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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Gemeinde Thal gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons St. Gallen, vom 6. Juli 1909, betreffend die Friedhofverhältnisse in der Gemeinde Thal.

(Vom

21. März 1911.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde der Gemeinde Thal gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons St. Gallen, vom 6. Juli 1909, betreffend die Friedhofverhältnisse in der Gemeinde Thal, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden

Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

In der weitverzweigten politischen Gemeinde Thal besteht zurzeit nur ein Friedhof. Derselbe zerfällt in zwei Hauptabteilungen, die jedoch durch keinerlei Mauer oder dergleichen voneinander getrennt sind. Die eine Abteilung gehört der katho-

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lischen, die andere der protestantischen Religionsgenossenschaft.

Der Friedhof wird zurzeit nach Massgabe einer vom Gemeinderat Thal erlassenen und vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 28. Dezember 1906 genehmigten ,,Verordnung betreffend das Bestattungswesen in der Gemeinde Thala benutzt, die unter anderem folgende Bestimmungen enthält: Die in Thal und Lutzenberg verstorbenen Personen werden auf dem Friedhof in Thal beerdigt. Dem Gemeinderat Thal steht die Überwachung hinsichtlich des Unterhalts und der Angestellten zu. Dagegen wird den Kirchenverwaltungen die Wahl des Friedhofgärtners für so lange überlassen, als sie selbst dessen Entlöhnung bestreiten. Jeder Verstorbene wird vorderhand, solange der Friedhof konfessionell besorgt wird, in der Abteilung der Konfessionsgemeinschaft, zu der er gehört, bestattet. Bei Konfessionslosen ist die frühere Konfession massgebend. Ist weder die Konfession zur Zeit des Todes noch die frühere Konfession bekannt, so übernimmt abwechselnd die katholische Konfessionsgemeinschaft eine und die protestantische zwei Leichen. Die Beerdigung erfolgt in der Reihenfolge; jedoch ist die Benutzung bisher bestandener Familiengräber gestattet.

In jüngster Zeit stellte sich im protestantischen Teil des Friedhofs in Thal Platzmangel ein, so dass der Gemeinderat Thal im Mai 1908 beim Regierungsrat auf Grund einer Verständigung der beiden Kirchenverwaltungen um die Bewilligung zur Vergrösserung des Friedhofes (unter Beibehaltung der konfessionellen Trennung) nachsuchte. Diese Bewilligung wurde am 25. September 1908, nach Einholung eines Gutachtens der Sanitätskommission erteilt.

Unterdessen gelangte aber eine grössere Anzahl Bewohner der äussern Rhoden der Gemeinde Thal, die die Ortschaften Buchen, Staad, Speck und Buchberg umschliesst, mit dem Begehren an den Gemeinderat, es sei der jetzige Friedhof unverändert zu belassen und dafür an einem geeigneten Platz in Buchen ein neuer (bürgerlicher) Friedhof zu erstellen. Dieser Vorschlag hatte nun aber nach der Ansicht des Gemeinderates den Nachteil, dass die evangelische Abteilung des bisherigen Friedhofes trotz etwelcher Entlastung dennoch hätte vergrössert werden müssen. Der Gemeinderat Thal gelangte daher dazu, der Gemeindeversammlung folgenden Antrag zu stellen : ,,1. Die politische Gemeinde wolle auf ihre Kosten einen bürgerlichen Friedhof in Buchen erstellen laut vorliegendem Plan und Kostenberechnung und zugleich auch

·1.7.5 "2. den Friedhof in Thal übernehmen und als bürgerlichen Friedhof erklären.11 In der politischen Gemeindeversammlung vom 21. März 1909 ·wurde dieser Antrag des Gemeinderates mit 258 gegen 169 'Stimmen zum ßeschluss erhoben. Die aus der Mitte der Ver·sammlung gestellten Gegenanträge wurden verworfen.

II.

Am 24. März 1909 beschwerte sich die katholische Kirch·gemeinde Thal gegen den Beschluss der politischen Gemeindeversammlung Thal vom 21. März 1909, soweit er sich auf die Aufhebung der bisherigen konfessionellen Friedhofabteilungen in Thal und deren Vereinigung zu einem bürgerlichen Friedhof bezieht, beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Sie machte geltend, der angefochtene Beschluss verletze den Art. l des .st. gallischen Nachtragsgesetzes zum Gesetz über das bürgerliche Begräbniswesen. Mit Beschluss vom 6. Juli 1909 erklärte der Regierungsrat die Beschwerde für begründet und hob den Beschluss der politischen Gemeindeversammlung vom 21. März 1909, isoweit derselbe angefochten war, auf. Dieser Entscheid wurde vom Regierungsrat im wesentlichen wie folgt begründet : Wie der Bundesrat in einem im Jahre 1875 von der Bundesversammlung gutgeheissenen Bericht (Salis, Bundesrecht II. Auflage, Band 3, Nr. 1053) näher ausgeführt habe, verlange die Bundesverfassung nicht, dass den bürgerlichen Behörden das ausschliessliche und vorbehaltlose Verfügungsrecht über die Begräbnisplätze in dem Sinne zustehe, dass damit der Weiterbestand -von Friedhöfen, auf denen die Verstorbenen in gesonderten Abteilungen nach ihrer konfessionellen Zugehörigkeit beerdigt werden, 'ausgeschlossen sei. Art. 53 der Bundesverfassung lege den bürgerlichen Behörden einerseits die P f l i c h t auf, dafür zu sorgen, dass jeder Verstorbene schicklich beerdigt werde, sowie die Schicklichkeit der Beerdigung zu kontrollieren. Anderseits räume er allerdings den bürgerlichen Behörden das R e c h t ein, die bestehenden Begräbnisplätze ihres konfessionellen Charakters zu entkleiden und zu laifizieren. Allein die Grundlage für diese Befugnis müsse durch das kantonale Recht geschaffen sein, und ·die Frage, was unter ,,bürgerlicher Behörde** zu verstehen sei, ·entscheide sich nach kantonalem Recht. Es sei daher lediglich zu untersuchen, ob nach den Vorschriften der bestehenden st. gallischen Gesetzgebung über das ßegräbniswesen den politischen ·Gemeinden das Recht zustehe, bisher bestandene konfessionelle

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Friedhöfe von sich aus aufzuheben und zu laifiziereu. Diese Frage sei aber nach den einschlägigen Bestimmungen der kantonalen Gesetzgebung, insbesondere Art. 4 des Begräbnisgesetzes, vom 24. August 1873, und Art. l des Nachtragsgesetzes, vom 23. April 1906. zu verneinen, was weiter ausgeführt wird.

III.

Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates beschwert sichdie Gemeinde Thal beim Bundesrat; sie stellt den Antrag, der Bundesrat wolle den regierungsrätlichen Entscheid als bündesrechtswidrig aufheben. Zur Begründung dieses Antrages macht die Gemeinde in ihren Eingaben vom 1. September 1909 und 27. Januar 1910 im wesentlichen folgendes geltend : Der Bestand konfessioneller Friedhöfe sei an sich allerdingsnicht bundesverfassungswidrig. Dem Art. 53 der Bundesverfassung werde genügt, wenn der Kanton den bürgerlichen Behörden dasRecht wahre, das zu einer schicklichen Beerdigung Erforderliche anzuordnen. Neben dieser P f l i c h t statuiere aber Art. 53 der Bundesverfassung auch noch ein R e c h t der bürgerlichen Behörden, das Recht die Friedhöfe nach Gutfinden ganz zu laifizieren. Es stehe im Belieben der Behörden, ob sie von diesem Rechte Gebrauch machen wollen. Der kantonale Gesetzgeber könne den Fortbestand der konfessionellen Friedhöfe sanktionieren, oder aber dieselben aufheben, d. h. laifizieren. Niemals aber könne eine kantonale Gesetzgebung den Fortbestand der konfessionellen Friedhöfe in dem Sinne garantieren, dass dadurch den zuständigen bürgerlichen Behörden das Recht, über die Friedhöfe zu verfügen, entzogen oder geschmälert werde. Eine derartige kantonale Gesetzesnorm wäre ein Einbruch in zwingendes: Bundesrecht. Das bundesverfassungsmässig garantierte Recht der zuständigen bürgerlichen Behörde, die Friedhöfe ihres konfessionellen Charakters zu entkleiden, breche jede diesem Grundsatz entgegenstehende Vorschrift des kantonalen Rechts. Der regierungsrätliche Entscheid müsste also selbst dann als bundesrechtswidrig kassiert werden, wenn der kantonale Gesetzgeber, wie der Regierungsrat behaupte, eine Garantie der konfessionellen Friedhöfe statuiert hätte. In Wirklichkeit sei aber diese Behauptung des Regierungsrates rechtsirrtümlich; die kantonale Gesetzgebung statuiere diese angebliche Garantie nirgends.

Die Frage, wer die zuständige bürgerliche Behörde sei, die über die Begräbnisplätze zu verfügen hat, sei nach Massgabe der kantonalen Verfassung und Gesetzgebung zu entscheiden. Für

177 den Kanton St. Gallen sei diese Frage in der Gesetzgebung über das Begräbniswesen, speziell im Art. l des noch zu Rocht bestehenden Gesetzes über das bürgerliche Begräbniswesen vom 10. Juni 1873 zugunsten der Gemeindebehörden gelöst.

IV.

Der Regierungsrat des. Kantons St. Gallen beantragt in seinen Eingaben vom 23. Oktober 1909 und 17. März 1910 die Abweisung der Beschwerde. Er beruft sich auf die im angefochtenen Entscheid enthaltenen Ausführungen, denen er im wesentlichen noch folgendes beifügt: Der Begriff des ,,konfessionellen Friedhofestt, unter den verschiedene Abstufungen konfessioneller Einwirkungen auf das Bestattungswesen subsumiert werden, könne auf die Friedhofverhältnisse im Kanton St. Gallen nur in relativ beschränktem Umfange angewendet werden. Speziell qualifiziere sich der Friedhof in Thal, wie aus der vom Regierungsrat am 28. Dezember 1906 genehmigten Friedhofordnung hervorgehe, als ein zwar im Eigentum der konfessionellen Genossenschaften stehender und in der Regel für die Beerdigung von Konfessionsgenossen dienender Friedhof, der aber von den Organen der politischen Gemeinde besorgt und beaufsichtigt werde. Auf jeder der beiden konfessionellen Friedhofabteilungen würden die vom Gemeinderat überwiesenen Leichen, auch solche Konfessionsloser oder von Personen unbekannter Konfession, der Reihe nach beerdigt. Ein Abweichen in der Reihenfolge der Gräber aus Gründen der Todesursache oder der Nichtkonfessionsangehörigkeit finde nicht statt.

Die Behauptung der Rekurrentin, durch den angefochtenen Beschluss des Regierungsrates werde Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung verletzt, sei unzutreffend. Schon in seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 24. Mai 1875 über die Ausführung des Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung habe sich der Bundesrat u. a. wie folgt geäussert: ,,Dagegen können wir nicht finden, dass es von Bundeswegen untersagt werden dürfe, dass einzelne Religionsgenossenschaften, wie z. B. die Juden, an Orten, wo sie zahlreich vertreten sind, eigene Kirchhöfe anlegen, oder dass in einer paritätischen Gemeinde mit einem einzigen Kirchhof eine Benutzung derart stattfinde, dass die eine Hälfte von dieser, die zweite von der ändern Konfession benutzt wird. Solche Verhältnisse existieren noch an vielen Orten, und zwar gewöhnlich im allseitigen Einvernehmen. Wollen die Kantone solche

178 Ausscheidungen gesetzlich untersagen, so ist das wohl und gut, aber von Bundeswegen einzugreifen ist, nicht notwendig. Eine solche Einmischung von Seiten des Bundes würde auch vielerorts die Volksansichten, selbst wenn sie gegen die Sache an und für sich nichts einzuwenden hätten, als eine zu weitgehende Massregel verletzen." (Bundesbf. 1875, III, 22). Auch in der Folge sei an diesem Grundsatz seitens des Bundesrates. konstant festgehalten worden.

Im Gegensatz zum zweiten Satz, der eine A n w e i s u n g an die bürgerlichen Behörden enthalte, statuiere der erste Satz des Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung nur ein R e c h t der bürgerlichen Behörden gegenüber den kirchlichen Instanzen.

Die Verfassung des Kantons St. Gallen bezeichne in Art. 54 ausdrücklich den Grossen Rat als die oberste Behörde des Kantons. Er sei daher in erster Linie befugt, in Ausführung der Bundesverfassung Bestimmungen über das Begräbniswesen au erlassen. Den Gemeinden stünden in dieser Materie nur diejenigen Kompetenzen zu, die ihnen das kantonale Verfassungsund Gesetzesrecht einräumen. Der Grosse Rat habe von seinem Rechte Gebrauch gemacht, indem er das ,,Gesetz über das bürgerliche Begräbniswesen"1 vom 10. Juni 1873, das am 24. August 1873 in Kraft trat, erliess. Am 15. März 1906 habe deiGrosse Rat ein Nachtragsgesetz dazu erlassen, das am 23. April 1906 in Kraft trat. In diesen Gesetzen sei die Beaufsichtigung des Begräbniswesens den bürgerlichen Behörden zugewiesen. Die Erstellung n e u e r Friedhöfe sei ausschliesslich Sache der politischen Gemeinden. Dagegen sei hinsichtlich der beim Inkrafttreten dés Gesetzes vom 10. Juni 1873 bereits vorhanden gewesenen Friedhöfe ein Übergangszustand in dem Sinne geschaffen worden, dass die im Eigentum der Kirchgemeinden stehenden Friedhöfe solange benützt werden dürfen, als dies nach Massgabe sanitätspolizeilieher Vorschriften als zulässig erscheine. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates basiere auf den erwähnten Gesetzen vom 10. Juni 1873 und 15. März 1906.

V.

Art. 54 der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 (der mit dem frühern Art. 43 der Verfassung vom 17. November 1861 wörtlich übereinstimmt), lautet: ,,Als oberste Behörde des Kantons erlässt und erläutert er (der Grosse Rat) die Gesetze, unter Vorbehalt des verfassungsmässigen Souveränitätsrechts des Volkes.

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,,Als Gesetze werden alle. Erlasse angesehen, welche die Rechte und Pflichten der Privaten, der öffentlichen Genossenschaften, der Gemeinden und des Staates, sowie die organischen Einrichtungen des Staates, des Gerichts- und Verwaltungswesens allgemein und bleibend bestimmen.'1 Das Gesetz vom 10. Juni 1873 über das bürgerliche Begräbniswesen lautet, soweit es hier in Betracht fällt, wie folgt: ,,Art. 1. Die Besorgung und Beaufsichtigung des Begräbniswesens ist Sache der politischen Gemeinden.

,,Art. 3 Der Regierungsrat erlässt die a l l g e m e i n e n Vorschriften über das Begräbniswesen. Die von den Gemeinderäten zu erlassenden örtlichen Begräbnisordnungen unterliegen der Sanktion des Regierungsrates.

,,Art. 4. Die zurzeit b e s t e h e n d e n , den Kirchgemeinden zugehörenden Friedhöfe können solange benützt werden, als dieselben nach Massgabe sanitätspolizeilicher Vorschriften über das Begräbniswesen als geeignet erseheinen.

,,Art. 5. Die Erstellung n e u e r Friedhöfe ist Sache' der politischen Gemeinden. Für die Erstellung und den Unterhalt derselben sind die Kirchgemeinden verpflichtet, der politischen Gemeinde eine angemessene Abkurungssummè zu leisten ; im streitigen Fall entscheidet der -Regierungsrat abschliesslich über die Grosse derselben.

,,Art. 8. Der Regierungsrat ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt. "· Das Nachtragsgesetz vom 15. März 1906 hat, soweit es hier in Betracht fällt, folgenden Wortlaut: ,,Art. 1. Die bestehenden Friedhöfe, welche Kirchgemeinden, Korporationen oder Anstalten gehören, können so lange weiter benützt werden, als dies nach Massgabe sanitätspolizeilicher Vorschriften über das Bestattungswesen zulässig erscheint.

,,Nötige Erweiterungen bestehender Friedhöfe sind gestattet, sofern vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus keine Einwendungen dagegen erhoben werden können.

,,Art. 2. Das Gesetz über das bürgerliche Begräbniswesen vom 15. Juli 1873 findet auf die hier in Art. l genannten Friedhöfe entsprechende Anwendung.

,,Art. 5. Der Regierungsrat ist mit dem Vollzuge dieses Gesetzes beauftragt."

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: L Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung gibt den bürgerlichen Behörden im e r s t e n Satze ganz allgemein das Verfügungsrecht über die Begräbnisplätze ; er gewährt ihnen damit auch die Befugnis, über die Friedhöfe im Sinne der Beibehaltung des bestehenden Zustandes zu disponieren. Im zweiten Satze wird ihnen die Pflicht auferlegt, für eine schickliche Beerdigung der Verstorbenen zu sorgen. Der zweite Satz schränkt die Geltung des ersten ein : Er verpflichtet die bürgerlichen Behörden, von ihrem Verfügungsrecht so Gebrauch zu machen, dass sie sich mit dem Gebot der schicklichen Beerdigung nicht in Widerspruch setzen.

Bei der Anwendung dieser Verfassungsbestimmung auf den vorliegenden Fall sind zwei Fragen auseinanderzuhalten: 1. Wer ist die verfügungsberechtigte bürgerliche Behörde?

2. Hat die verfügungsberechtigte bürgerliche Behörde im vorliegenden Falle so über den Begräbnisplatz disponiert, dasssie die Pflicht, für eine schickliche Beerdigung zu sorgen,, verletzt hat?

II.

Die Frage, wer die über die Begräbnisplätze verfügungsberechtigte bürgerliche Behörde sei, beantwortet die Bundesverfassung nicht. Mit Recht weist die Rekurrentin darauf hin, dass darüber das jeweilige kantonale Recht entscheidet.

Nun ergibt sich aus Art. 54 der st. gallischen Kantonsverfassung, dass -- unter Wahrung der Souveränitätsrechte des Volkes -- für den Kanton St. Gallen der Grosse Rat die bürgerliche Behörde ist, die über das Begräbniswesen Vorschriften erlassen kann, also auch über die Begräbnisplätze zu verfügen befugt ist. Es steht demnach dem Grossen Rat des Kantons St. Gallons zu, über die Begräbnisplätze selbst zu disponieren, oder dieses Recht an andere bürgerliche Behörden, z. B. an die zivilen Gemeindebehörden, zu delegieren.

m.

Die weitere Frage, ob die nach der Meinung des Regierungsrates vom Grossen Rat des Kantons St. Gallen getroffene Verfügung, in bezug auf die Begräbnisplätze den bestehenden Zustand beizubehalten, bundesverfassungswidrig sei, muss verneint werden,

181 ·wenn in konkretem Falle der bestenende Zustand selbst mit dem ·Gebot der schicklichen Beerdigung nicht im Widerspruch steht.

Im vorliegenden Falle besteht der geltende Zustand darin, dass der eine Teil des Friedhofes zur Beerdigung dieser, der andere zur Bestattung jener Konfessionegenossen dient. Diese Benutzungsart eines Friedhofes verletzt aber -- wie der Bundesrat schon oft festgestellt hat -- das Gebot der schicklichen Beerdigung nicht.

IV.

Die Hauptfrage in der vorliegenden Streitsache ist somit die, ob dem Art. 4 des Gesetzes ,,über das bürgerliche BegräbnisAresen1' vom 10. Juni 1873 und dem Art. l das Nachtragsgesetzes die Bedeutung zukommt, die ihnen der' Regierungsrat beilegt, ·oder ob diese Gesetzesbestimmungen nicht viel mehr in Verbindung mit Art. l des Gesetzes vom 10. Juni 1873 dahin zu interpretieren sind, dass zwar von Kantonswegen gegen den Fortbestand der konfessionellen Friedhöfe, sofern dieselben den sanitätspolizeilichen Vorschriften entsprechen, nichts eingewendet wird, dass aber die Gemeinden berechtigt sind, die Laifizierung derselben zu beschliessen.

In dieser Beziehung muss nun aber festgestellt werden, dass der Bundesrat nicht zuständig ist, die von den Kantonsbehörden den Bestimmungen und Vorschriften kantonaler Gesetze gegebene Auslegung und Anwendung materiell zu überprüfen. Der Bundesr»t mues sich vielmehr darauf beschränken, zu untersuchen, ob diese Auslegung nicht eine offenbar willkürliche und von diesem Gesichtspunkte aus gegen die Bundesverfassung verstossende ist, was im vorliegenden Falle nicht gesagt werden kann.

Demgemäss wird erkannt: . Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 21, März

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde der Gemeinde Thal gegen den Beschluss des Regierungsrates des Kantons St. Gallen, vom 6. Juli 1909, betreffend die Friedhofverhältnisse in der Gemeinde Thal. (Vom 21. März 1911.)

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