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Schweizerisches Bundesblatt.

63. Jahrgang. I.

JE 6

8. Februar 1911.

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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Gemeinderates Baden gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau betreffend Verletzung der Bundesgesetzgebung über die Lebensmittelpolizei.

(Vom 3. Februar 1911.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des Gemeinderates B a d e n gegen den Regierungsrat des Kantons A arg au betreffend Verletzung der Bundesgesetzgebung über die Lebensmittelpolizei, auf den Bericht des Departements des Innern, sowie des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Am 8. März 1910 wollte der Stallinspektor von Baden bei einem Landwirt in der Nachbargemeinde Dättwil, der Milch nach Baden liefert, eine Stallprobe erheben. Er wurde jedoch durch den Gemeindeammann von Dättwil, der in dem beabsichtigten Vorgehen einen Kompetenzübergriff des Beamten der Gemeinde Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. I.

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Baden erblickte, daran verhindert. In der Folge suchte der Gemeinderat von Dättwil bei der kantonalen Sanitätsdirektion um Schutz gegenüber derartigen Kompetenzübergriffen nach, worauf die Sanitätsdirektion am 18. März 1910 folgendes verfügte: 1. Der Gemeinderat Baden ist nicht berechtigt, vorzuschreiben, dass die Vornahme von Stallinspektionen und die Erhebung von Stallproben in der Gemeinde Dättwil durch seine eigenen Organe geschehen müsse; 2. den Bestimmungen der eidgenössischen Verordnung zum Lebensmittelgesetz wird Genüge geleistet, wenn der Gemeinderat von Dättwil die vorerwähnten amtlichen Funktionen durch seine eigenen Organe auszuführen sich verpflichtet ; 3. von einem eventuellen Verbot der Milcheinfuhr von Dättwil nach Baden kann nur dann die Rede sein, wenn die Untersuchungsergebnisse hierzu berechtigen.

Gegen diese Verfügung der Sanitätsdirektion beschwerte sich der Gemeinderat Baden am 29. März 1910 beim Regierungsrat des Kantons Aargau. Er stellte das Begehren, der Regierungsrat wolle den Gemeinderat Baden berechtigt erklären : ,,1. Mit allen Milchlieferanten Verträge im Sinne einer separaten Milch- und Stallbeaufsichtigung durch städtische Funktionäre abzuschli essen ; ,,2. an die Bewilligung zum Verkauf von Milch in der Gemeinde Baden (Art. 8 der eidgenössischen Verordnung zum Lebensmittelgesetz) die Bedingung des Alinea 2 des gleichen Artikels zu knüpfen.''· II.

Am 14. April 1910, d. h. bevor der Regierungsrat über seine Beschwerde einen Beschluss gefasst hatte, erliess der Gemeinderat von Baden ein ,,Spezialreglement betreffend Einfuhr und Untersuchung der Milch in der Gemeinde Baden." In diesem Reglement stellt er die auswärtigen Milchlieferanten-vor die Alternative, entweder sich mit der Beaufsichtigung der Milchtiere und der Erhebung von Stallproben durch die Kontrollorgane der Stadt Baden einverstanden zu erklären, oder aber auf die fernere Milchlieferung in das Stadtgebiet von Baden zu verzichten. Die für die vorliegende Beschwerde in Betracht fallenden Bestimmungen dieses ,,Spezialreglements" lauten :

241 § 2 : Wer in der Gemeinde Baden gewerbsmässig Milch verkaufen will, hat beim Gemeinderat Baden eine Bewilligung einzuholen. Die Bewilligung wird nur denjenigen Bewerbern erteilt, die unterschriftlich ihre Zustimmung zu gegenwärtigem Spezialreglement erklären.

§ 8, Abs. 2 : Die Erhebung von Stallproben geschieht durch die amtlichen Kontrollorgane der Gemeinde Baden.

§ 11, Satz l : In den Stallungen der Milchlieferanten findet jährlich mindestens zweimal durch den Stallinspektor der Gemeinde Baden eine Stallinspektion statt.

III.

Mit Beschluss vom 28. Mai 1910 wies der Regierungsrat die Beschwerde des Gemeinderates Baden gegen den Entscheid der Sanitätsdirektion vom 18. März 1910 ab. Gleichzeitig erklärte er auf eine Beschwerde der Gemeinde Dättvvil hin den § 2 des sub II erwähnten Spezialreglements für unzulässig und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung : Nach dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantons Aargau sei die amtliche Tätigkeit der örtlichen (Gemeinde-) Gesundheitsbehörden auf das Gebiet dieser Gemeinde beschränkt; dieselben seien nicht befugt, amtliche Funktionen auf Gebiet einer ändern Gemeinde vorzunehmen. Die eidgenössische Lebensmittelgesetzgebung habe an diesem Grundsatz nichts geändert.

Art. 8 der eidgenössischen Vollziehungsverordnung gebe den Gemeindebehörden hinsichtlich der auswärtigen Milchlieferanten lediglich das Recht, zu verlangen, dass auch bei diesen eine amtliche Kontrolle durch die dort zuständigen örtlichen und kantonalen Organe durchgeführt werde.

Wenn ein Milchlieferant sich seinen Abnehmern gegenüber damit einverstanden erkläre, dass sein Stall auch noch von ändern Personen als dem örtlich zuständigen Experten seines Wohnortes inspiziert werde, so sei das als privatreehtliche Vereinbarung zwischen den Kontrahenten zulässig. Unzulässig aber sei es, dass ein Gemeinderat die auswärtigen Milchlieferanten zwinge, sich entweder dieser gesetzlich nicht vorgeschriebenen Kontrolle zu unterziehen oder auf die Milchlieferung zu verzichten.

IV.

Mit Eingabe vom 1. Juli 1910 beschwert sich der Gemeinderat Baden gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 28. Mai

242 1910 beim Bundesrat. Er stellt den Antrag, der Bundearat wolle die vom Regierungsrat beanstandete Bestimmung des ,,Spezialreglements betreffend Einfuhr und Untersuchung der Milch in der Gemeinde Badena vom 14. April 1910 als der eidgenössischen Lebenmittelgesetzgebung entsprechend und daher rechtsbeständig erklären. Dieses Begehren wird im wesentlichen wie folgt begründet : Wenn der Regierungsrat seinen Entscheid damit begründe, dass keine Gemeindebehörde in einer ändern Gemeinde amtliche Funktionen ausüben dürfe, so übersehe er vollständig, dass es dem Gemeinderat von Baden gar nicht darum zu tun sei, seine Kompetenzen auf die Nachbargemeinde Dättwil auszudehnen und in die dortigen Verhältnisse hineinzuregieren. Es komme ihm lediglich auf eine zuverlässige Kontrolle der in der Gemeinde Baden in den Verkehr gebrachten Milch an. Und da zu dieser Kontrolle gemäss Art. 8, Abs. 2, der eidgenössischen Verordnung zum Lebensmittelgesetz auch die Kontrolle der Tiere und Ställe gehöre, so seien die Badener Behörden nach Bundesrecht zur Vornahme auch dieser Funktionen berechtigt. Diese Stallinspektionen und Milehproben bildeten einen Teil der Badener Milchuntersuchung. Sie verunmöglichen hiesse einen wichtigen Teil der eidgenössischen Lebensmittelgesetzgebung für Baden illusorisch machen.

V.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt in seiner Vernehmlassung vom 23. September 1910, ,,der Rekurs des Gemeinderates Baden sei abzuweisen, beziehungsweise, soweit Fragen kantonalen Rechtes vorliegen, sei darauf nicht einzutreten.tt Dieser Antrag wird im wesentlichen wie folgt begründet: Nach dem kantonalen Verfassungs- und Verwaltungsrecht sei die amtliche Tätigkeit der örtlichen Behörden auf das Gebiet einer bestimmten Gemeinde beschränkt. Dieser Grundsatz sei im Gemeindeorganisationsgesetz und in der kantonalen Verordnung zum Lebensmittelgesetz noch ausdrücklich festgelegt worden.

Der Rekurs könnte daher nur dann geschützt werden, wenn die vom Gemeinderat Baden in Anspruch genommene Befugnis aus Art. 8 der eidgenössischen Verordnung zum Lebensmittelgesetz resultieren würde, was nicht der Fall sei.

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Es ist ohne weiteres klar und wird seitens des Regierungsrates auch nicht bestritten, dass der Gemeinderat Baden als örtliche Gesundheitsbehörde berechtigt ist, zu verlangen, dass diejenigen, welche gewerbsmässig Milch nach Baden verkaufen wollen, bei ihm eine Bewilligung hiefür einholen. Ebenso ist klar, dass der Gemeinderat Baden berechtigt ist, die Erteilung der Bewilligung von der Erfüllung der durch die Lebensmittelgesetzgebung für den Verkehr mit Milch aufgestellten Vorschriften abhängig zu machen.

II.

Gemäss Art. 8, Abs. 2, der eidgenössischen Verordnung betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegengtänden ist der Gemeinderat Baden ferner berechtigt, die Tiere, deren Milch nach Baden in den Verkehr gebracht wird, die Besorgung derselben, sowie die Gewinnung der Milch amtlich überwachen zu lassen. Dieses Recht wird ihm auch vom Regierungsrat nicht bestritten. Der Regierungsrat hat nur entschieden, der Gemeinderat Baden sei nach dem aargauischen Verfassungsund Verwaltungsrecht nicht befugt, diese Prüfung ausserhalb der eigenen Gemeinde selbst vornehmen zu lassen, sondern er müsse sich an den Gemeinderat Dättwil, eventuell an die kantonale Aufsichtsbehörde wenden. Dem gegenüber behauptet der Gemeinderat Baden, die eidgenössische Lebensmittelgesetegebung, speziell Art. 8 der eidgenössischen Verodnung betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenstände, verleihe ihm das Recht, diese Prüfung selbst vorzunehmen, was der Regierungsrat bestreitet.

Art. 6 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen verpflichtet die Kantone, örtliche Gesundheitsbehörden für jede Gemeinde oder für mehrere zu diesem Zwecke vereinigte Gemeinden einzusetzen, sowie die örtlichen Gesundheitsbehörden den kantonalen Aufsichtsbehörden zu unterstellen. Aus dem Ausdruck ,,örtliche Gesundheitsbehörde'muss -- im Gegensatz zu der Auffassung des Gemeinderates Baden -- geschlossen werden, dass die Kompetenz dieser Behörde territorial begrenzt ist. Das Bundesgesetz schreibt die territoriale Abgrenzung der Kompetenzen vor, weil eine andere Regelung

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den Keim zu zahlreichen Konflikten enthalten, eine geregelte Administration verunmöglichen und das Verantwortlichkeitsgefühl und die Autorität dieser Behörden untergraben würde. Der im aargauischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht enthaltene Grundsatz der territorialen Abgrenzung der Kompetenzen der örtlichen Gesundheitsbehörden entspricht also der eidgenössischen Lebensmittelgesetzgebung, während die vom Rekurrenten angestrebte Regelung derselben widersprechen würde.

Der Bund kann und muss zweifellos verlangen, dass die Kantone nicht eine Regelung treffen, durch die die wirksame Durchführung der eidgenössischen Leb'ensmittelgesetzgebung verunmöglicht oder wesentlich erschwert wird. Dass letzteres im vorliegenden Fall zutreffe, kann nicht angenommen werden.

Denn erstlich liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gemeinderat Dättwil, d. h. die nach dem Recht des Kantons Aargau zuständige örtliche Gesundheitsbehörde, auf den Antrag des Gemeinderates Baden die Stallinspektionen und Milchproben nicht richtig durchzuführen gewillt oder in der Lage wäre. Sollte es aber die Gesundheitsbehörde von Dättwil an dem nötigen Entgegenkommen oder an der richtigen Ausführung der Kontrolle fehlen lassen, so wäre die Hülfe des kantonalen Lebensmittelinspektors resp. der kantonalen Aufsichtsbehörde anzurufen. Es ist anzunehmen, dass eia solcher begründeter Appell an die kantonalen Behörden von Erfolg begleitet sein würde. Sollte dies aber, gegen Erwarten, nicht der Fall sein, so könnte alsdann die Intervention des Bundesrates nachgesucht werden.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

B e r n , den 3. Februar

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Rächet.

Der I. Vizekanzler: David.

·-·Ö-CKS

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Gemeinderates Baden gegen den Regierungsrat des Kantons Aargau betreffend Verletzung der Bundesgesetzgebung über die Lebensmittelpolizei. (Vom 3. Februar 1911.)

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