Anhang 4

Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit

Die Internationale Arbeitskonferenz, in der Erwägung, dass die Gründung der IAO in der Überzeugung erfolgte, dass soziale Gerechtigkeit eine wesentliche Voraussetzung für einen dauerhaften Weltfrieden ist; in der Erwägung, dass wirtschaftliches Wachstum wesentlich ist, aber nicht ausreicht, um Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt und die Beseitigung von Armut zu gewährleisten, was bestätigt, dass die IAO starke Sozialpolitiken, Gerechtigkeit und demokratische Institutionen fördern muss; in der Erwägung, dass die IAO mehr als je zuvor alle ihre Mittel der Normensetzung, der technischen Zusammenarbeit und der Forschung in allen ihren Zuständigkeitsbereichen, insbesondere im Bereich der Beschäftigung, der Berufsbildung und der Arbeitsbedingungen, einsetzen sollte, um dafür zu sorgen, dass im Rahmen einer globalen Strategie für wirtschaftliche und soziale Entwicklung sich die Wirtschaftsund Sozialpolitiken gegenseitig verstärken, damit eine breit angelegte dauerhafte Entwicklung geschaffen wird, in der Erwägung, dass die IAO den Problemen von Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen, insbesondere der Arbeitslosen und der Wanderarbeitnehmer, besondere Aufmerksamkeit schenken und internationale, regionale und nationale Anstrengungen zur Lösung ihrer Probleme mobilisieren und ermutigen und wirksame Politiken zur Schaffung von Arbeitsplätzen fördern sollte; in der Erwägung, dass bei dem Streben nach dem Gleichlauf von sozialem Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum der Garantie der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit eine ganz besondere Bedeutung zukommt, indem den Betreffenden selbst die Möglichkeit gegeben wird, frei und mit gleichen Chancen einen gerechten Anteil an dem Wohlstand zu fordern, zu dessen Schaffung sie beigetragen haben, und ihr menschliches Potential voll zu verwirklichen; in der Erwägung, dass die IAO die durch ihre Verfassung beauftragte internationale Organisation und das zuständige Gremium im Bereich der Setzung und Behandlung internationaler Arbeitsnormen ist und universelle Unterstützung und Anerkennung bei der Förderung grundlegender Rechte bei der Arbeit als Ausdruck ihrer Verfassungsgrundsätze geniesst; in der Erwägung, dass es angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung unbedingt erforderlich ist, den unveränderlichen Charakter der in der Verfassung der Organisation verankerten grundlegenden Prinzipien und Rechte erneut zu bekräftigen und ihre universelle Anwendung zu fördern;

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1999-6154

Erklärung

1. Weist darauf hin: a)

dass mit dem freien Beitritt zur IAO alle Mitglieder die in ihrer Verfassung und in der Erklärung von Philadelphia niedergelegten Grundsätze und Rechte anerkannt und sich verpflichtet haben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und ihrer besonderen Umstände auf die Erreichung der Gesamtziele der Organisation hinzuwirken;

b)

dass diese Grundsätze und Rechte in Form von konkreten Rechten und Pflichten in innerhalb wie ausserhalb der IAO als grundlegend anerkannten Übereinkommen zum Ausdruck gebracht und entwickelt worden sind.

2. Erklärt, dass alle Mitglieder, auch wenn sie die betreffenden Übereinkommen nicht ratifiziert haben, allein auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Organisation verpflichtet sind, die Grundsätze betreffend die grundlegenden Rechte, die Gegenstand dieser Übereinkommen sind, in gutem Glauben und gemäss der Verfassung einzuhalten, zu fördern und zu verwirklichen, nämlich: a)

die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen;

b)

die Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit;

c)

die effektive Abschaffung der Kinderarbeit;

d)

die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

3. Anerkennt die Verpflichtung der Organisation, ihre Mitglieder entsprechend deren erwiesenen und zum Ausdruck gebrachten Bedürfnissen zu unterstützen, um diese Ziele zu erreichen, indem sie ihre verfassungsmässigen, operativen und budgetären Mittel voll einsetzt, einschliesslich der Mobilisierung externer Mittel und Unterstützung, und indem sie andere internationale Organisationen, mit denen die IAO gemäss Artikel 12 ihrer Verfassung Beziehungen aufgenommen hat, dazu ermutigt, diese Anstrengungen zu unterstützen: a)

durch das Angebot von technischer Zusammenarbeit und von Beratungsdiensten zur Förderung der Ratifizierung und Durchführung der grundlegenden Übereinkommen;

b)

durch Unterstützung derjenigen Mitglieder, die noch nicht in der Lage sind, die Gesamtheit oder einige dieser Übereinkommen zu ratifizieren, bei ihren Bemühungen um die Einhaltung, Förderung und Verwirklichung der Grundsätze betreffend die grundlegenden Rechte, die Gegenstand dieser Übereinkommen sind; und

c)

durch Unterstützung der Mitgliedstaaten bei ihren Bemühungen um die Schaffung eines für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung günstigen Umfelds.

4. Beschliesst, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieser Erklärung förderliche, glaubwürdige und wirkungsvolle Folgemassnahmen entsprechend den im Anhang dargelegten Modalitäten eingerichtet werden, die als Bestandteil dieser Erklärung anzusehen sind.

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Erklärung

5. Betont, dass Arbeitsnormen nicht für handelsprotektionistische Zwecke verwendet werden dürfen und dass diese Erklärung und ihre Folgemassnahmen nicht für solche Zwecke geltend gemacht oder sonstwie verwendet werden dürfen; ausserdem darf der komparative Vorteil eines Landes durch diese Erklärung und ihre Folgemassnahmen in keiner Weise in Frage gestellt werden.

Anhang

Folgemassnahmen zur Erklärung I. Gesamtzweck 1. Ziel der nachstehend beschriebenen Folgemassnahmen ist es, die Bemühungen der Mitglieder der Organisation um die Förderung der in der Verfassung der IAO und in der Erklärung von Philadelphia verankerten und in dieser Erklärung bekräftigten grundlegenden Prinzipien und Rechte zu unterstützen.

2. Im Einklang mit diesem Ziel, das reinen Förderungscharakter hat, werden diese Folgemassnahmen die Ermittlung von Bereichen ermöglichen, in denen die Unterstützung der Organisation durch ihre Tätigkeiten der technischen Zusammenarbeit für ihre Mitglieder von Nutzen sein kann, um ihnen bei der Verwirklichung dieser grundlegenden Prinzipien und Rechte behilflich zu sein. Sie sind kein Ersatz für die bestehenden Überwachungsmechanismen und sollen deren Funktionieren nicht behindern; infolgedessen werden spezifische Situationen, die in den Zuständigkeitsbereich jener Mechanismen fallen, im Rahmen dieser Folgemassnahmen nicht geprüft oder erneut geprüft.

3. Die beiden Aspekte dieser Folgemassnahmen, die nachstehend beschrieben werden, beruhen auf bestehenden Verfahren: Die jährlichen Folgemassnahmen betreffend nichtratifizierte grundlegende Übereinkommen werden lediglich eine gewisse Anpassung der derzeitigen Anwendungsmodalitäten von Artikel 19 Absatz (5) e) der Verfassung erfordern; und der Gesamtbericht wird dazu dienen, aus den gemäss der Verfassung durchgeführten Verfahren den besten Nutzen zu ziehen.

II. Jährliche Folgemassnahmen betreffend nichtratifizierte grundlegende Übereinkommen A. Zweck und Umfang 1. Der Zweck besteht darin, eine Gelegenheit zu schaffen, jedes Jahr mit Hilfe vereinfachter Verfahren an Stelle der vom Verwaltungsrat 1995 eingeführten vierjährlichen Überprüfung die von den Mitgliedern, die noch nicht alle grundlegenden Übereinkommen ratifiziert haben, gemäss der Erklärung unternommenen Anstrengungen zu überprüfen.

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2. Die Folgemassnahmen werden sich jedes Jahr auf die vier Bereiche der grundlegenden Rechte und Prinzipien erstrecken, die in der Erklärung angegeben sind.

B. Modalitäten 1. Die Folgemassnahmen werden auf den von den Mitgliedern nach Artikel 19 Absatz (5) e) der Verfassung angeforderten Berichten beruhen. Die Berichtsformulare werden so abgefasst werden, dass von den Regierungen, die nicht eines oder mehrere der grundlegenden Übereinkommen ratifiziert haben, Informationen über etwaige Änderungen in ihrer Gesetzgebung und Praxis eingeholt werden, wobei Artikel 23 der Verfassung und die übliche Praxis berücksichtigt werden.

2. Diese vom Amt zusammengestellten Berichte werden vom Verwaltungsrat überprüft werden.

3. Im Hinblick auf die Vorlage einer Einführung zu den auf diese Weise zusammengestellten Berichten, in der die Aufmerksamkeit auf Aspekte gelenkt wird, die eine eingehendere Diskussion erfordern könnten, kann das Amt auf eine vom Verwaltungsrat zu diesem Zweck eingesetzte Sachverständigengruppe zurückgreifen.

4. Es sollten Anpassungen bei den bestehenden Verfahren des Verwaltungsrats geprüft werden, um Mitgliedern, die nicht im Verwaltungsrat vertreten sind, Gelegenheit zu geben, während der Diskussionen im Verwaltungsrat in der zweckmässigsten Weise etwa erforderliche oder nützliche Erläuterungen zur Ergänzung der in ihren Berichten enthaltenen Informationen zu geben.

III. Gesamtbericht A. Zweck und Umfang 1. Dieser Bericht soll ein dynamisches Gesamtbild der während der vorausgehenden Vierjahresperiode verzeichneten Entwicklungen in Bezug auf jede Gruppe grundlegender Prinzipien und Rechte vermitteln und als Grundlage für die Bewertung der Wirksamkeit der von der Organisation geleisteten Unterstützung und für die Festlegung von Prioritäten für den folgenden Zeitraum dienen, und zwar in Form von Aktionsplänen für die technische Zusammenarbeit, die insbesondere dazu bestimmt sind, die zu ihrer Durchführung erforderlichen internen und externen Ressourcen zu mobilisieren.

2. Der Bericht wird jedes Jahr abwechselnd eine der vier Gruppen grundlegender Prinzipien und Rechte behandeln.

B. Modalitäten 1. Der Bericht wird unter der Verantwortung des Generaldirektors auf der Grundlage offizieller Informationen oder von in Übereinstimmung mit feststehenden Verfahren beschafften und bewerteten Informationen ausgearbeitet werden. Im Fall von Staaten, die die grundlegenden Übereinkommen nicht ratifiziert haben, wird er insbesondere auf den Ergebnissen der vorstehend erwähnten jährlichen Folgemassnahmen beruhen. Im Fall von Mitgliedern, die die betreffenden Übereinkommen ratifiziert 401

Erklärung

haben, wird der Bericht insbesondere auf den nach Artikel 22 der Verfassung behandelten Berichten beruhen.

2. Dieser Bericht wird der Konferenz zur dreigliedrigen Erörterung als ein Bericht des Generaldirektors vorgelegt werden. Die Konferenz kann diesen Bericht getrennt von den Berichten nach Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung behandeln und kann ihn in einer Sitzung, die gänzlich diesem Bericht gewidmet ist, oder in einer anderen geeigneten Weise erörtern. Es wird dann Sache des Verwaltungsrats sein, auf einer baldigen Tagung Schlussfolgerungen aus dieser Erörterung hinsichtlich der in der folgenden Vierjahresperiode umzusetzenden Prioritäten und Aktionspläne für die technische Zusammenarbeit zu ziehen.

IV. Folgendes gilt als vereinbart: 1. Es werden Vorschläge für Änderungen der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats und der Konferenz unterbreitet werden, die erforderlich sind, um die vorstehenden Bestimmungen durchzuführen.

2. Die Konferenz wird das Funktionieren dieser Folgemassnahmen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erfahrungen zu gegebener Zeit überprüfen, um zu beurteilen, ob sie den in Teil I dargelegten Gesamtzweck ausreichend erfüllt haben.

Der vorstehende Text ist der Wortlaut der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihrer Folgemassnahmen, angenommen von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer sechsundachtzigsten Tagung, die in Genf stattgefunden hat und am 18. Juni 1998 für geschlossen erklärt worden ist.

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