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Schweizerisches Bundesblatt.

33. Jahrgang. II.

Nr. 18.

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30. April

1881.

Bericht des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend seine Geschäftsführung im Jahre 1880.

VII. Geschäftskreis des Justiz- und Polizeidepartements.

A-. Justizverwaltung

I. Gesezgebung.

1. Nachdem mit Botschaft vom 27. November 1879 (Bundesblatt 1880, I, 149) der E n t w u r f z u e i n e m B u n d e s g e s e z e über das Obligationen- und H a n d e l s r e c h t der Bundesversammlung vorgelegt und dem Ständerathe die erste Berathun zugeschieden worden, hat dessen Kommission sofort im Anfange .des Jahres 1880 ihre Arbeiten begonnen. Der bezügliche Bericht kam schon am 31. Mai 1880 (Bundesblatt 1880, III, 149) und die erste Berathung des Ständerathes arn 18. Juni zum Abschluße. Die nationalräthliche Kommission nahm nun auch ihrerseits die wichtige Aufgabe mit Eifer an die Hand. Ihre Anträge sind ebenfalls in einem besondern Berichte (Bundesblatt 1881, I, 153) begründet. In der mit spezieller Rüksicht auf das ObligationenBundesblatt 33. Jahrg. Bd. H.

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648 recht am 29. November begonnenen Wintersession der Bundesversammlung beendigte der Nationalrath am 18. Dezember die erste Lesung. Die Bereinigung .der aus diesen ersten Berathungen der beiden Räthe hervorgegangenen Differenzen fiel in das Jahr 1881.

Die italienische Uebersezung wurde im Juni beendigt. Nachdem der Druk derselben schon im April begonnen, kam er im Juli zum Abschluße. Inzwischen wurde auch die italienische Uebersezung der Botschaft erstellt, worauf im September der Gesezesentwurf und die Botschaft auch der italienisch redenden Bevölkerung der Schweiz mitgetheilt werden konnte.

Da während den Berathungen der eidgenößischen Räthe und ihrer Kommissionen die französische Redaktion dieses Gesezentwurfes vielfach kritisirt worden war, so wurde eine durchgreifende Revision derselben angeordnet und deren Ausführung Herrn Professor Dr. Ernst Lehr in Lausanne anvertraut, unter Assistenz der sachkundigen Herren Advokaten Berdez und Grenier und Herrn Professor Rivier.

Diese Arbeit wurde der Art befördert, daß der bereinigte französische Text den eidgenößischen Räthen noch in der Wintersession gedrukt mitgetheilt werden konnte 2. In der Botschaft zum Gesezentwurfe über das schweizerische Obligationen- und Handelsrecht wurde darauf aufmerksam gemacht, daß verschiedene spezielle Vorschriften desselben die nachträgliche Vorlage eines besondern E i n f ü h r u n g s g e s e z e s mit e i n l ä ß l i c h e n U e b e r g a n g s b e s t i m m u n g e n nothwendig machen. Nachdem Herr Professor Fick aus verschiedenen Gründen an der Ausführung dieser Arbeit verhindert war, wurde sie Herrn Professor Dr. Schneider in Zürich übertragen. Der diesfällige Entwurf wurde im September vorgelegt und auf Anordnung des Departementes zunächst durch Herrn Professor Lehr übersezt. Eine vom Departement bestellte Kommission kam zu dem Schluße, daß von einem besondern Einführungsgeseze Umgang zu nehmen und daß es passender sei, die wichtigsten Bestimmungen dieses Entwurfes als Titel XXV dem Gesez anzuschließen und einige Detail Vorschriften den entsprechenden Materien des Gesezes einzuverleiben. Nach näherer Prüfung der diesfälligen Vorschläge haben wir uns den Anträgen der Kommission angeschloßen. Mit Botschaft vom 26. November 1880 machten wir die ergänzende Vorlage betreffend die Art. 886 bis 910, welche sodann
in der Dezembersession auch in den eidgenößischen Räthen berathen wurde (Bundesblatt 1880, IV, 425).

3. Der mit dem Obligationenrecht in nothwendiger Verbindungstehende Entwurf zu einem B u n d e s g e s e z e ü b e r die p e r s ö n -

649 l i e h e H a n d l u n g s f ä h i g k e i t ist bekanntlich schon im Jahr 1879 vorgelegt worden. Seine Berathung von Seite der eidgenößischen Räthe hat mit dem Obligationenrechte Schritt gehalten und wird voraussichtlich auch mit diesem zum definitivem Abschluße gelangen.

4. In dem Spezialbericht vom 28. November 1879 (Bundesblatt 1879, HI, 1022), wie auch in dem Geschäftsbericht pro 1876 wurde den eidgenößischen Räthen zur Kenntniß gebracht, daß die betreffende Kommission beschloßen habe, die Berathungen über die bereits vorliegenden Entwürfe zu einem B u n d e s g e s e z e ü b e r das B e t r e i b u n g s v e r f a h r e n und den K o n k u r s zu suspendiren bis nach Beendigung des Obligationen- und Handelsrechtes.

Es war nicht wohl möglich, diese beiden wichtigen Geseze gleichzeitig zu behandeln ; auch führten wichtige, in der Sache selbst liegende Gründe auf diese Reihenfolge hin. Die noch pendente Petition des Vereins schweizerischer Geschäftsreisender um möglichst beförderlichen Erlaß des erwähnten Gesezes konnte deßhalb einstweilen nicht erledigt werden. Wir hegen indeß die Hoffnung, daß der Entwurf des Obligationenrechtes noch im laufenden Jahre Gesezeskraft, erhalten werde, so daß dann ohne Verzug die Berathungen über das Gesez betreffend Schuldbetreibung und Konkurs fortgesezt werden können.

5. Nachdem auch das zweite B u n d e s g e s e z b e t r e f f e n d die p o l i t i s c h e n Rechte der Niedergelaße n en und Aufenthalter und den Verlust der politis c h e n R e c h t e d e r S c h w e i z e r b ü r g e r , v o m 2 8 . März 1877 (Bundesblatt 1877, II, 894), bei der Volksabstimmung vom 21. Oktober 1877 verworfen worden war (A. S. n. F. III, 282), ist dasselbe bis auf Weiteres liegen geblieben. Gegen Ende des Jahres 1880 kamen jedoch auf Veranlaßung des schweizerischen Falliten-Vereins zwei Petitionen, unterschrieben von 1070 Aktivbürgern und von 1170 Konkursiten, ein, mit dem identischen Gesuche, es möchten die kantonalen Bestimmungen, wonach der Konkurs die Entziehung oder zeitweilige Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit des Gemeinschuldners zur Folge hat, außer Wirksamkeit gesezt werden. Am 15. Dezember 1880 überwies uns der Ständerath diese Petition zur Berichterstattung. Wir können nur daran erinnern, daß sie durch das erwähnte Bundesgesez (Art. 12) ihre Erledigung finden würde.

6. Das B u n d e s g e s e z ü b e r die K o s t e n der B u n d e s r e c h t s p f l e g e ist am 25. Juni 1880 von den eidgenößischen

650 Käthen angenommen, im Bundesblatt III, 403 publizirt und nachdem die Referendumsfrist unbenüzt abgelaufen, auf den 1. November 1880 als vollziehbar erklärt worden. Mit Kreisschreiben vom 12. Oktober wurden den Kantonen noch einige erläuternde Bemerkungen mitgetheilt. Bundesblatt 1880, IV, 77 und 94. -- A. 8. n. F. V, 217.

7. Im Hinblik auf die in einzelnen Kantonen in neuerer Zeit häufiger aufgetretenen Fälle von Intoleranz durch Verweigerung von Grabstätten für die Leichen von Andersgläubigen ist in unserer Mitte die Motion gestellt worden, daß der Erlaß eines B u n d e s g e s e z e s ü b e r d a s B e g r ä b n i ß w e s e n angestrebt werden möchte. Diese Anregung wurde auch in der That im Februar zum Beschluße erhoben, verbunden mit der Einladung an das Justizuud Polizeidepartement, den Entwurf zu einem Bundesgeseze vorzulegen, durch welches Alinea 2 von Art. 53 der Bundesverfaßung geregelt würde. Nach Sammlung des Materials (Bundesblatt 1880, Ö, 203) hat uns das Departement einen bezüglichen Gesezesentwurf vorgelegt. Angesichts des weitern Verlaufes dieser Angelegenheit schien jedoch die Vorlage desselben einstweilen nicht opportun.

8. Aus Anlaß des bekannten Prozesses in Stabio, Kantons Tessin, hat der Stäuderath auf den Anfrag des Herrn Brosi am 28. Juni 1880 beschloßen: Der Bundesrath wird eingeladen, den eidgenößischen Käthen Bericht und Antrag zu hinterbringen über R e v i s i o n d e s B u n d e s s t r a f r e c h t e s v o m 4. F e h r u a, r l 853 im Sinne der Erweiterung des Begriffes der politischen Verbrechen und Vergehen, welche in die Kompetenz der ßundesassisen fallen.

Diese Frage ist hiermit nicht das erste Mal aufgetaucht, sondern hat schon im Jahre 1865 Gegenstand eines Postulates der Bundesversammlung gebildet, worüber der Bundesrath mit Botschaft vom 24. April 1867 (Bundesblatt 1867, I, 889) Bericht erstattet hat. Zum Zweke der sachgemäßen Behandlung der neuen Einladung übermachte unser Justiz- und Polizeidepartement sämmtliche Akten dem Bundesgerichte, mit der Einladung, seine Anträge zu stellen.

II. Gewährleistung von Kantonsverfaßungen.

1. Nachdem die Bundesversammlung dem V e r f a ß u n gsd e k r e t e des K a n t o n s T e s s i n vom 31. Januar 1879, wonach die Mitglieder des Großen Rathes nach der Zahl der A n g e -

651 h ö r i g e n des K a n t o n s (anime di Ticinesi attinenti) und der niedergelaßenen Schweizerbürger hätte gewählt werden sollen, am 23. Dezember 1879 die eidgenößische Gewährleistung n i c h t ertheilt hatte (Bundesblatt 1879, III, 1190), erließ der Große Rath dieses Kantons am 8. Januar 1880 ein neues Verfaßungsdekret, womit das Riformino vom 24. November 1876 (Bundesblatt 1876, IV, 814) aufgehoben und festgestellt wurde, daß der Große Rath.

im Verhältniß von einem Abgeordneten auf je 1200 Seelen der tessinischen Bevölkerung und der uiedergelaßenen Schweizer gewählt werden solle, und daß die Tessiner, welche ihren Haupt- und bleibenden Wohnsiz (il loro domicilio principale e permanente) außerhalb des Kantons haben, und die Fremden von der Berechnung der Bevölkerung ausgeschloßen seien.. Diese Revision erhielt am 25. Juni 1880 die eidgenößische Gewährleistung, jedoch mit dem Vorbehalte, daß im Sinne des Art. 4 der Bundesverfaßung die tessinischen Angehörigen an ihrem Wohnsïze zu zählen sind und auch ihr Stimmrecht dort auszuüben haben. Bundesblatt 1880, III, 294 und A. S. n. F. V, 111.

2. Eine R e v i s i o n der Art. 32, 33, 34 und 36 d e r V e r f a ß u n g des K a n t o n s A p p e n z e l l A. -R h. vom 15. Oktober 1876, betreffend die Kompetenzen der untern Gerichte, erhielt unserm Antrage entsprechend am 2. Juli 1880 die unbedingte Gewährleistung. Bundesblatt 1880 m, 120. - A. S. n. F. V, 164.

3. Das Gleiche war der Fall bezüglich der R e v i s i o n der §§ 85 bis und mit 90 de r Ve r f a ß u n g des K a n t o n s Glarus, betreffend die Kirch-, Schul- und Armengemeinde. Bundesblatt 1880, HI, 275. -- A. S. n. F. V, 109.

4. Im K a n t o n Uri haben im Laufe des Jahres 1880 z w e i t h e i l w e i s e R e v i s i o n e n d e r V e r f a ß u n g stattgefunden.

Die erste bezog sich auf § 54. Nachdem im Kanton Uri die Todesstrafe gegen die Verbrechen des Mordes (vorsäzliche Tödtung) und der Brandstiftung, insofern dabei ein Menschenleben verloren ging, wieder eingeführt worden war, wurde das Begnadigungsrecht in Bezug auf solche Verbrecher durch die Aenderung von § 54 der Verfaßung dem Landrathe übertragen, anstatt dem zweifachen Landrathe. Am 30. Juni 1880 erhielt diese Revision die eidgenößische Garantie. Bundesblatt 1880, III, 301. -- A. S. n. F.

V, 157.

Die zweite Revision der Verfaßung des Kantons Uri bezog sich auf § 56 derselben, wonach die Wahl der Forstkommission dem -

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Landrathe zustand, während für die Zukunft diese Wahl direkt von der Landsgemeinde ausgehen soll. Auch diese Aenderung erhielt am 21. Dezember 1880 die eidgenößische Gewährleistung. Bundesblatt 1880, IV, 74. -- A. S. n. F. V, 274.

5. Eine R e v i s i o n ähnlicher Art hat auch im K a n t o n A p p e n z e l l I. - R h. stattgefunden, indem die Wahl der kantonalen Waldwirthschaftskornmission, welche nach § 28 der Verfaßung dieses Kantons dem Großen Käthe zustand, durch einen Zusaz zu § 33 den Bezirksversammlungen übertragen wurde. Diese Aenderung erhielt am 21. Dezember 1880 die eidgenößische Garantie.

Bundesblatt 1880, HI, 640. -- A. S. n. F. V, 275.

6. Der Kanton G r a u b ü n d e n dagegen hat eine Gesammtrevision seiner Verfaßung vorgenommen, welche am 23. Mai 1880 vom Volke angenommen und am 2. Juli 1880 mit der eidgenößischen Gewährleistung versehen wurde. Bundesblatt 1880, III, 412.

-- A. S. n. F. V, 166.

III. Konkordate.

1. Die im lezten Geschäftsberichte erwähnten, seit mehreren Jahren pendenten Verhandlungen zum Zweke des Abschlußes eines Konkordates betreffend die Errichtung einer oder mehrerer interkantonalen R e t t u n g s a n s t a l t e n für j u g e n d l i c h e Verbrecher haben durch die Bemühungen des Herrn Ständerath Birmanu, Namens der Kommission der Konferenz von Kantonsabgeordneten, vorläufig einen formellen Abschluß gefunden. Herr Birmann ist nämlich, dem erhaltenen Auftrage entsprechend, mit der schweizerischen Gemeinnüzigen Gesellschaft in Verbindung getreten, unter deren Verwaltung die bekannte Rettuugsanstalt für Knaben, Bächtelen bei Bern, steht. Die weitere Kommission dieser Anstalt hat mit großer Theilnahme die ihr gewordenen Eröffnungen entgegengenommen und sodann nach einläßlicher Diskussion die Geneigtheit ausgesprochen, jugendliche Verbrecher in die Bächtelen aufzunehmen unter folgenden Bedingungen: 1) Der Detenirte soll beim Eintritt in die Anstalt in der Regel nicht mehr als das 16. Altersjahr zurükgelegt haben; 2) Die Detention soll nicht weniger als zwei Jahre dauern; 3) Das jährlich zu bezahlende und amtlich zu garantirende Kostgeld ist im Minimum auf Fr. 200 festgesezt.

653 Mit Kreisschreiben vom 29. Dezember 1880 (Bundesblatt 1881, Ï, 39) gaben wir den Regierungen der Kantone Zürich, Bern, Obwalden, Basel-Stadt, Appenzell A. Rh., St. Gallen, Aargau, Thurgau, Neuenburg und Genf, welche in Folge eines im Mai 1878 den sämmtlichen Kantonen ,,vorgelegten Entwurfes zu einem Konkordate mehr oder weniger bestimmt ihre Bereitwilligkeit in Aussicht gestellt hatten, auf Grundlage dieses Entwurfes in nähere Unterhandlungen zu treten, Kenntniß von der Sachlage, indem wir fanden, es dürfte «in guter Anfang für die Lösung dieser wichtigen Frage erreicht sein. Wir ersuchten die genannten Regierungen, bezüglich der Aufnahme einzelner Individuen mit dem Romite der Bächtelenanstalt direkt in Verbindung zu treten, und sprachen speziell der Regierung des Kantons Bern gegenüber den Wunsch aus, sie möchte im Interesse der Sache es übernehmen, die allfällig nöthigen polizeilichen Sehuzmaßregeln anzuordnen.

Die Regierung des Kantons Bern kam unserem Wunsche bereitwillig entgegen und gab die Erklärung ab, daß die Polizei wie bis anhin in vorkommenden Fällen der Anstalt den nöthigen Schuz und Beistand gewähren werde.

Obschon die Antworten auf unser Kreisschreiben vom 29. Dezember aus dem Jahre 1881 datiren, so wollen wir doch schon jezt über deren Inhalt kurz referiren. Die Regierungen von Zürich und Neuenburg lehnen ihre weitere Betheiligung ab: jene, weil der Kanton Zürich mittlerweile eine eigene Korrektionsanstalt in's Leben gerufen hat ; diese aus Gründen der Sprachverschiedenheit. Die Regierung des Kantons Bern wird kaum im Falle sein, von dem Abkommen mit dem Komite der Bächtelen Gebrauch zu machen, ·da Bern bereits drei Rettungsanstalten besizt und die Gemeinden in der Bächtelen mehr bezahlen müßten, als in den kantonalen Anstalten. Von Genf liegt noch keine Antwort vor.. Die Regierung des Kantons St. Gallen dagegen hat in einem Mémoire, das sie auch den andern Kantonen mittheilte, das Gesuch gestellt, wir möchten diese Angelegenheit auch nicht als provisorisch abgeschloßen betrachten, sondern leztere neuerdings an die Hand nehmen und zwar in dem Sinne, daß die dem Konkorclatsentwnrfe freundlichen Kantonsregierungen ohne Verzug zur Beschikung einer neuen Konferenz behufs definitiver Bereinigung des Entwurfes eingeladen werden.

Die Regierungen der Kantone Thurgau, Basel-Stadt
und Aargau würden den Wiederzusammentritt der Konferenz im Sinne des Antrages von St. Gallen gerne sehen. Auch die Regierung von Außerrhoden hofft, daß dem vorläufigen Abkommen seiner Zeit doch noch die Errichtung einer gemeinsamen Anstalt nachfolgen ·dürfte. Obwalden ist mit der oben angezeigten Lösung dieser Frage einverstanden.

654 2. Der schweizerische V e r e i n für Straf- und Gefängnissw e s e n , welcher, gestüzt auf Art. 23 derBundesverfaßung,, für die Herstellung eines solidkonstruirtenn Z e l l e n g e f ä n g n i s s e s , petitionirte, in welchem die Kantone ihre lebenslänglichen und gefährlichen Sträflinge unterbringen könnten, wurde mitRüksichtt darauf, daß dasgesammte Strafrecht mit Inbegriff des Strafvollzuges den Kantonen zusteht, darauf hingewiesen, daß diese Angelegenheit auf dem Konkordatswege ihre Erledigung finden müsse. Jenes Gesuch ist jedoch bei der Bundesversammlung erneuert worden, so daß wir in einembesondernu Berichte Gelegenheit haben werden, uns näher darüber auszusprechen.

IV. Verhältnisse zu auswärtigen Staaten, a. Verträge und Konventionen.

1. Bezüglich der Re v i s i o n des N i e d e r l a ß u n g s v e r t r a g e s mit F r a n k r e i c h vom 30. Juni 1864 beschränkten wir uns auf Sammlung der Materialien und auf die vorläufige Prüfung derjenigen Fragen, die eventuell in Betracht kommen werden. Da indeß die Dauer der Gültigkeit dieses Vertrages von derjenigen des Handelsvertrages mit Frankreich vom gleichen Tage abhängig ist und der leztere bis zum Ablauf einer Kündungsfrist von sechs Monaten, die beiden Theil zusteht, verlängert wurde, so ist einstweilen nichts Weiteres zu thun. (A. 8. n. F., IV, 382.)

2. Der N i e d e r l a ß u n g s v e r t r a g m i t S p a n i e n vom 14. November 1879 ist, nachdem er auch von Seite des Königs von Spanien die Ratifikation erhalten, am 25. Mai 1880 in Bern ausgewechselt worden und gemäß Art. 7 mit diesem Tage in Kraft getreten. (A. S. n. F., V, 97.)

3. Die Unterhandlungen mit G r o ß b r i t a n n i e n betreffend einen neuen A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g haben am 26. November 1880 mit der Unterzeichnung des neuen Vertrages ihren Abschluß gefunden. Mit Botschaft vom gleichen Tage wurde er den eidgenößischen Räthen zur Ratifikation vorgelegt (Bundesblatt 1880,.

IV, 509). Der Standerat ertheilte sie am 13. Dezember 1880, der Nationalrath jedoch erst am 5. März 1881. Da inzwischen der alte Vertrag vom 31. März 1874 mit dem 22. Dezember 1880 außer Kraft getreten wäre, so wurde am 11. Dezember 1880 eine vierte Uebereinkunft vereinbart, womit er für so lange verlängert wurde, bis der neue Vertrag in Kraft treten kann. Nachdem die Königin von England dem leztern schon im Dezember 1880 ihre Ratifikation

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ertheilt hat, so fand die Auswechslung am 15. März 1881 in Bern statt. Gemäß Art. 19 ist dieser neue Vertrag zehn Tage nach der geschehenen Publikation in Kraft getreten.

4. Das Postulat vom 22. August 1878, betreffend den Abschluß eines N i e d e r l a ß u n g s v e r t r ä g e s mit R u m ä n i e n , hat aus den im lezten Geschäftsberichte erwähnten Gründen noch nicht zur Erledigung kommen können.

5. Bei Anlaß einer Auslieferung wegen Fälschung öffentlicher Urkunden und Betruges anerbot, die Regierung von R u m ä n i e n die Beobachtung der Reciprocität in ähnlichen Fällen, stellte aber gleichzeitig den Antrag zum Abschluße eines A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s . Wir erklärten uns bereit, in Unterhandlungen betreffend einen solchen Vertrag einzutreten, sie konnten aber im Laufe des Jahres 1880 noch nicht beginnen.

6. Die Unterhandlungen über den Abschluß eines V e r t r a g e » mit Deutschland, betreffend den Gerichtsstand und die g e g e n s e i t i g e A n e r k e n n u n g und Vo 11 z i e h u n g v o n U r t h e i l e n (mit Inbegriff von Scheidungsurtheilen), haben ebenfalls noch nicht förmlich eröffnet werden können. Sie beschränkten sich auf den gegenseitigen Austausch von Projekten und schriftliche Besprechung derselben.

7. Dagegen ist die U Uebereinkunft u n f t mit D e u t s c h l a n d , betreffend den direkten Geschäftsverkehr zwischen den b e i d e r s e i t i g e n G e r i c h t s b e h ö r d e n (A. S. n. F., III, 661), in volle Anwendung getreten, indem das Verzeichniß der seit dem 1. Oktober 1879 im deutschen Reiche bestehenden ordentlichen GerichteKreisschreibeneibeu vom 15. April 1880 (Bundesblatt 1880, U, 668) den sämmtliKantonsregierungenuugen zu Händen der Gerichte mitgetheilt werden konnte.

8. Die U e ber Uebereinkunft f t mit F r a n k r e i c h , b e t r e f f e n d die Nationalität der Kinder und den Militärdienst d e r S ö h n e v o n i n d e r Schweiz n a t u r a l i s i r t e n F r a n z o s e n , vom 23. Juli 1879, hat erst am 25. Juni 1880 die französische Ratifikation erhalten und ist sodann am 6. Juli in Paris ausgewechselt worden. Mit Kreissehreiben vom 27. Juli 1880 gaben wir den Kantonsregierungen hievon Kenntniß mit einigen Instruktionen über die Vollziehung und mit den nöthigen Formularien. (A. S. n. F., V, 178, Bundesblatt 1880, III, 523.)

656 Da übersehen worden war, in dem Protokoll über die Auswechslung dieser Uebereinkunft das Datum festzustellen, von welchem die am Ende von Art. 5 festgestellten Fristen zu laufen beginnen sollen, so mußte dieser Mangel auf dem Wege der Korrespondenz ergänzt werden. Die französische Regierung erklärte die in Art. 6 festgestellte Dauer der Gültigkeit der Uebereinkunft nicht auch anerkennen zu können für die in Art. 5 vorgeschriebenen Optionsfristen, welche ein oder zwei Jahre betragen sollen, nachdem diese Uebereinkunft v o l l z i e h b a r geworden. Nach der französischen Gesezgebung habe sie nur mit dem Tage der Publikation im Ajournai officiel" in Kraft treten können, d. h. mit dem 11. Juli 1880.

Die Regierung dürfe daher den Optanten nicht mehrere Tage mittelst einer bloßen diplomatischen Verständigung entziehen, deren gesezlicher Werth vorkommenden Falls vom Richter, der zulezt berufen sei, über die in der Uebereinkunft geregelten Statusfragen zu entscheiden, bestritten werden könnte. Wir konnten dieser Auffaßung nicht widersprechen, und da es wünschbar schien, daß in beiden Staaten die gleichen Fristen bestehen, so vereinigten wir uns dahin, daß die in Art. 5 vorgesehenen Fristen vom 11. Juli 1880 hinweg berechnet werden sollen. (Bundesblatt 1880, IV, 105.) Mit Kreisschreiben vom 10. Dezember 1880 gaben wir auch noch den schweizerischen Gesandtschaften und sämmtlichen Konsulaten in Europa, sowie den Konsulaten in den französischen Kolonien und denjenigen in Amerika Kenntniß von der fraglichen Uebereinkunft und den Instruktionen. (Bundesblatt 1880, IV, 676.)

Die Einfrage des Staatsrathes von Genf, ob nicht mit Rüksicht auf die geringe Entfernung der Gemeinden von der Hauptstadt die Optionen im Kanton Genf auf der Staatskanzlei vollzogen werden könnten, mußten wir ablehnend beantworten, da in Art. 2 der Uebereinkunft ausdrüklich vorgeschrieben ist, daß die Betheiligten ihre Erklärungen vor der G e m e i n d e b e h ö r d e ihres Wohnortes abzugeben haben. Diese Vorschrift steht in Harmonie mit Art. l des französischen Gesezes vom 16. Dezember 1874, betreffend die in Frankreich gebornon Kinder von Fremden, die ihrerseits ebenfalls in Frankreich geboren sind. (Bundesblatt 1875, I, 40 ff.)

9. Auf Antrag der f r a n z ö s i s c h e n R e g i e r u n g und mit Zustimmung sämrntlicher
Kantonsregierungen ist auf dem Korrespondenzwege eine Uebereinkunft abgeschloßen und mit dem l. Januar 1881 in Vollziehung gesezt worden, wonach zwischen der Schweiz und Frankreich e i n w e c h s e l s e i t i g e r A u s t a u s c h d e r i m e i n e n S t a a t e ü b e r A n g e h ö r i g e d e s a n d e r n Staates e r l a ß e n e n Str a f u r t h e i l e stattfinden soll, ähnlich wie er schon früher mit Italien, Deutschland und Belgien vereinbart worden ist. Die be-

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züglichen Kreisschreiben mit Formular sind im Bundesblatt 1880, m, 685 und IV, 750, abgedrukt.

10. Ebenso wurde auf dem Korrespondenzwege die gegenseitige Beobachtung d e r Reciprocität z w i s c h e n d e r S c h w e i z u n d F r a n k r e i c h vereinbart bezüglich der Vereinfachung der Formen behufs A u s h i n g ä b e d e r V e r l a ß e n s c h a f t e n von geringem Werthe, welche Angehörige des andern Staates bei ihrem Absterben im Gefängniß zurükgelaßen haben. Das bezügliche Kreisschreiben ist gedrukt im Bundesblatt 1880, I, 298.

11. Endlich wurde ebenfalls auf dem Korrespondenzwege mit der f r a n z ö s i s c h e n R e g i e r u n g die g e g e n s e i t i g e B e o b a c h t u n g der R e c i p r o c i t ä t zugesichert behufs des H e i m t r a n s p o r t e s von m i n d e r j ä h r i g e n L e u t e n , die in der Heimat wegen eines Vergehens in eine Besserungsanstalt untergebracht werden mußten, aber in den andern Staat sich flüchten konnten.

Kreisschreiben, Bundesblatt 1880, I, 408.

b. Spezielle Fälle internationaler Natur.

12. Der im Jahr 1856 im nordamerikanischen Staate Pennsylvania naturalisirte Georg Rit schei aus Deutschland kam nach dem Kanton Bern, wo ihm gestüzt auf die Naturalisationsurkunde mit Frau und Kindern der Aufenthalt gestattet wurde. Nach einigem Aufenthalt wurde der Familienvater krank und die Frau außer Stande, für die Familie zu sorgen. Die Regierung des Kantons Bern wünschte daher von der G e s a n d t s c h a f t der V e r e i n i g t e n S t a a t e n von A m e r i k a Unterstüzung zu erhalten. Dieses Gesuch wurde ablehnend beantwortet. Indem die Gesandtschaft zunächst darauf hinwies, daß Ritschel nicht mit den Aktenstüken versehen sei, welche gemäß Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten zum Aufenthalte im andern Staate nothwendig seien, erklärte sie, daß es in den Vereinigten Staaten keine gesezliche Bestimmung gebe, wonach ein Bürger der Vereinigten Staaten, nachdem er das Staatsgebiet verlaßen und in einem fremden Lande Unterkunft gefunden habe, berechtigt wäre, zu verlangen, dort auf Kosten der Vereinigten Staatenregierung unterhalten zu werden. In den Vereinigten Staaten werde der hilfsbedürftige schweizerische Einwanderer, im Falle der Krankheit oder Armuth, auf gleichem Fuße wie die Bürger der Vereinigten Staaten behandelt. Die Frage, ob der Schweizer in der Union Naturalisation oder Domizil erlangt habe, werde nicht einmal aufgeworfen. Es sei zu bedenken, daß die Vereinigten Staaten alljährlich Tausende

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von schweizerischen Emigranten aufnehmen, denen sie ihre Gastfreundschaft angedeihen laßen.

13. Einige andere Fälle, in denen von Kantonen Ersaz der Kosten f ü r U n t e r s t ü z u n g u n d ä r z t l i c h e B e h a n d l u n g , d i e sie f r a n z ö s i s c h e n A n g e h ö r i g e n haben angedeihen laßen, reklamirten, wurden in gleichem Sinne, d. h. nach dem Grundsaze der gegenseitigen Unentgeltlichkeit, mit Ausnahme der Kosten für Geisteskranke und verlaßene Kinder, erledigt (Bundesbl. 1878, III, 763; 1879, III, 134, und 1880, II, 597, Ziff. 24).

14. Die Handelsfirma G. C o l o m b & Cie. in A i g l e , welche in einer Civilsache von einem französischen Gerichte vor dessen Schranken zitirt worden war, verlangte unter Berufung auf Art. l des Vertrages mit Frankreich betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse, vom 15. Juni 1869, es möchte auf diplomatischem Wege die Zitation zurükgeschikt und bewirkt werden, daß das betreffende Gericht gemäß Art. 11 desselben Vertrages sich inkompetent erkläre.

Wir können jedoch in solchen Fällen nichts thun. Gemäß dem Art. 20 des erwähnten Vertrages und den dazu gehörenden Ergänzungen im erläuternden Protokoll muß die Vorladung dem in der Schweiz wohnenden Beklagten mitgetheilt werden. Dieses ist aber auch die einzige Handlung, welche im Civilprozeß auf diplomatischem Wege verrichtet werden kann. Wenn der Beklagte findet, daß er vor einen inkompetenten Richter zilirt sei, so hat er gernäß Anleitung in den Erläuterungen zu Art. 11 des Vertrages in dem bereits erwähnten Protokoll (Amtl. Samml. Bd. IX, S. 1012 und S. 1029) entweder auf dem mitgetheilten Akte, oder in einer besondern Eingabe an den französischen Richter, von welchem die Zitation ausgegangen, die gutfindenden Erklärungen selbst zu machen.

Die Würdigung dieser Erklärungen steht sodann dem Gericht zu.

Die politischen Behörden können überhaupt in den Gang eines Civilprozesses sich nicht einmischen.

15. Die f r a n z ö s i s c h e Bö tsch af t reklamirte dagegen, daß französische Bürger an ihren Wohnorten in der Schweiz von Amteswegen in die F e u e r w e h r k o r p s eingereiht und, falls sie beiden periodischen Uebungen derselben ausbleiben, zu Geldbußen verfällt werden. Dieses Verfahren scheine im Widerspruche zu stehen mit dem zweiten Absaz von Art. 4 des Niederlaßungsvertrages zwischen
der Schweiz und Frankreich vom 30. Juni 1864, wonach die Unterthanen oder Angehörigen des einen der beiden Staaten, welche im andern wohnen, von jedem Dienste in der Nationalgarde sowohl als in den O r t s b ü r g e r w a c h en frei seien.

659 Der ßundesrath antwortete jedoch, daß er die Ansicht der Botschaft nicht theilen könne, indem die Feuerwachen in der Schweiz keinerlei militärischen Charakter haben, wenn auch hie und da deren Mitglieder eine Uniform tragen mögen. Die Feuerwehr habe lediglich die Aufgabe, das Eigenthum zu schüzen und in Fällen von Feuersnoth die Gefahr zu mindern. Der Absaz 2 von Art. 4 des Niederlaßungsvertrages beziehe sich offenbar auf gewisse Organisationen politischer oder militärischer Natur, wobei dem Ausländer nicht zugemuthet werde, die Institutionen des Inlandes zu vertheidigen. In Feuersnoth dagegen könne Jedermann Gefahr und Schaden leiden, weßhalb es auch billig sei, daß Jedermann mithelfe.

16. F e l i x G ö t s c h e l von B e l f o r t wurde im Kanton Aargau wegen Brandstiftung zu 10 Jahren Zuchthaus verurtheilt. In Folge dessen wurde zur Besorgung seiner Vermögensverhältnisse provisorisch ein Verwalter bestellt und die definitive Bestellung eines Vormundes durch seine heimatlichen Behörden angetragen. Der französische Justi'/.minister lehnte es jedoch ab, hierauf einzutreten, weil dieses Verfahren der Anerkennung der Vollzieh barkeit eines in der Schweiz erlaßenen Urtheiles gleich käme. Es sei aber eine konstante Praxis einerseits, daß fremde Kriminalurtheile keinerlei Folgen in Frankreich haben können und andererseits, daß der Status und die Handlungsfähigkeit eines Franzosen nicht anders modifizirt werden können, als dui'ch die französischen Geseze und Gerichte. Es sei daher nicht möglich, den Felix Götschel zu behandeln, als wäre er durch die in der Schweiz erlittene Verurtheilung unter Vormundschaft gestellt. Die französische Verwaltungsbehörde habe darum auch nicht die Befugniß, die Verwaltung seines Vermögens einem Dritten zu übertragen. Dagegen könnte Götschel durch die schweizerischen Behörden veranlaßt werden, selbst einen Vermögensverwalter zu wählen und diesem eine gehörige Vollmacht direkt zu übersenden.

17. In zwei Fällen wurde die Rüklieferung m i n d e r j ä h r i g e r K i n d e r verlangt, welche von ihren ursprünglich schweizerischen Müttern nach dem E l s a ß g e b r a c h t worden waren. In einem Falle wurde das Kind von dem Vater, im andern Falle von der Vormundschaftsbehörde im Interesse der Erziehung nach der Schweiz reklamirt. Solche Begehren können nicht auf diplomatischem
Wege zum Austrag gebracht werden, da die in Elsaß-Lothringen geltenden Geseze die Wegnahme der Kinder gegen den Willen der Eltern nicht den Verwaltungsbehörden übertragen, vielmehr das angebliche Recht auf Erziehung und Herausgabe des Kindes gegenüber der Mutter von dem Erlaße eines gerichtlichen Urtheiles abhängig machen.

660

18. Wittwe Katharina Weidknecht aus Elsaß-Lothringen, seit vielen Jahren wohnhaft im Kanton Zürich, mußte dort die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch nehmen. Da sie wegen großer Altersschwäche nicht nach ihrer Heimat geführt werden konnte, so wurden die deutschen Behörden um Gewährung der nöthigen Mittel zu ihrem Unterhalt am Wohnorte angegangen. Das auswärtige Amt des deutschen Reiches antwortete jedoch: Die Heimatgemeinde der Weidknecht lehne es ab, für deren Unterhalt Sorge zu tragen. Sie könne auch zwangsweise hiezu, nicht angehalten werden, und eine andere Organisation der Armenpflege bestehe in Elsaß-Lothringen nicht. Uebrigens sei nach Art. 10 des schweizerisch-deutschen Niederlaßungsvertrages jeder Vertragstheil verpflichtet, dafür zu sorgen, daß in seinem Gebiete denjenigen hilfsbedürftigen Angehörigen des andern Staates, welche der Kur und Verpflegung benöthigt sind, diese nach den am Aufenthaltsorte für die Verpflegung der 'eigenen Angehörigen bestehenden Grundsäzen bis dahin zu Theil werde, wo ihre Rükkehr in die Heimat ohne Nachtheil für ihre oder Anderer Gesundheit geschehen könne.

Lezteres sei aber bei der altersschwachen Weidknecht nicht der Fall.

Wenn schweizerischerseits die Ansicht vertreten würde, daß diese Vertragsbestimmung für den Fall, daß hilfsbedürftige Personen der bezeichneten Art nur der Verpflegung, nicht aber einer eigentlichen Kur benöthigt seien, keine Anwendung zu finden habe, so könnte dieses nicht als zutreffend anerkannt werden, denn aus dem Umstände, daß der Vertrag Kur u n d Verpflegung zusichere, sei nicht zu folgern, daß die Verpflegung allein nicht in Anspruch genommen ·werden könne; auch sei es bei dem allgemeinen Wortlaut der Bestimmung unerheblich, ob das Bedürfhiß der Pflege durch Krankheit und Unglüksfälle oder ob es durch Altersschwäche begründet werde. Auch glaube die elsaß-lothriugische Behörde, es dürfte der Billigkeit entsprechen, daß Personen, die Jahrzehnte hindurch innerhalb des Gebietes des einen oder andern vertragenden Theiles wohnhaft gewesen und wegen Altersschwäche nicht mehr erwerbsfähig und transportabel seien, am Orte ihrer Niederlaßung die erforderliche Unterstüzuug finden.

Diese Angelegenheit fand dadurch ihre Erledigung, daß die Weidknecht in ihre Heimat zurükkehrte, und dort auch aufgenommen wurde.

19. Bezügliche Einfragen
wurden dahin beantwortet, daß, da.

über den Gerichtsstand in Civilsachen und Vormundschaft ein Staatsvertrag mit D e u t s c h l a n d nicht bestehe, die Kantone berechtigt seien, ihre eigene Gesezgebung anzuwenden. Das Gleiche ist der

661

Fall mit Bezug auf E l s a ß - L o t h r i n g e n , indem diese Gebiete in Folge ihres Anschlußes an das deutsche Reich aus dem Staatsverbande mit Frankreich ausgetreten sind und somit der Vertragzwischen der Schweiz und Frankreich über den Gerichtsstand und andere civilrechtliche Verhältnisse, vom 15. Juni 1869, in denselben außer Kraft getreten ist.

20. Der Appellations- und Kassationshof des Kantons Bern verweigerte die V o l l z i e h u n g des U r t h e i l s eines g r o ß h e r z o g l i c h b a d i s c h e n G e r i c h t e s , wodurch ein Badenser zur Bezahlung einer Summe Geldes verurtheilt worden war. Auf erfolgte Reklamation wurde dieses Verfahren als richtig anerkannt, da es in Uebereinstimmung stehe mit Art. 59 der Bundesverfaßung,.

wonach das badische Gericht nicht als kompetent erscheine, weil es sich um eine persönliche Forderung handle und der Beklagte schon zur Zeit, da die Klage anhängig gemacht worden, im Kanton Bern gewohnt und somit hier seinen Gerichtsstand habe.

21. Ueber die V o l l z i e h u n g von U r t h e i l e n in Ci v i l ' und H a n d e l s s a c h e n im K ö n i g r e i c h e B e l g i e n ist der Art. 10 des belgischen Civilprozeßgesezes vom 25. März 1876 maßgebend. Nach Inhalt dieses Artikels haben die belgischen Gerichte erster Instanz über die Vollziehung der Urtheile, welche von fremden Gerichten in Civil- und Handelssachen erlaßen worden sind, zu entscheiden. Wenn zwischen Belgien und dem Staate, wo das Urtheil erlaßen wurde, ein Reciprocitätsvertrag besteht, so haben jene Gerichte nur folgende fünf Punkte zu prüfen: 1) Ob das Urtheil nichts enthalte, was im Widerspruche stände mit der öffentlichen Ordnung oder mit dem öffentlichen Rechte Belgiens.

23 Ob nach dem Geseze des Landes, in welchem das Urtheil erlaßen wurde, dasselbe in Rechtskraft getreten sei.

3) Ob die vorgelegte Expedition des Urtheils den Bedingungen genüge, welche nach der gleichen Gesezgebung zum Beweise seiner Authentizität nöthig sind.

4) Ob die Rechte der Vertheidigung gewahrt worden seien.

5) Ob das fremde Gericht nicht allein aus dem Grunde der Nationalität des Klägers kompetent sei.

Mit Bezug auf das Verfahren in solchen Angelegenheiten verweisen wir auf die Bemerkung im Geschäftsbericht pro 1879..

(Bundesblatt 1880, II, 596, Ziffer 21.)

662 22. Die gesezgebenden Körper des K ö n i g r e i c h s U n g a r n haben am 20. Dezember 1879 ein G e se L ü b e r d e n E r w e r b und V e r l u s t der u n g a r i s c h e n S t a a t s b ü r g e r s c h a f t angenommen, welches am 24. gl. Mts. in beiden Häusern des Reichstages kundgemacht wurde und mit diesem Tage in Kraft getreten ist. Mit Rüksicht auf den Umstand, daß dieses Gesez auch Bestimmungen enthält, wonach die Ungaren unter gewissen Voraussezungen nach zehnjähriger Abwesenheit ihre ungarische Nationalität verlieren, jedoch diese Frist unterbrechen oder auch nachher die ungarische Nationalität wieder erwerben können, haben wir uns veranlaßt gesehen, den sämmtlichen Kantonsregierungen mit Kreisschreiben vom 7. September den Wortlaut der bezüglichen Bestimmungen mitzutheilen. (Bundesblatt 1880, III, 657.)

23. Der Art. 4 des Niederlaßungsvertrages mit O e s t e r r e i c h U n g a r n gewährt den kompetenten Behörden beider Staaten nur das R e c h t , die Angehörigen des andern Staates in den am gleichen Orte vorgesehenen Fällen aus ihren Gebieten wegzuweisen und legt jedem der beiden Staaten die P f l i c h t auf, ihre Angehörigen wieder aufzunehmen. Dieser Artikel kann jedoch nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß sie verpflichtet seien, einen Angehörigen des andern Staates, auf Verlangen s e i n e r Reg i e r u n g , auszuweisen. Ein solches Begehren betreffend einen in Oesterreich sich aufhaltenden Schweizer, der in Erfüllung seiner Vaterpflichten nachläßig war, konnte daher keinen Erfolg haben.

24. Die im lezten Geschäftsbericht erwähnten Verhandlungen mit dem deutschen Reichskanzleramte, b e t r e f f e n d d i e A n w e n d u n g von Art. 7, Absaz 3 des s c h w e i z e r i s c h d e u t s c h e n N i e d e r l a ß u n g s v e r t r a g e s , hüben nicht zum Abschluße gebracht werden können. Nebenbei kamen noch mehrere Spezialfälle zur Behandlung, welche auf Art. 10 sich bezogen. Es ist jedoch Aussicht vorhanden, daß diese Fragen in kurzer Zeit einen formellen Abschluß finden und daß den wesentlichen von hier aus anhängig gemachten Punkten, so weit der Vertrag es gestattet, werde Rechnung getragen werden.

25. Inzwischen haben wir in mehreren Fällen die Beobachtung gemacht, daß von Seite deutscher G r e n z b e h ö r d e n e i n zeln D e u t s c h e , d i e a u s d e r S
c h w e i z a u s g e w i e s e n w e r d e n m u ß t e n , aus dem Grunde nicht abgenommen wurden, weil sie nicht mit solchen Papieren versehen seien, die im Sinne von Absaz 3 des Art. 7 des Niederlaßungsvertrages als "noch giltige, unverdächtige Heimatsurkunden" angesehen werden müssen,

663

obschon von Seite der Kantone die gleichen Papiere (Pässe, Wanderbücher, Arbeitsbücher etc.) als genügend behandelt worden waren, um denselben Personen gemäß Art. 2 des Vertrages für kürzere oder längere Zeit den Wohnsiz und die Niederlaßung zu gewähren.

Da aus solchen Vorgängen für die schweizerischen Behörden zur Beschaffung neuer Papiere zahlreiche Schreibereien entsprangen, die regelmäßig nur zögernd und oft auffallend lange nicht beantwortet wurden, während inzwischen die Unterstüzungs- und Verpflegungskosten den Kantonen obliegen, so sahen wir uns veranlaßt, am 13. September 1880 ein Kreisschreiben (Bundesbl. 1880, III, 685) an die Kantone zu erlaßen, um sie auf den Art. 2 des Niederlaßungsvertrages aufmerksam zu machen, wonach die Deutschen, um in der Schweiz Wohnsiz oder Niederlaßung zu nehmen, mit einem Heimatscheine und einem von der zuständigen Behörde ausgestellten Zeugnisse über den Besiz der bürgerlichen Ehrenrechte und eines guten Leumundes versehen seia müssend Wir gingen von der Ansicht aus, daß wenn die Kantone gegenüber den ankommenden Deutschen und allmälig auch gegenüber den schon anwesenden, im Falle eine Erneuerung der Papiere nöthig ist, diese Vorschrift durchführen, dann von den oben erwähnten Schwierigkeiten an der Grenze vernünftigerweise keine Rede mehr sein könne.

Auf bezügliche Einfragen kantonaler Behörden erklärten wir uns damit einverstanden, daß Deutsche, welche nur v o r ü b e r g e h e n d in der Schweiz sich aufhalten wollen, wie z. B. Reisende, Besucher von Bade- und Kurorten etc., weder eines Heimatscheines noch der übrigen in Art. 2 des Niederlaßungsvertrages genannten Ausweise bedürfen, daß aber diese Ausweise gefordert werden können, sobald es sich um einen d a u e r n d e n Aufenthalt zum Zweke der Ausübung eines Berufes oder der Begründung eines Haushaltes handle, und wenn eine Aufenthalts- oder Niederlaßungsbewilligung verlangt werde. Diese Unterscheidung ist offenbar durch den Wortlaut von Art. 2 des Vertrages gerechtfertigt.

Das oberwähnte Kreisschreiben scheint vielfach in der Weise mißverstanden worden zu sein, als ob die Bundesbehörden die Forderung stellen, daß die Deutschen, welchen in den Kantonen bereits die Niederlaßung oder der Aufenthalt bewilligt worden ist, auch nachträglich noch allfällige, ihnen mangelnde und im Art. 2 des
Niederlaßungsvertrages genannte Ausweise beibringen. Es ist dieses keineswegs der Fall. Die Anwendung des Vertrages liegt den Kantonen ob, und es ist denselben namentlich zu empfehlen, daß gegen schon niedergelaßene Personen, besonders in Bezug auf die Ausweise über Ehrenfähigkeit und Leumund, die nöthige Rüksicht getragen werden möchte.

BuadesWatt. 33. Jahrg. Bd. II.

45

664

Der Ausweis über den Besiz der bürgerlichen Ehrenrechte und eines unbescholtenen Leumundes (Art. 2 des Niederlaßungsvertrages) kann nicht von einer deutschen H e i m a t g e m e i n d e verlangt werden, sondern nöthigenfalls von der Behörde des l e z t e n W o h n o r t e s . Die deutsche Gesandtschaft hat sich in einem Spezialfalle auch in diesem Sinne ausgesprochen (Bundesbl. 1879, Bd. II, S. 589).

26. . Der im lezten Geschäftsbericht (Bundesbl. 1880, II, 8. 595, Ziff. 19) erwähnte Spezialfall überzeugte auch das deutsche Reichskanzleramt von der Notwendigkeit eines revidirten für alle d e u t s c h e n S t a a t e n g i l t i g e n F or m u l a r e s f ü r H e i m a t s c h e i n e . Die bezüglichen Verhandlungen mit den Einzelnstaaten erforderten jedoch lange Zeit. Obschon der Abschluß erst am 20. Januar 1881 erreicht wurde, wird dennoch dessen hier Erwähnung gethan, weil die Aufstellung des neuen Formulars in Beziehung zu dem oben Gesagten steht und dasselbe in gewissem Sinne ergänzt. Das neue Formular des im deutschen Reiche gegenwärtig giltigen Heimatscheines haben wir sämmtlichen Kantonen mit Kreisschreiben vom 16. Februar 1881 zur Kenntniss gebracht (Bundesbl. 1881, I, 360).

27. Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in Stokholm brachte uns zur Kenutniß, daß die p r o v i s o r i s c h e K o m mission des internationalen Vereins für Gefängnißw e s e n statt in Bern, wie früher angezeigt worden war, am 3. November 1880 zu Paris sich gesammeln werde. Die Regierung von Schweden und Norwegen lud auch die Schweiz ein zum offiziellen Besuche dieser Konferenz, indem die Mehrzahl der Staaten dem früher aufgestellten Programm zugestimmt habe. Der Zwek jener Konferenz ging dahin} die Fragen festzustellen, welche auf dem nächsten Kongreß für Gefängnißwesen behandelt werden sollen, die Berichterstatter und Correferenten zu ernennen, die Formulare für die Statistik des int ernationalen Gefängnißwesens definitiv festzustellen und im Allgemeinen alles vorzuberathen, was geeignet sein kann, diesem Kongresse nüzliche Resultate zu sichern. Wir delegirten wie früher Herrn Dr. Guillaume in Neuenburg und bewilligten die im internationalen Réglemente der Schweiz zugeschiedene Beitragsquote von Fr. 67. An der Konferenz in Paris waren 12 Staaten vertreten, nämlich Frankreich, Rußland, die Niederlande,
Schweden, Norwegen, Dänemark, Spanien, Portugal, Italien, Bayern, die Vereinigten Staaten und die Schweiz. Das Reglement für die permanente Kommission für internationales Gefängnißwesen wurde nach einigen namentlich von Oesterreich-Ungarn

665 gewünschten Modifikationen definitiv angenommen. Hierauf konstituirte sich die Kommission und ernannte zu ihrem Präsidenten Herrn Beltrani-Scalia, Generaldirektor der italienischen Gefängnisse, als Vizepräsidenten Herrn Prof. von Holtzendorff in München und als Sekretär Herrn Dr. Guillaume. Der nächste internationale Kongreß wird nach aller Wahrscheinlichkeit im Jahr 1882 in Rom stattfinden.

28. Ueber das P a ß w e s e n in R u ß l a n d waren wir genöthigt, an sämmtliche Kantone ein neues Kreisschreiben zu erlaßen (Bundesblatt 1880, II. 231).

V. Rekurswesen. Anwendung der Bundesverfaßung und der Bundesgeseze.

1. Statistik.

1. Im Jahre 1880 waren mit Einschluß der aus dem Vorjahrn pendent gebliebenen Fälle 114 Rekurse (1879: 119; 1878: 95) ze behandeln, wovon 106 erledigt wurden und 8 als pendent auf das Jahr 1881 übergingen.

In 37 Rekurse traten wir materiell nicht ein, theils weil ausschließlich die kantonalen Behörden oder das Bundesgericht für den Entscheid kompetent waren, theils weil da, wo unsere Kompetenz materiell wirklich begründet gewesen wäre, der kantonale Instanzenzug noch nicht erschöpft war.

Die übrigen 69 Rekurse betrafen dem Gegenstande nach : 12 Verweigerung und Entzug der Niederlaßung; 8 Verweigerung von Ausweisschriften in der Heimat und Rükhaltung von solchen am lezten "Wohnorte; 28 Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit; 5 Stimmrecht und Wahlen; 8 Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit; 2 Begräbnißwesen ; 1 Pfändung von Arbeitslohn; 2 Jagd und Fischerei; l Bürgerrecht; l Militärersazsteuer; l Vollzug eines bundesgerichtlichen Urtheiles.

11 dieser Rekurse wurden dadurch erledigt, daß die kantonalen Behörden von sich aus den Petenten entsprachen. Es blieben demnach 58 Beschwerden übrig, welche materiell zu entscheiden waren-

666 (1879: 50; 1878: 27); 35 derselben wurden abgewiesen und 23 begründet erklärt.

Die Bundesversammlung hatte sich im Jahr 1880 mit 15 Beschwerden und Rekursen zu befassen f!879: 14; 1878: 12).

3 derselben erledigte sie durch Nichteintreten ; in 3 Fällen wurden die Beschlüsse des Bundesrathes bestätigt, in 2 dagegen der Rekurs begründet erklärt; 2 Rekurse wurden zurükgezogen und die übrigen 5 blieben pendent.

2. Verfahren.

2. Gegen Verfügungen von Gemeindebehörden kann nicht an den Bundesrath rekurrirt werden. Die Beschwerde ist zuerst an die Kantonsregierung zu richten (8. Dezember 1880).

Auch auf bloße Telegramme kann der Bundesrath nicht eintreten. Es muß der Entscheid, gegen welchen rekurrirt wird, und eine schriftliche Begründung der Beschwerde vorgelegt werden.

3. Niederlaßungs- und Aufenthaltsverhältnisse.

a. P r ü f u n g k a n t o n a l e r Geseze.

3. Anläßlich der Vorlage des Gesezes des Kantons F r e i b u r g über die Gemeinden und Pfarreien vom 26. Mai 1879 behufs der Genehmigung derjenigen Bestimmungen, welche die Niederlaßung und das Stimmrecht der Niedergelaßenen betrefïen, erhoben C h r i s t i a n V ö g e l i aus dem Kanton Bern, Gutsbesizer in Heitenried, und andere im Sensebezirk niedergelaßene Bürger aus andern Kantonen gegen dieses Gesez Einsprache, wesentlich gestüzt darauf, daß in demselben, wie im alten Gesez, die Gemeinden rein bürgerlich organisirt seien, so daß die Niedergelaßenen irn Widerspruche mit Art. 43, Absaz 4 der Bundesverfaßung, außer an den Wahlen, bei keinen andern Verhandlungen der Gemeindeversammlungen stimmen können.

Sie stellten das Begehren, daß Art. 10, worin der Entscheid über Nuzungen aus dem Gemeindevermögen, über die Bürgeraufnahme und ähnliche Fragen ausschließlich den Gemeindebürgern vor behalten ist, gestrichen und die Niedergelaßenen in allen durch Art. 45 des Gesezes den Gemeindeversammlungen zugewiesenen Geschäften als stimmberechtigt erklärt werden möchten. Endlich sei die Frage, ob gewisse Vermögenstheile Eigenthum der Gemeinden oder der Bürgerschaften seien, sowie die Ausscheidung des Gemeinde- und Pfarreivermögens, an die Gerichte zu verweisen.

667

In seinem Entscheide vom 10. Februar 1880 zog der Bundesrath folgende rechtliche Gesichtspunkte in Betracht : 1) Die Prüfung des vom Staatsrathe des Kantons Freiburg vorgelegten Gesezes hat sich lediglich innerhalb der Schranken des lezten Sazes von Art. 43 der Bundesverfaßung zu halten, welcher vorschreibt, daß die kantonalen Geseze über die N i e d e r l a ß u n g und das S t i m m r e c h t der N i e d e r g e l a ß e n e n in den Gemeinden der Genehmigung des Bundesrathes unterliegen. Die Kantone haben somit über alles Andere freies Verfügungsrecht, in dem Sinne jedoch, daß ihre Geseze über die Stellung der Niedergelaßenen nicht weiter der G e n e h m i g u n g des Bundesrathes unterliegen, wohl aber der P r ü f u n g auf ihre Verfaßungsmäßigkeit, im Falle gegen Entscheide kantonaler Behörden über die Anwendung jener Geseze rekurrirt wird.

2) Hieraus folgt, daß auf die Eingabe der Herren Vögeli und Genoßen gegenwärtig nur soweit eingetreten werden kann, als sie auf die Niederlaßung und auf das Stimmrecht der Niedergelaßenen in den Gemeinden des Kantons Frei bürg sich bezieht.

3) Was nun die Bestimmungen des fraglichen Gesezes über die N i e d e r l a ß u n g betrifft, so ist der Titel VII hiefür maßgebend , und zwar enthalten speziell für den Erwerb der Niederlaßung und des Aufenthaltes die Art. 224 bis 226 die nöthigen Bestimmungen. Darnach hat jeder Gemeindefremde innerhalb zehn Tagen nach seiner Ankunft in der Gemeinde bei dem Gemeindeschreiber zu deponiren : den gehörig legalisirten Heimatschein, wenn er ein Freiburger ist; eine von der kantonalen Polizeidirektion ausgestellte Niederlaßungs- oder Aufenthaltsbewilligung, wenn er ein Kantonsfremder ist.

4) Diese Bestimmungen enthalten nichts, was mit den bundesrechtlichen Vorschriften im Widerspruche wäre. Vielmehr scheint sich der erste Saz von Art. 226 zu empfehlen, wonach diejenigen Personen, welche zur Regelung ihres Aufenthaltes Papiere deponirt haben, hierüber ein Einschreibzeugniß erhalten, welches zugleich als Empfangschein für die Papiere dient und dessen Datum maßgebend ist für die Berechnung der Frist von drei Monaten, die der Niedergelaßene am Orte gewohnt haben muß, bevor er in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigt wird. Immerhin wird die Bestimmung im zweiten Saz von Art. 226, daß der vom Syndik für die
deponirten Papiere auszustellende Empfangschein zurükgegeben werden müsse, bevor diese Papiere wieder ausgehändigt werden, als allgemeine Ordnungsregel und keineswegs

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in absolutem Sinne aufzufassen sein (vergi. Bundesblatt 1875, II, 667 und 671, und 1876, I, 115, 740 und 969).

Immerhin behält sich der Bundesrath vor, die Frage, ob es zuläßig sei. in Beziehung auf die Behandlung der kantonalen und schweizerischen Niedergelaßenen noch gewisse Unterschiede fortbestehen zu lassen, nach Einsichtnahme von sämmlichen kantonalen Niederlaßungsgesezen noch einer nähern Prüfung zu unterziehen.

5) Der E n t z u g der N i e d e r ! aß un g ist io Art. 227 wörtlich übereinstimmend mit Absaz 2 und 3 von Art. 45 der Bundesverfassung geordnet. Ueber den Entzug des A u f e n t h a l t e s enthält der Art. 228 im Einzelnen etwas weit gehende Vorschriften, allein sie entziehen sich zur Zeit einer Kontrole der Bundesbehörden, indem das in Art. 47 der Bundesverfaßung vorgesehene Bundesgesez über die Aufenthalter noch nicht besteht.

6) Was das S t i m m r e c h t der N i e d e r g e l a ß e n e n betrifft , so ist für die Prüfung der kantonalen Geseze der Absaz 4 von Art. 43 der Bundesverfaßung maßgebend, wonach der niedergelaßene S e h w ei z e r b U r g e r an seinem Wohnsize alle Rechte der Kantonsbürger und mit diesen auch alle Rechte der Gemeiudebürger genießt, jedoch mit Ausnahme des Mitantheiles an Bürgerund Korporationsgütern und des Stimmrechtes in rein bürgerlichen Angelegenheiten.

7) Das vorliegende Gemeindegesez des Kantons Freiburg entspricht dieser Vorschrift vollkommen : a. weil nach § 26 dieses Gesezes die Niedergelaßenen auch zu den politischen und Wahlversammlungen sugelaßen werden, worunter nach Art. 27 des gleichen Gesezes die Wahlen der Mitglieder des Gemeinderathes und nach Art. 28 und 29 der Verfaßung die Abstimmungen über die Bundes- und Kantonsverfnßung und.die Wahlen der Abgeordneten in den Großen Rath und in den Nationalrath, sowie die Wahlen der eidgenößischen und kantonalen Geschwornen verstanden werden ; b. weil nach Art. 44 und 45 des fraglichen Gesezes alle Niedergelaßenen auch an der Behandlung aller Fragen der Gemeindeadministration Antheil nehmen können, soweit sie nicht im Sinne von Art. 10 rein bürgerlicher Natur und aus diesem Grunde der Burgergemeinde zugewiesen sind; c. weil die Behauptung, nach der neuen Bundesverfaßung sei nur die Einwohnergemeinde zuläßig, unrichtig ist, da in Art. 43 der Bundesverfaßung keineswegs eine einheitliche Gemeinde aufgestellt wurde, vielmehr ausdrüklich die Bürger-

669 und Korporationsgüter, sowie das Stimmrecht in rein bürgerlichen Angelegenheiten den Bürgern vorbehalten sind, und hiebei von der VoraussezungO ausgegangen wird,ï daß die Gru ter O O O oder Vermögenstheile, über welche laut Art. 10 des Gesezes die Bürgergemeinden zu verfügen berechtigt sind, als ausschließliches Eigenthum der Bürgergemeinden aufzufassen seien.

d. weil durch das neue Gemeindegesez die Stellung der Niedergelaßenen im Kanton Frei bürg zu den Gemeindegütern nicht verschlimmert, vielmehr in Art. 235 eine Neuerung eingeführt wurde, die nur zu ihren Gunsten wirksam sein kann, indem der Grundsaz, daß die Gemeindegüter die öffentliche Domaine der Gemeinde, bilden und wesentlich dazu bestimmt seien, für die lokalen oder allgemeinen Auslagen zu dienen, welche gesezlich den Gemeinden obliegen (Art. 230 und 233 des neuen Gesezes identisch m : t Art. 227 und 230 des Gesezes von 1864), in dem Sinne befestigt ist, daß einer Gemeinde, welche Schulden hat oder Steuern erheben muß, die Geldvertheilung nunmehr gesezlich untersagt ist und die Austheilung der Holzloose, sowie die Nuzungen aus dem Gemeindeland (parchets communaux) von dem Staatsrathe theilweise oder ganz untersagt werden kann, sobald festgestellt ist, daß die gewöhnlichen Einnahmen der Gemeinde zur Bestreitung der öffentlichen Ausgaben ungenügend sind oder daß eine bleibende Steuer unvermeidlich wird.

8) Die Frage des Eigenthums an den Gemeindegütern kann nach den oben erwähnten, bei der Prüfung des vorliegenden Gesezes allein maßgebenden Vorschriften der Bundesverfaßung nicht in Betracht kommen. Uebrigens liegt deren Entscheid, wenn wirklich ernstliche Zweifel darüber walten sollten, nicht in der Kompetenz des Bundesrathes.

9) Dasselbe ist der Fall bezüglich der Ausscheidung der Pfarrgüter von den Gemeindegütern.

10) Was endlich die in Art. 57 u. ff. enthaltenen Bestimmungen über die Aufstellung eines Generalrathes in einer Anzahl der volkreichern Gemeinden betrifft, so entzieht sich auch diese Angelegenheit der Kontrole des Bundesrathes. Die innere Organisation der Gemeinden steht vielmehr ausschließlich den Kantonen zu. Uebrigens haben die Niedergelaßenen keinen Grund, darüber sich zu beschweren, da sie gemäß Art. 59 und 6 bei der Wahl des Generalrathes auch stimmberechtigt sind, und beschloß : I. Das Gesez des Kantons Freiburg vom 26. Mai 1879 über die Gemeinden und Pfarreien erhält im Sinne von Art. 43 der BundesverfaßungO die Genehmigung des Bundesrathes.

O o

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II. Die von Herrn Christian Vögeli für sich und andere im Sensebezirk wohnhafte Niedergelaßene gegen obiges Gesez erhobene Einsprache wird als unbegründet abgewiesen.

4. Der Große Rath des Kantons Tessin genehmigte am 15. Juli 1880 betreffend die Ausübung des Stimmrechtes der Niedergelaßeneu und den Ausschluß vom Stimmrechte ein neues Gesez, am Plaze desjenigen, welches im Jahre 1878 über die gleiche Materie uns vorgelegt worden war, aber aus den im Geschäftsberichte für dieses Jahr (Bundesbl. 1879, Bd. II, S. 586) angeführten Gründen nicht genehmigt werden konnte. Das neue Gesez enthält in Art. l, § l folgende Bestimmung: ,,Die Niederlaßung (domicilio) ergibt sich aus der Thatsache, daß Jemand in einer Gemeinde persönlich Wohnung nimmt, mit der bestimmten Absicht, an diesem Orte den Mittelpunkt seiner ökonomischen Thätigkeit und seinen Hauptwohnsiz (la principale sede) zu nehmen." Bezüglich der Aufenthalter enthält das Gesez keine Bestimmungen. Aus dem Protokoll des Großen Rathes ergibt sich, daß ihrer wesentlich darum nicht erwähnt wurde, weil noch keine bundesrechtliche Vorschrift besteht und weil die Aufenthalter nach dem alten System des Kantons Tessin zu einer Abstimmung in ihre Heimatgemeinde sich zu begeben hätten.

Es wurde diesem Geseze die in Art. 43 der Bundesverfaßung vorgesehene Genehmigung nur unter folgenden Vorbehalten ertheilt: 1) Der § l in Art. l ist für die Koustatirung verfassungsmäßiger politischer Rechte zu unbestimmt und kann zu verschiedenartiger Anwendung und zu Mißverständnissen Veranlaßung bieten.

Art. l , § l des Gesezes darf nur im Sinne von Art. 45 der Bundesverfaßung, d. h. folgendermaßen ausgelegt werden: ,,Jeder Schweizer, der einen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Urkunde besizt (una fede d'origine o altro corrispondente ricapito), hat das Recht, in jeder Gemeinde des Kantons Tessin sich niederzulassen, und genießt in der Eigenschaft als Niedergelaßener alle Rechte, welche ihm durch die Bundesverfaßung (Art. 43 und 45), sowie durch die Verfaßung des Kantons Tessin garantirti sind.

,,Wer das Recht der Niederlaßung in einer Gemeinde erworben (Art. 45) und dasselbe thatsächlich ausübt, hat damit auch Anspruch auf die Ausübung aller Rechte, welche den Kantonsbürgern und den Gemeindebürgern zustehen, und es gibt für diese Ausübung keine andere Schranken
als diejenigen, welche in der Verfaßung selbst gezogen sind."

Es darf daher aus Art. l, § l des Gesezes eine Einschränkung der Rechte der Niedergelaßenen nicht abgeleitet werden und es

671

kann die dort aufgestellte Definition des Domizils nur für die zivilrechtliche Bedeutung des leztern in Betracht kommen.

2) Bezüglich der Aufenthalter mußten wir zwar anerkennen, daß wir bis zum Erlaß eines eidgenößischen Gesezes gemäß Art. 47 der Bundesverfaßung die Ausschließung der Aufenthalter aus andern Kantonen nicht hindern können , dagegen sprachen wir uns dahin aus, daß im Sinne von Art. 4 der Bundesverfaßung die politischen Rechte der t e s s i n i s c h e n A u f e n t h a l t e r in dem Geseze anerkannt und festgestellt werden sollten. Im Uebrigen behielten wir uns vor, jederzeit auf die im vorliegenden Geseze nicht behandelten Verhältnisse der Aufenthalter einzutreten, falls in dieser Richtung eine Beschwerde einlangen sollte, und in diesem Falle zu untersuchen , ob die in Art. 43, Alinea l und 2 der Bundesverfaßung auch den Aufenthaltern zugesicherten Rechte gewahrt worden seien.

b) E r w e r b u n d E n t z u g d e r N i e d e r l a ß u n g .

5. Die Regierung von Solothurn verweigerte dem Joh. Eichenb e r g e r und dem Jakob R u c h , beide Bürger des Kantons Bern, die Niederlaßung in der Gemeinde Küttigkofen und entzog dem Ulrich R i s e r , ebenfalls aus dem Kanton Bern, die Niederlaßung in der gleichen Gemeinde, weil jeder von ihnen wiederholt bestraft worden sei. Riser ist nämlich 1871 und 1873 in Trachselwald wegen Konkubinates in zwei Malen zu je fünf Tagen Gefängniß, ferner im Dezember 1877 von dem Obergericht des Kantons Solothurn wegen eines mit Einbruch verübten Diebstahls von Hühnern zu sechs Monaten Einsperrung, und endlich nach dem erwähnten Ausweisungsbeschluß am 3. Dezember 1879 von den Assisen in Burgdorf ebenfalls wegen Diebstahls zu 18 Monaten Zuchthaus verurtheilt worden.

Eichenberger und Ruch sind ebenfalls im Kanton Bern, ersterer seit 1867 bis August 1873 vier Male, und lezterer seit 1864 bis August 1878 acht Male zu Freiheitsstrafen verurtheilt worden. Die höchste Strafe des Eiehenberger betrug zwei Monate, diejenige des Ruch acht Monate Korrektionshaus.

Der Bundesrath zog am 13. Januar 1880 in Betracht: 1) Der Art. 45 der Bundesverfaßung unterscheidet zwischen der V e r w e i g e r u n g der N i e d e r l a ß u n g und dem E n t z u g der N i e d e r l a ß u n g in déni Sinne, daß die Verweigerung ausnahmsweise dann stattfinden kann, wenn der Petent in
Folge eines strafgerichtlichen Urtheiles nicht im Besize der bürgerlichen Rechte und Ehren ist, und daß der Entzug der Niederlaßung zuläßig ist, wenn der Niedergelaßene wegen s c h w e r e r Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden. Diese Vorschrift der Bundes ver-

672 faßung ist auch als erfüllt zu betrachten, wenn der Niedergelaßeiie zwar an seinem Wohnsize nur e i n e s schweren Vergehens sich schuldig gemacht hat, aber in Folge früherer krimineller Bestraftmg bereits im Rukfalle sich befindet.

2) Es kann somit Lemma 3 von Art. 45 der Bundesverfaßung nicht auf alle drei Petenten gleichmäßig Anwendung finden, wie die Regierung von Solothurn es gethan hat, sondern lediglieli auf Ulrich Riser, indem derselbe allein gegenwärtig schon Niedergelaßener im Kanton Sololhurn ist.

3) Angesichts der wiederholten Bestrafungen Riser's und insbesondere der lezten durch die Assisen in Burgdorf kann es keinem Zweifel unterliegen, daß seine Ausweisung gerechtfertigt ist.

4) Es liegt ohne Zweifel im Sinne des Lemma 2 von Art. 45 der Buudesverfaßung, daß der Verlust der bürgerlichen Rechte und Ehren durch ein gerichtliches Urtheil direkt ausgesprochen oder doch als gesezliche Folge ausdrüklich nachgewiesen sein müsse.

5) D i e s e r Nachweis ist bezüglich Joh. Eichenberger und Jakob Ruch zur Zeit noch nicht geleistet, indem von Seite der Regierung des Kantons Solothurn die bezüglichen Urtheile nicht vorgelegt worden sind.

Der Bundesrath wies daher den Rekurs des Ulrich Riser als unbegründet ab, und lud betreffend die beiden andern Rekurrenten die Regierung des Kantons Solothurn ein, diejenigen Urtheile gegen Eichenberger und Ruch vorzulegen, durch welche diese in den bürgerlichen Rechten und Ehren eingestellt sein sollen, eventuell, wenn keine solche Urtheile gegen sie vorliegen sollten, ihnen die Niederlaßung zu bewilligen.

6. Die Eheleute Niklaus und Elise K a u f m a n n aus dem Kanton Luzeru beschwerten sich, daß sie, gestiizt auf § 33 des zürcherischen Gemeindegesezes, in Folge dreimaliger Bestrafung wegen Kuppelei aus der Stadt Zürich weggewiesen worden seien, während dieses Vergehen nicht als ein schweres im Sinne von Art. 45 der Bundesverfaßung sich darstelle, und auch die gegen sie ausgesprochenen Strafen keine schweren gewesen seien.

Der Bundesrath erklärte jedoch am 22. Oktober 1880 den Rekurs als unbegründet, gestüzt auf folgende Erwägungen : 1) Daß im Interesse der persönlichen Freiheit kantonale Vorschriften über die Niederlaßung nur dann zur Anwendung kommen dürfen, wenn sie dem Bürger günstiger sind als die Vorschriften in Art. 45 der Bundesverfaßuug.

673

2) Daß gemäß Lemma 3 von Art. 45 der Bundesverfaßung die Niederlaßung denjenigen entzogen werden kann, welche wegen schwerer Vergehen wiederholt gerichtlich bestraft worden sind, während nach § 33 des Gemeindegesezes des Kantons Zürich vom Jahre 1875 noch der Nachweis eines die öffentliche Sittlichkeit gefährdenden Lebenswandels geleistet werden muß.

3) Daß im Spezialfalle auch die dem Niedergelaßenen günstigem, d. h. die Wegweisung erschwerenden, Vorschriften der zürcherischen Gesezgebung als erfüllt erscheinen, indem die Rekurrenten wegen des gleichen Vergehens zwei Mal im Rükfalle sich befinden, die Handlung selbst das öffentliche Wohl in hohem Grade zu beeinträchtigen geeignet ist und die gewerbsmäßige Kuppelei ohne Zweifel die öffentliche Sittlichkeit gefährdet.

7. Frau Veronika M i c h e l von Villarlod, Kantons Freiburg, wurde von dem korrektionellen Gerichte des Saanebezirkes wegen gewerbsmäßiger Unzucht zu drei Monaten Korrektionshaus venvrtheilt, und nach Verbüßung dieser Strafe gestüzt auf Art. 225, litt, a und c, des freiburgischen Gemeindegesezes aus der Stadt Freiburg weggewiesen.

Der Bundesrath hob jedoch am 12. März 1880 diese leztere Verfügung auf, gestüzt auf folgende Erwägungen : 1) Durch Art. 45 der Bundesverfaßung ist die Niederlaßung den Schweizern an j e d e m O r t e des schweizerischen Gebietes garantirt, und es darf der Entzug derselben auch in einer Gemeinde des Heimatkantons nur unter den in Art. 45 aufgestellten Bedingungen stattfinden, da gemäß Art. 2 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfaßung alle mit ihr im Widerspruche stehenden kantonalen Vorschriften außer Kraft getreten sind.

2) Laut Absaz 3 des Art. 45 kann nun die Niederlaßung denjenigen Personen entzogen werden, welche wegen s c h w e r e r Vergehen w i e d e r h o l t gerichtlich bestraft worden sind; es liegt jedoch gegen die Rekurrentin nur e i n e gerichtliche Bestrafung wegen eines Vergehens vor.

8. Martin Wi l i s t a dt von Frankfurt a./M. , Vertreter des Mainzer Schuhwaaren-Exportgeschäftes, niedergelaßen in St. Gallen, verlangte behufs Errichtung einer Filiale dieses Geschäftes in Herisau die Niederläßung auch im Kanton Appenzell A.-Rh. und legte zu diesem Behufe Kopien seiner in St. Gallen deponirten Ausweisschriften vor. Die Behörden von Außerrhoden forderten jedoch die Vorlage der Schriften in Original.

674

Am 23. März 1880 lud der Bundesrath die Regierung von Appenzell A.-Rh. ein, dem Willstädt auf Deposition von Kopien des Heimat- und Leumundszeugnisses , sowie einer amtlichen Erklärung, daß die Originalien in St. Gallen liegen und ohne Vorwissen der appenzellischen Behörden nicht herausgegeben werden, Niederlaßung zu bewilligen. Gründe : 1) Gemäß Art. 2 des Niederlaßungsvertrages zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche hat ein Deutscher zur Begründung der Niederlaßung den Heimatschein und einen von der zuständigen Heimatbehörde ausgestellten Ausweis darüber, daß der Inhaber im Vollgenusse der bürgerlichen Ehrenrechte sich befinde und einen unbescholtenen Leumund genieße, beizubringen.

2) Es sind jedoch diese Ausweise nach dem gleichen Artikel nur gefordert zur Legitimation des Wohnsizes ,, i n der S c h w e i z " und somit die Kautone nicht berechtigt, für jedes Spezialdomizil diese Ausweise in Original zu verlangen; vielmehr muß es als genügend erscheinen, wenn ein Kanton die.Gewißheit hat, daß die Originalien wirklich vorhanden sind und bei einer Behörde in der Schweiz liegen.

9. Gaudenz W i t t w a , Stationsverwalter in Waldstatt, Kantons Appenzell A.-Rh., beschwerte sich, daß er von dem dortigen Gemeindegerichte wegen Unterlaßung der Abgabe seiner zur Niederlaßung nöthigen Schriften in zwei Malen mit Fr. 40 gebüßt worden sei, während er die Niederlaßung in Mayenfeld habe, wo seine Familie Haushaltung führe.

Der Bundesrath antwortete jedoch unterm 27. Juli 1880, daß seine Wohnortsgemeinde im Sinne von Art. 45 der Bundesverfaßung berechtigt erscheine, die Vorlage von Ausweisschriften zu verlangen, und somit auch befugt sei, die Unterlaßung mit Buße zu ahnden.

Die Frage, ob die leztere zu hoch sei, haben die kantonalen Behörden zu entscheiden.

10. Der hieher gehörige Rekurs des Jakob W i d m e r von Bütschwyl, Kantons St. Gallen, Zahnarzt in Wyl, gleichen Kantons, wurde von uns am 16. April 1880 als unbegründet abgewiesen (Bundesblatt 1880, II, 801). Hr. Widmer rekurrirte an die Bundesversammlung, zog aber später den Rekurs zurük.

11. Zwei andere Rekurse gegen Entscheide wegen Entzuges der Niederlaßung, nämlich : a. derjenige der Eheleute J a k o b und K a t h a r i n a E m m e n egger von Schüpfheim , Kantons Luzern , niedergelaßen in Läufelfingen, Baselland (Bundesblatt 1880, IV, 701);

675 b. derjenige des F r i d o l i n E m m e n e g g e r von Schiipfheim, niedergelaßen in Luzern (Bundesblatt 1881,1, 114), sind im Laufe des Jahres 1880 von der Bundesversammlung nicht erledigt worden.

c. R ü k h a l t u n g der

Ausweispapiere.

12. Die Regierung des Kantons St. Gallen beschloß, daß dem Severin S c h ö n e n b e r g e r , Schneider, von Kirchberg, Kantons St. Gallen, die in der Stadt St. Gallen deponirt gewesenen Legitimationspapiere, bestehend in einem Wanderbuch und in dem Militärdienstbüchlein , nicht aushingegeben werden sollen, bis er^die rükständigen Militärsteuern bezahlt haben werde; inzwischen soll ihm jedoch ein Polizeiausweis zugestellt werden, um anderswo sein Auskommen zu suchen.

Die Beschwerde Schönenbergers wurde am 23. Januar 1880, gestüzt auf folgende Motive, begründet erklärt: 1) Die Bundesversammlung hat in ihren Entscheiden über die Rekurse des Rudolf Weber, von Schmiedrued, und des Johann Bapt. Schmid , von Füll, die Zurükhaltung von Ausweisschriften wegen Schulden, und in dem leztern Rekurse insbesondere auch wegen rükständiger Militärsteuern, weil mit Art. 45 der Bundesverfaßung im Widerspruche stehend , als unzuläßig erklärt (Bundesblatt 1875, II, 667 und 671, und 1876, I, 740).

2") Angesichts dieser Entscheide kann auch die Verfügung der Regierung von St. Gallen, wonach der Rekurrent bis zur Bezahlung der rükständigen Militärsteuern an der Stelle seiner eigenen Ausweisschriften mit einem provisorischen polizeilichen Ausweise sieh begnügen müßte, nicht statthaft sein , indem ein solcher Ausweis weder für die Wanderschaft noch für einen Aufenthalt genügend wäre, dieses Verfahren somit der Verweigerung der Papiere selbst gleichkäme.

13. Herrn Ingenieur Z i e g l e r von Schaffhausen wurden bei Anlaß seiner Uebersiedlung nach Zürich die Ausweisschriften in Altorf zurükbehalten, weil er seinen Wegzug nicht vorher öffentlich angezeigt habe. Auf seine Beschwerde rechtfertigte die Regierung des Kantons Uri das Verfahren des Gemeinderathes von Altorf gestüzt darauf, daß gemäß der im Kanton Uri bestehenden Uebung Hr. Ziegler seine Abreise dem Gemeindepräsidenten des bisherigen Wohnortes rechtzeitig hätte anzeigen sollen behufs der öffentlichen Bekanntmachung seiner Absicht. Diese Maßregel schließe nicht eine Beschlagnahme der Ausweispapiere in sich, sie habe

676

blos den Zwek, das Publikum auf die Abreise eines Niedergelaßenea aufmerksam zu machen, damit sich dasselbe für allfällige Guthaben noch rechtzeitig sicherstellen könne.

Die Beschwerde wurde am 12. November 1880 in Anwendung von Art. 102, Ziffer 2 der Bundesverfaßung begründet erklärt, gestüzt auf folgende Erwägungen: 1) daß gemäß Bundesbeschlüßen vom 19. März 1875 und 18. März 1876 die Zurükbehaltung von Ausweisschriften wegen jeder Art von Geldschulden eine Verlezung der durch Art. 45 der Bundesverfaßung dem Schweize.rblirger gewährten Rechte enthält (Bundesblatt 1875, U, 671, und 1876, I, 740) ; 2) daß daher jede derartige gesezliche oder reglementarische Bestimmung oder Uebung in den Kantonen im Widerspruche steht mit der Bundesverfaßung; 3) daß vielmehr die kantonalen Behörden gehalten sind, dem wegziehenden Bürger auf erstes Verlangen und ohne eine vorgängige Mahnung an das Publikum die deponirten Legitimationspapiere aushinzugeben (siehe die Motive zu obigen Entscheiden, Bundesblatt 1875, m, 667, und 1876, I, 969).

4. Handels- und Gewerbefreiheit.

14. Die Zahl der Rekurse betreffend die Handels- und Gewerbefreiheit hat sich im Vergleiche zu dem Vorjahre um etwas vermindert, indem die Zahl der Rekurse dieser Art von 51 im Jahre 1879 (1878: 38) im Berichtjahre auf 40 zurükging. Ueber die Gegenstände und die Art ihrer Erledigung gibt die nachstehende Uebersicht Auskunft:

677

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Hausirhandel Betrieb von Wirtschaften . . .

Holzschläge und Holzhandel, Weidebetrieb Handel mit Lebensmitteln, Getränken Advokaturberuf Droschkendienst Fahrrechte und Weggelder . .

Taxen für sanit arische Untersuchung von Pferden Versicherungswesen Besteuerung des Tabakhandels . .

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Im Einzelnen werden folgende Entscheide herausgehoben: a. G e w e r b e s t e u e r .

15. Der Entscheid in Sachen der Herren F. E. Hug in Freiburg und Genoßen, betreffend Besteuerung des Detail verkaufs von Tabak, ist bekannt durch den Rekurs an die Bundesversammlung und im Bundesblatt 1880, Bd. III, S. 441 abgedrukt. Am 1. März 1881 wurde der Rekurs auch von der Bundesversammlung als unbegründet abgewiesen.

16. Der Rekurs der R e g i e r u n g des K a n t o n s G r a u b ü n d e n gegen unsern Entscheid vom 21. Februar 1879 über den Rekurs des Verwaltungsrathes der Bank für Graubünden (Bundesblatt 1879, Bd. III, S. 683) ist bekanntlich bei den eidgenößischen Räthen pendent geblieben.

b. H a u s i r h a n d e l .

17. Hr. I s i d o r C h a l l a n d e in Rorschach wurde von der Regierung des Kantons Graubünden gebüßt, weil er Antiquitäten

678 und seltene Gegenstände aufgekauft hatte, ohne ein Patent zu losen.

Sein Rekurs wurde am S.Januar 1880 abgewiesen. Gründe: 1) Der Art. 2 des graubündnerischen Gesezes über den Marktun d Hausirverkehr von 1876 unterwirft Diejenigen, welche auf dem Hausirwege Alterthümer einkaufen, der Pflicht, hiefür ein Patent zu lösen. Diese Forderung ist an und für sich nicht bundesrechtswidrig, weil der Art. 31 der Bundesverfaßung den Kantonen die Berechtigung einräumt, über Ausübung von Handel und Gewerben polizeiliche Vorschriften aufzustellen.

2) Die thatsächliche Frage, ob der Rekurrent auf dem Hausirwege, d. h. ,,von Haus zu Haus oder von Ort zu Ort" (Art. 2 des zitirten Gesezes), Alterthümer eingekauft habe, unterliegt lediglich der Prüfung der kantonalen Behörden.

18. Hr. Ed. C h a s t a n e t , Schneidermeister in Vivis, wurde vom Staatsrathe des Kantons Wallis in Anwendung von Art. l, Art. 2, litt, c und Art. 16 des Gesezes dieses Kantons vom 21. Mai 1879 mit einer Buße von Fr. 50 belegt, weil er auf Muster Bestellungen bei Privatleuten aufnahm, ohne sich vorher das hiefür nöthige Patent zu verschaffen und die Bewilligung der Ortsbehörde nachzusuchen. Er glaubte, diese Buße stehe im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfaßung. Das Aufnehmen von Bestellungen sei kein Hausirhandel, sondern wesentlich gleich der Einladung zu Bestellungen, welche ?.. B. von großen Pariser Häusern auf dem Wege der Korrespondenz durch Zirkulare oder Zusendung von Mustern gemacht werden, ohne daß dieselben einer Steuer unterworfen seien. Der Rekurs wurde am 2. November 1880 mit folgender Begründung abgewiesen : 1) daß zwar mit Bundesbeschluß vom 29. Juli 1859 und späterer Interpretation (Amtl. Samml., Bd. VI, S. 304 und Bd. VII, S. 7) die Kantone angewiesen wurden, von schweizerischen Handelsreisenden keine Patenttaxen oder anderweitige Gebühren mehr zu beziehen, insofern diese Handelsreisenden nur Bestellungen bei Gewerbsgenoßen oder andern Privaten -- sei es mit oder ohne Vorweisung von Mustern -- aufnehmen und keine Waaren mit sich führen ; 2) daß jedoch in Folge des Postulates der Bundesversammlung vom 28. Juni 1878 (Amtl. Samml. n. F., Bd. III, S. 448) obiger Grundsaz hat aufgegeben werden müssen (Bundesblatt 1879, Bd. II, S. 449 ff.), so daß gegenwärtig die Besteuerung des Hausirhandels mit Mustern im Sinne von Art. 31, litt, a und c der Bundesverfaßung bundesrechtlich als zuläßig anerkannt ist.

679 3) Daß die Kantone berechtigt sind, die Nichtbeachtung einer hierauf bezüglichen gesezlichen Vorschrift mit Buße zu bedrohen.

4) Daß somit Art. l, Art. 2, litt, a und c, und Art. 16 des Gesezes des Kantons Wallis über den Hausirverkehr vom 21. Mai 1879 nicht im Widerspruche stehen mit der Bundesverfaßuug.

5) Daß der Bundesrath nicht kompetent ist, das Urtheil, womit der Rekurrent in Anwendung von Art. 2, litt, a und c, des oben .erwähnten Gesezes bestraft wurde, einer Kritik zu unterstellen.

19. Art. 8 des Walliser H a u s i r g e s e z e s vom 21. Mai 1879 bestimmt für den Betrieb des Hausirhandels, eines Waarenlagers, aowie für das Aufsuchen oder die Aufnahme von Bestellungen auf Muster in Häusern oder bei Personen, die weder mit den gleichen Artikeln Handel treiben, noch sie zu ihrer Industrie verwenden, folgende m o n a t l i c h e Patentgebühren: 1. Klasse Fr. 200, 2. Klasse Fr. 150, 3. Klasse Fr. 100, 4. Klasse Fr. 50. Dazu gestattet Art, 12 der Gemeinde eine Kontroigebühr, welche je nach der Bedeutung des Geschäfts in der betreffenden Gemeinde 50 Cts. bis Fr. 10 betragen darf.

Gegen diese Bestimmungen rekurrirte Max W e i s s e n b a c h , Tuchhändler in Freiburg, weil sie den Hausirhandel unmöglich machen und daher eine Verlezung der durch Art. 31 der Bundesverfaßung gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit enthalten, und weil sie eine ungleiche Behandlung aufstellen, indem das Aufnehmen von Bestellungen bei Kauf leuten und Industriellen im Großen nicht besteuert werde. Die Bundesversammlung habe jedoch schon 1859 und 1860 entschieden, daß auch das Aufnehmen von Bestellungen bei Privaten nicht dem Hausirhandel gleichgestellt werden dürfe.

Ueber diesen Rekurs hat der Bundesrath am 2. November 1880 in Betracht gezogen: 1) Gleich Erwägung l in Sachen Chastanet, Ziffer 18.

2) Die neue Bundesverfaßung von 1874 hat jedoch in Art. 31, litt, c, in Abweichung von Art. 29 der Bundesverfaßung von 1848, den Kantonen das Recht vorbehalten, Verfügungen über Besteuerung des Gewerbebetriebes zu erlaßen. In Folge dessen und in Vollziehung eines bezüglichen Postulates der Bundesversammlung vom 28. Juni 1878 hat obiger Grundsaz aufgegeben werden müssen, so daß gegenwärtig die Besteuerung des Hausirhandels mit oder ohne Vorweisung von Mustern grundsäzlich als zuläßig anerkannt werden muß.

Bundesblatt. 33. Jabrg. Bd II.

46

680

3} Gemäß Schlußsaz von Art. 31 der Bundesverfaßung darf jedoch diese Besteuerung nicht eine solche Höhe erreichen, daß dadurch der Grundsaz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst, b e e i n t r ä c h t i g t erscheinen würde.

4) Wenn nun das Gesez des Kantons Wallis über den Hausirverkehr vom 21. Mai 1879 in Art. 8 für den Hausirhandel und daa Aufsuchen von Bestellungen unter Vorweisung von Mustern eine feste und innerhalb einer Klasse unabänderliche Patentgebühr von Fr. 200 oder Fr. 150 für einen Monat vorschreibt und in Art. 12 jeder Gemeinde das Recht einräumt, überdies noch für das Visiren des Patentes eine Gebühr von 50 Cts. bis Fr. 10 per Tag zu erheben, so erscheint das Hausirgewerbe im Kanton Wallis nicht blos b e e i n t r ä c h t i g t , sondern nahezu unterdrükt.

5) Solche Vorschriften stehen ohne Zweifel im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfaßung, weil: a. das Hausirgewerbe im Geseze des Kantons Wallis zwar wohl formell als zuläßig anerkannt, aber mit so hohen Taxen und Gebühren belastet ist, daß die Ausübung desselben kaum noch nuzbringend sein kann, wenn man bedenkt, daß z. B.

für ein Patent I. Klasse Fr. 2<>0 per M o n a t , gleich Fr. 2400 per Jahr, an den Staat zu zahlen sind, und daß die Gemeindebehörden, z. B. der Stadt Sitten, das Recht hätten, für die Benuzung dieses gleichen Patents noch Fr. 260 per Monat tnach Abzug der Sonntage) oder Fr. 3120 per Jahr zu fordern^ sowie daß jede andere größere Gemeinde des Kantons Wallis berechtigt wäre, die gleiche Summe wie Sitten zu beziehen;.

b. eine angemessene Würdigung des Verkehrs der einzelnen Patentinhaber nach Maßgabe der Art der Waaren und des möglichen Erträgnisses nicht stattfinden kann; c. somit die auswärts wohnenden Gewerbsleute gegenüber den im Kanton ansäßigen Kaufleuten ungleich behandelt werden, indem Art und Umfang des Geschäftsbetriebes der leztern nach billigem Ermessen taxirt werden kann; d. die Gebühren des Walliser Gesezes nach den Resultaten einer Prüfung der Geseze aller anderen Kantone überhaupt zu den höchsten gehören ; e. die absoluten Taxansäze in Art. 8 eine billige Würdigung des einzelnen Gewerbes im W e g e der B e s c h w e r d e ausschließen, und weder eine Kontrole, noch eine Rekurs-Instanz gegen zu hohe Forderungen der untern Behörden vorgesehen ist.

681 Gestüzt auf diese Betrachtungen lud der Bundesrath den Großen Rath des Kantons Wallis ein, das Gesez über das Hausirwesen vom 21. Mai 1879 im Sinne der obigen Erwägungen einer Revision zn unterstellen und eine angemessene Reduktion der Patenttaxen für den Staat, unter Annahme von Minimalansäzen, vorzunehmen und die Gebühren zu Gunsten der Gemeinden auf eine bloße Taxe für Kontrole und Visum zu reduziren.

20. Auch gegen das Hausirgesez des Kantons Solothuro vom 19. April 1879 kamen von Herrn F l ü c k i g e r , S o h n , und sechs andern Firmen inSolothurn, sowie von der Tuchhandlung G a m p e r A n d r e s in Aarau Beschwerden ein. Dieses Gesez bezeichnet ebenfalls das Aufnehmen von Bestellungen auf Muster bei Privatpersonen als Hausirgewerbe und bestimmt eine Patentgebühr von Fr. l bis 100 per Monat, resp. für Ortschaften mit periodischen Märkten das d o p p e l t e . Art. 7 gestattet den Gemeinden den Bezug einer Kontroigebühr bis zur H ä l f t e des B e t r a g e s der s t a a t l i c h e n P a t e n t t a x e . Ueber die Klassifikation und Feststellung der Taxen ist in § 6 ein Reglement der Regierung vorgesehen, unter Vorbehalt der Genehmigung desselben durch den Kantonsrath. Dieses gleichzeitig mit dem Gesez vom Kantonsrathe angenommene Reglement fixirte für das Hausiren mit Ellenwaaren, Modeartikeln, Seidenwaaren etc. eine a b s o l u t e Taxe von Fr. 100 per M o n a t an den Staat. In Folge dessen mußte das Haus GamperAndres in Ölten (ein Marktort) für einen Monat Fr. 200 Patentgebühr und Fr. 50 Kontroitaxe an die Gemeinde bezahlen.

Am 2. November 1880 zogen wir folgende rechtliche Gesichtspunkte in Betracht : 1) Gemäß Art. 31, litt, c, der Bundesverfaßung steht den Kantonen das Recht zu, den Betrieb von Gewerben zu besteuern, jedoch darf nach Vorschrift des Schlußsazes des gleichen Artikels eine solche Verfügung den Grundsaz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen.

2) Durch die neuere bundesräthliche Praxis ist ferner der Grundsaz festgestellt, daß die Besteuerung des Hausirhandels mit Mustern nicht im Widerspruche stehen dürfe mit Art. 31 der Bundesverfaßung und daß in diesem Falle eine Beeinträchtigung der Handelsfreiheit nur in der Höhe der Gebühren liegen könne.

3) Die in den §§ 6 und 7 des Hausirgesezes des Kantons Solo" thurn aufgestellten Patenttaxen für das Hausiren mit Mustern bei Privaten zuhanden des Staates und der Gemeinden, gehören allerdings zu den höchsten, die in allen anderen Kantonen vorkommen.

682 Gemäß der bisherigen Praxis ist jedoch der Bundcsrath nicht im Falle, diese Taxen aus allgemeinen Gesichtspunkten einer Kritik zu unterstellen, zumal das Gesez selbst vermöge der relativen Ansäze von Fr. i bis 100, resp. bis Fr. 200 per Monat eine angemessene Würdigung des Hausirgewerbes eines einzelnen Petenten nach Maßgabe der Art der Waaren, für welche Bestellungen gesammelt werden wollen, und der Zeit, während welcher in dieser Weise bausirt werden will, möglich macht.

43 Was dagegen die Vollziehungsverordnung vom 19. April 1879 betrifft, so steht dieselbe im Widerspruche mit dem Geseze vom gleichen Tage, da in derselben auf die Relativansäze des Gesezes keine Rüksicht genommen ist, sondern für alle Fälle fixe Ansäze aufgestellt sind, welche ein billiges Ermeßen im einzelnen Falle nicht gestatten. Obschon diese Vollziehungsverordnung im Sinne von § 6 des Gesezes auch die Genehmigung des Katitonsrathes von Solothurn erhalten hat, so kann dieselbe doch nicht als statthaft anerkannt werden, da auf diesem Wege der Wortlaut des Gesezes nicht umgangen werden darf.

Gestüzt hierauf wurden die erwähnten Rekurse als begründet erklärt und der Kantonsrath von Solothurn eingeladen, die Vollziehungsverordnung vom 19. April 1879 zu dem Hausirgeseze vom gleichen Tage einer Revision zu unterstellen und mit dem Geseze in Uebereinstimmung zu bringen, sowie bei diesem Anlaße auch auf eine Revision des Gesezes selbst im Sinne einer angemeßenen Reduktion der Maximalansäze für die Patentgebühren Bedacht zu nehmen und die Gebühren zu Gunsten der Gemeinden auf eine bloße Taxe für Kontrole und Visum zu reduziren.

21. Das t e s s i n i s c h e Gesez ü b e r den G e w e r b e b e t r i e b im U m h e r z i e h e n (sulle professioni ambulanti), vom 21. November 1879, in Kraft getreten auf 1. Januar 1880, bestimmt für diese Art des Verkehrs eine m o n a t l i c h e Staatsgebühr von Fr. l bis 100 (Art. 3), es gewährt zudem den Gemeinden eiüe Taxe per Tag im Verhältniß zu der Staatsgebühr und zwar von mindestens 20 Cts. täglich, nebst 20 Cts. für das Visum des Patents (Art. 4).

In der Vollziehungs verordnung des Staatsraths vom 13. Dezember 1879 dagegen ist speziell für das Aufsuchen von Bestellungen mit oder ohne Muster bei Personen, welche mit dem ihnen zum Kauf angebotenen Artikel selbst keinen Handel treiben oder
ihn in ihrem Gewerbe nicht brauchen, e i n e f i x e T a x e an den Staat von Fr. 100 p e r M o n a t und als Minimum der Taxe an die Gemeinde Fr. 3. 33 täglich festgesezt. -- Art. 9 und 10 der nämlichen Verordnung bestimmen, daß ein Patent nur an Schweizer oder an

683 Solche verabfolgt werden dürfe, die in der Schweiz niedergelaßen oder Aufenthalter seien, vorausgesezt, daß leztere einem Staate angehören, der Gegenrecht hält.

Das graubündnerische Gesez über den Markt- und Hausirverkehr, in Kraft getreten auf 1. April 1880, schreibt für diese Art des Gewerbebetriebs das J a h r e s patent als Regel vor, gestattet aber für besondere Fälle auch Patente von kürzerer Dauer, doch nicht unter drei Monaten; es besteuert wie das tessinische auch das Aufsuchen von Bestellungen bei Nichtgewerbsleuten. Nach der Vollziehungsverordnung vom 12. Februar 1880 darf die Taxe an den Staat bis auf Fr. 75 jährlich betragen und sind die Gemeinden berechtigt, nach Verhältniß der Zeit eine Taxe im nämlichen Betrage wie die Staatsgebühr, im Minimum 20 Cts. per Tag, zu beziehen. Nach Art. 3 des Gesezes hat der Angehörige eines vergegeurechteten Staates, der dieser Art des Gewerbetriebs obliegen will, Aufenthaltsbewilligung, der Angehörige eines andern Staates aber Niederlaßungsbewiiligung im Kanton zu nehmen, bevor er ein Patent erhalten kann.

Die italienische Gesandtschaft hat gegen diese beiden Geseze und Verordnungen zweierlei Reklamationen erhoben.

Zunächst hat sie dem Herrn ßundespräsidenten kurzer Hand eine Remonstration des italienischen Konsuls in Lugano gegen das tessinisehe Gesez zugestellt, Welche sich Namens der zahlreichen, im Tessin [besonders mit gewobenen Stoffen) hausirenden Italiener gegen die hohen Taxen richtete.

Mit Note vom 20. Juli hat sie dann auch gegen die Besteuerung der Reisenden des Ellenwaaren- und Schneidereigeschäfts Pietra in Mailand, welche für dieses Haus in Graubünden und Tessin auf Muster Bestellungen für Kleider aufnahmen, Einsprache erhoben.

Sie stellte diesfalls darauf ab : 1) daß die Schweizer in Italien unter gleichen Voraussezungen von jeder Taxe befreit seien; 2) daß die Italiener gemäß der temporären Handelsübereinkunft vorn 28. Januar 1879 (A. S. n. F., Bd. IV, S. 99) Anspruch haben, gleich behandelt zu werden, wie die Angehörigen des meistbegünstigten Staates, d. h. wie die Deutschen in der Schweiz, gemäß Art. 9 des Handels- und Zollvertrags vom 13. Mai 1869 (A. S., Bd. IX, S. 888), lautend: ,,Kaufleute, Fabrikanten und andere Gewerbetreibende, welche sich darüber ausweisen, daß sie in dem Staate, wo sie ihren Wohnsiz haben, zum Gewerbebetrieb berechtigt

684

sind, sollen, wenn sie persönlich oder durch in ihrem Dienste stehende Reisende Ankäufe machen oder Bestellungen, auch unter Mitfuhrung von Mustern, suchen, in dem Gebiete des andern vertragenden Theiles keine weitere Abgabe hiefür zu entrichten verpflichtet sein."

Für den Fall des Nichtentsprechens stellte die Gesandtschaft Repressalien in Aussicht.

Bei der Erledigung dieser Reklamationen (am 19. November 1880) mußte auseinander gehalten werden : 1) das Hausiren mit fertigen Waaren (Beschwerde des italienischen Konsulates in Lugano); 2) das Hausiren durch Aufnahme von Bestellungen auf erst noch im fremden Lande anzufertigende Waaren, mit oder ohne Muster (Beschwerde Pietra).

Ad l zogen wir in Betracht, daß.

a. die Besteuerung von Hausirern mit Waaren, die aus Italien kommen, schon durch Art. 15 des Handelsvertrags vom 22. Juli 1868 (A. S., Bd. IX, 8. 657) nicht ausgeschloßen gewesen, daß dieselbe um so mehr jezt, nachdem dieser Vertrag auf 31. Januar 1879 außer Kraft getreten, prinzipiell zuläßig sei; b. daß aber die außer der Schweiz wohnenden Italiener, welche mit Waaren zum Hausiren in die Schweiz kommen, wie auch die in der Schweiz wohnenden Italiener, wenn sie ihr Gewerbe im Umherziehen ausüben, bezüglich der Besteuerung ihres Gewerbes gemäß Art. l des Niederlaßungsvertvags vom 22. Juli 1868 (A. S., Bd. IX, S. 706) Gleichbehandlung mit den Schweizern beanspruchen dürfen, daß sie also dem gemeinen Rechte der Schweiz unterstellt sind, demnach die Vortheile genießen, welche Art. 31 der Bundesverfaßung den Schweizerbürgern gewährt, aber auch die nämlichen Steuern zu bezahlen haben, welche in Anwendung dieses Artikels die kantonalen Geseze "aufstellen oder welche von den Bundesbehörden als zuläßig anerkannt werden, daß somit lediglich zu prüfen ist, ob die Steuersäze der Kantone Graubünden und Tessin für das Hausiren mit Waaren mit Art. 31 der Bundesverfaßung vereinbar seien?

Diese Frage wurde in Uebereinstimmung mit den oben sub 19 und 20 erwähnten Entscheiden vom 2. November 1880 bezüglich der Hausirgeseze der Kantone Solothurn und Wallis erledigt. Mit der nämlichen Begründung wurde auch die Regierung des Kantons

685 Tessin eingeladen, die in der Vollziehungsverordnung aufgestellten f e s t e n A n s ä z e , weil mit dem Geseze selbst im Widerspruche stehend, mit den Bestimmungen des Gesezes in Einklang zu bringen.

Gegen die Gebühren, welche im Kanton Graubünden gefordert werden, läßt sich nichts einwenden.

Ad 2 kamen folgende Erwägungen in Betracht : a. daß .die Meistbegünstigungsklausel in Art. 15 des Handelsvertrags vom 22. Juli 1868 (A. S., Bd. IX, S. 659) mit dem Außerkrafttreten des leztern auf 31. Januar 1879 gegenstandslos geworden ist; b. daß die Meistbegünstigungsklausel der jezt in Kraft bestehenden temporären Handelsübereinkunft zwischen den beiden Staaten vom 28. Januar und 24. Dezember 1879 (A. S. n. F., Bd. IV, S. 99 und 384) nur Ein-, Aus- und Durchfuhr betrifft; «. daß die Meistbegünstigungsklausel in Art. 10 des Niederlaßungsvertrags vom 22. Juli 1868 (A. S., Bd. IX, S. 706) sich nur auf die Niederlaßung und die Ausübung industrieller Gewerbe von Seite der Angehörigen des einen Staates, welche im andern Staate w o h n h a f t sind, bezieht; daß sonach Italien mit Bezug auf das vorliegende Verhältniß keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit der diesfalls meistbegünstigten Nation (Art. 9 des Handelsvertrags mit Deutschland vom 13. Mai 1869, A. S., Bd. IX, S. 888) erheben kann, daß übrigens der Fall des Hauses Pietra in Mailand, welches die italienische Gesandtschaft zu ihrer Reklamation veranlaßte, gar nicht unter den Gesichtspunkt dieses Art. 9 fällt.

Gestüzt hierauf wurde der italienischen Gesandtschaft geantwortet: Das Recht Italiens, durch Gewerbetreibende Bestellungen in der Schweiz aufzunehmen, sei durch das in Folge Kündigung von Seite Italiens stattgefundene Außerkrafttreten des Handelsvertrags vom 22. Juli 1868 mit dem 31. Januar 1879 erloschen.

Das Recht der Gleichbehandlung mit der meistbegünstigten Nation könne aus der temporären Uebereinkunft vom 28. Januar und 24. Dezember 1879 nicht-abgeleitet werden, indem sich diese nur auf die Ein-, Aus- und Durchfuhr beschränkt. Abgesehen hievon, stehe auch dem meistbegünstigten Staate (Deutschland) das Recht
Endlich ist die Regierung des Kantons Graubünden eingeladen worden, dafür zu sorgen, daß der Art. 3 des Hausirgesezes, und diejenige des Kantons Tessin, daß die Art. 9 und 10 der Voll-

686 Ziehungsverordnung vom 13. Dezember 1879 in dem Sinne revidirt werden, daß für die Angehörigen von Staaten, mit welchen Handelsverträge bestehen, statt der Forderung des Gegenrechtes das Vertragsrecht vorbehalten bleibe.

c. W i r t h s c h a f t s w e s e n .

22. Auf die Beschwerde gegen Verweigerung des Wirthschaftspatentes, weil die Lokalität zu klein sei und für den Betrieb einer Wirthschaft sich überhaupt nicht eigne, wurde nicht eingetreten, indem kein verfaßungsmätöiges Recht verlezt erscheine. Die Kantone seien gemäß Art. 31, litt, c der Bundesverl'aßung befugt, · über Beschaffenheit der für Wirthschaften bestimmten Lokale nach Größe, Zwekmäßigkeit, Lage etc. Bestimmungen aufzustellen. Die Prüfung und der Entscheid der Frage, ob im einzelnen Falle solche Vorschriften erfüllt seien oder nicht, liege in der Kompetenz der kantonalen Behörden. (6. Januar 1880.)

23. In drei Fällen wurde dahin entschieden, daß in der Verweigerung eines Wirthschaftspatentes, aus dem einzigen Grunde, daß in der betreffenden Ortschaft schon genug Wirthschaften bestehen , eine Beeinträchtigung der Gewerbefreiheit liege, die mit A t. 31 der Bundesverfaßung im Widerspruche stehe. (7. Mai, 6. und 10. August 1880.)

24. Der Entzug des Wirthschaftspatentes wegen strafbarer Handlungen durch den Wirth kann dem gutbeleumdeten Nachfolger gegenüber nicht als Grund zur Verweigerung des Patentes geltend gemacht werden. (7. Mai und 6. August 1880.)

25. Die zwei weitern hieher gehörigen Entscheide in Sachen des L u d w i g F r i e d r i c h B i c k e l und des R u d o l f S t u r m in Basel sind gedrukt im Bundesblatt 1880, Bd. IV, S. 491 und 495.

Die Regierung des Kantons Baselstadt hat bekanntlich gegen den Theil unserer Entscheide, wodurch das zeitweilige Verbot einer Wirthschaft in den gleichen Lokalitäten als unzuläßig erklärt worden war, an die Bundesversammlung rekurrirt, welche am 23. Dezember 1880 diesen Rekurs als begründet«erklärte. (Bundesblatt 1881, Bd. I, S. 48.)

d. V e r k a u f von Spirituosen.

26. Die Beschwerde des Hrn. Apotheker C o u r t in Yverdon gegen das Verbot des Verkaufes von Spirituosen in einer Apotheke wurde als unbegründet abgewiesen. (Bundesblatt 1880, Bd. III,

68T

S. 475.)

Die Bundesversammlung (Bundesblatt 1881, Bd. I, S. 48.)

bestätigte diesen

Entscheid.

e. H o l z h a n d e l und Flößerei.

27. Durch Urtheil vom 17. Januar 1880 hat die Polizeikammer des bernischen Obergerichtes den Johann W i e d m e r , Holzhändler in Lotzwyl, wegen unbefugten Fortflößens von 142 Holzstämmen außer den Kanton Bern in Anwendung der §§ l und 2 der Polizeivorschriften über Holzschläge und Flößungen, vom 7. Januar 1824, und .des § 19 b der Polizeivorschriften über Holzschläge und Flößungen, vom 26. Oktober 1853, zu einer Buße von Fr. 852 (= Fr. 6 per Stamm), sowie zu sämmtlichen Prozeßkosten verfällt, im Wesentlichen auf Grund folgender Erwägungen : Nur für 80 Stämme habe eine von dei- Forstdirektion ertheilteHolzschlagbewilligung bestanden, für die weitern 62 Stük liege eine solche nicht vor. Die Behauptung des Beklagten , daß in jener Holzschlagbewilligung stillschweigend auch die Bewilligung zum Fortflößen aus dem Kanton enthalten sei, und daß er für den Rest von 62 Stämmen weder eine Holzschlag- noch Ausfuhrbewilligung nöthig gehabt, weil dieselben von bürgerlichem Loosholz herkommen, sei unbegründet. In der Bewilligung zum Schlagen und Ausführen von Holz aus dem Kanton sei die Bewilligung zur Ausfuhr mittelst Flößens nicht enthalten, vielmehr sei nach § 2 der citirten Polizeivorschriften vom 7. Januar 1824 für das Flößen allein eine Bewilligung nöthig, selbst wenn zum Schlagen eine solche ausgewirkt oder nicht nöthiü; wäre.

ö

Wiedmev verlangte Aufhebung dieses Erkenntnisses, indem er darauf abstellte, daß er die Vorschriften betreffend Holzschläge nicht übertreten habe. Er habe selbst kein Holz gesehlagen, sondern blos gefällte Stämme gekauft. Für 80 Stämme habe die bernische Direktion der Domänen und Forsten eine Holzschlagbewilligung ertheilt, während für die übrigen 62 Stämme, bestehend in zugetheiltem Loosholz von Burgern im Amt Wangen eine spezielle Schlagbewilligung nicht erforderlich gewesen sei. Die bernischen Polizeivorschriften über den Holzhandel und die Holzausfuhr enthalten, indem sie die Holzausfuhr nur unter gewissen Bedingungen gestatten, eine nach Art. 31 der Bundesverfaßung unzuläßige Beschränkung des Verkehrs mit Holz. Unter alleo Umständen stehe der Betrag der Buße im Widersprüche mit dem Schlußsaze von Art. 31 der Bundesverfaßung.

Der Bundesrath erklärte die Beschwerde am 9. November 1880 begründet im Sinne der folgenden Erwägungen:

688

1) Nach § 19 der Polizeivorschriften über die forstwirtschaftliche Behandlung der Waldungen, sowie über Waldausreutungen, Holzschläge und Flößungen, vom 26. Oktober 1853, werden bestraft : b. Unbefugte Holzschläge und Vergehen gegen die Vorschriften über Flößungen nach §§ l und 4 des Gesezes über Holzschläge und Flößungen, vom 7. Januar 1824, mit einer Buße von Fr. 6 von jedem Klafter Holz und Fr 6 von jedem St o k Bau- oder Spältenholz, welche unbewilligter Weise geschlagen worden sind..

Ueberdies sind bei allen Flößungen ohne Ausnahme die Flößer für denjenigen Schaden verantwortlich, welcher erweislich durch ihre Flöße an Gütern und Schwellen veranlaßt worden.

2) In Anwendung dieser Strafbestimmung trifft daher die volle Buße alle Diejenigen, welche ohne Besiz der vorgeschriebenen Bewilligung in größerm oder kleinerm Maße Holzschläge sich erlauben, gleichviel ob dieses Material im Lande bleibt oder per Achse oder auf dem Wasser a u s g e f ü h r t wird.

In ganz gleicher Art soll in den Fällen verfahren werden, wo durch die im Boden vorhandenen S t ö k e sich nachträglich konstatiren läßt, daß Materialbezüge dieser Art vor kürzerer oder längerer Zeit unerlaubt stattgefunden haben.

3) Hieraus darf und muß offenbar geschloßen werden, daß bei Aufstellung dieser jezt noch geltenden Polizei Vorschriften,der Schwerpunkt, im Interesse der Erhaltung des Waldes und der Waldpflege, auf die Bestrafung hauptsächlich der unerlaubten Holzschläge gelegt werden wollte, indem das Strafmaß gleich hoch angesezt ist, ob Verkauf im Inland oder Ausfuhr stattfinde.

4") Zuwiderhandlungen bei Flößen wären dagegen im Sinne von Art. 4 der Polizeivorschriften über Holzschläge und Flößungen, vom 7. Januar 1824, welcher im Nachsaz von § 19 b der Vorschriften vom 26. Oktober 1853 reproduzirt ist, abzuwandeln.

5) Im Rekursfalle Wiedmer ist nun aber durch die gerichtlichen Untersuchungen festgestellt, daß eine Uebertretung, wie dieselbe in Erwägung l und 2 vorausgesezt ist, nicht vorliegt, sondern dem Bestraften einzig zur Last fällt, ohne ausdrükliche Bewilligung die Wasserstraße der Aare zum .Holztransport benuzt zu haben. Eine Uebertretung dieser Art kann aber unmöglich nach den in Erwägung l, Absaz l angezogenen Polizeivorschriften bestraft werden, wenn dadurch nicht eine ganz wesentliche Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit stattfinden soll.

689

28. Unterm 10. Dezember 1873 erließ die L a n d s c h a f t D a v o s eine Waldordnung, deren §§ 10 und 11 also lauten: fl§ 10. Behufs Erzwekung einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder wird der Holzbezug folgenden Regeln unterstellt :

1) Jedem Privaten wird bis auf Weiteres die Befugniß eingeräumt, aus seinen eigenthümlichen Waldungen zum eigenen Bedarf an Brenn-, Bau- und Zaunholz, insofern der Bedarf vorhanden und es der Waldbestand erlaubt, jährlich bis auf 10 Normalklafter, wobei Aeste und Stöke nicht inbegriffen sind, ohne forstamtliche Bewilligung und Auszeichnung zu beziehen.

Ausgenommen sind hievon einzelne Schuzwaldungen und allfällig jezt schon übermäßig gelichtete Privatwaldungen, die von der Kreisforstbehörde und dem Kreisförster gemeinsam näher zu bezeichnen sind und in denen alles grüne, zum Hieb kommende Holz forstamtlich gezeichnet werden muß.

2) Jeder weitere Bezug für eigenen Bedarf unterliegt der Bewilligung der zuständigen Forstbehörde der Landschaft und muß das Holz forstamtlich gezeichnet werden.

3) Gesuche um Bewilligung zum Verkaufe von Holz, mit Inbegriff desjenigen abgetragener Gebäude, sowie zum Austausch von Holz, sind an die Forstbehörde der Landschaft zu richten, welche ·dieselben bis zu einem Holzquantum von 20 Normalklafter (2000 Kubikfuß) dem betreffenden Kreisförster, bei großen Holzmassen dem Kleinen Rathe begutachtend einzubegleiten hat.ct ,,§ 11. Wer den Bestimmungen des § 10 zuwiderhandelt, ist mit einer Buße bis auf den halben Betrag des frevelhaften Holzbezuges oder Verkaufes zu bestrafen.11 Ferner stellt § 16 die Taxen auf, welche für die forstamtliche Bewilligung und Auszeichnung des Holzes bezogen werden dürfen.

Dabei wird die Taxe doppelt berechnet, wenn das Holz zum Verkauf bestimmt ist oder wenn es sich um das Holz von abgetragenen Gebäulichkeiten handelt.

Diese Waldordnung ist vom Kleinen Rathe von Graubünden unterm 9. August 1873 genehmigt worden.

Die Herren E. M i c h e l und Ch. B r a n g e r aus Davos, beide Holzhändler, rekurrirten gegen jene Bestimmungen , indem sie geltend machten, daß dieselben, selbst in ihrer Anwendung auf Schuzwaldungen (Artikel 4 des eidgenößischen Forstgesezes vom 24. März 1876, A. S. n. F. II, 353), in welche Kategorie alle Waldungen der Landschaft Davos gehören, in der Beschränkung der Handels-

690 und Gewerbefreiheit zu weit gehen und so dem Artikel 31 der Bundes verfaßung zuwiderlaufen.

Sie verbanden damit das Begehren, der Bundesrath möge 1) die angeführten Vorschriften als der Bundesverfaßung zuwiderlaufend aufheben und die Gemeindeverwaltung zur Restitution der auf dem V e r k a u f von Holz aus dem Privateigentum der Rekurrenten bezogenen besondern Gebühren anhalten ; 2) die Regierung von Graubünden veranlaßen , die Forstgesezgebung der politischen Gemeinde Davos mit der Bundesverfaßung und dem erwähnten Bundesgesez in Einklang zu sezen.

Der Bundesrath zog arn 19. März 1880 in Erwägung: 1) Die Waldungen in der Landschaft Davos sind, wie die Rekurrenten anerkennen, sämmtlich als Schuzwaldungen zu betrachten und vom Kanton auch seiner Zeit als solche klassifizirt worden. Es ist nicht anzunehmen, daß die noch ausstehende Ausscheidung der. Schuzwaldungen im Kanton Graubünden , gemäß Artikel 5 des Bundesgesezes betreffend die Forstpolizei im Hochgebirge , vorn 24. März 1876 eine wesentliche Aenderung der Klassifikation in Davos zur Folge haben werde. AI? Schuzwaldungen sind die Davoser Waldungen, wenn auch im Besiz von Privaten stehend, doch aus landespolizeilichen Rüksichten dem freien Handel und Verkehr entzogen und durch Artikel 3 und 19 des erwähnten Bundesgesezes der Oberaufsicht des Bundes und besondern, durch die Kantone zu erlaßenden Sicherungsmaßregeln unterstellt.

23 Es schreibt nun allerdings § 27 der revidirten Forstordnung für den Kanton Graubünden, vorn 30. Mai 1877, welche vom Bundesrath den 15. Januar 1878 genehmigt wurde, vor: ,,In den Waldungen von Gemeinden und öffentlichen Korporationen , sowie in Privatschuzwaldungen , haben die Holzabgaben vermittelst Anweisung und Auszeichnung durch die Revierförster, gemeinschaftlich mit den betreffenden Verwaltungen und den Waldeigenthümern, und im Einverständnisse mit dem Kreisförster zu geschehen."

ge Mit dieser Bestimmung steht § 10 der Davoser Waldordnung vom Jahre 1873 allerdings im Widerspruche, es konnte obige Bestimmung bisher aber deßhalb nicht in Kraft gesezt werden , weil die Ausscheidung der Schuzwaldungen noch nicht vollendet ist und daher auch der bundesräthlichen Genehmigung noch nicht unterbreitet werden konnte.

Zum Erlaß der Vorschriften in § 10 der Waldordnung von Davos war übrigens die Landschaft mit Genehmigung der kan-

. 691 tonalen Regierung seiner Zeit, kompetent und wird durch dieselben, weil rein landespolizeilicher Natur, der Artikel 31 der Bundesverfaßung nicht verlezt.

3) Was die Taxen für die Holzanzeichiiung betrifft, so gestalten sich dieselben als ein Beitrag an die Kosten der Forstverwaltung. Die FestsezuDg solcher Taxen und die Höhe des Betrages derselben stehen lediglich im Ermessen der kantonalen Behörde.

Ebenso haben die andern im Rekurse aufgeworfenen Fragen mit dem Artikel 31 der Bundesverfaßung nichts gemein und fallen somit außer die Kompetenz des Bundesrathes.

und beschloß : I. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

o O H. Die Regierung von Graubünden wird eingeladen, wenigstens bis zum Jahresschlüsse die Ausscheidung der Schuzwaldungen in der Landschaft Davos zu Ende zu führen und dafür zu sorgen, daß binnen der gleichen Frist die dortige Gemeindeforstordnung mit der kantonalen vom November 1878 in Einklang gebracht werde.

29. Von zwei weitern analogen Entscheiden gegen das Verbot von Ankauf und Ausfuhr von Holz aus Korporationswaldungen im Kanton Obwalden ist der eine von Hrn. Johann M a t t e r von Engelberg, wohnhaft in Kägiswil, Gemeinde Samen, durch die Weiterziehung an die Bundesversammlung bereits bekannt. Unser Entscheid , womit der Rekurs abgewiesen worden, ist gedrukt im Bundesblatt 1880, Bd. I, S. 401. Er wurde durch die Bundesversammlung bestätigt. (Bundesblatt 1880, Bd. III, S. 452.)

f. Weg- und B r U k e n g e l d e r .

30. Der Gemeinderath von M a r t i g n y - C o m be, Kantons Wallis, beschloß, für die Benuzung der Straße von Martigny nach ·Chamounix über die Tête-Noire ein Weggeld zu beziehen im Betrage von Fr. l für zweispännige und von Fr. l. 50 für dreispännige Wagen. Diese Maßregel wurde damit gerechtfertigt, daß jene Straße nur ausnahmsweise auf besondere Bewilligung des Staatsrath.es hin den Wagen offen stehe, somit gemäß der bestehenden Gesezgebung nicht als ordentliche Fahrstraße, sondern nur als Saumweg für Maulthiere gelten könne. Der Mehraufwand für den Unterhalt der Straße, welcher in Folge des Befahrens mit Wagen nöthig werde, könne daher nicht der Gemeinde auffallen.

Dieser Beschluß wurde von dem Staatsrathe des Kantons Wallis genehmigt, allein auf den Rekurs des Moritz M o t t i e r und anderer

692

Kutscher in Vernayaz vom ßundesrath am 6. Januar 1880 aufgehoben, in Betracht: daß nach Art. 58 des Bundesgesezes über das Zollwesen vom 27. August 1851 (Amtl. Samml. II, 551) im Einklänge mit Art. 24 der Bundesverfaßung von 1848 alle im Innern der Eidgenoßenschaft mit Bewilligung der Tagsazung eingeführten W e g - , S t r a ß e n und Brükengelder unter Vorbehalt gewisser Entschädigungen aus der Bundeskasse als aufgehoben erklärt worden sind, und daß ohne Bewilligung des Bundesrathes mit nachheriger Genehmigung der Bundesversammlung solche Gebühren nicht weiter bezogen und daher auch neue nicht eingeführt werden dürfen.

"Ö^ g. A d v o k a t u r .

31. Der freiburgische Advokat C o r p a t a u x , dessen Beschwerde gegen die Ausstreichung aus der Advokatenliste wegen krimineller Bestrafung im lezten Geschäftsbericht erwähnt wurde, hat auch noch an die Bundesversammlung rekurrirt, welche den Rekurs am 2. Juli 1880 als unbegründet abwies (Bundesbl. 1880, III, 444 und 452).

32. Der Advokat Henri de C o c a t r i x in St-Maurice, gegen welchen einzelne Gläubiger sogenannte actes de carence ausgewirkt, und Advokat Louis R i b o r d i in Sitten, welcher 1872 in Konkurs fiel, wurden von den Advokaten listen des Kantons Wallis gestrichen.

Sie rekurrirten gestüzt auf Art. 31 der Bundesverfaßung und unter Berufung darauf, daß im betreffenden Wallisergesez keine Bestimmung enthalten sei, wonach diejenigen Advokaten, welche fallit oder zahlungsunfähig geworden, ihren Beruf nicht weiter ausüben dürften. Die Regierung von Wallis anerkannte, daß eine solche formelle Vorschrift bezüglich der Advokaten nicht bestehe, bemerkte aber, daß das in einem Geseze von 1846 enthaltene ausdrükliche Verbot gegen Notare, deren Zahlungsunfähigkeit konstatirt sei, immer auch auf die Advokaten Anwendung gefunden habe. Uebrigens seien die Bundesbehörden in diesem Falle nicht kompetent; eine Vorlezung der Handels- und Gewerbefreiheit liege nicht vor.

Die Beschwerden wurden am 20. April 1880 abgewiesen.

Begründung : Die Betreibung des Advokatenberufes fällt nicht unter den Begriff von Handel und Gewerbe, deren Freiheit in Art. 31 der Bundesverfaßung gewährleistet ist. Die Kantone sind gemäß Art. 33 der Bundesverfaßung vielmehr berechtigt, .einen Ausweis über die Befähigung zu verlangen und können im Abgang entgegengesezter

693; Bundesvorschrift auch weitere Bedingungen feststellen, welche dieEigentümlichkeit dieses Berufes und dessen Beziehungen zur staatlichen Organisation als nöthig erscheinen laßen. Wenn daher im.

Kanton Wallis diejenigen Advokaten, die fallit oder zahlungsunfähig geworden sind , nicht weiter zur Ausübung des Advokatenberufes zugelaßen werden, so erscheint eine solche Maßregel nicht alsbundesrechtswidrig. Der Entscheid der Frage aber, ob der daherigeBeschluß des Staatsrathes vom 30. Januar 1880 mit der Gesezgebung dieses Kantons im Einklänge stehe, fällt nicht in die Kompetenz des Bundesrathes.

5. Glaubens- und Gewissensfreiheit.

33. J u l e s B é g u i n aus dem Kanton Waadt, Gutsbesizer irt Düdingen, Kantons Freiburg, beschwerte sich, daß er zu Schulsteuern an die protestantische Schulgemeinde in Berg-Düdingen angehalten werde,, obwohl er schon im Dezember 1874 seinen Austritt aus der offiziellen protestantischen Landeskirche erklärt habe.

Der Staatsrath von Freiburg rechtfertigte diese Steuerforderung^ damit, daß die Schulen in Düdingen, wenn auch konfessionell ausgeschieden, doch beide, sowohl die allgemeine katholische als auch die protestantische, ö f f e n t l i c h e Schulen seien. Das freiburgische Schulgesez mache zwischen den Schulen der beiden Konfessionen keinen Unterschied, außer daß die katholische Schule ausschließlich .von den Katholiken und die protestantische Schule ausschließlich von den Protestanten zu unterhalten sei. Da somit alle Bürger der Steuerpflicht für die öffentlichen Schulen unterworfen seien, so müssen nicht blos die Mitglieder der protestantischen Landeskirche,, sondern die Protestanten jeder religiösen Meinung an die protestantische Schule steuern.

Der Bundesrath erklärte am 1. Juni 1880 die Beschwerde als begründet und hob demnach das Urtheil des Friedensrichteramtes, in Schniitten, womit Herr Béguin zur Bezahlung der fraglichen Sehulsteuer nebst Verspätungsbuße, Zins und Kosten verurtheiltworden war, auf. Gründe : 1) Nachdem der Rekurrent, was nicht widersprochen ist, ausdrüklich und zwar genau in den vom Bundesrath in seinem Rekursentscheide vom 10. Juli 1871 (Bundesbl. 1872, I, 165 und 169) hiefür gebrauchten Ausdrüken erklärt und angezeigt hat, daß er aufgehört habe, ein Glied der evangelisch-reformirten Kirche zu sein, so steht keiner Behörde das Recht zu, ihn dessenungeachtet als Glied dieser Kirche oder Religionsgenoßenschaft zu behandeln

94

«nd ihn zur aktiven oder passiven Theilnahme an den besondern Rechten und Pflichten derselben zu zwingen.

2) Die in Berg, beziehungsweise üüdingen und in andern Gemeinden des Kantons Freiburg auf Grund der kantonalen Geseze von 1848, 1870 und 1874 über das Schulwesen durchgeführte Schultrennung, nach welcher die eine Schule ausschließlich von den au der reformirten Konfession, die andere ausschließlich von den zur katholischen Konfession sich bekennenden Einwohnern unterhalten werden muß, kommt mit dem Grundsaze des Art. 49, AI. 2 der Buudesverfaßung in Widerspruch, wenn ein Einwohner, welcher von dem sowohl durch die Bundesverfaßung als durch die Kantonsverfaßung geschulten Rechte des Austritts aus seiner bisherigen Religionsgenoßenschaft Gebrauch macht, gleichwohl gezwungen werden will, dieser Religionsgenoßenschaft auch ferner anzugehören und die ausschließlich ihren Gliedern auffallenden Verpflichtungen zu erfüllen.

3) Wenn durch die Nichtzulaßung dieses Zwanges es dem Einzelnen ermöglicht wird, sich der sonst allgemeinen bürgerlichen Verpflichtung zur Unterhaltung der öffentlichen Schulen zu entziehen, so fällt die Schuld an dieser eintretenden Anomalie nicht dem Bürger zur Last, welcher von seinem unzweifelhaften, in Art. 49, AI. 2 der Bundesverfaßung begründeten Rechte Gebrauch macht, sondern vielmehr einer Schultrennuug, welche nach Konfessionen ausscheidet und die Erfüllung einer bürgerlichen Pflicht von religiöskirchlichen Eigenschaften abhängig macht, deren sich der Einzelne nach seinem Gutfinden gültig entledigen kann.

34. Durch das solothurnische Gesez betreffend die Wiederwahl ·der Geistlichen, vom 28. Dezember 1872, ist für dieselben eine Amtsdauer von sechs Jahren eingeführt worden. In Vollziehung dieses Gesezes wurden im Dezember 1878 von der Staatskanzlei ·Solothurn 37 Pfarreien, darunter auch diejenige von Sta r r k i r e h, bestehend aus den politischen Gemeinden Starrkirch und Dulliken, zur Wiederbesezung ausgeschrieben. Für diese Pfarrei meldeten sich der bisherige (alt-katholische) Pfarrer, Hr. Paulin Gschwind, und Hr. Abbé Hugi, welcher seit einiger Zeit den Gottesdienst der Römisch-Katholiken in Dulliken besorgt hatte.

Es entstand nun die Frage, ob bei der Pfarrwahl in Starrkirch auch die römisch-katholischen Einwohner sich betheiligen können.

Die Regierung entschied
am 3. Februar 1879, daß nur diejenigen Einwohner stimmberechtigt seien, welche ihren Beitritt zur christkatholischen Pfarrgemeinde Starrkirch-Dulliken förmlich erklärt haben. Durch Beschlüsse vom 18. Oktober und 22. November 1874

695 habe sich nämlich die damalige Kirchgemeinde in ihrer Mehrheit als ,,christ-katholische Pfarrgemeinde a konstituirt, und es haben diejenigen Katholiken, welche dieser Gemeinde haben angehören wollen, ihren Beitritt durch Unterschrift erklärt. Die römischkatholische Minderheit habe dagegen für sich eine eigene Genoßenschaft unter dem Narnen ,,römisch-katholische Genoßenschaft"' gebildet, eine eigene Kirche gebaut und einen eigenen römischkatholischen Pfarrer angestellt. Nach § 22, litt, f der Staatsverfaßung und § l des Gesezes über die Wiederwahl der Geistlichen sollen aber die Pfarrer und pfarramtlichen Hülfsgeistlichen durch die K o n f e s s i o n s a n g e h ö r i g e n der Pfarrgemeinde gewählt werden, unter Vorbehalt des staatlichen Bestätigungsrechtes.

Am Wahltage erschienen indeß auch die Römisch-Katholiken in der Kirche von Starrkirch. Sie wurden jedoch zum Wahlakte nicht zugelaßen, worauf sie im dortigen Schulhause ein eigenes Bureau bestellten und die Stimmabgabe vornahmen. Die Regierung nahm aber auf leztere keine Rüksicht, sondern erklärte nach Maßgabe der Abstimmung in der Kirche den Hrn. P. Gschwind als gültig gewählten christ-katholischen Pfarrer von Starrkirch-Dulliken.

Die römisch-katholischen Einwohner beschwerten sich über dieses Verfahren und machten geltend, daß eine Ausscheidung zwischen der christ-katholischen und der römisch-katholischen Genoßenschaft von Starrkirch niemals auf legalem Wege durch einen förmlichen und allgemeinen Kirchgemeindebeschluß stattgefunden habe, sondern nur durch private Unterzeichnung einer Liste. Im Kanton Solothurn seien die alt- und die römischen Katholiken immer als Angehörige einer und derselben Konfession, der katholischen,anerkannt worden, und es haben die Pfarreien des katholischen Kantonstheils, ob in denselben diese oder jene Richtung vorgeherrscht, immer als einheitliche katholische Pfarreien gegolten.

Die römischen Katholiken stehen sonach zur Stunde noch in ihren Rechten als Mitglieder der Kirchgemeinde Starrkirch-Dulliken. Das Stimmrecht bei der Pfarrwahl sei ihnen daher mit Unrecht entzogen worden. Eventuell wäre auch Hr. Hügi als gewählt anzuerkennen.

Regierung und Großer Rath von Solothurn wiesen jedoch die Beschwerde ab.

Am 12. November 1880 wies der Bundesrath den Rekurs ebenfalls ab, gestüzt" auf folgende Erwägungen :
1) Es ist eine auch von den Rekurrenten unbestrittene Thatsache, daß eine Anzahl von Mitgliedern der Kirchgemeinde StarrkirchDulliken im Jahr 1874 ,,eine christ-katholische Pfarrgemeinde Starrkirch-Dullikentt in der Absicht gegründet hat, daß zu dieser neu.

Bundesblatt. 33. Jahrg. Bd. II.

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gegründeten Gemeinde nur diejenigen Personen gehören sollen, welche sich ausdrüklich und schriftlich als Mitglieder derselben bekennen.

ö 2) Ferner geht aus den Akten hervor, daß diese christkatholische Gemeinde nach der Absicht ihrer Gründer eine selbstständige sein sollte und bei Niemandem die Ansicht vorwaltete, daß diese ,,Christ-katholische Gemeinde11 mit dem ,,römisch-katholischem10 Theil eine gemeinsame katholische Pfarrgemeinde StarrkirchDulliken bilde.

3) Wenn nun die römisch-katholischen Genoßen den Beschluß des Regierungsrathes von Solothurn beanstanden, welcher verfügt, daß der ,,christ-katholischen Pfarrgemeinde" die Wahl ihres Pfarrers selbst zustehe und daß die nicht zu dieser Gemeinde gehörenden römisch-katholischen Rekurrenten von dieser Wahl ausgeschloßen seien, so kann der Bundesrath vom Standpunkt des Art. 50, Alinea 3 der Bundesverfaßung in ausgehend, keinen Grund finden, das von dem Regierungsrath angewendete Prinzip, daß die Wahl der Pfarrer einzig durch die Konfessionsgenoßen zu geschehen habe, als ein unzuläßiges zu erklären.

4) Für die Erledigung des von den Rekurrenten aufgestellten Begehrens, das sich ausschließlich auf die Wahl des Pfarrers bezieht, kommt es nicht in Betracht, ob die ,,christ-katholische Gemeinde"1 durch einen förmlichen Beschluß der frühern Pfarrgemeinde oder durch den Zusammentritt der einzelnen, der neuen Gemeinde an- · gehörenden, Glieder gegründet worden sei. Im einen, wie im andern Fall, besteht die Gemeinde zu Recht und hat nach dem Geseze des Kantoos Solothurn die Befugniß, von sich aus und selbstständig die Wahl ihres Pfarrers vorzunehmen.

5) Da sonach in der Pfarrwahl keine Verlezung der Rechte der Rekurrenten liegt, so muß das Gesuch derselben abgewiesen werden, womit jedoch der Stellung desjenigen Theils der frühern Gemeinde Starrkirch, welche der ,,christ-katholischen Gemeinde" nicht beigetreten ist, weder in Bezug auf das öffentliche noch auf das Privatrecht vorgegriffen sein soll.

35. In Folge der Beschwerde einer Anzahl Bürger von K a i s e r a u g s t , daß der als Pfarrer von Allschwyl (Baselland) entlaßene Hr. P e t e r W i l d y aus dem Aargau, welcher die freien römischkatholischen Genoßenschaften Kaiseraugst und "Rheinfelden-MöhlinMagden pastorirt, in Kaiseraugst öffentlich geistliche Funktionen, u. A. auch Beerdigungen in vollem Ornat, vornehme, hat die Regierung von Aargau durch Schlußnahme vom 19. Mai 1879 auf den Antrag des katholischen Kirchenraths Hrn. Wildy die Vornahme

697 solcher Handlungen untersagt, weil er im Kanton Aargau kein Examen bestanden habe und daher dem aargauischen Klerus nicht angehöre. Im Uebrigen erklärte die Regierung, daß wenn die Römisch-Katholischen in Kaiseraugst einen Geistlichen ihrer Richtung bedürfen, der Anstellung eines solchen nichts im Wege stehe, insofern er in den Klerus des Kantons aufgenommen, resp. staatlich anerkannt sei.

Der Vorstand der römisch-katholischen Genoßenschaft Kaiseraugst rekurrirte gegen diese Schlußnahme an den Bundesrath. Er machte dießfalls geltend, der Grundsaz des Staatskirchenthums, welcher der beanstandeten Schlußnahme zu Grunde liege, stehe in dem beanspruchten Umfange mit Art. 49 und 50 der Bundesverfaßung in Widerspruch. Leztere habe die Staatskirchen nicht abgeschafft, untersage auch nicht die neue Einrichtung von solchen, wohl aber verbiete sie jeden kirchlichen Zwang.- Die freie Religionsübung würde aber für die beiden freien römisch-katholischen Genoßenschaften Kaiseraugst und Rheinfelden-Möhlin-Magden, welche vom Staate nichts verlangen als den allgemeinen Schuz auf Grund des allgemeinen Rechts, dahin fallen, wenn sie ihren Seelsorger von der staatlichen Behörde sich geben laßen müßten, resp. wenn die leztere ihnen jeden Religionsdiener wegsprechen dürfte, der nicht vom Staate anerkannt und in die Staatsgeistlichkeit aufgenommen wäre. Speziell die Vornahme von Beerdigungen im Ornate durch Wildy sei nach Art. 53 der Bundesverfaßung nicht unzuläßig.

Die Regierung von Aargau motivirte den rekurrirten Beschluß durch die kantonale Gesezgebung über die Wahl der Geistlichen.

Diese stehe keineswegs im Widerspruch mit der Bundesverfaßung.

Gegentheils seien gemäß Art. 49, Lemma 5, und Art. 50, Lemma i der Bundesverfaßung auch die Rekurrenten verpflichtet, sich denselben zu unterziehen. Zudem gelte im Kanton Aargau der geistliche Beruf als ein wissenschaftlicher, für dessen Ausübung gemäß Art. 33 der Bundesverfaßung ein Ausweis der Befähigung gefordert werden dürfe.

Der Bundesrath erklärte am 6. Februar 1880 den Rekurs als begründet und hob die Schlußnahme der Regierung von Aargau auf, gestüzt auf folgende Erwägungen: 1) Der Art. 50 der Bundesverfaßung gewährleistet die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung, und behält den
Kantonen sowie dem Bunde das Recht vor, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenoßenschaften die geeigneten Maßnahmen zu treffen.

698 2) Da vom Standpunkte der Sittlichkeit aus die Kultushandlungen des Hrn. Wildy nicht beanstandet werden, so bleibt nur zu erörtern, ob dieselben in Widerspruch stehen mit der öffentlichen Ordnung, welche nach Sinn und Wortlaut von Art. 50 der Bundesverfaßung (gleichwie gemäß Art. 2, 16, 85, Ziffer 7, und Art. 102, Ziffer 10, derselben) als eine staatsbürgerliche und nicht als eine staatskirchliche Ordnung aufzufassen ist.

3) Die Regierung von Aargau beruft sich zur Motivirung ihrer Schlußnahme auf die aargauischen Verfaßungsbestimmungen, Geseze und Verordnungen betreffend die Prüfung, Wahlfähigkeit und Anstellung von Geistlichen der staatlich organisirten, resp. subventionirten Kirchgemeinden, wonach solche Geistliche einer Staatsprüfung unterworfen und als Staatsbeamte bezeichnet sind, und welchen Vorschriften Hr. Wildy nicht Genüge geleistet habe.

4) Die Kantone sind unzweifelhaft befugt, Bestimmungen über die persönlichen Erfordernisse zu treffen, welche von Denjenigen zu erfüllen sind, die in der anerkannten Landeskirche eine amtliche Stellung bekleiden wollen. Durch dieses Recht der Kantone ist aber die in Art. 50 der Bundesverfaßung gewährleistete Freiheit nicht beeinträchtigt, indem es Jedermann, der sich durch die Einrichtungen und Vorschriften der Landeskirche in seiner Glaubensund Gewissensfreiheit (Art. 49 der Bundesverfaßung) beeinträchtigt hält, frei steht, von der anerkannten Landeskirche sich fern zu halten oder aus derselben auszuscheiden.

5) Erfolgt aber dieser Austritt und vereinigen sich die Austretenden, wie im vorliegenden Falle, zu einer Kultusgenoßenschaft, welche weder die Rechte einer ö f f e n t l i c h e n , staatlich o r g a n i s i r t e n K i r c h g e m e i n d e in A n s p r u c h nimmt, n o c h d i e s e l b e n a u s ü b t -- so ist diese Genoßenschaft sowohl in ihrer Organisation, als in der Wahl oder Berufung ihrer Geistlichen und in der Ausübung gottesdienstlicher Handlungen nur denjenigen staatlichen Beschränkungen und Maßnahmen seitens der Kantone oder des Bundes unterworfen, welche in Art. 50 der Bundesverfaßung vorgesehen, deren faktische Voraussezungen aber in vorliegendem Falle nicht gegeben sind.

6) Schließlich ist noch hervorzuheben, daß die Kantone nach Art. 53 der Bundesverfaßung das Recht haben, die gottesdienstlichen Handlungen von den
Kirchhöfen auszuschließen und z. B. dieselben in die Kirche zu verweisen. Eine solche Verfügung müßte aber alle Religionsgesellschaften treffen, indem die Annahme nicht zuläßig ist, daß dieselbe gottesdienstliche Handlung der einen Religionsgesellschaft den öffentlichen Frieden beeinträchtige, diejenige der andern nicht.

699 36. Ein ähnlicher Rekurs wurde von Hrn. Clément Maître, römisch-katholischer Priester in La Motte, Kantons Bern, anhängig gemacht, weil er wegen Ausübung von priesterlichen Funktionen an der s t a a t l i c h e n P f a r r e i Ocourt-La Motte-Montvoie, ohne die gesezlichen persönlichen Erfordernisse erfüllt zu haben, bestraft worden war, allein am 10. August 1880 abgewiesen (Bundesblatt 1880, IV, 43). Die Berufung an die Bundesversammlung wurde zurükgezogen.

37. Der Entscheid in Sachen F r a n e o i s M o r i s o d inMassongex, Wallis, betreffend seine Bestrafung wegen Arbeiten an Sonn- und Feiertagen (Bundesbl. 1881, I, 194), wurde von der Bundesversammlung in der Session vom Februar / März 1881 bestätigt.

38. Herr J. B. S c h m i d in Appenzell brachte vor: Es seien im Winter 1879 in Appenzell zwei Selbstmörder beerdigt worden.

Den einen habe man mit Kirchengeläute und unter Assistenz des Pfarrers beerdigt. Bei der Beerdigung eines gewissen Näff aber, welcher der freisinnig-katholischen Richtung angehört habe, sei das allgemein übliche Kirchengeläute unterlaßen worden und der gleiche Herr Pfarrer habe seinen Beistand verweigert. Eine solche ungleiche Behandlung sei unzuläßig.

Die Regierung erwiderte, daß nachdem der Seelsorger seine Mitwirkung abgelehnt, die Wittwe Näff die Sicherung des schiklichen Begräbnisses bei der bürgerlichen Behörde hätte nachsuchen sollen. Sie habe dieses versäumt und die Behörden haben nicht von sich aus Maßnahmen treffen können. Die Unterlaßung des Geläutes sei dadurch zu erklären, daß Näff erst nach Beginn des Morgengottesdienstes beerdigt worden sei, als der Siegrist nicht mehr auf dem Thurtne sich befunden habe.

Der Bundesrath hat am 13. Januar 1880, in Erwägung: 1) daß wenn auch die Unterlaßung des geistlichen Beistandes bei der Beerdigung des Näff auffallend erscheint, nachdem derselbe einem andern Selbstmörder gewährt worden, hierin dennoch keine Verlezung von Art. 53 der Bundesverfaßung liegt, weil dieser nur auf die bürgerliche Seite dieses Aktes sich bezieht ; 2) daß es sich dagegen anders verhält mit Bezug auf die Ablehnung, beziehungsweise Unterlaßung des allgemein üblichen Geläutes bei einer Beerdigung, indem durch Art. 53 der Bundesverfaßung die bürgerlichen Behörden verpflichtet sind, von sich aus und ohne den Betheiligten einen förmlichen Instanzenzug zuzumuthen, dafür zu sorgen, daß jeder Verstorbene schiklich beerdigt werden

700

könne, und es somit ihre Sache ist, auch dafür zu sorgen, daß die betreffenden Angestellten, im Speaalfalle der Meßmer, an ihrem Plaze seien, um ihren Pflichten gegenüber Jedermann in gleicher Weise und rechtzeitig genügen zu können, beschießen : Die Regierung des Kantons Appenzell I.-Rh. ist eingeladen, für die Zukunft dafür besorgt zu sein, daß der Art. 53 der Bundesverfaßung im Sinne der Erwägung 2 seine Vollziehung finde.

39. Der Entscheid betreffend die Beerdigung des Protestanten L o u i s L e y v r a z in La T o u r de T r é me, Kantons Freiburg, ist in extenso abgedrukt im Bundesblatt 1880, II, 223.

40. Zwei weitere Entscheide betreffend das Begräbnißwesen im Kanton Freiburg sind ebenfalls im Bundesblatt abgedrukt. Der eine betrifft den Rekurs der r e f o r m i r t e n E i n w o h n e r zu U e b e r s t o r f (Bundesbl. 1880, III, 135), der andere den Rekurs der reformirten S c h u l g e m e i n d e F e n d r i n g e n (Bundesbl. 1880, III, 386). Der erstere wurde an die Bundesversammlung gezogen, später aber durch eine gütliche Verständigung erledigt.

41. Der im lezteu Geschäftsberichte erwähnte Rekurs an die Bundesversammlung gegen den bereits gedrukten Entscheid (Bundesblatt 1879, III, 625) in Sachen der Munizipalitäten L u g a n o , B e l l i n z o n a u n d a n d e r e r G e m e i n d e n , sowie m e h r e r e r V e r e i n e u n d z a h l r e i c h e r B ü r g e r d e s K a n t o n s Tessili gegen das tossitasene Gesez vom 25. Januar 1879, womit die Aufnahme neuer Ordensglieder in die Kapuzinerklöster gestattet wird, liegt bei dem Großen Rathe des Kantons Tessin zur Beantwortung.

Inzwischen und bis der Rekurs in gesezlicher Weise seine Erledigung gefunden haben wird, hat die Sache im bisherigen Stande zu verbleiben.

6. Stimmrecht und Wahlangelegenheiten.

42. Die Herren B a t t i s t a M e r l i n i , G i o r g i o V a r e n n a und F r a n c e s c o R u s c a in Locamo beschwerten sich, daß im Widerspruche mit Art. 16, Lit. d der Kantonsverfaßung vom 23. Juni 1830, welcher für die Ausübung des Stimmrechts eine vorgäugige einjährige Niederlaßung in der betreffenden Gemeinde verlangt, bei einer am 22. Februar 1880 im Wahlkreise (Stadt) Locamo stattgefundenen Ersazwahl in den Großen Rath 113 namentlich bezeichnete Bürger als Wähler Theil genommen haben, die weder dem dortigen Wahlkreise angehören, noch aus einem andern Grunde das Stimmrecht in demselben erworben haben.

701 Dem gegenüber behauptet der Staatsrath von Tessin in seiuei im Auftrage des Großen Käthes abgegebenen Vernehmlaßung, daß die fraglichen 113 Bürger seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde Locamo niedergelaßen gewesen seien (was durch einen von der Munizipalität von Locamo unterm 26. Februar 1880 an den Großen Rath erstatteten Bericht bestätigt wird), daß dieselben also gemäß Art. 43 der Bundesverfaßung dort stimmberechtigt gewesen seien, wie sie s denu auch bis auf 13, welche erst nachträglich stimmberechtigt geworden, schon bei der Abstimmung vom 25. Januar 1880 über den Entwurf zu einer theilweisen Revision der Kantonsverfaßung und zwar ohne Anstand sich betheiligt haben.

Der Bundesrath wies unterm 14. Oktober 1880 die Beschwerde als unbegründet ab, gestüzt auf folgende Erwägungen : 1) Gemäß Art. 43 der Bundesverfaßung erwerben die Schweizerbürger das Stimmrecht in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten nach einer Niederlaßung von d r e i M o n a t e n. In Uebereinstimmung hiemit schreibt Art. 15 des tessinischen Gesezes über die geheime Abstimmung, vom 10. Februar 1877, vor, daß jeder seit drei Monaten in einer Gemeinde niedergelaßene (domiciliato) tessinische und schweizerische Bürger das Recht zur Einschreibung in das Stimmregister (catalogo civico) habe, gleich den eigenen Bürgern der Gemeinde.

2) Die Petenten wären somit durchaus im Irrthum, wenn sie glauben sollten, die Vorschrift in Lit. d von Art. 16 der Verfaßung des Kantons Tessin, wonach zur Ausübung der politischen Rechte ein fester Wohnsiz von mindestens einem Jahr gefordert wurde, sei noch in Kraft; vielmehr ist sie, weil im Widerspruche stehend mit der Bundesverfaßung, gemäß Art. 2 der Uebergangsbestitnmungen zu der leztern außer Kraft gesezt.

3) Auch die Ansicht, daß solche Wähler, die im Beginn einer Legislaturperiode an einem andern Orte ihr Stimmrecht ausgeübt haben, während dieser Periode nur am gleichen Orte stimmen dürfen, ist absolut unbegründet, weil es sich um ein persönliches verfaßungsmäßiges Recht handelt, das dem Bürger angehört, so lange nicht ein gesezlicher Ausschließungsgrund gegen ihn vorliegt, und das er nach einem Wohnsiz von drei Monaten überall im Kanton ausüben kann.

4) Der Staatsrath des Kantons Tessin hat bei einer besondern amtlichen Verifikation der von den Rekurrenten vorgelegten Liste
festgestellt, daß alle darin genannten Personen mehr als drei Monate in der Gemeinde Locamo niedergelaßen waren. Es ist somit ihre Eintragung in die Stimmregister durch die Bundesverfaßung und

702

die kantonale Gesezgebung vollkommen gerechtfertigt, zumal keine andern Gründe für ihren Ausschluß geltend gemacht werden.

5) Wenn aber auch einzelne dieser Personen nicht Niedergelaßene, sondern bloße Aufenthalter wären, so würde dieser Umstand nichts ändern, da, nachdem das Stimmrecht der tessinischen Aufenthalter am Wohnsiz durch Erwägung 2 des Bundesbeschlußes vom 25. Juni 1880, betreffend Gewährleistung des Verfaßungsdekretes des Kantons Tessin vom 8. Januar 1880 (Amtl. Samml.

n. F. V, 111), prinzipiell festgestellt worden, bezüglich der Dauer des Aufenthaltes der Entscheid des Großen Ralhes von Tessin, als der gesezgebenden Behörde, maßgebend ist.

6) Was endlich die formellen Mängel betrifft, welche bei Anlaß der Wahl vom 22. Februar 1880 vorgekommen sein sollen, so liegt die Prüfung dieser Frage und die endgültige Entscheidung hierüber ausschließlich in der Kompetenz der kantonalen Behörden.

43. Anläßlich der Kassation der Integralerneuerungswahl der M u n i z i p a l i t ä t von G u d o vom 26. Januar 1878 hat der Staatsrath von Tessin unterm 19. Februar 1878 mit spezieller Absicht auf die dort wohnenden Angehörigen des Verzaska-Thales angeordnet, daß alle seit mehr als drei Monaten in dortiger Gemeinde wohnenden Bürger (,,dimoranti"1) in die Stimmregister einzutragen seien. Hiegegen rekurrirte Hr. Gianelli in Gudo , wurde aber vom Großen Käthe des Kantons am 14. Mai 1879 abgewiesen.

Hierauf rekurrirten Antonio Minetti und 36 andere Bürger von Gudo an den Bundesrath. Sie anerkannten, daß sowohl nach Artikel 43 der Bundes verfaßung als nach Artikel 15 des tessinisehen Gesezes vom 10. Februar 1877 alle Schweizerbürger, die seit drei Monaten in einer Gemeinde n i e d e r g e l a ß e n (domiciliati) sind, daselbst Anspruch auf das Stimmrecht haben. Sie machten aber geltend, daß die Verzasker, deren Aufnahme in die Stimmregister der Staatsratli verfügte, weil sie über drei Monate in der Gemeinde w o h n e n (dimorare), keine Niedergelaßenen, sondern bloße Aufenthalter seien, da sie den Mittelpunkt ihrer Angelegenheiten, ihr rechtliches Domizil, im Verzaskathale haben, wo sie den größern Theil de,s Jahres zubringen und ihre politischen Rechte ausüben, und .daß sie nur etwa d ie Hälfte des Jahres, und zwar mit Unterbrechungen, zur Verrichfung gewisser Feldarbeiten sich in Gudo aufhalten.
Der Staatsrath von Tessin machte seinerseits geltend, daß die Verzasker sich keineswegs blos vorübergehend in Gudo aufhalten, sondern seit vielen Jahren daselbst wohnhaft seien (abitare) , daß sie alle dort ihre Hauptniederlaßuug haben , daselbst Häuser und

703

Grundstüke besizen und den größten Theil ihrer Gemeinde- und Staatssteuern, insbesondere die Familientaxe (Feuerherdsteuer) und die Personaltaxe (Kopfsteuer), entrichten, sowie daß sie im Verzaskathale nur noch das Heimatrecht (diritto di patriziato) besizen, welches sie zur Sommerszeit ausüben, wenn sie mit ihrem Vieh die Alpen beziehen ; sie müssen somit als in Gudo niedergelaßen gelten.

Nachdem die Rekurrenten aufgefordert worden, die Namen derjenigen Wähler anzugeben, deren Eintragung in das Stimmregister der Gemeinde Gudo sie bestreiten , und den Nachweis zu leisten, daß sie ihre politischen Rechte in einer andern Gemeinde ausüben, wurden 23 Bürger genannt, welche, mit Ausnahme eines einzigen, dem Verzaskathäle angehören. Zugleich wurden Ausweise beigebracht, aus welchen sich ergab, daß diese Personen allerdings noch in den Stimmregistern ihrer Heimatgemeinden eingeschrieben sind und hie und da in denselben bürgerliche Rechte ausüben. Es war jedoch nicht ersichtlich , ob lezteres nur in Angelegenheiten der Burgerkorporation, 'oder auch in politischen Fragen geschehen ist.

Am B. Dezember 1880 wies der Bundesrath den Rekurs als unbegründet ab, indem er in Erwägung zog : 1) Gemäß Artikel 43 der Bundesverfaßung erwerben die Schweizerbürger das Stimmrecht in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten nach einer N i e d e r l a ß u ng von drei Monaten. In Uebereinstimmung hiemit schreibt Artikel 15 des tessinischen Gesezes über die geheime Abstimmung, vom 10. Februar 1877, vor, daß jeder seit drei Monaten in einer Gemeinde niedergelaßene (domiciliato) tessinische und schweizerische Bürger das Recht zur Einschreibung in das Stimmregister (catalogo civico) habe, gleich den eigenen Bürgern der Gemeinde.

2) Da nun nach Vorschrift des gleichen Artikels 43 der Bundesverfaßung und gemäß verschiedenen Entscheiden der Bundesbehörden die politischen Rechte arn Wohnsize (domicile) ausgeübt werden müssen, so folgt daraus, daß die Behörden der Gemeinde Gudo verpflichtet sind , für jede Wahl oder Abstimmung in der Gemeinde alle seit drei Monaten daselbst niedergelaßenen schweizerischen Nichtgemeindebürger in das Stimmregister einzutragen, wie denn auch der Staatsrath erklärt, daß nach gesezlichen Vorschriften die Munizipalitäten" verpflichtet seien , diese Eintragungen von Amteswegen zu besorgen.

3) Es versteht sich hiebei von selbst, daß der Umstand, daß im Spezialfalle vorherrschend Bürger aus dem Verzaskathäle in

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Frage stehen, unerheblich ist, indem diese gleich zu behandeln sind, wie die Bürger aus andern tessinischen Gemeinden, oder aus andern Kantonen, und lediglich die Thatsache der dreimonatlichen Niederlaßung entscheidend ist, die nach den individuellen Verhältnissen des einzelnen Bürgers bestimmt werden muß.

4) Wenn auch anerkannt ist, daß die Verzasker, welche auf den u n a u s g e s c h i e d e n e n G e b i e t e n im Thaïe des Tessin wohnen, ihr Stimmrecht in der Heimat auszuüben haben, so kann ein gleiches Verfahren im vorliegenden Falle dennoch nicht stattfinden, weil es sich hier um Personen handelt, die i n n e r h a l b der G r e n z e n e i n e r b e s t i m m t e n G e m e i n d e (Gudo) wohnen, während von jenen nicht gesagt werden kann, daß sie in einer bestimmten Gemeinde und in welcher von denjenigen Gemeinden, die Miteigentümer an dem gemeinsamen Gebiete sind, wohnen.

5) Nach den thatsächlichen Mittheilungen des Staatsrathes des Kantons Tessin wären alle in Frage stehenden Personen förmliche N i e d e r g e l a ß e n e (domiciliati) in der Gemeinde Gudo. Wenn aber auch die Einrede der Rekurrenten, daß eine größere oder kleinere Zahl bloße A u f e n t h a l t e r (dimoranti) seien, richtig wäre, so würde in dieser Beziehung lediglich der Entscheid des Großen Rathes des Kantons Tessin, als der gesezgebenden Behörde, maßgebend sein, weil die Bundesverfaßung bezüglich des Stimmrechtes der Aufenthalter keine Vorschriften enthält und somit den Bundesbehörden vor Erlaß des in Artikel 47 vorgesehenen Bundesgesezes in dieser Richtung eine Cognition nicht zusteht.

6) Es scheint zwar richtig zu sein, daß die meisten der von den Rekurrenten bezeichneten 23 Bürger gleichzeitig auch in den Stimmregistern ihrer Heimatgemeinden eingetragen sind. Allein es ist nicht nachgewiesen, daß sie ihr Stimmrecht auch in p o l i t i s c h e t , Gemeindeangelegenheiten, wohin die Wahl der Munizipalität gehörn in ihren Heimatgemeinden ausgeübt haben, während nichts dagegen eingewendet werden kann, daß sie in Angelegenheiten, welche die B u r g e r g e m e i n d e als K o r p o r a t i o n (Alinea 4 von Artikel 43 der Bundesverfaßung) betreffen, also, vermögensrechtlicher und persönlicher Natur sind, ihre Rechte auch in der Burgergemeinde ausüben.

7. Bundesgesez Über Fischerei.

44. Die Frage, ob dem Bürger eines andern Kantons ein Fischereipatent ausgestellt werden müsse, ohne daß er angehalten werden könne, eine Niederlaßungsbewilliguug zu nehmen, wurde

705 von dem Departemente bejahend beantwortet, indem das Bundesgesez über die Fischerei, vom 18. September 1875 (A. S. n. F.

Bd. II, S. 90) bloß bestimme, daß die Kantone befugt seien, das Recht zum Fischfang zu verleihen , ohne eine weitere Bedingung vorzuschreiben. Es schiene aber offenbar zu weit gegangen, wenn hiefür die Niederlaßung gefordert werden wollte, zumal allfällige Urtheile wegen Uebertretung eines Bundesgesezes in der ganzen Schweiz vollziehbar seien. (Bundesblatt 1874, II, 607; 1878, II, 511 und 581.) In Uebereinstimmung hiemit sei auch die ähnliche Frage, ob zur Ausübung der Jagd die Vorzeigung des Domizils verlangt werden könne, verneint worden. (Bundesblatt 1878, II, 581.)

8. Bundesgesez über Jagd und Vogelschuz.

45. Daniel D i eh l aus Hessen - Darmstadt beschwerte sich, daß er von dem Amtsgerichte Olten-Gösgen wegen Jagdfrevels zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt worden sei, während gemäß Artikel 22 des Bundesgesezes über Jagd und Vogelschuz (A. S. n. F. II, 39) nur eine Geldbuße hätte ausgesprochen werden dürfen. Diese Verurtheilung wurde von den solothurnischen Behörden durch § 16 des Strafgesezes gerechtfertigt, wonach gegen Konkursiten an die Stelle von Geldbußen immer eine Freiheitsstrafe treten soll. Da die Uebertretungen des erwähnten Bundesgesezes den kantonalen Gerichten zugewiesen seien, so müssen auch die kantonalen Vorschriften über die anzuwendenden Strafarteli entscheidend sein.

Der Bundesrath hob am 23. März 1880 dieses Urtheil auf und lud die Regierung von Sololhurn ein , dafür zu sorgen, daß gegen Daniel Diehl ein neues Urtheil gemäß den Vorschriften des erwähnten Bundesgesezes erlaßen werde. Gründe : 1) Nach Vorschrift von Art. 2 der Uebergangsbestimmungen zu der neuen Bundesverfaßung sind alle kantonalen Verfaßungen und Geseze, welche mit der neuen Bundesverfaßung im Widerspruche stehen, mit dem Zeitpunkte der Annahme derselben, beziehungsweise der Erlaßung der darin vorgesehenen Bundesgeseze, außer Kraft getreten. Die kantonalen Gerichte, wie die Verwaltungsbehörden, sind daher verpflichtet, bei Beurtheilung von Uebertretungen des Bundesgesezes über Jagd und Vogelschuz in erster Linie die Vorschriften dieses in Ausführung von Artikel 25 der Bundesverfaßung vom 29. Mai 1874 von der Bundesversammlung erlaßenen Bundesgesezes anzuwenden.

2) Nach Maßgabe der in Artikel 22 des erwähnten Bundesgesezes enthaltenen Straf bestini mungen ist die Uebertretung der

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Vorschriften desselben in erster Linie und ohne Ausnahme mit Geldbuße bedroht, und es können gemäß Lemma 2 des gleichen Artikels 22 nur unerhältliche Bußen in Gefängniß umgewandelt werden.

Es muß daher auf dem gewöhnlichen Betreibungswege konstatirt sein, daß die Buße unerhältlich sei, und es ist der Richter nicht befugt, diese Thatsache aus persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu präsumiren.

9. Bundesgesez betreffend die Arbeit in den Fabriken.

46. Der Fabrikarbeiter Christian Z w e i f e l in Rüti beschwerte sich über den § 54, litt, e der (Zivilprozeßordnung des Kantons Glarus , wonach der Landammann befugt ist, auf den Arbeitslohn eines Schuldners bis auf die Hälfte ein Rechtsbot (Sequester) zu erlaßen. In Anwendung dieser Vorschrift werde ihm an jedem Zahltage die Hälfte seines Arbeitslohnes zuriikbehalten. Es wurde geantwortet: Da das Betreibungs- und das Konkursrecht zur Zeit noch Sache der Kantone sei, so könnte den Bundesbehörden eine Intervention gegen die erwähnte Vorschrift nur dann zustehen, wenn damit eine Bestimmung des Bundesgesezes betreffend die Arbeit in den Fabriken, vom 23. März 1877 (A. S. n. F. III, 241), verlezt wäre.

Dieses sei aber nicht der Fall, indem der hier einschlägige Artikel 10 dieses Bundesgesezes nur das Verhältniß zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitern beschlage, während im vorliegenden Falle lediglich ein civilrechtliches Verhältniß eines Bürgers zu seinen Kreditoren in Frage liege, worüber den Buudesbehörden keine Verfügung zustehe. (Bundesrath vom 6. April 1880.)

10. Militärsteuer.

47. Die in den drei lezten Geschäftsberichten unter der Abtheilung ,,Justiz- und Polizeidepartement1'1 erwähnte Beschwerde d e s S t a a t s r a t h e s d e s K a n t o n s N e u e n b u r g gegen d i e Ablieferung der rükständigen Hälfte der Militärsteuer ist bekanntlich an die Bundesversammlung gezogen und nach Abschluß des Verfahrens vor dem Bundesgerichte zur weitern Behandlung an das eidgenößische Finanzdepartement übergegangen. Die Botschaft ist gedrukt im Bundesblatt 1880, IV, 451.

48. In Anerkennung des Grundsazes, daß in Fällen von Doppelbürgerrecht die Wehrpflicht in demjenigen Heimatstaate zu erfüllen sei, in welchem der Betreffende wohnt, ist ein Bürger des

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Kantons Thurgau in Folge Reklamation der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika von der Bezahlung des Militärpflichtersazes von dem Zeitpunkte an befreit worden , da er das Bürgerrecht in den Vereinigten Staaten erworben hatte.

11. Bundesgesez über die Kosten der Verpflegung erkrankter und der Beerdigung verstorbener armer Angehöriger anderer Kantone.

49. Auf eine bezügliche Einfrage hat unser Justizdepartement seine Ansicht dahin abgegeben, daß das Konkordat vom 16. November 1865, betreffend gegenseitige Vergütung von Verpflegungsund Begräbnißkosten für arme Angehörige (A. S. Vili, 820) durch dieses Bundesgesez (A. S. n. F. I, 743)' aufgehoben sei. Abgesehen von dem Inhalte dieses Bundesgesezes liegt der Beweis hiefür in der dazu gehörigen Botschaft des Bundesrathes (Bundesblatt 1875, Bd. III, S. 251) und in Artikel 48 der Bundes verfaßung, zu dessen Vollziehung das Bundesgesez vom 22. Juni 1875 erlaßen wurde.

Eine hierauf bezügliche Streitfrage würde nach Artikel 59 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege von 1874 (A. S. n. F. 1. 136) in die Kompetenz des, Bundesgerichtes gehören.

ES. r'olizeiverwaltung'.

I. Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten.

a. Einleitung.

Die Zahl der von Seite der Schweiz bei auswärtigen Staaten nachgesuchten Auslieferungen hat sich auch dieses Jahr wieder gesteigert, nämlich von 79 im Jahr 1879 auf 90 im Berichtjahre.

(Diese Zahl betrug 1878 : 71 ; 1877: 59.) Dagegen ist die Zahl der Auslieferungsbegehren von Seite auswärtiger Staaten an die Schweiz etwas zurükgegangen, nämlich von 212 im Jahre 1879 auf 205 im Jahre 1880 (1878: 211 ; 1877 ebenfalls 211).

Die von Seite der S c h w e i z bei auswärtigen Staaten verlangten Auslieferungen betrafen:

708

3 3 3 2 22 19 10 11 17

Mord und Mordversuch, Körperverlezung, Unzuchtsdelikte, Brandstiftung, Unterschlagung, Betrug, Fälschung, bezüglichen Bankerott, ausgezeichneten und einfachen Diebstahl.

90 Die von a u s w ä r t i g e n S t a a t e n bei der Schweiz verlangten Auslieferungen betrafen : a. D e u t s c h e s Reich.

l Mordversuch, l Abtreibung der Leibesfrucht, 1 Kindesaussezung, 2 Unzuchtsdelikte, l Erpressung, 20 Betrug, 8 Fälschung von Privatschriften, 3 betrüglichen Bankerott, 12 Unterschlagung, 38 einfachen und qualifizirten Diebstahl.

87

b. F r a n k r e i c h .

2 Mordversuch, 1 Kindsmord, 2 Körperverlezung, l gesezwidriges Gefangenhalten, 1 falsches Zeugniß, ·l Brandstiftung, 11 Sittlichkeitsverbrechen, 2 Unterschlagung öffentlicher Gelder, 10 Vertrauensmißbrauch, 3 Betrug, 13 Fälschung von Handels- und Privatschriften, 10 betruglichen Bankerott, 15 ausgezeichneten und einfachen Diebstahl, l Hehlerei.

~73~

709 c. I t a l i e n .

7 Mord und Mordversuch, l Körperverlezung mit nachgefolgtem Tod, l Banknotenfälschung, 1 Münzfälschung, 2 Erpressung mit Gewalt, 2 Unzuchtsverbrechen, l Vertrauensmißbrauch, l Betrug, 4 bezüglichen Bankerott, 10 qualifizirten Diebstahl.

30

d. O e s t e r r e i c h .

2 Betrug, 4 Diebstahl.

6

e. R u ß l a n d .

6 Diebstahl mit Einbruch, l betrüglichen Bankerott.

f. B e l g i e n.

l betrüglichen Bankerott.

g. R u m ä n i e n .

l Fälschung öffentlicher Urkunden.

Das weitere Detail ergibt sich aus den folgenden Tabellen:

710

b. Statistik A. der von S e i t e d e r S c h w e i z bei auswärtigen Staaten nachgesuchten Auslieferungen : Anzahl Kantone.

Zürich . . . .

Bern Unterwald, o. d.W.

Glarus . . . .

Freiburg . . .

Solothurn . .

Basel-Stadt . . .

Basel-Land . . .

Schaffhausen .

St. Gallen . . .

Aargau . . . .

Thurgau . . .

Tessin . . . .

Waadt . . . .

Neuenburg . .

Genf

9

18 1 5 5 4 12 1

5 2 3 3 1 13 3 5

5 11 1 --

2 3 7 1 3 2 1 3 --5 3

1

5 -- 5

2 -- 2 -- -- -- -- -- --6 -- 2

90

47

22

4 22 52 2 2 2 5

3 17 21 1 -- --5

1 1 20 -- -- -- --

S t a a t e n , bei denen diese Auslieferungen nachgesucht wurden : Belgien . . . .

Deutsches Reich .

Frankreich . . .

Großbritannien Italien . . . .

Mexiko . . . .

Oesterreich .

Vereinigte Staaten von Amerika .

'

Pendent.

BeUnent- VerZurükder Indi- willigt. dekt. weigert. gezogen.

viduen.

1 . -- 90

47

-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

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3

2 -- -- 1 2

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2 -- 1 --1 1 -- 1

1 -- -- 1 --

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2 3 1 2

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--

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1

22

--

12

9

711 B. der von S e i t e a u s w ä r t i g e r S t a a t e n bei der Schweiz nachgesuchten Auslieferungen : Anzahl BeUnent- Ver- Zurükder Indi- willigt. dekt. weigert. gezogen.

viduen.

Staaten.

Belgien . . .

Deutsches Reich Frankreich . .

Italien . . .

Oesterreich . .

Rumänien .

Rußland . .

.

.

.

.

.

.

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Pendent.

_

7 17 12 2 --.

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1 74 49 12 4 1 --

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141

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3 2 1

--

1

1 __

1

87 73 30 6 i

1 2 1

K a n t o n e , bei denen diese Auslieferungen verlangt wurden: Zürich . .

Bern Luzern . .

Uri Schwyz . .

Freiburg .

Solothurn .

Basel-Stadt Schaffhausen St. Gallen .

Graubünden Aargau . .

Thurgau Tessin . .

Waadt . .

Wallis . .

Neuenburg .

Genf Schweiz im gemeinen

. .

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All10 205

-- 141

Bandesblatt. 33. Jahrg. Bd. II.

48

712 c. Verfahren.

1. IQ 12 Fällen, in welchen die Angeklagten nur aus dem Grunde gegen die Auslieferung protestirten, w e i l sie u n s c h u l d i g s e i e n , haben wir gemäß der in den lezten Geschäftsberichten erwähnten Praxis diese Einrede nicht als eine Einsprache gegen die Anwendbarkeit des betreffenden Staatsvertrages im Sinne von Art. 58 des Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege behandelt, sondern die Fälle ohne Ueberweisung an das Bundesgerieht von uns aus durch Bewilligung der Auslieferung erledigt, da jeweilen die formellen Vorschriften der Verträge erfüllt waren.

Dagegen lagen in 4 Fällen wirkliche Einsprachen gegen die Anwendbarkeit der betreffenden Staatsverträge vor. Sie wurden daher gemäß dem erwähnten Art. 58 an das Bundesgericht gewiesen, welches in einem Falle die Auslieferung bewilligte, dagegen in den andern 3 Fällen sie ablehnte (Amtl. Samml. der Entscheidungen des Buudesgerichtes, 1880, S. 242, 432 und 434j.

2. Art. 9 des Auslieferungsvertrages mit Frankreich schreibt vor: ,,Die Auslieferung k a n n verweigert werden, wenn . . . . die Verjährung der Strafe oder der Anklage eingetreten ist.tt Anläßlich eines Spezialfalles stellte das Bundesgericht die Einfrage, ob da, wo ein Auslieferungsvertrag, wie in dem erwähnten Art. 9 des Vertrages mit Frankreich, nur davon spreche, dio Auslieferung k ö n n e verweigert werden, nicht aber positiv vorschreibe, daß sie verweigert werden solle, das Gericht sich blos darauf zu beschränken habe, zu erklären: es bestehe keine Pflicht zur Auslieferung, in der Meinung, daß es dann der politischen Behörde unbenommen bleibe, die Auslieferung gleichwohl zu bewilligen.

Wir erklärten uns einverstanden, daß das Bundesgericht auch in diesen Fällen materiell zu entscheiden und darüber sich auszusprechen habe, ob die Auslieferung stattfinden solle oder nicht.

Solche Fälle werden übrigens nur selten vorkommen, da die erwähnte Ausdruksweise wohl nur allein im Art. 9 des Auslieferungsvertrages mit Frankreich vorkomme und in den neuern Verträgen vermieden werde. Da das Bundesgericht jedenfalls darüber zu entscheiden habe, ob nach den Verhältnissen des Spezialfalles die Auslieferung begründet wäre oder nicht, so erscheine es zwekmäßig, daß es gleichzeitig auch darüber entscheide, ob sie vollzogen werden soll.

3. Im Weitern wurde die Frage aufgeworfen, welche Behörde in denjenigen Fällen zum Entscheide kompetent sei, in welchen

713 behauptet wird, daß das Verbrechen oder Vergehen, wegen dessen die Auslieferung verlangt ist, in dem Vertrage mit dem betreffenden Staate nicht vorgesehen sei. Es erfolgte eine Vereinigung mit dem Bundesgerichte dahin, daß es in den ihm überwiesenen Fällen zuentscheiden habe, ob diese Einrede begründet sei oder nicht. Das Gericht wird daher im erstem Falle die Auslieferung ablehnen und zwar maßgebend für den Bundesrath wie für die Kantonsregierung.

4. Mit, Bezug auf einen Franzosen und zwei Deutsche, welche wegen gemeiner Verbrechen verfolgt wurden, aber gleichzeitig auch der D e s e r t i o n sich schuldig gemacht hatten, wurde die Auslieferung nur unter der Bedingung bewilligt, daß die betreffenden Individuen wegen der Desertion nicht bestraft werden dürfen.

Hievon wurde den Leztern behufs ihrer Verteidigung jeweilen Kenntniß gegeben.

5. Die Regierung des Kantons Graubünden brachte uns zur Kenntniß, daß ein i t a l i e n i s c h e r D e s e r t e u r , N a m e n s Bussi, von. Bayern nach Italien ausgeliefert werden wolle und auf seinem Transport bereits bis Chur gekommen sei. Sie fragte an, ob die Uebereinkunft vom 25. Juli 1873, betreffend den Durchtransport von Individuen, die zwischen Deutschland und Italien ausgeliefert werden (Bundesbl. 1873, III, 569), auch auf Individuen Anwendung finde, denen kein weiteres Vergehen, als blos die Desertion zur Last falle. Wir sprachen uns dahin aus, daß der Art. 4 dieser Uebereinkunft auf Deserteure analoge Anwendung finde. Da die Schweiz überhaupt keine Deserteure ausliefere, so könne sie auch zu einer solchen Auslieferung zwischen andern Staaten nicht Hand bieten. Wenn Bussi freiwillig nach Italien gehen wolle, so möge er allein dahin gehen ; andernfalls seien die Kantone berechtigt, ihn gemäß Art. 5 der erwähnten Uebereinkunft an diejenige auswärtige Grenzbehörde zurükzuliefern, von welcher er an eine schweizerische Behörde übergeben worden.

6. Bezüglich der Frage, ob ein schweizerischer Konsul aus Anlaß seiner Thätigkeit in Auslieferungsangelegenheiten Tagegelder und Entschädigung für Korrespondenzen verlangen könne, sprachen wir uns dahin aus, daß der Tarif zum Konsularreglement keine Anwendung finde auf Geschäfte, die einem Konsulate im allgemeinen öffentlichen Interesse übertragen werden müssen, wie dieses in Auslieferungsangelegenheiten der Fall sei. Die Auslagen müssen selbstverständlich von der betreffenden Kantonsregierung ersezt werden. Dagegen könne Ziffer 6 des Tarifes für die Konsular-

714

gebühren keine Anwendung finden auf amtliche Schreiben an Behörden in Auslieferungssachen; sie beziehe sich, wie der Inhalt deutlich zeige, nur auf den Verkehr mit Privaten. In gleicher Weise verhalte es sich mit den in Ziffer 7 vorgesehenen Tagegeldern, die, wenn sie in Auslieferungssachen bezahlt werden müßten, der Bundeskasse zur Last fallen würden; der Bundesrath könne aber mit Rüksicht auf die Konsequenzen und -auf die große Masse der einzelnen Fälle prinzipiell keine solche Last auf die Bundeskasse übernehmen. Uebrigens unterstüze auch der Wortlaut von Artikel 63 des Réglementes die erwähnte Ansicht, indem dort im Allgemeinen vorgeschrieben sei, daß den Armen die im Tarif vorgesehenen Taxen nachgelaßen werden sollen. Man habe bei Erlaß des neuen Réglementes keine Last übernehmen wollen, die auch im alten Réglemente nicht bestanden habe.

7. Die Gesandtschaft des deutscheu Reiches verlangte die Auslieferung eines gewissen Schratneck, welchen in Mülhausen wegen Versuches eines Betruges verurtheilt worden und im Kanton Bern arretirt, allein von den bernischen Behörden gegen Kaution freigelaßen worden war, dann aber nach Frankreich sich flüchtete, nachdem er auch die Kautionssumme wieder zurükerhalten hatte.

Die deutsche Gesandtschaft fand dieses Verfahren nicht vertragsmäßig. Die Regierung des Kantons Bern anerkannte zwar, daß gemäß Art. 237 des bernischen Strafgesezbuches auch im Kanton Bern der Versuch des Betruges strafbar sei, und daß somit objektiv der Auslieferung nichts im Wege stünde. Unter Hinweisung auf den Schlußsaz von Art. l des Auslieferuugsvertrages mit Deutschland, dahin lautend: ,,Die Auslieferung k a n n auch wegen Versuches einer der von l bis 23 aufgeführten strafbaren Handlungen stattfinden, wenn der Versuch derselben nach der Landesgesezgebung der vertragenden Theile mit Strafe bedroht isttt -- machte aber die Regierung die Ansicht geltend, daß, da eine Vertragsp f l i c h t zur Auslieferung nicht bestehe, der Entscheid über die Auslieferung des Schrameck, falls er wieder im Kanton Bern arretirt würde, ihr zustehe.

Die nähere Untersuchung des Falles stellte fest, daß Schratneck auf direktes Begehren der Polizeidirektion von Mülhausen am 19. Juli verhaftet und am 22. Juli gegen eine Baarkaution von Fr. 4000 provisorisch freigelaßen, und daß ihm am 13. August, also 5 Tage
nach Ablauf der in Art. 8 des Auslieferungsvertrages vorgesehenen ÏYist von 20 Tagen, auch die Kautionssumme zurükgegeben wurde.

Das diplomatische Auslieferungsbegehren kam jedoch erst am 21. August an uns.

715 Mit Rüksicht auf die in Art. 8 erwähnte Frist konnte die Aushingabe der Kaution nicht getadelt werden. Dagegen konnten wir die p r o v i s o r i s c h e F r e i l a ß u n g gegen K a u t i o n ohne Vorwissen und Zustimmung der auswärtigen Behörde, von welcher das Verhafts- und Auslieferungsgesuch ausgeht, nicht als statthaft anerkennen. Wir treten auch unsererseits nie auf derartige Begehren ein und müssen darauf bestehen, daß die kantonalen Behörden nicht in einer Weise in den Gang des Auslieferungsverfahrens eingreifen, daß die Erfüllung der Vertragspflichten, welche dem ganzen Lande und nicht einem einzelnen Kantone allein obliegen, unmöglich gemacht wird. Es kann die Statthaftigkeit einer provisorischen Freilaßung nur von dem requirirenden Richter gewürdigt und auch die Höhe der Kaution nur von diesem angemessen festgestellt werden.

Gegenüber der Ansicht der Regierung, es stehe ihr zu, über die Anwendung des Schlußsazes von Art. l des Auslieferungsvertrages mit Deutschland zu entscheiden, mußte der Bundesrath darauf aufmerksam machen, daß nach Maßgabe der Bundesverfaßung die Vollziehung der Staatsverträge in seiner Kompetenz, und bezüglich der Auslieferungsverträge gemäß Art. 58 des Bundesgesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege theilweise auch in derjenigen des Bundesgerichtes liege.

8. Unter Bezugnahme auf die in vorstehendem Falle berührte Interpretation des S c h l u ß s a z e s von Art. l d e s A u s l i e f e r u n g s v e r t r a g e s mit dem d e u t s c h e n R e i c h e sah das deutsche Reichskanzleramt sich veranlaßt, dem Bundesrathe eröffnen zu laßen, daß nach seiner Auffassung der fraglichen Vertragsbestimmung angesichts ihrer fakultativen Redaktion lediglich der Sinn zukomme, daß in Fällen des strafbaren Versuches einer der im Vertrage aufgeführten strafbaren Handlungen der um Auslieferung ersuchte Staat dieselbe zwar ablehnen könne, s o f e r n e t w a im e i n zelnen Falle besondere Bedenken entgegenstehen, daß aber im Uebrigen die Auslieferung auch hier die Regel bilde.

Wenn man nämlich bei Abschluß des Vertrages der Ansicht gewesen wäre, daß es dem Belieben der betreffenden Regierung überlaßen bleiben solle, eine Auslieferung wegen Versuches zu bewilligen, so wäre eine vertragsmäßige Bestimmung nicht nöthig gewesen, da sich dieses auch ohne Vertrag von selbst
verstanden hätte.

In der vom deutschen Reichskanzleramte gewünschten Rükäußerung sprachen wir uns dahin aus: In Bezug auf die Urheber, Thäter oder Theilnehmer sind die Staaten zur Auslieferung verp f l i c h t e t , in Bezug auf die des V e r s u c h e s schuldigen Personen k ö n n e n die Staaten ausliefern. Diese Gegenüberstellung

716

beweist zur Evidenz, daß mit dem im lezten Absaz gebrauchten Ausdruk ,,kann a der Sinn zu verbinden ist, der ihm immer und unter allen Umständen zukommt. Auch die Einwendung, daß bei dieser Auffassung es einer vertragsmäßigen Bestimmung nicht bedurft hätte, würde nur dazu führen, den lezten Absaz als einen überflüssigen zu erklären, keineswegs würde aber daraus folgen, es sei dem gebrauchten Ausdruke ein ihm nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch durchaus fremder Gedanke zu unterlegen, was geschieht, wenn die Bestimmung, daß die Auslieferung stattfinden könne, dahin ausgelegt wird, es müsse die Auslieferung in der Regel stattfinden, und sie könne nur abgelehnt werden, insofern etwa im einzelnen Fall besondere Bedenken entgegenstehen.

Wir halten übrigens auch nach unserer Auffassung, die den Staaten freie Hand läßt, den lezten Absaz weder für selbstverständlich, noch für überflüssig. Würde nämlich gegenüber dem Eingang des Artikels der Schlußsaz fehlen, so wäre damit die Frage, ob auch der Versuch einer der genannten Handlungen die Auslieferung zur Folge habe, noch keineswegs entschieden. Durch den lezten Absaz ist diese Frage klar dahin beantwortet, daß nur das vollendete Verbrechen die Pflicht zur Auslieferung begründe, daß aber gegenüber dem Versuch die Staaten frei seien, die Auslieferung zu bewilligen oder abzulehnen. Erfolgt eine Auslieferung, so geht im Weitern aus dem Schlußsaz hervor, daß dieselbe den gleichen Bestimmungen unterliegt, welche der Vertrag für die obligatorische Auslieferung aufstellt.

Wir mußten uns daher, getreu dem Vertrage, die Prüfung der speziellen Verhältnisse jedes einzelnen Falles von Anklage auf Versuch, sowie das Recht, nach unserm freien Ermessen zu entscheiden, vorbehalten.

9. Auf unser Gesuch wurde von deutschen Staaten gegen 4, von Frankreich gegen l und von Italien in vier Fällen gegen 7 ihrer Staatsangehörigen die B e u r t h e i l u n g und B e s t r a f u n g in d e r H e i m a t für solche Verbrechen und Vergehen übernommen, deren die Verfolgten in der Schweiz sich schuldig gemacht hatten, für welche sie aber in Folge ihrer Flucht hier nicht bestraft werden konnten. Neun dieser Angeklagten wurden verurtheilt, einer freigesprochen, einer wurde nicht gefunden und in einem Falle ist die Untersuchung noch pendent.

In einem weitern Falle, betreffend einen
Franzosen (Jos. Ricou), welcher in Genf wegen Betruges verurtheilt worden war, aber dort während der Abbüßung der Strafe entweichen und auf französisches Gebiet sich flüchten konnte, wurde die strafrechtliche Verfolgung

717

dieses Individuums in Frankreich von der französischen Regierung abgelehnt, weil eine neue Beurtheilung, da bereits ein definitives Urtheil eines auswärtigen Gerichtes vorliege, gemäß Art. 5 des französischen Code d'instruction criminelle, modifizirt durch das Gesez vom 27. Juni 1866, nicht möglich sei, und weil weder die französische Gesezgebung, noch ein spezieller Vertrag mit der Schweiz die Mittel bieten, um das genferische Strafurtheil in Frankreich vollziehen zu können.

Umgekehrt wurde von Baden in 2, von Frankreich in 3, von Oesterreich in 2 Fällen und von Italien in einem Falle die Uebernahme der Untersuchung gegen Schweizer verlangt, die in diesen Staaten strafbarer Handlungen sich schuldig gemacht, aber ungestraft in die Schweiz sich hatten flüchten können. 2 Angeklagte wurden nicht gefunden, 5 andere wurden durch die Gerichte der Heimatkantone verurtheilt, und in einem Falle wurde die Untersuchung wegen Verjährung aufgehoben.

II. Bundesstrafrecht.

10. Im Jahre 1880 wurden 32 neue Fälle von G e f ä h r d u n g des E i s e n b a h n b e t r i e b e s den kantonalen Gerichten zur Untersuchung und Beurtheilung überwiesen (1879: 34; 1878: 33). 7 Fälle waren aus dem Vorjahre peüdent geblieben, so daß im Ganzen 39 Untersuchungen gegen 54 Personen in gerichtlicher Behandlung lagen.

Diese Untersuchungen vertheilen sich auf die Kantone St. Gallen mit 10, Zürich mit 7, Waadt mit 5, Bern, Neuenburg und Thurgau mit je 4, Wallis mit 3 und Freiburg mit 2.

6 Untersuchungen wurden durch Verfügung kantonaler Gerichtsbehörden gänzlich aufgehoben ; in 3 weitern Fällen wurde die Klage wegen Gefährdung des Eisenbahnbetriebes im Sinne von Art. 67 des Bundesstrafrechtes ebenfalls fallen gelaßen, aber w.egen Uebertretung des Bundesgesezes über die Bahnpolizei Untersuchung eingeleitet. 27 Untersuchungen sind durch gerichtliches Urtheil erledigt worden. 9 Personen wurden freigesprochen und 32 in 20 Urtheilen zu größern oder geringern Strafen, zusammen zu 269 Tagen Gefängniß und Fr. 848 Buße verurtheilt. Gegen zwei Knaben wurde lediglich ein ernstlicher Verweis ausgesprochen. Die übrigen 3 Untersuchungen gingen auf das Jahr 1881 über.

6 Verurtheilte suchten bei der Bundesversammlung um Begnadigung nach ; sie wurden jedoch abgewiesen (Bundesbl. 1880, III, 356 und 391). Das auf sie bezügliche Urtheil ist seither vollzogen worden.

718

9 weitere Urtheile sind ebenfalls vollzogen. Betreffend zwei Verurtheilte konnte der Vollzug nicht stattfinden, weil der eine die Schweiz verlaßen hatte und der Aufenthalt des andern auch durch eine polizeiliche Ausschreibung nicht ermittelt werden konnte. Die Vollziehung der übrigen Urtheile ist eingeleitet. Die Urtheile aus den frühern Jahren sind sämmtlich vollzogen.

Einige Fälle, bei deren Beurtheilung nicht das Bundesstrafrecht zur Anwendung kommen konnte, sondern das Bundesgesez über die Bahnpolizei vom 18. Februar 1878, wurden zurükgewiesen, indem für diese in Art. 11 des leztern Gesezes die kantonale Kompetenz vorgeschrieben ist. In solchen Fällen bleiben die Untersuchungs- und Vollziehungskosten den Kantonen zur Last, wogegen sie auch die Bußen beziehen.

11. Die im lezten Geschäftsbericht erwähnte Untersuchung wegen S t ö r u n g des T e l e g r a p h e n v e r k e h r s erhielt dadurch ihre Erledigung, daß den beiden Angeklagten von Seite des kantonalen Gerichts ein ernstlicher Verweis ertheilt und daß ihnen die Bezahlung der Kosten überbunden wurde.

12. Im Laufe des Berichtjahres sind folgende Urtheile gegen Wer ber f ü r den h o l l ä n d i s c h - i n d i s c h e n K r i e g s d i e n s t eingegangen : a. Urtheil des korrektionellen Gerichtes von Bern, d. d. 15. Februar 1878, gegen Job. J a k o b C o t t i e r von Arni bei Biglen, Kantons Bern, Schneider, wohnhaft in Bern. Strafe: 15 Tage Gefängniß und Fr. 10 Buße; b. Urtheil desselben Gerichtes vom 19. Dezember 1878, womit der gleiche C o t t i e r zu einem Monat Gefängniß und Fr. 10 Buße verurtheilt wurde; c. Urtheil des gleichen Gerichtes gegen H e i n r i c h H u r l i m a n n von Bärentschweil, Kantons Zürich, wohnhaft in Antwerpen, und gegen Friedrich G ä u m a n n von Oberthal, Kantons Bern, Dienstmann in Bern, d. d. 6. Februar 1879. Jeder wurde zu 30 Tagen Gefangenschaft, Fr. 50 Buße und ein Jahr Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit verurtheilt..

d. Urtheil des gleichen Gerichtshofes vom 26. April 1880, wodurch obiger Joh. J a k o k C o t t i e r wegen Werbung, Nachahmung eines Gemeindestempels, Anfertigung und Gebrauches eines falschen Zeugnisses, sowie wegen Hehlerei zu 6 Monaten Korrektionshaus, Fr. 100 Buße und 5 Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht verurtheilt wurde.

719

e. Urtheil des korrektionellen Gerichtes in Bern vom 13. November 1879 gegen den Joh. J a k o b C o t t i e r und R u d o l f K y b u r z von Erlinsbach, Kantons Aargau, Zimmermann in Bern. Kyburz wurde von der Anklage auf Werbung freigesprochen, jedoch ohne Entschädigung und solidarisch mit Cottier zur Bezahlung der Kosten verurtheilt. Cottier appellirte gegen seine Verurtheilung. Die Polizeikammer des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern bestätigte jedoch das erstinstanzliche Urtheil, womit er zu 30 Tagen Gefangenschaft, Fr. 30 Buße und 5jähriger Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit verurtheilt worden war.

f. Urtheil der Polizeikammer des Kantons Bern vom 28. April 1880 gegen R u d o l f M a t h y s von Niederhünigen, Schlosser in Bern, und den oben genannten Joh. J a k o b C o t t i e r .

M a t h y s wurde wegen Werbung und Unterschlagung zum Nachtheil eines Angeworbenen zu 4 Monaten Gefängniß, Fr. 100 Buße und 5 Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit verurtheilt; C o t t i e r wegen Werbung, Nachmachen des Gemeindestempels von Signau, Anfertigung und Gebrauches eines falschen Zeugnisses und wegen Hehlerei zu 6 Monaten Gefängniß, Fr. 100 Buße und weiteren 5 Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.

g. Urtheil des korrektioneilen Gerichtes in Bern vom 29. Juli 1880 gegen die oben genannten R u d o l f M u t h y s , Schlosser in Bern, und R u d o l f K y b u r z , Zimmermann in Bern, womit M a t h y s in contumaciam zu 3 Monaten Gefangenschaft, Fr. 100 Buße und einem Jahr Einstellung im Aktivbürgerrecht, K y b u r z zu 2 Monaten Gefängniß, Fr. 50 Buße und 6 Monate Einstellung im Aktivbürgerrecht verurtheilt worden sind.

III.

Kantonales Straf recht.

13. Nach näherer Prüfung der auf das Kreisschreiben unseresJustiz- und Polizeidepartements vom 15. Oktober 1879 eingekommenen Antworten überzeugten wir uns, daß sämmtliche Kantonsregierungen mit der g e g e n s e i t i g e n Z u s e n d u n g der g e g e n A n g e h ö r i g e eines a n d e r n K a n t o n s e r l a ß e n e n Strafu r th ei l e einverstanden seien. Mit Kreisschreiben vom 29. Dezember 1880 konstatirten wir diese Uebereinstimmung und luden die Kantonsregierungen ein, die hiemit entstandene Uebereinkunft vom 1. Januar 1881 hinweg als gegenseitig verbindlich zu betrachten und für die Mittheilung der Strafurtheile das gleiche For-

·720 mular zu verwenden, welches laut Kreisschreiben vom 17. Dezember abbin zu gleichem Zweke mit Frankreich vereinbart worden war. (Bundesblatt 1881, I, 37.)

IV. Fremdenpolizei.

14. Der D u r c h t r a n s p o r t von F r e m d e n , die von einem auswärtigen Staate ausgewiesen worden und über schweizerisches Gebiet transportirt werden wollen , kann nur stattfinden, nachdem die Bewilligung des Bundesrathes eingeholt und die Rükvergütung der Transportkosten zugesichert ist. Auch ist zur Sicherung des eventuellenRüktransportess nöthig, daß von Seite des ausweisenden Staates ein Transportbefehl mitgegeben werde. Behufs der Berechnung der Kosten kann das gleiche Formular benuzt werden, wie es zur Vollziehung von Auslieferungen im Transit üblich ist.

(Bundesblatt 1873, III, 569.)

V. Politische Polizei. - Flüchtlinge.

15. Das von den französischen Kammern am 16. März 1880 genehmigte und vom Präsidenten der Republik publizirte Gesez, womit die D e s e r t e u r e und R e f r a k t ä r e der f r a n z ö s i s c h e n A r m e e zu L a n d und zur See amnestirt w u r d e n , istmit Kreisschreiben vom 17. April 1880 den Kantonsregierungen mitgetheilt worden, damit die allfällig anwesenden Franzosen, welche die Wohlthat desselben anrufen können, darauf aufmerksam gemacht werden. (Bundesblatt 1880, II, 570 und 571.)

16. Das gleiche Verfahren wurde auch beobachtet bezüglich des andern französischen Gesezes vom 11. Juli 1880, womit denjenigen Individuen, welche wegen Theilnahme an den i n s u r r e k t i o n e l l e n E r e i g n i s s e n i n d e n J a h r e n 1870 -- 1 8 7 1 u n d später verurtheilt worden waren, A m n e s t i e ertheilt wurde. (Bundesblatt 1881, I, 517 und 518.)

17. Auf das Gesuch der Gesandtschaft eines auswärtigen Staates, es möchte der Aufenthalt eines ihrer Landesangehörigen, welcher der Militärpflicht noch nicht genügt habe, ausgemittelt werden, wurde geantwortet, es scheine dem Bundesrathe, daß diese Angelegenheit sich nicht wohl eigne, auf diplomatischem Wege behandelt zu werden, wenigstens soweit nicht, als die schweizerischen Behörden berufen sein sollten, einen in der E r f ü l l u n g s e i n e r M i l i t ä r p f l i c h t s ä u m i g e n A u s l ä n d e r aufzusuchen. Wenn es

721 sich nur darum handeln würde, diesem eine bezügliche Eröffnung zu machen, so dürfte das Mittel der Presse völlig ausreichen. Sollte aber ein noch weiter gehender Zwek damit verbunden sein, so würden die politischen Institutionen der Schweiz die Mitwirkung des Bundesrathes verbieten.

18. Die im Jahre 1873 getroffenen Maßnahmen zur Wahrung der schweizerischen Neutralität während des von Don C a r l o s als Prätendenten auf die Krone Spaniens geleiteten Aufstandes sind auf bezügliches Ansuchen mit dem im Bundesblatt 1880, III, 569 publizirten und den betreffenden Kantonsregierungen mitgetheilten Beschluße vom 6. August 1880 aufgehoben worden.

19. Herr A l e x a n d e r C o u r v o i s i e r in Chaux-de-Fonds wurde bei Anlaß der Untersuchung gegen die in seiner Drukerei erschienene politische Zeitschrift ,,Avant-garde, organe collectiviste et anarchiste,a veranlaßt, eine schriftliche Erklärung zu geben, daß er den Druk dieses Journals sofort einstellen und kein anderes von gleicher Tendenz publiziren werde. Hr. Courvoisier verlangte nun die Aushingabe dieser Erklärung. Wir erledigten diese Angelegenheit im Sinne folgender Erwägungen: daß die erwähnte Erklärung als administrativ-polizeiliche Maßregel zur Zeit der Eröffnung der strafrechtlichen Untersuchung wegen völkerrechtswidriger Handlungen im Sinne von Art. 41 des Bundesstrafrechtes, vom 4. Februar 1853, durch das anarchistische Journal ,,Avant-garde111, welches in der Drukerei des Hrn. Courvoisier gedrukt wurde, nöthig und um so mehr gerechtfertigt war, als in derselben Drukerei. eine neue Nummer der ,,Avant-garde" im Saze lag, welche in noch höherm Maße als es vorher geschehen, geeignet gewesen wäre, die völkerrechtliche Stellung der Schweiz zu kompromittiren; daß jedoch die erwähnte Untersuchung mit Urtheil des Bundesgerichtes vom 16. April 1879 (Bundesblatt 1879 , II, 648) ihren Abschluß gefunden hat; daß das Aktenstük bei dem Dossier zu verbleiben hat, dagegen seine Verbindlichkeit für Hrn. Courvoisier mit Abschluß der Prozedur dahinaefallen ist.

'ö520. Mit Bezug auf die p o l n i s c h e n F l ü c h t l i n g e sind auch in diesem Jahre keine Veränderungen eingetreten. An üblichen Unterstüzungen für einen geisteskranken, sowie an Arztund Begräbnißkosten für einen gestorbenen Polen wurden Fr. 658. 80 ausgegeben.

722

TI. Heimatlosenwesen.

21. Der Staatsrath des Kantons T essi n berichtete: Am Ende des Jahres 1879 seien bei seinem Departemente des Innern nur noch wenige Untersuchungen betreffend Feststellung der Angehörigkeit anhängig gewesen. Im Laufe des Jahres 1880 seien jedoch neue Fälle hinzugekommen, in welchen für einzelne Personen und für Familien, die im Tessin oder in andern Kantonen oder im Auslande wohnen, behufs Ausstellung von Heimatscheinen, sei es zur Sicherung des Domizils oder zum Abschluße von Ehen, oder sei es zur Gewährung von Unterstüzungen oder zum Zweke ihrer Heimschaffung etc., das Heimatrecht festzustellen gewesen, sei. Das Departement des Innern habe die bezüglichen Untersuchungen jeweilen sofort an die Hand genommen und durchgeführt, so daß der Staatsrath einen großen Theil derselben noch vor dem Schluße des Jahres habe erledigen können. In vielen andern Fällen dieser Art habe das Departement mit den betreffenden Gemeindebehörden eine direkte Verständigung erzielt. -- Was die Rekurse an den Großen Rath gegen Einbürgerungsbeschlüße des Staatsrath.es betreffe, so habe ersterer mehrere derselben entschieden. Der Staatsrath hoffe, daß der neue Große Rath die noch pendenten Fälle beförderlich erledigen werde.

22. In ähnlicher Weise war auch unser Justizdepartement behufs Feststellung der heimatlichen Angehörigkeit einer großen Anzahl von Personen beschäftigt, die im Auslande leben und deren Existenz aus verschiedenen Gründen in der angesprochenen Heimatgemeinde unbekannt war. In einigen Fällen war die Feststellung der Abstammung mit besondern Schwierigkeiten verbunden, theils weil die betreffenden Personen nicht selbst einvernommen werden konnten, theils weil Abweichungen in der Schreibart der Geschlechtsnamen vorkamen. Indeß wurde regelmäßig die freiwillige Anerkennung von Seite der Kantone erzielt. Nur in einem Falle, betreffend eine Mutter mit vier Kindern, deren Vater unter falschem Namen sich verehelicht hatte, seine in England, in Frankreich und in der Schweiz gebornen Kinder unter verschiedenen Namen eintragen ließ und in Frankreich gestorben ist, ohne seinen richtigen Namen anzugeben, war ein förmlicher Entscheid nöthig, der dann von dem belasteten Kanton anerkannt wurde. In verschiedenen Fällen waren auch diplomatische Verhandlungen mit auswärtigen Staaten nothwendig behufs
Anerkennung von Angehörigen, die in einzelnen Kantonen geboren und geduldet worden waren, ohne daß den heimatlichen Behörden von ihrer Existenz Kenntniß gegeben wurde.

Eine einzige Familie dieser Klasse zählt 14 Personen. Zwei Ent-

723 scheide, womit 10 Personen eingebürgert wurden, mußten an das Bundesgerieht gebracht werden. Es wurde jedoch nur ein Fall mit Urtheil erledigt und zwar durch Bestätigung unseres Entscheides.

Der andere Fall blieb pendent. Andere weitläufige Untersuchungen wurden nach Möglichkeit weiter geführt, so daß einzelne Fälle bald entschieden werden können.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten "Hochachtung.

. B e r n , den 22. April 1881.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schieß.

724

# S T #

II. Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichen Commission über den Gesetzvorschlag betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb.

(Vom 20. April 1881.)

Tit.

In den Verhandlungen des Ständerathes am 21 ./22. Februar a. c.

beantragte die Mehrheit Ihrer Commission Nichteint r e t e n auf den b e z ü g l i c h e n bundesräthlich en E n t w ur f vom 26. N o v . 1880, zur Z e i t und auf G r u n d l a g e des v o r l i e g e n d e n E n t w u r f e s , geleitet von der Ansicht, daß das demnächst zum Abschluß kommende Obligationenrecht den zutreffenden Bedürfnissen voll und ganz entspreche, und ein Spezialgesetz entbehrlich mache; dieselbe konnte auch Rechtsgrundsätze, welche der betreffende Entwurf aufstellt, und die, wie die Botschaft des hohen Bundesrathes selbst betont, in keinem anderen Staate zur Geltung kommen, nicht acceptiren. Diese Grundsätze wurden vom Berichterstatter damals hervorgehoben, und dieselben betreffen einerseits die Beweislast, welche entgegen dem allgemein üblichen Rechte in jenem Entwurfe dem Beklagten auferlegt wird, und anderseits diejenigen Unfälle dem Fabrikanten anrechnen, deren Abwendung, auch bei der größten Vorsicht, nicht in seiner Macht liegt, nämlich diejenigen Unfälle, deren Entstehung nicht nachweisbar ist und deßwegen als Zufall betrachtet werden muß.

Die Minderheit Ihrer Commission b e a n t r a g t e dagegen E i n t r e t e n auf die V o r l a g e vom 26. N o v . 1880, und motivirte ihren Antrag damit, daß schon 1871 Deutschland ein

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Bericht des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend seine Geschäftsführung im Jahre 1880.

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Bundesblatt

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Feuille fédérale

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Foglio federale

Jahr

1881

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

18

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.04.1881

Date Data Seite

647-724

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10 011 067

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