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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Niederlassungsvertrag, vom 13. November 1909, und den "Vertrag zwischen den beiden Staaten über die Regelung von Rechtsverhältnissen ihrer Angehörigen im Gebiete des ändern vertragschliessenden Teiles, vom 31. Oktober 1910.

(Vom 10. Februar 1911.)

Tit.

Mit Note vom 6. März 1906 hat die kaiserlich deutsche Gesandtschaft in Bern namens ihrer Regierung an uns die Anfrage gerichtet, ob wir geneigt wären, Hand zu bieten zu einer Revision des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages vom 31. Mai 1890 unter Zugrundelegung des zwischen Deutschland und den Niederlanden unterm 17. Dezember 1904 abgeschlossenen Niederlassungsvertrages. Zur Begründung dieses Antrages wurde hervorgehoben, es hätten sich im Verkehr zwischen Deutschland und der Schweiz unter der Herrschaft des bestehenden Niederlassungsvertrages, insbesondere mit Bezug auf die Handhabung des Art. 2, mehrfache Zweifel und Schwierigkeiten ergeben, die eine Neuordnung der bezüglichen Verhältnisse als empfehlenswert erscheinen lassen.

264

Der erwähnte Art. 2 des bisherigen Vertrages schreibt vor, dass die deutschen Reichsangehörigen zum Zwecke der Niederlassung oder des Aufenthaltes in der Schweiz ein Zeugnis der deutschen beziehungsweise bayerischen Gesandtschaft vorzulegen haben, das die Staatsangehörigkeit und den unbescholtenen Leumund des Inhabers beurkundet. Die deutscherseits namhaft gemachten Schwierigkeiten, die sich bei Handhabung dieser Vorschrift ergeben haben, rührten davon her, dass die Gesandtschaft bei Ausstellung eines solchen Zeugnisses nicht in allen Fällen über eine genügende Kenntnis des Vorlebens des Bewerbers verfügte, und von Meinungsverschiedenheiten, die sich im Einzelfalle zwischen der Gesandtschaft und den Kantonal behörden darüber erhoben, ob das ausgestellte Zeugnis eines unbescholtenen Leumundes durch das Vorleben des Bewerbers hinlänglich begründet sei. Diese Anstände, die wiederholt zu diplomatischen Reklamationen Anlass gegeben hatten, Hessen uns die Abänderung der bezüglichen Vertragsbestimmungen als angezeigt erscheinen. Wir glaubten indessen, dass kein Bedürfnis vorliege, den g a n z e n Niederlassungsvertrag einer Revision zu unterstellen, zumal wenn man an der Übung festhielt, die Modalitäten des Übernahmeverkehrs durch Verständigungen ausserhalb des Vertrages zu ordnen. Nachdem wir die deutscherseits gemachte Anregung in diesem Sinne beantwortet hatten, erklärte aber die deutsche Gesandtschaft, mit Noto vom 19. August 1907, die kaiserliche Regierung halte es nach wiederholter Erwägung der Frage für erwünscht, dass an Stelle der Revision einzelner Artikel der bestehende Vertrag in seiner Gesamtheit durch einen neuen Vertrag nach dem Vorbilde des deutsch-niederländischen Niederlassungsvertrages ersetzt werde, indem die Bestimmungen des bisherigen Vertrages in mehrfacher Beziehung zu auseinandergehenden Auslegungen Arilass gegeben hätten.

Wir entschlossen uns hierauf, in Anbetracht dieses wiederholt geäusserten Wunsches und da auch wir auf die Änderung einzelner Vertragsbestimmungen Gewicht legten, dem Antrage auf Revision des ganzen Vertrages Folge zu geben. Dementsprechend traten wir auf die Prüfung des deutsch-niederländischen Vertrages ein, wobei wir über diesen auch die Meinungsäusserung unserer Gesandtschaft in Berlin, sowie einiger am Verkehr mit Deutschland besonders stark beteiligter
Kantone einholten. Wir unterbreiteten sodann am 28. September 1908 der deutschen Gesandtschaft zuhanden ihrer Regierung eine Reihe von Abänderungsvorschlägen zu dem deutsch - niederländischen

265 Vertragstext nebst einem auf Grund dieser Anträge aufgestellten neuen Vertragsentwurf. Da in der Folge die deutsche Regierung über die bestehenden Differenzpunkte mündlich zu verhandeln wünschte und sich bereit erklärte, zu diesem Behufe Delegierte nach Bern abzuordnen, so wurde der Zusammentritt einer Konferenz auf den 8. November 1909 vereinbart. Diese konferenzielle Beratung führte am 13. November zum Abschluss des neuen Niederlassungsvertrages.

Entsprechend den Gründen, die zu der Beratung eines neuen Vertrages Veranlassung gegeben hatten, musste in erster Linie ·darauf ausgegangen werden, sich darüber zu verständigen, welche Ausweispapiere die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles zum Zwecke der Niederlassung beziehungsweise des Aufenthaltes im Gebiete des ändern Teiles vorzulegen haben. Dass das von dem bisherigen Vertrage als Legitimation der deutschen Reichsangehörigen vorgeschriebene Gesandtschaftszeugnis im neuen Vertrage wegzufallen habe, darüber herrschte im Hinblick auf die mit diesem Zeugnis gemachten Erfahrungen von Anfang an Einverständnis ; auch einigte man sich ohne weiteres, dass, soweit durch das Gesandtschaftszeugnis die Staatsangehörigkeit bezeugt wird, der Heimatschein an dessen Stelle zu treten habe, der ja ·schon unter der Herrschaft des bisherigen Vertrages als Staatsangehörigkeitsausweis der Schweizer in Deutschland gilt. Dagegen gingen die Meinungen auseinander darüber, ob inskünftig an Stelle des Gesandtschaftszeugnisses ein anderweitiger Ausweis über den Leumund zu leisten oder hierauf zu verzichten sei. Von unserer Seite wurde vorgeschlagen, als Ausweis über das Vorleben die Vorlegung eines Leumundszeugnisses der zuständigen Heimatbehörde zu fordern, wie dies zur Zeit (laut dem Schlussprotokoll ·des bisherigen Vertrages) zusammen mit dem Besitze des Heimatscheines die Voraussetzung für die Niederlassung beziehungsweise den Aufenthalt der schweizerischen Angehörigen in Deutschland bildet und unter der Herrschaft des früheren Niederlassungsvertrages vom 27. Juni 1876 auch die Voraussetzung für Niederlassung und Aufenthalt der Deutschen in der Schweiz gebildet hat. Es wurde jedoch deutscherseits geltend gemacht, dass ein solches Erfordernis angesichts der heutigen Bestrebungen, die auf möglichste Freiheit des Verkehrs abzielen, nicht mehr aufrecht erhalten
werden könne und die Schweiz gegenüber den Einwanderern aus den drei ändern Nachbarstaaten das Postulat eines Leumundszeugnisses nicht aufstelle. Da wir uns dem Gewicht dieser Gründe nicht verschliessen konnten und zudem der die

266 Niederlassung gewährende Staat kein Mittel der Kontrolle hat,, ob der unbescholtene Leumund im Hinblick auf das Vorleben des Bewerbers besteht, und die Würdigung der in Betracht kommenden Verhältnisse in das Ermessen der das Leumundszeugnis verabfolgenden Behörde gestellt ist, so haben wir uns entschlossen, dazu Hand zu bieten, dass auf diese Zeugnisse b e i d s e i t i g verzichtet werde. Dagegen haben wir daraufgehalten, an die Stelle der Leumundszeugnisse ein Informationsverfahren treten zu lassen in dem Sinne, dass die Polizeibehörden des Aufenthaltsstaates bei denjenigen des Heimatstaates über das Vorleben der vom einen Staate nach dem ändern zugezogenen Personen auf dem Wege des direkten Geschäftsverkehrs Auskunft einholen können. Eine dahinzielende Vereinbarung ist durch gegenseitigen Notenaustausch getroffen worden, unter Bezeichnung der zu dem unmittelbaren Auskunftverkehr zuständigen Polizeibehörden, und soll gleichzeitig mit,dem Vertrage in Kraft treten.

Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, ist in Art. l des Vertrages als einheitliche und alleinige Voraussetzung der Niederlassung beziehungsweise des Aufenthaltes, welche für beide Teile in gleicher Weise gilt, die Vorlegung eines Heimatscheines bezeichnet worden.

Die Art. 2 und 3 enthalten, entsprechend den bisherigert Art. 4 und 9, die Angabe der Gründe, die zur Verweigerung oder Entziehung der Niederlassung und des Aufenthaltes berechtigen sollen.

Art. 4, der die Heranziehung der Niedergelassenen und Aufenthalter zu militärischer Dienstleistung im Aufenthaltsstaate verbietet, deckt sich mit Art. 5 des bisherigen Vertrages; ebenso Art. 5 des neuen Vertrages, worin die Entschädigung bei Enteignung zu öffentlichem Nutzen und bei Vermögenseinbusse im Kriegsfall garantiert wird, mit dem bisherigen Art. 6.

In Art. 6 des neuen Vertrages wird, entsprechend dei» bisherigen Art. 11, den hilfsbedürftigen Niedergelassenen und Aufenthaltern unentgeltliche Verpflegung und Krankenfürsorge zugesichert.

Die Art. 7--18 des neuen Vertrages handeln vom Ü b e r n a h m e v e r k e h r und treten an die Stelle des Art. 8 des bisherigen Niederlassungsvertrages und der Zusatzprotokolles vom 21. Dezember 1881 zu dem früheren Niederlassungsverlrage von 1876, das unter der Herrschaft des Vertrages von 1890 in Kraft geblieben ist.

267 Es lag uns daran, in dem neuen Vertrage Garantien zu erhalten gegen die nachträgliche Ungültigkeitserklärung von Heimatscheinen deutscher Angehöriger, wodurch deren Übernahme in Frage gestellt würde, und gegen die Zurückweisung von Familiengliedern früherer Reichsangehöriger bei Heimschaffung dieser letztern; diesen Wünschen tragen die Art. 9 und 7 (Absatz 3) Rechnung.

Neue Grundsätze, die gegenüber dem bisheriger Vertrageeine Verbesserung bezeichnen, enthalten auch die Art. 17 und 18: Ersterer formuliert das Recht jedes Staates, Personen, die mit der Eisenbahn oder mit einer Schiffslinie in sein Gebiet gelangen, unverzüglich zurückzuschaffen, insoweit er befugt ist, denselben den Aufenthalt zu untersagen. Art. 18 legt den Vertragsstaaten die Verpflichtung auf, hilflose Personen, die keinem der beiden Teile angehören, wieder zu übernehmen, wenn sie aus einer Anstalt des einen Staates nach dem ändern Staate entwichen sind.

Abgesehen hiervon hat man sich darauf beschränkt, die bisher in dem Zusatzprotokoll von 1881 bezüglich des polizeilichen Übernahmeverfahrens enthaltenen Grundsätze dem Vertrage selbst einzuverleiben und das Verfahren genauer und einlässlicher zu regeln, um in der Praxis auftauchende Zweifel zu beseitigen.

Der in Art. 14 vorgesehene Notenaustausch zur Verständigung über die Regeln des Übernahmeverkehrs hat stattgefunden und es ist uns dabei für die hierseitigen Ausschaffungstransporte von den deutschen Regierungen eine Ermässigung der Fahrtaxen auf den bezüglichen Strecken der badischen Staatsbahn und der Bodensee-Schiffslinien zugestanden worden.

In Art. 19 des Vertrages haben die für die polizeilichen Durchtransporte geltenden internationalen Regeln Aufnahme gefunden.

Die beiden letzten Artikel, 20 und 21, geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

In den neuen Niederlassungsvertrag sind die Grundsätze des bisherigen Vertrages über die Berechtigung der Niedergelassenen und Aufenthalter zur Ausübung von Gewerbe und Handel, sowie über den Rechtsschutz, auf den sie Anspruch haben, nicht hinüborgenommen worden. Es unterblieb dies auf besondern Wunsch der deutschen Delegierten, welche erklärten, dass nach der zurzeit in Deutschland geltenden Auffassung derartige Bestimmungen nicht einen Bestandteil der Niederlassungsverträge bilden könnten, indem letztere ausschliesslich die Niederlassung als solche, beziehungsweise deren Voraussetzungen, zu regeln hätten.

268

Um diesen formellen Bedenken Rechnung zu tragen, erklärten wir uns damit einverstanden, dass die erwähnten Grundsätze den Gegenstand eines besondern Vertrages zu bilden haben, ·der gleichzeitig mit dem Niederlassungsvertrage ratifiziert werden soll. Dieser Vertrag ,,betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiete des ändern vertragschliessenden Teiles" ist am 31. Oktober 1910 zur Unterzeichnung gelangt. Er enthält in Art. l die dem Art. l des bisherigen Niederlassungsvertrages entnommenen Grundsätze betreffend den Rechtsschutz von Person und Eigentum, sowie betreffend die Befugnis der Niedergelassenen und Aufenthalter zum Gewerbeund Handelsbetrieb, und daneben die in Art. 10 des bisherigen Niederlassungsvertrages enthaltenen Bestimmungen über die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grundstücke, welche die Angehörigen des einen Teiles im Gebiete des ändern Teiles besitzen.

Diese Vorschriften des Art. l des Ergänzungsvertrages berühren aber, wie in Art. 2 desselben ausdrücklich festgestellt wird, in keiner Weise die Bestimmungen von Art. 9, Abs. 5, des schweizerisch-deutschen Handels- und Zollvertrages vom 10. Dezember 1891 und 12. November 1904, wonach sich die vertragschliessenden Teile hinsichtlich des Gewerbebetriebes im Umherziehen, ein·schliesslich des Hausierhandels und des Aufsuchens von Bestellungen bei Nichtgewerbetreibenden, volle Freiheit der Gesetzgebung vorbehalten. In Art. 3 des Ergänzungsvertrages werden die Vertragsdaucr und die Kündigungsbedingungen auf gleiche Weise festgesetzt, wie dies für den Niederlassungsvertrag vorgesehen ist.

Wir empfehlen Ihnen die beiden vorliegenden Verträge zur Genehmigung und beantragen Ihnen demgemäss die Annahme des nachstehenden Ratifikationsbeschlusses.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 10. Februar

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Rächet.

Der I. Vizekanzler : David.

269

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Ratifikation des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Niederlassungsvertrages, vom 13. November 1909, und des Vertrages betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiete des ändern vertragschliessendenTeiles, vom 3 I.Oktober 1910.

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. Februar 1911, beschliesst: Art. 1. Dem am 13. November 1909 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Niederlassungsvertrage, sowie dem am 31. Oktober 1910 zwischen den beiden Staaten abgeschlossenen Vertrage betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiete des ändern vertragschliessenden Teiles, wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

270 I.

Niederlassungsyertrag zwischen

der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dent Deutschen Reiche.

(.Vom 13. November 1909.)

Der Schweizerische Bundesrat, im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, und Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen, im Namen des Deutschen Reiches, von dem Wunsche geleitet, die Bestimmungen des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche bestehenden Niederlassungsvertrages vom 31. Mai 1.890 in verschiedenen Punkten zu verbessern und zu ergänzen, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen neuen Niederlassungsvertrag abzuschliessen und haben zu Ihren Bevollmächtigten ernannt : Der Schweizerische Sundesrat: Herrn Bundesrat Dr. Ernst B r e n n e r , Vorsteher des Schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements; Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen: Herrn Dr. Johannes K r i e g e , Allerhöchsteren Wirklichen Geheimen Legationsrat und Justiziar im Auswärtigen Amte,

271 Herrn Hans von W i e h e r t , Allerhöchstihren Geheimen Legationsrat und vortragenden Rat im Auswärtigen Amte, und Herrn Bruno D a m m an n, Allerhöchstihren Geheimen Oberregierungsrat und vortragenden Rat im Reichsamte des Innern, -welche nach gegenseitiger Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten sich über folgende Artikel geeinigt haben : " Artikel 1.

Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles sollen berechtigt sein, sich in dem Gebiete des anderen Teiles ständig niederzulassen oder dauernd oder zeitweilig aufzuhalten, wenn und solange sie die dortigen Gesetze und Polizeiverordnungen befolgen.

Um dieses Recht beanspruchen zu können, müssen sie mit einem gültigen Heimatscheine versehen sein.

Die beiden Teile werden sich gegenseitig mitteilen, ·welche Behörden zur Ausstellung der Heimatscheine und .zur Anerkennung der Staatsangehörigkeit zuständig sind.

Artikel 2.

Durch die Bestimmungen des Artikel l wird nicht berührt das Recht jedes vertragschliessenden Teiles, Angehörigen des anderen Teiles die Niederlassung oder den Aufenthalt zu untersagen, sei es infolge eines strafgerichtlichen Urteils, sei es aus Gründen der inneren oder äusseren Sicherheit des Staates, sei es aus sonstigen polizeilichen ·Gründen, insbesondere aus Gründen der Gesundheits-, Sittenoder Armenpolizei.

Artikel 3.

Jeder vertragschliessende Teil behält sich vor, den Angehörigen des anderen Teiles, die ihm früher angehört

272 und die Staatsangehörigkeit vor Erfüllung ihrer militärischen Pflichten verloren haben, die Niederlassung oder den Aufenthalt zu untersagen. Jedoch soll von der Ausübung dieser Befugnis abgesehen werden, wenn sich bei der Prüfung der Verhältnisse ergibt, dass der Wechsel der Staatsangehörigkeit in gutem Glauben und nicht zur Umgehung der militärischen Pflichten herbeigeführt ist.

Artikel 4.

Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles, die sich in dem Gebiete des anderen Teiles niedergelassen haben oder aufhalten, bleiben den Gesetzen ihres Heimatlandes über die Militärpflicht oder die an deren Stelle tretende Ersatzleistung unterworfen und können in dem anderem Lande weder zu persönlichem Militärdienst irgend welcher Art noch zu einer Ersatzleistung angehalten werden.

Artikel 5.

Im Falle eines Krieges oder einer Enteignung zum öffentlichen Nutzen sollen in Ansehung der Entschädigungdie Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles, die sich in dem Gebiete des anderen Teiles niedergelassen haben oder aufhalten, den Landesangehörigen gleichgestellt werden.

Artikel 6.

Jeder vertragschliessende Teil verpflichtet sich, dafür zu sorgen, dass in seinem Gebiete den hilfsbedürftigen Angehörigen des anderen Teiles die erforderliche Verpflegung und Krankenfürsorge nach den am Aufenthaltsorte für die eigenen Angehörigen geltenden Grundsätzen zuteil werde, bis ihre Rückkehr in die Heimat ohne Nachteil für ihre und anderer Gesundheit geschehen kann.

Ein Ersatz der durch die Verpflegung, die Krankenfürsorge oder die Beerdigung solcher Personen erwachsenen.

273 Kosten kann gegenüber dem Teile, dem der Hilfsbedürftige angehört, oder gegenüber den öffentlichen Verbänden oder Kassen dieses Teiles nicht beansprucht werden.

Für den Fall, dass der Hilfsbedürftige selbst oder dass andere privatrechtlich Verpflichtete zum Ersätze der Kosten imstande sind, bleiben die Ansprüche an diese vorbehalten.

Auch sichern sich die beiden Teile die nach der Landesgesetzgebung zulässige Hilfe zur Geltendmachung dieser Ansprüche zu.

Artikel 7.

Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles, di& sich in dem Gebiete des anderen Teiles niedergelassen haben oder aufhalten und gemäss Artikel 2 oder 3 ausgewiesen werden, sind mit ihrer Familie auf Verlangen des ausweisenden Teiles jederzeit in ihr Heimatland wieder zu übernehmen.

Das Gleiche gilt für frühere Angehörige jedes Teiles^ solange sie nicht Angehörige des anderen Teiles oder eines dritten Staates geworden sind.

Mit dem Ausgewiesenen sind seine Ehefrau und die in seiner häuslichen Gemeinschaft lebenden minderjährigen Kinder auch dann zu übernehmen, wenn sie dem übernehmenden Teile weder angehören noch früher angehört haben, aber nicht Angehörige des anderen Teiles oder eines dritten Staates geworden sind.

Artikel 8.

In den Fällen des Artikel 7 entscheidet der ausweisende Teil, ob die in den Artikeln 2 oder 3 vorgesehenen Voraussetzungen der Ausweisung vorliegen.

Artikel 9.

Ist auf Grund eines Heimatscheins die Niederlassung: gewährt worden, so kann der Staat, von dessen Behörden

274

·der Schein ausgestellt war, ein Verlangen auf Übernahm« nicht unter Berufung darauf ablehnen, dass der Inhaber und seine in dem Scheine aufgeführten Familienmitglieder die beurkundete Staatsangehörigkeit zur Zeit der Beurkundung nicht besesson haben.

Artikel 10.

,

Eine zwangsweise Überführung auszuweisender Personen in das Gebiet des anderen Teiles darf nur auf Grund eines Übernahmeverfahrens (Artikel 11--16) erfolgen.

Artikel 11.

Die Überführung von Personen, die gemäss Artikel 2 «der 3 ausgewiesen werden, soll auf Grund eines unmittelbaren Schriftwechsels zwischen der die Ausweisung (Heimschaffung) anordnenden Behörde und der zur Anerkennung der Staatsangehörigkeit zuständigen Heimatbehörde des zu Übernehmenden erfolgen.

Nach Anerkennung der Übernahmepflicht und vorgängiger rechtzeitiger Benachrichtigung werden die Ausgewiesenen gegen Aushändigung der Urschrift oder einer beglaubigten Abschrift des die Übernahmepflicht anerkennenden Schriftstücks von der zuständigen Grenzbehörde des Heimatlandes übernommen.

Artikel 12.

Ein vorgängiger Schriftwechsel ist nicht erforderlich und es soll die auszuweisende Person von den Grenzbehörden ohne weitere Förmlichkeit übernommen werden, wenn sie mit einem gültigen Heimatschein oder mit ändern gültigen durch Notenaustausch der beiden Teile näher zu bestimmenden Papieren versehen ist oder wenn ihre gegenwärtige oder frühere Staatsangehörigkeit nach dem Ermessen der übernehmenden Grenzbehörde sonst unzweifelhaft feststeht.

275

Die Bestimmungen des Absatz l finden keine Anwendung, wenn es sich um die Übernahme einer wogen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person oder um die Übernahme einzelstehender Frauen mit Kindern handelt. In diesen Fällen behält es bei den Bestimmungen des Artikel 11 sein Bewenden.

Artikel 13.

Eine diplomatische Vermittelung findet nur dann statt, wenn entweder besondere Gründe den unmittelbaren Schriftwechsel untunlich erscheinen lassen, insbesondere wenn über die Heimatbehörde Ungewissheit besteht oder in sprachlicher Hinsicht der gegenseitigen Verständigung Hindernisse sich entgegenstellen, oder wenn durch den unmittelbaren Schriftwechsel die Anerkennung der Übernahmepflicht nicht erzielt worden ist und der ausweisende Teil sich hierbei nicht beruhigen will, oder wenn die Entscheidung der Stelle, welche die auszuweisende Person übernommen hat, von ·der Regierung des Heimatstaats nicht gebilligt wird.

Artikel 14.

Über die bei der Übernahme einzuhaltenden Regeln, -insbesondere über die Grenzstrecken und die Grenzorte, wo die Übernahme stattzufinden hat, werden sich die beiden -vertragschliessenden Teile durch Notenaustausch verständigen.

Artikel 15.

Beide Teile verpflichten sich, ihre Behörden anzuweisen, alle Übernahmeanträge mit möglichster Beschleunigung zu erledigen, auch einander bei Feststellung der Staatsangehörigkeit der auszuweisenden Personen nach Möglichkeit zu unterstützen.

Die Übernahme darf nicht aus dem Grunde verweigert oder verzögert werden, weil unter den Behörden des HeimatBundesblatt. 63. Jahrg. Bd. I.

21

276 landes über den Unterstützungswohnsitz oder die Gemeindeangehörigkeit des Auszuweisenden Zweifel bestehen.

Artikel 16.

Die Kosten der Beförderung auszuweisender Personen bis zum Übernahmeorte werden von dem ausweisenden Teile getragen. Die Bestimmungen des Artikel 6, Absatz 3, linden entsprechende Anwendung.

Artikel 17.

Jeder vertragschliessende Teil ist berechtigt, Angehörige des anderen Teiles, denen er gemäss Artikel 2 oder 3 die Niederlassung oder den Aufenthalt untersagen kann, oder Personen, die keinem der beiden Teile angehören, ohne das in den Artikeln 11--J6 vorgesehene Übernahmeverfahren unverzüglich in das Gebiet des anderen Teiles zurückzuschaffen, wenn sie aus diesem Gebiete mit der Eisenbahn oder mit einer Schiffslinie unmittelbar in sein Gebiet gelangt sind und auf der ersten Haltestation sofort nach ihrem Eintreffen angehalten werden.

Artikel 18.

Jeder vertragschliessende Teil verpflichtet sich, Personen, die wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflos sind und keinem der beiden Teile angehören oder früher angehört haben, nach vorgängigem Übernahmeverfahren zu übernehmen, wenn diese vorher in seinem Gebiet infolge ihres Zustandes in einer Anstalt vorwahrt werden mussten und während der Verwahrung nach dem Gebiete des anderen Teiles entwichen sind. Diese Verpflichtung besteht jedoch nur für den Fall, dass der Antrag auf Übernahme innerhalb sechs Monaten nach der Entweichung gestellt wird.

277 Artikel 19.

Jeder vertragschliessende Teil verpflichtet sich, Augehörige oder frühere Angehörige eines dritten Staates, die sich in dem Gebiete des anderen Teiles aufhalten und dort ausgewiesen werden sollen, auf Antrag dieses Teiles durch sein Gebiet nach ihrem Heimatlande zu befördern, wenn der Antrag die Erklärung enthält, dass der andere Teil zum Ersätze der durch die Beförderung entstehenden Kosten unti der dritte Staat zur Übernahme der auszuweisenden Person bereit ist.

Durch die Bestimmungen des Absatz l werden die Bestimmungen des Auslieferungsvertrags zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 24. Januar 1874 wegen der Durchlieferung nicht berührt.

Artikel 20.

Dieser Vertrag findet keine Anwendung auf die Schutzgebiete des Deutschen Reichs.

Artikel 21.

Dieser Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt an die Stelle des Niederlassungsvertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche vom 31. Mai 1890 und der dazu getroffenen Vereinbarungen.

Er tritt in Kraft zwei Monate nach Austausch der Ratifikationsurkunden und gilt für die Dauer von fünf Jahren.

Falls keiner der vertragschliessenden Teile ein Jahr vor dem Ablaufe des fünfjährigen Zeitraums den Vertrag kündigt, bleibt dieser in Geltung bis zum Ablauf eines

278

Jahres von dem Tage an, an dem er von einem dei- beiden Teile gekündigt wird.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Bern am dreizehnten November neunzehnhundertneun.

(L. S.) gez. Brenner.

(L. S.) gez. Kriege.

(L. S.) gez. v. Wiehert.

(L. S.) gez. Dammann.

279 II.

^Vertragzwischen

der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiete des ändern vertragschliessenden Teiles.

Der Schweizerische Bundesrat, im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, und Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen, im Namen des Deutschen Reichs, von dem Wunsche geleitet, die im Artikel l, Absatz 2, in Verbindung mit Artikel 3 und im Artikel 10 des Niederlassungavertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche vom 31. Mai 1890 vorgesehenen Erleichterungen auch nach dem Ausserkrafttreten dieses Vertrags aufrecht. zu erhalten, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu Ihren Bevollmächtigten ernannt : Der Schweizerische Bundesrat:

Herrn Bundesrat Dr. Ernst Brenner, Vorsteher des Schweizerischen Justiz- und Polizeidepartements;

280

Seine Majestät der Deutache Kaiser, König von Preiisscti : Herrn Dr. Alfred v o n B ü l o w , Allerhöchsteren Wirklichen Geheimen Rat, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Bern 5 welche nach gegenseitiger Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten sich über folgende Artikel geeinigt haben : Artikel 1.

Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles sollen in dem Gebiete des anderen Teiles in Ansehung ihrer Person und ihres Eigentums den gleichen Rechtsschutz wie die Inländer geniessen.

Auch sollen sie dort befugt sein, in gleicher Weise und unter denselben Bedingungen und Voraussetzungen wie die Inländer jede Art von Gewerbe und Handel auszuüben, ohne anderen oder höheren Auflagen, Abgaben, Steuern oder Gebühren irgend welcher Art unterworfen zu sein als die Inländer.

Die Bestimmung des Absatz 2 über die Ausübung von Gewerbe und Handel findet entsprechende Anwendung auf dio Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grundstücke, welche die Angehörigen dos einen Teiles in dem Gebiete des anderen Teiles besitzen.

Artikel 2.

Durch den Artikel l werden die Bestimmungen des Artikel 9, Absatz 5, des Handels- und Zollvertrags zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 10. Dezember 1891 und 12. November 1904 nicht berührt.

: Artikel 3.

Dieser Vertrag soll ratifiziert und dio Ratifikationsurkunden sollen gleichzeitig mit denen des Niederlassungs-

281 ·Vertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche vom 13. November 1909 ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt in Kraft zwei Monate nach Austausch der Ratifikationsurkunden und gilt für die Dauer von fünf Jahren.

Falls keiner der vertragschliessenden Teile ein Jahr vor dem Ablaufe des fünfjährigen Zeitraums den Vertrag kündigt, bleibt dieser in Geltung bis zum Ablauf eines Jahres von dem Tage an, an dem er von einem der beiden Teile gekündigt wird.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Bern am einunddreissigsten Oktober tausend neunhundert und zehn {31. Oktober 1910).

(L. S.) gez. Brenner.

(L. S.) gez. von Bülow.

J-3&-C

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche abgeschlossenen Niederlassungsvertrag, vom 13. November 1909, und den "Vertrag zwischen den beiden Staaten über ...

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15.02.1911

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263-281

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