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Bundesgesez betreffend

die persönliche Handlungsfähigkeit.

(Vom 22. Brachmonat 1881.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 7. Wintermonat 1879, beschließt: Art. 1. Die persönliche Handlungsfähigkeit wird mit der Volljährigkeit erlangt.

Die Volljährigkeit tritt für beide Geschlechter mit dem zurükgelegten zwanzigsten Altersjahre oder mit der Verheirathung ein.

Art. 2. Ein · Minderjähriger, welcher das achtzehnte Altersjahr zurükgelegt hat, kann durch die zuständige Amtsstelle für volljährig erklärt werden (Jahrgebung).

Die näheren Voraussezungen und Formen der Jahrgebung bestimmt das kantonale Recht.

Art. 3.' Die nach Maßgabe der Artikel 30, 32, 33 und 34 des Bundesgesezes über das Obligationenrecht für den Mobiliarverkehr der Minderjährigen geltenden Bestimmungen sind auch auf die übrigen Rechtsgeschäfte derselben anwendbar.

Vorbehalten bleiben die Vorschriften des kantonalen Rechtes über Testirfähigkeit der Minderjährigen und über die

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Rechte derselben gegenüber den Inhabern der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt.

Art. 4. Gänzlich handlungsunfähig sind Personen, welche keinen bewußten Willen haben oder des Vernunftgebrauches beraubt sind, so lange dieser Zustand dauert.

Art. 5. Die Handlungsfähigkeit kann nach Maßgabe der kantonalen Geseze beschränkt oder gänzlich entzogen werden : 1) Verschwendern und solchen Personen, welche entweder wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen zur Besorgung ihrer ökonomischen Interessen unfähig sind, oder durch die Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung sich und ihre Familie der Gefahr eines künftigen Nothstandes aussezen; 2) solchen Personen, welche sich freiwillig unter Vormundschaft begeben; 3) den zu PYeiheitsstrafe Verurtheilten während der Dauer ihrer Strafe.

Die Bestimmungen über das Verfahren erlassen die Kantone.

Art. 6. Die im Artikel 5, Ziffer l und 2 vorgesehenen Beschränkungen der Handlungsfähigkeit wirken Dritten gegenüber erst, nachdem sie in einem amtlichen Blatte des Kantons, in welchem die Vormundschaft" verhängt wurde, und wenn der Bevormundete in diesem Zeitpunkte in einem andern Kanton seinen Wohnsiz hatte, auch in diesem Kanton veröffentlicht worden sind.

Nach dieser Veröffentlichung erzeugen die von dem Entmündigten vorgenommenen Rechtsgeschäfte, welche nicht durch das kantonale Recht ihm zu freiem Abschluß vorbehalten sind, nur diejenigen Wirkungen, welche das.Bundesgesez über das Obligationenrecht in den Artikeln 30, 32, 33 und 34 den von Personen mit beschränkter Handlungsfähigkeit abgeschloßenen Verträgen des Mobiliarverkehrs zuerkennt.

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Art. 7. Die Handlungsfähigkeit der Ehefrauen wird für die Dauer der Ehe durch das kantonale Recht bestimmt, mit Vorbehalt der im Art. 35 des Bundesgesezes über das Obligationenrecht enthaltenen Bestimmungen betreffend die Handelsfrauen.

Art. 8. Aus anderen, von diesem Geseze nicht anerkannten Gründen können Volljährige in ihrer persönlichen Handlungsfähigkeit nicht beschränkt werden.

Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften des kantonalen Rechtes über die Fähigkeit zur Adoption.

Art. 9. Die Ehefähigkeit wird durch das Bundesgesez betreffend Zivilstand und Ehe bestimmt.

Art. 1t). Die Bestimmungen dieses Gesezes gelten für alle Schweizer, seien sie im Inlande oder im Auslande wohnhaft.

Die persönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer richtet sich nach dem Rechte des Staates, dem sie angehören.

Wenn jedoch ein nach dem Rechte seines Landes nicht handlungsfähiger Ausländer in der Schweiz Verbindlichkeiten eingeht, so wird er verpflichtet, insofern er nach schweizerischem Rechte handlungsfähig wäre.

Uebergangs- und Schlußbestimmungen.

Art. 11. An Stelle der in den Artikeln 3, 6 und 7 des gegenwärtigen Gesezes angerufenen Bestimmungen des Bundesgesezes über das Obligationenrecht bleibt bis zum Inkrafttreten des leztern das kantonale Recht in Kraft.

Art. 12. Personen, welche bei Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesezes nach kantonalem Rechte die Handlungsfähigkeit bereits erlaugt haben, bleiben handlungsfähig.

Art. 13. Mit dein Zeitpunkte des Inkrafttretens dieses Gesezes sind alle widersprechenden Bestimmungen des kantonalen Rechtes aufgehoben.

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Art. 14. Der Bundesrath ist beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 17. Brachmonat 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesezes zu veranstalten und den Zeitpunkt des Inkrafttretens desselben festzusezen.

Also beschloßen vom Nationalrathe, B e r n , den 18. Brachmonat 1881.

Der Präsident : A. VeSSaz.

Der Protokollführer: Schieß.

Also beschloßen vom Ständerathe, B e r n , den 22. Brachmonat 1881.

Der Präsident : C. Kappeier.

Der Protokollführer: Schatzmann.

Der schweizerische B u n d e s r a t h beschließt: Aufnahme des vorstehenden Buudesgesezes in das Bundesblatt.

B e r n , den 23. Brachmonat 1881.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Droz.

Der Kanzler der Eidgenoßenschaft: Schieß.

Note. Datum der Publikation: 28. Juni 1881.

Ablauf der Einspruchsfrist : 26. September 1881.

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Bundesgesez betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit. (Vom 22. Brachmonat 1881.)

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