkt soll indessen alles Detail der Ausführung überlassen und nur die Hauptgesichtspunkte in das Gesez aufgenommen werden.

Die Mehrheit Ihrer Commission hat sodann, im Anschluß an den Bundesrath und Ständerath, geglaubt, in den Gesezesentwurf auch Vorschriften über die V a c c i n a t i o n aufnehmen zu müssen (Art. 13--18). Die dort enthaltenen Schuzmaßregeln richten sich zwar nur gegen eine einzelne epidemische Krankheit, die P o k e n , aber gegen eine solche, welche durch viele Generationen die furchtbarste und verheerendste gewesen und gegen welche das Seuchengesez auch jezt noch viel mehr als gegen die übrigen in Art. l genannten Krankheiten zur Anwendung kommen dürfte. Ein Gesez gegen gemeingefährliche Epidemien, welches die in diesen Artikeln enthaltenen Bestimmungen und namentlich den in Art. 13 aufgenommenen I m p f z w a n g nicht enthielte, würde den Namen eines Epideiniengesezes nicht verdienen und besser ganz unterbleiben.

Die damit
zugegebene Ohnmacht und Scheu des Bundes vor Ergreifung und Durchführung allgemeiner Maßregeln auf einem Gebiete, wo sie absolut nöthig, zwekmäßig und erfolgreich wären, könnte höchstens dazu dienen , ähnliche Institutionen , wie wir sie ia der großen Mehrzahl unserer Kantone bereits hab^n zu vernichten, jede Thätigkeit unserer bestorganisirten kantonalen Gesundheitsbehörden auf diesem Gebiete lahmzulegen und damit der Durch-

292 führung einer ordentlichen Gesundheitspolizei überhaupt den unberechenbarsten Schaden zuzufügen.

Angesichts der in Ihren Händen befindlichen trefflichen Schrift, v o n D r . L o t z ü b e r P o k e n u n d V a c c i n a t i o n können wir uns einer weitläufigen Besprechung der ganzen I m p f f r a g e enthalten, müssen uns aber doch zur Begründung unseres Standpunktes über einige Hauptpunkte etwas einläßlicher aussprechen.

Die Frage über den W e r t h der I m p f u n g als Schuzmittel gegen die Poken überhaupt und die allfällige Dauer dieses Schuzes ist eine medizinische, während diejenige über den Impfzwang eine solche rechtlicher und polizeilicher Natur ist, deren Lösung allerdings wesentlich mitbedingt wird von der Beantwortung der erstem..

Die Blatternerkrankung wird hervorgerufen durch ein spezifisches Gift, das Pokencontagium, welches in den Blattern enthalten ist. Ohne mittelbare oder unmittelbare Uebertragung eines solchen entstehen niemals Poken. Die Empfänglichkeit für die Krankheit findet sich bei allen Menschen und in allen Lebensaltern; wer aber leztere einmal durchgemacht hat, verliert in der Regel dadurch erstere für die Zukunft. Daß die Empfänglichkeit und damit die Sterblichkeit vor Einführung der Impfung vorherrschend auf den Kindern lastete, beruht eben darauf, daß die Erwachsenen und noch Lebenden die Krankheit schon in den Kinderjahren durchgemacht hatten. M e n s c h e n , w e l c h e v o r E i n f ü h r u n g d e r I m p f u n g nie an B l a t t e r n e r k r a n k t e n , o b schon sie Gelegenheit zur Anstellung hatten, g e h ö r t e n z u d e n S e l t e n h e i t e n , u n d e s wurden mehr Menschen von denselben dahingerafft als von der Pest. Außerdem blieben viele der Geretteten zeitlebens siech , verunstaltet, blind.

Namentlich im lezten Jahrhundert waren, die Poken die verheerendste Seuche, und wenn sie auch, wie heutzutage Masern und Scharlach, in zeitweise durch einige freie Jahre getrennten Epidemien oder nicht immer in gleicher Bösartigkeit auftraten , so war das ein geringer Trost gegenüber der Thatsache , daß im Durchschnitt eben doch nahezu Vis aller Menschen an den Poken starben.

Auch befällt die Seuche nicht nur die Schmuzigen, Unreinlichen, Armen; alle Stände sind unter den Befallenen vertreten, und wir finden unter denselben eine nicht kleine Zahl
der im Leben Höchstgestellten: Kaiser, Könige, Fürsten etc. etc. Es ist eben nicht wahr, daß man mit Lüftung, Bädern, Seife, sorgfältigster Reinlichkeit die Poken verhüten könne. Schmuz und Unreinlichkeit bilden bloß Hilfs-, nicht Hauptursache der Krankheit, welch' lez-

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tere in dem spezifischen Pokengift enthalten ist, das seine Wirksamkeit entfaltet, wo es einen aufnahmsfähigen Körper findet.

Leider kann auch nicht gesagt werden, daß die Seuche in neuerer Zeit überhaupt milder geworden. Im Gegentheil, wo die Impfung nicht obligatorisch ist, oder wo sie mangelhaft durchgeführt wird , finden wir noch die gleichen Erkrank ungs- und auch Todesziffern, wie früher. So erkrankten z. B. in Preußen im Jahre 1871 über 400,000 Menschen und starben 57,838 an den Poken.

Nachdem man in frühern Zeiten versucht hatte, durch die V a r i o l a t i o n , d. h. durch künstliche Uebertragung des Pokengiftes von einem Kranken auf einen Gesunden, die Verheerungen der Seuche zu mäßigen, trat J e n n e r zu Ende des vorigen Jahrhunderts mit seiner Entdekung der V a c c i n a t i o n auf. Aus derselben ergab sich, daß die am Kuheuter ausbrechenden Poken. auf den Menschen übergeimpft, für einen gewissen Zeitraum denselben Schuz -gewähren, wie das Durchmachen der Poken selbst. Durch eine Menge Controlversuche ist heute nachgewiesen, daß Kuhpoken und Menschenpoken den nämlichen spezifischen Krankheitskörper enthalten , daß sie jedoch, auf den Menschen übergetragen, nicht den gefährlichen Charakter der leztern annnehmen, sondern mild und lokalisirt verlaufen. Weitere Erfahrungen bewiesen sodann, daß die auf den Menschen übergeimpften Kuhpoken , wenn sie weiter übergetragen werden, deren Eigenschaften beibehalten. So gelangte man dazu, statt mit Kuhpoken, mit aus diesen erhaltenen gutartigen Menschenpoken oder V a c c i n e von Arm zu Arm zu impfen.

Diese Impfung wird vollzogen mit dem bis zum a c h t e n T a g e k l a r e n I n h a l t e d e r P u s t e l , mit h u m a n i s i r t e r L y m p h e , n i c h t m i t E i t e r , w i e d i e Gegner behaupten.

Erst in neuerer Zeit kehrte man , um allfällige Krankheitsübertragungen zu verhüten, wieder zum Gebrauch von sogenannter a n i m a l e r L y m p h e , die man sich durch Impfung von Kühen, Kälbern, Rindern verschaffte, zurük.

Nach der großen Erfindung Jenner' s, 1788, verbreitete sich die Impfung rasch über alle Länder, dagegen war deren Durchführung manchenorts durchaus lükenhaft und ist es zum Theil noch.

Bei Beurtheilung des W e r t h e s der I m p f u n g geben wir vor Allem z u , daß es noch nicht gelungen ist, die Theorie der
durch dieselbe erlangten relativen Immunität gegen Poken wissenschaftlich zu begründen. Aber wir kennen die Natur der Elek.trizität eben so wenig und telegraphiren doch ; die Menschheit hat seit Jahrtausenden gegessen und getrunken, ohne den Chemismus

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der Ernährung im Mindesten zu verstehen u. s. w. Wir begnügen uns vorläufig mit der Erkenntniß der regelmäßig eintretenden Wirkung unbekannter Faktoren und der die Theorie in hunderttausend Fällen bestätigenden Erfahrung. (Sonderegger.)

Es ist hier nicht der Ort, selbst Statistik zu treiben oder diejenige der Impffreunde und Impfgegner zu kontroliren; das haben, Fachschriften u n d , wie wir glauben, in überzeugender Weise namentlich diejenige von Dr. Lotz zur Genüge gethan. Das aber glauben wir betonen zu müssen, daß, um auf diesem Gebiete z u v e r l ä ß i g e S t a t i s t i k treiben zu können, man Fachmann sein muß, da es sich dabei um einen Vergleich des Auftretens der Poken bei ungeimpften und mangelhaft geimpften Bevölkerungen mit demjenigen bei wirklich und erfolgreich geimpften handelt. Man muß daher selbst kontroliren können und sich nicht begnügen mit Angaben von Rasirern, Hebammen, Hausvätern etc. , die aus Unkenntniß , bösem Willen oder Interesse Verwechslungen begehen können, durch welche ein ganzes Zahlengebäude umgestoßen wird.

V o r b e d i n gO u n gO f ü r üi e d e S t a t i s t i k h i e r i n i s t d i e g e n ü g e n d e K e n n t n i ß d e s w i r k l i c h e n Impfzus t a n d e s b e i m E i n z e l n e n . Daß aber selbst Fachleute ganz, enorme statistische Sünden begehen können, beweisen die bei den Akten befindlichen Schriften Prof. Adolf Vogt's, deren zahlreiche Rechnungsfehler.und darauf basirende falsche Schlüsse von Dr. Lotz und Andern in schlagender Weise nachgewiesen werden. Auch genügt es nicht, die Pokenmortalität v o r und n a c h Jenner, v o r und n a c h der Impfära, zu vergleichen, da auch im Zeitalter des Impfsegens die Impfung noch sehr mangelhaft ausgeführt wurde.

Thatsache ist aber, daß die außerordentliche A b n a h m e der P o k e n s t e r b l i c h k e i t in unse r m J a h r h u n d e r t mit der Einführung der Impfung zusamm e n t r i f f t , und daß gerade die Pokenepidemien in den 70er Jahren d i e u n v e r ä n d e r t e G e f ä h r l i c h k e i t u n d B ö s a r t i g k e i t der Poken in Ländern mit m a n g e l h a f t e r Impfung zeigen, während in Ländern mit g u t g e i m p f t e n Bevölkerungen verhältnißmäßig g e r i n g e S c h ä d i g u n g e n eintreten..

Mit Einführung der o b l i g a t o r i s c h e n I m p f u n g hat überall
der Umfang und die I n t e n s i t ä t der Pokenepidemien und n a m e n t l i c h auch die Mortalität ders e l b e n e n o r m a b g e n o m m e n . Leztere ist dort in dem der Impfung zunächst folgenden Jahrzehnt eine verschwindend geringe im Vergleich mit (derjenigen der gleichen Altersklassen in mangelhaft geimpften Ländern. Ja man darf ohne Uebertreibung behaupten: Ueberall, wo die Impfung gut durchgeführt ist, haben

295'.

die Poken aufgehört, eine Kinderkrankheit zu sein, und rufen nur im ersten Lebensjahre vor Vollziehung derselben und dann später unter der dem Impfschuze wieder mehr oder weniger entwachsenen Bevölkerung "5 eine nennenswerthe Sterblichkeit hervor.

Damit geben wir zu, daß der So h uz, den die Impfung gegen Blattern gewährt, weder ein ab s o l u t é r, noch ein i m m e r d a u e r n d e r sei. Derselbe darf vielmehr nach bisherigen Erfahrungen im Durchschnitt nur auf 10 Jahre geschäzt werden,, in dem Sinne, daß auch vor diesem Zeiträume Erkrankungen an Blattern auftreten können, die aber dann leichter verlaufen und.

nur a u s n a h m s w e i s e t ö d t l i c h enden, daß aber selbst nach diesem Zeiträume der Schuz oft fortdauert und jedenfalls dann eintretende Erkrankungen milder verlaufen.

Indem wir darauf verzichten, für unsere oben aufgestellten, Behauptungen eine Menge uns zu Gebote stehender Beispiele anzuführen, und diesfalls auf amtliche und private Facharbeiten verweisen, können wir uns nicht versagen , wenigstens eine, noch in unser Aller Erinnerung befindliche Thatsache zu registriren. Bei.

der deutschen Armee von 1870/71, bei der allerdings die obligatorische Impfung so ziemlich allgemein durchgeführt war, finden wir auf 541,110 Mann nur 316 Pokentodte, trozdem diese Truppen in die schlimmsten Pokenquartiere, wo die Franzosen zu vielen Tausenden krank gelegen und gestorben waren, vorrükten. Die Franzosen aber, die keine obligatorische Impfung haben, hatten in Paris allein pokentodtè Bürgerliche 8807, Soldaten 6614 ; wie viele, in der ganzen Armee , das weiß Niemand genau , immerhin nach ungefährer Schäzung der amtlichen Organe 23,500 Manu. Diesen erschrekenden Ziffern gegenüber sagen die Impfgegner, die Franzosen seien die Besiegten und dabei in ungünstigen, die Deutschen ' die Sieger und in günstigen Verhältnissen gewesen. Die Deutschen waren gehobenen Gemüthes, die Franzosen gedrükt, daher -- Poken.

Aber Gemüthsbewegungen machen eben so wenig Poken als sie Bandwürmer machen ; dazu gehören besondere Keime. Uebrigens hat das Sehiksal eine lehrreiche Gegenprobe gegeben. Der Typhus, gegen den es leider keine Schuzimpfung gibt, hat die Deutschen und die Franzosen sehr gleichmäßig heimgesucht, und es hatten die erstem 6935 Typhustodesfälle. Aehnlich verhielt es sich mit der Ruhr
in beiden Armeen, ja diese raffte die Deutschen noch zahlreicher dahin als die Franzosen. Gleiche Erfahrungen, wie bei den Armeen in Frankreich , machte man auch mit den gefangenen Franzosen in Deutschland und den Internirten. in. der Schweiz..

(Sonderegger.)

.206 Nachdem wir im Vorhergehenden nachgewiesen zu haben glauben, daß die Kinder auf eine längere Reihe von Jahren durch die Impfung gegen die Blattern geschüzt werden , daß durch die.selbe die Seuche überhaupt an Ausbreitung, Intensität und Gefahr verliert, und daß, vorausgesezt, es erneuere keine Wiederimpfung den Schuz, doch wenigstens die Sterblichkeit unter den Erkrankten ' dadurch bedeutend verringert wird, so hat der Staat auch die Be.rechtigung, den I m p f z w a n g zu beschließen.

Die juristische Frage löst sich nach der medizinischen ganz -von selbst. Ja, der Staat hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, im Interesse der Gesammtheit die Freiheit des Einzelnen zu beschränken. Dieser Eingriff in die persönliche Freiheit ist mindestens eben so gerechtfertigt als manch1 anderer staatlicher .Zwang, z.. B. der Schul-, Militär-, Steuerzwang etc. ,,Aber"1, sagen die Impfgegner, ,,Alles zugegeben, was deren Freunde Gutes von derselben behaupten, sind nicht die I m p f s c h ä d i g u n g e n so großartig, daß man die Poken daran wagen kann? a Die Möglichkeit, daß auch gefährliche Folgen der Impfung vorkommen können, ist vorhanden, aber dieselben sind so äußerst selten, daß sie nicht in Betracht kommen gegenüber den ungeheuren Vortheilen der Impfung. Vor allem muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es ungemein schwer hält, zu wissen, was w e g e n der Impfung und was b l o ß n a c h derselben gekommen. Aus der Gleichzeitigkeit einer Krankheit mit dem Impfakt kann noch lange nicht darauf geschlossen werden, daß -die Krankheit nun auch die Folge der Impfung sei. Mit gutem Gewissen aber darf behauptet werden, d a ß d i e g r o ß e M e h r z a h l d e r I m p f s c h ä d i g u n g e n ..sich v e r m e i d e n l a s s e durch die Gewissenhaftigkeit des Arztes und die Sorgfalt der Angehörigen des Impflings, sowie durch die Sorge für genügende Beschaffung reinen Impfstoffes. Eines ist gegenwärtig sicher, daß man gerade diejenige Krankheit, die am meisten als Beispiel für Impfschädigungen angeführt wurde, die Syphilis, absolut vermeiden kann, wenn man mit animaler Lymphe impft.

Die Uebertragbarkeit der Tuberkulose und der Scrofulose ist noch völlig streitig, kann aber jedenfalls auf gleiche Art verhütet werden.

Ferner ist sicher, daß man zu Zeiten und an Orten, wo Masern, Scharlach,
Diphtherie oder Rose herrschen, nicht impfen soll, womit die Gefahr aus diesem Grunde von selbst dahinf'ällt. Wenn überhaupt die Impfschädigungen schon bisanhin nach Zahl und Krankheitsformen äußerst gering waren, so werden dieselben beinahe ganz verschwinden bei strengster Verantwortlichkeit der Aerzte .-und Anwendung animaler Lymphe.

297

Die, wie wir gezeigt Laben, so seltenen gefährlichen Folgen einer rationellen, sorgfältigen Impfung dürfen eben so wenig vom Impfzwang zurükhalten, als die jedenfalls viel häufigem Schädigungen der Kinder in den Schulen vorn Schulzwang.

A b e r w ä r e es n i c h t besser, den I m p f z w a n g bloß bei S e u c h e z e i t e n a n z u w e n d e n , d . h . erst wenn die Pokengefa,hr droht? Die Folge wäre, daß nur eine kleine Zahl von Kindern, die ja für die Blattern am· empfänglichsten sind, jährlich geimpft würde. Kommt dann ein Blatternfall, so können eine Menge Individuen ergriffen werden , bevor die Impfung vorgenommen werden kann, denn dann drängt sich Alles herzu, auch die Impfgegner, wollen geimpft sein. Impfstoff in genügender Menge und Qualität ist nicht vorhanden. Sorgfalt wird unmöglich, die Wahrscheinlichkeit der Impfschädigungen größer und die Anstekung wird auf diesem höchst günstigen Boden in einer Weise um sich greifen, daß zahlreiche Opfer der Krankheit erliegen, bevor es gelingt, die Impfung allgemein durchzuführen.

Aus all' diesen Gründen haben sich denn auch die g r o ß e M e h r z a h l d e r F a c h m ä n n e r von Deutschland, England, Frankreich, Amerika und der Schweiz, die akademischen Lehrer, hochangesehene Gelehrte und anerkannte Forscher für die unbedingte obligatorische Impfung erklärt. Von 539 der bedeutendsten Aerzte Englands, welche berufen waren, ihr Urtheil abzugeben, haben sich 537 hiefür ausgesprochen. Von 1168 Schweizer-Aerzten haben sich 1122, also 9 6 % , f ü r , 22 gegen den Nuzen der Impfung, 1010, also 86,4 °/o, für und nur 133 gegen den Impfzwang ausgesprochen.

Nachdem durch unsere Erörterungen genügend klar gestellt worden, daß der Impfzwang eine der bereehtigsten Maßregeln der öffentlichen Gesundheitspflege ist, brauchen wir zur Bekräftigung dieser Aeußerung und mit Bezug auf anderwärts herrschende Einrichtungen kaum noch auf e i n z e l n e K a n t o n e der S c h w e i z und e i n i g e a n d e r e L ä n d e r h i n z u w e i s e n . In der Schweiz besteht der Impfzwang in allen Kantonen mit Ausnahme von Uri, Glarus und Genf; ebenso in Deutschland, Schweden und England.

In Frankreich wird die Einführung desselben vom Ministerium vorbereitet, und es werden dort jezt schon wenigstens alle Rekruten ohne Ausnahme geimpft. Doch gewiß in Folge der
Erfahrungen vom Jahre 1870--1871!

Allerdings sollte, um konsequent zu sein und um der Gefahr mit desto größerer Sicherheit entgegen treten zu können, auch die R e v a c c i n a t i o n obligatorisch erklärt werden, wie dies in der deutschen Armee der Fall ist und wie solches die EidBundesblatt. 33. Jahrg. Bd. IV.

22

298 genossenschaft für ihre Truppen angeordnet hat.

Wenn wir darauf verzichten, Ihnen einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, so geschieht es nicht, weil wir nicht von der Zwekmäßigkeit der Maßregel überzeugt wären, sondern weil wir glauben, daß dieselbe bei unsern Volksanschauungen z u r Z e i t noch auf zu großen Widerstand stoßen würde und weil doch der Hauptgefahr immerhin schon durch eine einmalige richtige Impfung erfolgreich begegnet werden kann. Weil man das Bessere nicht haben kann, wollen wir wenigstens das mögliche Gute nicht vernacbläßigen. Sollte, was wir nicht erwarten, unser Volk und seine Behörden über Poken und Impfung Experimente anstellen wollen, welche in England, Deutschland und Frankreich, ja überall, längst gemacht und sehr übel ausgefallen sind, so müssen sie es auf ihre Rechnung und Gefahr thun, unsere Pflicht ist es, davon abzurathen.

Mit Bezug auf den Abschnitt ,, K o s t e n a haben wir uns sowohl in Art. 20, der von den Kosten im Allgemeinen handelt, als in Art. 45, welcher die Kosten der Vaccination regulirt, wesentlich auf den Standpunkt des Ständerathes gestellt, immerhin mit dem Zusaze, daß der Bund nicht nur einen Dritttheil der Auslagen für Absonderungslokale, sondern auch für allfällig errichtete Aufnahmslokalitäten Gesunder übernehme. Diese Erweiterung ist nichts Anderes als eine Conséquent des von uns ebenfalls erweiterten Art. 5., indem wir auch dort unter den vorbeugenden Maßregeln nicht nur Erstellung von Absonderungslokalen, sondern auch von Aufnahmslokalitäten für Gesunde verlangen, welch' leztere nun natürlich mit Bezug auf die Kostenfrage den erstem gleich gehalten werden müssen. Dagegen glauben wir nicht so weit gehen zu können, wie die Minderheit unserer Commission, welche dem Bunde auch einen Dritttheil der Kosten für Isolirung und Desinfektion überbinden will.

Den S t r a f b e s t i m m u n g e n glaubte die Commission (Berichterstatter für diese Abtheilung Herr Nationalrath Aepli) eine besondere Aufmerksamkeit schenken zu sollen, nicht allein mit Rüksicht auf die Bedeutung, welche sie für die gehörige Handhabung des Gesezes besizen, sondern auch um ihre gleichmäßige Anwendung in allen Kantonen möglichst zu sichern.

Der vom Ständerath acceptirte Antrag des Bundesrathes, Art. 41, unterscheidet zunächst zwischen Nichtbeachtung oder Umgehung der
Vorschriften betreffend die A n z e i g e p f l i c h t und zwischen Nichtbeachtung oder Umgehung der durch das Gesez oder besondere Anordnungen v o r g e s c h r i e b e n e n M a ß r e g e l n . In dem erstem Falle wird eine Geldbuße von Fr. 10--500, in dem zweiten eine solche von FP. 10--1000 angedroht. Sodann wird

299 vorgeschrieben, erkannt werden S trafgeseztt holungsfälle die

daß im zweiten Falle auch auf eine höhere Strafe kann, wenn ,, d a s b e t r e f f e n d e k a n t o n a l e eine solche vorsieht. Endlich kann im WiederBuße verdoppelt werden.

Was nun zunächst die Unterscheidung zwischen Nichtbeachtung der Anzeigepflicht und Nichtbeachtung ausdrüklich vorgeschriebener Maßregeln und die Feststellung eines doppelt so hohen Strafmaximums beim Eintreten der leztern anbelangt, so mag diese Unterscheidung vom strafrechtlichen Standpunkte aus betrachtet im Allgemeinen begründet, aber deßhalb doch kaum nöthig sein, sie besonders hervorzuheben. Denn wie die Versäumung der Anzeigepflicht unter sehr erschwerenden Umständen, so kann die Nichtbeachtung einer speziell vorgeschriebenen Maßregel entweder an sich von nur geringer Bedeutung sein oder unter sehr mildernden Umständen stattgefunden haben, so daß die Strafbarkeit in jenem Falle viel größer, in diesem viel geringer erscheint. Viel richtiger dürfte daher sein, zunächst dem Richter anheirn zu geben, im einen wie im andern Falle das richtige Strafmaß innerhalb des vorgeschriebenen Minimums und Maximums selbst heraus zu finden, sodann aber für alle schwereren Fälle der Nichtbeachtung oder Umgehung des Gesezes oder spezieller Anordnungen der zuständigen Behörden überhaupt ein höheres Strafmaximum festzustellen. Für leichtere Fälle wurde daher in unserm Entwurfe nur eine Geldbuße von Fr. 5--1000, für schwerere Fälle neben einer Geldbuße bis auf Fr. 3000 auch Gefängnißstrafe bis auf zwei Jahre vorgesehen, welche, nach Ermessen des Richters, mit der Geldbuße soll verbunden werden können; ja, wir glaubten noch weiter gehen und bei besonders schweren Schädigungen auch eine schwerere Strafart (Arbeits- oder Zuchthaus statt bloß Gefängniß) in's Auge fassen und das Maximum der Freiheitsstrafe bis auf vier Jahre erhöhen zu sollen. Bei den höchst verderblichen Folgen, welche die Mißachtung des Gesezes, mag dieselbe aus bloßer Fahrläßigkeit oder aus bewußter Widersezlichkeit entsprungen sein, für die Bevölkerung ganzer Ortschaften und Landestheile nach sich ziehen kann, ist die eventuell in Aussicht genommene Strafverschärfung wohl vollkommen gerechtfertigt.

Wir halten dieses Strafsystem dem bundesräthlichen Entwurfe gegenüber, nach welchem eine höhere als die in Art. 41 desselben vorgesehene Strafe von dem betreffenden kantonalen Strafgeseze abhängig gemacht wird, für unbedingt empfehlenswerther. Die Verlezung eines Bundesgesezes sollte doch sicherlich, soweit es wenigstens die darauf angedrohten Strafen anbelangt, in allen Kantonen die gleiche Wirkung haben. Welche sonderbare, das Rechtsgefühl ver-

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lezende Erscheinung müßte es aber sein, wenn eine solche unter gleichen Voraussezungen begangene Verlezung ,in dem einen Kantone, der keine besondern Strafbestimmungen hierüber besizt, im Maximum mit Fr. 1000, in einem andern Kantone dagegen mit Gefängniß- und viel höherer Geldstrafe belegt werden müßte. Um die Konsequenzen dieser Verweisung auf die kantonalen Strafgeseze klar zu machen, braucht man nur sich in einigen der leztern umzusehen. So bedroht das Strafgesez von Basel-Stadt (,§ 171) die wissentliche Verlezung von Absperrungs- und andern Maßregeln zur Verhütung anstekender Krankheiten, wenn dadurch die Anstekung eines Menschen verursacht wird, mit Gefängniß, welche Strafe bis auf drei Jahre (§ 8) ausgedehnt werden kann. Das zürcherische Strafgesez (§ 208) bedroht schon denjenigen, welcher durch Fahrläßigkeit die Verbreitung einer anstekenden Krankheit befördert, oder eine gemeingefährliche Schädigung verursacht hat, mit Gefängniß, verbunden mit Buße, welche leztere auch allein angewendet werden kann. Die Gefängnißstrafe kann aber bis auf fünf Jahre (§ 9) ausgedehnt und die Geldstrafe bis zu einem Betrage von Fr. 15,000 (§ 23) verhängt werden.

Neben diesen allgemeinen Strafbestirnmungen hielten wir es für angemessen, auch Bestimmungen über die Zuständigkeit der Kantonalbehörden in Bezug auf Untersuchung und Beurtheilung der Straffälle und über die Tragung der Kosten und die Kasse, in welche die ausgesprochenen Geldbußen zu fallen haben, in das Gesez aufzunehmen. Diese beiden Punkte sind zwar, der erstere durch das Bundesgesez betreffend das Verfahren bei Uebertretung fiskalischer und polizeilicher Bundesgeseze, vom 30. Juni 1849, der leztere durch das Bundesgesez über die Kosten der Bundesrechtspflege vom 25. Juni l880 geordnet worden. Bei der verwirrenden Manigfàltigkeit von Strafbestimmungen aber, welche sich in den verschiedenen hieher gehörenden Bundesgesezen finden und welche es häufig ungewiß lassen, ob das Gesez von 1849 nur überhaupt noch als fortbestehend angesehen und ob das Gesez von 1880 in seinen Dispositionen über Kosten und Bußen für die späteren Geseze als maßgebend angesehen werde, schien es zwekmäßig, die beantragte Wegleitung in unsern Entwurf aufzunehmen. Allerdings soll damit nicht gemeint sein, daß auch das im Gesez von. 1849 vorgeschriebene eigenthümliche Verfahren,
das wohl großentheils außer Gebrauch gefallen ist, genau eingehalten werden müsse; vielmehr gehen wir von der Ansicht aus, daß die Kantone, denen einmal die Untersuchung., und Beurtheilung solcher Straffälle übertragen wird, nach den Regeln ihrer Strafprozeßordnungen zu verfahren haben. Dagegen nehmen wir an, daß namentlich die Bestimmung des Art. 18 des Gesezés von 1849 in Rechtskraft verbleibe, nach welcher gegen

301

ein leztinstanzliches Urtheil binnen 30 Tagen beim eidgenössischen Kassationsgerichte das Rechtsmittel der Kassation geltend gemacht werden kann. Diese Bestimmung ist auch in Art. 55 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 reproduzirt worden, weßlialb um so weniger an der fortdauernden Rechtskraft derselben gezweifelt werden darf.

In unserm Entwurfe ist die Bestimmung des bundesräthlichen Antrages, daß die Strafe im Wiederholungsfälle verdoppelt werden kann, stehen geblieben. Bei den wesentlich erhöhten Strafansäzen unseres Entwurfes könnte sie in lezterm vielleicht wegfallen.

In einem lezten Alinea haben wir endlich noch den Fall vorgesehen, daß die Verlesung des Gesezes in der Absicht erfolgt sei, einen Andern an der Gesundheit zu schädigen oder ihn des Lebens zu berauben und daß in diesem Falle der Schuldige ganz der Strafjustiz desjenigen Kantons unterliege, in welchem die That verübt worden ist. Obschon diese Voraussezung wohl nicht leicht eintritt, schien es doch der Vollständigkeit wegen und um gegebenen Falles keine Zweifel aufkommen zu lassen, angezeigt, hierüber eine Wegleitung in das Gesez aufzunehmen. Da es sich in dem hier vorausgesezten Falle nicht mehr bloß um Verlezung und Umgehung polizeilicher Vorschriften und Anordnungen, sondern um gemeine Verbrechen handelt, welche alle, soweit das Bundesstrafrecht oder besondere Ueberweisungen an das Bundesgericht nach Art. 114 der Bundesverfassung davon keine Ausnahme machen, in den Ressort der kantonalen Strafgerichtsbarkeit gehören, so ist die Verweisung an diese .wohl vollkommen korrekt. Sie kann um so unbedenklicher erfolgen, als die Strafgesezbttcher der Kanlone und, wo keine solche bestehen, die strafrechtliche Praxis überall die nöthigen Anhaltspunkte für Bestrafung von Verbrechen gegen Gesundheit und Leben,, welche ja häufig genug vorkommen, darbieten.

Damit sind wir am Schlüsse unserer Berichterstattung angelangt und beantragen Ihnen E i n t r e t e n auf u n s e r n E n t w u r f , wobei wir weitere Auseinandersezungeu und Begründung einzelner Abänderungen der artikelweisen Berathung vorbehalten.

F r a u e n f e l d , den 5. November

1881.

Der B e r i c h t e r s t a t t e r der n a t i o n a l r ä t h l i e h e n Commission:

A. Deucher.

302 Mitglieder der Commission: Deucher.

Aepli.

Hofstetter.

Mayor-Vautier.

Ar}*-*"*«*' v. Werdt, ausgetreten.

Note. Die Anträge der Commission (Mehrheit und Minderheit) werden der Bundesversammlung in einem Foliobogen separat ausgetheilt werden, wie es in der Juni-Session schon geschehen ist.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Mehrheit der nationalräthlichen Commission, betreffend den Gesezesentwurf über Maßnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien. (Vom 5. November 1881.)

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1881

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4

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50

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26.11.1881

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281-302

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10 011 263

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