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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Abänderung einiger Bestimmungen der Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889.

(Vom 2. Oktober 1911.)

Tit.

Durch die auf 1. April 1912 in Kraft tretende Heeresorganisation wird die schweizerische Armee neu eingeteilt: an die Stelle der bisherigen acht treten sechs Divisionen. Das Gebiet der Eidgenossenschaft zerfällt künftig -- gemäss Bundesratsbeschluss vom 26. August 1911 -- in sechs Divisionskreise, welche die in und ausser dem Divisionsverbande stehenden Truppen aufnehmen.

Diese Neuerungen wirken auch auf den Bestand der Militärstrafgerichte ein, da diese auf Grund der Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889 (Art. 11) ,,Divisionsgerichte" sind, indem je eines auf jede Division entfällt.

Wir würden also, wenn an der grundlegenden Gesetzesbestimmung nichts geändert werden sollte, künftig sechs Divisionsgerichte haben; zwei der bisherigen müssen in Wegfall kommen.

Bei näherer Prüfung .zeigt sich, dass diese Lösung der Frage keine glückliche wäre.

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Gleich beim Inkrafttreten der Militärstrafgerichtsordnung drängte sich die Überzeugung auf, dass für die der 8. Division zugeteilten Truppen des Kantons Tessin ihrer Sprache wegen besondere Justizoffiziere gewählt werden sollten. Das geschah denn auch durch Bundesratsbeschluss vom 7. Januar 1890. Dabei blieb indessen das Militiirstrafgericht für die ganze, aus Truppen der Kantone Graubünden, Tessin, Oberwallis, Schwyz, Uri, Glarus, gebildete, 8. Division ein einziges, eines und dasselbe.

Dieses Vorgehen war praktisch gerechtfertigt und wohlbegründet; allein es stand mit dem Gesetze Cvgl- die Artikel 11, 12, 13, 14, 29, 31 der Militärstrafgerichtsordnung) nicht in Übereinstimmung.

Das gegenwärtige Gesetz will einheitliche Gerichte und Justizoffizierstellen für jede Division und es trifft Vorsorge für Stellvertretung im Bedürfnisfalle. Nach allgemein übereinstimmender Ansicht der massgebenden Kreise soll aber der Sprachverschiedenheit der Truppen eines Divisionskreises bei der Besetzung der militärischen Justizstellen Rechnung getragen werden.

Ein nicht minder starkes Bedürfnis solcher Rücksichtnahme besteht in Hinsicht auf die Besetzung der Militärstrafgerichte. Bin Angeklagter soll -- wenn dies überhaupt möglich ist -- von einem Gerichte beurteilt werden, dessen Mitglieder sein Idiom direkt verstehen und nicht bloss durch das gar oft mangelhafte Organ eines Übersetzers erfahren, wie er sich der Anklage gegenüber verhält ; er selbst soll -- sofern es geschehen kann -- ohne die Vermittlung eines Dolmetschers die an ihn gerichteten Fragen verstehen. Nur so wird das Prinzip der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Verhandlung vollständig gewahrt.

Nun ist der Anlass geboten, der im Jahre 1890 für eine Division teilweise getroffenen Einrichtung die gesetzliche Grundlage zu geben und sie zugleich zu vervollständigen.

Die künftige II. Division wird zu einem Teil aus französisch, zu einem Teil aus deutsch sprechenden Truppen bestehen; die künftige V. Division werden hauptsächlich Truppen deutscher Kantone und die Truppen des Kantons Tessin bilden.

Aus den eben entwickelten Gründen beantragen wir, durch das Gesetz Vorsorge zu treffen, dass diesen beiden Divisionen je zwei Militärstrafgerichte angewiesen werden können, unter Zuteilung der erforderlichen Zahl von Justizoffizieren ; ebenso je zwei
Ersatzgerichte für den Territorial- und Etappendienst.

Für die übrigen vier Divisionskreise könnten trotz der mit der neuen Truppenordnung eintretenden Verstärkung der Divi-

301 sionen e i n Militärstrafgericht und e i n Ersatzgericht wie bisarihin' wohl genügen; doch sollte vorsichtshalber der Bundesrat die Befugnis besitzen, im Falle des Bedürfnisses ein zweites Divisionsgericht aufzustellen. Dies kann sehr leicht dadurch geschehen, dass die bisherigen ,,Ersatzgerichte", die seit 20 Jahren niemals in Funktion getreten sind und als deren besondere Aufgabe dasGesetz (Art. 11, Absatz 2, der Militärstrafgerichtsordnung) die Handhabung der Militärjustiz in den Fällen, wo eine Division ihren Kreis für längere Zeit verlässt oder wenn Landwehrabteilungen ihren Divisionskreis verlassen, bezeichnet, in den Divisionskreisen I, III, IV und VI gleichzeitig als zweite Divisionsgerichte und als Ersatzgerichte für den Territorial- und Etappendienst aufgestellt werden. Dabei sollte, es immerhin zulässig sein, im Falle des Bedürfnisses neben zwei Divisionsgerichten ein besonderes Ersatzgericht zu haben.

Es ist nur zweckmässig, wenn infolge dieser Anordnung die Justizoffiziersstellen (Grossrichter, Auditor, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber) doppelt besetzt werden. Schon jetzt sind die Justizoffiziere der sogenannten Ersatzgerichte die natürlichen: Stellvertreter ihrer Kollegen bei den Divisionsgerichten; sie sollen in Zukunft regelmässiger zu Dienstleistungen verwendet werden,, was sich namentlich auch mit Rücksicht auf die bei einigen Divisionsgerichten zeitweise eintretende Überlastung der Justizoffiziere rechtfertigt.

Im allgemeinen empfiehlt es sich, die Revision des Gesetzes so zu halten, dass Raum geschaffen wird für eine den Verhältnissen entsprechende Neuordnung, ohne diese im Gesetze selbst festzulegen. Sache des Bundesrates wird es dann sein, das Zweckentsprechende zu beschliessen und anzuordnen.

Die Frage liegt nahe, ob nicht bei Anlass dieser, wie wir gesehen haben, unvermeidbaren Gesetzesrevision noch andere Punkte unserer militärischen Gerichtsverfassung und des Militärstrafverfahrens einer Revision zu unterwerfen seien. Und in der Tat fehlt es nicht an Punkten, wo das Gesetz nach den Lehren der Erfahrung verbessert, ergänzt werden könnte, wie insbesondere in den Bestimmungen über das Verfahren gegen Abwesende, sowie auch in Ansehung des Art. 16 der Militärorganisation vom 12. April 1907, dessen Anwendung dem ,,Militärgericht" ohne jede Wegleitung vom Gesetze
überlassen ist, obgleich sie notwendigerweise einheitlich und zweckmässig geordnet werden sollte.

Wenn wir im gegenwärtigen Augenblicke solcher Revisionsvorschläge uns enthalten, so geschieht es, weil die Neueinteilung der-

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Militärstrafgerichte auf gesetzlicher Grundlage rechtzeitig genug vollzogen sein muss, um auf 1. April 1912 -- Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Truppenordnung -- wirksam werden zu können, und weil es daher durchaus an der zur Durchberatung einer umfangreichern Vorlage in den gesetzgebenden Räten erforderlichen Zeit mangelt. Wir beschränken uns indessen auf das absolut Notwendige nur mit dem Vorbehalt, der Bundesversammlung bald eine grössere Vorlage betreffend unser Militärstrafverfahren zu unterbreiten. Wir können diesen Aufschub um so eher rechtfertigen, als die Militärstrafgerichtsordnung vom.

28. Juni 1889 ein Bundesgesetz ist, das sich nach dem Urteil der berufenen Kreise gut bewährt hat und in seinen Grundzügen keiner Abänderung 'bedarf.

Im Sinne der vorstehenden Ausführungen haben wir nach dem Entwurfe unseres Militärdepartements den Ihnen hiermit zugeleiteten Gesetzesvorschlag genehmigt, den wir Ihnen angelegentlich zur Annahme empfehlen.

Genehmigen Sie, Tit., auch bei diesem Anlasse die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 2. Oktober 1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Rucket.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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'(Entwurf.) ,

fiundesgesetz betreffend

Abänderung einiger Bestimmungen der Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, im Hinblick auf Art. 54 der Militärorganisation vom 12. April 1907, auf den Bundesbeschluss vom 6. April 1911 ·betreffend die Organisation dee Heeres und auf den Bundesratsbeschluss vom 26. August 1911 betreffend die Einteilung · des Gebietes der Eidgenossenschaft in Divisionskreise; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom :2. Oktober 1911, · beschliesst: I. Die Artikel 11--14 und 29--35 der Militärstrafrgerichtsordnung vom 28. Juni 1889 werden durch nachstehende Bestimmungen ersetzt: 1. Die der Militärstrafgerichtsbarkeit unterliegenden ·.strafbaren Handlungen werden von Divisionsgerichten, beim Territorial- und Etappendienst von Ersatzgerichten beurteilt.

Der Bundesrat bestimmt für jeden Divisionskreis die .Zahl der Divisionsgerichte und der Ersatzgerichte unter Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. IV.

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Berücksichtigung der numerischen Stärke, sowie auch der Sprachverschiedenheit der dem Kreise zugeteilten Truppen.

Bestehen in einem Kreise mehrere Divisionsgerichte, so kann eines derselben als Ersatzgericht für den Territorial- und Etappendienst bezeichnet werden.

2. Der Bundesrat ernennt auf eine Amtsdauer von drei Jahren die Divisions- und die Ersatzgerichte, sowie die den Gerichten beizugebenden Justizoffiziere, unter Rücksichtnahme auf die Sprachverschiedenheit der Truppen des Divisionskreises.

3. Ein Divisions-, bezw. Ersatzgericht, besteht aus dem Grossrichter als Vorsitzendem und sechs Richtern.

In Verhinderungsfällen werden die Richter durch Stellvertreter ersetzt.

Als Richter, bezw. Stellvertreter derselben, sind je drei Offiziere und drei Unteroffiziere oder Soldaten aus den Truppen des Divisionskreises zu bezeichnen. Dieselben behalten ihre sonstige militärische Stellung bei.

Einem jeden Divisions-, bozw. Ersatzgerichte werden Justizoffiziere in erforderlicher Zahl beigegeben (Auditoren, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber).

4. Die Voruntersuchung eines Straffalles wird von einem Untersuchungsrichter unter Mitwirkung eines Gerichtsschreibers geführt.

Die Gerichtsschreiber haben auch das Sekretariat und', das Rechnungswesen der Gerichte zu besorgen.

Ein Auditor vertritt die öffentliche Anklage vor dem Gericht.

5. Die Grossrichter, Auditoren, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber haben sieh im Verhinderungsfallen gegenseitig zu ersetzen.

Nötigenfalls bezeichnet der Oberauditor ausserordentliche Stellvertreter aus der Zahl der zur Verfügung stehenden Justizoffiziere.

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II. Die Wirksamkeit der nach den vorstehenden Bestimmungen ins Amt tretenden militärischen Gerichtsbehörden und Justizofflziere beginnt mit dem 1. April 1912.

In diesem Zeitpunkte noch nicht beendigte militärgerichtliche Untersuchungen werden von den bisherigen Stellen zu Ende geführt und von den bisherigen Gerichten durch Urteil erledigt.

Über Anstände ist die Weisung des Oberauditors einzuholen.

III. Der Bundesrat wird die nach Massgabe der Ziffer I gegenwärtigen Gesetzes von ihm ausgehenden Anordnungen und Wahlen so rechtzeitig treffen, dass der Vollziehbarkeit des Gesetzes vom 1. April 1912 an nichts entgegensteht.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Abänderung einiger Bestimmungen der Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889. (Vom 2. Oktober 1911.)

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11.10.1911

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299-305

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