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Bundesratsbeschluss über die

Beschwerde des Ami Julien Croix in Genf, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit.

(Vom

19. Dezember 1910.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über die Beschwerde des Ami Julien Croix, in Genf, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, auf den Bericht des Justiz» und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 13. Mai 1910 hat der Staatsrat des Kantons Genf auf ein von Ami Julien C r o i x am 31. März 1910 eingereichtes Begehren, es möchte ihm die Ausübung des Berufes eines Fussarztes gestattet werden, folgenden Beschluss gefasst : ,,Ami Julien Croix wird ermächtigt, in seiner Badeanstalt, Rue Etienne Dumont Nr. 20, den Beruf eines Fussarztes auszuüben. Die Bewilligung wird ihm aber ausschliesslich für die Bedürfnisse dieser Anstalt erteilt ; ausserhalb derselben darf der Petent den Beruf eines Fussarztes nicht ausüben".

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Zur Begründung dieses Beschlusses führte der Staatsrat, unter Hinweis auf Art. 33 der Bundesverfassung, Art. 9 der Kantonsverfassung, sowie das Gesetz über die Ausübung der Medizin, der Chirurgie und der Pharmazie vom 23. März 1892, abgeändert am 11. Oktober 1905, folgendes aus: ,,Der Beruf eines Fussarztes fällt unter den Begriff der sogenannten niedern Chirurgie.

,,Für die Ausübung aller unter den Begriff der Heilkunde fallenden Berufsarten darf ein für die ganze Schweiz gültiger Fähigkeitsausweis verlangt werden. Mangels einer einschlägigen Verordnung ist der Staatsrat als oberste vollziehende Behörde berechtigt, die Bedingungen festzusetzen, an deren Erfüllung die gesetzlich vorgesehene Bewilligung in jedem einzelnen Falle zu knüpfen ist.

,,Der Staatsrat ist berechtigt, die Ausübung aller unter den Begriff der Heilkunde fallenden Berufsarten denjenigen Beschränkungen zu unterwerfen, die er vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus für angemessen erachtet; zur Vermeidung jeder Willkür holt er vorher jeweils ein Gutachten des Gesundheitsamtes ein.

,,Nach dem Urteil des Gesundheitsamtes kommt dem von Ami Julien Croix vorgelegten Zeugnis keinerlei wissenschaftliche Bedeutung zu. Wie die beim waadtländischen Gesundheitsamt eingezogenen Erkundigungen ergeben haben, übt Ch. Tschäppät, der dem Potenten dieses Zeugnis ausgestellt hat, im Kanton Waadt den Beruf eines Fussarztes ohne jede behördliche Bewilligung aus.

,,Das Gesundheitsamt wendet trotzdem nichts dagegen ein, dass dem A. J. Croix die Bewilligung zur Ausübung des Berufes eines Fussarztes für die Bedürfnisse seiner Badeanstalt, die keine operativen Eingriffe mit sich bringen, erteilt wird, dagegen ist das Gesundheitsamt gegen jede weitergehende Bewilligung."

H.

Mit Eingabe vom 27. Mai 1910 beschwert sich Ami Julien Croix gegen diesen Beschluss des Staatsrates des Kantons Genf beim Bundesrat. Er stellt das Begehren, der Bundesrat wolle den Beschluss des Staatsrates des Kantons Genf vom 13. Mai 1010 aufheben und dem Rekurrenten die unbeschränkte Bewilligung erteilen, in Genf den Beruf eines Fussarztes auszuüben. ·

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Zur Begründung dieses Begehrens wird geltend gemacht: Der Staatsrat berufe sich mit Unrecht auf Art. 33 der Bundesverfassung und auf Art. 9 der Kantonsverfassung. Art. 33 der Bundesverfassung habe ausschliesslich die wissenschaftlichen Berufsarten im Auge, zu denen der Beruf eines Fussarztes nicht gehöre. Art. 9 der Kantonsverfassung gewähre allen Bürgern die Gewerbefreiheit ,,innert den Grenzen, die die Gesetzgebung im Interesse des öffentlichen Wohls aufstellt.a In Wirklichkeit stelle die Gesetzgebung des Kantons Genf für die Ausübung des Berufes eines Fussarztes keine Schranken auf.

Wenn das Gesetz über die Ausübung der Medizia, der Chirurgie und der Pharmazie vom 23. März 1892 (mit Abänderungen vom 11. Oktober 1905) wirklich, wie der Staatsrat behaupte, auf den Rekurrenten anwendbar wäre, so Hesse sich das Verlangen der kantonalen Behörden, der Rekurrent müsse eine Prüfung bestehen oder einen amtlichen Fähigkeitsausweis vorlegen, zur Not rechtfertigen. Aber der Rekurrent bestreite, dass dieses Gesetz auf ihn anwendbar sei, dessen Art. l, Absatz l, folgendermassen lautet: ,,Nul ne peut exercer dans le canton de Genève les professions de médecin-chirurgien, pharmacien, dentiste, sage-femme ou vétérinaire, s'il n'y a été autorisé par le Conseil d'Etattt. Dièse limitative Aufzählung dürfe nicht auf dem Wege der Analogie extensiv interpretiert werden.

Der Rekurrent habe in Lausanne mit grossem Fleiss und -- wie die ausgezeichneten Zeugnisse bewiesen -- auch mit Erfolg die praktischen und theoretischen Übungen des als Fussarzt bestens bekannten Professors Tschäppät besucht.

Wenn der Rekurrent wirklich in der Lage sei, seinen Beruf in seiner Badeanstalt in richtiger Weise auszuüben, so sei es unlogisch, seine Tätigkeit auf diese Anstalt zu beschränken.

Der Rekurrent behauptet, durch den angefochtenen Beschluss des Staatsrates würden die Art. 31 und 4 der Bundesverfassung verletzt.

III.

Der Staatsrat des Kantons Genf verweist in seinen Eingaben vom 24. Juni und 4. Oktober 1910 auf die im angefochtenen Entscheide selbst enthaltene Begründung. Er fügt bei, dass er den Beruf eines* Fussarztes als unter den Begriff der niedern Chirurgie fallend betrachte und daher von denjenigen Personen,

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die diesen Beruf ausüben wollen, zwar nicht gerade den Vorweis eines Arztdiploms, aber doch den Nachweis verlange, dass sie entweder eine Spezialschule durchgemacht und dort ein Examen bestanden, oder aber bei einem patentierten Arzt in genügender Weise sich auf diesen Beruf vorbereitet haben.

IV.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement hat durch das schweizerische Gesundheitsamt die Frage begutachten lassen, ob es sich im Interesse der öffentlichen Gesundheit, also vom sanitätspolizeilichen Standpunkt aus, rechtfertigt, die Erlaubnis zur Ausübung des Berufes eines Fussarztes von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig zu machen und eventuell ob die vom Staatsrat des Kantons Genf aufgestellten Erfordernisse sachlich gerechtfertigt, das heisst nicht als übertrieben erscheinen.

Das schweizerische Gesundheitsamt hat darauf folgendes geantwortet : ^Behufs richtiger Beurteilung der Beschwerde stellen wir fest, dass es zur Wahrung der öffentlichen Gesundheit durchaus gerechtfertigt ist, die Ausübung des ,,Pedicurecc-Berufes von gewissen Bedingungen abhängig zu machen und demselben bestimmte Grenzen zu stecken. Die menschlichen Fusse, besonders die Zehen und Nägel, sind durch das Schuhwerk, starke Schweissbildung, Schmutz, unzweckmässige Besorgung -- vom Gehen gar nicht zu reden -- zahlreichen eigenartigen Schädigungen, sowohl Krankheiten als Verletzungen, ganz besonders ausgesetzt, so dass die Gefahren für die Gesundheit und selbst das Leben, die von diesen Körperteilen ausgehen, durchaus nicht gering anzuschlagen sind. Wir erinnern nur an Hühneraugen und Schwielen, an eingewachsene und verkrümmte Nägel, eingedrungene Fremdkörper, an Verkrümmungen und Verlagerungen der Zehen und Fusse, an Schweiss- und wunde Fusse und anderes mehr, lauter Zustände, die bei unzweckmässiger Behandlung einen ungünstigen Verlauf nehmen oder zu Infektionen dieser oder jener Art Anlass geben können. Hierdurch werden nicht nur Schmerzen hervorgerufen, sondern wird oft auch das Geflen , und die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt; in besonders, schweren und unglücklichen Fällen kann sogar das Leben in Gefahr ; kommen (Starrkrampf, Blutvergiftung u. a. m.)..

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,,Aus allen dieseu Gründen halten wir dafür, es dürfe die Besorgung g e s u n d e r Fusse, Zehen und Nagel ohne Schaden für Gesundheit und Leben nur eigens ausgebildeten Personen und nur dann selbständig überlassen werden, wenn dieselben die erforderliche Geschicklichkeit besitzen, die zur Verhütung von Infektionen nötige Reinlichkeit beobachten, die verschiedenen Gefahren kennen und vor allem über die Grenzen ihrer selbständigen Berufstätigkeit, welche sie nicht überschreiten dürfen, ganz im klaren sind.

,,Die Besorgung k r a n k e r und v e r l e t z t e r Fusse, Zehen und Nägel dagegen gehört unbedingt in das Gebiet der ärztlichen Berufstätigkeit und sollte dem Fussheilkünstler (Pédicure) höchstens unter Kontrolle und unter der Verantwortlichkeit eines Arztes gestattet werden.

,,Aus allen diesen Gründen verstehen und billigen wir den Genfer Staatsrat durchaus, wenn er vom gesundheitspolizeilichen Standpunkt aus die Erlaubnis zur Ausübung des ,,Pedicure"1Berufes von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht, wie ausreichende Fertigkeit, Beobachtung genügender Reinlichkeit, Kenntnis der drohenden Gefahren und vor allem scharfes Bewusstsein der diesem Berufe gesteckten Grenzen.

Auch scheint es uns vollständig gerechtfertigt, dass der Staatsrat von Genf im Interesse der Volksgesundheit die Ausübung des Berufes als ,,Pédicure" von einer Prüfung abhängig macht, durch welche sich der zu Prüfende über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten ausweisen muss. Dabei dürfte es allerdings nach unserm Dafürhalten nebensächlich sein, ob der Kandidat sich diese Kenntnisse und Fertigkeiten in einer Spezialschule oder bei einem tüchtigen ,,Fussbesorgera (pédicure) erworben hat. Die genferische Vorschrift freilich, dass der angehende ,,Pédicure"1 sich seine Ausbildung auch bei einem patentierten Arzte verschaffen könne, halten wir für nicht besonders glücklich, indem es den patentierten Ärzten einerseits an der Zeit fehlen dürfte, um angehende Fussheilkünstler genügend auszubilden, anderseits an der ausreichenden Zahl von Kunden, die unter die Berufstätigkeit der Fussheilkünstler gehören.

,,Wir halten daher das Vorgehen des Staatsrates von Genf, insofern er die Ausübung des ,,Pédicure" - Berufes von einer Prüfung abhängig macht, für durchaus gerechtfertigt und halten bloss die
Forderung, es dürfe der zu Prüfende seine Kenntnisse und Fertigkeiten nur in einer Spezialschule oder, bei einem patentierten Arzt erwerben, für übertrieben.tv ; .

582 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Es ist dem Rekurrenten darin zuzustimmen, dass der Staatsrat des Kantons Genf sieh in seinem Entscheid mit Unrecht auf Art. 33 der Bundesverfassung beruft. Art. 33 hat ausschliesslich die wissenschaftlichen Berufsarten im Auge. Die Berufe der niedern Chirurgie gehören aber, wie diejenigen der Orthopädie und der Hebammenberuf, nicht zu den wissenschaftlichen Berufsarten (vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 18. Mai 1877 zum Entwurf des Gesetzes betreffend die Freizügigkeit der Medizinalpersonen).

Daraus folgt aber noch keineswegs -- wie der Rekurrent behauptet --, dass die Kantone nicht berechtigt seien, die Ausübung der nichtwissenschaftlichen Heilberufe von der Erfüllunggewisser Bedingungen abhängig zu machen. Die Kantone sind hierzu vielmehr, gestützt auf Art. 31, lit. e, befugt, sofern die von ihnen aufgestellten Erfordernisse sachlich, das heisst vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus, berechtigt erscheinen.

Es ist richtig, dass im Kanton Genf kein Gesetz besteht, das speziell die Erfordernisse aufzählt, die an diejenigen Personen gestellt werden, die den Beruf eines Fussarztes auszuüben beabsichtigen. Allein dieser Beruf kann als Zweig der niedern Chirurgie ohne Willkür dem Gesetz über die Ausübung der Medizin, der Chirurgie und der Pharmazie vom 23. März 1892 (mit Abänderungen vom 11. Oktober 1905) unterstellt werden.

In Art. 15 dieses Gesetzes wird der Staatsrat angewiesen, ,,de préparer et de faire publier tous les règlements et arrêtés pour l'exécution de la loia. Ein solches Reglement ist, soweit die Berufe der niedern Chirurgie in Frage kommen, allerdings noch nicht erlassen. Dagegen muss der Staatsrat als die vollziehende Behörde für zuständig betrachtet werden, die Bedingungen für die Erteilung der im Gesetz vorgesehenen Bewilligungen festzusetzen, wo das Gesetz oder die bestehenden Réglemente es nicht getan haben.

Nach den Mitteilungen des Staatsrates des Kantons Genf wird nach konstanter Praxis die Bewilligung zur Ausübung des Berufes. eines Fussarztes nur an solche Personen erteilt, die den Nachweis leisten, dass sie entweder eine Spezialschule durchgemacht und dort ein Examen bestanden, oder aber bei einem patentierten Arzt sich in genügender Weise vorbereitet haben.

.583 Die Forderung, es dürfe der Petent seine Kenntnisse und Fertigkeiten nur in einer Spezialschule oder bei einem patentieren Arzt erwerben, 'ist nach der Auffassung des schweizerischen Gesundheitsamtes übertrieben. Dagegen erscheint es vom sanitätspolizeilichen Standpunkt aus als gerechtfertigt, die Ausübung des Berufes eines Fussarztes nur denjenigen Personen zu gestatten, die durch die Ablegung einer Prüfung bewiesen haben, dass sie im Besitze der nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten sind, durchaus begründet. Der Staatsrat des Kantons Genf ist daher berechtigt, dem Rekurrenten die von ihm beanspruchte allgemeine Bewilligung zur Ausübung seines Berufes als Fussarzt so lange zu verweigern, bis der Rekurrent dieses Examen bestanden hat.

Es liegt allerdings eine Inkonsequenz darin, dass der Staatsrat, in Abweichung von seiner prinzipiellen Stellungnahme, dem Rekurrenten die Ausübung seines Berufes als Fussarzt in seiner Badeanstalt für die Bedürfnisse dieser Anstalt gestattet. Allein dieses Abgehen von der allgemeinen, im Interesse der öffentlichen Gesundheit gebotenen Regel zugunsten des Rekurrenten zwingt den Staatsrat natürlich nicht, zugunsten des Rekurrenten von dieser allgemeinen Regel noch weiter abzugehen.

II.

Auf die Behauptung des Rekurrenten, der angefochtene Entscheid des Staatsrates des Kantons Genf verletze auch Art. 4 der Bundesverfassung, kann, da für die behauptete rechtsungleiche Behandlung auch nicht ein einziges Beispiel namhaft gemacht wird, nicht eingetreten werden.

Dem gemäss wird e r k a n n t : Der Rekurs wird abgewiesen.

Bern, den 19. Dezember 1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

-&OHS-

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Ami Julien Croix in Genf, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit. (Vom 19. Dezember 1910.)

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14.06.1911

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