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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend die Berücksichtigung der güterrechtlichen Verhältnisse bei der Anlage der Militärsteuer.

(Vom 20. Dezember 1911.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Auf einen in der Bundesversammlung bei Behandlung unseres Geschäftsberichtes ausgesprochenen Wunsch hin sehen wir uns veranlasst, im Hinblick auf das schweizerische Zivilgesetzbuch die Heranziehung des Frauengutes in die Anlage der Militärsteuer zu erörtern. Das Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz, vom 28. Juni 1878, sieht eine Besteuerung des Vermögens und des Einkommens vor. Es hat sich dann bekanntlich folgende Praxis ausgebildet: Massgebend ist in jedem einzelnen Falle der für die Eheleute geltende Güterstand. Geht das zugebrachte Gut der Ehefrau in das Eigentum des Mannes über, so wird es nach Art. 5, A, Ziffer l, des Militärsteuergesetzes wie dessen übriges Vermögen besteuert. Hat der Ehemann am Vermögen der Frau bloss die Nutzniessung, so unterliegt die letztere als Einkommen der Besteuerung gemäss Art. 5, B, b des Militärsteuergesetzes (zu vergleichen bundesrätliche Entscheide in Sachen Stähelin, Bundesbl. 1884, II, 507, und in Sachen Pictet, Bundesbl. 1888, IV, 138). Im Rekursfalle Burnier ist vom Bundesrate entschieden worden, dass der Ersatzpflichtige nur dann für Frauengut oder für Ertrag aus solchem besteuert werden kann, wenn ihm ein bezügliches Recht zusteht, und dass die blosse tatsächliche Nutzung nicht genügt, um beim Militärpflichtersatz in Anrechnung gebracht zu werden (Bundesbl. 1903, I, 917).

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Die kantonalen gesetzlichen Vorschriften betreffend das eheliche Güterrecht bedeuten meist zwingendes Recht, so dass die Brautleute und Eheleute ihre güterrechtlichcn Verhältnisse nicht nach Belieben festsetzen konnten. Im ganzen herrschte demnach innerhalb des Gebietes ein- und desselben Kantons, wenn man von den aus ändern Kantonen zugereisten Eheleuten absieht, in bèzug auf das Güterrecht eine bedeutende Gleiohmässigkeit. Das schweizerische Zivilgesetzbuch stellt nun die Freiheit des Ehevertrages auf; d. h. es können die Brautleute und Eheleute irgend einen der in diesem Gesetze vorgesehenen Güterstände mit ihren Modifikationen wählen. Für diejenigen Fälle, in welchen durch Vertrag nichts anderes vereinbart wird, lässt das Zivilgesetzbuch den Güterstand der Güterverbindung eintreten. Es werden infolgedessen vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zivilgesetzbuches (1. Januar 1912} an auch innerhalb eines jeden Kantons allgemein verschiedene Güterstända vorkommen können.

Bei Ehegatten, welche vor dem 1. Januar 1912 getraut worden sind, bleibt das bisherige Güterrecht in Geltung. Dritten gegenüber stehen diese Ehegatten unter dem neuen Rechte, wenn sie nicht vor dessen Inkrafttreten eine gemeinsame schriftliche Erklärung über die Beibehaltung des bisherigen Güterstandes zur Eintragung in das Güterrechtsregister eingereicht haben. Die Ehegatten können durch Einreichung einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung bei der zuständigen Behörde ihre Rechtsverhältnisse auch unter sich dem neuen Recht unterstellen (Art. 9 der Anwendungs- und Einführungsbestimmungen des Zivilgesetzbuches). Der Grundsatz, wonach für das innere Verhältnis dei1 Ehen das bisherige Güterrecht nach Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches fortbesteht, erfährt insoweit eine Ausnahme, als die Bestimmungen des letztern über den ausserordentlichen Güterstand, das Sondergut und den Ehevertrag ebenfalls auf bereits bestehende Ehen Geltung haben.

Bei der Anlage der Militärsteuer muss nun einfach im Prinzip an der bisherigen vorerwähnten Praxis festgehalten werden.

Gemäss dieser Praxis sind die Ersatzpflichtigen nach den Vermögensrechten, die ihnen auf Grund des ehelichen Güterrechts zustehen, zu besteuern. Erwerben sie Eigentum am zugebrachten Gut, so findet Vermögensbesteuerung, und kommt ihnen bloss der Ertrag des Frauengutes zu, so findet
Einkommensbesteuerung statt. Ob und gegebenenfalls inwieweit die eine oder die andere dieser Besteuerungsarten Platz zu greifen hat, hängt vom jeweiligen Güterstande des betreffenden Pflichtigen ab. Für die Steuer-

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behörden, welche nicht ,,Dritte" im Sinne des Zivilgesetzbuches sind, gelten nämlich die rechtlichen Verhältnisse, wie sie unter den Eheleuten selbst bestehen.

Schliesslich ist noch speziell auf folgendes hinzuweisen : Mit dem Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches kommen, wie bereits bemerkt, dessen Vorschriften über das Sondergut allgemein zur Anwendung. Zum Sondergute der Ehefrau gehören Kraft Gesetzes unter anderem die Vermögenswerte des Frauengutes, mit denen die Ehefrau einen Beruf oder ein Gewerbe betreibt, sowie der Erwerb der Ehefrau aus selbständiger Arbeit.

Da nun das Sondergut unter den Regeln der Gütertrennung steht, dem Ehemann somit an den dasselbe ausmachenden Bestandteilen kein Recht zusteht, so bleibt eine Einbeziehung besagter Bestandteile in die Militärsteueranlage ausgeschlossen. Andererseits ist der Ehemann unter der Gütertrennung berechtigt zu verlangen, dass ihm die Ehefrau zur Tragung der ehelichen Lasten einen angemessenen Beitrag leiste. Diese Beitragsleistung ist nun als Einkommen in die Militärsteueranlage aufzunehmen, und zwar wird es sich hier regelmassig bloss um eine je nach den Verhältnissen näher festzusetzende Quote des ehefräulichen Einkommens beziehungsweise Vermögensertrages handeln. In diesem Sinne ist vom Bundesrate schon wiederholt auf Rekurse im Kanton Waadt wohnender Ersatzpflichtiger, in welchem bereits seit Jahren der Erwerb aus selbständiger Arbeit der Ehefrau, unter Vorbehalt der Beitragspflicht an die ehelichen Lasten, zu eigen gehört, entschieden worden.

Wir sprechen nun die Erwartung aus, dass die vorstehenden Ausführungen den mit der Erhebung der Militärsteuer betrauten Behörden Ihres Kantons als Wegleitung dienen werden, und benutzen im übrigen diesen Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 20. Dezember

1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der Kanzler der EidgenossenschaftSchatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend die Berücksichtigung der güterrechtlichen Verhältnisse bei der Anlage der Militärsteuer. (Vom 20. Dezember 1911.)

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