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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des C. A. Schleiniger in Wohlen gegen den Bundesratsbeschluss vom 25. November 1910, betreuend die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes., (Vom 3. April 1911.)

Tit.

I.

Am 25. November 1910 haben wir in der Beschwerdesache des C. A. S c h l e i n i g e r in Wohlen gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau, der ihm die nachgesuchte Bewilligung zum Betrieb einer Wirtschaft bei der Station Dottikon-Dintikon verweigert hatte, den in der Beilage abgedruckten Beschluss gefasst.

Mit Eingabe vom 26. Januar (der Post übergeben am 28. Januar) 1911 hat der Beschwerdeführer diesen Entscheid, der ihm am 29. November zugestellt worden ist, an Sie weitergezogen und das Begehren gestellt, es sei der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau aufzuheben und die genannte Behörde anzuweisen, ihm ein Patent zum Betrieb einer Speisewirtschaft in seinem beim Bahnhof Dottikon-Dintikon erstellten Hause zu erteilen, unter Aufhebung der an A. Huwyler-Moser erteilten Bewilligung, eventuell neben derselben. Zur Begründung dieses Begehrens beruft sich der Rekurrent auf die in unserm Entscheid vom 25. November 1910 unter III der tatsächlichen Feststellungen wiedergegebenen Anbringen. Er führt dabei namentlich des.

'990 längern aus, dass im Entscheid des Regierungsrates vom 12. Mai 1909 die Bedilrfnisfrage mit Unrecht verneint worden sei. Die .genannte Behörde habe später selbst eingesehen, dass die Bedürfnisfrage schon vor der Inbetriebsetzung der Fabrik Bally entschieden werden könnte. Sie hätte daher ohne weiteres dem Rekurrenten, als dem ersten Bewerber, das Patent erteilen sollen.

Ihr gegenteiliges Verhalten involviere eine rechtsungleiche Be.handlung.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt in seiner Eingabe vom 17. Februar 1911 die Abweisung der Beschwerde, indem er sich auf die in unserm Entscheid vom 25. November 1910 unter IV wiedergegebenen Argumente beruft. Als neuen, d. h. in seiner Rekursantwort an den Bundesrat nicht angeführten Patentverweigerungsgrund, macht der Regierungsrat weiterhin geltend: Wie der vom schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement angeordnete Augenschein ergeben habe, würde sich ·der Ausschank im Gebäude des Rekurrenten auf zwei Zimmer verteilen, von denen das eine eine Bodenfläche von 6,95><4,9o = 34,055 m2 und das andere eine solche von 4,g><4,9 = 24,oi m 2 aufweise. Die Vollziehungsverordnung zum aargauischen Gesetz über das Wirtschaftswesen und den Handel mit geistigen Getränken vom 2. März 1903 bestimme aber in § 7, lit. a: ,,Die : Bodenfläche eines Wirtschaftslokales muss mindestens 35 m2 und die eines Tanzlokales mindestens 60 m 2 halten..a Die Abweisung des Patentgesuches des Rekurrenten erweise sich daher auch von diesem Gesichtspunkte aus als begründet.

II.

Da 'die Rekurseingabe an Ihre hohe Versammlung sich im ·wesentlichen darauf beschränkt, die bereits in der Eingabe an den Bandesrat enthaltenen Ausführungen zu wiederholen, und 'wir diese Argumentation bereits in unserm Entscheid vom 25. November 1910 in eingehender Weise widerlegt haben, so können wir uns im allgemeinen darauf beschränken, Sie auf die rechtlichen Erwägungen des angefochtenen Entscheides zu verweisen. Wir begnügen uns damit, nochmals hervorzuheben, dass ·die Bundesbehörden die Frage, ob der Regierungsrat am 12. Mai 1909 mit Unrecht behauptete, es könne die Bedürfnisfrage zurzeit ·nicht als abgeklärt gelten, nicht zu prüfen haben, da gegen jenen Entscheid innert nützlicher Frist nicht rekurriert worden ist. Die 'Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob der Entscheid des JRegierungsrates vom 11. Februar 1910 eine rechtsungleiche Be-

991 handlang des Rekurrenten bedeutet. Wir haben in den rechtlichen Erwägungen unseres Beschlusses vom 25. November 1910 des nähern ausgeführt, dass das nicht der Fall ist. Nachdem die kantonalen Instanzen nachträglich zur Überzeugung gelangt waren, dass die Bedürfnisfrage schon vor Beendigung des Baues der Fabrik Bally als abgeklärt gelten könne, haben sie bei der Patenterteilung auch das durch den frühern Beschluss abgewiesene Gesuch des Rekurrenten mitberücksichtigt, d. h. sie haben den Rekurrenten in die rechtliche Stellung eingesetzt, in der er sich befunden hätte, wenn der frühere -- vom Rekurrenten als unrichtig bezeichnete -- Beschluss gar nicht erfolgt wäre. In Wirklichkeit beschwert sich denn ja auch der Rekurrent nicht über die ungleiche, sondern über die Gleichbehandlung mit den ändern Patentbewerbern, d. h. darüber, dass er, trotzdem er als erster um die Bewilligung nachgesucht hatte, mit den ändern Bewerbern auf gleiche Linie gestellt wurde. Die Rechtsgleichheit verlangt nun aber keineswegs, dass die Gesuche nach dem Datum der Anmeldung berücksichtigt werden, sondern nur, dass vernünftige und sachliche Grundsätze befolgt werden, was im vorliegenden Fall geschehen ist. (Vgl. auch Burckhardt, Kommentar zur B. V., Seite 298.)

Wir beehren uns daher, Ihnen zu beantragen, Sie wollen die Beschwerde des C. A. Schleiniger als unbegründet abweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den S.April

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schatzmann.

l Beilage.

ßundesblatt. 63. Jahrg. Bd. II.

64

992 Seilage.

Bnndesratsbeschluss über die

Beschwerde von C. A. Schleiniger in Wohlen betreffend Verweigerung einer Wirtschaftshewilligung.

(Vom 25. November 1910.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde von C. A. S c h l e i n i g e r in Wohlen betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, f o l g e n d e n Besehluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 8. Februar 1909 hat C. A. Schleiniger in Wohlen bei der Finanzdirektion des Kantons Aargau um die Erteilung einer Wirtschaftsbewilligung nachgesucht. Die Wirtschaft sollte in einem Neubau betrieben werden, den Schleiniger bei der Station DottikonDintikon auf einem Platze, den er am 2. Februar 1909 gekauft hatte, zu errichten beabsichtigte. Neun Tage später, am 17. Februar 1909, stellte Frau Hermine Koch in Villmergen bei der Finanzdirektion das Gesuch, es wolle ihr zum Betrieb einer Wirtschaft in einem ebenfalls bei der Station Dottikon-Dintikon zu errichtenden G-ebäude ein Patent erteilt werden.

Da sowohl der der Frau Hermine Koch gehörige, als auch der von Schleiniger gekaufte Bauplatz im Gemeindebezirk Vili-

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morgen liegen, wurden beide Gesuche dem Bezirksamt Bremgarten und dem Gemeinderat Villmergen zum Bericht überwiesen. Diese beiden Behörden waren übereinstimmend der' Ansicht, dass zurzeit ein Bedürfnis zur Errichtung einer Wirtschaft bei der Station Dottikon-Dintikon noch nicht bestehe., worauf die Finanzdirektion am 3. April 1909 beide Gesuche in einer und derselben Verfügung abwies. Hierauf rekurrierten beide Bewerber mit dem Hinweis darauf, dass die Firma Bally bei der Station DottikonDintikon demnächst eine grosse Fabrik errichten werde, an den Regierungsrat, der jedoch am 12. Mai 1909 beide Gesuche mit der Begründung abwies, dass die Bedürfnisklage nicht als abgeklärt gelten könne, bevor die Fabrik in Betrieb gesetzt sei.

II.

In'der zweiten Hälfte des Monats Mai 1909 wurde mit den Grabarbeiten für den Bau der Fabrik Bally begonnen. Im Laufe des Sommers 1909 suchten dann noch folgende Bewerber bei der Finanzdirektion um die Erteilung von Wirtschaftspatenten für in der Nähe dieser Fabrik zu errichtende Gebäude nach: Frau Ullmann, Josef Schnyder und A. Huwyler-Moser, Weinhändler in Bünzen. In diesen Gesuchen wurde zum Beweise des vorhandenen Bedürfnisses auf das im Bau begriffene grosse Fabriketablissement und auf die ebenfalls im Bau begriffenen Wohnhäuser hingewiesen.

Diese weitern Gesuche, sowie das Fortschreiten der Bauarbeiten für die begonnenen Neubauten veranlassten die Finanzdirektion im Herbst 1909, die Bedürfnisfrage einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Sie lud daher die neuen Wirtschaftsbewerber (mit Ausschluss der Frau Ullmann, die kurz vorher zurückgetreten war), sowie C. A. Schleiniger, dessen Gesuch im Frühjahr 1909 wegen mangelnden Bedürfnisses abgewiesen worden war, auf den 9. Oktober 1909 zu einem Augenschein ein. (Frau Koch, deren Gesuch im Frühjahr 1909 ebenfalls wegen mangelnden Bedürfnisses abgewiesen worden war, fiel ausser Betracht, da sie unterdessen ihren Bauplatz an den neuen Bewerber A. HuwylerMoser verkauft hatte.)

Gestützt auf den eingenommenen Augenschein, sowie auf die Vernehmlassung des Gemeinderates von Villmergen, der sich für Erteilung des Patentes an Huwyler-Moser aussprach, wies die Finanzdirektion am 22. Dezember 1909 die Patentgesuche des J. Schnyder und des C. A. Schleiniger ab, während sie dem A. Huwyler-Moser die Wirtschaftsbewilligung unter der Bedingung zusicherte, dass das Wirtschaftsgebäude gemäss den vorgelegten

994 Plänen erstellt werde. Eine von C. A. Schleiniger gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde wurde vom Regierungsrate des Kantons Aargau am 11. Februar 1910 abgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 19. Februar 1910 mitgeteilt.

m.

Mit Eingabe vom 12. April (der Post übergeben am 13. April) 1910 beschwert sich C. A. Schleiniger beim Bundesrat. Er stellt das Begehren: ,,Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau sei aufzuheben, weil er mit Art. 4 und 31 B. V.

im Widerspruch stehe. Der Regierungsrat bezw. die Finanzdirektion des Kantons Aargau sei zu verhalten, dem Rekurrenten ein Patent zum Betrieb einer jSpeisewirtschaft in seinem beim Bahnhof Dottikon-Dintikon erstellten Hause zu erteilen unter Aufhebung der an A. Huwyler-Moser erteilten Bewilligung, eventuell neben derselben".

Zur Begründung dieses Begehrens wird in der Rekurseingabe vom 12. April und in der Replik vom 15. Juni 1910 im wesentlichen folgendes ausgeführt: In ihrem Entscheid vom 3. April 1909 habe die Finanzdirektion des Kantons Aargau sein Gesuch mit der Begründung abgewiesen, dass die Bedürfnisfrage nicht als abgeklärt gelten könne, bevor die Fabrik Bally in Betrieb gesetzt sei. Der Regierungsrat habe am 12. Mai 1909 diese Auffassung der Finanzdirektion bestätigt. Das habe aber die beiden Behörden nicht gehindert, auf die kurz darauf eingereichten weitern Gesuche hin die Bedürfnisfrage doch vor der Inbetriebsetzung der Fabrik nochmals zu untersuchen und dieselbe zu bejahen. In diesem Vorgehen liege eine rechtsungleiche Behandlung des Rekurrenten, die dadurch nicht aus der Welt geschafft werde, dass die Finanzdirektion bei ihrer Entscheidung vom 22. Dezember 1909 auf das früher abgewiesene Gesuch des Rekurrenten zurückkam und dasselbe materiell behandelte. Gerade in dieser Gleichbehandlung des Gesuches des Rekurrenten mit den später eingereichten Gesuchen liege eine Ungleichheit. Durch ihren Entscheid vom 22. Dezember 1909 habe die Finanzdirektion zugegeben, dass sie sich anlässlich ihres Entscheides vom 3. April 1909 geirrt habe, d. h. dass die Bedürfnisfrage schon vor der Inbetriebsetzung der Fabrik entschieden werden könne und in bejahendem Sinne entschieden werden müsse. Die einzig richtige Konsequenz aus dieser Einsicht wäre die gewesen, den Entscheid vom 3. April 1909 aufzuheben und dem Rekurrenten die nachgesuchte Wirtschaftsbe-

995 willigung zu erteilen. Statt dessen sei die Finanzdirektion auf ihren früheren Entscheid nur in dem Sinne zurückgekommen, dass sie den Rekurrenten mit denjenigen Bewerbern in Konkurrenz treten Hess, die sich nach dem 12. Mai 1909 um Wirtschaftspatente bewarben, in offenkundiger Ausserachtlassung des dem Beschwerdeführer zufolge seiner früher erfolgten Anmeldung zustehenden Prioritätsrechtes.

Übrigens hätte auch bei Nebeneinanderstellung aller Gesuche die Entscheidung richtigerweise zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen müssen. Sein Haus liege, weil näher beim Stationsgebäude, für den Wirtschaftsbetrieb günstiger *als dasjenige des A. Huwyler-Moser.

Endlich wird noch geltend gemacht, dass zur Zeit der Zusicherung der Bewilligung an Huwyler-Moser mit den Arbeiten für die Errichtung des Wirtschaftsgebäudes noch nicht einmal begonnen worden war, während das Gebäude des Rekurrenten damals bereits erstellt war. § 10 des aargauischen Wirtschaftsgesetzes zähle die Bedingungen auf, die hinsichtlich der für den Betrieb der Wirtschaft bestimmten Räumlichkeiten verlangt werden.

§ 11 leg. cit. verlange den Nachweis für das Vorhandensein dieser Erfordernisse. Die von der Finanzdirektion dem A. HuwylerMoser erteilte Zusicherung der Wirtschaftsbewilligung unter der Bedingung, dass das Wirtschaftsgebäude nach Massgabe der vorgelegten Pläne erstellt werden müsse, stehe im direkten Widerspruch mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Sie stehe auch im Widerspruch mit dem Verhalten der Finanzdirektion gegenüber dem Rekurrenten. Der frühere Finanzdirektor Dr. Huber habe nämlich dem Rekurrenten nach der Einreichung seines ersten Gesuches (8. Februar 1909) bedeutet, zuerst müsse das Haus erstellt sein, auf blosse Pläne hin würden keine Wirtschaftsbewilligungen erteilt.

.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt in seinen Eingaben vom 14. Mai und 4. Juli 1910 Abweisung der Beschwerde, indem er zur Begründung des angefochtenen Entscheides im wesentlichen folgendes ausführt: Bald nach dem Entscheid vom 12. Mai 1909 sei mit dem Fabrikbau Bally begonnen worden. Der Bau sei über Erwarten rasch fortgeschritten und gleichzeitig habe man in seiner Umgebung mit der Errichtung mehrerer Privathäuser begonnen. Die Fabrikanlage mit ihren Begleiterscheinungen habe viel grössere

996 Dimensionen angenommen, als der Regierungsrat seinerzeit vorausgesehen habe. Die Verhältnisse hätten sieh vom 12. Mai bis zum 22. Dezember 1909 derart verändert, dass der Entscheid vom 22. Dezember 1909 nicht auf Grund der gleichen tatsächlichen Verhältnisse erfolgt sei wie derjenige vom 12. Mai 1909.

Aus Billigkeitsgründen soi dann die Finanzdirektion auf das Gesuch des Rekurrenten vom 8. Februar 1909 zurückgekommen und habe dasselbe gemeinsam mit den neuen Gesuchen behandelt. Die Bevorzugung des Gesuches von A. Huwyler-Moser sei sachlich durchaus begründet. Die Lage des Hauses von Huwyler-Moser sei günstiger, da "es näher an der Verbiudungsstrasse DottikonDintikon, näher bei der Fabrik und näher bei den Privathäusern liege, die infolge des Fabrikbaues bereits errichtet wurden und voraussichtlich noch errichtet werden. Der Fabrikbau sei von allen Bewerbern, auch von Rekurrenten, als Grund für die Errichtung der Wirtschaft angegeben worden. Die günstigere Lage hinsichtlich dieser Gebäulichkeiten habe daher in erster Linie in Betracht zu fallen. Zudem eigneten sich die Lokalitäten des Huwylerschen Hauses besser zum Betrieb einer Wirtschaft. Die Lokalitäten des Hauses Schleiniger seien für einen grössern richtigen Wirtschaftsbetrieb zu klein. Es wäre verkehrt, wenn die Behörden -- wie der Rekurrent es verlange -- an Stelle der sachlichen Gründe die zeitliche Priorität des Gesuches entscheiden Hessen.

Die Patentzusicherung auf Grund von Plänen sei durch die Praxis längst sanktioniert. Namentlich sei seit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Wirtschaftsgesetzes (1. Juli 1903) die Praxis ohne Ausnahme die gewesen, dass auch auf Planvorlagen hin Patentzusicherungen erteilt wurden. Das Patent selbst werde immer erst erteilt, wenn das Haus fertig erstellt sei und sich die Behörden davon überzeugen können, dass es nach Massgabe der vorgelegten Pläne eingerichtet wurde. Die Patentzusicherung auf eingereichte Pläne hin habe sich als ein unumgängliches Bedürfnis erwiesen. Sie sei nicht bundesverfassungswidrig und werde auch durch das kantonale Wirtschaftsgesetz nicht ausgeschlossen. Wenn der Rekurrent schon nach der Einreichung seines ersten Gesuches (8. Februar 1909) mit dem Bau seines Hauses begann und denselben trotz der am 3. April 1909 erfolgten Abweisung seines Gesuches fortsetzte, so habe er das
offenbar nur getan, um einen Druck auf die Behörden auszuüben. Es sei unrichtig, dass der frühere Finanzdirektor Dr. Huber sich zum Rekurrenten dahin geäussert habe, es müsse zuerst das Haus da sein, auf blosse Pläne hin werde keine Bewilligung erteilt.

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Der vom schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement angeordnete Augenschein hat in tatsächlicher Beziehung folgendes ergeben : Die Häuser Schleiniger und Huwyler sind, wie schon aus dem Plan ersichtlich ist, zirka 60 Meter voneinander entfernt. Das Haus Schleiniger liegt ziemlich gerade gegenüber dem Stationsgebäude (Aufnahmegebäude) der Station Dottikon-Dintikon, zirka 120 Meter abseits der Strasse, die die Gemeinden Dottikon und Dintikon miteinander verbindet. Das Haus Huwyler-Moser liegt ebenfalls an der Zufahrtsstrasse zum Stationsgebäude, ist aber zirka 30 Meter weiter von letzterem entfernt als das Haus Schleiniger.

Dafür liegt es aber zirka 60 Meter näher an der Verbindungsstrasse Dottikon-Dintikon als das Haus Schleiniger. Indessen ist der Besuch, den die Wirtschaft vom durchgehenden Verkehr Dintikon-Dottikon und vice-versa zu erwarten hat, offenbar sehr gering anzuschlagen, jedenfalls geringer als der Besuch, der aus dem Verkehr dieser beiden Gemeinden einerseits und dem Bahnhof anderseits resultiert. Für diesen letzteren Verkehr liegt aber das Gebäude des Rekurrenten günstiger.

Am meisten Zuspruch hat aber die Wirtschaft offenbar aus der ganz nahe beim Bahnhof, an der Strasse nach Dottikon, erbauten grossen Schuhfabrik Bally und den in Verbindung mit dieser Fabrik in deren Nähe entstehenden Wohnhäusern zu erwarten.

Bereits sind mehrere solcher Wohnhäuser erbaut. Für den aus der Entstehung dieser grossen Fabrik mit ihren Begleiterscheinungen resultierenden Besuch liegt nun aber das Haus Huwyler-Moser, weil etwas näher, günstiger.

Hinsichtlich der Beschaffenheit der Wirtschaftslokalitäten hat der Augenschein folgendes ergeben: Das zum öffentlichen Ausschank bestimmte Lokal hat im Hause Huwyler-Moser folgende Dimensionen: Länge 12,35, Breite 5,g6 und Höhe 8,47 Meter. Das ergibt einen Kubikinhalt von 229,87 Kubikmetern. Im Hause Schleiniger würde sich der Ausschank auf 2 ineinandergehende Zimmer verteilen, von denen das eine einen Kubikinhalt von 107,27 (6,95 X 4,90 X 3,iö) und das andere einen solchen von 75,es (4,90 X 4,9o X 3,15) Kubikmeter aufweist.

Das macht für beide Zimmer zusammen 182,9 Kubikmeter.

Abgesehen von den oben beschriebenen Räumlichkeiten befindet sich in beiden Häusern neben den Wirtschaftslokalitäten

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noch ein weiteres Zimmer, das offenbar bestimmten Veranstaltungen, Gesellschaften und dergleichen zu dienen bestimmt ist. Hinsichtlich dieser Zimmer besteht kein wesentlicher Unterschied.

Die bestehenden hygienischen Einrichtungen der beiden Häuser sind als gleichwertig zu bezeichnen.

VI.

§ 11 des aargauischen Gesetzes über das Wirtschaftswesen und den Handel mit geistigen Getränken lautet: ,,Der Nachweis über das Vorhandensein der gesetzlichen Erfordernisse für den Betrieb einer Wirtschaft geschieht durch ein Zeugnis des Gemeinderates derjenigen Gemeinde, für die das Patent nachgesucht wird. Wohnt der Bewerber nicht ununterbrochen zwei Jahre in der Gemeinde, so muss ein Leumundszeugnis auch vom Gemeinderat des vorherigen Wohnortes beigebracht werden."

,,Über die Beschaffenheit der für den Wirtschaftsbetrieb bestimmten Räumlichkeiten ist dem Gesuche ein Plan, sowie ein einlässliches Gutachten des Gemeinderates beizufügen.tt

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Vorerst muss bemerkt werden, dass dem Begehren des Rekurrenten, es sei die an Huwyler-Moser erteilte Wirtschaftsbewilligung aufzuheben, selbst dann nicht entsprochen werden könnte, wenn der Rekurs prinzipiell gutgeheissen würde. Die Kognition des Bundesrates beschränkt sich darauf, auf Beschwerde hin zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer dadurch, dass i h m die nachgesuchte Wirtschaftsbewilligung v e r w e i g e r t wird, in dem verfassungsmässigen Individualrechte der Handels- und Gewerbefreiheit verletzt wird. Daraus folgt, dass im Falle der Gutheissung des Rekurses der Entscheid nur dahin lauten kann, der Rekurrent sei zur Ausübung des Wirtschaftsgewerbes berechtigt, und die kantonalen Behörden seien pflichtig, ihm ein Wirtschaftspatent auszustellen.

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IL

Der vorliegende Rekurs richtet sich gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 11. Februar 1910, nicht auch gegen denjenigen vom 12. Mai 1909. Der Bundesrat hat daher die Frage, ob der Regierungsrat in seinem Beschluss vom 12. Mai 1909 mit Unrecht behauptete, es liege kein Bedürfnis zur Eröffnung einer Wirtschaft bei der Station DottikonDintikon vor, nicht zu prüfen. Seine Untersuchung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob der Beschluss des Regierungsrates vom 11. Februar 1910, der dem A. Huwyler-Moser eine Wirtschaftsbewilligung zusichert, während der Rekurrent mit seinem Begehren abgewiesen wird, eine rechtsungleiche Behandlung des Rekurrenten und daher eine Verletzung der Art. 31 und 4 der Bundesverfassung bedeutet.

m.

Der Rekurrent erblickt eine rechtsungleiche Behandlung einmal in dem Umstände, dass die Finanzdirektion und der Regierungsrat vor der Inbetriebsetzung der Fabrik Bally die Bedürfnisfrage nochmals geprüft und in bejahendem Sinne entschieden haben, trotzdem diese Behörden am 3. April beziehungsweise 12. Mai 1909 die Abweisung des Gesuches des Rekurrenten damit begründet hatten, dass die Bedürfnisfrage nicht als abgeklärt gelten könne, d. h. jedenfalls nicht bejaht werden könne, bis die Fabrik Bally in Betrieb gesetzt sei. Es ist dem Rekurrenten zuzugeben, dass dieses Vorgehen dann eine rechtsungleiche Behandlung in sich schlösse, wenn diese abermalige Prüfung der Bedürfnisfrage in Ausserachtlassung seines am 12. Mai 1909 abgewiesenen Gesuches durchgeführt und zugunsten des A. HuwylerMoser entschieden worden wäre. Das ist aber nicht geschehen.

Die Finanzdirektion hat, nachdem sie zur Überzeugung gekommen war, dass der früher eingenommene Standpunkt mit der Entwicklung der Verhältnisse in Dottikon-Dintikon unvereinbar sei, d. h. dass die Bedürfnisfrage schon vor der Inbetriebsetzung der Fabrik bejaht werden müsse, nicht nur die im Laufe des Sommers eingelangten Gesuche, sondern auch das am 3. April beziehungsweise 12. Mai 1909 abgewiesene Gesuch des Rekurrenten, unter Zugrundelegung der unterdessen eingetretenen veränderten Verhältnisse, abermals geprüft und darüber materiell entschieden.

Die "rechtliche Stellung des Rekurrenten ist also infolge dieses Vorgehens keineswegs verschlechtert worden. Das Resultat der

1000 Prüfung wäre für ihn jedenfalls nicht günstiger ausgefallen, wenn die Finanzdirektion zugewartet hätte, bis die Fabrik in Betrieb gesetzt wird. Denn auch diese spätere Prüfung hätte sich nicht auf das Gesuch des Rekurrenten beschränkt, sondern sie hätte sich ebenfalls auf die inzwischen eingelaufenen weitern Gesuche erstrecken müssen.

IV.

Auch darin, dass die kantonalen Behörden nicht auf die zeitliche Priorität des Gesuches des Rekurrenten abstellten, kann eine Verletzung der Bundesverfassung nicht erblickt werden. Die Rechtsgleichheit verlangt nicht, dass die Gesuche nach dem Datum ihrer Einreichung zu berücksichtigen seien, sondern nur, dass vernünftige und sachliche, nicht nur für den konkreten Fall aufgestellte Grundsätze befolgt werden. Im vorliegenden Fall hat sich der Regierungsrat des Kantons Aargau in erster Linie auf die günstigere Lage des Huwylerschen Hauses berufen. Wie der Augenschein ergeben hat, liegt nun in der Tat das Haus Huwyler für den aus der E n t s t e h u n g der grossen Fabrik mit ihren Begleiterscheinungen zu erwartenden B e s u c h günstiger. Und da von allen Bewerbern, auch vorn Rekurrenten, gerade der Bau dieser Fabrik als Motiv für die Eröffnung einer Wirtschaft bei der Station Dottikon-Dintikon angegeben wurde, hat der Bundesrat keine Veranlassung, die tatsächliche Feststellung des Regierungsrates, das Haus Huwyler liege für den beabsichtigten Wirtschaftsbetrieb günstiger, als unrichtig zu beanstanden.

Dass die kantonalen Behörden in der Regel nicht auf die günstigere Lage des Gebäudes, sondern auf das Datum der Anmeldung abstellen, hat der Rekurrent selbst nicht behauptet.

V.

Die Zusicherung von Wirtschaftspatenten auf Grund vorgelegter Pläne ist an sich nicht bundesverfassungswidrig. Dieses Vorgehen könnte nur dann als willkürlich und daher verfassungswidrig beanstandet werden, wenn es gegen den klaren Wortlaut des kantonalen Wirtschaftsgesetzes verstossen oder nur ausnahmsweise zugunsten bestimmter Personen gehandhabt oder zu ungunsten bestimmter Personen nicht gchandhabt würde.

Im vorliegenden Fall kann nun nicht behauptet werden, dass dieses Verfahren, das nach den Mitteilungen des Regierungsrates im Kanton Aargau seit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen

1001 Wirtschaftsgesetzes (1. Juli 1903) ohne Ausnahme gehandhabt wird, gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes verstosse. Die Behauptung des Rekurrenten, die Zusicherung von Wirtschaftsbewilligungen auf Grund eingereichter Pläne sei durch das kantonale Wirtschaftsgesetz direkt ausgeschlossen, steht zudem im Widerspruch mit dessen eigenem Verhalten. Zur Zeit, als der Rekurrent sein Gesuch einreichte (8. Februar 1909), hatte er mit dem Bau seines Hauses noch nicht begonnen.

Der Rekurrent hat für die vom Regierungsrat bestrittene Behauptung, der frühere Finanzdirektor Dr. Huber habe ihm eröffnet, dass seinem Gesuche nicht entsprochen werden könne, so lange das Haus nicht dastehe, keinen Beweis erbracht. Es darf zudem bemerkt werden, dass die erstmalige Behandlung des Gesuches durch die Finanzdirektion und den Regierungsrat (vgl.

Ziffer I der tatsächlichen Feststellungen) keinerlei Anhaltspunkte für diese Behauptung bietet. Im Gegenteil. Das Gesuch wurde, trotzdem mit der Errichtung des Gebäudes noch nicht einmal begonnen worden war, zur Vernehmlassung an das Bezirksamt Bremgarten und an den Gemeinderat von Villmergen überwiesen.

Und anlässlich der abweisenden Erledigung des Gesuches (am 3. April und 12. Mai 1909) wird der Umstand, dass das Haus noch nicht erstellt sei, mit keinem Worte gerügt.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 25. November 1910.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, D'er B u n d e s p r ä s i d e n t :

Comtesse.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des C. A.

Schleiniger in Wohlen gegen den Bundesratsbeschluss vom 25. November 1910, betreffend die Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 3. April 1911.)

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12.04.1911

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989-1001

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