472

# S T #

Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichenCommission über den Gesetzesvorschlag betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, vom 26. November 1880.

(Vom 21. Februar 1881.)

Tit.

Der Art. 5 des Gesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 stellt bezüglich der Verantwortlichkeit der Fabrikanten für die im Fabrikbetriebe sich ereignenden Verletzungen zwei Grundsätze fest.

Der erste derselben vorpflichtet den Fabrikinhaber, für jedes V e r s c h u l d e n einer von ihm als Stellvertreter aufgestellten oder mit besondern Dienstbefugnissen ausgestatteten Drittperson zu haften.

(Art. 5 a.) Es ist damit der schon in dem Code civil (Art. 1384) anstandlos recipirte Grundsatz, daß Jeder für die von seinen Untergebenen in ihrer Dienststellung vorgenommenen Handlangen verantwortlich sein soll.

Der zweite Satz (Art. 5 b) überbindet hinwieder dem Fabrikanten auch die volle Verantwortlichkeit für jeden Unfall, der o h n e s e i n Verschulden und ohne Verschulden seiner Angestellten sich ereignet, mit einziger Ausnahme jeuer Fälle, von denen er beweisen kann, daß eine h ö h e r e G e w a l t im Spiele gewesen sei, oder daß der Verletzte selbst es war, der sieh absichtlich oder durch Fahrläßigkeit eine erlittene Beschädigung zugezogen habe.

473

Alle andern Fälle, wo weder das Eine noch das Andere vorliegt, wo weder eine für menschliche Kraft unwiderstehliche Elementargewalt, noch eine Verschuldung des Arbeiters selbst, als Ursache einer eingetretenen Verletzung ausgewiesen ist, also das g a n z e g r o ß e G e b i e t des sogenannten Z u f a l l s , das heißt alle aus unglücklicher, nicht vorauszusehender, noch abzuwendender Complikation von Verumständungen entstehenden nachtheiligen Folgen soll -- nach dem zweiten im Art. 5 niedergelegten Grundsatze -- der Fabrikinhaber mit seiner Verantwortlichkeit decken.

Eine solche Haftbarmachung für den Zufall finden wir, als A u s f l u ß d e s s t a a t l i c h e n H o h e i t s r e c h t e s , allerdings auch in dem schweizerischen Eisenbahnrechte, welches hierin dem deutschen Rechte gefolgt ist. Der Staat, als Inhaber der Verkehrshoheit, knüpft auf diesem Gebiete an die Verleihung der Concession im Interesse und zum Schütze des Publikums die B e d i n g u n g , daß die von ihm conce.ssionirte Verkehrsanstalt auch für z u f ä l l i g e Beschädigungen einzustehen habe.

Der Staat ist vollständig befugt, diese und jede andere Bedingung an seine Concession zu knüpfen; er hat hierin völlig freie Hand, und es mögen auch schwerwiegende, in der besondern Natur der Verhältnisse liegende Gründe dafür vorhanden sein, den EisenbahnCompagnien eine solche unbeschränkte Verantwortlichkeit zu überbinden.

Aber k e i n L a n d der W e l t , soweit unser Wissen reicht, kennt eine gesetzgeberische Vorschrift, wonach einem Menschen, der das Recht zur Betreibung seines Berufes nicht vom Staate ableitet, zugemuthet wird, für Ereignisse Dritten mit seinem Vermögen einzustehen, welche völlig außerhalb seiner Macht liegen und au denen weder er selbst, noch allfällig das Verhalten anderer, von ihm zu vertretender Personen irgend einen positiven oder negativen Antheil hat.

Weder das deutsche Gesetz (vom 7. Juni 1871), noch das englische Recht, einschließlich seiner Novelle vom 7. September vorigen Jahres, noch französisches Gesetz oder Gerichtspraxis kennen eine Schadenersatzpflicht eines Privaten für z u f ä l l i g e Verletzungen eines Dritten.

Es kann daher auch kaum auffallen, wenn den Gesetzgeber, als er diese bis jetzt auf dem Gebiete des Privatrechts völlig unbekannte Doktrin der Z u f a l l s h a f t einzuführen
im Begriffe stand, ein gewisses Gefühl der Unsicherheit beschlich, welches in dem gleichzeitigen Vorbehalte des citirten Art. 5 zum Ausdrucke gelangte, daß die daherige Gesetzesvorschrift nur einen p r o v i -

474

s o r i s c h e n Charakter tragen und nur so lange Geltung haben solle, als nicht ein gleichzeitig in Sicht genommenes definitives Gesetz über die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb erlassen sein werde.

In der That trug denn auch dieses letztere Vorgehen selbst wieder ebensosehr den Charakter des A u ß e r o r d e n t l i c h e n an sich. Wohl liegen Beispiele zur Hand, daß ein in seinen verschiedeneu Beziehungen a u s g e s t a l t e t e s Gesetz nur für eine gewisse Zeitdauer und mit der Bestimmung erlassen worden ist, daß nach Ablauf gewisser Jahre eine Revision desselben einzutreten habe.

Dagegen dürfte der Vorgang wohl vereinzelt dastehen, wonach ein neues Rechtsprinzip, welches der Gesetzgeber auszugestalten noch gar nicht in der Lage war, dennoch als e i n s t w e i l i g e s Gesetz ins Leben geführt würde, ein Vorgehen, welches eine große Klasse von Bürgern zu Gunsten einer andern Klasse von Bürgern einer völlig u n b e g r ä n z t e n Verantwortlichkeit preisgeben müßte.

Es ist sich daher auch nicht zu verwundern, wenn seither und in neuester Zeit von Seite der Industriellen und Fabrikinhaber selbst auf eine definitive Reglirung dieser Materie hingearbeitet worden ist, von welcher sie mindestens eine gewisse B e g r e n z u n g ihrer Zufallshaft hoffen konnten.

In diesem Andringen durfte dann auch wohl für den h. Bundesrath die äußere Veranlaßung dafür gelegen haben, ohne Rücksicht auf die zur Zeit noch im Flusse befindliche Gestaltung des eidg.

Obligationenrechts die besondere Geset/.esvorlage einzubringen, deren Vorprüfung Sie, Tit., der referirenden Commission übertragen haben.

Indem wir Ihnen das Resultat dieser unserer Prüfung vorzulegen uns beehren, bemerken wir vorab, daß die Anschauungen der Commission prinzipiell auseinandergehen. Eine Mehrheit von 5 Mitgliedern stellt Ihnen hiemit den Antrag : ,,es sei zur Zeit und ,,auf Grundlage des vorliegenden Entwurfes n i c h t in die Behand,,lung eines Gesetzes über Haftbarkeit aus Fabrikbetrieb einzutreten."

Die Commissions-Mehrheit begründet diesen Antrag durch folgende Anschauungen : 1) Der vorliegende Entwurf basirt im Wesentlichen auf derselben Grundlage, von welcher der Art. 5 des Fabrikgesetzes ausgegangen ist, und wir glauben annehmen zu dürfen, daß der Tenor des letztern einen mehr oder .minder bestimmenden Einfluß auf den
neuen Entwurf ausgeübt haben dürfte.

Dieses Moment konnte jedoch auf uns einen entscheidenden Eindruck nicht machen. Der citirte Art. 5 ist nach seinem ausdrücklichen Wortlaute lediglich als eine provisorische Maßregel ge-

475

schaffen worden mit dem Rechte und der Pflicht für die gesetzgebende Behörde, denselben durch eine d e f i n i t i v e gesetzgeberische Verfügung zu ersetzen und bei dieser letztern selbstständige neue Prüfung walten zu lassen.

Wir dürfen also bei dieser uns in keiner Weise dadurch bestimmen lassen, daß gewisse Fragen bereits schon ein Mal in einem gewissen Sinne gelöst und entschieden worden seien, und wir dürfen das in Art. 5 provisorisch Eingeführte nur dann und insoweit definitiv gestalten, als wir dasselbe mit unserer Ueberzeugung als gerecht und gut zu vereinigen vermögen.

2) Die Grundlage des Entwurfes enthält nach unserer Ueberzeuguug nun aber einestheils Bestimmungen, welche sich gegen die allgemeinen Prinzipien des Rechtes verstoßen, anderseits, soweit dieselben mit letztern nicht im Widerspruch stehen, ausreichend, ja besser und vollständiger durch das einem voraussichtlich baldigen Abschlüsse entgegenreifende allgemeine schweizerische Obligationenrecht geordnet werden.

Zu den letztern, d. h. denjenigen Bestimmungen des Entwurfes, die mit dem gemeinen Rechte in U e b e r e i n s t i m m u n g stehen, zählen wir : a. Die Vorschrift des Art. l des Entwurfes, daß der Fabrikinhaber für Verletzungen verantwortlich ist, welche durch dessen e i g e n e s V e r s c h u l d e n oder durch das V e r s c h u l d e n eines ,,Mandatars, Repräsentanten, Leiters oder Aufsehers der Fabrik ,,in Ausübung der Dienst v errichtungen" entstanden sind.

Wir finden diese Vorschrift, soweit sie ein Verschulden des Fabrikherrn selbst betrifft, klar und präcis in Art. 56 des Obligationenrechts-Entwurfes niedergelegt in den Worten : ,,Wer einem ,,Andern durch w ide r r e c h t l i c h e s Handeln Schaden zufügt, ,,sei es mit Absicht, sei es aus Fahrläßigkeit, wird demselben zum ,,Ersätze verpflichtet."'

Die Verantwortlichkeit aber für ,,den Mandatar," ,,Repräsentant," ,,Leiter" oder ,,Aufseher" ist durch die Vorschrift des Art. 69 des Obligationenrechts-Entvvurfes zutreffender und vollständiger ausgedrückt in den Worten : ,,Ein Geschäftsherr haftet für den Scha,,den, welchen seine Arbeiter oder Angestellten in Ausübung ihrer ,,geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht ,,nachweist, daß er alle erforderliche Sorgfalt angewendet habe, um ,,eine solche Schädigung zu verhüten."

Diese Bestimmung geht w e i t e r als der Art. l unseres Haftbarkeits-Entwurfes, indem er die Verantwortlichkeit des Geschäfts-

476

herrn auch rend unser Seite läßt; stellte" all' ,,Mandatar,

für Verschulden seiner ,, A r b e i t e r " vorsieht, wähArt. i in seiner pleonastischen Fassung diese selbst bei dagegen erschöpft derselbe durch den Begriff ,,Angedas, was unser Art. l des Haftbarkeits-Entwurfes mit Repräsentant, Leiter, Aufseher" zu beschreiben versucht.

Der Entlastungsbeweis bleibt dagegen nach dem Obligationenrechte dem Geschäftsherrn mit Fug und Recht insoweit offen, als er damit darthun kann, ,,daß er alle erforderliche Sorgfalt ange,,wendet habe, um eine Schädigung zu verhüten."

fr. Die Bestimmungen im Art. 2 des Haftbarkeits-Entwurfes, daß der Fabrikant nicht für Unfälle zu haften hat, welche durch h ö h e r e G e w a l t oder durch Verbrechen und Vergehen d r i t t e r Personen, welche n i c h t Angestellte oder Arbeiter sind, herbeigeführt wurden, gehen e contrario klar aus den citirten Artikeln 56 und 69 des Obligationenrechts-Entwurfes hervor. Dafür bedarf es wohl wieder keines besondern Gesetzes.

c. Die Bestimmung des Art. 4 im Haftbarkeits-Entwurfe, daß der ,,Betriebsunternehmer das Rückgriffsrecht habe auf diejenigen ,,Personen, für deren Verschulden er haftbar ist," finden wir in Art. 70 des Obligationenrechtes vollständig wiedergegeben.

d. Die Bestimmung im Art. 5 b des Haftbarkeits-Entwurfes, daß wenn der Beschädigte durch eigene Fahrläßigkeit Mitschuld an der erlittenen Verletzung trägt, sein Anspruch auf Schadenersatz ermäßigt werden kann, enthält Art. 57 des Obligationenrechts mit der Erweiterung, daß je nach dem Grade dieser Verschuldung sogar eine Entbindung von der Ersatzpflicht vom Richter ausgesprochen werden kann.

e. Die Bestimmung im Art. 5 c des Haftbarkeits-Entwurfes finden wir in dem allgemeinen Satze des Art. 57, Alinea l des Obligationenrechtes enthalten : ,,Art und Größe des Schadenersatzes wird durch richterliches Ermessen bestimmt i u W ü r d i g u n g sowohl d e r U m s t ä n d e als der Größe der Verschuldung."

f. Die Bestimmungen im Art. 6, soweit sie den U m f a n g der Leistungen an den Geschädigten betreffen, sind in den Art. 58, 59 und 60 des Obligationenrechts in e r s c h ö p f e n d e r e r Weise wiedergegeben, als dies in unserem Haftbarkeits-Entwurfe vorgesehen ist.

Im Art. 60 des Obligationenrechts-Entwurfes ist vielmehr noch eine w e i t e r gehende Entschädigungspflicht vorgesehen, indem in

477

Fällen von Arglist oder g r o b e r Fahrläßigkeit außer dem Ersätze des wirklichen Schadens dem Geschädigten noch eine ,,angemessene Geldsumme a zugesprochen werden kann, während hinwieder der Haftbarkeits-Entwurf den Richter dahin binden will, daß er in den s c h w e r s t e n F ä l l e n (!), also in Fällen grober Fahrläßigkeit, ja sogar bei erwiesener Arglist dem Verletzten nicht mehr als den s e c h s f a c h e n Betrag eines Jahresverdienstes zusprechen darf.

In dieser Richtung e r s e t z e n also die Bestimmungen des Obligationenrechts-Entwurfes nicht bloß wieder den HaftbarkeitsEntwurf, sondern sie sind vollständiger und gerechter, weil sie eben im Falle einer V e r s c h u l d u n g des Fabrikherrn oder seiner Angestellten ihn zum v o l l e n Ersätze des Schadens verhalten.

g. Die Bestimmungen von Art. 7 des Haftbarkeits-Entwurfes sind selbstverständlich und werden jetzt schon in der Praxis angewendet, ohne daß es eines besondern Gesetzes bedarf. Sofern zur Zeit des Urtheilsspruches der Schaden noch nicht definitiv ausgemittelt ist, werden eben für den Fall, daß derselbe sich schließlich leichter oder schwerer, als vorausgesetzt, gestalten sollte, die Rechte des Geschädigten sowohl als des Ersatzpflichtigen eventuell für eine spätere definitive Regulirung vorbehalten.

h. Daß in Fällen von Versicherungen, an denen der Arbeitg e b e r p a r t i c i p i r t hat, die bezahlte Versicherungssumme p r o r a t a s e i n e s B e i t r a g s v e r h ä l t n i s s e s an der von demselben zu leistenden Entschädigung in Abrechnung zu fallen habe, i s t bloße p r i v a t r e c h t l i c h e F o l g e e i n e s g e m e i n s a m von Arbeitgeber und Arbeitnehmer unternommenen Rechtsgeschäftes und bedarf insoweit keiner besondern gesetzlichen Regulirung.

Insofern aber nach Art. 8 des Entwurfes die g a n z e Versicherungssumme zu Gunsten des Fabrikanten an dessen Schuld in Abzug fallen soll, wenn dieser nur mindestens die H ä l f t e der Prämien bezahlt haben sollte, erscheint uns als unbillig und dürfte aus d i e s e m Grunde eine solche Bestimmung besser nicht geschaffen werden.

i. Die Unzuläßigkeit einer W e g b e d i n g u n g der Schadenersatzpflicht (Art. 9 des Haftpflicht-Gesetzentwurfes) ist im Art. 56 des Obligationenrechtes aufgenommen worden.

k. Daß das Bundesgericht- (Art. 10 des
Haftpflicht-Gesetzentwurfes) in dritter Instanz über alle Streitigkeiten wegen Schadenersatz soll angerufen werden können, auch wenn der Betrag der Forderung unter dem für alle andern Bürger normirten Kompetenzbetrage stehen sollte, dürfte eine, wenigstens für den unbemittelten Fabrikarbeiter, sehr zweifelhafte Errungenschaft sein.

478

Auch ist nicht abzusehen, warum bezüglich F e s t s e t z u n g des T h a t b e s t and es für Ersatzklagen eines Fabrikarbeiters wieder eine Ausnahme vom Art. 30, lemma 4 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege gemacht werden sollte ? !

l. Die Verjährungsfrist von e i n e m J a h r e endlich (Art. 11 des Haftpflicht-Gesetzentwurfes) ist völlig übereinstimmend im Art. 77 des Obligationen- und Handelsrechts-Gesetzentwurfes festgesetzt.

m. Die Bestimmung des Art. 12 des Haftpflicht-Gesetzentwurfes enthält hinwieder zu U n g u n s t e n des Fabrikarbeiters eine innerlich nicht gerechtfertigte, von den allgemeinen Grundsätzen des Verjährungsrechtes abspringende Ausnahme.

n.

halten.

Der Art. 13 ist bereits im Art. l des Fabrikgesetzes ent-

3) Nachdem wir in dem bisher Berührten diejenigen Bestimmungen unseres Haftbarkeits-Entwurfes durchgangen haben, von denen nach unserer Ansicht behauptet werden darf, daß sie mit den Bestimmungen des Obligationen- und Handelsrechts zusammenfallen und daselbst eben so vollständig, ja noch vollständiger enthalten sind, als sie der Haftbarkeits-Entwurf bietet, erübrigt uns nur noch, diejenigen Bestimmungen des letztem zu erörtern, welche n i c h t im Obligationen- und Handelsrechte enthalten sind, vielmehr mit demselben im Widerspruche stehen.

Es fallen nach dem Gesagten unter diesen Gesichtspunkt die Artikel 2, 3 und 5 a resp. 6 des Entwurfes, welche, abweichend vom gemeinen Rechte, den Fabrikanten als ersatzpflichtig erklären für Schaden, welchen ohne dessen Verschulden ein Arbeiter erleidet.

Wie schon Eingangs erwähnt, soll nach Art. 3 des Entwurfes die Haftpflicht des Fabrikanten sich auf den -- unverschuldeten -- Z u f a l l ausdehnen.

Wenn kein V e r s c h u l d e n des Arbeitgebers, kein V e r s c h u l den seiner Angestellten und allfälliger Nebenarbeiter vorliegt, ja wenn zweifellos b e w i e s e n vorliegt, daß eine Verletzung ausschließlich dem Z u f a l l beizumessen ist, soll der Fabrikant dennoch s c h a d e n e f s a t z p f l i c h t i g sein; kein Beweis seiner völligen U n s c h u l d an dem Vorfalle kann ihn befreien; nur der Beweis h ö h e r e r G e w a l t oder eines Verbrechens, verübt durch eine dritte, nicht zur Fabrik gehörende Person, soll Erhörung finden.

Nach Art. 5, litt, a des Entwurfes bildet der e r w i e s e n e Zufall für ihn nur einen M i l d e r u n g s g r u n d , der auf das Maß der Entschädigung einen ,,billigen" Einfluß üben soll.

479 ,,Die Ersatzpflicht des Betriebsunternehmers wird in billiger Weise reduzirt : a. wenn die Tödtung oder Verletzung aus Z u f a l l eingetreten ist.11 Mit Rüksicht auf diesen ganz abnormen, das Rechtsgefühl beleidigenden Grundsatz soll dann allerdings gemäß der von uns schon berührten Bestimmung des Art. 6 die Entschädigung in den Fällen wirklicher V e r s c h u l d u n g , ja der s c h w e r s t e n V e r s c h u l d u n g , nicht mehr als den sechsfachen Jahres verdienst betragen dürfen.

Das hieße aber in unsero Augen nicht mehr noch minder, als die eine U n g e r e c h t i g k e i t mit einer andern Ungerechtigkeit ausgleichen zu wollen.

Eine durch Absicht oder Fahrläßigkeit verschuldete Schädigung eines Nebenmenschen soll nach unserer Meinung, nach gemeinem Rechte, jederzeit v o l l entschädigt werden. Wenn durch Arglist oder rohe Sorglosigkeit des Fabrikherrn ein Fabrikarbeiter verstümmelt und dessen vielleicht zahlreiche Familie ihres Ernährers beraubt wird, soll sich der Schuldige mit der Auszahlung eines, wenn auch sechsfachen Jahreslohnes, nicht mit der Antwort quitt machen können, er müsse dagegen in einem andern Falle einen andern Arbeiter für einen erlittenen puren Zufall laut Gesetz auch entschädigen, und man müsse den einen und den andern Fall i n e i n a n d e r rechnen. Eine solche Verrechnung des Gesetzes böte dem unglücklichen Opfer der Fahrläßigkeit und Arglist einen schlimmen Trost.

Die Mehrheit Ihrer Commission will daher in dieser Richtung, wo der Haftbarkeits-Entvvurf wirklich e t w a s im a l l g e m e i n e n Obligationenrechte n i c h t zu Findendes schaffen will, k e i n e solche gesetzliche Bestimmung schaffen helfen; sie will kein Ausnahmegesetz, sondern bei dem allgemeinen Rechte auch für den Fabrikarbeiter stehen bleiben; der s c h u l d i g e Fabrikant soll ihn v o l l , der u n schuldige Fabrikant n i c h t entschädigen.

Allen das gleiche Recht ! In einer Republik zumal sollen wir uns hüten, einen zweifachen Maßstab des Rechtes aufzustellen und damit die natürlichen Volksbegriffe über das Mein und Dein zu verwirren. Auch die ungünstigere soziale Stellung der e i n e n Volksklasse gegenüber einer a n d e r n darf uns dazu nicht verleiten, von den fundamentalen Sätzen der bürgerlichen Gesellschaft abzuweichen.

Der christliche Staat soll als G e s a m m t h e i t Alles thun, um den Druck zu mildern und zu erleichtern, der auf der unbemittelten Volksklasse lastet, aber er darf es nicht thun auf Unkosten des

480

einen Standes zu Gunsten des andern. Indem wir in e i n e m Falle uns von diesem Prinzip entfernen, betreten wir die schiefe Ebene, auf welcher es keinen Stillstand mehr gibt.

Aus demselben Grunde können wir auch keine Ausnahme machen für die in Art. 3 unseres Haftbarkeitsvorschlages erwähnten spezifischen Gewerbekrankheiten, immer v o r a u s g e s e t z t , daß den Inhaber des Gewerbes diesfalls k e i n e r l e i V e r s c h u l d e n trifft, d. h. daß er, wie das Fabrikgesetz (Art. 2) ihm ja schon vorschreibt, ,,alle zum Schütze der Gesundheit erfahrungsgemäß und durch den jeweiligen Stand der Technik ermöglichten Schutzmittel" augewendet hat. Erfüllt er diese Pflicht n i c h t , so wird er eben nach b ü r g e r l i c h e m R e c h t e ersatzpflichtig; e r f ü l l t er seine Pflichten aber in vollstem Maße und entstehen demungeachtet mit aller Sorgfalt und Umsicht nicht zu vermeidende Nachtheile für die Gesundheit (und steht es auch nicht in der Macht des Staates, den Betrieb eines derartigen Gewerbes überhaupt zu verunmöglichen"), so kann auch r e c h t l i c h keine Schadenersatzpflicht bestehen, und es werden die Betheiligten die daherigen freiwillig übernommenen Schädlichkeiten eben auch durch das Angebot von Lohn und Arbeit bestmöglich auszugleichen suchen müssen.

4) Unsere bisherige Erörterung müßte uns zu dem Antrage führen, auf ein Gesetz über Haftbarkeit aus Fabrikbetrieb ü b e r h a u p t nicht einzutreten.

Wenn wir uns hinwieder auf den Autrag beschränken, ,,zur Zeit und auf Grundlage des vorliegenden Entwurfes" auf ein solches Gesetz nicht einzutreten, so thun wir es nicht etwa deßhalb, weil das erste Lemma des Art. 5 des Fabrikgesetzes die Erlassung eines solchen Bundesgesetzes über Haftpflicht aus Fabrikbetrieb in Aussicht nimmt. Denn damit ist ja nicht gesagt, daß die legislative Normirung der Haftbarkeitsverhältnisse n u r in einem S p e z i a l gesetze zu erfolgen habe und nicht als Theil einer umfassenderen, alle obligatorischen Rechtsverhältnisse in sich schließenden Gesetzesvorlage geschehen dürfe.

Die F o r m der in Aussicht genommenen einheitlichen Regulirung der Materie ist · also f r e i und durch Art. 5 des Fabrikgesetzes nicht an die Erlassung eines Spezialgesetzes g e b u n d e n .

Nichts könnte aber auch die derzeitige Legislative hindern, bei der heute in Aussicht
stehenden baldigen Ausgestaltung des allgemeinen Obligationenrechtes durch Aufhebung einer solchen Bestimmung eines älteren Gesetzes sich freie Hand zu schaffen.

Wenn wir dennoch, wie bemerkt, Ihnen daher beantragen, für Ein M a l z u r Z e i t nicht in die uns unterbreitete Vorlage einzutreten, so leiteten uns dabei z w e i Gründe:

481 Ein Mal die Rücksicht darauf, daß wir ,,zur Zeit" überhaupt noch kein allgemeines Obligationenrecht b e s i t z e n , die daherige gesetzgeberische Arbeit vielmehr, ungeachtet: aller günstigen Anzeichen eines nicht sehr fernen Abschlusses derselben, noch im Flusse sich befindet. Hat doch schließlich immer noch das souveräne Volk seinen endgültigen Entscheid über dieselbe abzugeben.

Wer daher an der Ansicht festhält, es bedürfe beim Zustandekommen des Obligationenrechtes eines Spe zialgesetzes für Entschädigungsansprüche der Fabrikarbeiter nicht mehr, kann doch wohl, bevor dieses Obligationenrecht wirkliches Gesetz geworden ist, nur zur Zeit und im Hinblick auf diese, wenn auch wahrscheinliche Eventualität hin, von der Berathung eines Spezialgesetzes absehen wollen.

In derselben Lage dürfte aber sich au.auch derjenige befinden, welcher zwar das materielle Recht zu Gunsten einer Berufsklasse nicht beugen, aber dennoch in andereRichtungng den besondern Verhältnissen des Fabrikbetriebes durch eine, auf eine andere Grundlage gestellte Gesetzesvorlage Rechnung tragen möchte und daher die Einbringung eines ganz anders gestalteten Entwurfes abwarten will.

Zu den Einwendungen, mit welchen muri ein ausnahmsweises R e c h t für die Fabrikarbeiter befürworten -der beschönigen will, gehört unter Ander der Satz : Daß es dem Arbeiter vermöge seiner Abhängigkeitsstellung und vermöge der Leichtigkeit, unit welcher die Spuren eines ihm obliegenden Schuldbeweises beseitigt werden können, schwer, oft unmöglich gemacht würde, sein materielles Recht auf Schadenersatz zu verfolgen.

Damit wäre allerdings die Berechtigung noch nicht nachgewiesen, zu dem ganz ungeheuerlichen Prinzip der Zufallshaf überzugehen; vielmehr wäre damit höchstens indicirt allfällig zur Aufstellung von aus der Natur der faktischen Verhältnisse abgeleiteten Rechtspräsumptionen zu greifen, also in Bezug auf das p r o z e s s u a l i s c h e B e w e i s v erf a h r en Modifikationen eintreten zu lassen.

Eine solche R e c h t s p r ä s u m p t i o n könnte vielleicht beispielsweise (und ohne daß wir sie gerade befürworten) dahin aufgestellt werden, daß der Fabrikant für den entstandenen Schaden dann verantwortlich sei, sofern er nicht beweise, daß ein Z u f a l l oder die eigene Schuld des Arbeiters u. s. w. denselben herbeigeführt habe. Der
Fabrikant wäre also für den Z u f a l l n i c h t v e r a n t w o r t l i c h , aber er hätte im gegebenen n Falle die Aufgabe, denselben n a c h z u w e i s e n .

482 Aber auch in anderer Richtung könnte, ohne Beugung des Rechtes, durch ein das V e r f a h r e n bei Verletzungen im Fabrikbetriebe entsprechend gestaltendes Spezialgesetz den w i r k l i c h b e r e c h t i g t e n , aus der Natur der Verhältnisse geschöpften Einwendungen Rechnung getragen werden.

Das Fabrikgesetz eröffnet durch die in Art. 4 eingeführte A n z e i g e p f l i c h t hiefür den Weg, und es bedarf wohl nur der O r g a n i s i r u n g des Gedankens, um sofort zu Gunsten des materiellen Rechtes sowohl des Fabrikanten als des Arbeiters e i n e Q u e l l e m e h r e r e r u n d v o l l e r G e w ä h r zu erschließen -- des Gedankens nämlich, daß ein angemessen r e g u l i r t e s I n s t r u k t i o n s v e r f a h r e n , verbunden mit einer freien, von allem Formalismus emanzipirten richterlichen Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse -- für eine gerechte Regulirung von Schadens-Ansprüchen aus Fabrikbetrieb der geeignete Weg sei.

Strenge Vorschriften über Erfüllung der Anzeigepflicht, gesetzliche Androhung unbedingter S a c h f ä l l i g k e i t bei unterlassener oder auch nur verspäteter Anzeige, Organisirung eines sofortigen, jedesmaligen Expertenuntersuches und Instruktionsverfahrens an Ort und Stelle -- Urtheilsschöpfung nach freier Ueberzeugung, Vereinfachung des ganzen Prozeßverfahrens -- Reduzirung des Instanzenzuges, vielleicht auch Einführung eines aus Fabrikanten und Arbeitern gleichtheilig unter Vorsitz eines Rechtskundigen, oder ohne solchen, zusammengesetzten unkostspieligen Gewerbegerichtes -- Alles verbunden mit einer damit parallel laufenden tüchtigen, die Obliegenheiten des Fabrikanten, je nach der Natur der einzelnen Fabrikationszweige, sorgfältig regulirenden Gewerbe-Ordnung -- das dürften, nach Ansicht des Referenten, die Mittel und Wege sein, auf welcher der Staat seiner Aufgabe, dem hülfloseren Theile der bürgerlichen Gesellschaft einen möglichst sichernden Schutz zu gewähren, in wirksamer Weise und ohne B e u g u n g des Rechtes gerecht werden könnte.

Indem wir einer Vorlage in dieser Richtung zur Zeit völlig entbehren, sind wir daher auch von diesem Gesichtspunkte aus zu dem Eingangs formulirten Antrage gelangt, Sie wollen beschließen : es sei zur Zeit und auf Grundlage des vorliegenden Entwurfes auf die Vorlage eines Bundesgesetzes betreffend die
Haftpflicht aus Fabrikbetrieb nicht einzutreten.

B e r n , den 21. Februar 1881.

Namens der Mehrheit der ständeräthlichen Commission, Der Berichterstatter: C. Hoffmann.

483

# S T #

Bericht der

Minderheit der ständeräthlichen Commission über den Entwurf eines Haftpflicht-Gesetzes.

(Vom 21. Februar 1881.)

Tit.

Die Minderheit der Commission des Ständerathes zur Berathung des bundesräthlichen Gesetzentwurfes betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb beantragt Ihnen, noch in gegenwärtiger Session der Bundesversammlung auf die Berathung des genannten Gesetzentwurfes einzutreten.

Nachdem Deutschland schon im Jahr 1871 durch Erlaß eines besondern Gesetzes über die Verbindlichkeit zum (Schadenersatze für die bei dem Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken. F a b r i k e n etc.

vorgekommenen Tödtuugen und Körperverletzungen begonnen, über diese Materie zu legiferiren, wurde es einige Jahre später bei Berathung eines schweizerischen Fabrikgesetzes von fast allen Seiten geradezu als selbstverständlich betrachtet, daß den Arbeiter schützende Bestimmungen betreff Haftpflicht des Fabrikanten in dieses Gesetz aufgenommen werden. Es war dies nicht nur ein einstimmiges Begehren der gesammten Arbeiterwelt, sondern auch die Industriellen in ihrer übergroßen Mehrheit billigten im Prinzip die Erlaßung eines besondern Haftpflichtgesetzes. Der erste Absatz des Haftbarkeitsartikels, welcher den Grundsatz und die Bedingungen der Haftbarkeit feststellt, wurde denn auch s. Z. vom Bundesrathe mit einer ganz unwesentlichen Veränderung in der Fassung vorgeschlagen, wie er von dem schweizerischen Handels- und Industrieverein und

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Mehrheit der ständeräthlichen Commission über den Gesetzesvorschlag betreffend Haftpflicht aus Fabrikbetrieb, vom 26. November 1880. (Vom 21. Februar 1881.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1881

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

11

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.03.1881

Date Data Seite

472-483

Page Pagina Ref. No

10 011 020

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.