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Schweizerisches Bundesblatt.

63. Jahrgang.

IV.

As 36

6. September 1911,

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 10 Franken Einrückungsgebühr per Zeile oder deren Raum 15 Ep. -- Inserate franko an die Expedition.

Druck und Expedition der Buchdruckerei Stämpfli & die. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem mit der Gotthardbahn-Gesellschaft in Liquidation abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich betreffend Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn.

(Vom 29. August 1911.)

Tit.

I.

Nachdem der Bundesrat mit Sehreiben vom 26. Februar 1904 in Ausführung von Art. 2 des Eisenbahnrückkaufsgesetzes vom 15. Oktober 1897 der Gotthardbahn-Gesellschaft den Rückkauf ihrer Bahn auf den 1. Mai 1909 als dem nächsten und zugleich ersten konzessionsmässigen Rückkaufstermine angekündigt hatte, sind vom Eisenbahndepartement unverzüglich Unterhandlungen, die eine ziffermässige Feststellung des konzessionsmässigen Reinertrages in der für den Rückkauf massgebenden zehnjährigen Rechnungsperiode (1. Mai 1894 bis 30. April 1904) bezweckten, mit genannter Gesellschaft eingeleitet worden.

Für die Grundsätze, nach denen die konzessionsmässigen Reinertragsrechnungen zu erstellen waren, d. h. über die Frage, welche Kategorien von Einnahmen und Ausgaben in die konzessionsmässigen Ertragsrechnungen aufgenommen werden durften und aufgenommen werden mussten, und welche Einnahmen- und Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. IV.

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Ausgabeposten hiervon auszuschliessen seien, waren die bundesgerichtlichen Rekursentscheide vom 18./21. Januar 1899 in Sachen der Schweiz. Centralbahngesellschaft und vom 25. Juni 190Î in Sachen der Gotthardbahngesellschaft, sowie ein mit letzterer Gesellschaft abgeschlossener Prozessvergleich massgebend.

Wiewohl damit die grundsätzlichen Gesichtspunkte, nach denen die Reinertragsausweise zu erstellen waren, feststanden,, stellten sich bei der Auslegung und Anwendung dieser Grundsätze doch verschiedene Divergenzen ein und in noch vermehrtem' Masse ergaben sich Differenzen bei der Prüfung und ziffermässigen Feststellung der ausserordentlich zahlreichen Rechnungsposten, aus denen sich die Ertragsrechnungen zusammensetzten..

Eine weitere Schwierigkeit, die sich der Erstellung der Ertragsrechnungen anfänglich entgegenstellte, bestand darin, dass.

man über die Höhe der Erneuerungsfondseinlagen sowie der zulässigen Entnahmen aus diesem Fonds noch während längerer Zeit nicht orientiert war. Zwar hatte der Bundesrat die Normen für die von den Hauptbahnen nach Massgabe des Rechnungsgesetzes zu machenden jährlichen Erneuerungsfondseinlagen, sowie für die Erneuerungsfondsentnahmen bereits durch Beschluss vom 12. Juni 1899 festgesetzt. Allein die beteiligten Bahn Verwaltungen haben gegen diesen Beschluss den Rekurs an das Bundesgericht, ergriffen und erst Ende 1905 oder fast 2 Jahre nach der an die Gotthardbahn-Gesellschaft erfolgten Rückkaufsankündigung konnten die Normen für die rechnerische Behandlung des Erneuerungsfonds in den Reinertragsrechnungen gestützt auf ein im Oktober 1905 erschienenes sehr einlässliches Expertengutachten mit der Gotthardbahngesellschaft auf dem Vergleichswege festgelegt werden,, nachdem die übrigen Hauptbahnen inzwischen bereits freihändig erworben und deren Rekurse daher längst gegenstandslos geworden waren. Die ziffermässige Feststellung der ErneuerungsfondsEinlagen und -Entnahmen für die einzelnen Jahre der massgebenden Rechnungsperiode war dann zwar nicht mehr eine schwierige, aber immerhin eine zeitraubende Arbeit.

Die Verhandlungen zwischen dem Departement und der Bahnverwaltung über die Ertragsrechnungen nahmen volle 4 Jahre in Anspruch. Eine grosse Zahl von Differenzen konnte dabei erledigt werden ; aber in bezug auf viele und zum Teil ziemlich wichtige Differenzen
gelang eine Verständigung nicht und sie1 bildeten in der Folge ebenfalls Gegenstand des angestrengten Prozesses. Nach den Berechnungen der Gotthardbahn belief sich

65 der Reinertrag der massgebenden 10 Jahre auf Fr. 86,335,234 während das Departement nur einen Betrag anerkennen konnte von ,, 83,662,915 Die daherige Differenz betrug daher . . . .

oder in bezug auf den kapitalisierten Reinertrag als Basis der Rückkaufsentschädigung . . .

Fr. 2,672,319 ,,

6,680,797

Über die einzelnen Posten, welche dieser Differenz zugrunde lagen, und über die beiderseitigen Standpunkte, die vom Departement und von der Gesellschaft vertreten wurden, geben die beiliegenden Prozesschriften allen wünschbaren Aufschluss.

Wiewohl diese Differenz eine relativ beträchtliche war, so wäre sie einem freihändigen Rückkaufe nicht hindernd im Wege gestanden. Denn schon anlässlich gemeinsamer Konferenzen, die auf unsere Veranlassung am 29./30. Januar und dann am 19./20. Februar 1908 zwischen den Delegationen des Bundesrates und der Gesellschaft stattgefunden haben, hatte man eine .ungefähre Teilung dieser Differenz und eine Fixierung des zehnjährigen Reinertrages auf einen runden Betrag von 85 Millionen Franken in Aussicht genommen für den Fall, dass auf der ganzen Linie eine Verständigung erzielt werden könne.

Allein schon bei diesen mehrtägigen Verhandlungen stellte es sich heraus, dass Differenzen ganz anderer Art und von ungleich grösserer'Bedeuttmg hinsichtlich der finanziellen Gestaltung des Rückkaufes sich einstellten und dass in bezug auf dieselben alle Verständigungsversuche durchaus nutzlos waren.

Die bundesrätliche Delegation stellte sich auf den Standpunkt, dass es nicht genüge, die auf Grund des aufgestellten Regulativs erforderlichen jährlichen Erneuerungsfondseinlagen in die Ausgaben der Reinertragsrechnungen einzustellen, sondern dass der Bund auch Anspruch habe auf die Übergabe des ErneuerungsfondsSollbestandes, oder auf Abzug desselben, soweit der Erneuerungsfonds nicht getrennt verwaltet und angelegt worden sei; wie denn auch bei der Verstaatlichung der ändern Hauptbahnen der Abzug des Erneuerungsfonds von allen Bahnverwaltungen, wenn auch in reduziertem Umfange, grundsätzlich zugestanden worden war; die Verwaltung der Gotthardbahn verhielt sich diesem Begehren gegenüber bei allen Verhandlungen grundsätzlich und im ganzen Umfange ablehnend.

Die bundesrätliche Delegation war ferner der Auffassung, dass die konzessionsmässige Vorschrift über den ,,vollkommen

66 befriedigenden Zustand" den Bund nicht nur in bezug auf die qualitativen Mängel der vorhandenen Anlagen und Einrichtungen zu entsprechenden Abzügen berechtige, sondern dass jenes Requisit auch Anwendung zu finden habe auf diejenigen Eigenschaften der Anlagen und Betriebseinrichtungen, von denen die Sicherheit des Betriebes und die Leistungsfähigkeit der Bahn als Transportanstalt im Zeitpunkte des Überganges derselben abhängt, mit ändern Worten, dass der Bund auch Anspruch darauf habe, dass die für den Betrieb bestimmten Anlagen und Einrichtungen im Zeitpunkte des Rückkaufs in ausreichendem, den Bedürfnissen des Verkehrs und Betriebes entsprechenden Umfange und Bestände vorhanden seien, und dass, soweit nach dieser Richtung Anlagen oder Einrichtungen fehlten, wie z. B. Doppelgeleise, oder ungenügend waren, wie Bahnhof- und Stationsanlagen, dies den Bund zu einem entsprechenden Abzüge berechtige. Die Verwaltung der Gesellschaft verhielt sich auch diesem Ansprüche gegenüber grundsätzlich ablehnend, und nur eventuell, für den Fall einer allgemeinen Verständigung, wollte sie unter Ablehnung jeglicher rechtlicher Verpflichtung auf dem Vergleichswege einen Abzug zugestehen, der in quantitativer Hinsicht nur einen ganz geringen Prozentsatz dessen ausmachte, was von den technischen Organen der Bundes- und Bundesbahnenverwaltung übereinstimmend als unerlässlich bezeichnet worden ist.

Endlich hatten die versicherungstechnischen Organe der Bundesbahnverwaltung, mit Rücksicht auf die bei den Bundesbahnen gemachten Erfahrungen, ausgerechnet, dass die per Ende 1904 abgeschlossene Bilanz der Pensions- und Hülfskasse für die Beamten und Angestellten der Gotthardbahn, die zunächst einen Aktivenüberschuss von über Fr. 300,000 erzeigte, -- der sich dann allerdings infolge einer von der Gotthardbahnverwaltung selbst vorgenommenen Berichtigung in ein Defizit von rund Pr. 46,000 verwandelte --, bei Anwendung richtiger versicherungstechuischer Grundsätze in Wirklichkeit ein mehrere Millionen Franken betragendes Defizit aufweise. Die Gotthardbahnverwaltung anerkannte allerdings die Pflicht, ein allfällig vorhandenes Defizit zu decken, allein ganz entschieden bestritt sie das Vorhnadensein eines Defizites bezw. eines grössern Fehlbetrages, als sie in ihrer bereinigten Bilanz ausgerechnet hatte.

Die Gesellschaft der
Gotthardbahn verlangte demnach vor allem die Anerkennung und Bezahlung des von ihr ausgerechneten kapitalisierten Reinertrages von Fr. 215,838,085, den sie allerdings unter der oben angegebenen Voraussetzung auf Fr. 212,500,000

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reduzieren wollte, und widersetzte sich allen Abzugsbegehren des Bundes. Allein damit begnügte sie sich nicht, sondern über den kapitalisierten Reinertrag hinaus verlangte sie noch Ersatz ihrer Aufwendungen für Erstellung des zweiten Geleises auf der Strecke Immensee-Brunnen, sowie für alle baulichen AWagen und Anschaffungen, die sie seit der Rückkaufsankündigung bis zum Zeitpunkte des Überganges der Bahn an den Bund gemacht habe oder noch machen werde. Diese weitern Forderungen bezifferte sie in der Folge auf einen Betrag von Fr. 8,476,973.

II.

Angesichts der ganz bedeutenden Differenzen wurden weitere Verhandlungen beiderseits vorläufig als zweck- und aussichtslos bezeichnet, und die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens war nicht zu vermeiden. Beidseitig gab man der Hoffnung Ausdruck, dass man sich im Laufe des Prozesses schliesslich doch noch einigen und dass die Begründung und Beleuchtung der beiderseitigen Standpunkte und Auffassungen in den Prozesschriften zur Abklärung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse wesentlich beitragen werde.

Am 5. Mai 1908 leitete die Gotthardbahngesellschaft beim Bundesgerichte Klage ein. Unter Vorbehalt ihres Nachforderungsrechtes für die vom 1. Januar 1908 bis 30. April 1909 erfolgten und erfolgenden, auf Baukonto zu verrechnenden, Verwendungen, sowie für Projektierungskosten für das zweite Geleise Giubiasco-Chiasso, verlangte sie die Festsetzung der Entschädigung für Erwerbung der konzessionsmässigen Rückkaufsobjekte auf Fr. 222,337.026 (diese Forderung wurde in der Folge gestützt auf den Nachforderungsvorbehalt erhöht auf Fr. 224,315,058) und Zahlung dieser Summe in bar am Tage des Überganges der Bahn an den Bund, eventuell einen Verzugszins zu 5°/o von diesem Tage an.

. Mit Rücksicht auf die konzessionsmässige Bestimmung, dass mit dem Rückkauf dei1 Bahn gegen die konzessionsmässige Entschädigung auch die zur Bahn gehörenden Vorräte auf den Bund übergehen, erklärte sieh die Gesellschaft bereit, von den ihrer Art nach zum Rückkaufsobjekte gehörenden Vorräten ein einem durchschnittlichen Verbrauche von 6 Wochen entsprechendes Quantum unentgeltlich abzutreten, wogegen ein vorhandener Überschuss zu den Tagespreisen vom 1. Mai 1909 zu bezahlen sei.

Wir haben die Führung des Rechtsstreites Herrn Advokat Dr. P. Scherrer in Basel übertragen. Er hat sich des ihm an ver-

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trauten Mandates mit ausserordentlicher Hingebung und mit Auszeichnung entledigt.

In seiner Antwort vom 17. Oktober 1908 stellte der bevollmächtigte Anwalt des Bundesrates in der Hauptsache folgende Rechtsbegehren : 1. Es sei festzustellen, dass der der Rückkaufsentschädigung zugrunde zu legende 25fache Wert des durchschnittlichen konzessionsmässigen Reinertrages der massgebenden Rechnungsdekade Fr. 209,157,287 beträgt.

2. Es sei festzustellen, dass von der auf Grund des Reinertrages ermittelten Rückkaufssumme in Abzug zu bringen sind : a. der den Vorschriften des Rechnungsgesetzes entsprechende Sollbestand des Erneuerungsfonds per Ende April 1909 ; b. als Minderwert der im Erneuerungsfonds nicht berücksichtigten Anlagen ein Betrag von Fr. 4,260,000, eventuell eine vom Bundesgerichte festzusetzende Summe; c. der Betrag der Baukosten, deren Aufwendung erforderlich ist, um die Bahnanlagen auf den Zeitpunkt des Überganges an den Bund in vollkommen befriedigenden Zustand zu stellen.

3. Die Klägerin sei grundsätzlich anzuhalten, den Betrag eines von den zuständigen Behörden auf den 30. April 1909 festzustellenden Defizits in der Bilanz der Hülfskasse für die Beamten und ständigen Angestellten der Gotthardbahn zu decken und soweit dies nicht geschehen sollte, sei die Beklagte berechtigt zu erklären, den daherigen Fehlbetrag für Rechnung der genannten Hülfskasse von der Rückkaufsentschädigung in Abzug zu bringen.

4. Die Klägerin sei anzuhalten, mit der Bahn Materialvorräte für einen dreimonatlichen Verbrauch im Werte von rund 2 Millionen Franken unentgeltlich an den Bund abzutreten.

5. Als Entschädigung für die erst später erfolgende Zahlung der Rückkaufssumme sei der Klägerin mit Wirkung vom 1. Mai 1909 an eine angemessene Zinsvergütung zuzuerkennen, die den für gute Anlagen erhältlichen Zinsfuss nicht überschreiten soll.

6. Die weitergehenden Begehren und Forderungen der Klage seien abzuweisen.

m.

Die beiderseitigen Begehren und Anträge wurden in einem mehrmaligen Schriftenwechsel, der immer grössere Dimensionen

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annahm, des Einlässlichsten begründet. Indem wir auf die betreffenden Prozesschriften in bezug auf alles Nähere verweisen, möchten M'ir doch nicht unterlassen, die Hauptgesichtspunkte, von denen aus die grundverschiedenen Auffassungen und Standpunkte im Prozesse begründet wurden, so kurz als möglich wiederzugeben.

Vorerst aber mögen die Bestimmungen angeführt werden, die für den Rückkauf und die Festsetzung der Rückkaufsent·schädigung massgebend sind. Die hauptsächlichsten Rechtsgrundlagen für den Vollzug des Rückkaufsgeschäftes bilden natürlich auch hier die Konzessionen und die auf die Konzessionen Bezug habenden Bundesbeschlüsse. Sämtliche Konzessionen, mit Ausnahme ·der Bundeskonzession für die Linie Cadenazzo-Pino vom 16. September 1875, datieren aus dem Jahre 1869, d. h. aus einer Zeit, wo das im Jahre 1872 erlassene Bundesgesetz über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft noch nicht bestanden hat, und wo nach Massgabe des damaligen Eisenbahngesetzes vom Jahre 1852 die Konzessionen zunächst von den Kantonen ausgehen mussten, und nur der Genehmigung des Bundes bedurften. Dementsprechend waren von den Kantonen Luzern, Zug, Schwyz, Uri und Tessin die Konzessionen erteilt und es war diesen Konzessionen durch die Bundesbeschlüsse vom 22. Oktober 1869 die Genehmigung erteilt worden.

In diesen Bundesbeschlüssen sind die Bedingungen des Rückkaufs des nähern festgesetzt und zwar im grossen und ganzen in Übereinstimmung mit den Normen, wie sie anfangs der fünfziger Jahre aufgestellt worden, und dann in der Folge bis zum Erlass des Eisenbahngesetzes vom Jahre 1872 allgemein üblich gewesen sind. Immerhin sind gewisse Abweichungen von den damals sonst üblichen Rückkaufsbestimmungen zu konstatieren und zwar in bezug auf die Befristung des Rückkaufsrechtes, auf den Umfang des Rückkaufes und auf die Entschädigungsberechnung : 1. Das Rückkaufsrecht kann zum erstenmal ausgeübt werden mit dem Ablauf des 30. Jahres. Während aber in den ändern Konzessionen diese Frist erst mit der Betriebseröffnung der betreffenden Bahn zu laufen beginnt, ist in den Konzessionen der ·Gotthardbahn bestimmt, dass die Rückkaufsfristen von einem zum voraus bestimmt fixiertem Zeitpunkte, nämlich vom 1. Mai 1879 an zu rechnen sind, auf welchen Zeitpunkt der Bau der schwierigsten und
zeitraubensten Partie der Bahn, der Tunnel Göschenen-Airolo nach den Voraussetzungen des Staats Vertrages vom 15. Oktober 1869 hätte beendigt sein sollen. Die Betriebseröffnung der durch-

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gehenden Gotthardlinie hat dann aber bekanntlich erst auf den i. Juni 1882 oder 37 Monate später erfolgen können, so dass man vor der von ändern Konzessionsverhältnissen abweichenden Tatsache steht, dass die Gotthardbahn im Zeitpunkte der Verstaatlichung nicht 30, sondern nicht einmal volle 27 Jahre im Betriebe gestanden hat. Die Eröffnung der sogenannten Zufahrtslinien Luzern-Immensee und Zug-Goldau ist sogar erst im Juni 1897 erfolgt, so dass diese Linien von der Gotthardbahngesellschaft nicht einmal volle 12 Jahre betrieben werden konnten und auch nur während eines Teils der für die Rückkaufsentschädigung massgebenden Rechnungsperiode im Betriebe gestanden haben.

2. Die Rückkaufsankündigung hat 5 Jahre vor dem Rückkaufstermin zu erfolgen.

3. In bezug auf den Umfang des Rückkaufsgeschäftes ist zu konstatieren, dass ein linienweiser Rückkauf, im Gegensatz z. B. zur frühern Nordostbahn, bei der Gotthardbahn ausgeschlossen ist. Die ganze Gotthardlinie mit Zweig- und Zufahrtsr linien bildet ein einheitliches Rückkaufsobjekt, und der Rückkauf darf nur mittelst Übernahme des Gesamtnetzes ausgeübt werden.

4. Für die Feststellung der Rückkaufsentschädigung ist im Falle der Unmöglichkeit einer Verständigung wie in allen alten Konzessionen ein Schiedsgericht vorgesehen. Diese Bestimmung ist aber durch das Rechnungsgesetz, das in Art. 21 die Entscheidung aller mit dem Rückkauf zusammenhängenden Streitfragen dem Bundesgericht überweist, hinfallig geworden.

; 5. Hinsichtlich der Faktoren für die Feststellung der Rückkaufsentschädigung stellen auch die Konzessionen der Gotthardbahn bezw. die bezüglichen Genehmigungsbeschlüsse in erster Linie ab auf den kapitalisierten Reinertrag, bezw. auf den 25fachen Wert des durchschnittlichen Reinertrages derjenigen 10 Jahre, die dem Zeitpunkte, in welchem der Rückkauf erklärt wird, unmittelbar vorangehen, wobei aber der Betrag des aufgewendeten Anlagekapitals die Minimalentschädigung bildet, auf die die Gesellschaft unter allen Umständen Anspruch hat. In Abweichung von den ändern Konzessionen aus jener Zeit bildet aber nicht das gesamte Anlagekapital, d. h. nicht die gesamten nötig gewordenen Kapitalaufwendungen, das zu leistende Entschädigungsminimum, sondern nur die von der Gesellschaft selbst aufgewendeten Kapitalien, mit Ausschluss somit der von den Staaten bezw. Kantonen und von ändern Bahngesellschaften an den Bau
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nach dem Reinertrag kommt nur der von der Gesellschaft selbst bezogene Reinertrag für die Berechnung in Betracht, nicht aber auch die Gewinnanteile., die nach Massgabe des Staatsvertrages (Art. 18) den Subventionsstaaten von einem allfälligen eine 7 °/» Aktiendividende übersteigenden Gewinnüberschuss zufallen.

6. Die Konzessionen enthalten endlich die bekannte Klausel, dass die Bahn samt Zubehör, in welchem Zeitpunkte auch der Rückkauf erfolgen möge, in einem vollkommen befriedigenden Zustande dem Bunde abzutreten sei und dass, wenn dieser Verpflichtung nicht Genüge getan werde, ein verhältnismässiger Betrag von der Rückkaufssumme in Abzug zu bringen sei.

Ausser auf diese konzessionsmässigen Rückkaufsbestimmungen haben sich beide Parteien, allerdings von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus, auch auf den wiederholt zitierten Staatsvertrag als Rechtsgrundlage für deu Rückkauf berufen. Es wird später zu zeigen sein, nach welchen Richtungen dies geschehen ist.

IV.

Das gesamte auf den Bau der Gotthardbahn Kapital betrug auf Ende April 1900 rund . Fr.

Hiervon sind durch Subventionen gedeckt worden ,, Die eigenen Aufwendungen der Gesellschaft belaufen sich somit auf ,, oder mit Einschluss der Materialvorräte auf rund ,,

aufgewendete 297,000,000 119,000,000 178,000,000 182,000,000

Der kapitalisierte Reinertrag der massgebenden Rechnungsperiode betrug nach den Berechnungen unseres Eisenbahndepartementes über Fr. 209,000,000 (die Gesellschaft kam, wie oben erwähnt, auf einen wesentlich höheren Betrag), so dass also zweifellos der kapitalisierte Reinertrag den für die Berechnung der Rückkaufsentschädigung massgebenden Faktor bilden musste.

V.

Diese allgemeinen Bemerkungen über die für den Rückkauf massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vorausgeschickt, mag über die hauptsächlichsten Differenz- und Streitpunkte, abgesehen von bereits besprochenen Differenzen hinsichtlich des Reinertrages, folgendes angeführt werden :

72 1. Oie über den kapitalisierten Reinertrag hinausgehenden Forderungen der Gotthardbahngesellschaft.

a. Fr. 2,000,000 für das zweite Geleise Immensee-Brunnen.

Durch Beschluss vom 1. Mai 1900 hatte der Bundesrat die Gotthardbahngesellschaft zur Erstellung eines zweiten Geleises auf genannter Strecke auf Grund von Art. 14 des Eisenbahngesetzes angewiesen, und die Gesellschaft hat sich dieser Weisung unter einer Bedingung bezüglich der Bauvollendüngsfrist unterzogen, unter ausdrücklicher Wahrung ihrer Rechtsstellung beim Rückkäufe.

Diese Geleiseanlage wurde auf den 1. Mai 1904 fertig erstellt und dem Betriebe übergeben, also gerade auf den Zeitpunkt, wo die für den Rückkauf massgebende Rechnungsdekade ihren Abschluss gefunden hatte.

Die Kosten der Anlage beliefen sich auf Fr. 3,041,880 und die Gesellschaft stellte sich auf den Standpunkt, dass der Bund als Rückkäufer grundsätzlich verpflichtet sei, ihr diese Baukosten zu ersetzen ; allein angesichts des Umstandes, dass sie die Anlage noch während 5 Jahren benützen konnte, reduzierte sie ihre daherige Forderung auf Fr. 2,000,000 und erklärte, den Rest auf sich nehmen zu wollen.

Zur Begründung ihres Standpunktes berief sie sich auf die Staatsverträge von 1869 und 1878 und die in Ausführung derselben ergangenen Bundesratbeschlüsse, wonach ihr ausdrücklich gestattet worden sei, mit Ausnahme des grossen Tunnels und der Zufahrtslinien Erstfeld-Göschenen und Airolo-Bodio, alle anderen Linien einspurig zu bauen und zu betreiben, ferner auf die vom Bundesrate genehmigten Gesellschaftsstatuten, und endlich auf die Konzessionen selbst, in denen es ihr ausdrücklich freigestellt wurde, diese und auch andere Linien ein- oder zweispurig auszuführen. Die Gesellschaft leitete aus diesen Rechtsakten ein wohlerworbenes Privatrecht auf nur einspurigen Bau und Betrieb dieser Linie ab und behauptete, dass der Bundesratsbeschluss vom 1. Mai 1900 eine Verletzung dieses Privatrechtes bedeute und den Bund schadensersatzpflichtig mache. Im weitern machte sie geltend, dass die Rückkaufsbestimmungen auf der Voraussetzung beruhen, dass die Bahn nur in einem den genannten Rechtsgrundlagen entsprechenden Bestände abgetreten werden müsse, dass demnach das zweite Geleise eine über die konzessionsmässige Verpflichtung hinaus gehende Mehrleistung

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·darstelle, die auch eine besondere Vergütung des daherigen Mehrwertes bedinge, wenn nicht der Bund ungerechtfertigt bereichert werden solle.

Wir konnten die Forderung und deren Begründung nicht anerkennen. Wir machten geltend, dass sich die von der Gesellschaft angezogenen Bestimmungen nur auf das Stadium der erstmaligen Anlage der Bahn beziehen können und dass dieselben nicht auf alle Zeiten und ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Verkehrsund Betriebsverhältnisse B.echt schaffen wollten. Der gegenteilige Standpunkt sei schon unvereinbar mit den anderweitigen Bestimmungen der Staatsverträge und den darauf basierenden Bestimmungen der Bundesratsbeschlüsse vom 3. November 1871 und 4. Juli 1879, wonach der Betrieb der Gotthardbahn in allen Be.ziehungen den Anforderungen entsprechen müsse, die an eine .grosse internationale Durchgangslinie gestellt werden können, und wonach die Gotthardbahn insbesondere verpflichtet ist, eine ,,möglichst regelmässige, bequeme und rasche Beförderung von Personer ·und Gütern einzurichten", was ja alles nur bei einem den Betriebs- und VerkehrsbedUrfnissen folgenden Ausbau und Ausgestaltung der Bahn möglich sei. Die gegenteilige Auffassung würde aber auch mit dem Umstände in Widerspruch geraten, dass ·sowohl in den Konzessionsgenehmigungsbeschlüssen als auch in den Bundesratsbeschlüssen über Bau und Betrieb der Gotthardbahn die Anwendung und genaue Beachtung der Bundesgesetzgebung über Bau und Betrieb der schweizerischen Eisenbahnen ausdrücklich vorbehalten und vorgeschrieben worden sei und dass somit die Befugnis des Bundesrates, unter den in Art. 14 des Eisenbahngesetzes aufgestellten Voraussetzungen zweite Geleiseanlagen zu verlangen, nicht in Frage gestellt werden könne.

i). Fr. 6,476,973 für Verwendungen auf Baukonto vom 1. Mai 1904 bis ~Ende April 1909.

Die Gotthardbahngesellschaft hat im Laufe der 5 Jahre, die zwischen der Rückkaufsaukündigung und dem Rückkaufstermine lagen, für zirka 11,5 Millionen Franken Aufwendungen auf die Bahnanlagen und Einrichtungen gemacht, die gemäss Vorschriften des Rechnungsgesetzes auf Baukonto genommen werden konnten.

Die Gesellschaft hielt sich für grundsätzlich berechtigt, auch Ersatz dieser Auslagen zu verlangen, verzichtete aber von vorneherein auf die Geltendmachung des ganzen Betrages und redu-

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zierte ihre Ersatzforderung auf obgenannte Summe. Sie machte geltend, dass bei einem Rückkaufe nach dem Anlagekapital alle Verwendungen auf Baukonto bis zum Rückkaufstermin vergütet werden müssten und dass, wenn dies bei schlecht rentierenden Bahnen Pflicht des Bundes sei, eine solche Verpflichtung beim Rückkaufe nach dem Reinertrag, d. h. bei gut rentierenden Bahnen erst recht begründet erscheine. Eine Bahngesellschaft könne, vom privatrechticheu Gesichtspunkte aus betrachtet, überhaupt nicht verpflichtet sein, die Bahn in einem grössern und vollkommeneren Umfange und Bestände abzutreten, als er im Zeitpunkte, wo der Bund seinen Willen zum Rückkaufe kundgetan habe, tatsächlich vorhanden war. Ihre Verpflichtung beschränke sich vielmehr auf den guten Unterhalt der bei der Rückkaufsankündigung vorhanden gewesenen Objekte, damit sie dieselben am Rückkaufstermin in dem vorgeschriebenen vollkommen befriedigenden Zustande abtreten könne. Die Übernahme der von ihr in Rechnung gebrachten Bau- und Anschaffungskosten erscheine um so mehr als selbstverständlich, ala dieselben durchwegs Objekte betreffen, deren Bau- und Anschaffung erst durch die nach dem Jahre 1904 eingetretene bedeutende Verkehrsvermehrung nötig geworden sei, und als diese Verkehrsvermehrung in den für die Rückkaufsentschädigung massgebenden Reinertragsrechnungen doch nicht zum Ausdrucke und zur Berücksichtigung gelange.

Der Bundesrat musste auch diese Forderung grundsätzlich und im ganzen Umfange ablehnen, da sie, wenn ihr auch gewisse Billigkeitsgründe nicht abzusprechen sind, mit dem Wortlaute und Inhalte der Konzessionen nicht in Einklang zu bringen ist.

Denn wenn in den Konzessionen bestimmt ist, dass die Bahn samt dem Material, den Gebäulichkeiten und den Vorräten an den Bund übergehen, und wenn andererseits der kapitalisierte Reinertrag der massgebenden Dekade das Maximum der zu leistenden Entschädigung bildet, -so lassen die Konzessionen für derartige Extra- und Mehrforderungen einfach keinen Raum.

Wohl die eigentliche pièce de résistance bildete neben den Abzügen für fehlende und ungenügende Anlagen 2. die Frage des Erneuerungsfonds, d. h. die Frage, ob der Bund als Rückkäufer die Übergabe oder den Abzug des Erneuerungsfonds beanspruchen könne oder nicht.

75 Die alten Konzessionen, die die Rechtsgrundlage für den Rückkauf bilden, kennen den Begriff des Erneuerungsfonds, wie er sich im Laufe der Zeit in der Praxis und in der Geschäftsgebahrung der Eisenbahngesellschaften eingebürgert hat, überhaupt gar nicht. Sie enthalten nur einerseits die Bestimmung, dass, bei Erstellung der für die Rückkaufspreisberechnung massgebenden Ertragsrechnungen, Summen, die auf Abschreibungsrechnung getragen oder einem Reservefonds einverleibt werden, in Abzug zu bringen seien, und andererseits die etwas unbestimmt gehaltene und kautschukartige Vorschrift des zu gewährleistenden vollkommen befriedigenden Zustandes.

Die Institution des Erneuerungsfonds hat sich, wie bereits erwähnt, im Laufe der Zeit bei den Eisenbahnen und ändern Betriebsunternehmungen -- ob auf eigene Initiative der Unternehmungen oder auf obrigkeitliche Verfügungen in Konzessionsurkunden hin, lassen wir dahingestellt -- herausgebildet. Die betreffenden Unternehmungen haben, statt die im Geschäftsleben sonst eher üblichen Abschreibungen, die gewöhnlich auf der Aktivseite der Bilanzen z,um Ausdruck gelangen, auf den einer kontinuierlichen Wertverminderung ausgesetzten Betriebsanlagen vorzunehmen, sog. Erneuierungsfonds angelegt und diese Fonds entsprechend dotiert. Unter der Voraussetzung, dass dem Erneuerungsfonds die der durchschnittlichen jährlichen Wertverminderung entsprechenden Beträge zugewendet werden, kommt das Verfahren materiell vollständig auf dasselbe heraus, wie wenn objektiv richtige Abschreibungen vorgenommen werden ; nur die formelle Behandlung ist eine andere.

Das Abschreibungsverfahren mittelst Erneuerungsfonds mag seine Einführung einem doppelten Zwecke verdanken. Einmal hat man wahrscheinlich angenommen, dass auf diese Weise stets Mittel bereit gehalten werden, um bei eintretenden Bedürfnissen für Erneuerung abgehender Einrichtungen die daherigen Kosten decken zu können. Sodann bietet das Verfahren gegenüber dem Abschreibungsverfahren, wie es sonst üblich ist, den Vorteil, dass die Anschaffungskosten der Betriebsanlagen und Einrichtungen stets in ihrem ursprünglichen Betrage in den Büchern und in der Bilanz figurieren, während nur der unter den Passiven stehende Konto des Erneuerungsfonds variiert, und dass somit das ursprüngliche Anlagekapital und der Gesamtbetrag aller Abschreibungen
immer klar zu überblicken sind. Beide Zwecke können indessen auch durch das Abschreibungsverfahren erreicht werden, indem auch durch Abschreibungen die betreffenden

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Beträge aus den Roheinnahmen gebunden und für beliebige Zwecke verwendbar werden, und indem auch die Abschreibungen durch Einstellung eines entsprechenden Kontos auf der Bilanzpassivseite vorgenommen werden können. Es ist denn auch nicht ausgeschlossen, dass die ganze Institution falschen Begriffen über die daherigen Funktionen und über das ganze Wesen der Abschreibungen ihre Existenz verdankt, indem ältere und neuere Literatur, sowie auch die Praxis von Unternehmungen .und Behörden mancherorts auf eine grosse Konfusion auf diesem Gebiete schliessen lassen.

Wo das Erneuerungsverfahren Anwendung findet, geschieht das bald in Form wirklicher Fondsanlagen in der Weise, dass die daherigen Beträge separat angelegt und verwaltet werden, und so für Erneuerungszwecke jederzeit leicht flüssig gemacht und verwendet werden können, bald aber wird von einer solchen getrennten Anlegung und Verwaltung Umgang genommen ; diezurückgehaltenen Beträge arbeiten unausgeschieden von den übrigen Mitteln im Geschäfte mit, wie dies auch in den meisten Fällen mit dem Reservefonds geschieht, und zur abschlussmässigen Aufhebung der daherigen unausgeschiedenen und nicht in äusserliche Erscheinung tretenden Aktivbeträge figuriert der Sollbestand des Erneuerungsfonds einfach als Passivposten in der Bilanz, analog wie dies in der Regel mit dem Reservefonds und ändern, Rücklagen der Fall ist.

Die Anlage wirklicher, d. h. getrennt verwalteter und angelegter Fonds findet man sehr häufig bei den deutschen, insbesondere preussischen Privatbahnen, denen dieses Verfahren vielfach durch die behördlichen Konzessionsakte ausdrücklich vorgeschrieben ist. Wo solche separat angelegte Fonds existieren, wird dann vielfach den betreffenden Unternehmungen gestattet, Einlagen zu machen, die wesentlich niedriger sind, als die auf den Betriebsanlagen und Einrichtungen jährlich eintretenden Wertverminderungen, die sie ausgleichen sollen. Denn weil die in der Regel in Wertschriften angelegten Mittel des Erneuerungsfonds Zinsen abwerfen, und diese Zinsen ebenfalls dem Fonds zufliessen, so brauchen dann die zu Lasten des Betriebes zu machenden Einlagen nur so hoch bemessen zu werden, dass sie mit Hinzurechnung der im Laufe der Jahre dazu gelangenden Zinsen und Zinseszinsen ausreichen, um die im Zeitpunkte der Erneuerung erforderlichen Beträge zur Verfügung zu haben.

Dieses Verfahren ist aber wirtschaftlich und rechtlich nicht, richtig und widerspricht soliden Bilanzierungsgrundsätzen, weil

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damit die auf den Betriebsanlagen eingetretenen Minderwerte nicht jederzeit vollständig gedeckt sind. Es handelt sich aber in der Regel um Nebenbahnen oder sogenannte Kleinbahnen,, denen solche Vergünstigungen von den Behörden aus naheliegenden Gründen bewilligt werden, wie dies ja auch durch unser Nebenbahnengesetz nach anderer Richtung hin geschehen ist.

Die Erneuerungsfonds sind, wahrscheinlich in Nachahmung: der betreffenden Einrichtungen in Deutschland und Österreich,, auch bei den schweizerischen Eisenbahngesellschaften zur Einführung gelangt. Deren Handhabung war aber eine sehr verschiedene, je nach den Erträgnissen und der Dividendenpolitik der einzelnen Gesellschaften. Die Erfahrung hat gezeigt, dass im allgemeinen und von einzelnen Ausnahmen abgesehen diese Fonds ganz ungenügend und nicht nach einem objektiv richtigen Masstabe, wie das gemeine Recht es für Abschreibungen verlangt, dotiert wurden. Dieser Umstand musste sowohl aus allgemein volkswirtschaftlichen Gründen wie auch mit Rücksicht auf eine eventuelle Verstaatlichung, die richtige Ertragsrechnungen bedingte, dazu führen, in dem Eisenbahnrechnungsgesetz von 1896 grundsätzliche Vorschriften über eine objektiv richtige Führung und Äuffnung dieser Fonds aufzunehmen, wie dies dann in den Art. 11 und ff. dieses Gesetzes geschehen ist. Dabei war die Sorge des Gesetzgebers mit Recht ausschliesslich darauf gerichtet, eine gesunden kaufmännischen und wirtschaftlichen Grundsätzen entsprechende Geischäftsgebahrung in bezug auf die Bilanzierung zu sichern, wogegen es den Bahngesellschaften überlassen worden ist, ob sie die Erneuerungsfonds separat anlegen oder unausgeschieden im Geschäfte mitarbeiten lassen wollten. Die im Gesetze aufgestellten Grundsätze sind vom Bundesgerichte als materiell richtig und gerechtfertigt anerkannt worden.

Damit war nun freilich nur festgestellt, dass die den Vorschriften des Rechnungsgesetzes entsprechenden Fondseinlagen als Ausgaben in die konzessionsmässigen Reinertragsrechnungen eingestellt werden müssen, während die Frage, was mit dem Sollbestand des Erneuerungsfonds, der zu jeder Zeit dem vollen Betrage der vorhandenen Minderwerte entsprechen muss, beim Rückkaufe zu geschehen habe, ob er dem Bunde übergeben oder, soweit ein ausgeschiedener Fonds nicht existierte, von der Rückkaufssumme in Abzug gebracht
werden müsse, eine offene blieb. Das Bundesgericht hatte es abgelehnt, in seinem grundsätzlichen Vorentscheide vom Jahre 1899 diese Frage mitzuentscheiden, und dieselbe sollte daher in dem Hauptprozesse mit

78 der Gotthardbahn, der die endgültige Feststellung der Rückkaufs«ntschädigung zum Zwecke hatte, zur Entscheidung gebracht werden.

Es ist nicht möglich, die rechtlichen Gesichtspunkte, die von den beiderseitigen Vertretern zur Begründung der einander ·diametral gegenüberstehenden Auffassungen über diese Frage vorgebracht wurden, auch nur resümierend hier wiederzugeben.

Nicht nur füllen die daherigen Ausführungen ganze Bände aus, sondern die Frage wurde auch in mehrstündigen mündlichen Parteivorträgen zum Teil wieder von ganz neuen Gesichtspunkten aus ·erörtert. Tatsache ist, dass kaum eine andere Frage geeigneter sein dürfte, zum Gegenstand einer Kontroverse gemacht zu werden, wie diese, und dass, wenn die Frage auch noch nie eine rechtliche Lösung gefunden hat, das Material, das mit derselben im Zusammenhang steht oder in Zusammenhang gebracht werden kann, ein fast unerschöpfliches und zu den verschiedensten Erwägungen und Schlussfolgerungen Anlass bietendes genannt werden darf.

Der Umstand, dass die Konzessionen als einzige Rechtsquelle für die Beurteilung des Rückkaufsgeschäftes, einen Erneuerungsfonds gar nicht kennen, geschweige denn dessen Abzug oder Übergabe vorschreiben, sondern lediglich mit dem elastischen Begriff eines vollkommen befriedigenden Zustandes operieren, hat den Standpunkt des Bundes von Anfang an nicht zu einem einfachen gemacht. Er ist auch nicht einfacher geworden durch den Hinweis auf die vielfach dunkle und rätselhafte Entstehungsgeschichte der Rückkaufsbestimmungen in den alten Konzessionen, aus der nur eine Unmasse von Anträgen, Gegen- und Abänderungsanträgen und deren Schicksal in den Abstimmungen, nicht aber deren Begründung zu entnehmen ist. Auch die zirka 60jährige Eisenbahngeschichte, wo die Rückkaufsfragen oft genug direkt oder indirekt von den verschiedensten Gesichtspunkten aus, zuweilen auch ohne umfassende Sachkenntnis und genügende Überlegung in den Räten berührt und angeschnitten worden sind, hat kaum die gewünschte Abklärung gebracht. Die höchst umfangreiche, zumeist ausländische Rechtsliteratur endlich weist über die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung des Erneuerungsfondes die heterogensten Auffassungen auf.

Man konnte sich bei dieser allgemeinen Sach- und Rechtslage dem Bedenken nicht verschliessen, dass, falls das ganze Rechtsverhältnis vom Richter nicht ausschliesslich unter dem ·Gesichtswinkel öffentlichrechtlicher Grundsätze beurteilt werden

79

sollte, falls gegenteils zivilistische Rechtsgrundsätze zur Anwendung gebracht werden wollten, die Rechtsstellung des Bundes eine gefährdete sein musste. Lag es doch alsdann nahe, einfach dahin zu argumentieren, dass derjenige, der die Konzession verfasste, soweit er bestimmte Ansprüche daraus herleiten will, die Pflicht gehabt hätte, dies deutlich zum Ausdruck zu bringen, und dass in dubio eine Bestimmung zu ungunsten des Konzessionserteilers auszulegen sei.

Der ßundesrat, der der ganzen Frage eine eingehende und sorgfältige Untersuchung hat angedeihen lassen, ist freilich heute noch der Überzeugung, dass der von ihm erhobene Anspruch auf den Erneuerungsfonds grundsätzlich begründet ist, sobald man sich über sein Wesen und seine rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung Klarheit verschafft, und sich den Sinn und Geist der Konzessionen in richtiger Weise vergegenwärtigt, und dass nur die Frage, ob der Erneuerungsfonds in seinem vollen Bestände oder lediglich in einem um Zins und Zinseszins reduzierten Betrage verlangt werden kann, zweifelhaft sein kann, und auch das nur vom Gesichtspunkte der Billigkeit, nicht aber des Rechts.

Nach Auffassung des Bundesrates ergibt sich das nicht nur aus einer richtigen Interpretation des Begriffes des vollkommen befriedigenden Zustandes, sondern aus dem ganzen System, wie der Rückkauf und die Entschädigungsfrage geordnet sind in Verbindung mit der Natur des Fonds, sowie auch aus dem Gedanken, der der Ordnung des Rückkaufsgeschäftes zugrunde liegt und liegen muss.

Eine Verneinung der Anspruchsberechtigung des Bundes hätte das auf der Hand liegende Resultat, dass der bisherigen Eigentümerin der Bahn ausser dem kapitalisierten Reinertrag noch der Betrag des Erneuerungsfonds effektiv zufiele und dass umgekehrt der Rückkäufer eine um den Fondsbestand erhöhte Leistung machen musste, ja dass das finanzielle Resultat für den Rückkäufer um so ungünstiger wäre, je grösser der Fondssollbestand ist, und je grösser mithin die Minderwerte auf den Betriebsanlagen und Einrichtungen sind.

Ist der Erneuerungsfonds ausgeschieden und separat angelegt, so läge jenes Resultat klar auf der Hand. Die Gesellschaft behielte den Fonds und erhielte hiezu den kapitalisierten Reinertrag.

Allein auch ohne Ausscheidung und separate Anlage des Fonds ist das Resultat effektiv das nämliche, sobald man die Natur der Verhältnisse,richtig in Betracht zieht. Denn die ErneuerungsfondsBundesblatt. 63. Jahrg. Bd. IV.

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W einlagen einer Bahn, die Betriebsüberschüsse erzielt, waren in bar vorhanden, und wenn sie in irgend einem Zeitpunkte, wie beim Rückkauf, nicht mehr in bar vorhanden sind, so stecken jie in anderen Aktiven, sei es in der Bahnanlage, sei es in Objekten, die nicht zu den konzessionsmässigen Rilckkaufsobjekten gehören. Im erstem Fall haben sie die Passiven niedriger gestaltet, im letztem Fall haben sie sonst die Vermögenslage der Gesellschaft verbessert; in beiden Fällen gestaltet sich das Liquidationsergebnis entsprechend besser, als wenn die Rücklagen nicht gemacht worden wären.

Da nun aber feststehendermassen die Fondseinlagen Betriebsausgaben sind und als solche in die Ertrags- und Betriebsrechnungen eingestellt werden mussten, und da nur auf diese Weise Ertrag und Gewinn richtig festgestellt werden konnten, so kann es doch nicht der Sinn der Konzessionen sein, dass diese Beträge auf Umwegen wieder der Gesellschaft zufliessen und als Vermögen verteilt werden. Denn sie sind rechtlich und wirtschaftlich Verluste und sie müssen solche bleiben und können nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Es liegt ferner auf der Hand, dass, wenn die als Ausgaben in die Reinertragsrechnung eingestellten Fondseinlagen hinterher wieder zu Liquidationseinnahmen gestempelt werden, die ganze Reinertragsrechnung wenigstens teilweise illusorisch gemacht wird, indem die Gesellschaft im einfachen Betrage das zurücknimmt, was unter Anwendung der Kapitalisierungsrechnung im kapitalisierten Reinertrag figuriert.

Und wenn der Erneuerungsfonds laut Gesetz und übrigens auch laut gerichtlicher Feststellung die Aufgabe und Zweckbestimmung hat, die eingetretenen Minderwerte und überdies die Aufwendungen für die dauernde Instandhaltung der dem Betriebe dienenden Anlagen und Einrichtungen zu decken, so wird der Fonds seinem Zwecke vollständig entfremdet, wenn er von der Gesellschaft als Aktivum verteilt wird.

Wenn sodann der kapitalisierte Reinertrag die Maximalentschädigung bildet, auf die die Gesellschaft beim Rückkauf Anspruch hat, so kann sie darüber hinaus doch nicht noch Anspruch erheben auf den Liquidationswert des Erneuerungsfonds, der aus Rücklagen gebildet ist, die den Charakter von Betriebsausgaben tragen.

Ergebnisse und Wirkungen der angegebenen Art können unseres Erachtens mit dem Willen und Inhalt der konzessionsmässigen Rückkaufsbestimmungen nicht in Einklang gebracht

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werden ; sie stehen mit ihnen in Widerspruch und deshalb konnten wir den Anspruch der Gesellschaft auf den Erneuerungsfonds nicht als begründet erachten.

Und wie gestaltet sich das Verhältnis für den Bund und die Bundesbahnen? Auch die Bundesbahnen stehen unter dem Kechnungsgesetze ; auch sie müssen daher für die Gotthardbahnlinie wie für ihre ändern Bahnnetze einen Erneuerungsfondsbestand, der dem vollen Betrage der darauf vorhandenen Minderwerte entspricht, führen. Das ist übrigens nicht nur Gesetzesvorschrift, sondern Erfordernis eines soliden und gesunden Geschäftsgebahrens überhaupt. Soweit die Bundesbahnen aber den bestehenden Fonds nicht erhalten, oder von der Rückkaufssumme nicht in Abzug bringen dürfen, soweit müssen sie diesen Fonds selbst kreieren und damit erhöht sich der Kostenbetrag für den Erwerb der Gotthardbahn naturgemäss um die betreffende Summe. Auch das steht unseres Erachtens mit den Konzessionen in Widerspruch.

Und was nun die etwas vage und unbestimmte Vorschrift des vollkommen befriedigenden Zustandes anbetrifft, so ist gewiss zuzugeben, dass dieselbe, auf den ersten Blick betrachtet, den Abzug des Erneuerungsfonds nicht zu rechtfertigen vermag. Der Erneu er ungsfondsbestand soll die Differenz zwischen Neuwert und Jetztwert der Betriebsanlagen und Einrichtungen, für welche die Einlagen gemacht werden müssen, zum Ausdruck bringen und die Gewährleistung eines vollkommen befriedigenden Zustandes kann gewiss nicht schlechthin mit Gewährleistung des Neuzustandes identifiziert werden, so wenig etwa wie mit dem Erfordernis eines blossen Zustandes guten Unterhalts. Allein so wenig bestimmt und präzis jene Klausel auf den ersten Blick erscheinen mag, so spricht doch die etwas ungewöhnliche Bezeichnung ,,vollkommen befriedigend"1 unseres Erachtens dafür, dass die damalige Bundesversammlung an den zu prästierenden Zustand einen strengen Masstab angewendet wissen wollte. Wir glauben in jenes Erfordernis jedenfalls das legen zu dürfen, dass die Bahn in einem einer soliden und guten Verwaltung entsprechenden Bestände und Zustande übergeben werden müsse. Wir sind des weitern der Ansicht, dass ein richtig dotierter Erneuerungsfonds die unerlässliche Zubehör und das notwendige Requisit einer nach gesunden und soliden Grundsätzen verwalteten Bahn bilde, und dass von diesem Gesichtspunkte aus der Übergang des Erneuerungsfonds auch in jener Klausel seine volle Begründung finde.

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Das war der Standpunkt des Bundesrates in bezug auf die Erneuerungsfondsfrage; wir können auch heute nicht zugeben, dass er ein unrichtiger oder gar unhaltbarer gewesen sei, und könnten, vor die gleiche Frage und die gleichen Verhältnisse gestellt, bei allfälligen künftigen Verstaatlichungen keine andere Auffassung vertreten. Darin bestärkt uns auch die Tatsache, dass bei dem freihändigen Erwerb der ändern Bahnen der Abzug des Erneuerungsfonds schliesslich von allen beteiligten Bahnverwaltungen grundsätzlich zugestanden worden ist, nachdem das Bundesgericht die Anlegung und Dotierung solcher Fonds als konzessionsmässige Verpflichtung anerkannt hatte, und doch haben bei den dahorigen Unterhandlungen für die Bahngesellschaften bekanntlich Persönlichkeiten mitgewirkt, die in rechtlicher, kaufmännischer und technischer Hinsicht vollständig auf der Höhe standen und die auch über jeden Verdacht, dass sie die Interessen ihrer Auftraggeber nicht gewahrt hätten, erhaben sind.

Von einem Gesichtspunkte aus freilich mag die Abtretung des ganzen Fondsbestandes Bedenken erregen. Wenn dem Rückkäufer der ganze Fondsbestand übergeben wird, so hat er die Möglichkeit, den je nach der Höhe des Fonds nicht unbeträchtlichen Zinsenertrag bis zum Zeitpunkte der bestimmungsmässigen Verwendung des Fonds zu gemessen und damit eine Einnahme zu erzielen, die ja allerdings die Vorbesitzerin der Bahn in analoger Weise auch bezogen hat, die aber auf die Höhe des Reinertrages, der die Grundlage der Entschädigung bildet, keinen erhöhenden Einfluss ausgeübt hat, und der daher eine entsprechende Leistung des Rückkäufers beim Rückkauf nicht gegenüber steht. Billigkeitsrücksichten sprechen daher allerdings gegen eine Abtretung des Vollbestandes und aus diesem Grunde wäre auch schon in früheren Stadien auf Seiten des Bundes Geneigtheit vorhanden gewesen, auf dem Vergleichswege entsprechende Konzessionen zu machen, wenn nicht alle speziell die Frage des Erneuerungsfonds betreffenden Verständigungsversuche an der grundsätzlich ablehnenden Haltung der Gesellschaft gescheitert wären.

3. Abzüge für Minderwerte auf Anlagen, die im Erneuerungsfonds nicht berücksichtigt sind.

Bei der Beratung des Rechnungsgesetzes für die schweizerischen Eisenbahnen hat die Bundesversammlung entgegen den Anträgen des Bundesrates, die gesetzliche Pflicht der Bahnen zu

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Erneuerungsfondseinlagen auf Oberbau, Rollmaterial, Mobiliar und Gerätschaften beschränkt, und die Anlagen und Einrichtungen, die einer weniger intensiven Abnützung unterworfen sind, wie insbesondere Gebäude und Kunstbauten von der daherigen Verpflichtung ausgeschlossen. Dabei ist aber in der Beratung ausdrücklieh betont worden, dass dies nur eine Erleichterung für die Rechnungsführung und ohne Präjudiz für den Rückkauf und für die Feststellung der Rückkaufsentschädigung sein soll.

Wir haben daher den Standpunkt vertreten, dass auch für die vom Erneuerungfonds nicht berührten Anlagen Abzüge für infolge Abnützung oder aus ändern Gründen eingetretenen Minderwerte eintreten müssen und zwar aus analogen Gründen, wie beim Erneuerungsfonds, während die Gesellschaft aus ebenso analogen Gründen den Anspruch bestritten hat.

Zu den .wichtigsten Streitpunkten gehörte sodann 4. Die Frage der Abzüge für fehlende und ungenügende Anlagen.

In bezug auf diese Frage stellte sich die Gotthardbahngesellschaft von vorneherein auf den Standpunkt, dass das konzessionsmässige Erfordernis des vollkommen befriedigenden Zustandes sich nur auf den qualitativen Zustand der vorhandenen Anlagen beziehen könne, und dass sie nicht verpflichtet sei, ein Mehreres zu tun, als die zu den Rückkaufsobjekten gehörenden Anlagen und Einrichtungen, wie sie bei der Ankündigung des Rückkaufs tatsächlich vorhanden waren, in einem gut unterhaltenen Zustande abzutreten. Sie folgerte dies aus dem Inhalte der Konzession, und aus dem der Preisbestimmung in den Konzessionen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Gedanken. Dieser Gedanke sei der, dass das Einkommen, das den Aktionären während der massgebenden Rechnungsperiode aus dem Betriebe des Transportgeschäftes zugeflossen sei, perpetuiert werde, d. h. dass die Aktionäre ein Kapital erhalten, das ihnen bei einem mittleren Zinsfusse den gleichen Ertrag abwerfe, den sie aus dem Betriebe erhielten. Dieser Gedanke würde aber illusorisch gemacht, sobald die Rückkaufsentschädigung durch Abzüge wegen fehlender oder ungenügender Anlagen reduziert würde. Auch bezeichnete sie es als unbillig, von ihr Anlagen zu verlangen, die vielleicht im Hinblick auf den zur Zeit des Rückkaufsvollzug;es vorhandenen viel grössern Terkehr nötig erscheinen mögen, die aber ihrer Ansicht nach jedenfalls nicht durch den bei der Rückkaufsankündigung vorhanden

84 gewesenen Verkehr und noch viel weniger durch den Verkehr, der in den massgebenden Ertragsrechnungen zur Berücksichtigung gelangt sei, bedingt wurden. Für jenen Verkehr und insbesondere für den Verkehr während der massgebenden Rechnungsperiode hätten ihre Anlagen vollständig genügt.

Dem gegenüber hielten wir dafür, dass das Erfordernis des vollkommen befriedigenden Zustandes im Sinne der Konzessionen ein allgemeines ist und sich auf alle Faktoren bezieht, die für den Wert, die Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit der Bahn als Transportgeschäft von Bedeutung sind, dass es daher nicht genügt, wenn die effektiv vorhandenen Anlagen in einem gut unterhaltenen oder in einem tadellosen Zustande überhaupt sich befinden, sondern dass sie auch in einem Umfange und in einem Bestände vorhanden sein müssen, der eine sichere, anstandslose und vorschriftsmassige Bewältigung des Verkehrs gestattet und ermöglicht.

Wie jedes industrielle Geschäft nur dann als in vollkommen befriedigendem Zustande befindlich betrachtet werden kann, wenn seine Anlagen und Einrichtungen in technischer Hinsicht und in bezug auf ihre Leistungsfähigkeit auf der Höhe der Zeit stehen und den vorhandenen Bedürfnissen genügen, so kann auch einer Bahn jenes Prädikat nur zukommen, wenn ihre Geleiseanlagen, Stations- und Bahnhofeinrichtungen gerechten Anforderungen des Verkehrs und des Betriebes entsprechen.

Wir waren der Ansicht, dass diese Auffassung weder mit dein Wortlaut noch mit dem Sinn der Konzessionen im Widerspruch steht. Wir fanden im Gegenteil, dass eine Bahn dem Ertragswerte nur dann entspricht, wenn der Käufer ausser dem Ertragswerte nicht noch auf Millionen sich belaufende Summen aufwenden muss, um den Verkehr sicher und ordnungsgemäss bewältigen zu können, und dass, wenn er dies doch tun müsste, Kaufpreis und innerer Wert der Bahn in einem Missverhältnis zu einander stünden. Auch die Gesellschaft, deren Bahn zurückgekauft wird, hätte sich der Pflicht zu solchen Aufwendungen ohne Eintritt der Rückkaufsaktion nicht entziehen können und dadurch wären auch ihre Erträgnisse ungünstig beeinflusst worden. Abzüge für wirklich fehlende oder ungenügende Anlagen bilden daher unseres Erachtens ein notwendiges Korrektiv für die richtige Ermittlung des Ertragswertes.

Nun ist aber allerdings zuzugeben, dass der Verkehr der Gotthardbahn
seit dem Jahre 1904, d. h. nach Schluss der für den Rückkaufspreis massgebenden Rechnungsperiode, eine bedeutende Steigerung erfahren hat. Die Gesamteinnahmen sind

85 von 23,8 Millionen im Jahre 1904 auf 30,5 Millionen im Jahre 1907 gestiegen, und es kann schon gesagt werden, dass ohne diese Verkehrssteigerung, die im Rückkaufspreise keine Berücksichtigung findet, manche der von uns als nötig befundenen baulichen Erweiterungen gar nicht nötig geworden wären. Vom streng rechtlichen Standpunkte aus verdient dieser Umstand keine Berücksichtigung. Die Konzessionen verlangen das Vorhandensein jenes Zustand es in dem Zeitpunkte, wo die Bahn an den Bund übergeht; diese Konzessionen sind verbindlich, ob deren Einzelbestimmungen bald hier dem Rückkäufer, bald dort der Bahngesellschaft ungünstig seien. Dagegen mag zugegeben werden, dass aus dem Gesichtspunkte der Billigkeit die an sich unbestrittene Tatsache der · gewaltigen Verkehrssteigerung einer etwas engeren Interpretation des Begriffs eines vollkommen befriedigenden Zustandes zu rufen geeignet erscheint.

Dies unser rechtlicher und grundsätzlicher Standpunkt. Was nun die weitere Frage anbetrifft, inwieweit die vorhandenen Anlagen den Bedürfnissen des Betriebes und Verkehrs nicht genügten, so haben wir nach dieser Richtung bereits im Jahre 1906 durch die technischen Organe des Departements und der Bundesbahnen die erforderlichen Erhebungen machen lassen, sowie eine approximative Berechnung der Kosten, die den Bundesbahnen aus dem Ausbau dei1 Bahn entstehen dürften. Die Ansichten der genannten technischen Organe gingen in mancher Hinsicht, namentlich soweit es die Frage des absoluten Bedürfnisses anbetrifft, auseinander, und es blieb uns daher nicht wohl etwas anderes übrig, als sämtliche Erweiterungen, auch wo sie nicht einstimmig als nötig befunden worden waren, zum Gegenstande von Abzugsforderungen zu machen, in der Meinung, dass es dann Sache der gerichtlichen Experten sei, zu befinden, was zur Herstellung des konzessionsgemässen Zustandes erforderlich sei.

Damit gelangte man allerdings auf die sehr hohe Forderung von rund 46 Millionen Franken, die aber bereits in der Duplik eine nicht unwesentliche Redaktion erfuhr, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Gesellschaft in der Zwischenzeit diverse Übelstände hatte beheben lassen. Wie aber in den Prozesschriften betont wurde, stellte auch die reduzierte Summe nur den Kostenbetrag dar, den die Bundesbahnen ihrerseits werden auslegen müssen, um die Bahn in richtiger Weise auszubauen. Dabei waren bei manchen Objekten Erweiterungen inbegriffen, die nicht schon durch die derzeitigen Bedürfnisse an sich bedingt waren,

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sondern durch diejenigen einer spätem Zukunft, für die bei Inangriffnahme solcher Bauten aus nahe liegenden Gründen bereits gesorgt werden muss. Man erklärte ausdrücklich, dass derjenige Teil der Kosten, der sich auf erst künftige Bedürfnisse nach dem Ermessen der Experten beziehe, ohne weiteres zu Lasten des Bundes fallen soll und dass auch die verbleibenden Beträge nur in diskontiertem Umfange beansprucht würden, d. h. unter Abrechnung von entsprechenden Zinsen für die Zeit, die die Ausführung der sich auf eine Reihe von Jahren erstreckenden Bauten erheische.

Mit diesen Beschränkungen haben wir jene Forderung gestellt aus prozesstaktischen Gründen es den Experten überlassend, die Höhe der vorzunehmenden Reduktionen von jenen beiden Gesichtspunkten aus zu bestimmen.

Die hauptsächlichsten Posten bezogen sich auf die zurzeit noch fehlenden Doppelgeleise auf den Strecken Giubiasco-Chiasso, Brunnen-Flüelen, Sentimatt-Immensee und Luzern-Sentimatt, und ein weiterer grosser Posten auf die Erweiterung von Bahnhöfen und Stationen.

Die Gotthardbahn-Gesellschaft hat die Notwendigkeit aller dieser Erweiterungen bestritten.

5. Das Defizit der Hülfskasse.

Die von der Gotthardbahngesellschaft auf den 31. Dezember 1904 erstellte, dem Eisenbahndepartement gemäss gesetzlicher Vorschrift zur Prüfung eingesandte Hülfskasse-Bilanz ist von versicherungstechnischen Organen, übrigens in Übereinstimmung mit ändern konsultierten Experten, hauptsächlich nach zwei Richtungen angefochten worden. Einmal sei die Invaliditätswahrscheinlichkeit für die. Kassamitglieder viel zu niedrig berechnet worden angesichts der praktischen Erfahrungen, die bei den ändern wesentlich altern Hauptbahnen und in der Folge auch bei den Bundesbahnen gemacht worden seien, und sodann sei der Zinsfuss, der der versicherungstechnischen Bilanz mit 4 °/o zugrunde gelegt worden war, für solche langfristige und absolute Sicherheit erheischenden Anlagen zu gross und es dürfe nur mit einem Zinsfuss von 31/a °/o gerechnet werden.

Die Gesellschaft hat die Richtigkeit beider Einwendungen mit allem Nachdruck bestritten.

Für die Begründung der beiderseitigen Auffassungen sei auf die Prozesschriften verwiesen.

87

6. Andere Streitfragen weniger wichtiger Natur bezogen sich wie bereits bemerkt, auf die unentgeltlich abzutretenden Materialvorräte, auf die entbehrlichen, nicht Bestandteil der Rückkaufsobjekte bildenden Liegenschaften und besonders auf die Frage der

7. Zahlung und Verzinsung der Rückkaufsentschädigung.

Die Gesellschaft der Getthardbahn, die überhaupt die konzessionsmässigen Rückkaufsbestimmungen von dem Gesichtspunkte eines privatrechtlichen Vertrages und zwar eines Kaufvertrages betrachtet wissen wollte, vertrat die Auffassung, dass der Rückkauf ein Rechtsgeschäft sei, das Zug um Zug zu erfüllen sei, und dass, wenn die Rückkaufsentschädigung auf den 1. Mai 1909 nicht in bar bezahlt würde, der Bund sich im Verzüge befinde und zur Leistung von Verzugszinsen verpflichtet sei.

Wir konnten einer solchen Auffassung, die uns mit dem Wesen und der Natur eines dem öffentlichen Rechte angehörenden Rechtsgeschäftes unvereinbar schien, nicht beitreten.

Wir konnten nicht anerkennen, dass die im Zivilrechte aufgestellten Regeln über Voraussetzung und Wirkung des Verzuges hier auch nur analoge Anwendung finden können, dagegen anerkannten wir, dass der Gesellschaft vom Gesichtspunkte der durch die Konzessionen begründeten öffentlichen Entschädigungspflicht aus eine angemessene besondere Entschädigung gebühre, wenn die Höhe der Entschädigung bis zum Rückkaufstermin nicht feststehe, welche Entschädigung unter angemessener Berücksichtigung der Nachteile die ihr, und der Vorteile, die dem Bunde daraus erwachsen, festzusetzen sei.

VI.

Im Laufe des Prozesseis fanden mehrfache Verständigungsversuche mit den Vertretern der Gesellschaft statt; sie führten zu verschiedenen Teilvergleichen, sowie zu Vereinbarungen über gemeinsame Massnahmen, um den Prozess zu einer möglichst raschen Entscheidung zu bringen. Eine Verständigung auf der ganzen Linie wollte nie gelingen. Um den Prozesstoff, der ganz aussergewöhnliche Dimensionen angenommen hatte, zu vereinfachen und das Bundesgericht tunlichst zu entlasten, gelangte man zunächst zu einer gütlichen Erledigung der. zahlreichen bestrittenen Posten der Reinertragsrechnungen, indem man unter

ungefährer Teilung der betreffenden Differenzen den 2ofachen Wert des konzessionsmässigen Reinertrages auf 212,5 Millionen Franken festsetzte.

Gleichzeitig verständigte man sich auch über "Wert und Umfang desjenigen Teiles der Material Vorräte, der von der Gesellschaft unentgeltlich abzutreten war, und zwar einigte man sich auf einen Betrag von 1,5 Millionen Franken.

Auch über die entbehrlichen Liegenschaften, über die der Gotthardbahn zu übernehmende Entschädigung für Unterdrückung von Reistzügen und über andere Punkte gelang eine Einigung.

Nachdem dann der Bund am 1. Mai 1909 die Bahn -- allerdings unter Protest und mit Rechtsverwahrung .seitens der Direktion gegen diese einseitige Besitzergreifung -- übernommen hatte, die Gotthardbahngesellschaft aufgelöst und in Liquidation getreten war, kam auch eine Verständigung dahin zustande, dass der Bund das 3^2 °/° 0Dügatiorienanlemen der Gotthardbahn von Fr. 117,090,000, das seitens der Kreditorschaft unkündbar, seitens der Schuldnerschaft dagegen jederzeit kündbar ist, auf Rechnung der Rückkaufsentschädigung übernehme und der Gesellschaft, für den Vorteil dieser teilweisen Kaufpreisregulierung zu sehr günstigen Bedingungen, eine Entschädigung von 6 Millionen Franken vergüte. Diese Finanzoperation wurde von uns gestützt auf das Gutachten von Sachverständigen vollzogen und hat sich in der Folgezeit als eine für uns sehr günstige herausgestellt.

Im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die speziell der Erneuerungsfonds einer Einigung der Parteien in den Weg stellte, beschloss man endlich in einer gemeinsamen Eingabe an das Bundesgericht das Gesuch zu stellen, diese Frage zum Gegenstand eines besondern, den ändern Streitpunkten vorgehenden Entscheides zu machen, und das Bundesgericht hat mit Beschluss vom 12. Juli 1909 diesem Begehren entsprochen.

Geleitet von den gleichen Bestrebungen, einer Verständigung auf der ganzen Linie die Wege zu ebnen, hat unser Vertreter im Prozesse in unserem Auftrage am 10. Juni 1909 das Gesuch an den Instruktionsrichter gerichtet, es sei sofort eine Expertenkommission zu bestellen, mit der Aufgabe, zu begutachten, ob und in welchem Umfange die in unsern Prozessschriften näher bezeichneten baulichen Erweiterungen nötig seien, um die Gotthardbahn auf die im Zeitpunkte ihres Überganges an den Bund bestandenen Verkehrs- und Betriebsbedürfnisse, sowie im Hinblick auf ihre Eigenschaft als grosse internationale Durchgangs-

89 linie, vom betriebstechnischen Gesichtspunkte aus in einen vollkommen befriedigenden Zustand zu stellen, und wie hoch sich die daherigen Kosten stellen werden unter Berücksichtigung der Zeitdauer, die deren Ausführung erfordert, sowie unter Abrechnung des zu Lasten des Bundes fallenden Kostenanteils für Mehrleistungen, die ihre Rechtfertigung erst in spätem Verkehrsbedürfnissen finden.

Trotz der ablehnenden Stellung, die die Gotthardbahn diesem Begehren gegenüber eingenommen hat, hat der Instruktionsrichter ihm Folge gegeben.

Als Experten wurden bezeichnet die Herren : 1. Betriebsdirektor Engler von der Grossh. Generaldirektion ·der Bad. Staatseisenbahnen in Karlsruhe, 2. Dr. Fr. Hennings, Professor am Eidgen. Polytechnikum in Zürich und 3. Karl Ritter von Pascher, k. k. Generalinspektor der ·österreichischen Eisenbahnen in Wien.

Der Erstgenannte hat ein Mandat abgelehnt und wurde ersetzt durch Herrn Oberregierungsrat Franken in Wiesbaden.

Was endlich die Bilanz der Hülfskasse anbelangt, so hat der Bundesrat, unvorgreiflich der Frage, welche weitere Untersuchungen im Prozesse nötig werden könnten, das ihm gemäss Art. 3--5 des Hülfskassengesetzes obliegende Prüfungsverfahren eingeleitet, und da die Gotthardbahngesellschaft gegen die von ihm festgesetzte Höhe des Defizits von Fr. 6,300,000 Einspruch ·erhob, die Ernennung einer Expertenkommission veranlasst.

VII.

Die nächste Etappe bei der rechtlichen Austragung der Rückkaufsdifferenzen bildete der im Sommer 1910 erfolgte Eingang des Gutachtens der Expertenkommission über die Abzüge wegen fehlender oder ungenügender Anlagen. Dieses Gutachten brachte uns sowohl in seinen Schlussfolgerungen als auch in seiner Begründung die denkba.r grösste Enttäuschung, und wir konnten ·uns des Eindruckes nicht erwehren, dass sich die Experten durch blosse Billigkeitserwägungen in hohem Masse haben beeinflussen lassen. Mit Ausnahme einiger Posten, die schliesslich nicht mehr streitig waren, im Gesamtbetrag von rund Fr. 900,000, waren die Kosten, die die schweizerischen Bundesbahnen für notwendige Erweiterungen und Änderungen nach Abrechnung des Anteils für

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künftige Bedürfnisse aufzuwenden hätten, auf nur Fr. 2,773,000 berechnet worden und nach Abzug des Diskontos auf rund Fr. 2,500,000.

Die Ausführung eines zweiten Geleises auf der Monte CenereLinie (Giubiasco-Chiasso), dessen Ausführung der Bundesrat al& Aufsichtsbehörde bereits anfangs 1906 infolge der ganz unhaltbar gewordenen Verhältnisse vorgeschrieben hatte, und bezüglich dessen ein Rekurs der Gotthardbahngesellschaft von beiden Räten einstimmig abgewiesen worden war, nachdem die beiden, Kommissionen die Sachlage an Hand eines umfangreichen Materials, sowie durch Augenschein näher geprüft hatten, ist rundweg als unnötig bezeichnet worden.

An der Spitze der daherigen Begründung befindet sich der Satz, dass der eingleisige Betrieb nach Ansicht der Experten nicht weniger sicher sei, als der doppelgleisige, und dann wird weiter ausgeführt, dass die Gotthardbahn weder hinsichtlich der Verspätungen, noch bezüglich drohender Unfälle, noch in bezug auf die Ausnutzung des Personals und Betriebsmaterials ungünstigere Verhältnisse aufweise, als andere Bahnen, und dass daher deren Geleiseanlagen vom Gesichtspunkte der Sicherheit, der Regelmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit des Betriebes keiner Eweiterung bedürfen.

Dass angesichts einer solchen Beurteilung der Verhältnisse auch die ändern Doppelgeleiseanlagen als ganz überflüssig bezeichnet wurden, ist leicht erklärlich.

Hinsichtlich der Bahnhöfe und Stationen haben die Experten, dagegen anerkannt, dass die Gotthardbahnverwaltung offenbar nach Bekanntwerden der Verstaatlichungsabsichten in der Projektierung und Ausführung der etwa notwendigen Erweiterungen nicht überall dem auftretenden Bedürfnisse gefolgt sei, und dass es daher angezeigt erscheine, die Gesellschaft mit denjenigen Summen zu belasten, die von der Gotthardbahn nach der Schätzung der Experten bis zum 1. Mai 1909 ordnungsgemäss aufgewendet worden wären, wenn die Verstaatlichung nicht in Aussicht gestanden hätte. Hauptsächlich von diesem letztern Gesichtspunkte aus sind die Experten auf die oben genannte Summe in bezug auf zirka 20 Bahnhöfe und Stationen gelangt.

Wir haben dieses Gutachten nicht als massgebend anerkennen können und den Instruktionsrichter hiervon sofort verständigt, die nähere Darlegung und Begründung einer spätem ausführlichen Prozesseingabe vorbehaltend.

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Diese Eingabe ist im Februar 1911 an das Bundesgericht abgegangen. Indem wir auf diese ausführliehe Rechtsschrift verweisen, soll hier nur bemerkt werden, dass wir an unseren Abzugsforderungen für das fehlende zweite Geleise GiubiascoChiasso und für ein Ausweichgeleise Luzern-Meggen und ebenso an den wesentlich höhern Forderungen für die Bahnhöfe Bellinzona, Lugano, Chiasso und Luzern festgehalten haben, zum Teil unter Berufung auf eine Oberexpertise, dass wir uns aber in bezug auf die ändern Anlagen dem Gutachten der Experten unterzogen haben. Die Forderungen, die wir über die von den Experten zuerkannten Abzüge hinaus festgehalten haben, belaufen sich auf zirka 14 Millionen Franken, das Total unserer schliesslichen Forderungen aus diesem Titel somit auf rund 16,s Millionen.

VIII.

Inzwischen, und zwar im November 1910, hatte auch die vom Bundesgerichte und von der Gotthardbahn bestellte Expertenkommission für Prüfung der Hülfskassebilanz, bestehend aus den Herren Prof. Dr. Kinkelin in Basel, Dr. Max de Cérenville in Lausanne und Prof. Dr. E. Czuber in Wien, ihr Gutachten erstattet. Dasselbe bezog sich auf eine nachträglich auf den 31. Dezember 1908 erstellte Bilanz, und gelangte zu dem Schlüsse, dass diese Bilanz ein Defizit von Fr. 4,004,203. 30 aufweise. Das Gutachten nimmt an, dass der der Bilanz zugrunde zu legende Zinsfuss auf S3/* °/o festzusetzen, der Barwert der zukünftigen Invalidenpensioc.en gegenüber den Berechnungen der Gotthardbahn um 35 °/o zu erhöhen, dagegen der Barwert der zukünftigen Witwen- und Kinderpensionen um 28 % zu reduzieren sei. Aus diesen Rektifikationen ergibt sich das aus.gerechnete Defizit, das die Verwaltung der Hülfs- und Pensionskasse der Bundesbahnen als wesentlich zu niedrig bezeichnet, indem der Barwert der Invalidenpensionen entsprechend den gemachten Erfahrungen um das Doppelte, d. h. um 70 °/o erhöht werden sollte.

IX.

Die bundesgerichtliche Verhandlung zur Entscheidung der Frage des Erneuerungsfonds und der anderweitigen Forderungen wegen materieller Minclerwerte war auf den 18. Mai 1911 und die folgenden Tage angesetzt worden.

92 Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen war den Parteien unter Hinweis darauf, dass einer rechtlichen Entscheidung der ganzen Streitsache angesichts ihrer besondern Natur und ihres ungewöhnlichen Umfanges erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen, im Interesse der Parteien eine Verständigung über sämtliche Streitpunkte dringend nahegelegt worden. Unter Leitung und Mitwirkung des Bundesgerichtspräsidenten und der Instruktionskommission wurden Verhandlungen aufgenommen. Von der Instruktionskommission wurden den Parteivertretern positive Vorschläge unterbreitet, die nach Ansicht der Kommission unter allseitiger Würdigung der Verhältnisse vom Gesichtspunkte der Billigkeit das Richtige trafen, für eine allfällig nötig werdende rechtliche Beurteilung aber in keiner Weise massgebend sein sollten. Die anwesenden Vertreter der Parteien konnten diese Vorschläge schon mangels sachbezüglicher Instruktion und Vollmacht nicht akzeptieren. Sie erklärten sich aber bereit, dieselben ihren Auftraggebern vorzulegen. Es fanden dann die mündlichen Parteivorträge statt, die l1/« Tage in Anspruch nahmen und nach deren Schluss das Bundesgericht die Vertagung der Urteilsberatung mit 14 gegen eine Stimme beschloss, in der Meinung, dass eine Verständigung doch noch erzielt werden könnte, und dass auch die Plädoyers einer weitern Erdauerung seitens der Richter unterzogen werden sollten. Die Urteilsberatung wurde auf den 13. Juni angesetzt, den Parteien aber eine vorherige Verständigung in nachdrücklichster Weise neuerdings empfohlen; und zwar sollte der Vergleich nach der Auffassung der obgenannten Persönlichkeiten ungefähr in der Richtung sich bewegen, dass die Gesellschaft ihre weitere Forderung von Fr. 8,476,973, die sie über den Reinertrag hinaus geltend gemacht, fallen lassen und im weitern einen Abzug von 10--15 Millionen Franken, im ganzen gerechnet, zugestehen sollte. Die sich so ergebende Rückkaufsentschädigung sollte zu 4°/o vom Rückkaufstermin an verzinst und durch Übergabe von 4°/o Obligationen, die 15--20 Jahre seitens des Bundes unkündbar wären, bezahlt werden.

X.

Nach erneuten längern Unterhandlungen zwischen den beiderseitigen Delegationen, die teilweise unter Leitung des Präsidenten des Bundesgerichts stattfanden, kam eine Verständigung unter beiderseitigem Ratifikationsvorbehalt unterm 10. Juni 1911 schliesslich zustande. Wir legen die betreffende Urkunde gegenwärtiger Botschaft bei und bemerken über deren Inhalt folgendes:

93

1. Die Gotthardbahngesellschaft in Liquidation hat ihre Forderung von Fr. 8,476,973 (zweites Geleise Immensee-Brunnen und auf Baukonto gehörende Verwendungen seit 1. Mai 1904) im ganzen Umfange fallen lassen.

2. Die genannte Gesellschaft hat von dem kapitalisierten Reinertrag von Fr. 212,500,000 abzüglich des vom Bunde bereits übernommenen 3Va 0 /« Obligationsanleihen von ,, 117,090,000 d. h. vom Restbetrage von einen Abzug zugestanden von so dass die konzessionsmässige Rückkaufsentschädigung für die konzessionsmässigen Rückkaufsobjekte, jedoch unter Verrechnung des Obligationenanleihensund desHülfskassendefizits, beträgt Wert 1. Mai 1909.

Fr. 95,410,000 .(1 11,660,000

Fr. 83,750,000

Zu einein weitergehenden Abzüge war die Gesellschaft trotz aller Bemühungen unserer Unterhändler nicht zu bewegen, und die letztern mussten sich daher entscheiden, ob sie auf die neuen Bedingungen eintreten oder die Verhandlungen neuerdings scheitern lassen wollten. Dagegen hat die Delegation der Gotthardbahn dann in der Weise Entgegenkommen gezeigt, dass sie sich mit der zugunsten des Bundes ausbedungenen dreimonatlichen Kündbarkeit der an Zahlungsstatt zu gebenden 4 °/o Bundesobligationen bereits vom 31. Dezember 1921 ab einverstanden erklärte gegenüber einer 15--20jährigen Unkündbarkeit, von der anfänglich die Rede war.

3. Zur Tilgung der ganzen oben festgestellten Rückkaufsentschädigung werden der Gesellschaft 4°/o Bundesobligationen pari übergeben, die mit halbjährlichen Zinscoupons (30. Juni und 31. Dezember) versehen und nach einem aufzustellenden Amortisationsplan in 50 gleichmässigen Raten in der Zeit von 1922 bis 1971 in Landesvaluta rückzahlbar sind. Eine Kündbarkeit seitens der Titelinhaber ist ausgeschlossen, während dem Bunde, wie erwähnt, zur Ermöglichung einer Konversion bei günstiger sich gestaltendem Geldmarkte, eine relativ kurzfristige Kündbarkeit zugestanden ist. Die Rückkaufsentschädigung wird der Gesellschaft vom Rückkaufstermine an bis Ende 1911 zu 4°/o verzinst.

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Die Auseinandersetzung mit den Aktionären ist Sache der Gesellschaft (Ziffer 5 des Vergleiches).

4. Die Eidgenossenschaft übernimmt mit Wirkung vom 1. Mai 1909 die Hülfskasse für die Beamten und Angestellten der Gotthardbahn mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten (Ziffer 4 des Vergleiches).

5. Die bisherigen Vereinbarungen, wie insbesondere betreffend Festsetzung des Reinertrages, die Höhe der unentgeltlich abzutretenden Materialvorräte, die entbehrlichen Liegenschaften und betreffend Übernahme des Obligationenanleihens bleiben in Kraft (Ziff. 7).

6. Gemäss Ziffer 6 ist die Eidgenossenschaft an Stelle der Gesellschaft in verschiedene noch nicht liquide Forderungs- und Schuldverhältnisse eingetreten. Nach den veranstalteten Erhebungen sind diese Engagements ohne materiellen Belang.

7.

rungen ziehung gericht

Mit dem Vergleich fallen allo weitern gegenseitigen Fordeund Begehren dahin. Allfällige Anstände bei der Volloder Auslegung des Vergleiches entscheidet das Bundes(Ziff. 3,. 8 und 9).

8. Die ergangenen Gerichtskosten werden von beiden Parteien zu gleichen Teilen getragen; die Parteikosten werden wettgeschlagen (Ziffer 11).

9. Der Vergleich fällt dahin, wenn er nicht bis 20. Dezember 1911 von allen hierzu berufenen Instanzen ratifiziert wird {Ziffer 10).

XI.

Von Seiten der Gotthardbahngesellschaft ist der Vergleich durch Beschluss der Liquidationskommission vom 9. Juli 1911 und von der Generalversammlung der Aktionäre durch Beschluss vom 26. August 1911 genehmigt worden.

Der Bundesrat hat den Vergleich gleichfalls ratifiziert. Wir haben aber auch dessen Ratifikation durch die Bundesversammlung vorbehalten, wiewohl die Notwendigkeit hiefür in Frage gezogen werden könnte. Das Rückkaufsgesetz sieht die Zustimmung der Bundesversammlung nur beim Erwerb gekündeter Bahnen auf dem Wege des freihändigen Kaufes vor. Soweit die Rückkaufsentschädigung auf dem Wege des gerichtlichen Vor-

|95 I "i fahrens erfolgt, ist eine weitere Ratifikation nach der Natur der Yerhältnisse ausgeschlossen. Ob ein nach einem fast vollständig ·durchgeführten Prozessverfahren zustande gekommener Prozessvergleich als freihändiger Erwerb anzusehen ist, mag fraglich sein. Allein sei dem, wie ihm wolle,, so halten wir es für mindestens sehr wünschbar, dass auch die Bundesversammlung 'Gelegenheit finde, zu einer in materieller und in grundsätzlicher Hinsicht für das Land so wichtigen Angelegenheit Stellung zu nehmen.

XII.

Wir beantragen Ihnen, den Vertrag auch Ihrerseits zu genehmigen.

Wenn wir dies tun, so geschieht es allerdings mit etwas gemischten Gefühlen. So sehr eine endliche Erledigung dieser Bereits mehr als dreijährigen Prozesspendenz einerseits zu be.grüssen ist, so wenig wollen wir andererseits verhehlen, dass uns das materielle Resultat des Vergleiches nicht in jeder Hinsicht zufrieden zu stellen vermag,, und dass das finanzielle Ergebnis um einen immerhin ansehnlichen Betrag unter dem bleibt, was wir nach der ganzen Sachlage wenigstens vom Rechtsstandpunkte AUS zu erwarten uns berechtigt glaubten und erwartet haben.

Durch den Vergleich hat allerdings die Forderung der Gottihardbahngesellschaft eine Reduktion von etwas mehr als 20 Millionen Franken erfahren, und äusserlich betrachtet hat es ja den Anschein, als ob damit unsere Abzugsforderungen in diesem Betrage Berücksichtigung gefunden haben. Allein einerseits halten wir dafür, dass unsere Abzugsforderun'gen rechtlich in einem höhern Umfange Anerkennung beanspruchen durften, indem- wir unsern Anspruch auf den Erneuerungsfonds mit rund 13,7 Millionen Franken oder einen wesentlichen Teil desselben noch heute als begründet erachten und ein weiterer Abzug von ca. 16,5 Millionen Pranken für ungenügende und fehlende Anlagen, sowie für das Hülfskassedefizit nach Lage der Dinge sehr wohl zu rechtfertigen gewesen wäre, und andererseits sind wir der Ansicht, dass die Forderung der Gotthardbahn von ca. 8,5 Millionen Franken, die nun zur teilweisen Kompensation unserer Abzugsforderungen verwendet worden ist, rechtlichen Schutz nicht hätte finden können, wenn wir auch zugeben, dass gewisse Billigkeitsgründe für dieselbe sprechen mochten und analoge Zugeständnisse seiner Zeit auch bei dem freihändigen Erwerb der Centralbahn gemacht ·worden waren.

Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. IV.

7

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Wenn wir uns entschlossen haben, dem vorliegenden Vei*gleiche zuzustimmen, so waren dabei verschiedene Gründe massgebend, die für uns stärker ins Gewicht fallen mussten, als die Aussicht, nach Jahr und Tag vielleicht zu einem etwas günstigeren Ergebnisse zu gelangen.

Denn einmal ist der Prozess, nachdem ihm schon mehrjährige Verhandlungen vorausgegangen waren, bereits seit mehr als 3 Jahren anhängig, und schon sind mehr als 2 Jahre' verflossen, seit wir uns in den Besitz der Bahn gesetzt haben, ohne dass es mangels Feststellung der Rückkaufsentschädigung möglich gewesen wäre, der Gesellschaft zuhanden der Aktionäre die ihr gebührende Entschädigung auszurichten. Ohne einen Vergleich wäre nicht abzusehen gewesen, wann der Prozess seine Erledigung gefunden hätte und wann wir somit unseren Verbindlichkeiten hätten nachkommen können. Der Entscheid über den Erneuerungsfonds hätte nicht, wie ursprünglich beidseitig vorausgesetzt worden war, zu einer Erleichterung der Verständigung in bezug auf die ändern Streitpunkte geführt, sonderò der Entscheid hätte, wäre er zugunsten der einen oder ändern.

Partei ausgefallen, für die unterlegene Partei notwendig dazu geführt, in bezug auf die verbleibenden Streitpunkte ihren Standpunkt nur um so zäher festzuhalten.

Solchen Eventualitäten mussten wir uns, sollte der Bund nicht wider seinen Willen in eine etwas schiefe Stellung gegenüber den Aktionären gebracht werden, wenn immer möglich, zu entziehen suchen. Dabei war auch der Umstand nicht ganz ausser acht zu lassen, dass der weitaus grösste Teil der Aktien im Auslande sich befindet, dass diese Aktionäre mangels genügender Kenntnis des Inhaltes der massgebenden Eisenbahnkonzessionen schon seit Jahren im Banne ganz übertriebener Vorstellungen, über die finanzielle Gestaltung des Rückkaufs und über den Werfe der Aktien gestanden haben, und dass deren Misstrauen nicht nur gegenüber uns, sondern auch gegenüber dem Bundesgerichte' wiederholt zum Ausdruck gelangt ist. Je länger eine endgültige Erledigung auf sich warten liess, desto mehr wäre dieses Misstrauen genährt worden. Vorwürfe, laut denen der Bund geradezu als zahlungsfluchtig hingestellt worden wäre, wären kaum .zm vermeiden gewesen und Befürchtungen, dass diese geradezu dem Landeskredit hätten schaden können, konnten nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden.

Allein ganz abgesehen hiervon empfanden wir von Anfang1 an die moralische Verpflichtung, unsererseits alles aufzubieten*

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selbst unter Auferlegung gewisser Opfer, um den Aktionären die ihnen gebührende Entschädigung so bald wie möglich zukommen zu lassen.

Angesichts dieser Verhältnisse durften wir aber unmöglich einen von der Vertretung des Bundesgerichtes selbst aufgestellten Vergleichsvorschlag ablehnen, der, nach ihrem Ermessen, unter allseitiger Würdigung der Sachlage den Grundsätzen der Billigkeit entspricht, auch wenn uns derselbe nicht in jeder Hinsicht zu befriedigen vermochte.

Wir durften dies um so weniger, als wir doch immerhin mit der Möglichkeit rechnen mussten, dass auch beim Prozessentscheid Billigkeitsrüeksichten einwirken werden und dass daher das Prozessresultat mindestens nicht wesentlich von dem Vergleichsvorschlage abweichen werde.

Unter allen Umständen mussten wir damit rechnen, dass, ohne eine Verständigung und falls wir bar zu zahlen gehabt hätten, die Finanzierung des Rückkaufes, die bei der heutigen und bereits längere Zeit andauernden Lage des Geldmarktes als eine für uns günstige bezeichnet werden darf, sich ungünstiger gestaltet hätte.

Zieht man übrigens den Vergleich lediglich vom Gesichtspunkte der Billigkeit aus in Betracht, so erscheint er allerdings ganz wohl annehmbar. Billigkeitsgründe sprechen dafür, dass Anlagen, die erst nach Abschluss der konzessionsmässigen Reinertragsrechnungen zur Ausführung gelangen und den Wert und die Leistungsfähigkeit der Bahn erhöhen, berücksichtigt werden.

Billigkeitsrücksichten sprechen aus gleichen Gründen dafür, dass Anlagen und Einrichtungen,, die heute oder beim Rückkaufstermin ungenügend erscheinen, die aber für den Verkehr während der konzessionsmässigen Reehnungsperiode genügten, nicht der Bahngesellschaft zur Last gelegt werden. Und ebenso lassen sich Billigkeitsgründe dafür anführen, dass der Erneuerungsfonds angesichts seiner Zinserträgnisse und nachdem derselbe in den Reinertragsrechnungen voll in Anrechnung gebracht worden ist, nicht auch noch in seinem vollen Sollbestande in Abzug gebracht werde.

Solche oder ähnliche Billigkeitsrücksichten sind auch bei der Verstaatlichung der ändern Bahnen zur Geltung gekommen und es rechtfertigt sich daher deren Anwendung auch bei einem Vergleiche mit der Gotthardbahn, dies um so mehr, als der Erwerb dieser Bahn zweifellos die für den Bund neben dem

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Rückkauf der Centralbahn materiell günstigste Rückkaufsaktion bildet.

Zwar stehen den Bundesbahnen schon in nächster Zeit ganz bedeutende Auslagen für den Ausbau dieser Linie bevor. Verschiedene Strecken bedürfen des Ausbaus auf Doppelspur, deren Ausführung speziell auf der Strecke Giubiasco-Chiasso keinen langen Aufschub mehr verträgt. Auch verschiedene Bahnhöfe, namentlich Chiasso, sind längst absolut ungenügend und bedürfen dringend einer umfassenden Erweiterung. Allein einmal ist demgegenüber festzustellen, dass die Verhältnisse auch bei den anderen verstaatlichten Bahnen ähnliche waren, wie am besten aus dem starken Anwachsen des Baukontos der Bundesbahnen hervorgeht, und dass auch dort Abzüge für fehlende und ungenügende Anlagen nur in bescheidenem Umfange erreicht worden sind, sodann ist in der Tat zuzugeben, dass diese Erweiterungsbedürfnisse in der Hauptsache erst durch die nach dem 1. Mai 1904 eingetretenen Verkehrsvermehrungen so recht zur Geltung gelangt sind. Angesichts der sich steigernden Verkehrsentwicklung auf der Gotthardlinie darf auch erwartet werden, dass die Betriebsergebnisse auch in Zukunft, wenn der Baukonto angewachsen sein wird, für die Verzinsung und Amortisation unserer Anlagekosten ausreichen.

Es darf auch angeführt werden, dass die Bahn, abgesehen von den bestehenden Erweiterungsbedürfnissen, in gutem Zustande übergeben worden ist, und dass die Bahngesellschaft seit der Eröffnung der Bahn zirka 80,s Millionen, wovon allein zirka 11 Millionen in den letzten 5 Jahren vor der Verstaatlichung, für den weiteren Ausbau und für die Vervollkommnung der Anlage, Vermehrung des Rollmaterials usw. aufgewendet hat.

Endlich mag angeführt werden, dass die heutigen Erträgnisse der Bahn wesentlich günstiger sind, als diejenigen, die für die Berechaung des Rückkaufpreises massgebend waren, dass jede Verschiebung der Verstaatlichung eine wesentliche Erhöhung der Rückkaufsentschädigung bedingt hätte, und dass daher die Benützung der ersten gegebenen Ruckkaufsmögliehkeit günstig war.

Das sind allerdings alles Momente und Erwägungen, die für die rechtliche Würdigung des Vergleiches nicht von Bedeutung sind, die aber bei einem Vergleichsabschlusse eine Berücksichtigung ebenfalls verdienen, und die uns unsern Entschluss in dieser Angelegenheit auch wesentlich erleichterten, wiewohl wir dabei nicht ganz auf unsere Rechnung gekommen sind.

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Um Ihnen Ihre Stellungnahme zu dem Vergleichsabschlusse und Ihr Urteil über die Frage der Annehmbarkeit des Kompromisses zu erleichtern, hielten wir es für angezeigt, Ihnen sowohl über den Verlauf des Prozesses, als auch über die nach unserer Ansicht in Betracht fallenden Verhältnisse verschiedener Art in grossen Zügen zu berichten, selbst auf die Gefahr hin, da oder dort ausführlicher geworden zu sein, als es an und für sich nötig gewesen wäre.

Indem wir Ihnen den Entwurf des nachfolgenden Bundesbeschlusses zur Annahme empfehlen, benützen wir den Anlass zu erneuter Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 29. August

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Rächet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des zwischen der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation und der bundesrätlichen Delegation namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft abgeschlossenen gerichtlichen Vergleiches vom 10. Juni 1911 über die Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsichtnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 29. August 1911, beschliesst: Art. 1. Dem zwischen der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation und der bundesrätlichen Delegation namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft unterm 10. Juni 1911 abgeschlossenen Prozessvergleiche, betreffend die Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn, wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Vergleiches beauftragt.

101

# S T #

Vergleich

an Sachen Gotthardbahngesellschaft in Liquidation, in Luzern gegen Schweizerische Eidgenossenschaft, betreffend Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn.

(Vom 10. Juni 1911.)

In Sachen der Gotthardbahngesellschaf t in Liquidation, in Luzern, Klägerin, die S c h w e i z e r i s c h e E i d g e n o s s e n s c h a f t , Beklagte, betreffend Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn, sind heute, Samstag, den 10. Juni 1911, vor dem Präsidenten des Schweizerischen Bundesgerichts erschienen : Als Anwalt der Klägerin: Herr Fürsprecher Dr. Schaller in Luzern, in Begleitung der Herren: R. Abt, Präsident der Liquidationskommission der Gotthardbahn, H. Dietler, geschäftsführendes Mitglied, und E. Isler, Mitglied dieser Kommission.

Als Anwalt der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Herr Dr. P. Scherrer, Advokat in Basel, in Begleitung der Herren Bundespräsident M. Ruchet, Bundesrat Dr. Forrer, und Bundesrat R. Comtesse,

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worauf sie in Erledigung des zwischen den Parteien schwebenden) Rechtsstreites über die Festsetzung der Rückkaufsentschädigung tolgenden Vergleich eingehen : 1. Die Gotthardbahngesellschaft in Liquidation verzichtet auf die von ihr gestellten bezw. vorbehaltenen Forderungen für das zweite Geleise Immensee-Brunnen, auf Rückerstattung für seit dem 1. Mai 1904 erfolgte, auf Baukonto gehörende Verwendungen und auf Rückerstattung der Ausgaben für Vorarbeiten für Projektierung des zweiten Geleises Giubiasco-Chiasso, und einer Ausweiche zwischen Luzern und Meggen, im Gesamtbefrage von Fr. 8,476,973.

2. Die Gotthardbahngesellschaft in Liquidation anerkennt, dass von dem laut früherer Vereinbarung vom 16./29. April 1909 festgestellten Betrage des kapitalisierten Reinertrages von Fr. 212,500,000 ausser dem auf Rechnung der Rückkaufsentschädigung von der Schweizerischen Eidgenossenschaft gemäss Vereinbarung vom 30.

April 1909 übernommenen Obligationenanleihen, vom 1. April 1895, im Betrage von ...

,, 117,090,000 somit vom Restbetrag von Fr. 95,410,000 in Ahzug kommt ein Betrag von . . . . ,, 11,660,000 so dass als restanzliche Rückkaufsentschädigung die Schweizerische Eidgenossenschaft der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation schuldet einen Betrag von Fr. 83,750,000 Wert 1. Mai 1909.

3. Die Schweizerische Eidgenossenschaft verzichtet auf alle weitergehenden Ahzugsforderungen, die sie im Prozesse geltend gemacht und vorbehalten hat.

4. Die Schweizerische Eidgenossenschaft übernimmt mit Wirkung vom 1. Mai 1909 an die Hülfskasse der Beamten und Angestellten der Gotthardbahn mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten einschliesslich der von der Gotthardbahn solchen noch lebenden Beamten und Angestellten zugesicherten Ansprüche, die in den Dienst der Bundesbahnen übergetreten, und nicht Mitglieder der Hülfskasse sind.

103 . 5 . Das Kapital der in Art. 2 festgesetzten Rückkaufsentsehädigung wird der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation in Bundesbahnobligationen im Nominalbetrage von 500 oder 1000 Franken, nach Wahl der Gesellschaft, zu pari gerechnet, ausbezahlt, zinsbar ab 1. Januar 1912. Diese Obligationen sind halbjährlich auf 30. Juni und 31. Dezember zu 4°/o zu verzinsen..

Sie sind rückzahlbar in Schweizerwährung nach einem aufzustellenden Amortisationsplan in 50 gleichmässigen Jahresraten vom Jahre 1922 an bis zum Jahre 1971. Der Bundesrat behält sich vor, unter Beobachtung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten die Amortisationsquoten zu verstärken oder die Obligationen ganz zurückzuzahlen; jedoch kann er von diesem Rechte erst vom 31. Dezember 1921 an Gebrauch machen.

Der Zins der Rückkaufsentschädigung vom 1. Mai 1909 an, ist zu.4°/o zu berechnen und auf 31. Dezember 1911 bar zu bezahlen,. unter Abzug der bereits geleisteten und der noch zu leistenden Anzahlung.

6. Die Schweizerische Eidgenossenschaft tritt in die Verpflichtungen der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation Dritten gegenüber ein, die sich aus dem Eisenbahnbetriebe ergeben haben: und bis heute noch nicht durch rechtskräftiges Urteil oder Vertrag erledigt sind. Anderseits tritt die Schweizerische Eidgenossenschaft in alle Forderungsrechte ein, die zurzeit der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation Dritten gegenüber zustehen und ausdem Betriebe herrühren, jedoch ohne Gewährspflicht.

7. Die bisher getroffenen Vereinbarungen, mit Ausnahme derjenigen betreffend Reistrechte., vom 17. November 1909, bleiben in Kraft.

8. Mit der Bezahlung der in Ziffer 2 festgesetzten Rückkaufsentschädigung und der dafür zu bezahlenden Zinsen sind alle Ansprüche, welche die Gotthardbahngesellschaft in Liquidation aus dem Rückkauf der Gotthardbahn an die Schweizerische Eidgenossenschaft zu erheben hat, getilgt, und die von' dieser erhobenen Ansprüche erledigt.

9. Allfällige Streitigkeiten über die Auslegung oder die Vollziehung dieses Vergleiches? entscheidet das Bundesgericht als einzige Instanz.

10. Dieser Vergleich fällt dahin, wenn er nicht bis zum.

20. Dezember 1911 die Genehmigung des Bundesrates und der Bundesversammlung, sowie diejenige der Liquidationskommission und der Generalversammlung der Aktionäre der Gotthardbahn gesellschaft in Liquidation erhalten haben wird.

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11. Mit der Ratifikation des Vergleichs ist der vor dem Bundesgericht angehobene Prozess erledigt. Die Gerichtskosten werden von beiden Parteien zu gleichen Teilen getragen. Die Parteikosten werden wettgeschlagen.

B e r n , den 10. Juni

1911.

Namens der Gotthardbahngesellschaft in Liquidation: G. Schaller.

B. Abt.

H. Dietler.

E. Isler.

Namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft : Dr. Paul Scherrer.

Rächet.

L. Forrer.

Comtesse.

Der Bundesgerichtspräsident : V. Merz.

Der Bundesgerichtsschreiber : Haber.

Der Bundesrat erteilt hiermit dem vorstehenden Vergleiche ·die Genehmigung, unter Vorbehalt der Genehmigung seitens der ihohen eidgenössischen Räte.

B e r n , den 29. August

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu dem mit der GotthardbahnGesellschaft in Liquidation abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich betreffend Feststellung der Rückkaufsentschädigung für die Gotthardbahn. (Vom 29. August 1911.)

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1911

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36

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06.09.1911

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