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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Einfuhr von überseeischem Gefrierfleisch.

(Vom 24. März 1911.)

Tit.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahres beschäftigte die Frage der Lebensmittelteuerung fast alle Staaten Europas. Wie in Deutschland und Österreich, so stunden sich auch bei uns die Interessen der städtischen Bevölkerung und der Landwirtschaft gegenüber.

Der Bundesrat trat dieser Frage schon im Oktober letzten Jahres näher. Er befasste sich also vor der Eingabe des Städteverbandes und der Motion Greulich einsehend mit der Lebensmittelteuerung, und zwar ganz speziell mit der in den Vordergrund gerückten Frage der Fleischteuerung. Neben dem genauen Studium der schweizerischen Verhältnisse wurden unsere Gesandtschaften in Berlin, Wien und London beauftragt, über den Stand der Angelegenheit in den betreffenden Staaten zu berichten.

Vorerst sei hier festgestellt, dass zurzeit in unserm Land wohl von einer Fleischteuerung, jedoch durchaus nicht von einer eigentlichen Fleischnot gesprochen werden kann. Diese beiden Begriffe sind bei der Besprechung der ganzen Angelegenheit auseinander zu halten. Die Ursachen der Fleischteuerung decken sich im allgemeinen mit den Ursachen der Verteuerung aller Lebensmittel überhaupt. Es sind dies:

915 1. die allgemeine Geldentwertung; 2. unverhältnismässige Zunahme des Konsums gegenüber der Produktion; 3. die Verteuerung der Produktionskosten infolge höherer Bodenresp. Mietpreise und besserer Bezahlung aller Arbeitsleistungen ; 4. die innert wenigen Jahrzehnten grosse Steigerung der Nachfrage nach den meisten Bedarfsartikeln, hervorgerufen durch die bessere Lebenshaltung aller Klassen, durch Erschliessung immer neuer Absatzgebiete und nicht zum weniasten auch durch die immer einseitiger werdende Ernährung unseres Volkes selbst.

Was den letzten Punkt betrifft, so ist es wohl am Platze -- trotz der Kritik, der man sich dabei aussetzt -- hier zu bemerken, dass wir im allgemeinen viel zu viel essen und uns dabei noch höchst unrationell ernähren. Es sind dies zwei Faktoren, die in volkswirtschaftlicher Hinsicht von weittragendster Bedeutung sind und gegen welche die moderne Verdauungsphysiologie schon seit langem mit aller Energie ankämpft.

Einen Beweis dafür, dass auch in ändern Ländern die Volksernährung immer einseitiger wird, bieten Italien und ÖsterreichUngarn. Bis vor kurzem waren dies unsere billigsten und bequemsten Fleischbezugsquellen, heute importieren beide Länder selbst Schlachtvieh, und bereits haben sie auch mit der Einfuhr von gefrorenem, argentinischem Fleisch begonnen.

Es wurde behauptet, schuld an der Teuerung im allgemeinen seien die hohen Nnhrungsmittelzölle. Über die Zollansätze für Fleisch und Vieh sind nähere Angaben auf Seite 925 und 926 enthalten.

An Zöllen für je ein Kilo Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Kakaobohnen, Kafiee, Tee, Zucker, Butter und Schweineschmalz, für total 10 Kilogramm dieser wichtigen Nahrungsmittel zahlt der Schweizer zirka 50 Rp., der Deutsche Fr. 3. 10, der Italiener Fr. 5. 57, der Österreicher Fr. 5. 20, der Franzose Fr. 5. 45 und sogar der freihändlerische Engländer noch Fr. 1. 77. Unsere 'Nachbaron bezahlen also durchschnittlich ungefähr zehnmal mehr als wir.

Im Jahre 1909 betrugen die Zollerträgnisse aus sämtlichen Nahrungsmitteln Fr. 17,161,495. Davon muss nun abgezogen werden die Gebühr für dasjenige Quantum Zucker, welches in kondensierter Milch, Schokolade, Fruchtkonserven, Konfiserieartikel etc. wieder exportiert wird. Ebenso die Erträgnisse auf Malz, welche zum Grossteil die Brauereien betreffen. Die Zölle für feine Esswaren aller Art wie Wildbret, Geflügel, Kaviar, Austern etc.

werden, weil diese Artikel zum grössten Teil für unsere Hotel-

916 industrie bestimmt sind, indirekt von den Fremden bezahlt. Die Nahrungsmittelzölle, welche wirklich vom Schweizervolk getragen werden müssen, belaufen sich auf kaum Fr. 4 im Jahr per Kopf, also nur wenig mehr als l Rp. pro Tag. Man wird einsehen, dass wir selbst mit Abschaffung sämtlicher Zölle auf Nahrungsmitteln die Teuerung nicht aus der Welt schaffen könnten.

Tatsache ist indessen, dass man in weiten Kreisen der Bevölkerung billigeres Fleisch verlangt. Tritt man, rein objektiv, dieser Frage näher, so wird in Berücksichtigung der vorderhand unwandelbaren Ursachen der Lebensmittelverteuerung ohne weiteres klar, dass eine die Konsumenten befriedigende Reduktion der Kosten von ,,Fleisch erster Qualität" ohne zu weitgehende Schädigung der Produzenten unseres Landes gar nicht möglich ist.

Der Ruf nach ,,billigerem Fleisch" bedeutet demnach eine Forderung nach ,,Fleisch zweiter bezw. minderer Qualität", welches auch weniger kostet.

Die Mittel zur Herabzwingung der Fleischpreise im Inland scheinen sehr einfacher Natur zu sein. Sie bestehen in weitgehender Öffnung der Grenze für die Einfuhr von Schlachttieren und in der unbeschränkten Gestattung der Einfuhr von ausländischen Fleischwaren und Fleischpräparaten, wie sie in Masse von den viehreichen Ländern (Amerika, Australien, Argentinien und NeuSeeland) in den Handel gebracht werden, und wozu nun vor allem auch das gefrorene, überseeische Fleisch gehört. Diese beiden Massnahmen, uneingeschränkt durchgeführt, würden aber, abgesehen von der Schädigung unserer Landwirtschaft, auch ganz bedeutende hygienische Gefahren zur Folge haben. Der Bundesrat dürfte sie unter keinen Umständen in zu weitgehender Weise bewilligen. Dagegen soll er sein möglichstes tun, um auch den Konsumenten gerecht zu werden.

Die Tierproduktion unseres Landes kann nachweisbar den Fleisch bedarf unserer Bevölkerung nicht vollständig decken.*) In Rücksicht hierauf haben wir, trotz der dadurch vermehrten Gefahr der Einschleppung von Tierseuchen, bisanhiu unsere Grenze auch der Einfuhr von Schlachtochsen, -Stieren, -Kälbern, -Schweinen und -Schafen geöffnet. Ausserdem werden ausnahmsweise auch Kühe und Rinder zur Einfuhr zugelassen. Seitdem nun in jüngster Zeit Deutschland die Schlachtvieheinfuhr aus Frankreich gestattet hat, ist unsern Viehimporteuren in ihrer Hauptbezugsquelle
eine bedeutende Konkurrenz erwachsen, die droht, mit ihren Folgen sich im Fleischmarkt unseres Landes verteuernd bemerkhar zu machen. Wiederholte Eingaben des schweizerischen Viehimpor*) Vergleiche Beilage l a.

917 teurenverbandes veranlaasten uns zu prüfen, ob nicht den Bedürfnissen entsprechend die Einfuhr von Schlachtrindern für die Schlachthäuser der grössern Städte des Landes zu bewilligen eei. Dies könnte unter aller Wahrung der Interessen unserer «inheimischen Tierproduktion gestattet werden, weil dabei nur die Einfuhr von billiger«! Fleisch erster Qualität in Betracht käme.

Auf diese Frage wird man um so eher eintreten müssen, da die zurzeit bewilligte Einfuhr von Schlachtochsen aus Argentinien ·weder Importeure, Metzger noch Konsumenten sehr befriedigt.

II.

Was nun die Frage der Einfuhrbewilligung von überseeischem Gefrierfleisch anbetrifft, so muss vor allem darauf aufmerksam gemacht werden, dass darüber, gemäss Art. 21 der Verordnung beireffend die Untersuchung von Fleisch und Fleischwaren, vom ·29. Januar 1909, das eidgenössische Departement des Innern zu «ntscheiden hat. DHS Landwirtschaltsdepartement hat sich mit den zu treffenden viehseuchenpolizeilichen Massnahmen zu beschäftigen. Da nun naturgemäss auch die schweizerische Landwirtschaft in hohem Masse an dieser Frage beteiligt ist und das Departement des Innern nicht über die nötigen Kontrollorgane verfügt, so übertrug der Bundesrat die Behandlung der ganzen Angelegenheit seinem Landwirtschaftsdepartement.

Am 7. Dezember 1910 richtete der Vorstand des schweizerischen Slädteverbandes an uns die als Beilage Nr. 2 bezeichnete Eingabe.

Von mehreren Privaten und Gesellschaften wurden Gesuche um Einfuhrbewilligungen von gefrorenem, überseeischem Fleisch «ingereicht.

Am 22. Dezember erklärte der Nationalrat folgende von Herrn Greulich und Mitunterzeichnern eingereichte Motion einstimmig erheblich: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen und beförderlich Bericht zu erstatten, ob und durch welche Massregeln die immer noch steigende Verteuerung der notwendigsten Lebensmittel gemildert werden kann, insbesondere, ob nicht die Einfuhr gefrorenen Fleisches aus Argentinien zu erleichtern sei."

Die Motion wurde von uns angenommen und vom Chef des Landwirtsehaftsdepartementes dahin beantwortet, dass wir die bereits begonnene Prüfung der Frage der Einfuhr von Gefrierfleisch fortsetzen und in der Frühjührssitzung den Räten über die von uns getroffenen Verfügungen weiter Bericht erstatten werden.

918

III.

Anfangs Januar 1911 fand unter dem Vorsitz des Chefs des Landwirtschaftsdepartementes eine Konferenz statt, an der folgende Departemente vertreten waren : Departement des Innern durch die Herren: Direktor Schmid.

Professor Dr. Schaffer.

Zolldepartement: Oberzolldirektor Suter.

Landwirtschaftsdepartement: Abteilungschef Müller.

Dr. Bürgi.

Diese Sitzung diente zu einer allgemeinen Besprechung und Orientierung in der ganzen Angelegenheit. Die definitiven Vorschriften für die Einfuhr von Gefrierfleisch sollten erst aufgestellt werden, nachdem Herr Dr. Bürgi, den wir zum Studium der Frage nach London sandten, seinen Bericht abgeliefert hatte.

Es wurde nicht unterlassen, die im Jahre 1906 (31. Oktober) der Firma Alberto & Fusi in Zürich ausnahmsweise erteilte Bewilligung zur Gefrierfleiseheinfuhr zu besprechen. Wenn damals der ZollansaU von Fr. 10 per 100 kg als zulässig erklärt wurde, so ist dies auf die Tatsache zurückzuführen, dass es sich in diesem Falle um eine Probe handelte, bei der das gefrorene Fleisch nicht nur mit Bezug auf den Zoll, sondern auch in allen übrigen Beziehungen dem frischen Fleisch gleichgestellt wurde. Dadurch stellte sich denn auch der Verkaufspreis auf bO Rappen per Va kg, alsomindestens ebenso hoch, wie beim jetzigen Zollansatz mit den von uns bewilligten Erleichterungen.

Über die Frage der L i m i t i e r u n g der Einfuhr herrschten bei den Kommissionsmügliedern verschiedene Ansichten. Immerhin erachteten wir es als zweckmässig, in dieser Angelegenheit am 14. Januar folgendes Zirkular an die Kantonsregierungen zu erlassen : ,,Der Bundesrat beabsichtigt, in nächster Zeit die probeweise Einfuhr von gefrorenem Fleisch für solche Städte zu gestatten, welche die erforderlichen Gefrier- und Kühleinrichtungen besitzen, und für welche die zuständige kantonale Behörde die Verantwortung für den ordnungsgemässen Vertrieb übernimmt.

Ein Einfuhrmonopol wird nicht erteilt, sondern es sollen alle Interessenten, deren Gesuche durch Vermittlung der kantonalen Behörden an das Schweiz. Landwirtschaftsdepartement gelangen, berücksichtigt werden.

In volkswirtschaftlicher und hygienischer Hinsieht erachten wir eine gewisse Limitierung der einzuführenden Quantität gefrorenen Fleisches als sehr zweckmässig. Die unbeschränkte Ein-

919 fuhr könnte die Schweiz. Landwirtschaft, wie das Schweiz. Metzgergewerbe schwer schädigen, und ferner ist zu bedenken, dass daseinmal aufgetaute Fleisch in höchstens l--2 Tagen dem Konsum übergeben werden muss.

Wir sind überzeugt, dass die Limitierung der Einfuhrquantitä eine der schwierigsten Fragen in dieser Angelegenheit bildet. In Berücksichtigung der soeben angeführten Tütsachen glauben wir aber doch, an Sie das Gesuch richten zu sollen, uns bis spätestensEnde dieses Monats mitzuteilen, ob und in welcher Weise Sie eine quantitative Limitierung des Gefrierfleisches für die in Ihrem Kanton in Frage kommenden Städte als zweckmässig und möglich erachten."

Anfangs Februar kehrte Herr Dr. Bürgi von London zurück; am 11. Februar erstattete er seinen Bericht (s. Beilage 3).

Auf den 13. Februar wurde die genannte Kommission zu einer zweiten Konferenz einberufen. Da nun auch die Transportverhältnisse besprochen werden mussten, ersuchten wir die Bundesbahnverwaltung, sich vertreten zu lassen. Von dieser wurde Herr Oberbetriebschef Stutz abgeordnet.

Der Bericht des Herrn Dr. Bürgi war im Manuskript allea Mitgliedern der Kommission zugestellt worden.

In dieser Sitzung fand nun zuhanden des Bundesrates dieAufstellung der Bedingungen für die Einfuhr von Gefrierfleisch an Hand einer vom Landwirtschaftsdepartement ausgearbeiteten Vorlage statt.

Zu dieser Zeit hatten ausser Basel-Landschaft bereits alle Kantone auf unser Kreisschreiben vom 14. Januar 1911 geantwortet.

Eine Zusammenstellung der wichtigsten in den Kantonsschreiben aufgeführten Punkte ergibt betreffend Limitierung folgendes: Kantone, die mit einer Limitierung der Quantität einverstanden sind: B e r n (für Kanton Bern wöchentlich 15 Tonnen); L u z e r n (Einfuhr sollte soweit limitiert werden, dass die Handhabung der sanitätspolizeilichen Kontrolle nicht allzusehr erschwert wird) ;, U r i (wöchentlich l Wagen; namentlich mit Limitierung einvertanden, dass die einheimische Landwirtschaft, Viehzucht und das Metzgergewerbe nicht allzuschwer geschädigt werden); S c h w y z ; , F r ei b ü r g (namentlich einverstanden, dass Landwirtschaft und Metzgergewerbe nicht allzusehr geschädigt werden);Solothurna (Einfuhr sei auf das möglichste Minimum zu beschränken); S t .

G a l l e n (ca. 10,000 kg); A a r g a u .

·920 Kantone, die mit einer Limitierung der Quantität nicht einverstanden sind: Z ü r i c h ; B a s e l - S t ad t (Limitierung würde dem Grundsatz ·der Handels-und Gewerbefreiheit widersprechen); G r a u b u n d e n (quantitalive Limitieruu» sei unmöglich zu bestimmen); T essi n .(Beschränkung der Einfuhr würde den Nutzen der Sache erheblich vermindern); W a a d t ; W a l l i s ; N e u e n b u r g (Beschränkung der Einfuhr würde den gewünschten Zweck nicht erreichen); Genf.

Kantone, die nicht im Fall sind, betreffend quantitativer Limitierung Vorschläge zu machen: Obwalden; N i d w a i d e n ; Zug; Glarus; Schaff1ha u se n; A p p e n z e l l A . - R h. und I. - Rh. ; T h u r g a u .

Der schweizerische Bauernverband, dem unser Kreisschreiben vorn 14. Januar ebenfalls zur Begutachtung zugesandt wurde, befürwortet die Limitierung und ersucht für den Fall einer Zulassung der Gefrierfleischeiüfuhr um Berücksichtigung einer Anzahl besonderer Begehren (Beilage 4).

Aus den Antworten der Kantone und des schweizerischen Bauernverbandes auf unser Kreisschreiben vom 14. Januar 1911 ·ergibt sich also, dass 8 K a n t o n e (Bern, Luzern, Uri, Schwyss, Freiburg, Solothurn, St. Gallen, Aargau) und der schweizerische Bauernverband die Limitierung der Einfuhrquantität befürworten; 3 K a u t o n e (Zürich, Busel-Stadt, Graubüuden, Tessin, Wwadt, Wallis, Neuenburg, Genf) dngegen eine solche ablehnen. Nicht Stellung zu dieser Frage nehmen 8 K a n t o n e ^Obvvalden, Nidwaiden, Appenzell I.-Kh. und A.-Rh., Thurgau, Zug, Glurus, Sthnffiausen); \ K a n t o n (Basel-Landschaft) hat nicht geantwortet.

IV.

Nach reiflicher Berücksichtigung aller Verhältnisse beschlossen wir am 18. Februar 1911, die Einfuhr von gefrorenem überseeischem Fleisch versuchsweise auf Zusehen hin unter gewissen Bediogungen zu bewilligen (Beilage 1).

Dabei leiteten uns folgende Erwägungen: Was vorerst die Frage der Limitierung betrifft, so sehen wir ·von einer solchen ab, da wir dieselbe sachlich nicht für notwendig «rächten und dafür halten, dass eine strikte Durchführung derselben leicht dazu führen könnte, die Bewilligung für einen Grossteil

921 «unserer Bevölkerung illusorisch zu machen. Dagegen lehnen wir ·die Behauptung einzelner Kantonsregierungen, dass der Bundesrat laut Art. 31 der Bundesverfassung nicht das Recht habe, eine Limitierung zu bestimmen, des ausdrücklichsten ab. Art. 31, Ziff. d, und Art. 69bis der Bundesverfassung ermächtigen den Bundesrat zu einer solchen Massnahme.

Die meisten Interessenten verlangten die Verlegung der Gefrierfleischuntersuchung an den Bestimmungsort.

Wir sind diesem Wunsche gestützt auf Art. 34, AI. 3, des Bundesgeselzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 ,,(diese Verordnung wird bestimmen, inwieweit Fische, Wildbret, Geflügel und andere ·einer raschen Verderbnis ausgesetzten Lebensrnitteln von der ·Grenzkontrolle ausgenommen werden sollen)" entgegengekommen.

Die sanitarische Untersuchung und die Zollbehandlung des Gefrierfleisches linden am Ankunftsorte statt.

Während der schweizerische Bauern verband die in Art. 15 ·der Verordnung betreffend die Untersuchung von Fleisch und Fleisch waren vom 29. Januar 1909 vorgeschriebene Beigabe der inneren Organe auch für das Gefrierfleisch unbedingt verlangt, wünschen der Städteverband und die meisten Interessenten, duss ·von dieser Bedingung für die Gefrierfleischeinfuhr abgesehen werde.

Nach reiflicher Überlegung entschieden wir, für die versuchsweise Gefrierfleischeinfuhr die Beigabe der innern Organe nicht vorzuschreiben. Eine solche Vorschrift hätte die Einfuhr einstweilen geradezu verunmnglicht. Bei der gegenwärtig in den Herkunftsländern gebräuchlichen Tierkörperteilung wären mehrere Monate verstrichen, bis unsere Importeure eine unseren Vorschriften entsprechende Teilung erwirkt hätten. Die Einfuhr wäre dann nicht vor den sowieso für den Transport sehr ungünstigen Sommermonaten erfolgt. Es ist ferner nicht zu vergessen, dass gerade diese parenchymatösen Organe durch den Gefrier- und Auftauungsprozess .am nachteiligsten beeinflusst werden und deshalb am ehesten eine ·Gefahr für das konsumierende Publikum bilden.

Sollte die heute versuchsweise Gefrierfleisuheinfuhr zu einer «tändigen Einrichtung werden, so müsbten wir wahrscheinlich dennoch aus gesundheitspolizeilichen Gründen die Beigabe der innern Organe, und zwar in Verbindung mit dem Tierkörper vorschreiben.

Dadurch würde natürlich der
Transport und damit der Preis des Fleisches bedeutend verteuert. Die Bedingungen für die Einfuhr von Gefrierfleisch würden sich alsdann ziemlich decken mit denjenigen, die heute für frisches Fleisch gültig sind. Infolgedessen ·dürfte dann der Moment gekommen sein, sich mit der Frage zu

922 befassen, ob und wie weit eine Reduktion des Zollansatzes angezeigt wäre.

Von verschiedenen Seiten wurde behauptet, Gefrierfleisch* dürfe laut Gesetz und Verordnungen nur in ganzen Tierkörpern zur Einfuhr gelangen. Dies ist nicht richtig, denn Art. 16 or>genannter Verordnung gestattet die Einfuhr in Vierteln. Seit Jahren liefern uns verschiedene europäische Staaten Fleisch von Tieren des Rindergeschlechts, welches alles in Vierteln, und zwar in Verbindung mit den inneren Organen eingeführt wird.

Für das Gefrierfleisch sind Ursprungszeugnisse nach Art. 11 der gleichen Verordnung auszustellen. Da nun solche Zeugnissevon den Herkunftsländern nicht sofort geliefert werden können, so beschlossen wir, um die Einfuhr nicht auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben, bis zum 1. Mai auch amtliche ausländische Zeugnisse als gültig anzuerkennen, die den Vorschriften dèsArt. 11 nicht ganz entsprechen.

Die Bezeichnung des Gefrierfleisches mit einem besonderen Stempel, sowie die in Art. 8, 9 und 10 aufgestellten Spezialvorschriften, erachteten wir als notwendig.

Statt der in Art. 21 der genannten Verordnung für die Einfuhr des Gefrierfleisches vorgesehenen Einholung einer jeweiligen Spezialerlaubnis durch die Kantonsregierungen verlangen wir in Art. 2 unseres Beschlusses nur ein Gesuch mit dem Nachweis, dass dem Art. 3 des Bundesratsbeschlusses Genüge geleistet sei.

Was nun den Detailverkauf des Gefrierfleisches anbetrifft, so stellten wir nur Bedingungen allgemeinsler Natur auf. Wir sind der Ansicht, dass genauere Vorschriften betreffend die Kleisehschau und den Vertrieb des Gefrierfleisches von den Kantonen selbst erlassen werden sollen. Bei der Vielseitigkeit der an una gestellten Begehren und in Anbetracht der verschiedenartigen Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen dürfte eine zweckmassige, allgemein gehaltene Bestimmung kaum zu finden sein.

Es ist selbstverständlich, dass wir den Transport von Gefrierfleisch nur in zweckmässig eingerichteten Kühlwagen gestatten können. Die Bundesbahnen besitzen zurzeit keine solchen und wie uns ihr Vertreter mitteilte, ist auch keine Aussicht vorhanden, dass nächstens Kühlwagen erstellt werden. Dagegen sind in der Schweiz gut eingerichtete, Privaten und Gesellschaften angehörende Kühlwagen vorhanden. Aus hygienischen, leic-ht begreiflichen" Gründen muss an dieser
Transportbedingung festgehalten werden.

Die Importeure, beziehungsweise ihre Lieferanten haben für geeignetes Transportmaterial zu sorgen. Schon bei der ersten Sendung wurde versucht, diese Vorschriften zu umgehen, und zum Teil ist

923

·dies auch gelangen. Wir haben hierauf die Zollämter beauftragt, alle Sendungen, die den Vorschriften betreffend den Transport von Gefrierfleisch nicht entsprechen, rücksichtslos zurückzuweisen.

Aus dem Bericht des nach London gesandten Beamten ergibt sich, dass nach England gegenwärtig ausser Gefrierfleisch auch ziemlich viel überseeisches K ü h l f l e i s c h eingeführt wird. Dieses letztere wird unmittelbar nach der Schlachtung bei einer auf maschinellem Wege erzeugten Temperatur von beständig --i bis --11/a° Celsius aufbewahrt und transportiert; es ist deshalb naturgemäss weniger haltbar als das durch eine konstante Temperatur von --10° Celsius konservierte Gefrierfleisch. Die Anforderungen, die in hygienischer Beziehung an das überseeische K ü h l fleisch zu stellen wären, müssten also viel weiter gehen, als wie wir sie für Gefrierfleisch vorsehen.

Bezeichnend für den Unterschied der beiden Konservierungsinethoden ist die Tatsache, dass z. B. der Export von australischem Kühlfleisch nach England aufgegeben werden musste, weil bei ·einer Kühlung von nur --1° Celsius dieses Fleisch den langen Transport nicht aushallen konnte, ohne an seiner Qualität Schaden zu leiden. Für uns kommen hierzu noch die unvermeidlichen, das Fleisch ebenfalls benachteiligenden Umladeverhältnisse in Betracht. In Berücksichtigung dieser Verhältnisse erachteten wir es als durchaus geboten, die Einfuhr von überseeischem Kühlfleisch vorläufig auszuschliessen.

Solches K u h l fleisch darf auch nicht verwechselt werden mit dem aus kontinentalen Ländern (Dänemark, Holland etc.)

schon seit Jahren nach der Schweiz eingeführten frischen Fleisch, das lediglich zur Haltbarmachung während des Transportes in mittels Eisversorgung gekühlten Wagen (Temperatur höchstens -(- 3 bis -)- 4° Celsius) befördert wird.

Der vom schweizerischen Bauernverband und von anderen Seiten aufgestellten Behauptung, die Einfuhr von Gefrierfleisch schliesse in viehseuchenpolizeilicher Hinsicht grosse Gefahren in sich, können wir nicht beipflichten. Wenn wir auch die Möglichkeit einer eventuellen Übertragung von Tierkrankheiten durch Gefrierfleisch nicht absolut verneinen wollen, so müssen wir doch bemerken, dass diese sicher höchst unwahrscheinlich ist. Hierüber müssten vorerst genaue Untersuchungen gemacht werden. Ebenso wenig wollen wir behaupten,
der Genuss von Gefrierfleisch sei gesundheitsschädlich, vorausgesetzt, dass den sanitarischen Vorschriften überall in richtiger Weise nachgelebt werde. Hierin stutzt man sich wohl am besten auf die Erfahrungen Englands, welches 'seit mehr als 30 Jahren in stets steigender Menge über-

924 seeisches Gefrierfleisch einführt. Wenn nun in gesundheits- oder viehseuchenpolizeilicher Hinsicht Nachteile vorhanden wären, so hätte sicherlich England schon längst die verhängnisvollen Folgern verspürt. Immerhin sei hier auf die im Berichte des Herrn Dr.

Bürgi beim australischen Gefrierfleisch gemachten Bemerkungen verwiesen (pag. 955).

V.

In der Zollfrage sind wir nach erneutem einlässlichem Studium' der Sachlage zu der Überzeugung gekommen, dass es sich ber der Einreihung des Gefrierfleisches in eine bestimmte Position des Tarifs nicht nur um eine formelle Bestimmung des Gebrauchstarifes (Tarifentscheid), sondern in erster Linie um eine solche de* Tarifgesetzes vom 10. Oktober 1902 selbst handelt.

Das zitierte Gesetz unterscheidet: a. Tarifnummer 76 : Fleisch frisch geschlachtet, mit einem Zollansatz von Fr. 17. (Vertragstarif J. 0. und Se. Fr. 10.)

b. Fleisch, konserviert: 1. Tarifoummer 77: gesalzen geräuchert; Speck^ gedörrt, mit einem Zollansatz von Fr. 20.

2. Tarifnutnmer 78: anderes, mit einem Zollansatz von Fr. 25.

Da im Generalzolltarif das gefrorene Fleisch überhaupt nicht besonders genannt ist, so hat der Bundesrat in Anwendung dèsArt. 2 des zitierten Gesetzes auf dem Wege der Interpretation in dem von ihm genehmigten Gebrauchstarif vom 1. Januar 1906 gefrorenes Fleisch unter Tarifnummer 78 ,,konserviert anderes11 eingereiht.

Unser Beschluss vom 18. Februar 1911 hat an diesem Entscheid keine Änderungen vorgenommen. Hierüber entstund nun, sowohl bei einem Teil der Bevölkerung, wie auch der schweizerischen Presse eine mächtige Entrüstung. Die städtische Bevölkerung verlangte die Reduktion des Gefrierfleischzolles von Fr. 25 auf denjenigen für frisches Fleisch, d. h. auf Fr. 10.

Die Gründe, die den Bundesrat bestimmt haben, an dem bestehenden Zollansatz nichts zu ändern, sind kurz folgende: Wie oben erwähnt, haben wir laut Gesetz zu unterscheiden zwischen frisch geschlachtetem und konserviertem Fleisch. In welch» dieser beiden Kategorien gehört nun das Gefrierfleisch? Darüber wird man wohl niemals einen alle Interessen befriedigenden Entscheid treffen können. Es wird sich dabei immer um eine Frage der Interpretation handeln. Sowohl für die eine als für die andere

925Behauptung lassen sich zahlreiche zutreffende Gründe anführen.

Sicher muss bei Fleisch, das von der Schlachtung bis zum Konsum' durch künstliche Gefrierung (Ammoniak- oderKohlensäureverfahren)> mehr als 2 Monate aufbewahrt wird, von einer Art Konservierung gesprochen und darf dasselbe nicht als frisch geschlachtet im Sinne des Tarifgesetzes bezeichnet werden. Im allgemeinen versteht mani unter Konservierung die durch Sterilisation und durch Zutateu.

verschiedener Chemikalien bedingte möglichst lange Haltbarmachunggewisser Nahrungsmittel. Ob nun die soeben erwähnte Anwendung der künstlichen Gefrierung durch ein chemisch-physikalischesVerfahren nicht ebenfalls dieser Art der Konservierung gleichzustellen ist, dürfte kaum fraglich sein.

Auf den ersten Blick erscheint es gegeben, Gefrierfleisch sei als frisches Fleisch zu betrachten, weil es durch den Auftauungsprozess scheinbar wieder in seinen ursprünglichen Zustand übergeht und seinem Aussehen nach als frisches Fleisch auf den: Detailmarkt gelangt.

Dieser Auffassung kann man aber sofort die Tatsache gegenüberstellen, dass das aufgetaute Gefrierfleisch unmöglich unseren Begriffen des frisch geschlachteten Fleisches entsprechen kann, da nachgewiesenermassen frisches Fleisch durch den Gefrierprozess in seiner natürlichen Zusammensetzung Veränderungen erleidet.

Aus diesem Grunde ergibt sich auch die längst bekannte geringere» Haltbarkeit des einmal aufgetauten Gefrierfleisches gegenüber frischem Fleisch.

Aus all dem Gesagten muss gefolgert werden, dass gefrorenes.

Fleisch nicht unter die Zollposition für frischgeschlachtetes Fleisch eingereiht werden darf. Es ist somit die Anwendung der Position ,,konserviertes Fleisch" gegeben, und da Gefrierfleisch nicht gesalzen, geräuchert oder gedörrt ist (Tarifnutnmer 77), so bleibt nichts, anderes übrig, als die Tarifnummer 78 ,,anderes" mit dem Zollansatz von Fr. 25 anzuwenden.

Unter den mitteleuropäischen Staaten wendet allerdings nur die Schweiz für gefrorenes und frisches Fleisch verschiedene Zollsätze an. Hierzu muss nun bemerkt werden, dass wir mit einem.

Zollansatz von Fr. 10 für frisches Fleisch den niedrigsten Zoll aufweisen. Deutschland hat einen Zoll von Fr. 33.75, Oesterreich von Fr. 31.50, Frankreich von Fr. 35, Italien von Fr. 12. I» Deutschland ist zwar das gefrorene Fleisch im Generaltarif
dem frischen Fleisch gleichgestellt, im Vertrag mit Serbien aber weniger weit herabgesetzt, so dass dort der Zoll für gefrorenes Fleisch Fr. 43.50 beträgt. (Deutschland gestattet zurzeit die Einfuhr von überseeischem Gefrierfleich überhaupt nicht.)

926 Ein Zollansatz von Fr. 25 für gefrorenes Fleisch ist also hei ·uns immer noch niedriger als in allen anderen Staaten der Fleischzoll überhaupt, mit Ausnahme von Italien mit einem Zoll von Fr. 12, zu dem indessen in allea grösseren Orten eine Oetroigebühr von nämlichem Betrage kommt.

Ähnlich vorhält es sich mit den Zollansätzen für Schlachttiere.

Folgende vergleichende Zusammenstellung erteilt hierüber Aufschluss:

Deutschland Oeslerreich Frankreich Tiere

Ochsen .

Stiere . .

Rinder .

Kühe . .

Kälber .

Schweine .

Schafe .

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

Italien

Schweiz

per Stück

per Stück

per Stück

per Stück

per Stück

Im Mittel per li O ky Lebendgewicht

Fr.

Fr.

Fr.

"Fr.

Fr.

Fr.

65.-- 60.-- 40.-- 45.-- 11.50 13.70 4.30

64.35 31. 50 1 18.-- l (31.50) 31.50 5.25 [ 12. 60( 1 23. 10 1 2.62

130.-- 120.-- 80.-- 90.-- 28.75 18.30 10.75

38.-- 27.-- 4.20 ( 5.18.-- (30.-- l 50. -- \ 8.35 7.40 8.-- 30.-- 6.67 10.-- 30.-- 8.-- 12.-- 10.40 8. 20 10.-- 10.-- 3.-- --.50 1.20

Eine Herabsetzung des Zolles auf Fr. 10 erachten wir sodann auch mit Rücksicht auf die Einfuhr von lebenden Schlachttieren, die wir doch in erster Linie begünstigen wollen, für ungerechtfertigt.

Dazu kommt die Tatsache, dass wir in unserer Botschaft vom 12. Februar 1902, betreffend die Revision des Zolltarifgesetzes, für frisches Fleisch einen Zollansatz von Fr. 12 beantragten, dieser aber von den eidgenössischen Raten im Generaltauf auf Fr. 17 erhöht wurde, sowie dass die Unterscheidung zwischen frischgeschlachtetem und konserviertem Fleisch mit den betreffenden Unterabteilungen im Tarifsesetz, sowie unsere im Gebrauchstarif vom 1. Januar 1906 gegebene Interpretation bis vor kurzem niemals beanstandet wurden.

Wir glaubten deshalb, auch im vorliegenden Falle mit der Aufrechterhaltung des Zollansatzes für gefrorenes Fleisch von Fr. 25 im Sinne Ihrer Auffassung zu handeln. Dies um so mehr, als in der Volksabstimmung über das neue Zolltarifgesetz, gegen welches namentlich mit Rücksicht auf die Lebensmittel- resp. Vieh- und Fleischzölle das Referendum ergriffen worden war, am 12. März 1903 fragliches Gesetz mit 332,001 Ja gegen 225,123 Nein angenommen wurde.

927 Dabei stellen wir allerdings fest, dass selbst wenn es sich um Ermässigung gesetzlich festgelegter Tarifansätze handelt, der Bundesrat laut Art. 4, Alinea 3, ermächtigt ist, unter ausserordentlichen Umstanden die ihm z weck massig erscheinenden Tarifermässigungen vorzunehmen, dabei aber laut Art. 5 leg. cit. verpflichtet ist, der Bundesversammlung, welche endgültig entscheidet, bei ihrer nächsten Zusammenkunft davon Kenntnis zu geben.

Schliesslich wollen wir nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, dass, wenn man glaubt, dass das gefrorene Fleisch weder unter Tarifnummer 76, ,,frisch geschlachtet", noch unter 78 ,,konserviert anderes* eingereiht werden könne, nichts im Wege Steht, laut Art. 2 des Zolltarifgesetzes für ,,gefrorenes Fleisch" autonom im Gebrauchstarif eine besondere Position aufzustellen, für welche dann wohl am besten, der im Generaltarif vorgesehene Zollansatz von Fr. 17 in Anwendung zu bringen wäre.

Da sowohl mit Bezug auf die Interpretationsfrage als bezüglich der eventuellen Anwendung des Art. 4, Alinea 3, leg. cit. der Bundesversammlung die endgültige Entscheidung zusteht, unser Beschluss aber kurz vor deren Zusammentritt gefasst wurde, glaubten wir, die Zollfrage möglichst unpräjudiziert lassen zu sollen.

Wir geben immerhin der Überzeugung Ausdruck, dass mit unserem Beschluss ei u e die verschiedeneu widerstrebenden Interessen nach Möglichkeit berücksichtigende Lösung gefunden worden ist.

B e r n , den 24. März 1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. II.

60

928 Beilage 1.

Bundesratsbeschluss betreffend

die Einfuhr von überseeischem Gefrierfleisch, (Vom 18. Februar 1911.)

Der schweizerische Bundesrat, gestützt auf Art. 34, Absatz 3, des Bundesgesetzes vom> 8. Dezember 1905 betreffend den Verkehr mit Lebensrnitteln, und Gebrauchsgegenständen *) ; in teilweiser Abänderung der Verordnung vom 29. Januar 1 1909 betreffend die Untersuchung der Einfuhrsendungen von Fleisch und Fleischwaren **) ; auf Antrag der Departemente des Innern und der Landwirtschaft, beschliesst: Art. 1. Die Einfuhr von gefrorenem überseeischem Fleisch wird versuchsweise auf Zusehen hin, unter nachstehend aufgeführten Bedingungen, bewilligt.

Art. 2. Gesuche um Einfuhrbewilligungen sind von den Kantonen an das schweizerische Landwirtschaftsdeparte*) Siehe Eidg. Gesetzsammlung n. F., Bd. XXII, S. 337.

**) Siehe Eidg. Gesetzsammlung n. F., Bd. XXV, S. 265.

929 ment zu richten. Von den erteilten Bewilligungen- wird dem Departement des Innern (Abteilung Gesundheitsamt) jeweilen Kenntnis gegeben.

Art. 3. Die Einfuhrbewilligung wird nur für die Orte erteilt, welche über die erforderlichen Gefrier- und Kühleinrichtungen verfügen. Der Transport muss in zweckmässig eingerichteten Kühlwagen erfolgen.

Art. 4. Sendungen von überseeischem Gefrierfleisch werden, soweit sie nicht für den betreffenden Grenzort selbst bestimmt sind, vom betreffenden Grenzzollamte ohne Revision mit Zollgeleitschein und unter Zollverschluss nach der Bestimmungsstation abgefertigt, woselbst die endgültige Zollbehandlung stattfindet.

Sendungen nach solchen Ortschaften, in welchen sich kein Zollamt befindet, sind durch den Importeur der Oberzolldirektion rechtzeitig anzumelden, damit letztere einen Zollbeamten abordnen kann. Die daherigen Kosten fallen zu Lasten des Importeurs.

An Stelle der grenztierärztlichen Untersuchung (Art. 10 der im Eingange genannten Verordnung vom 29. Jannar 1909) tritt die Untersuchung durch die von den Kantonen hierfür bestimmten Tierärzte.

Art. 5. Es darf nur Fleisch von Tieren des Rindergeschlechts, sowie von Schafen eingeführt werden.

Von der Beigabe der innern Organe wird für die versuchsweise Einfuhr abgesehen. Tiere des Rindergeschlechts werden in Hälften oder in Vierteln, Schafe nur in ganzen Körpern, jedoch ohne Kopf, zur Einfuhr zugelassen.

Art. 6. Das Ursprungszeugnis (Art. 11 der Verordnung vom 29. Januar 1909) begleitet die Sendung bis zum Be-

930

stimmungsort und ist dem zuständigen Fleischschauer abzugeben, der dasselbe mindestens ein Jahr aufzubewahren hat.

Da während der Übergangsperiode diese Zeugnisse in den Herkunftsländern voraussichtlich nicht erhältlich sein werden, wird das Landwirtschaftsdepartement ermächtigt, bis zum 1. Mai 1911 auch solche amtliche Zeugnisse als gültig anzuerkennen, die den Vorschriften des Art. 11 nicht in allen Teilen entsprechen.

Art. 7. Das Gefrierfleisch ist mit einem quadratischen Stempel zu bezeichnen, dessen Seitenlänge mindestens 4 cm messen und der in lateinischen Schriftzeichen den Namen der Gemeinde und darüber das Wort ,,Gefrierfleisch* tragen muss.

Art. 8. In den Verkaufslokalitäten ist das Gefrierfleisch durch die zuständigen Aufsichtsorgane täglich zu kontrollieren.

Art. 9. Das Gefrierfleisch muss in allen Verkaufslokalitäten nach Art und Herkunft in einer für das Publikum leicht sichtbaren Weise deutlich bezeichnet werden.

Die Kantone können über die Art und Weise des Feilhaltens, sowie der Bezeichnung, weitergehende Vorschriften aufstellen. Sie können insbesondere vorschreiben, dass der Verkauf nur in besondern Lokalitäten stattfinde.

Art. 10. Die Verwendung von Gefrierfleisch zur Herstellung von Wurstwaren ist verboten.

Art. 11. Im übrigen bleiben die Bestimmungen der Verordnung betreffend die Untersuchung der Einfuhrsendungen von Fleisch und Fleischwaren und betreffend das Schlachten, die Fleischschau und den Verkehr mit Fleisch

931 und Fleisch waren vom 29. Januar 1909 auch für das Gefrierfleisch unverändert in Kraft.

B e r n , den 18. Februar

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

932 Beilage l a.

Die Fleischversorgung der Schweiz.

Der schweizerische Fleischbedarf wird nach den ziemlich Übereinstimmeaden Angaben des Bauernsekretariates und des Städteverbandes zu ungefähr d r e i V i e r t e l n im Inlande gedeckt, so dass auf den Import an ausgeschlachtetem Fleisch und Schlachtticren zirka ein V i e r t e l fällt.

Zwischen den beiden Angaben besteht nur insofern ein kleiner Unterschied, als das Bauernsekretariat den Anteil der inländischen Fleischproduktion auf nahezu 76 °/o des gesamten Bedarfes schätzt, während der Städteverband 75 °/o als Maximum annimmt.

Eine sichere Grundlage für solche Schätzungen oder Berechnungen gibt es nicht. Aus den Ergebnissen der VI. allgemeinen schweizerischen Viehzählung vom 20. April 1906, die nun schon fünf Jahre hinter uns liegt, kann weder die Anzahl der für die Schlachtung von Jahr zu Jahr aus dem Viehbestand ausscheidenden Tiere der einzelnen Geschlechter, noch deren Fleischertrag festgestellt werden.

P o s i t i v e Angaben, die wir besitzen, sind nur: a. die Einfuhr an Schlachttieren, frischem und zubereitetem Fleisch ; b. die Anzahl der in den öffentlichen Schlachthäusern einiger grösserer Städte geschlachteten Tiere inländischer und ausländischer Herkunft.

Für die Berechnung des Fleischertrages der aus dem Auslande eingeführten Tiere kann auf die am Schlüsse der Handelsstatistik angegebenen sog. Reduktionsfaktoren abgestellt werden.

Es sind dies Angaben über das Durchschnittsgewicht der einzelnen Tiergattungen, nach besondern Erhebungen der Grenztierärzte (Juli bis Oktober 1906).

Ferner ist annähernd bekannt die Ausbeute an Schlachtgewicht, nach Angaben von Fachmännern (u. a. Regierungsrat

933 Dr. Moser in der Beilage zu seinem Schreibkalender für die schweizerischen Landwirte 1911) und nach den Berechnungen der Metzger.

Diese Faktoren sind im einzelnen folgende : DurchschnittsTiergattung

Ausbeute in

Fleisch-

gewicht % des Lebend(Ur ein Tier gewichts kg °/o

ertrag per StUck kg

f. ,

t iunee 6101 «,, ( 335,6 {alte 700 } °5 W un e 54 55 297 Stiere / J S ° ÖDere \ alte 710 50 355 Kühe 450 53 238,B .Rinder 410 55 225,5 Mastkälber 115 60 69 Jungvieh, anderes . . . .

240 55 132 / schwerere . .

122 \ / 97, Q , ö Schweine < , . ,, 80 < , n '6 Kn} \ leichtere . . .

50 j \ 40 ·Schafe 43 50 21,5 Unter Zugrundelegung dieser Faktoren ergeben sich für das Jahr 1910 folgende Mengen Fleisch, die aus dem Auslande eingeführt worden sind : Ochsen

Schlachtgewicht StUck

Tiergattung

17,555 35,239 10,373 594 146 71 28,545 411Ì .,,,, >

Ochsen, junge Ochsen, 'alte Stiere, junge Stiere, alte Kühe Rinder Mastkälber Jungvieh, anderes

110,752 Schweine, schwerere 45 Schweine, leichtere 125,338 Schafe Total Fleischgewicht der eingeführten lebenden Schlachttiere q = 100 kg netto.

(in q*

Fleisch) 58,897 135,670 30,808 2,109 348 160 19,696 1,110 108,093 18 26,948 383,857

Hierzu Fleisch, und zwar: Kalbfleisch, frisch Schweinefleisch, frisch Anderes Fleisch, frisch Schinken und Fleisch, gesalzen, geräuchert Fleischkonserven

.

.

Total Fleischeinfuhr im Jahr 1910

.

14,710 17,808 38,831 10,830 2,311 468,347

Wert der Einfuhr von Tieren und geschlachtetem FJeisch 1910: 80 Millionen Franken en gros, mit Einschluss der Häute, des Fettes und der Nebenprodukte (beim Grossvieh Kopf, Zunge, Leber, Lunge, Herz, Unterlasse, Magen, Därme ; bsi Schweinen Blut, Lunge, Leber, Herz).

Daneben noch für 21,7 Millionen Franken Geflügel, Wurstwaren, Fische und Wildbret.

Nach der neuen Volkszählung vom 1. Dezember 1910 hat die Schweiz 3,742,000 Einwohner, und 833,800 Haushaltungen.

Der Konsum an ausländischem Fleisch (468,347 q) betrug.

daher 1910: per Kopf

jährlich 12,58 kg täglich 34,3 g, jährlich 56,2 kg täglich 154 g.

per Haushaltung (zirka 4,5 Köpfe) Angenommen, die Berechnungen und Schätzungen de» Bauernsekretariates und des Städteverhandes -- s/4 Inlandproduktion und y* Einfuhr -- seien richtig, so betrüge der gesamte schweizerische Fleischbedarf 1,873,388 q (nach der Tabelle des Herrn Dr. Laur1) l,750,619 q), wovon Inlandproduktion 1,405,041 q (Dr. Laur 1,328,586 q), Einfuhr 468,347 q (Dr. Laur 422,033 q).

Gesamtkonsum : jährlich 50,os kg per Kopf täglich 137,2 g, jährlich 224,8 kg per Haushaltung täglich 616 g.

') Siehe Seite 960 dieses Berichtes.

935

In Nr. 27 der Mitteilungen des schweizerischen Bauernverbandes (vom Jahr 1906J schätzte Herr Dr. Laur den jährlichen Fleischkonsum per Kopf der Bevölkerung wie folgt :

wovon : Rind- und Kalbfleisch . . .

Schweinefleisch Schaf- und Ziegenfleisch . .

1885

1895

1901

1906

kg 39,86

kg 50,26

kg 46,9

kg 50,i

23,i 14,6 l,«

28,3 20,a 1,7

27,» 18,a l,i

30,o 17,s 1,4

Nach den Angaben der Schlachthausverwaltungen in Zürich, Basel, Genf, Bern, St. Gallen, Luzern, Lausanne und Neuenburg wurden in diesen 8 Städten mit annähernd 700,000 Einwohnern im Jahr 1910 geschlachtet: inländische Stück

ausländische Stück

Ochsen 4,229 27,877 Stiere 1,372 8,650 Kühe 7,975 -- Rinder 1,460 Kälber 92,049 21,519 Schweine 68,289 70,178 Schafe 16,158 63,384 Approximativ berechnet, ergaben diese Schlachtuogen zirka 177,000 q inländisches und zirka 223,000 q ausländisches Fleisch.

936 Beilage 2.

St. G a l l o n / Z ü r i c h , 7. Dezember

1910.

An den h. Bundesrat der Schweiz, Eidgenossenschaft Bern.

Hocliyeelirter Herr Bundespräsident!

Hochgeehrte Herren!

Gestatten Sie uns, dass wir in Ausführung eines Beschlusses des letzten schweizerischen Städtetages Ihre Aufmerksamkeit auf die für die Volksgesundheit hochwichtige Frage der Fleisch Versorgung lenken und Ihnen im Anschluss an unsere Darlegungen einige Vorschläge unterbreiten, die unseres Erachtens eine allseitig annehmbare Lösung bieten würden.

Wenn wir zu dieser, die Öffentlichkeit lebhaft beschäftigenden Frage das Wort ergreifen, so geschieht es in der Meinung, dass es Ihrer h. Behörde vielleicht nicht unwillkommen sein wird, die Ergebnisse einer Untersuchung zu vernehmen, die sich von jeder wirtschafts- oder parteipolitischen Tendenz frei weiss und von den gleichen Gesichtspunkten ausgehen muss wie der h. Bundesrat seibat.

I.

Es ist unbestritten, dass die Fleischpreise in den letzten Jahren eine stwrk steigende Tendenz gezeigt haben. Wir verweisen in dieser Beziehung nur auf die Untersuchungen, die das heroische statistische Bureau für den Zeitraum von 1905--1909 veraostaltet hat und deaen wir folgende Ziffern entnehmen.

Jahresdurchschnittspreise in Bern per Vs kg in Rappen.

Ochsenfleisch Kalbfleisch .

Rindfleisch .

Sehaffleisch .

Schweinefleisch

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

1905

1906

1907

1908

1909

81,9 84 77,8 90,e 97,8

84,e 98,s 78,3 90 108

90 100 80 90,8 111

9U,s 99,2 82,B 93,5 111

90 91,7 85 94,s 110

937 Für B a s e l entnehmen wir einer sorgfältigen, von Dr. F.Mangold bearbeiteten Statistik, dass die Verkaufspreise des allgemeinen Konsumvereins für Ochsenfleisch, die seit 1905 auf 85, bezw. 100, bezw. 105 Rp. per Va kg gestanden hatten, im Laufe des Jahres 1910 auf 90, bezw. 105, bezw. 115 Rp. anstiegen. Auch das Rindfleisch erfuhr eine Preiserhöhung von 75 auf HO Rp. per 1/2 kg.

Beim Kalbfleisch liegen die Preise seit längerer Zeit stabil; dagegen haben die Preise für Sehweinefleisch dort scharf ungezogen, indem sie anfangs August von 95, bezw. 100, bezw. 120 R p. per 1/2 kg, welche Höhe, sie seit anfangs 1906 innegehabt halten, auf 105, bezw. 110, bezw. 125 Rp. emporschnellten.

Auch in Z ü r i c h weist die amtliche Lebensmittelpreisstatistik in verschiedenen, für die Volksernährung wichtigen Sorten erhebliche Aufschläge auf. Am schlimmsten steht es allerdings in der Nordwestschweiz, in Chaux-de-Fonds, Neuchâtel, Locle etc. Die Preise für Va kg Schweinefleisch sind dort bei 120 Rp. angelangt, die für Kalbfleisch bei 100--120, die für Ochsenfleisch bei 90--95 Rp.

Wir begnügen uns für heute mit der Anführung dieser Zahlen, zumal ja die Tatsache der Fleischteuerung unbestritten ist. Auch wollen wir Sie nicht mit der Schilderung der Folgen andauernd, hoher Preise für eines der wichtigsten Lebensmittel aufhalten. Die Gefahren für die physische Gesundheit der breiten Volksmassen, für die Leistungsfähigkeit unserer Industrie und für den sozialen Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die hier liegen, sind offenkundig.

II.

Wenn wir den U r s a c h e n der Fleischteuerung nachgehen, so machen wir alsbald die Wahrnehmung, dass die unbestritten notwendige Ergänzung der höchstens 75 °/o des Bedarfes deckenden einheimischen Fleischproduktion durch den Import aus dem Ausland in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist. So ist die Zahl der eingeführten Schlachtochsen mit Milchzähnen von 1906 bis 1909 von 15,978 auf 14,895, die der Schweine gar von 95,421 auf 50,428 zurückgegangen. Die Ziffern von Ochsen ohne Milchzähne sind nur wenig gewachsen, und die erhebliche Zunahme des Importes von Mastkalbern im gleichen Zeitraum ist ohne Bedeutung, da das Kalbfleisch für die grossen Volksmassen kaum in Betracht kommt.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Vorgänge rein volkswirtschaftlicher Natur an jener fatalen Entwicklung unseres Viehimportes stark beteiligt sind. Eine Reihe von Nachbarländern, die uns mit Schlachtvieh versorgen, müssen infolge des gestiegenen

938 eigenen Bedarfs ihre Lieferungen einschränken, so insbesondere Italien und Frankreich. Daneben sind über auch die Massnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik von erheblichem und unbestrittenem Einfluss. Abgesehen von den V i e h z ö l l e n , deren Wirkung übrigens nicht nur, wie es gerne dargestellt wird, in der Erhöhung dea Preises um den Betrag des Zolles, sondern namentlich auch in der Fernhaltung von Zufuhren, die ohne die Zölle noch lohnend wären, besteht, ist es die bedenkliche Art der H a n d h a b u n g der V i e h s e u c h e n p o l i z e i , die die Einfuhr künstlich beschränkt.

Wenn das eidgenössische Landwirtschaftsdepartement in seinem an uns gerichteten Schreiben vom 23. Juli19066 die gegenüber der Handhabung der Viehseuchenpolizei erhobenen Vorwurfe für unbegründet erklärt hat, so geschah dies wohl auf Grund eines Vertrauens in die Objektivität der begutachtenden Instanzen, das eben keineswegs nach allen Richtungen begründet ist. Wir erinnern nur an das unumwundene Eingeständnis preispolitischer Bestrebungen, welche die zürcherischeVolkswirtschaftsdirektionn in ihrem Rechenschaftsberichte pro 1899 ablegt. Ebenso unzweideutig ist das Schreiben des bernischen Regier u ngsra tes an das eidgenössische Landwirtschaftsdepartement vom 15. September 1898 (abgedruckt in der Eingabe des schweizerischen Gewerbevereins vom 15. April 1901). Klipp und klar wird dort zugegeben, dass für das Verbot der Einfuhr von ausländischem Schlachtvieh einzig und allein die Rücksicht auf die Marktlage massgebend sein soll.

Alle diese Massnahmen haben nun freilich auf die Einfuhr von F l e i s c h keinen Einfluss gehabt. Als Rückwirkung des beschränkten Viehimportes sah man denn auch eine Zeitlang, trotz der hohen Zölle auf Fleisch, die Einfuhr von Fleisch stark an Bedeutung gewinnen. In den Jahren von 1906--19l>8 stieg der Import von Kalbfleisch von 20,77« q auf 22,670 q, der von Schweinefleisch von 6675 q auf 3B,535 q.

Das am 1. Juli 1909 in Kraft getretene e i d g e n ö s s i s c h e L e b e n s m i t t e l p o l i z e i g e s e t z hat auch diese Art der Fleischversorgung stark beschränkt. Die eingeführte Menge Kalbfleisch fiel von 22,870 q im Jahre 1908 auf 16,fi75 q im Jahre 1909; der Import von Schweinefleisch ging von 36,535 q im Jahre 1908 auf 23,516 q im Jahre 1909 zurück. Nach der Aussage
sachverständiger Personen sind es insbesondere die Art. 5, 15 und 21 der bundesrätlichen ,,Verordnung betreffend die Untersuchung der Einfuhrsendungen von Fleisch und Fleischwaren" vom 29. Januar 1909, welche eine gedeihliche Entwicklung des Fleischimporte teils direkt unmöglich machen, teils ausserordentlich erschweren.

Die Vorschrift, dass die sanilätspolizeiliche Untersuchung an der Grenze erfolgen müsse (Art. 5), hat eine Verzögerung des Trans-

939 portes und eine Beschleunigung des Verderbens der Ware zur Folge. Transportverteuernd wirken die Bestimmungen des Art. 15, wonach zur Grenziintersuchung nicht nur die inaern Orione, sondern auch der Kopf mitzubringen ist. Endlich sind die Bedingungen, unter denen g e f r o r e n e s Fleisch eingeführt werden darf, in der Verordnung nicht festgelegt, sondern dem Ermessen der Verwaltungsbehörden anheimgegeben. Ohne Sicherheit für einen stetigen und von preispolitischen Eingriffen der Behörden unabhängigen Gang des Importgeschäftes kann aber naturgemäss kein Unternehmer das Risiko des Einkaufes von gefrorenem Fleisch in Argentinien, der Miete von Transportschiffen und Transportwaggons, der Einrichtung von Külilzellen etc. auf sich nehmen. Dazu kommt noch, dass man die Importeure im Glauben gelassen hat, der Art. 15 der Verordnung, der das Mitbringen der innern Organe und des Kopfes verlangt, beziehe sich auch auf gefrorenes Fleisch, während nnch der notorischen Meinung von Vertretern der Veterinärmedizin, die an der Verordnung mitgearbeitet haben, dies nicht der Fall ist.

III.

Die vorstehenden Darlegungen durften den Nachweis erbracht haben, dass die Bedingungen, unter denen die Fleischversorgung der Schweiz zurzeit stattfindet, durchaus unbefriedigend genannt werden müssen, und dass in irgend einer Weise Abhülfe geschaffen werden musa.

Bei der Aufstellung der V o r s c h l ä g e , welche wir in dieser Beziehung zu machen haben, liessen wir uns von dem Bestreben leiten, jede feindselige Tendenz gegenüber der Landwirtschaft zu vermeiden.

Wir verzichten daher, in der Erwägung, dass die Landwirtschaft auf die Aufrechterhaltung der Schutzpolitik grosses Gewicht legt, darauf, die Herabsetzung der Viehzölle im Sinne des Art. 4 des Bundesgesetzes betreffend den Zolltarif vom 10. Oktober 1902 anzuregen, so lange wir noch andere Wege zur Verbesserung der Lage sehen. Wir wollen auch die heikle Frage der Viehseuchenpolizei heute auf sich beruhen lassen, da erfahrungsgemäss die blosse Besprechung dieses Punktes unsere Bauersame zu grossen Befürchtungen veranlasst.

Dagegen sind wir der Meinung, dass die Zufuhr des Fleisches in ganz wesentlich höherm Masse ermöglicht werden kann und musa.

Seuchenpolizeiliche Bedenken können hier nun ganz entschieden nicht geltend gemacht oder vorgeschützt werden. Die Grundlagen unserer Zollpolitik kommen gleichfalls nicht in Frage. Massgebend

940 kann hier einzig und allein die Rücksicht auf die menschliche Gesundheit sein, und es handelt sich demnach lediglich darum, dem rein sanitätspolizeilichen Gesichtspunkt das ihm gebührende Gewicht zu verschaffen, d. h. alle Tendenzen, die sich nicht auf ihn berufen können, auszuschalten. Nur das entspricht dem im Gesetze niedergelegten Willen des Volkes, und wer der Lebensmittelpolizei wirtschal'tspolitische Zwecke unterschieben will, der tut nicht nur dem Wortlaute des Gesetzes Zwang an, sondern er verkehrt dieses geradezu in sein Gegenteil: aus einem Gesetz, das die menschliche Gesundheit fördern soll, macht er ein Mittel zur Herabsetzung der Kraft und Gesundheit des Volkes.

Gestützt auf diese Erwägungen ersuchen wir den h. Bundesrat, diejenigen Massregeln ergreifen zu wollen, welche nötig sind,, um die E i n f u h r des gefrorenen a r g e n t i n i s c h e n Fleisches zu einer regelmässigen, auf einer klaren rechtlichen Basis beruhenden Einrichtung zu machen. Hierzu gehört unseres Erachtens: 1. Die Zusicherung, dass Art. 15 der Verordnung betreffend die Untersuchung der Einfuhrsenduagen von Fleisch und Fleischwaren vom 29. Januar 1909 auf gefrorenes argentinisches Fleisch keine Anwendung finden soll. Das entspricht, wie schon bemerkt, der Auflassung der Vertreter der Veterinärmedizin, die an der Ausarbeitung der Verordnung teilgenommen haben; es entspricht auch der in England, wie der in Österreich geübten Praxis, wonach weder Kopf noch Eingeweide mitgebracht werden müssen.

2. Eine Abänderung des Art. 5 der genannten Verordnung in dem Sinne, dass die zollamtliche und sanitätspolizeiliche Abfertigung ganzer Wagenladungen gefrorenen Fleisches nicht nur an der Grenze, sondern auch in den mit Geleiseanschluss versehenen Schlachthöfen stattfinden darf. Es ist klar, dass die Gefahr einer Berührung mit inländischem Virh auf diese Weise in weit höherm Grade ausgeschlossen ist als bei der Untersuchung an der Grenze.

Ebenso liegen die Vorteile eines durchgehenden Transportes für die Qualität und Bekömmlichkeit des B'leisches zutage.

3. Eine Abänderung des Art. 21 der genannten Verordnung: in dem Sinne, duss die Bedingungen der Einfuhr gefrorenen Fleisches in der Verordnung selbst ein für allemal festgesetzt und der Vorbehalt einer von nicht voraussehbaren Voraussetzungen abhängigen ,,Spezialerlaubnis11
gestrichen wird. Diese Modifikation ist unerlässlich, wenn das Fleischimportgeschäft nicht Risiken unterliegen soll, vor denen der wagemutigste Kaufmann zurückschrecken muss. Der Versuchung, die Sanitätspolizei zu preispolitischen Bestrebungen zu benützen, können, wie gezeigt, einzelne Kantonsregierungen viel zu wenig widerstehen, als dass ihnen die jeder rechtlichen Basis

941

entbehrende Befugnis in die Hand gegeben werden könnte, zu bestimmen, wann und wie viel ausländisches Fleisch eingeführt werden darf. Es genügt unseres Erachtens durchaus, wenn gesagt wird, dass an das eingeführte gefrorene Fleisch die gleichen Anforderungen bei der Fleischschau zu stellen sind wie an das Inlandfleisch.

Eventuell liesse sich vielleicht am Einschiffungsorte eine Fleiscbschau durch schweizerische Veterinäre organisieren.

4. Die definitive Zusicherung des provisorisch gegenüber der Firma Alberto & Fusi in Zürich angewandten Zollansatzes von Fr. 10 per 100 kg gefrorenen Fleisches gegenüber allen Einfuhrsendungen. Das gefrorene Fleisch kann unseres Erachtens nur unter Position 76 c des Gebrauchstarifes subsumiert werden.

Das sind, hochgeehrter Herr Bundespräsident, hochgeehrte Herren, die Vorschläge, die wir Ihrer Prüfung unterbreiten möchten.

"Wir zweifeln nicht daran, dass Sie mit uns zu der Ansicht gelangen werden, dass, wenn die Landwirtschaft die Erfüllung der moralischen Verpflichtungen, welche der Kompromiss über die Zollpolitik in sich schliesst, peinlich beobnchtet wissen will, sie vor allem das durch kein Gesetz gestützte Bestreben, die Lebensmittelpolizei zu einem Hülfsmittel der Wirtschaftspolitik zu machen, aufgeben muss. Nur bei einer solchen allseitigen Beobachtung der rechtlichen und moralischen Schranken der Wahrnehmung der Interessen kann unser Land vor schweren Kämpfen bewahrt bleiben.

Genehmigen Sie, hochgeehrter Herr Bundespräsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

St. G a l l e n / Z ü r i c h , den 7. Dezember

1910.

Namens des Vorstandes des Schweiz. Städte-Verbandes: Der Präsident: Der Sekretär:

sig. Dr. Scherrer.

sig. Dr. E. Grossmann.

942 Beilage 3.

Einfuhr von

Gefrierfleisch überseeischer Herkunft.

Bericht von Dr Bürgi (vom 11. Februar 1911).

Meinen in London gemachten Beobachtungen will ich einige allgemeine Bemerkungen vorausschicken.

Einen guten Überblick der gesamten Fleisch Versorgung in England geben folgende im amtlichen Bericht des ,,Board of Agriculture and Fisheries" vom Jahre 1908 veröffentlichten Zusammenstellungen :

Tabelle ï

Ï G*

Ober Englands Fleischkonsum in den letzten 10 Jahren.

Darunter Rind- und Kalbfleisch

Fleischkonsum Jahr

darunter Insgesamt

insgesamt

einheimisches

ausländisches

einheimisches

ausländisches

*Ctws.

Ctws.

Ctws.

Ctws.

«WS.

43,102,1«0 46,328,980

23,704,740

19,397,420

19,655,240

7,206,860

26,062,660

20,266,320

21,033,860

12,440,380 13,156,500

25,200,980

20,935,840

8,322,960

25,174,840

20,488,100

21,708,080 21,958,380

13,385,120

1901/02

46,136,820 45,662,940

13,943,980

1902/03 1903/04

43,193,440 45,498,940

24,448,080 24,904,420

18,745,360

20,530,240

13,311,780

8,014,400 7,218,460

20,594,520

21,442,140

8,669,680

1904/05

46,622,200

25,833,200

20,789,000

22,192,960

12,772,460 13,393,360

1905/06

46,713,620

24,870,720

21,842,900

13,792,980

9,813,340

1906/07

46,199,980

24,835,260

21,364,720

23,606,320 23,603,080

1907/08

46,850,380

25,313,020

21,537,360

22,845,240

14,290,500 13,886,360

9,312,580 8,958,880

1898/99 1899/1900 1900/01

* 1 Ctws. = 50,8 kg.

Ctws.

7,877,360

8,799,600

944

Tabelle II.

Das prozentuale Verhältnis der einheimischen Versorgung zu der Gesamtversorgung wird durch folgende Tabelle dargestellt.

Prozentverhältnis der einheimischen Versorgungzu der Gesamtversorgung «i u li r i* aT u

·Rind und Kalb Hammel und Lamm 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05 1905/06 1906/07 1907/08

63,3 62,s 61,7

63,5 64,8 59,6 60,3 58,4 60,5 60,8

61,2

63,3 61,6

. 63,6 60,o 60,9 60,s 59,o 56,o 55,9

Schweinefleisch

Insgesamt

38,i 42,5 39,c 36,8

55,o 56,8 54,6 55,i 56,6 54,, 55,4 53,a 53,s 54,o

41,7

44,7 46,i 40,8 40,3 43,t

Aus Tabelle II ergibt sich, dass England seinen Fleischkonsum ungefähr zur Hälfte durch überseeisches Fleisch deckt.

Nach dieser amtlichen Zusammenstellung wurde der englische Fleischmarkt im Jahre 1908 nur mit 54 °/o einheimischen Fleischesversorgt. Neben diesen Darstellungen werden jährlich von fast allen grössern Importfirmen statistische Angaben über die Fleischversorgung in England publiziert. So entnehmen wir z. B. dem soeben erschienenen Berichte der Firma W e d d e l & Cie. in London für das Jahr 1910, folgende tabellarische Zusammenstellungen :

Tabelle III Ober das gesamte geschätzte G e w i c h t der Lieferungen an Rind-, Hammel- und Lammfleisch, für den Konsum in England in den sechs verflossenen Jahren, mit Angabe der Prozentsätze des gesamten Konsums von den verschiedenen Provenienzen für 1910.

% des Totais

1910

1909

1908

1907

1906

1905

eogl. Tonnen

eiigl. Tonnen

enjl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnsn

%

787,860 333,900 1,121,760

787,500 341,100 1,128,600

786,000 334,900 1,120,900

778,720 321,560 1,100,280

782,950 313,000 1,095,950

781,750 311,550 1,093.300

103,288

4,4 %

70,573 11 70,584

103,506

123,150 2,110 125,260

151,719 2,828 154,547

180 390 2,769 183,159

181,652 4,904 186,556

2,885 7,221 10,106

3,217 9,674 12,891

755 14,430 15,185

196 13,248 13,444

--

--

176 11,578 11,754 _

In England gezüchtet.

Rindfleisch Hammel- und Lammfleisch . .

Total

-- 61,9

Eingeführtes lebendes Vieh.

Rindfleisch . . . .

Hammel- und Lammfleisch . .

Total

--

218

Frisch geschlachtet.

Rindfleisch Hammel- und Lammfleisch . .

!

Total Übertrag

-- -- --

--

770 12,873 13,643 -- '

% des Totals

Übertrag

1910

1909

1908

1907

1906

1905

engl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnen

engl. Tonnen

--

Gekühlt.

Rindfleisch Hammelfleisch Total

8,8%

159,828 44

134,850 16

135,879 194

158,109 270

159,253 134

144,549 314

159,872

134,866

136,073

158,379

159,387

144,863

188,062 263,036 451,098

168,988 228,402

144,965 204,938

128,465 217,758

117,007 191,052

397,390

349,903

346,223

308,059

106,656 177,360 283,916

1,209,208

1,197,843 579,410

1,217,189 553,994

1,215,277

1,813,420

1,777,253

1,190,749 556,572 1,747,321

1,239,796

604,212

520,203 1,759,999

1,722,278

Gefroren.

Bindfleisch Hammel- und Lammfleisch . ..

Total Total Rindfleisch*

-- 24,9 %

--

Total Hammel- und Lammfleisch* Summa

100 %

. . 27..« k» pro Kopf.

* Fleischkonsum pro Kopf der Bevölkerung: Eindfleiseh . .

Harurnel- und Lammfleisch 18,»» ,, n n

1,771,183

507,001

Tabelle IV Ober den Bestand von Tieren des Rindergeschlechts und der Schafe in England, sowie der Gesamteinfuhr an lebenden Tieren, Rind-, Hammel- und Lammfleisch in den letzten sechs Jahren.

1910

1309

1908

1907

1906

1905

Einheimisches Vieh.

Tiere des Rindergeschlechts Schafe* Total Eingeführtes lebendes Vieh.

Rindvieh : Vereinigte Staaten Kanada . . .

. . . .

Andere Länder

138,387 78,691 2,483 219,561

205,450 113,583 2,308 321,341

260,711 121,076 1,343

.

427

6,583 1,548

Total

427

8,131

64,218 12,167 2,515 78,900

Total Schafe und Lämmer: Vereinigte Staaten Kanada . . .

Andere Länder

. . . .

.

11,765,453 11,761,830 11,738,163 11,628,483 11,691,955 11,674,019 31,164,587 31,839,799 31,255,917 30,011,219 29,210,035 29,076,777 42,930,040 43,601,629 42,994,080 41,639,702 40,901,990 40,750,796

383,130

* Es ist geschätzt, dase 25% der Rinder und 40 °/o der Schafe jedes Jahr gesclilachtefc werden

344,461 125,753 1,801 472,015

398,887 160,689 1,639 561,215

414,906 148,718 1,515

88,584 14,485 2,532

84,184 14,296 4,879

150,095 28,240 4,749

105,601

103,359

183,084

565,139

1910

Frisch geschlachtet.

Rindfleisch Hammel, Kontinent Total

1908

1909

1907

1906

1905

196 13,248 13,444

770 12,873

15,185

176 11,578 11,754

71,607 902 63,370

120,880 1,979 35,250

135,879

158,109

121,332 421 37,500 159,253

111,610 261 32,678 144,549 i

194 194

270 270

133 133

75,800 179,002 1,447,365 85,992

73,117 220,162 1,265,439 55,671

1,788,159

1,614,389

13,112 121,858 1,298,438 16,265 1,449,673

2,885 7,221

3,217 9,673

755 14,430

10,106

12,890

23,857 434 135,537

13,643

Gekühlt.

Kindfleisch : Vereinigte Staaten Kanada . . . .

La Piata

j

Total engl. Tonnen

159,828

42,840 679 91,331 134,850

Hammelfleisch : Vereinigte Staaten und Kanada . . .

Total engl. Tonnen

44 44

16 16

Gefroren.

Rindfleisch: Australien Neu-Seeland . .

Argentinien . . .

Uruguay u n d Patagonien . . . .

Total Viertel

537,442' 344,048 1,336,757 148,084 2,366,331

269,588 2 297,328 1,491,368 98,717 2,167,001

* Einsehliessend 3844 Viertel gekühltes Bindfleis eh, ' einsehliessend 1331 Viertel gekühltes Rindfleisch.

314 314 10,276 89,463 1,152,051 16,082 1,267,872 |

1910

Hammelfleisch : Australien Neu-Seeland .

Argentinien . . .

Uruguay und Patagonien

1909

1908

1907

1906

1905

Total Körper

2,723,148 1,991 115 2,454,401 384,313 7,552,977

461,902 940,377 558,432 1 327,141 625 067 1 869 599 1 690 407 1 973 035 1 761 459 1,751,229 2,866,610 2,382 984 2,943,360 2,654 057 2,648,198 163,520 319,726 150,972 335,731 234,066 5,915,455 5,578,560 5,801,535 5,119,061 5,243,261

Total Körper

1,496,660 3,416,359 352 501 162,547 5,428,067

1,351,697 1,206,179 3 165 504 2,543,751 244 334 504 463 78,594 130,033 5,151,697 . 4,072,858

.

Lammfleisch : Australien Neu-Seeland . . . .

Argentinien Uruguay und Patagonien

1,397,554 2 824,332 102 155 24,951

1,173,896 2,386,829 104,728 15,378

4,348,992

3,680,831

906,536 1,953,337 170,879 2,201 3,032,953

950 Die Zahlen dieser Tabellen stimmen mit denjenigen des amtlichen Berichtes vom Jahre 1908 nicht ganz übereiü. Weddel & Cie.

berechnen für das Jahr 1910 einheimisches Fleisch mit 61,9 °/c lebend eingeführte und frisch geschlachtete Tiere mit 4,4 °/o, gekühltes Fleisch mit 8,s °/o und gefrorenes Fleisch mit 24,9 °/o.

Der Jahreskonsum in England beträgt nach Weddel & Cie. per Kopf der Bevölkerung 27,is kg Rindfleisch und 18,55 kg Schaffleisch. In der Schweiz beläuft sieh derselbe auf etwa 52J/a kg.

Aus den statistischen Zusammenstellungen der letzten Jahre ergibt sich, dass die Versorgung mit einheimischen Fleisch in, England sich ziemlich gleich geblieben ist. Der durch das Anwachsen der Bevölkerung und der Steigerung des persönlichen Fleischkonsums bewirkte Mehrverbrauch an Fleisch wird grösstenteils durch den Import gedeckt. Der Konsum von einheimischem' und überseeischem Fleisch variiert je nach der betreffenden Landesgegend sehr stark. Die Märkte (Dundee, Norvich und Newcastle) werden z. B. fast ganz mit einheimischem Fleisch versorgt. London und Liverpool dagegen konsumieren fast ausschliesslicb überseeisches Fleisch. Auf dem Smithfieldmarkt in London sind von dem vorhandenen Fleisch nur 18 °/o einheimisches Produkt.

Beim eingeführten überseeischen Fleisch unterscheidet man : 1. Lebend importierte Tiere, die 10 Tage nach ihrer Ankunft in England geschlachtet sein müssen. Diese Tiere stammen hauptsächlich nus den Vereinigten Staaten und Kanada. Der Kontinent liefert nur einen kleinen Teil, der zur Hauplsache aus Holland bezogen wird.

2. Gekühltes und gefrorenes Fleisch. Diese stellen den grössten Teil des Importes dar.

3. Gesalzenes, gepökeltes und konserviertes Fleisch. Die Einfuhr dieser Fleischarten ist unbedeutend.

Seit Jahren beobachtet man, dass die Einfuhr lebender Tiere im Verhältnis zur steten Zunahme von überseeischem Kühl- und Gefrierfleisch, zurückgeht. Sie bildet zurzeit nur noch einen ganz kleinen Teil des Gesamtimportes (vergi. Tabelle III und IV).

Unter gekühltem Fleisch versteht man, das bei einer Temperatur von -- l b i s -- I V a ° Celsius konservierte Fleisch. Dieses kommt in weichem Zustande an, und kann sofort dem Konsum übergeben werden.

Das gefrorene Fleisch wird bei einer Temperatur von -- T bis -- 10 ° Celsius aufbewahrt und transportiert. Es ist bei seiner Ankunft steiuhart, und knnn erst nach vollzogenem Auftauungsprozess genossen werden.

95Î Das gekühlte Fleisch stammt hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten und Kanada. In neuerer Zeit liefern aber auch andere überseeische Länder, wie z. B. Argentinien und Australien, solches Fleisch.

Gefrierfleisch liefern Argentinien, Australien, Neu-Seeland, Uruguay und Patagonien.

Die Rinder gelangen in Vierteln, die Schafe unzerteilt (das heisst ohne Kopf) zur Einfuhr. Die innern Organe mit Ausnahme der Nieren, werden nicht in Verbindung mit dem Körper eingeführt. Die Nieren fehlen nur dann, wenn das Nierenfett vom Körper getrennt wird.

Als Kühlfleisch kommen nur die soeben erwähnten Rinderviertel in Betracht. Dieses ist zurzeit in London sehr gesucht.

Die Schafe sind in Leinwand eingenäht. Die Schutzhülle der Rinderviertel besteht aus gewöhnlicher Emballage (Sacktuch).

Der Verpackung wird die grösste Aufmerksamkeit geschenkt.

Zum Transport des überseeischen Fleisches sind zurzeit 214 Dampfer mit Kühlanlagen ausgerüstet.

Diese verteilen sich folgendermassen : England--Südamerika 68 Dampfer, ,, Australien 52 ,, ,, Neu-Seeland 49 ,, Wenn Bedarf, verkehren . . . .

20 ,, Andere mit Kuhlräumen ausgestattete 25 ,, Total 214 Dampfer.

Das durchschnittliche Fassungsvermögen der einzelnen Schiffe variiert von 2000 bis 5000 t. In England wird gewöhnlich das Quantum des in den Kühlräumen untergebrachten Fleisches in Schafkörper umgerechnet. Dem entsprechend wird für die 214 Dampfer ein Fassungsvermögen von zirka 14*/2 Millionen Schafkörper angegeben. K ü h l r ä u m e und G e f r i e r a n s t a l t e n befinden sich sowohl in den überseeischen Ländern, als auch in England selbst. London besitzt zurzeit 28 Kühlhäuser mit einem Gesamtfassungsvermögen von 3 Millionen Schafkörpern. Diese Kühlhäuser liegen zum grössten Teil an den Docks oder in der Nähe des Zentralmarktes in London. Die etwas weiter vom Markte entfernten Kühlanlagen befinden sich ausschliesslich an der Themse,, damit der Transport vom Kühlhaus zum Zentralmarkt möglichst rasch mittels Barken oder Wagen erfolgen kann. Im allgemeinen wird dem Transportmaterial keine sehr grosse Bedeutung beigemessen. So waren während meiner Anwesenheit in London die

952 zum Transport des Fleisches benutzten Fuhrwerke, Barken und Eisenbahnwagen, obschon mit Kuhlräumen ausgerüstet, nie mit Eis versehen. Sehr viel Fleisch wurde in offenen Wagen durch die Stadt geführt. In der wärmeren Jahreszeit werden sich diese Verhältnisse wohl ändern. Im Sommer sollen z. B. die Eisenbahnwagen, die zum Transport des Fleisches ins Landesinnere benutzt werden, gut abgekühlt sein.

Nach amtlichen Veröffentlichungen wurden Ende Januar für überseeisches Fleisch in London folgende Preise bezahlt:

Engrospreise.

Hinteres Viertel Vorderes Viertel

Gefrorenes Fleisch.

I. Qualität II. Qualität 35/8 d. =40 Rp. 3Va d. = 39 Rp. ÏÏ engl.*) 23/4 d. = 30 ^ 25/8 d. = 29 ,, ,, ,,

Gekühltes Fleisch.

I. Qualität Hinteres Viertel 5 d. = 55 Rp. S! engl. *) Vorderes Viertel 3 d. = 33 ,, ,, ,,

Detailpreise.

Gefrorenes Fleisch.

I. Qualität

II. Qualität

Per ffi 4--9 d. = 44--99 Rp.

3--6 d. = 33--66 Rp.

Für einheimisches Fleisch wurde bezahlt 10 d.--l Sh. 2 d.

das U.

Die Fleischkontrolle wird zur Hauptsache in den überseeischen Ländern selbst ausgeführt. Die von den betreffenden Regierungen veröffentlichten Massnahmen sind äusserst streng.

Ob und wie sie ausgeführt werden, entzieht sich unseren Beobachtungen. In England ist die Kontrolle Ärzten und Tierärzten unterstellt. Nach amtlichen Mitteilungen kommen Beanstandungen überseeischen Fleisches sehr selten vor. Meistens handelt es sich dabei um Ware, die während der Seereise beschädigt wurde. Im Jahre 1908 wurden in der Smithfieldhalle in London von 409,000 t Fleisch im ganzen nur 1000 t beschlagnahmt.

Das englische Pfund beträgt 453,eo gr.

953 In Erledigung meines persönlichen Auftrages besuchte ich in London zuerst mehrere Fleischerläden in den Hauptzentren der adt. Es sei Mer gleich bemerkt, dass die Metzger in England höchst selten selbst schlachten und somit eigentlich nur Fleischverkäufer sind. Sie haben in ihren meist gut eingerichteten Verkaufsmagazinen alle möglichen Fleischarten ausgestellt. Eine jede dieser Fleischart ist aber durch deutliche Bezeichnung als ,,einheimischa, ,,argentinisch gefroren"1, ,,argentinisch gekühlt", ,,australisches Schaffleisch gefroren01 usw. deklariert. Häufig sind auch die Preise angegeben. In den meisten von mir aufgesuchten Läden war weder gefrorenes Rind- noch Ochsenfleisch zu finden. Das überseeische Fleisch war fast durchwegs als Kühlfleisch, sogenanntes ,,Ghilled-Beefa bezeichnet. Dagegen war überall viel gefrorenes überseeisches Schaffleisch vorhanden. Die Verkaufsstücke sind ohne Hüllen in die Vertriebslokale gehängt. Die Tatsache, dass in den besseren Stadtvierteln neben einheimischem Fleisch fast ausschliesslich Kühlfleisch verkauft wird, erklärt sich aus dem Umstände, dass ·die Nachfrage nach solchem Fleisch in den wohlhabenderen Familien in der letzten Zeit stark gestiegen ist. Gefrorenes Fleisch traf ich nur in ganz wenigen Verkaufslokalen an. Dieses befand sich meist im Stadium fortgeschrittener Auftauung und ermöglichte mir dadurch eine ziemlich genaue Untersuchung. Vor allem fiel überall die sehr starke Fetthaltigkeit des Fleisches auf. Auf Stück(juerschnitten zeigte das Fleisch eine frische, rote Farbe. Eigenartig fiel dabei aber auf, dass die Randpartien der Schnittflächen häufig bis zu zwei Fingerbreiten dunkel verfärbt waren. Einige Stücke zeigten diese Verfärbung auch in tieferen Muskellagen.

Bekannt dürfte sein, dass das Gefrierfleisch einen ziemlich starken Feuchtigkeitsgehalt aufweist.

Ausser den Metzgern besitzen auch viele der grössern Importarmen Detailverkaufsstellen. Es gibt Firmen die deren über 1000 unterhalten.

Interessant war die Besichtigung der grossen Zentralmarkthalle .auf dem Smith-Fieldmarkt. Da dort jeweilen am Freitag der Handel am grössten ist, wählte ich diesen Tag zu meinen Beobachtungen.

Alle grössern Engros- und Detailfirmen haben in dieser ausgedehnten und sehr gut eingerichteten Halle ihre eigenen Verkaufsstellen.

Die Zufuhr des Fleisches
erfolgt von morgens l Uhr an und ist gegen 4 Uhr morgens beendet. Um diese Zeit beginnt dann der ·eigentliche Markt. Der Transport zur Markthalle erfolgt auf verschiedene Arten. Von den weit entfernten Docks wird das Fleisch entweder in Eisenbahnwagen oder Fuhrwerken auf den Markt gebracht. Ein grosser Teil des Fleisches gelangt direkt aus den mit der Halle durch unterirdische Gänge verbundenen Kühlhäusern

954

in diese. Auf dem Smith-Fieldtrarkt werden jährlich über 400,000 Tonnen Fleisch verkauft. Hauptsächlich besichtigte ich hier das für uns in Frage kommende gefrorene Fleisch. Wie in den Fleischläden, so konnte ich auch hier konstatieren, dass das Fleisch mit wenigen Ausnahmen s e h r f e t t ist. Das Gefrierfleisch gelangt in ganz gefrorenem Zustande auf den Markt. Grosse maschinelle Einrichtungen sind an mehreren Stellen vorhanden, um das Fleisch je nach Bedarf zu zersägen oder zu zerschneiden. Auf der frischen Schnittfläche besitzt das bartgefrorene Fleisch ein marmoriertes Aussehen. Auch die innern Organe, Leber, Herz, Lunge und Magen, werden in grosser Zahl in gefrorenem Zustande eingeführt. Siesind, ähnlich wie bei uns die Südfrüchte, in Kisten verpackt. Ein beamteter Tierarzt versicherte mir, dass diese Organe nach vollzogenem Auftauungsprozess ebenfalls in den Konsum gelangen und zwar an Private, ,,Hotels, Restaurants"1 etc. Meine Vermutung, diese Organe würden hauptsächlich zur Wurstfabrikation gebraucht, stellte er entschieden in Abrede. Während meines Aufenthalte» besuchte ich die Smith-Fieldhallen noch mehrere Male.

In Begleitung des neuseeländischen Obertierarztes besichtigteich verschiedene Kühlanlagen, sogenannte ,,Cold-Storesa oder ,,Refrigerating-Stores"'. Es sind dies durchwegs grosse gut eingerichtete Etablissemenle. Die erforderliche Kälte für die Kühlräume wird durch Maschinen erzeugt, und zwar meistens durch das Amoniakverfahren, hie und da auch durch Kohlensäureanlagen. Die KühU räume sind in vier, fünf und mehr Stockwerken verteilt. Das gekühlte Fleisch wird aufgehängt, das gefrorene aufeinandergelegt.

Dabei bleibt das Fleisch in den Tuchhüllen. Die Temperatur in dea Gefrierräumen beträgt durchschnittlich --7° bis 10° C. Zur steten Kontrollierung sind in allen Kuhlräumen Thermometer angebracht.

Das Fleisch wird aus den Barken und Wagen durch besondereMaschinen (sogenannte Pater-noster Werke) in die Kühlhäuser gebracht. Mit diesen Maschinen können in einem Tag viele tausend Stücke aus- und eingeladen werden. Zur Sicherung eines regelmässigen Betriebes sind sämtliche maschinellen Einrichtungen doppelt vorhanden. Die Maschinen werden gewöhnlich von 12 zu 12 Stunden gewechselt.

Zufällig hatte ich Gelegenheit in der zweiten Woche auf den Londoner Docks der Ausladung von drei
Schiffen mit Gefrierfleisch beizuwohnen. Dieselben kamen aus Argentinien, Australien uno Neu-Seeland. Die Ladung dieser Schiffe betrug je 2500--3000 Tonnen. Die Ausladung eines solchen Schiffes nimmt 5--6 Tage in Anspruch. Die Kühlanlagen auf den Schiffen entsprechen denjenigen in den Kühlräumen. Das australische Schiff hatte als Kühlraum eine einzige grosse Abteilung, währenddem die beiden anderen

956

mit vielen kleinen übereinanderliegenden Kühlkammern ausgestattet waren. Von allen Sendungen wurden mir, nach Entfernung der Hüllen, mehrere Stücke zur Untersuchung vorgelegt. Ich konnte dabei meine früher gemachten Beobachtungen zur Hauptsache nur wieder bestätigen. Bei der australischen Ladung fielen mir die kleinen Rinderviertel auf. Ich konstatierte, dass an den Vordervierteln die Bruststücke zum grössten Teile entfernt waren. Auch an den Hintervierteln waren Muskelpartieen weggeschnitten. Auf meine Frage über die Ursache dieser Erscheinung bekam ich keine genaue Auskunft. Ich konnte nur erraten, dass es sich um etwas Ungewöhnliches handelte. Koufidentiell wurde mir dann etwas später mitgeteilt, dass im australischen Fleisch in der letzten Zeit hie und da Parasiten gefunden wurden. Seitdem ist nun ein Regierungsbericht erschienen, durch welchen dieses Rätsel aufgeklärt wird. Dieser Bericht schreibt hierüber: ,,Seit Beginn des letzten^ Jahres sind an dem eingeführten ^gefrorenen Fleisch respektive a u s t r a l i s c h e n R i n d f l e i s c h ,,öfters Knoten bemerkt worden. Zunächst beobachtete man sie .,,lediglich an der Oberfläche der Flanken und der Brust. Später ,,ergab sich indes das Vorhandensein solcher Knoten selbst in den ,,tieferen Muskelpartieen. Um der Sache auf den Grund zu kommen, ,,wurden 10 °/o der in London eintreffenden australischen Rinder,,viertel einer genauen Kontrolle unterstellt, aufgetaut und zerlegt.

,,Die Untersuchung ergab, dass zwar Brust und Flanken die Lieb,,lingssitze der Parasiten waren, dass aber auch in den Hintervierteln, .,,sowie abwärts vom Knie, in schmalen Streifen dem FUSS entlang, ,,sich diese Knotenbildungen zeigten. Die weitere Untersuchung ,,führte zu der Massnahme, dass die mit derartigen Knoten be,,hafteten Fleischteile beschlagnahmt wurden, worauf Schwierig^keiten mit den Fleischimporteuren entstanden, die die Zurück,,nahme des Fleisches und Wiederausfuhr anscheinend durchsetzten.

,,Der Berichterstatter der Regierungsbehörde, Dr. Leipa, erklärte, .,,er erachte es für nicht unwahrscheinlich, dass der Genuss des ,,mit den parasitären Knoten behafteten Fleisches die Übertragung ,,der Parasiten auf den Menschen herbeiführe. Er erklärte deshalb ,,das Fleisch für untauglich. Die Parasiten selbst klassifiziert .,,Dr. Leipa als ,,Onctocerca", dessen
Stammes-Variationen auch ,,als ,,parasitäre Knoten"1, ,,Wurmkerne", weisse Kerne, Wurm,,nester, ,,Spiropteric tumours* usw. bekannt seien. Die Knoten ^selbst differieren von Erbs- bis Wallnussgrösse. Der Ausgangsherd ,,ist die Brust. In den eitrigen Kapseln findet man einen SchraubenArtigen Wurm oder deren mehrere. Dr. Leipa mutmasst die Aus^breitung der Parasiten über Australien hinaus."

956 Vor meiner Abreise Dach Bern wurde mir mitgeteilt, dass jeweilen Samstag abends in dem East-Endviertel grosse MengenGefrier- und Kuhlfleisch an die Bevölkerung versteigert werden» In London wurde mir dies bestätigt und so begab ich mich am betreffenden Abend in Begleitung zweier Herren der Firma Weddel
Glocken, Bleche, Trompeten etc.) bieten die Metzger ihre Waredem Publikum zum Kaufe an. Der Markt dauert von 8--12J/2 Uhr.

Anfangs bleibt die Kauflust, trotz dem Geschrei der Metzger, gering. Das Publikum weiss, dass der Metzger einen grossen Teil seines Fleisches verkaufen m u ss und hält nun in richtiger Voraussetzung auf die folgende Preisreduktion mit den Angeboten zurUck. Den Hauptpunkt erreicht der Markt zwischen 11 und 12 Uhr.

Zu dieser Zeit verkaufen die Metzger die Fleischstücke zu jedem nur einigermassen annehmbaren Preise. In diese Fleischerläden gelangt alles Fleisch aus den besseren Stadtvierteln und dem Smithfieldmarkt, welches sich über den Sonntag nicht mehr halten würde. Durch Vermiltlung der mich begleitenden Herren konnteich viele dieser Fleisch laden betreten und im Laden wie auch in.

den Kellern und Kühlräumen, welch letztere meistens primitiv sind, das Fleisch untersuchen. Ich hatte nun Gelegenheit, die so viel gelehrte und von uns schon mehrmals angeführte Tatsache des raschen Verderbens des einmal aufgetauten Gefrierfleisches zu sehen. Es gab hier viele Fleischstücke die einen sehr starken Feuchtigkeitsgehalt, ein schmieriges und durch Bersten der Muskelfasern unappetitliches Aussehen aufwiesen. Solches Fleisch dürfte bei der schweizerischen, etwas verwöhnten Bevölkerung sicher keinen grossen Anklung finden. Meine Erkundigungen, wie lange solches Fleisch aufgetaut sei, wurden natürlich verschieden beantwortet; doch will ich bemerken, dass als längste Dauer nur 4 Tage angegeben wurden. Bedenkt man nun, dass ich während der günstigslen Jahreszeit in London war, so müssen einem für den Vertrieb des Gefrier-Fleisches bei uns im Sommer doch entschieden schwere Bedenken
aufsteigen. Gerechterweise sei aber doch erwähnt, dass solch verdorbenes Fleisch gegenüber dem voll genussfähi»jen in kleinen Quantitäten zu finden war. Bezeichnend für die sic'h immer mehr geltend machende Bevorzugung des gekühlten Fleisches gegenüber dem gefrorenen Fleisch war das Bestreben der Fleischverschleisser mit viel ,,Tarn Tama ihre Ware als Kühlfleisch auszuschreien.

95T Fasse ich alle meine gemachten Beobachtungen zusammen, so kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass unsere Bevölkerung im überseeischen Gefrierfleisch sicherlich nicht jenes Genussmittel finden wird, das sie sich heute vorstellt. Mehr als ehedem hege ich nämlich heute noch die Überzeugung, dass das gefrorene Fleisch dem Geschmacksinn unseres fleischessenden Publikums auf die Dauer ebensowenig entsprechen wird, wie das dann doch ungleich nahrhaftere Fischfleisch. Die Erfahrungen der Zukunft werden entscheiden, inwieweit diese Vermutung zutrifft.

Einer Spezialkommission bleibt es nun übrig, die genauen Vorschriften für die Einfuhr und den Vertrieb von überseeischem Fleisch festzusetzen.

$58 Beilage

An das Schweizerische Landwirtschaftsdepartement Bern.

Hochgeachteter Herr Bundesrat!

Mit Schreiben vom 16. Januar 1911 geben Sie uns Kenntnis von Ihrem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen betreffend ·die Einfuhr von gefrorenem Fleisch und laden uns ein, Ihnen mitzuteilen, ob und in welcher Weise wir eine quantitative Limitierung des Gefrierfleisches fiir die in Frage stehenden Slädte als zweckmässig und möglich erachten.

Wir verdanken Ihnen höflich diese Einladung und benutzen gerne den Anlass, Ihnen, wenn auch in aller Kürze, so doch im Zusammenhange unsere Ansichten über die Einfuhr des Gefrierfleisches darzulegen.

1. Die Fleischversorgung der Schweiz. Gestutzt auf die Viehzählung des Jahres 1906 und die Handelsstatistik 1905/06 ergibt sich folgendes Bild : Die schweizerische Landwirtschaft hat also vor fünf Jahren noch 76 % des gesamten Fleischbedarfes unseres Landes gedeckt.

Dieses Verhältnis dürfte sich, nach den Zahlen unserer Handelsstatistik zu schliessen, wenig verändert haben. Unsere Vieheinfuhr ist seit 1906 ziemlich gleich geblieben. Dagegen ist seither der ganze Export von Schlachtkühen verloren gegangen. Man d a r f d e s h a l b r uh ig b e h a u p t e n , das s die S c h w e i z h e u t e 3k des F l e i s c h b e d a r f e s der B e v ö l k e r u n g deckt.

Die Einfuhr des Gefrierfleisches kann auf die Preise aller Fleischarten Einfluss ausüben.

Wenn eine Sorte Fleisch .sehr billig ist und sie in grosser Menge zur Verfügung steht, so beeinflusst das indirekt auch die Preise der ändern Qualitäten. In erster Linie wird das Kuh- und Stierenfleisch, in zweiter Linie das Fleisch von Rindern, Ochsen und Jungvieh, nicht minder aber Auch das von Schweinen betroffen werden. Man wird die Be-

959 deutung der Frage am besten ermessen können, wenn man sich den W e r t d e r i n l ä n d i s c h e n P r o d u k t i o n für die schweizerische Fleischversorgung, die in Frage steht, vergegenwärtigt: q

1. Kuhfleisch 2. Stierenfleisch

Sa. Bindfleisch zweiter Qualität 462,000 3. Rinderfleisch 4. Ochsenfleisch 5. Jungviehfleisch Sa. Rindfleisch

à ca. Fr.

Fr.

412,000 174=71,688,000 50,000 180 = 9,000,000 80,688,000

102,000 197 = 20,094,000 56,000 201=11,256,000 83,000 185 = 15,355,000 erster Qualität 241,000

46,705,000

6. Schweinefleisch . . . . . . 473,000 166 = 78,518,000

Bundesblatt.

63. Jahrg. Bd. II.

«2

CD

Fleisch von inländischer Herkunft I. Ri n d f l e i s c h :

1. von Kälbern

q

%

Fleisch von ausländischer Herkunft 1

%



o Total

q

127,030

11,78

2,020

0,18

129,050

83,000

7,66

3,820

0,86

102,390

9,45

1,700

0,16

104,090

412,210

38,07

8,*60

0,79

420,770

18,320

1,69

68,400

86,820

2.

j, Jungvieh

3.

_

4.

,, Kühen

5.

_

Stieren

50,030

4,62

6.

,, Ochsen

55,720

5,16

218,000

20,14

273,720

830,430

76;68

252,420

23.82

1,082,850

472,937

76,08

149,090

23,97

622,027

111. Schaffleisch

10,462

33,77

20,523

66,28

30,985

IV. Ziegenfleisch

14,757

100

Rindern

Summa I. Rindfleisch .

11. Schweinefleisch

Total Fleischverbrauch

1,328,586

75,8?

14,757 422,033

24,ii

1,750,619

961 Die Einfuhr von Gefrierfleisch wird unzweifelhaft eine inländische Produktion von 462,000 q Rindfleisch zweiter Qualität im Werte von zirka 80 Millionen Franken schwer schädigen, aber ausserdem eine Produktion von Rindfleisch erster Qualität im Werte von 47 Millionen Pranken und eine Schweinefleischproduktion im Werte von 79 Millionen Franken in Mitleidenschaft ziehen.

2. Die Rentabilität der Mast. Inbegriffen das Kalbfleisch deckt die inländische Landwirtschaft 77 %, ohne das Kalbfleisch 65 °/o des Bedarfes. Wir haben oben den Wert dieser inländischen Lieferung auf 127 Millionen Franken berechnet. Einer so gewaltigen Produktion kann man unmöglich mit einem Federstrich die Existenzberechtigung absprechen. Man wird deshalb auch ihre Produkte nur dann als zu teuer bezeichnen dürfen, wenn sie den Bauern einen abnormal hohen Gewinn abwerfen. Das ist nun aber nicht der Fall. Wenn der Bauer alle Produkte, die er selbst aus der Wirtschaft bezogen und verbraucht hat, dem Gute bezahlt und selbst noch eine Wohnungsmiete verrechnet, so blieb den Bauern in den e i g e n t l i c h e n M a s t b e t r i e b e n nach den zuverlässigen Erhebungen des Bauernsekretariates in den Jahren 1904--1909 neben einem Knechtenlohn folgender prozentische Reinertrag: Betriebe mit Ochsenmast 2,n °/o Gemischte Mastbetriebe 2,64 °/o Aus diesem Reinertrage müssen die Mäster noch ihre Schulden verzinsen. Da die Leute meist hoch verschuldet sind und der Zinsfuss 4--4*/2 °/o beträgt, bleibt ihnen in der Regel für die Verzinsung ihres eigenen Vermögens fast nichts mehr übrig. Sie haben einen Knechtenlohn verdient und daraus gelebt, vielfach davon auch noch durch einfache Lebenshaltung etwas gespart.

Wenn wir aber für ihr im Betriebe aufgewendetes Vermögen einen Zins von 4 °|o als Kosten rechnen, so werden die Produktionskosten nicht gedeckt. Es haben daran 25--30 Rp. per Kilo Schlachtgewicht gefehlt. Und diesen Bauern wirft man vor, sie verkaufen ihre Erzeugnisse zu teuer und beschimpft sie als Wucherer und Volksausbeuter. Der Gerechtigkeits- und Billigkeitssinn muss sich dagegen auflehnen. Mag das irregeleitete Volk noch so sehr nach billigem Fleisch rufen, unsere Behörden, die Presse und alle Gutgesinnten im Lande sollten sich vereinen, um die Bevölkerung aufzuklären und ihr zu sagen, welch' grosses Unrecht man den Behörden zu
begehen zumutet.

Es ist nun richtig, dass nur ein Teil der Fleischproduktion aus Mast im engern Sinne (Ochsen, Rinder, Jungvieh) stammt.

Immerhin beträgt die Produktion dieser Wirtschaften 46,7 Millionen

962 Franken. Zudem handelt es sich dabei vorzugsweise um Kleinbauern und um die Gebiete, die schon durch die Erisis im Getreidebau und im-Weinbau schwer betroffen wurden. Im ganzen Gebiete der Dreifelderwirtschaften, wie überhaupt bei den Betrieben unter 5 ha, liegt das Hauptinteresse der Bauern an der Gestaltung der Viehpreise. Die Milchproduktion eignet sich für diese Güter weniger. Gibt es doch in diesen Gebieten noch zirka 20 % Betriebe, in denen mehr Geld ausgegeben wird für den Zukauf von Milch und Molkereiprodukten als für den Verkauf solcher! Bin S i n k e n der V i e h p r e i s e w i r d h i e r u n t e r dem K l e i n b a u e r n s t a n d schwere Verheerungen anr i c h t e n . Es gibt keine Gruppe der Bevölkerung in der Schweiz, welche einfacher und sparsamer lebt und sich mehr anstrengt als diese Kleinbauern. Mühe, Arbeit und Sorge ist ihr Los. Für ihr Getreide, das einst 40 Fr. per Doppelzentner galt, lösen sie noch 20, die Reben, die einst ihr Stolz und ihr» Freude waren, müssen sie ausreissen, und nun soll ihnen noch durch das argentinische Gefrierfleisch ihre Haupteinnahmequelle abgegraben werden. Ein wahrhaft tragisches Geschick!

Aber auch die K u h f l e i s c h p r o d u k t i o n , die ein Nebenzweig der Milcherzeugung ist, deckt heute die Kosten nicht. Die Produktionskosten der Milch sind infolge Verteuerung der Arbeit und der Bedarfsartikel in den letzten Jahren so gestiegen, dass ·die höhern Milchpreise den Aufwand noch nicht ganz zu decken vermögen. In den Betrieben mit vorwiegender Milchproduktion betrugen die Produktionskosten pro Kilo Milch: 1906 14,60 Rappen 1907 15,40 ,, 1908 16,60 ,, 1909 17,8i ,, In 4 Jahren sind die Produktionskosten um 3,2 Rp. pro Kilo gestiegen ! Die durchschnittliche Rendite dieser Wirtschaften betrug in den Jahren 1904--1909 3,es °/o. Um die Produktionskosten ganz zu decken, hätte die Milch zirka lk Rappen per Kilo höher bezahlt werden sollen.

Dementsprechend ist auch der Fehlbetrag für die Nebenprodukte der Milchviehhaltung: dem Kuhfleisch. Er berechnet sich auf zirka 5 Rp. pro Kilo Schlachtgewicht. Der Ausfall ist hier wesentlich kleiner als bei der eigentlichen Mast. Aber die Tatsache, dass auch hier der Landwirt im Fleischpreise neben einem Knechtenlohn nicht einmal so viel Zins erhält, wie wenn er sein Geld auf die Bank getragen hätte, sollte genügen, um zu verhindern, dass. eine Produktion von jährlich zirka 72 Millionen Franken

963 noch mehr bedrängt werde. Es ist ja möglich, dass es der Organisation der Bauersame gelingt, einen Teil des Abschlages des Kuhfleisches durch eine Erhöhung der Milchpreise auszugleichen.

Damit wäre aber den Konsumenten wohl wenig gedient.

Noch schlimmer steht es mit-dem Verhältnis der Produktion von S t i e r e n f l e i s c h . Die Zucht rentierte in den Jahren 1904 bis 1909 in den Bauernbetrieben, wie sie in den Gebirgskantonen den Haupttypus bilden, 2,6 °/o, und der Fehlbetrag macht zirka 15 °/o des Wertes der verkauften Tiere, also für die alten, an die Schlachtbank gehenden Stiere etwa 25 Rp. pro Kilo Schlachtgewicht aus. Es handelt sich hierbei um eine Fleischproduktion, die immerhin jährlich etwa 9 Millionen Franken ausmacht.

3. Die Konkurrenz des gefrorenen Fleisches. Die ,,Basler Nachrichten" haben unter dem 13. Januar 1911 Mitteilungen aus einem Berichte der Grosseinkaufsgesellschaft für österreichische Konsumvereine veröffentlicht, dem wir folgende Angaben über die Gestehungskosten des argentinischen Fleisches entnehmen: ,,Die erste kleinere Sendung von 20,000 kg kam franko verzollt Wien, in Vierteln gewogen, das vordere Viertel auf Fr. 1. 26, das hintere auf Fr. 1. 42 pro Kilo zu stehen. Eine zweite Sendung von 140,000 kg kam ohne Unterschied der Viertel auf Fr. 1. 32 pro Kilo zu stehen. Darin sind inbegriffen 31,6 Rp. Zoll, 6,5 Rp. Verzehrungssteuer und 5,4 Rp. Fracht Triest-Wien. Für den Januar liegen Abschlüsse vor, nach denen franko Wien das Fleisch auf Fr. 1. 27 pro Kilo zu stehen kommt. Zieht man den Zoll und die Verzehrungssteuer ab, so bleiben noch 89 Rp. pro Kilo."1 Die Transportkosten in die Schweiz sind eher niedriger als die nach Wien. Der Zoll beträgt 25 Rappen pro Kilo, so dass das Kilo franko verzollt nicht über Fr. 1.14 zu stehen kommt.

Trotzdem behaupten die Importeure, der Zoll sei zu hoch und verlangen seine Ermässigung auf 10 Rappen pro Kilo. W e n n d i e s e s B e g e h r e n e r f ü l l t w i r d , s o w e r d e n sich d i e G e s t e h u n g s k o s t e n von 100 Kilo g e f r o r e n e m F l e i s c h in V i e r t e l n g e w o g e n f r a n k o v e r z o l l t auf Fr. 100 stellen.

In der Schweiz wird gegenwärtig für Kühe zweiter Qualität Fr. 164 und erster Qualität Fr. 185 pro 100 Kilogramm, in Vierteln gewogen, bezahlt. Es ist klar, dass eine solche
Konkurrenz für die schweizerische Landwirtschaft geradezu verheerend wirken muss. Wir sind überzeugt, dass, wenn irgend einer einheimischen Industrie, mit einer ähnlichen Produktion wie unsere Mast, eine solche Gefahr drohen würde, die ganze Volksvertretung geschlossen nach Mitteln und Wegen suchen würde, um diese Gefahr abzulenken. Gegenüber der Landwirtschaft soll

964

nun im Gegenteil durch Ausnahmebestimmungen zugunsten des Auslandes die Gefahr noch vergrössert werden. Wir geben die Hoffnung noch nicht auf, dass es der Bundesrat nach Prüfung der Verhältnisse doch ablehnen wird, zu einer so unbilligen und für unseru Kleinbauernstand so verhängnisvollen Massnahme Hand zu bieten.

4. Die Erleichterung der Fleischschau. Die Schweiz bezieht heute den Teil ihres Fleischbedarfes, der vom Inlande nicht gedeckt wird, fast ausschliesslich in Form lebender Tiere und von frischem Fleich. Die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes ermöglichen eine genügende Kontrolle dieser Waren. Argentinien kann sich an der Einfuhr auch beteiligen, wenn es entweder lebende Tiere sendet oder die geschlachteten Tiere in Verbindung mit den Organen schickt, die für frisches Fleisch vorgeschrieben sind. Technisch ist es möglich, die Tierkörper, ohne dass sie in vier Vierte) zerlegt werden, gefrieren zu lassen.

Erlaubt der Bund die Einfuhr dieses Fleisches in Vierteln, so ist das gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die Fleischschau.

Damit wird der ausländische Produzent besser behandelt als der inländische. Ein solches Verhältnis muss formell und materiell als für die schweizerische Landwirtschaft und das Recbtsbewusstsein unerträglich bezeichnet werden.

Es scheint uns auch, dass damit gegenüber denjenigen Staaten, mit denen wir Handelsverträge mit Meistbegünstigungsklausel abgeschlossen haben, wenn nicht formell, so doch materiell ein Vertragsbruch vorliege. Wir begünstigen tatsächlich auf diese Weise Argentinien. Vieh und Fleisch, die wir, wenn sie aus Frankreich, Deutschland, Italien, Dänemark und Holland vom Konsum ausschliessen, werden, wenn die Ware gleicher Qualität aus Argentinien kommt, zugelassen. Solange das Fleisch als konserviertes Fleisch verzollt wird, kann man die Massnahme mindestens formell verteidigen. Sobald das gefrorene Fleisch zum frischgeschlachteten Fleisch eingereiht wird, fällt auch dieses fadenscheinige Mäntelchen dahin und liegt der Vertragsbruch offen zutage.

Es ist w o h l mit S i c h e r h e i t zu e r w a r t e n , dass das A u s l a n d dagegen E i n s p r a c h e e r h e b e n wird. Wir machen auch aufmerksam, dass das Lebensmittelgesetz (nicht nur die Verordnung!) vorschreibt, die Fleischschau müsse auf den schweizerischen Zollstellen und in den
Niederlagshäusern durch die Grenztierärzte vorgenommen werden. Es liegt somit nicht in der Kompetenz des Bundesrates, die Fleischschau an beliebigen Bestimmungsorten vornehmen zu lassen.

96r> 5. Die Herabsetzung des Zolles. Trotzdem die Importeure jedenfalls wissen, zu welchen Spottpreisen das gefrorene Fleisch eingeführt werden kann, haben sie dennoch die Stirn zu verlangen, dass der Zoll von Fr. 25 auf Fr. 10 herabgesetzt werde. Damit das gefrorene Fleisch ohne Schädigung der schweizerischen Landwirtschaft importiert werden könnte, müsste er nicht nur Fr. 25, ^sondern 70--80 Fr. betragen. Er ist also zirka Fr. 50 zu niedrig, um die Differenz zwischen den inländischen Produktionskosten und den Gestehungskosten des gefrorenen Fleisches auszugleichen. E s ist ein Unrecht, wenn der Bund angesichts der gewaltigen Bedeutung der inländischen Fleischproduktion eine solche K o n k u r r e n z noch d u r c h Zollermässigungen begünstigt.

Zudem scheint es uns, dass der Bundesrat nicht kompetent ist, diese Zollermässigung auf dem Wege des Tarifentscheides durchzuführen. Artikel 2 des Zolltarifgesetzes bestimmt: ,,Im Tarif nicht genannte Waren sind durch den Bundesrat den ihrer Natur 'entsprechenden Positionen zuzuteilen". Der Bundesrat kann also Tarifentscheide nicht beliebig fassen, sondern er hat sich an ,,die Natur der Warea zu halten. In diesem Falle kann er unmöglich das gefrorene Fleisch als frisches Fleisch behandeln. Der Tarif unterscheidet: ,,Fleisch, frisch geschlachtet"1 und ,,Fleisch, konservierttt. Als eine der wichtigsten Konservierungsmethoden ist seit jeher das K ä l t e v e r f a h r e n bezeichnet worden. Kein objektives Gutachten wird das bestreiten können. Der Bundesrat nennt selbst in Art. 39 der Verordnung betreffend das Schlachten unter den zulässigen Konservierungsmethoden die ,,Dauerkuhlung".

'Gefrorenes Fleisch ist somit k o n s e r v i e r t e s Fleisch.

Es würde gewiss nicht der ,,Natur der Ware" entsprechen, wenn man Fleisch, das drei Wochen auf der Reise war und vorher vielleicht längere Zeit in Gefrierräumen lag, als ,,frisch geschlachtetes Fleischa bezeichnen wollte. Der Tarif teilt sodann das konservierte Fleisch in ,,Fleisch, konserviert: gesalzen, geräuchert; Speck, gedörrt" und ,,Fleisch konserviert: anderes". Es kann kein Zweifel bestehen, dass das gefrorene Fleisch nicht zur ersten, sondern zur zweiten Gruppe gehört. Demgemäss hat das gefrorene Fleisch Fr. 25 Zoll zu zahlen. Eine Änderung ist nur auf dem Wege eines Bundesgesetzes mit Referendumsvorbehalt
oder durch ·einen internationalen Vertrag möglich. Wir sind ü b e r z e u g t , ·dass d e r B u n d e s r a t , n a c h d e m e i n m a l d i e R e c h t s l a g e u n z w e i f e l h a f t k l a r g e l e g t ist, es a b w e i s e n w i r d , v o n sich a u s s e i n e n f r ü h e r e n d u r c h a u s d e r N a t u r d e r Ware entsprechenden Tarifentscheid abzuändern.

966 6. Die Limitierung der Einfuhr. Die Landwirtschaft hat gegen die Einfuhr gefrorenen Fleisches in jeder Form grosse Bedenken.

Wir halten es als unsere Pflicht, im Interesse unserer inländischen Fleischproduktion im allgemeinen und der kleinbäuerlichen Mäster im speziellen davon abzuraten. Wird die Einfuhr aber doch beschlossen, so können wir Ihnen die Limitierung der Einfuhrmenge nur dringend anempfehlen. In erster Linie sollte die Einfuhr auf solche Schlacht- und Gefrierhäuser limitiert werden, die unter der Direktion eines tierärztlich geschulten Leiters stehen. Als Massstab für die Menge kann die bisherige Vieh- und Fleischeinfuhr aus dem Ausland gelten. Wir bitten, in der Ansetzung des Quantums möglichst vorsichtig zu sein. Eine Erlaubnis auf 10 °/o der Vieh- und Fleischeinfuhr würde schon zirka 25,000 q pro Jahr ausmachen. Dabei soll die Limitierung so verstanden sein, dass der Bund jedem Kanton nur für eine bestimmte Maximalmenge die Einfuhrbewilligung erteilt. Die Gesuche der einzelnen Importeure sollen aber nur soweit berücksichtigt werden, als die kantonaleRegierung sich mit der Einfuhr einverstanden erklärt.

Es sollte auch verhindert werden, dass das Fleisch in grossert Massen aufgespeichert und so zum künstlichen Preisdruck vorwendet werden kann. Wir empfehlen deshalb, auch die Dauer der Lagerung im Inlande zeitlich zu beschränken. Auch hygienische Gründe verbieten eine unbeschränkte Dauer der Lagerung.

Der Stadtrat von Zürich hat laut Mitteilung der Presse dem Bundesrate das R e c h t z u ein e r L i m i t i e r u n g der Ein f u h r m e n g e bestritten und sich dabei auf den Artikel 31 der Bundesverfassung berufen. Dieser Artikel ist aber durch den neuen VerfassuDgsartikel 69bis ergänzt worden, durch welchen der Bund unbeschränkt die Befugnis erhielt, über den Verkehr mit Lebensmittelu zu legiferieren. Hätte man durch ihn nicht den Art. 31 einschränken wollen, so wäre eine Verfassungsrevision für die Einführung des Lebensmittelgesetzes gar nicht notwendig gewesen,, denn der Bund besass laut Art. 31, Absatz e, schon vorher dasRecht zu ,,Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerbe", nur dürfen diese Verfügungen ,,den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen". Der neue Art. 69bi& kennt eine solche Einschränkung nicht. Man kann deshalb nur darüber
diskutieren, ob eine bundesrätliche Verordnung oder ein Gesetz, für Einschränkungen der Gewerbefreiheit notwendig seien.

Man braucht nur einen Blick in die bestehenden Verordnungen, zu werfen, um zu erkennen, dass der Bundesrat sich hierfür als kompetent erachtet. Ohne dieses Recht hätte die Herausgabe der Verodnungen durch den Bundesrat überhaupt keinen Sinn. -- Dazu kommt nun, dass es sich im vorliegenden Fall gar nicht

967 um eine Einschränkung des heutigen Verkehrs handelt. Der Bundesrat will im Gegenteil, was wir grundsätzlich bedauern, dieschon seit vielen Jahren (vor Erlass des Lebensmittelgesetzes) bestehenden und angewendeten Verordnungen betreffend Fleischeinfuhr durchbrechen und einem gewissen Teil der Einfuhr erleichterte Bedingungen gewähren. Es h e i s s t nun d o c h d i e D i n g e a u f d e n K o p f s t e l l e n , w e n n m a n d a r i n , dasadiese A u s n a h m e b e s t i m m u n g e n nicht u n b e s c h r ä n k t gewährt werden, eine V e r l e t z u n g der G e w e r b e f r e i h e i t e r b l i c k e n w i l l . Es handelt sich ja um eine Erweiterung; und nicht um eine Beschränkung der Freiheil!

7. Die Verhütung von Missbrauch. Die Qualität, die gesundheitlichen und die wirtschaftlichen Gefahren, die mit der Einfuhr des gefrorenen Fleisches verbunden sind, fordern zwingend der* Erlass von b e s o n d e r n Bestimmungen über den Vert r i e b des g e f r o r e n e n F l e i s c h e s . Namentlich sind unerlässlich die Deklarationspflicht der Herkunft, das Verbot der Verwendung des Fleisches zu Wurst- und Charcuteriewaren, die Vorschrift getrennter Verkaufsräume und guter Einrichtungen und dieBestimmung, dass das Fleisch innerhalb 24 Stunden, nachdem es.

aus dem Eiskasten kam oder aufgetaut ist, verwendet werden muss..

Die Beibehaltung der D e k l a r a t i o n p f l i c h t laut Lebensmittelgesetz und Verordnung ist wohl selbstverständlich. Sie soll sich aber auch auf alle Gasthöfe und Wirtschaften beziehen. Irr den Lokalen soll ein Anschlag angebracht werden, der den Gästen mitteilt, dass hier Gefrierfleisch serviert werde, ferner soll auf den Speisekarten jedes Gericht aus überseeischem gefrorenem Fleisch die Beifügung erhalten ^Gefrierfleisch11.

Ebenso muss an dem V e r b o t der V e r w e n d u n g des g e f r o r e n e n F l e i s c h e s zur Wurstfabrikation.

festgehalten werden. Es wäre gut, das Verbot noch allgemeiner zu fassen und die Verwendung des Fleisches zu gewerbsmässiger Fabrikation von Fleisch- und Wurstwaren allgemein zu verbietenDie Schweiz hat einen Wurstkonsum, wie er in ähnlicher Ausdehnung kaum in einem ändern Lande zu finden ist: hier liegt denn auch die grosse hygienische Gefahr des Gefrierfleisches. Durch den Gefrierprozess werden die Fleischfasern zerrissen. Deshalb
tritt nach dem Auftauen rasch Fäulnis ein. Kommt solches Fleisch in Würste und Hackfleisch, so kann dadurch grosses Unheil angerichtet werden. Es gibt nun nur e i n durchgreifendes Mittel,, um diese Gefahr zu vermeiden. Es besteht in dem absoluten Bezugsverbot von Gefrierfleisch fUr alle Geschäfte, die Wurst- und Fleischwaren fabrizieren und verkaufen. Sobald das gefrorene Fleisch

·968 ·von den Metzgern bezogen werden darf, so wird keine Kontrolle verhindern, dass es auch in die Würste kommt. Der blosse Ver·dacht, dass dem so sei, wird einem grossen Teil der Bevölkerung den Wurstkonsum vereckeln. Wenn aber Krankheits- und Vergiftungsfälle auftreten, so kann eine eigentliche Panik eintreten.

Der Bundesrat würde eine schwere Verantwortung übernehmen, wenn er hier dem Missbrauch nicht von Anfang an den Riegel stiesse.

Es ist auch gar kein Bedürfnis, dass nun jeder Metzger gefrorenes Fleisch führt. Es genügt, wenn in einigen wenigen a b g e s o n d e r t e n L o k a l e n das Fleisch aufgelegt wird. Für Pferdefleisch besteht heute schon die Vorschrift getrennter Verkaufsräume und doch sind mit diesem nicht die gleichen hygienischen Gefahren verbunden, wie mit dem Gefrierfleisch. Auch das bedingt bankwürdige Fleisch, dessen Qualität und hygienische Beschaffenheit mit dem argentinischen Gefrierfleisch wohl auf gleiche Höhe gestellt werden musa, darf nur in besondern Räumen feilgehalten werden.

Wenn die Metzger kein gefrorenes Fleisch auswägen können, ·so behalten sie auch ein Interesse am Vertriebe unserer gewaltigen inländischen Fleischproduktion. Gestattet man aber dem Metzger den Verkauf des Gefrierfleisches, so wird er diesen Absatz besonders pflegen, da er einstweilen voraussichtlich an diesem mehr verdient. Hat dann einmal der Metzger die nötige Propaganda entfaltet, hat sich das Publikum an dieses Fleisch gewöhnt, dann wird allerdings sicher der Grosskapitalist, der internationale Trust kommen, den selbständigen Metzger auf die Seite drücken und dann das Publikum, wie beim Petrol, rücksichtslos ausbeuten.

Sowohl hygienische als wirtschaftliche Gründe rechtfertigen es deshalb, dass der Verkehr mit überseeischem gefrorenem Fleisch allen Geschäften untersagt wird, die WUrste und Fleischwaren fabrizieren. Die Vorschrift, dass das aufgetaute Fleisch innerhalb einer bestimmten Zeit, nachdem es aufgetaut ist, verbraucht oder ·dann vernichtet werden muss, dürfte ebenfalls im Interesse der ·Gesundheit liegen.

Endlich soll die Erlaubnis zu Einfuhr und Vertrieb des gefrorenen Fleisches nur solchen Geschäften erteilt werden, die alle nötigen E i n r i c h t u n g e n besitzen, um das Fleisch vor Verderbnis zu schützen. Es soll sich das nicht nur auf die Importeure, sondern auch
auf allfällige Kleinverkaufsstellen beziehen. Den Kantonen und Gemeinden ist vorzuschreiben, dass eine tägliche · K o n t r o l l e des F l e i s c h e s und der Räume stattzufinden habe.

8. Die Einfuhr von Gefrierfleisch und die Seuchenpolizei. Die ^Schweiz bat mit grossen Opfern sich bemüht, ihren Viehstand gegen

969 die Seucheneinschleppungen zu schützen. Das lebende Vieh muas direkt in die Schlachthäuser spediert werden. -- Es wäre ebensowenig zu begreifen wie zu verantworten, wenn nun das argentinische Fleisch uneingeschränkt vertrieben werden könnte. Das Gefrieren ist nicht nur ein Konservierungsmittel für das Fleisch, sondern .auch für die darin enthaltenen Krankheitskeime. Professor Disselh o r s t 1 ) schreibt z.B. betreffend die Maul- und Klauenseuche: ,,Wenn man Blaseninhalt bei --10° C. vier Monate im Eis aufbewahrt, so steckt er noch prompt an ! Dagegen wird Blasenlymphe schon nach 24 Stunden unwirksam, wenn sie eintrocknet oder wenn sie bei Zimmertemperatur zerstreutem Tageslicht oder einer Sommertemperatur von höchstens 31 ° C. ausgesetzt wird.a Ähnlich verhält es sich mit ändern Seuchen. Professor 0 s t e r t a g 2) teilt hierüber folgendes mit: ,,Die pathogenen Bakterien werden ebensowenig wie die Fäulnisbakterien durch niedere Temperaturen beein·flusst; ihre Virulenz bleibt vielmehr trotz langer Einwirkung starker Kälte völlig ungeschwächt."· Das gefrorene Fleisch ist also tatsächlich viel seuchengefährlicher als alle ändern tierischen Produkte. Der G e f r i e r p r o z e s s e r h ö h t die S e u e h e n g e f a h r . Unsern Bauern ist schon längst bekannt, dass bei gefrorenem Boden die Klauenseuche sich besonders rasch und leicht verbreitet. Wir müssen deshalb verlangen, dass das gefrorene Fleisch als seuchenverdächtig mit aller Vorsicht behandelt wird. Es darf unter keinen Umständen an Orten vertrieben werden, wo die inländischen Viehbesitzer regelmässig verkehren müssen. A u c h a u s d i e s e m G r u n d e m ü s s e n d i e Verkaufslokale abgetrennt sein und dürfen die Metzger k e i n g e f r o r e n e s F l e i s c h b e z i e h e n . Die Zahl der Verkaufsstelleu inuss auf ein Minimum beschränkt werden. Denn jede Verkaufsstelle bedeutet eine Vermehrung der Seuchengefahr.

Die Seuchenverhältnisse in Argentinien sind denn auch sehr bedenkliche. Typisch ist, dass die argentinische Regierung während längerer Zeit den Zeitungen verboten hat, Berichte über das Auftreten der Maul- und Klauenseuche zu publizieren. Man wollte ·offenbar damit das Ausland täuschen. England hat nämlich wegen der Seuchengefahr während längerer Zeit die Einfuhr lebenden argentinischen Viehs auch nur in die
Grenzschlachthäuser verboten.

Es wurde selbst verlangt, dass auch die Einfuhr von Gefrierfleisch untersagt werde, weil damit Klauenseuche eingeschleppt worden sei. Grossbritannien ist aber heute zu abhängig von dieser Ein') R. Disselhorst, Die Tierseuchen. Berlin 1909.

") Ostertag, Handbuch der Fleischbeschau. Vierte Auflage.

gart 1902.

Stutt-

970 fuhr, als dass es auf sie, wenn die Seuchengefahr noch so grosso ist, verzichten könnte.

Wir ersuchen Sie, hochgeachteter Herr Bundesrat, auch diese Seite der Frage sorgfältig zu prüfen und eine Abschwächung unseres Seuchenschutzes abzulehnen.

9. Die Notwendigkeit der Einfuhr des gefrorenen Fleisches» Die Preise des Ochsenfleisches haben sich nach den Angaben Zuppingers in den grössern Städten wie folgt verändert: Januar

1905

pro '/2 kg Cts.

Aarau Basel Bern Biel Chaux-de-Fonds . . .

Chur Frauenfeld Freiburg Genf '.

Glarus Lausanne Lugano Luzern Neuenburg Schaff hausen . . . .

Solothurn St. Gallen Winterthur Zürich Mittel vorstehender ·19 Städte Mittel aller von Polizeidirektor Zuppinger beobachteten Orte . . .

90 85 90 85 85 90 90 90 70 85 90 80 90 90 90 85 95 90 90

Oktober 1910

Aufschlag

pro J/2 kg

pro '/2 kg

Cts.

Cts.

100 90 90 90--100 90--100 100 100 90 90 100 90--95 80--90 95 90--110 100 100 100 100 100

10 5 -- 10 10 10 10 -- 2015 0--5 5 5 0--20> 10 15 5 10 10

87,87

95,8o

8,5*

87,28

96,iT

8,0*

Die Verteuerung des Fleisches ist also offenbar durchaus nicht so ungeheuerlich, wie man aus den Klagen der Presse schliesse» muss. Der Aufschlag betrifft zirka 9 Rp. per Pfund. Ist unser Volk wirklich so arm geworden, dass man ihm diese Fleischpreise,, im Mittel zirka 96 Rp. per Pfd. Ochsenfleisch, im Interesse seine» Bauernstandes nicht mehr zumuten darf? Leidet die Bevölkerung wirklich an Fleischmangel, gibt es bei uns eine Fleischnot? Die

971 Arzte sagen uns das Gegenteil. Sie klagen, dass die Ernährung der schweizerischen Bevölkerung in viel zu einseitiger Weise das Fleisch bevorzuge. Es wäre in der grossen Mehrzahl der Haushaltungen möglich, durch eine rationellere Zusammensetzung der Mahlzeiten billiger und in hygienischer Beziehung besser zu leben.

Ist das wirklich wahre Staatskunst, dass man die Landwirtschaft zwingt, einen immer grössern Teil der Bodenprodukte zuerst dem Tiere zu verfuttern, damit sich die Menschheit mit Nahrungsmitteln ·ernähre, die einen hohen Gaumen-, aber einen kleineu Nährwert liaben? Viel Fleisch, wenig Gemüse und Brot und dazu möglichst viel Alkohol, das ist nicht allein der leitende Gedanke in den Restaurants und Hotels, sondern mindestens filr die Ernährung immer mehr auch in den Privatfamilien. Eine Politik, die aus dem Auslande möglichst billiges Fleisch und billige Weine einführt, begünstigt diese schädliche Verirrung in der Volksernährung. Und 'für eine solche Konsequenz werden die Erwerbsgrundlagen des ·wichtigsten Teils unserer Bevölkerung untergraben.

Es ist auch unleugbar, dass die Löhne und Gehälter und die "Verdienste der Unternehmer in Industrie, Gewerbe und Handel ·durchschnittlich mehr gestiegen sind als die Fleischpreise. Selbst -die Rentner bekommen heute zirka 1ls °/o mehr Zins wie früher.

An alle diese grössern Einkommen .trägt der Bauernstand direkt «ind indirekt seinen redlichen Teil bei.

Die ganze Aktion gegen unsere Viehpreise ist und bleibt deshalb ein schweres Unrecht und eine grobe Verletzung der Interessen.solidarität der Volksgenossen.

Resümee.

Gestützt auf vorstehende Darlegungen ersuchen wir Sie, hochgeachteter Herr Bundesrat, Sie m ö c h t e n es a b l e h n e n , die E i n f u h r des ü b e r s e e i s c h e n g e f r o r e n e n Fleisches ·durch ausserordentliche M a s s n a h m e n zu e r l e i c h t e r n . Namentlich bitten wir um Beachtung folgender Begehren: Ì. Das gefrorene Fleisch soll nur in ganzen ausgeweideten Tierkörpern eingeführt werden, an denen stets der Kopf, die Lunge, ·das Herz, die Leber, die Milz, die Nieren und die zugehörenden Lymphdrüsen vorhanden sein müssen, und es soll der gesetzlichen 'Fleischschau unterliegen.

2. Die Ermässigung des Zolles, die nur auf dem Wege eines internationalen Vertrages oder durch ein Bundesgesetz rechtlich, zulässig ist, bitten wir .abzulehnen.

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3. Die Einfuhr soll, wenn sie kommt, auf wenige Hauptkonsumzentren beschränkt und im Quantum möglichst limitiert werden.

4. Die Importeure sind aufmerksam zu macheu, dass ihnen aus einer allfälligen spätem Aufhebung der Erlaubnis keinerlei Entschädigungsansprüche erwachsen.

5. Zur Verhütung von Missbrauch, Schädigung der Gesundheit und auch fUr möglichste Einschränkung der Konsequenzen der Einfuhr für die inländische Mast empfehlen wir, die Einfuhr und den Vertrieb an folgende Bedingungen zu knüpfen: a. Strenge Kontrolle an der Grenze.

b. Direkte Zufuhr in ein mit allen nötigen und vom eidgenössischen Landwirtschaftsdepartement als genügend anerkannten Einrichtungen versehenes, unter öffentlicher Kontrolle stehendes Schlacht- oder Gefrierhaus.

c. Tägliche Kontrolle des Fleisches, der Lokalitäten und Einrichtungen, in denen gefrorenes Fleisch gelagert oder feilgehalten wird.

d. Deklarationspflicht beim Verkauf im Grossen wie im Kleinen,, wie auch bei der Abgabe des Fleisches in Hotels, Keataurants, Kostgebereien und drgl.

e. Verbot der Verwendung des Fleisches zur Fabrikation vo» Würsten und Fleischwaren.

f. Verbot des Bezuges und des Vertriebes des Fleisches durch, solche, die frisches Fleisch, Würste und Fleischwaren gewerbsmässig fabrizieren oder feilhalten.

g. Vorschrift, dass gesonderte Lager- und Verkaufsräume erstellt werden müssen.

h. Limitierung der Lagerfrist im Inlande auf 14 Tage.

i. Innerhalb der vorstehenden Vorschriften soll es Sache der Kantone sein, zu entscheiden, in welchem Umfange und an, wen die Bewilligung zur Einfuhr dieses Fleisches erteilt werden soll.

Wir empfehlen Ihnen, hochgeachteter Herr Bundesrat, dievorstehenden Erwägungen und Vorschläge zu eingehender und wohlwollender Berücksichtigung. Wir stehen unter dem Eindrucke, dass sich unser Verband seit seinem Bestehen noch nie mit oineiFrage der Handelspolitik zu befassen hatte, die dieser an Bedeutung und Tragweite gleichkäme. Wollen Sie bedenken, dass wenn die

973: von uns befürchteten Konsequenzen eintreten, d i e b e t r o f f e n e Bevölkerung die eidgenössischen Behörden dafür v e r a n t w o r t l i c h m a c h e n w i r d . Mögen Sie das auch denjenigen zu bedenken geben, die glauben, aus politischen Gründen diese Einfuhr nicht ablehnen zu dürfen. Die Sozialdemokratie wird,, die Eidgenossenschaft mag tun und lassen, was sie will, sich nie dankbar erweisen. Ihr Ziel ist die politische Herrschaft, und die Teuerungsfrage ist ihr nur Mittel zum Zweck. Wenn die Folgen, kommen und die Kleinbauern verbittert sind, so werden die sozialistischen Agitatoren ungeniert die bürgerlichen Parteien dafür verantwortlich machen und sagen: ,,Kleinbauern erkennt ihr jetzt,, wie wenig der Bund und die Bauernpolitik für euch gesorgt und erreicht haben. Kommt zu uns, wir werden euch helfen." Wer weiss, mit welchem Eifer, welcher Beharrlichkeit und Schlauheit die Sozialdemokratie um die Gunst unserer Kleinbauern buhlt, der wird auch aus politischen Gründen eine Massnahme ablehnen, die gerade diese Kleinbauern schädigt und sie dem Bunde und den bürgerlichen Parteien entfremden muss. Mit den Kleinbauern kann die Sozialdemokratie die politische Herrschaft erringen, ohne diese wird sie dauernd eine Minderheitspartei bleiben.

In grösster Hochachtung zeichnen B e r n und B r ü g g, 'den 10. Februar

1911.

Für den schweizerischen Bauernverband :.

Der Präsident:

Jenny.

Der Geschäftsführer: Dr Laur.

--K£ä--

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Einfuhr von überseeischem Gefrierfleisch. (Vom 24. März 1911.)

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1911

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12.04.1911

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