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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des August Kaminsky, Glasmacher, von Gelguhnen (Ostpreussen) in Ennetbaden, Kanton Aargau, betreffend Armenrecht in einer Haftpflichtsache.

(Vom 25. Juli 1911.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundesrat hat über die Beschwerde des A u g u s t K a m i n s k y , Glasmacher, von Gelguhnen, Ostpreussen, in Ennetbaden, Kanton Aargau,, betreffend Armenrecht in einer Haftpflichtsache, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, o

folgenden Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt : I.

Am 21. Januar 1910 hat der schweizerische Bundesrat eine Beschwerde des August Kaminsky gegen den Regicrungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald, der sich geweigert hatte, dem Beschwerdeführer zur Durchführung seines Unfallentschädigungsprozesses gegen die Schweizerische Glasindustrie, Sieg-

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wart & Cie., A.-G. mit Sitz in Hergiswil, das Annenrecht zu gewähren, dahin entschieden, dass dem Regiernngsrat das Recht zuerkannt wurde, mit der Bewilligung des Armenrechts zuzuwarten, bis der Rekurrent ein Zeugnis derjenigen Behörde beigebracht hat, die nach dem Rechte des Heimatstaates des Rekurrenten zur Ausstellung der Bescheinigung, dass derselbe kein Vermögen besitzt, zuständig ist. Dagegen wurde der Regierungsrat pflichtig erklärt, dem Rekurrenten das Armenrecht zu erteilen, sobald dieser den erwähnten Ausweis beigebracht habe (B. B1.1910, Bd. I, S. 185).

II.

Gestützt auf diesen bundesrätlichen Entscheid gelangte August Kaminsky in der Folge abermals an den ßegierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald mit dem Gesuch, es möchte, ihm zur Durchführung des erwähnten Haftpflichtprozesses das Armenrecht erteilt werden. Er legte diesem neuen Gesuch eine Bescheinigung der Polizeiverwaltung Elbing vom 18. März 1910 bei, die folgendermassen lautet : ,,Armutszeugnis. Hier ist nicht bekannt, dass der am 25. Juni 1894 in Gelguhnen, Kreis Allenstein, geborene Glasbläser Adalbert August Kaminsky Vermögen besitzt.

Auch sind hier, soweit bekannt, unterstütungspflichtige Verwandte nicht vorhanden."1 Am 2. Mai 1910 fasste hierauf der Regierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald folgenden B«schluss: ,,Auf das von Herrn Fürsprech J. Albisser, Luzern, namens August Kaminsky, Glasmacher in Rieden, nochmals gestellte Gesuch, demselben im Hafspflichtprozesse gegen die Schweizerische Glasindustrie A.-G. in Hergiswil das Armenrecht zu gewähren, wird nicht eingetreten, da mit dem von der Polizeiverwaltung Elbing unterm 18. März 1910 ausgestellten Zeugnis die Bedürftigkeit noch nicht erwiesen ist.a In der Folge reichte dann Kaminsky dem Regierungsrat noch von den Gemeinden Durlach und Obersiggenthal -- in welchen Gemeinden er nach dem Unfall Wohnsitz genommen hatte -- ausgestellte Armutszeugnisse ein. Der Regierungsrat befasste sich hierauf am 28. Juni 1910 abermals mit dem Armenrechtsgesuch des August Kaminsky, wies dasselbe aber wiederum ab.

III.

Mit Eingabe vom 30. Juli 1910 beschwert sich August Kaminsky, unter Berufung auf den bundesrätlichen Entscheid vom 21. Januar 1910, neuerdings beim Bundesrat. Er stellt das

866 Begehren, der Eegierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald sei zu verhalten, ihm nunmehr das Armenrecht zu erteilen.

Der Regierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald beantragt in seiner Vernehmlassung vom 13. September 1910 die Abweisung der Beschwerde. Er bestreitet, dass die Polizeiverwaltung Elbing die nach dem Recht des Heimatstaates des Rekurrenten zur Ausstellung der Bescheinigung, dass letzterer kein Vermögen besitze, zuständige Behörde sei. Das Zeugnis der Polizeiverwaltung Elbing sei absolut wertlos und beweise gar nichts. Was diese Behörde bescheinige, könnten noch tausende und abertausende von Gemeinden bescheinigen.

IV.

Da der Regierungsrat des Kantons Unterwaiden nid dem Wald bestreitet, dass die Polizeiverwaltung nach dem Rechte des Heimatstaates des Rekurrenten die zur Auskunfterteilung über dessen Vermögensverhältnisse zuständige Behörde ist, beauftragte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement die schweizerische Gesandtschaft in Berlin, gestützt auf Art. 22 der Haager Übereinkunft vom 17. Juli 1905 über das Zivilprozessre.cht, auf diplomatischem Wege Erkundigungen darüber einzuziehen, ob die Polizeiverwaltung Blbing die zur Auskunfterteilung zuständige Behörde ist, eventuell eine Erklärung der zuständigen Behörde herbeizuführen.

Aus dem Bericht der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin vom 26. Juni 1911 geht hervor, dass Elbing der letzte bekannte .Wohnsitz Kaminskys in Deutschland ist, und dass daher die Polizeiverwaltung in Elbing in der Angelegenheit als zuständig erachtet werden muss.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die auf diplomatischem Wege eingezogenen Erkundigungen haben ergeben, dass die Polizeiverwaltung in Elbing die zur Auskunfterteilung über die Vermögensverhältnisse des Rekurrenten zuständige Behörde ist. Diese Behörde bescheinigt, dass ihr nicht bekannt sei, dass der Rekurrent Vermögen besitze. Damit ist, unter Hinweis auf den Bundesratbeschluss vom 21. Januar 1910, die Vermögenslosigkeit des Rekurrentsn und damit die Pflicht

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des Regierungsrates des Kantons Unterwaiden nid dem Wald, demselben zur Durchführung seiner Haftpflichtprozesses das Armenrecht zu gewähren, als erwiesen zu betrachten.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Regierungsrat des Kantons Unterwald nid dem Wald eingeladen, dem Beschwerdeführer zur Durchführung seines Unfallentschädigungsprozesses gegen die Schweizerische Glasindustrie Siegwart & Cie., A.-G. in Hergiswil das Armenrecht zu gewähren.

B e r n , den 25. Juli 191.1.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des August Kaminsky, Glasmacher, von Gelguhnen (Ostpreussen) in Ennetbaden, Kanton Aargau, betreffend Armenrecht in einer Haftpflichtsache. (Vom 25. Juli 1911.)

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02.08.1911

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