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Kreisschreiben des

schweizerischen Industriedepartements an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Beteiligung der beruflichen Unterrichtsanstalten an der Landesausstellung.

(Vom 11. November 1911.)

Das Programm der schweizerischen Landesausstellung des Jahres 1914 in Bern sieht eine Gruppe 43 : Erziehung, Unterricht und Berufsbildung, vor.

Für uns handelt es sich um die Frage, welche Stellung betreffend das in unsern Geschäftskreis gehörende berufliche Bildungswesen einzunehmen sei.

In dieser Hinsicht möchten wir in erster Linie den Grundsatz aufstellen, dass das genannte Gebiet sich an der Ausstellung zu beteiligen habe. Man verstünde es weder in unserem Lande, noch auswärts, wenn das berufliche Bildungswesen ausbliebe, dem so hervorragende volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt und öffentliche wie private Mittel in starkem Masse zugewendet werden. Das allgemeine Interesse an ihm erheischt, dass es seine Leistungen vorführe, auch wenn der Betrieb von Schulen eine vorübergehende Störung erleidet und die Beteiligung an der Landesausstellung erhebliche Kosten verursacht.

Sodann ist zu prüfen, wie diese Beteiligung zu gestalten sei. Wir haben uns hierüber mit unsern Experten und Expertinnen für berufliches Bildungswesen (Konferenz vom 17.--20. Oktober 1911) beraten und es ergibt sich folgende Sachlage.

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A.

Es können nicht sämtliche vom Bunde subventionierten Anstalten zur Beteiligung an der Landesausstellung veranlasst werden, hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal ist ihre Zahl (gewerbliche und industrielle rund 400, hauswirtschaftliche und berufliche für das weibliche Geschlecht 540) so gross geworden, dass sie im Rahmen der Ausstellung schlechterdings nicht unterzubringen wären, hatte man doch schon an derjenigen in Genf (1896) grosse Mühe, für 190 beteiligte Schulen 2850 m 2 Bodenflache zu erlangen. Sodann ist zu berücksichtigen, dass, wie auch die Erfahrungen in Genf zeigen, die Fortbildungsschulstufe mit ihrer Masse von Zeichnungen und Heften auf die Besucher keine erhebliche Anziehungskraft auszuüben vermag.

B.

Dagegen eignen sich, wegen ihrer verhältnismässig geringen Zahl und wegen ihrer Tätigkeit, zur Beteiligung die Fachschulen mit ihren praktischen Arbeiten. Als solche nennen wir die Techniken, Kunstgewerbeschulen, Lehrwerkstätten, Schulen für Uhrenmacher, Sticker, Weber, Holzschnitzer und Töpfer, die Frauenarbeitsschulen und ausgebauten Haushaltungsschulen, eventuell mit Kollektivausstellungen: Musterateliers, Musterküche.

Hier entsteht die Frage, ob eine Fachschule, statt in der Gruppe 43, in der ihrer Industrie gewidmeten Gruppe (z. B.

Baumwollengewebe, Seidengewebe, Stickereien, Bekleidung, Weisswaren, Möbel, Holzwaren, keramische Waren, Uhren, Instrumente und Apparate) ausstellen könne. Will sie ausser in der Gruppe 43 auch in der Industriegruppe ausstellen, so steht ihr das natürlich frei. Aber es muss verlangt werden, dass die Schule sowieso in der Gruppe Unterricht erscheine. Sonst könnte die Abteilung berufliches Bildungswesen in Gruppe 43 mit Bezug auf den wichtigsten Teil, die Fachschulen, weder ein einheitliches, noch ein vollständiges Bild bieten, und der Gedanke, in einer von Bundeswegen organisierten Veranstaltung die auch unter Mitwirkung des Bundes zustande gekommene Entwicklung jenes Bildungswesens vorzuführen, ginge verloren. Einzelne Anstalten, die sich in Abteilungen für verschiedene Industrien und Gewerbe gliedern (z. B. Techniken, Kunstgewerbeschulen, Lehrwerkstätten), kamen sogar in den Fall, ihre Ausstellung zu zersplittern. Anzu-

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erkennen ist zwar, dass die Industrien und Gewerbe an den ihnen dienenden Fachschulen ein grosses Interesse haben, aber es darf aus diesem Gesichtspunkt keine Beeinträchtigung der Unterrichtsausstellung hervorgehen. Dem Bunde könnte übrigens kaum augemutet werden, die Ausstellung von der Gruppe Unterricht sich fernhaltender Anstalten zu organisieren und zu bezahlen.

Eine ungleiche und daher unzulässige Behandlung wäre es, den einen dieses Fernbleiben zu gestatten, den ändern nicht.

Betreffend die Wahl der auszustellenden Arbeiten soll den Schulen möglichste Freiheit gelassen werden. Vorbehalten bleiben Einschränkungen, die sich aus dem verfügbaren Raum ergeben, sowie gewisse Befugnisse, die der für diese Ausstellung einzusetzenden Spezialkommission zu übertragen sind.

Selbstverständlich ist, dass die Schulen nicht dazu angehalten werden sollen, technische Geheimnisse preiszugeben.

Aus den in lit. A angegebenen Gründen dürfen die Fachschulen keine Arbeiten aus den theoretischen Fächern und nur solche Zeichnungen ausstellen, die zur Anfertigung der entsprechenden ausgestellten Gegenstände seitens der Schüler geführt haben.

C.

Die untere Schulstufe sollte an der Landesausstellung immerhin nicht gänzlich fehlen. Um den Aufbau des beruflichen Unterrichts und die Art desjenigen auf jener Stufe vor Augen zu führen, erscheint es als geboten, einige Fortbildungsschulen der gewerblichen und der hauswirtschaftlichen Richtung als Beispiele herbeizuziehen. Die Ausstellung ihrer Schülerarbeiten müsste die theoretischen und praktischen Disziplinen umfassen und sich nach einheitlichen, von Bundeswegen aufzustellenden Vorschriften richten.

Auch hier verlangt die Raumfrage eine gewisse Beschränkung.

Auf der ändern Seite ist es eine heikle Sache, aus den genannten Schulen eine Auswahl zu treffen. Die beste Lösung ist vielleicht die, dass jeder Kanton eine gewerbliche und eine hauswirtschaftliche Fortbildungsschule stellt. Auf diese Weise kommen die verschiedenen Schultypen (städtische, ländliche Verhältnisse ; Schulen mit vollständigem und mit beschränktem Unterrichteplan ; Gewerbeschulen usw.) von selbst zur Darstellung. Die Bezeichnung dieser Schulen wäre den Kantonsregierungen überlassen, jedoch müssten wir uns die Genehmigung vorbehalten, um nötigenfalls einen Ausgleich zwischen den Schularten herbeiführen zu können.

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Gestattet der Raum nicht, die Arbeiten von etwa 50 Fortbildungsschulen verschiedener Art auszustellen, so muss eiue andere Lösung gesucht werden. Bei einer kleinern Zahl wird allerdings beim nicht kundigen Besucher noch mehr ein falscher Eindruck über die Ausdehnung des beruflichen Fortbildung^ Unterrichts in unserem Lande entstehen.

D.

Die Gewerbemuseen ohne Unterrichtsbetrieb und die Lehrmittelsammlungen eignen sich nicht zur Beschickung einer Ausstellung des beruflichen Unterrichtswesens.

Noch unentschieden ist die Frage, ob solchem Unterricht dienende einzelne Lehrmittel schweizerischen Ursprungs in die Ausstellung der Schulen zuzulassen seien. Streng genommen sollten die Arbeiten der Schulen nicht mit Erzeugnissen ändern Ursprungs vermengt werden. Ferner ist eine Sichtung der Lehrmittel nicht tunlich und daher auch die Vorführung solcher zu befürchten, die nicht empfehlenswert sind. Die Lehrmittel können in die 9. Untergruppe (der Gruppe 43) verwiesen werden, die unter anderm Lehrmittel überhaupt und Literatur umfasst.

E.

Um einen tiefern Einblick in die hier in Frage kommenden Bildungsgebiete zu verschaffen, ist für jedes derselben (gewerbliche und industrielle Berufsbildung, hauswirtschaftliche und berufliche Bildung des weiblichen Geschlechts) eine beschreibende Darstellung auszuführen. Diese Massnahme ist um so notwendiger, als, wie wir dargelegt haben, nur ein kleinerer Teil der Bildungsanstalten ausstellen kann.

Die Aufgabe kann voraussichtlich dio geplante schweizerische Sehulstatistik übernehmen, die ein Bild des gesamten schweizerischen Unterrichtswesens bieten wird. Dabei müssen wir allerdings verlangen, dass die genannten Bildungsgebiete gesondert, also von den übrigen getrennt, zur Darstellung gelangen und von Personen bearbeitet werden, die mit ihnen vertraut sind. Auf diese Weise. dürfte der Zweck erreicht, doppelte Arbeit und Kostenaufw.endung vermieden werden. Eine endgültige Vereinbarung mit der Leitung der Schulstatistik steht zur Zeit noch aus.

: Besondere, graphische .Darstellungen, können gleichwohl au-i gefertigt u n d ausgestellt werden.

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.'.'·.'.

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F.

Das ,,Allgemeine Ausstellungs- und Organisationsprogramm " sieht vor, dass die Leistungen der Aussteller durch ein Preisgericht beurteilt werden.

Für die an der Landesausstellung in Genf beteiligten beruflichen Bildungsanstalten hatten wir in unserer Verordnung vom 21. Mai 1894 die Bestimmung aufgestellt, dass eine Beurteilung ihrer Leistungen durch ein Preisgericht und eine Prämierung nicht stattfinde.

Es ist auch jetzt dieser Standpunkt einzunehmen, somit die Beurteilung jeder einzelnen ausstellenden Schule und die Verleihung von Auszeichnungen abzulehnen, weil es auf dem Gebiete des Unterrichts äusserst schwer hält, sichere Grundlagen für derartige Massnahmen zu erstellen. Nicht erörtert sei hier die Frage, welchen Einfluss auf die Schulen der auf die Erlangung von Auszeichnungen hinzielende Wetteifer und der Gebrauch solcher haben würde.

Dafür sind allgemeine Berichte über die gesamten beruflichen Unterrichtsgebiete in Aussicht zu nehmen, sowohl auf Grund der an der Landesausstellung gebotenen Leistungen, als auf Grund der aus der Beschreibung (lit. E) ersichtlichen Organisationsverhältnisse, also auch für die berufliche Fortbildungsschulstufe. -- Wir bringen Ihnen diese Grundzüge zur Kenntnis, mit der Einladung, davon die Beteiligten zu unterrichten. Gleichzeitig erklären wir uns gern bereit, deren Bemerkungen, sowie die Ihrigen entgegenzunehmen.

Besonders zu erledigen ist noch folgender Punkt: Die Anordnung der Bauten an der Landesausstellung ist bereits im Gange und die Erstellung solcher wird bald beginnen.

Es ist daher von grosser Wichtigkeit, den Anspruch an Raum für die Ausstellung des beruflichen Bildungsw.esens demnächst zu erfahren und geltend zu machen. Für die in lit. B genannten Fachschulen und für je eine gewerbliche und eine hauswirtschaftliche, von Ihnen vorläufig zu bezeichnende Fortbildungsschule (s. lit. C) wollen Sie uns also angeben, wie viel zu belegender Platz (ohne Gänge) von jeder Schule beansprucht wird, ausgeschieden nach Boden- und nach Wandfläche. Diese Angaben müssen einerseits maximale sein, anderseits sich auf das notwendigste beschränken. Es ist nicht zu erwarten, dass mehr Raum zur Verfügung stehen wird, als in Genf (s. lit. A).

Ausserdem ist in Bern Platzmiete zu bezahlen.

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Ob es möglich sein wird, einen der Berufsbildung gewidmeten Pavillon zu erlangen, ist zur Zeit ungewiss.

Ihre Antwort betreffend die in lit. A--F erwähnten Grundzüge, sowie die Angaben über die Raumansprüche erbitten wir bis Ende Dezember 1911. Wir behalten uns vor, je nach Umständen die Vertreter der Kantonsregierungen im Anfang des kommenden Jahres zu einer Konferenz behufs mündlicher Verhandlung über den Gegenstand einzuberufen.

Mit vollkommener Hochachtung, B e r n , den 11. November

1911.

Schweizerisches Industriedepartement : Beacher.

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Kreisschreiben des schweizerischen Industriedepartements an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Beteiligung der beruflichen Unterrichtsanstalten an der Landesausstellung. (Vom 11. November 1911.)

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