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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde von K. Wagner in Luzern betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom

8. August 1911.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde von Karl W a g n e r in Luzern betreffend die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Beschluss gefasst: A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Das luzernische Gesetz betreffend das Wirtschaftsgewerbe und den Handel mit geistigen Getränken vom 16. Februar 1910 enthält folgende, für die Entscheidung der vorliegenden Beschwerde in Betracht fallende Bestimmungen: § 10: Personalwirtsrechte werden erteilt: a. für Gasthäuser (Hotels), b. für Fremdenpensionen (Kuranstalten), c. für Wein- und Speise wirtschaften (Restaurants), d. für Konditoreiwirtschaften, e. für alkoholfreie Wirtschaften.

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§ 11, Absätze l--4: Das Gasthauspatent berechtigt zum Betriebe aller Zweige des Wirtschaftsgewerbes.

Hôtels garnis werden den Gasthäusern gleichgestellt.

Die Fremdenpensionen dürfen nur solche Gäste beherbergen und bewirten, welche einen mindestens 5 Tage dauernden Aufenthalt nehmen. Es ist ihnen gestattet, auch die auf Besuch kommenden Angehörigen von Pensionären vorübergehend zu bewirten.

Die Fremdenpensionen dürfen nicht als Gasthäuser oder Hotels bezeichnet werden.

§ 22 : Aus Gründen der Wohlfahrt ist ein Patent zu verweigern, wenn die Wirtschaft nicht einem Bedürfnis entspricht.

Bei Prüfung der Bedürfnisfrage sind hauptsächlich folgende Punkte zu berücksichtigen: die Anzahl der bestehenden Wirtschaften ; die Eignung der Wirtschaft für den Fremdenverkehr oder für den Konsum der Ortsbevölkerung; die Möglichkeit der Beaufsichtigung; die Bevölkerungszahl; der Geschäfts-,insbesondere der Fremdenverkehr und die Ausdehnung der betreffenden Gemeinde oder Ortschaft; die Art und Weise ihrer Einteilung in Wohnungsgruppen ; die Nähe einer Strasse oder eines Bahnhofes.

§ 23 : Jeweilen auf den Zeitpunkt des Ablaufes der Personalwirtschaftspatente hat der Regierungsrat nach Einvernahme der Gemeinderäte und der Statthalterämter festzustellen, in welchen Gemeinden oder Gemeindeteilen die Eröffnung neuer Wirtschaften für -die folgende Periode von 4 Jahren grundsätzlich zu verweigern sei, weil die Zahl der bestehenden Wirtschaften dem lokalen Bedürfnis bereits genüge.

Der Beschluss ist zu veröffentlichen. Er bezieht sich nicht auf alkoholfreie Wirtschaften, sowie auf solche Wirtschaftsbetriebe, welche in der Hauptsache dem Fremdenverkehr dienen.

II.

Am 30. August 1910 hat Karl Wagner in Luzern beim Regierungsrat des Kantons Luzern um die Erteilung eines Gasthausrechts nach § 10, lit. a, des luzernischen Wirtschaftsgesetzes für ein im Bahnhofquartier (Morgartenstrasse Nr. 6) zu betreibendes Hotel II. Ranges nachgesucht. Am 5. Oktober 1910 beschloss der Regierungsrat, diesem Gesuch nicht zu entsprechen. Der Beschluss wird damit begründet, dass für die Erteilung des nachgesuchten Wirtschaftsrechtes in jenem Stadtteil kein Bedürfnis vorhanden sei.

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III.

Mit Eingabe vom 3. November 1910 beschwert sich Karl Wagner gegen diese .Patentverweigerung beim Bundesrat. Er stellt das Begehren, ,,der Bundesrat wolle dem Petenten das nachgesuchte Gasthausrecht nach § 10, lit. a, des luzernischen Wirtschaftsgesetzes, auszuüben im Hause Morgartenstrasse 6 zu Luzern, erteilen". Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Rekurrent in seinen Rechtsschriften im wesentlichen folgendes geltend : In seinem Entscheid in Sachen Weibel habe sich der Bundesrat auf den Standpunkt gestellt, dass die Bedürfnisklausel auch auf Gasthäuser und Hotels anwendbar sei. Dieser Standpunkt möge für Dörfer und kleine Landstädte seine Berechtigung haben.

Für Fremdenzentren, und namentlich für so ein bedeutendes Fremdenzentrum wie Luzern, dürfe dagegen nicht schon auf das fehlende Bedürfnis nach neuen Hotels abgestellt werden. Denn in einem solchen Fremdenzentrum bedeute nicht schon jedes nicht absolut notwendige Hotel eine Gefährdung des öffentlichen Wohles.

Eine solche Gefährdung würde in diesen Verhältnissen erst daun eintreten, wenn infolge des Übermasses an Hotels Schleuderpreise oder eine leichtfertige Betriebsführung um sich greifen würden, was für Luzern nicht einmal behauptet worden sei. Wollte man auch für Fremdenzentren lediglich auf die Bedürfnisfrage abstellen, so würde damit ein vom öffentlichen Wohl nicht verlangtes und daher bundesverfassungswidriges Monopol zugunsten der Besitzender bereits bestehenden Gasthöfe geschaffen. Diese Gasthausbesitzer hätten es dann zudem auch in der Hand, dem wachsenden Bedürfnis durch beständige Vergrösserungen der bestehenden Etablissemente zu genügen und sich so auf unabsehbare Zeit hinaus jede Konkurrenz vom Leibe zu halten. Ein solcher Zustand aber stehe zweifellos mit dem Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit im Widerspruch. Art. 22 des luzernischen Wirtschaf l sgesetzes sei infofern bundesverfassungswidrig, als derselbe die Bedürfnisklausel auch auf die dem Fremdenverkehr dienenden Etablissemente ausdehne.

Übrigens habe der Regierungsrat im vorliegenden Fall die Bedürfnisfrage mit Unrecht verneint. Das Haus, das der Rekurrent zu einem Hotel umbauen wolle, befinde sich in einer Entfernung von nur einer Minute vom Bahnhof. Es bestehe immer ein Bedürfnis nach Hotels in solch günstiger Lage. Je mehr Hotels in unmittelbarer Nähe vom Bahnhof vorhanden seien, um so mehr

23 Fremde steigen in diesem günstig gelegenen Stadtteil ab. Auch dürfe in einer Fremdenstadt mit 5000--6000 Betten das Bedürfnis nach neuen Hotels nicht schon dann verneint werden, wenn sich überhaupt noch einige freie Betten pro Abend vorfinden, die nur mit Hilfe von Dienstmännern und Logisbure'aux entdeckt werden können, wobei den Fremden hinsichtlich Lage und Preis gar keine Auswahl mehr bleibe. Aus den Aufzeichnungen des Logisbureaus, auf die sich der Regierungsrat beruft, ergebe sich, dass während der Sommersaison 1910 durchschnittlich jeden Abend zirka 120 Betten frei waren, d. h. ein Bett pro Nacht und pro Hotel. Dazu komme noch, dass im Jahre 1910 an Besitzer von Gasthäusern in der Stadt Luzern Bewilligungen zum Einlogieren von Gästen in Privathäusern für 116 Betten erteilt worden seien.

Der Rekurrent beklagt sich ferner über rechtsungleiche Behandlung. Er macht in dieser Richtung im wesentlichen folgendes geltend: 1. Am 1. September 1910 habe der Regierungsrat den Geschwistern Hermine und Marie Tschüpp, bisher Inhaberinnen der Fremdenpension Kaufmann in Luzern, ein Gasthausrecht nach § 10, lit. a, des kantonalen Wirtschaftsgesetzes erteilt für den Betrieb des im Haldenquartier -- der hotelreichsten Gegend Luzerns -- neu zu erbauenden ,,Hotel Royaltt. Der Regierungsrat könne sich für diese Bewilligung nicht etwa auf den zugunsten der Geschwister Tschüpp erfolgten Verzicht des Herrn Amtsschreiber Bucher auf die ihm am 15. April 1908 für ein in seinem Hause, Winkelriedstrasse Nr. 11, zu betreibendes ,,Hotel Royal" erteilte Konzession berufen. Denn dieses Haus sei stets ein Miethaus gewesen ; es sei darin nie ein Hotel betrieben worden. Auch wäre Herr Bucher als kantonaler Beamter zur Führung eines Hotels gar nicht berechtigt gewesen. Die an die Geschwister Tschüpp erteilte Konzession bedeute daher in Wirklichkeit eine Vermehrung der bestehenden Hotels mit Wirtschaftsbetrieb.

2. Lange nach der Abweisung des Rekurrenten habe der Regierungsrat Frau Dr. Stocker die Konzession zum Betrieb der ,,Hotel-Pension Villa Stocker" erteilt. Sowohl aus dieser in den Prospekten von Frau Dr. Stocker gebrauchten Bezeichnung ihres Etablissements als auch aus den in den Prospekten aufgeführten verschiedenen Preisen -- je nachdem die Gäste einen Aufenthalt von weniger oder von mehr als 5 Tagen nehmen -- gehe klar hervor, dass Frau Dr. Stocker nicht nur eine Frfemdenpension, sondern ein Hotel betreibe.

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3. Endlich sei dem Roller Skating-Rink eine am 25. Juni 1911 in Kraft getretene Konzession für den Betrieb einer Wirtschaft im Bahnhofgebiet erteilt worden.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt die Abweisung der Beschwerde, indem er im wesentlichen folgendes ausführt : Die Worte ,,insbesondere der Fremdenverkehr'1 seien auf den Antrag des Hotelier-Vereins in den § 22 des neuen Wirtschaftsgesetzes aufgenommen worden. Der Bundesrat habe übrigens in zahlreichen Fällen ausdrücklich festgestellt, dass bei Gesuchen um Erteilung von Hotel- und Gasthauspatenten die Bedürfnisfrage aufgeworfen werden könne. Der gegenteilige Standpunkt. des Rekurrenten sei unhaltbar. Jedes neue Hotel bedeute eine Vermehrung der öffentlichen Wirtschaften. Es könne dem Patentbewerber nicht vorgeschrieben werden, dass er in seinem Gasthaus nur ,,Fremdett bewirten dürfe. Besonders bei Gasthäusern II. Ranges könne unmöglich vorausbestimmt werden, ob dieselben mehr von Fremden oder von Einheimischen besucht werden.

Die Beantwortung der Bedürfnisfrage in jedem einzelnen Fall sei Sache der kantonalen Behörden. Der Bundesrat sei lediglich befugt, zu prüfen, ob die kantonalen Behörden die Bedürfnisfrage offenbar willkürlich beantwortet, d. h. den angeblichen Mangel des Bedürfnisses lediglich zur Deckung offenbarer Willkür vorgeschoben haben. Im vorliegenden Fall habe der Regierungsrat die Bedürfnisfrage in Anlehnung an die Gutachen der Lokalbehörden verneint; von Willkür könne daher nicht gesprochen werden.

Der Vorstand des Hotelier-Vereins der Stadt Luzern habe in einer. Zuschrift an das Departement der Staatswirtschaft festgestellt, dass während der Hochsaison 1910 an einem einzigen Abend alle Hotels voll besetzt waren. Dem Logis-Bureau am Bahnhof, welches vom 23. Juli bis 4. September in Funktion war, seien jeden Abend von den Gasthöfen viele freie Zimmer angemeldet worden, von denen nur wenige besetzt werden konnten.

Der Regierungsrat beruft sich auf die Aufzeichnuugen dieses Logis-Bureaus. Ferner beruft er sich auf vom Hotelier-Verein nachträglich veranstaltete Erhebungen in den Hotels II. Ranges im Bahnhofquartier, denen zufolge die Inhaber dieser Gasthäuser dem Logis-Bureau am Bahnhof jeweils lange nicht alle freien

25 Betten angezeigt hätten. Ausser dem Gesuch des Rekurrenten seien noch verschiedene andere Gesuche um Erteilung von Gasthauspatenten abgewiesen worden.

Zu den vom Rekurrenten zum Beweise der angeblich rechtsungleichen Behandlung gemachten Ausführungen bemerkt der Regierungsrat : Zu 1. Die Erbauung eines Hotels im Haldenquartier könne mit der Eröffnung eines neuen Hotels II. Ranges im Bahnhofquartier nicht verglichen werden. Schon die Lage des Neubaues der Geschwister Tschupp beweise zur Genüge, dass es sich keineswegs um die Eröffnung einer neuen Wirtschaft für Einheimische, sondern um ein Fremdengeschäft handle. Trotz diesen für die Patentierung wesentlich günstigeren Verhältnissen wäre den Geschwistern Tschupp das Hotelpatent wahrscheinlich nicht erteilt worden, wenn es ihnen nicht gelungen wäre, Herrn J. Bucher in Luzern zu bewegen, auf das ihm am 15. April 1908, also noch unter der Herrschaft des alten Wirtschaftsgesetzes, erteilte Gasthauspatent zu ihren Gunsten zu verzichten. Es sei allerdings richtig, dass Herr Bucher von seinem Rechte noch keinen Gebrauch gemacht hatte. Immerhin sei das Patent erteilt gewesen, so dass die Wirtschaft jeden Tag hätte eröffnet werden können. Die Behauptung, Herr Bucher sei als kantonaler Beamter nicht befugt, eine Wirtschaft zu betreiben, sei unrichtig.

Zu 2. Frau Dr. Stocker habe, wie sich aus dem beiliegenden Protokollauszug ergebe, am 22. Februar 1911 die Bewilligung zur Führung einer Fremdenpension, im Sinne von § 10, lit. ô, des luzernischen Wirtschaftsgesetzes erhalten. Die Behauptung, sie habe ein Hotelpatent erhalten, sei unrichtig. Nach stattgefundener Verwarnung habe Frau Dr. Stocker einen neuen Prospekt drucken lassen, in dem die Bezeichnung .,,Hotel" nicht mehr vorkomme. Der Aufenthalt aller von ihr bis jetzt beherbergten Gäste dauerte mehr als 5 Tage. Sollte sich Frau Dr. Stocker einer Überschreitung ihrer Wirtschaftsbefugnisse schuldig gemacht haben, oder noch schuldig machen, so sei sie strafbar; jedoch könne dieser Umstand für die Erledigung des vorliegenden Rekurses nicht von Einfluss sein.

Zu 3. Wie sich aus dem beiliegenden Protokollauszug vom 5. Juli 1911 ergebe, sei das Gesuch des Kurkomitees Luzern um Bewilligung einer Wirtschaft in den Räumlichkeiten des ,,Rollschuhpalastesa abgewiesen worden. Wegen der ohne Bewilligung erfolgten Eröffnung sei dem Strafrichter Anzeige erstattet worden.

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V.

Laut den Aufzeichnungen des Logis-Bureaus, das vom 23. Juli bis 4. September 1910 am Bahnhof Luzern in Funktion war, sind in dieser Zeit jeweils abends von den Gasthöfen im ganzen 5989 freie Zimmer angemeldet worden. Von diesen wurden 642 durch das Logis-Bureau besetzt. Frei blieben 5347 Zimmer mit 9646 Betten, oder durchschnittlich pro Abend 121 Zimmer mit 219 Betten.

Von den 23 Hotels II. Ranges im Bahnhofquartier, die (nach den Angaben des Rekurrenten) über insgesamt 1240 Betten verfügen, sind dem Logis-Bureau im ganzen 4741 freie Betten angemeldet worden. Von diesen wurden 341 durch das Logisbureau besetzt. Frei blieben 4400, oder durchschnittlich pro Abend 100 Betten.

Von den 10 Hotels II. Ranges im Haldenquartier sind dem Logisbureau im ganzen 661 freie Betten angemeldet worden.

Von diesen wurden 63 durch das Logis-Bureau besetzt. Unbesetzt blieben 598, d. h. durchschnittlich pro Abend 14 Betten.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Durch die im Jahre 1885 erfolgte Aufnahme der lit. c in den Art. 31 der Bundesverfassung ist der Grundsatz der Handelsund Gewerbefreiheit für das Wirtschaftsgewerbe nicht aufgehoben, sondern lediglich in dem Sinne eingeschränkt worden, dass den Kantonen gestattet wurde, das Wirtschaftsgewerbe auf dem Wege der Gesetzgebung den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterwerfen. Von der Erwägung ausgehend, dass eine übermässige Zahl von Wirtschaften den sittlichen und ökonomischen Schädigungen des Alkoholismus Vorschub zu leisten geeignet sei, und damit das öffentliche Wohl gefährde, sollte den Kantonen das Recht eingeräumt werden, die Wirtschaften auf die durch das öffentliche Bedürfnis verlangte Zahl zu beschränken.

Geht man von diesen, bei der Verfassungsrevision ausschlaggebend gewesenen Tendenzen aus, so ist klar, dass bei der Frage der Konzessionierung unterschieden werden muss zwischen dem Wirtschaftsgewerbe und dem Hotelgewerbe.

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1. Der Bestand einer gewöhnlichen Wirtschaft, für die kein Bedürfnis besteht, ist eine Quelle ü b e r m ä s s i g e r Betätigung auf dem Gebiete des Alkoholismus und damit eine Bedrohung des öffentlichen Wohls. Die Kantone sind berechtigt, diese Wirtschaften auf diejenige Zahl zn beschränken, die dem Bedürfnis · zur Befriedigung eines massigen Alkoholkonsums entspricht. Den gewöhnlichen Wirtschaften gleichzustellen sind natürlich diejenigen Etablissemente, bei denen unter dem Deckmantel eines Hotels in Wirklichkeit eine neue Wirtschaft geschaffen werden will.

Wo neben dem Betrieb einer Wirtschaft tatsächlich auch der Betrieb eines Gasthofes beabsichtigt wird, ist in jedem einzelnen Falle zu untersuchen, ob voraussichtlich der Hotelbetrieb oder der Wirtschaftsbetrieb überwiegt. Ist in Würdigung aller Umstände anzunehmen, dass voraussichtlich nicht die dem Fremdenverkehr dienende Einrichtung, sondern der den Einheimischen dienenden Wirtschaftsbetrieb prävalieren dürfte, so darf auch in diesen Fällen die Bewilligung von dem Vorhandensein des Bedürfnisses einer weiteren Wirtschaft abhängig gemacht werden.

2. Anders verhält es sich beim eigentlichen Hotelgewerbe, bei dem die Befriedigung des Bedürfnisses des Fremdenverkehrs Hauptzweck und die Befriedigung des Bedürfnisses des Alkoholkonsums nur sekundärer Zweck ist. Hier ist vor allem festzuhalten, dass hinsichtlich des Hauptzweckes eine Einschränkung der gewerblichen Betätigung durch die Bundesverfassung zweifellos ausgeschlossen ist. Die Konkurrenzierung der dem Fremdenverkehr dienenden Institutionen kann nicht unter dem Titel des mangelnden Bedürfnisses eingedämmt werden. Selbst eine wirtschaftliche Krisis im Hotelgewerbe wegen Überproduktion böte keine Berechtigung zum Einschreiten.

Freilich wird nun auch in diesen Fällen durch den mit dem Hauptbetrieb verbundenen Nebenbetrieb, der in erster Linie zur Befriedigung des Bedürfnisses der das Hotel benutzenden Fremden bestimmt ist, den Einheimischen -- da eine Differenzierung zwischen Fremden und Einheimischen nicht gemacht werden kann -- eine neue Gelegenheit zum Alkoholkonsum geboten. Allein weder die Entstehungsgeschichte noch der Wortlaut der in lit. c des Art. 31 der Bundesverfassung statuierten Ausnahme rechtfertigen es, ein mit Rücksicht auf seinen Hauptzweck unter dem Schütze des Art. 31, Absatz l der Bundesverfassung stehendes Gewerbe wegen dieser Begleiterscheinung ebenfalls der Bedürfnisklausel zu unterwerfen. Dagegen ist es mit der Bundes-

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Verfassung vereinbar, dass die Kantone in diesen Fällen die Zahl der Wirtschaften dadurch auf das richtige Mass zurückführen, dass bei der periodischen Patenterneuerung eine entsprechende Anzahl Patente für gewöhnliche Wirtschaften nicht mehr erneuert wird.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es vom Standpunkt der Bundesverfassung aus unzulässig ist, die Konzessionierung der Hotels vom Vorhandensein des Bedürfnisses nach neuen H o t e l s abhängig zu machen, und dass sich der Regierungsrat im vorliegendem Fall -- in dem nach der Aktenlage die Befriedigung der Bedürfnisse des Fremdenverkehrs zweifellos Hauptzweck und der Betrieb der Wirtschaft nur sekundärer Zweck ist -- auch nicht auf das mangelnde Bedürfnis nach neuen Wirtschaften berufen kann.

II.

Das luzernische Wirtschaftsgesetz unterscheidet ebenfalls zwischen den gewöhnlichen Wirtschaften und den diesen gleichzustellenden Betrieben einerseits und den in der Hauptsache dem Fremdenverkehr dienenden Etablissementen anderseits. Die letztern sind im Gesetz von der in Art. 23, Absatz i, vorgesehenen vierjährigen Sperre ausdrücklich ausgenommen worden, und zwar entgegen einem vom Hotelierverein verfochtenen Postulate, der in seiner Eingabe vom 17. April 1909 die Streichung dieser schon im Entwurf des Regierungsrates vorgesehenen Ausnahme verlangte. Dieser Umstand, sowie die in der Botschaft des Regierungsrates (Seite 28, Absatz 2) enthaltenen Erörterungen über den Grund, aus welchem die hauptsächlich dem Fremdenverkehr dienenden Etablissemente von der Sperre ausgenommen werden, lassen es als zweifellos erscheinen, dass der luzernische Gesetzgeber in dem mangelnden Bedürfnis keine Gefährdung des öffentlichen Wohles erblickte, soweit solche Fremdenetablissemente in Frage stehen.

Dieser Auffassung entspricht es denn auch, dass nach dem luzernischen Wirtschaftsgesetz eine unbeschränkte Vermehrung der für Fremdenzwecke dienenden Räumlichkeiten bestehender Hotels zulässig ist. Gemäss § 31 leg. cit. ist, ,,wenn während der Dauer eines Patentes die Wirtschaftsräumlichkeiten wesentlich erweitert werden sollen, hierfür die Bewilligung des Regierungsrates einzuholen". Es mag dahingestellt bleiben, ob auch die zur Unterkunft der Fremden dienenden Räumlichkeiten unter

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§ 31 fallen. Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist deren Vermehrung ohne Rücksicht auf das allgemeine Bedürfnis zulässig. Es fehlt nämlich jeder Anhaltspunkt dafür, dass die vorgesehene Bewilligung vom Regierungsrat unter dem Gesichtspunkt des § 22 verweigert werden könnte. Daraus folgt, dass wenn anderseits die Erstellung neuer Hotels unter dem Gesichtspunkt des mangelnden Bedürfnisses verweigert wird, eine mit den Grundsätzen der Gewerbefreiheit und der Rechtsgleichheit unvereinbare Privilegierung der bestehenden Hotels herbeigeführt wird.

Der Umstand, dass in dem zweiten Absatz des § 22 auf das Begehren des Hoteliervereins hin auch die Worte ,,insbesondere der Fremdenverkehr" aufgenommen wurden, bietet keinen Anhaltspunkt für eine gegenteilige Gesetzesauslegung.

§ 22, Absatz 2 zählt lediglich diejenige Faktoren auf, die bei der Entscheidung der Bedürfnisfrage naturgemäss in Betracht fallen.

Zu diesen Faktoren gehört selbstverständlich auch der Fremdenverkehr. Es ist klar, dass bei der Abwägung der Frage des Bedürfnisses auch die Entwicklung des Fremdenverkehrs eine Rolle spielt, d. h. dass bei grösserem Fremdenverkehr auch ein vermehrtes Bedürfnis für Wirtschaften vorhanden ist, gerade so wie z. B. auch ein grösserer Geschäftsverkehr oder eine höhere Bevölkerungszahl eine grössere Zahl Wirtschaften rechtfertigt.

III.

Aber selbst wenn grundsätzlich auf die Beantwortung der Frage, ob ein Bedürfnis nach einem neuen Hotel vorhanden ist, abgestellt werden dürfte, so könnte im vorliegenden Fall der abweisende Entscheid des Regierungsrates doch nicht geschützt werden.

Vorerst ist festzustellen, dass die Ansicht des Regierungsrates des Kanton Luzern, der Bundesrat sei nicht befugt, die Behauptung des mangelnden Bedürfnisses auf ihrer Richtigkeit nachzuprüfen, unzutreffend ist. Da das Recht der Gewerbefreiheit nur aus tatsächlich unanfechtbaren Gründen beschränkt werden darf, dürfen die zur Wahrung der Gewerbefreiheit kompetenten Bundesbehörden sich nicht weigern, im Bestreitungsfall die Behauptung des mangelnden Bedürfnisses auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen.- Dagegen wird der Bundesrat die Auffassung der kantonalen Regierung, als eine Feststellung tatsächlicher Natur, seinem Entscheid naturgemäss immer dann zugrunde legen, wenn nicht zwingende Gründe dagegen sprechen.

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Im vorliegenden Fall sind die tatsächlichen Verhältnisse derart, dass der Bundesrat die Behauptung, es bestehe in Luzern kein Bedürfnis nach einem neuen Hotel II. Ranges, nicht als richtig anerkennen kann. Es sprechen zwingende Gründe gegen diese Annahme des Regierungsrates.

1. Die Statistik des Logisbureaus ist nicht beweiskräftig.

Dieses Logisbureau wird von Privatpersonen geführt und ist in den Händen einer am Ausgang des Rekurses direkt interessierten Berufsgruppe. Aber selbst wenn man davon, sowie von dem weitern Umstand, dass die dem Logisbureau gemachten Angaben völlig unkontrolliert sind, absehen wollte, könnte auf diese statistischen Erhebungen schon deswegen nicht abgestellt werden, weil sie nur diejenigen Hotels umfassen, die den Mitgliedern des Hoteliervereins gehören, und die Zahl der ausser dem Verbände stehenden Hotels gross genug ist, um die Statistik bedeutend zu beeinflussen.

2. Es ist vom Standpunkt der Bedürfnisse des Fremdenverkehrs aus zu beanstanden, dass auf die Verhältnisse in den einzelnen Quartieren abgestellt werden will. Der Fremde wird bei der Deckung seines Unterkunftsbedürfnisses viel weniger auf das Quartier, als darauf abstellen, dass er eine seine M i t t e l n entsprechende Unterkunft findet. Es darf also nur eine Unterscheidung nach dem Range des Hotels gemacht werden.

3. Ferner ist es unzulässig, mit den D u r c h s c h n i t t s z a h l e n von l Va Monaten der haute saison zu rechnen. Eia Bedürfnis ist offenbar schon dann vorhanden, wenn der Bedarf auch nur während einer Reihe von Tagen nicht oder nur mühsam gedeckt werden kann. Zwar wird man, wie im Falle Weibel (Bundesblatt 1909, IV, 679) ausgeführt wurde, nicht auf ganz ausnahmsweise Verhältnisse (z. B. Feste, ausserordentliche Versammlungen und dergl.) abstellen dürfen ; dagegen muss andererseits verlangt werden, dass ein Fremdenplatz von der Bedeutung Luzerns in der Lage sei, den erfahrungsgemäss jedes Jahr, wenn auch nur während einer Reihe von Tagen, eintretenden erhöhten Bedürfnissen der Unterkunft zu entsprechen, und zwar in einer Weise, dass der Fremde nicht genötigt ist, von Haus zu Haus um ein Bett nachzusuchen, oder wohl gar zusammengehörende Familienmitglieder in verschiedenen Häusern unterzubringen und dergleichen. Auch darf bei der Beurteilung des Bedürfnisses nicht darauf abgestellt werden,
dass alle zu Schlafzimmern irgendwie verwendbaren Räume belegt sein müssen, sondern es ist dabei auf die Anforderungen abzustellen, die n o r m a l e r Weise von den Fremden rücksichtlich befriedigender Unterkunft gestellt werden können.

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4. Endlich fällt ins Gewicht, dass selbst, wenn man die Statistik des Hoteliervereins und des Logisbureaus zugrunde legt, der ausgewiesene Überfluss an Betten anderseits sozusagen vollständig wieder ausgeglichen wird durch die Zahl der kraft erteilter behördlicher Bewilligung (§16 des kantonalen Wirtschaftsgesetzes") in Privathäusern einlogierten Personen. Da doch wohl anzunehmen ist, dass von diesen Bewilligungen erst Gebrauch gemacht wird, wenn die Hotels überfüllt sind, so muss vom Standpunkt der Anforderungen, die von den Fremden billigerweise gestellt werden dürfen, die Frage des Bedürfnises nach vermehrter Zahl der Betten in den Hotels somit selbst bei Zugrundelegung der Statistik des Logisbureaus bejaht werden. Jedenfalls aber kann nicht behauptet werden, dass der angebliche Mangel des Bedürfnisses glaubhaft dargetan sei, was in Anbetracht des Umstandes, dass es sich um die Anwendung einer Ausnahmebestimmung handelt, doch zum mindesten verlangt werden muss.

IV.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beschwerde auch dann gutgeheissen werden müsste, wenn die unter III, Ziff. l--3 der tatsächlichen Feststellungen wiedergegebene Argumentation des Rekurrenten, betreffend rechtsungleiche Behandlung, unstiehhaltig wäre. Es braucht somit auf diese Argumentation nicht eingetreten au werden.

Demgemäss wird erkannt: Der Rekurs wird gutgeheissen und der Regierungsrat des Kantons Luzern eingeladen, dem Rekurrenten das nachgesuchte Hotelpatent zu erteilen.

Bern, den 8. August 1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: L. Forrer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schutzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde von K. Wagner in Luzern betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 8. August 1911.)

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