11.030 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (6. IV-Revision, zweites Massnahmenpaket) vom 11. Mai 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir, folgende parlamentarische Vorstösse abzuschreiben: 2008

M 06.3466

Bestimmung des Invalideneinkommens (N 22.6.07, Robbiani; S 18.12.08)

2005

P

Weniger anforderungsreiche Tätigkeit und Anspruch auf IV-Rente (N 17.6.05, Robbiani)

05.3070

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. Mai 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-0162

5691

Übersicht Seit Anfang 2008 ist die 5. IV-Revision in Kraft. Mit dem ihr zu Grunde liegenden Konzept «Eingliederung vor Rente» lässt sich die Anzahl neuer IV-Renten senken, was längerfristig zu einer jährlichen Reduktion der IV-Ausgaben von durchschnittlich rund 500 Millionen Franken führt. Dadurch kann das jährliche Defizit stabilisiert und die Verschuldung gebremst werden.

Diese Revision war der erste Schritt des IV-Sanierungsplans. Daneben hat das Parlament eine Zusatzfinanzierung in zwei Teilen verabschiedet, die beide direkt miteinander verknüpft sind. Der erste Teil (Änderung der Bundesverfassung) sieht eine befristete und proportionale Anhebung der Mehrwertsteuersätze vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2017 vor. Diese Änderung wurde von Volk und Ständen am 27. September 2009 gutgeheissen. Die Massnahme bringt zusätzliche Einnahmen von rund 1,2 Milliarden Franken pro Jahr. Der zweite Teil (Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung) beinhaltet die Einrichtung eines selbstständigen Ausgleichsfonds für die IV per 1. Januar 2011. Die AHV hat dem neu geschaffenen IV-Fonds auf dieses Datum hin einen einmaligen Betrag (à fonds perdu) von 5 Milliarden Franken überwiesen. Im Übrigen übernimmt der Bund während der Zeit der Mehrwertsteuererhöhung die gesamten Schuldzinsen. Die Zusatzfinanzierung ­ Schritt zwei des IV-Sanierungsplans ­ erlaubt es der Versicherung folglich, das jährliche Defizit vorübergehend zu tilgen und die Schuldenspirale zu stoppen beziehungsweise die Schulden leicht zu reduzieren. Damit ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Sanierung der Versicherung gegeben.

Nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung wird die IV ab 2018 erneut ein grosses Jahresdefizit ausweisen. Weitere Reformmassnahmen sind folglich unumgänglich.

Deshalb hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, eine 6. IV-Revision zur nachhaltigen Sanierung der IV auszuarbeiten. Der Auftrag wurde über das Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung erteilt und ist der dritte und letzte Schritt des IV-Sanierungsplans. Die Revision erfolgt in zwei Paketen. Das erste Massnahmenpaket (IV-Revision 6a) ist vom Parlament am 18. März 2011 verabschiedet worden. Gemäss den neusten Prognosen kann das erwartete Defizit zwischen 2019 und 2025 um rund 750 Millionen Franken pro Jahr reduziert werden.
Dies dank den Massnahmen der IV-Revision 6a (eingliederungsorientierte Rentenrevision, Neuregelung des Finanzierungsmechanismus, Preissenkungen im Hilfsmittelbereich) einerseits und den Mehreinnahmen der IV sowie den Einsparungen bei den Ausgaben andererseits.

Das zweite Massnahmenpaket (IV-Revision 6b), das den Sanierungsprozess abschliesst, ist Gegenstand der vorliegenden Botschaft. Die vorgesehenen Massnahmen zielen nicht nur auf eine nachhaltig ausgeglichene Rechnung, sondern auch auf die Rückzahlung der IV-Schulden bis zum Jahr 2025. Ausserdem beinhaltet die Sanierung der IV Massnahmen auf Verordnungs- und Weisungsebene. Diese sind jedoch nicht Teil dieser Botschaft. Die IV-Revision 6b enthält die folgenden sieben Massnahmen:

5692

­

Anpassung des Rentensystems zur Unterstützung der Eingliederung «Arbeit muss sich lohnen»: So lautet der Grundsatz dieser Massnahme.

Wegen der Abstufung der Renten führt eine erfolgreiche Eingliederung heute in vielen Fällen dazu, dass die Rente stärker reduziert wird als sich das Arbeitseinkommen erhöht, so dass der versicherten Person insgesamt weniger Geld zur Verfügung steht. Diese Situation ist nicht tragbar, sowohl in Hinblick auf die von der IV angestrebten Eingliederung als auch in Bezug auf die mit der 5. und 6. IV-Revision getätigten Investitionen in die Eingliederung. Das Ziel der vorliegenden Gesetzesänderung ist es, diesen Widerspruch mit der Einführung eines stufenlosen Rentensystems zu korrigieren, damit Versicherte, welche eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder ihr Arbeitspensum erhöhen, künftig finanziell nicht mehr bestraft werden.

Um die Schwelleneffekte zu eliminieren, wird jedem Invaliditätsgrad eine bestimmte Rentenhöhe zugeordnet. Da ab einem gewissen Invaliditätsgrad die Resterwerbsfähigkeit jedoch nur schwer genutzt werden kann, wird ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent, anstatt wie heute ab 70 Prozent, eine ganze Rente gewährt. Erzielen Versicherte mit einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent und mehr ein Erwerbseinkommen, so wird dieses angerechnet und eine entsprechende Teilrente ausgerichtet; ihr Gesamteinkommen bleibt dadurch aber immer noch höher als ohne Erwerbseinkommen. Für Rentnerinnen und Rentner ab 55 Jahren ist eine Besitzstandsgarantie vorgesehen.

Damit die vorliegende Änderung ihre positive Wirkung voll entfalten kann, wird das stufenlose Rentensystem auch in der 2. Säule für Neurenten eingeführt.

­

Verstärkte Eingliederung und Verbleib im Arbeitsmarkt Die verstärkte Eingliederung führt den mit der 5. IV-Revision eingeschlagenen Weg «Eingliederung vor Rente» fort. Obwohl die vorliegende Gesetzesänderung Massnahmen für alle Versicherten vorsieht, ist sie in der Praxis vor allem auf Menschen mit einer psychischen Behinderung ausgerichtet, die die grösste Gruppe der IV-Rentnerinnen und -Rentner ausmachen. Die mit der 5. IV-Revision eingeführten Instrumente werden optimiert und weiterentwickelt. Zunächst wird die Früherfassung erweitert, damit der Kontakt zur versicherten Person so früh wie möglich hergestellt werden kann. Zudem wird die zeitliche Befristung von Integrationsmassnahmen aufgehoben, da bei Menschen mit einer psychischer Behinderung die Eingliederung länger dauern kann als bei anderen Versicherten. Zur besseren Prävention von Invalidität können die IV-Stellen, wie bereits bei den Massnahmen zur Wiedereingliederung im Rahmen der IV-Revision 6a, sämtlichen Versicherten und Arbeitgebern Beratung und Begleitung anbieten, ungeachtet einer anderen Leistung der IV und ohne dass eine Anmeldung bei der IV erforderlich ist. Der Arbeitgeber als Hauptakteur der Eingliederung wird eingeladen, das Arbeitsverhältnis während der Eingliederungsmassnahmen nicht ohne vorherige Rücksprache mit der IV aufzulösen. Der Kreis der Personen, die während der Durchführung von Integrationsmassnahmen Anspruch auf eine

5693

Unterstützung haben, soll erweitert werden. Nicht nur der bisherige Arbeitgeber soll von dieser speziell auf Menschen mit einer psychischer Behinderung ausgerichteten Massnahme profitieren können, sondern auch neue Arbeitgeber, die bereit sind, eine versicherte Person im Betrieb aufzunehmen. Mit der Einführung des Personalverleihs wird die versicherte Person für Arbeitgeber attraktiver und ihre Beschäftigungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt werden erhöht. Schliesslich werden im Hinblick auf die verstärkte Eingliederung auch die Voraussetzungen für den Rentenanspruch ausgeweitet: Künftig haben versicherte Personen nur Anspruch auf eine Rente, wenn sie nicht mehr eingliederungsfähig sind ­ gemäss dem neu im Gesetz verankerten Begriff ­ und wenn sich ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu beschäftigen, nicht mit medizinischen Behandlungen wiederherstellen, erhalten oder verbessern lässt.

­

Neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Die neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern zielt auf eine Anpassung der Rentenhöhe an die tatsächlichen durch die Kinder verursachten prozentualen Zusatzkosten gemäss den Äquivalenzskalen der OECD und der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Sie trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass seit der Einführung der Kinderrenten zusätzliche Leistungen für Familien auf Bundesebene verankert wurden (Familienzulagen, berufliche Vorsorge, Ergänzungsleistungen). Die vorliegende Änderung sieht vor, den Ansatz für die Kinderrente von gegenwärtig 40 auf neu 30 Prozent der Invalidenrente herabzusetzen. Laufende Renten werden im Sinne einer Abfederung erst nach einer Übergangsfrist von drei Jahren angepasst. Die entsprechende Regelung ist auch für Kinderrenten in der AHV anzupassen. Nicht angepasst werden hingegen die Waisenrenten.

­

Neue Regelung für Reisekosten Ziel der Neuregelung für Reisekosten ist es, die Kostenübernahme wieder auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehene Leistung zu begrenzen, d. h. auf die Übernahme der behinderungsbedingt notwendigen Kosten. Die allgemeine Regelung der Reisekosten soll folglich gestrichen und für jede einzelne Eingliederungsmassnahme soll eine neue, speziell auf diese Massnahme ausgerichtete Bestimmung eingeführt werden. Bei den medizinischen Massnahmen werden nach dem System des Tiers garant nur noch die zusätzlichen behinderungsbedingten Reisekosten übernommen. Bei den Integrationsmassnahmen, der Umschulung und den Hilfsmitteln wird eine der heutigen Regelung ähnliche Kostenübernahme beibehalten. Allerdings soll die Handhabung optimiert und eine verstärkte Aufsicht durch die IV-Stellen eingeführt werden, damit nur die Kosten rückerstattet werden, die nicht anfallen würden, wenn die versicherte Person gesund wäre.

5694

­

Verstärkte Betrugsbekämpfung Mit der 5. IV-Revision wurde die gesetzliche Grundlage für eine wirksame Betrugsbekämpfung geschaffen. Betrug betrifft jedoch nicht nur die IV, sondern auch die anderen Sozialversicherungen. Deshalb soll mit der IV-Revision 6b im Hinblick auf eine Verbesserung der Abläufe eine gemeinsame Gesetzesgrundlage für alle Versicherungen geschaffen werden. Es handelt sich dabei um eine Änderung der Verfahrensvorschriften.

­

Entschuldung der IV Der Gesetzgeber will die IV nachhaltig sanieren. Dafür muss die Versicherung ihre Schulden bei der AHV abbauen. Die IV-Revision 6b sieht deshalb eine an den Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Fonds gekoppelte Rückzahlung vor. Macht der Anteil der flüssigen Mittel und Anlagen mehr als 50 Prozent einer Jahresausgabe aus, so wird der Überschuss vollumfänglich der AHV überwiesen. Beträgt er 50 Prozent oder weniger, so erfolgt keine Rückzahlung. Nach den neusten Prognosen und unter Berücksichtigung der mit der 6. IV-Revision vorgeschlagenen Massnahmen scheint die vollständige Entschuldung der Invalidenversicherung bis 2025 realistisch, d. h. bis zu dem Zeitpunkt, in dem es bei der AHV zu Liquiditätsproblemen kommen könnte.

­

Interventionsmechanismus zur langfristigen Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts Mit der Einführung eines Interventionsmechanismus auf Gesetzesstufe soll das finanzielle Gleichgewicht der IV langfristig sichergestellt werden. Der Mechanismus verhindert, dass die IV ein Defizit ausweist und sich verschuldet. Der zweistufige Interventionsmechanismus wird zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiviert. Zeichnet sich im Zeitpunkt der Überwachung des Ausgleichsfonds ab, dass der Stand der flüssigen Mittel und Anlagen des IV-Fonds in den folgenden drei Jahren während zwei aufeinanderfolgenden Jahren unter 40 Prozent einer Jahresausgabe fällt, so muss der Bundesrat in einem ersten Schritt der Bundesversammlung die erforderlichen Gesetzesänderungen unterbreiten, um den im Gesetz für das finanzielle Gleichgewicht festgehaltenen Sollbestand von 50 Prozent einer Jahresausgabe wieder zu erreichen. Der Änderungsentwurf muss innerhalb eines Jahres ab der Veröffentlichung der Jahresrechnung, des Budgets und des detaillierten Vermögensausweises des IV-Fonds vorliegen. Die zweite Stufe des Interventionsmechanismus wird nur dann aktiviert, wenn der Fonds-Stand am Ende eines Rechnungsjahres tatsächlich unter den Stand von 40 Prozent einer Jahresausgabe fällt und gemäss Prognosen auch im Folgejahr noch darunter liegen wird. Um die Liquidität der Versicherung sicherzustellen, erhöht der Bundesrat den Beitragssatz um 0,1 Prozentpunkte. Gleichzeitig sistiert er die Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung, mit dem Ziel, ausgabenseitige Einsparungen zu erzielen, die den Mehreinnahmen aus der Beitragserhöhung entsprechen. Die Sistierung der Rentenanpassung an die Preisentwicklung ist auf 5 Jahre begrenzt. Die Sistierung der Anpassung

5695

an die Lohnentwicklung und die Erhöhung des Beitragssatzes hingegen sind zeitlich nicht begrenzt. Allerdings muss der Rentenbetrag in jedem Fall mindestens 95 Prozent der AHV-Altersrente ausmachen. Der Interventionsmechanismus wirkt sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite und kann jährlich ein Defizit von 600­700 Millionen Franken auffangen.

Die Investitionen in die Eingliederung eingerechnet, kann der IV-Haushalt dank der Massnahmen des zweiten Massnahmenpakets bis 2018, wenn die Zusatzfinanzierung ausläuft, um rund 295 Millionen Franken entlastet werden (neues Rentensystem: Einsparungen von 130 Millionen Franken; neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern: Einsparungen von 160 Millionen Franken; neue Regelung für Reisekosten: Einsparungen von 20 Millionen Franken; zusätzlicher Personalbedarf: Mehrkosten von 15 Millionen Franken. Wegen der erforderlichen Investitionen bringt die verstärkte Eingliederung nicht ab 2018, sondern erst ab 2019 eine Entlastung). Von 2015 bis 2025 wird der IV-Finanzhaushalt um rund 325 Millionen Franken jährlich entlastet. Ein nach Einführung der Massnahmen der IV-Revision 6a allenfalls verbleibendes Defizit wird somit beseitigt und die IV-Rechnung ins Gleichgewicht gebracht. Das zweite Massnahmenpaket erlaubt es zudem, die Schulden bei der AHV bis 2025 zurückzuzahlen und die IV nachhaltig zu sanieren. Damit ist der parlamentarische Auftrag erfüllt.

5696

Inhaltsverzeichnis Übersicht

5692

Verzeichnis der Abkürzungen

5699

1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Renten- und Kostenentwicklung in der IV 1993­2010 1.1.2 Einleitung der Sanierung der IV ab 2003 1.2 Handlungsbedarf 1.3 Beantragte Neuregelung 1.3.1 Anpassung des Rentensystems zur Förderung der Eingliederung 1.3.1.1 Hintergrund und Ziel 1.3.1.2 Stufenloses Rentensystem in der IV 1.3.1.3 Begleitmassnahmen 1.3.1.4 Stufenloses Rentensystem in der beruflichen Vorsorge 1.3.1.5 Rentensysteme im internationalen Vergleich 1.3.1.6 Auswirkungen auf die Versicherten 1.3.1.7 Geprüfte Varianten 1.3.2 Verstärkte Eingliederung und Verbleib im Arbeitsmarkt 1.3.3 Neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern 1.3.4 Neue Regelung für Reisekosten 1.3.5 Verstärkte Betrugsbekämpfung 1.3.6 Entschuldung der Versicherung 1.3.7 Interventionsmechanismus zur langfristigen Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts 1.4 Finanzielle Auswirkungen auf die IV: Gesamtüberblick 1.5 Stellungnahme der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission 1.6 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 1.7 Evaluation 1.8 Parlamentarische Vorstösse

5701 5701 5701 5704 5707 5710 5710 5710 5717 5722 5724 5726 5727 5734 5737 5756 5764 5767 5769 5770 5772 5775 5777 5779 5780

2 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

5780

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf den Bund 3.1.1 Finanzielle Auswirkungen 3.1.2 Personelle Auswirkungen 3.2 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden 3.3 Auswirkungen auf andere Sozialversicherungen 3.3.1 Ergänzungsleistungen 3.3.2 Berufliche Vorsorge 3.3.3 Arbeitslosenversicherung 3.3.4 Krankentaggeldversicherung 3.3.5 Unfallversicherung 3.3.6 Alters- und Hinterlassenenversicherung 3.3.7 Krankenversicherung 3.3.8 Militärversicherung

5819 5819 5819 5819 5821 5822 5822 5823 5826 5826 5826 5827 5827 5827 5697

3.4 Volkswirtschaftliche Auswirkungen 3.5 Auswirkungen auf künftige Generationen

5827 5828

4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zum Finanzplan

5828

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungs- und Gesetzmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 5.2.1 Instrumente der Vereinten Nationen 5.2.2 Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation 5.2.3 Instrumente des Europarats 5.2.4 Rechtsvorschriften der Europäischen Union 5.2.5 Vereinbarkeit der Vorlage mit dem internationalen Recht 5.3 Ausgabenbremse 5.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

5828 5828 5828 5828 5829 5829 5830 5831 5832 5832

Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) (6. IV-Revision, zweites Massnahmenpaket) (Entwurf)

5837

5698

Verzeichnis der Abkürzungen AHV AHVG ALV ATSG AVG BehiG BFS BGE BSV BV BVG BVV 2 DBG EAZ EL ELG EU EWG FamZG FZA

IFEG IV IVG IVV KV KVG

Alters- und Hinterlassenenversicherung Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung; SR 831.10 Arbeitslosenversicherung Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts; SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 1989 über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih; SR 832.11 Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz); SR 151.3 Bundesamt für Statistik Bundesgerichtsentscheid Bundesamt für Sozialversicherungen Bundesverfassung; SR 101 Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge; SR 831.40 Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge; SR 831.441.1 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer; SR 642.11 Einarbeitungszuschuss Ergänzungsleistungen Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; SR 31.30 Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Bundesgesetz vom 24. März 2006 über die Familienzulagen; SR 836.2 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (mit Anhängen, Prot. und Schlussakte); SR 0.142.112.681 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über die Institutionen zur Förderung von invaliden Personen; SR 831.26 Invalidenversicherung Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung; SR 831.20 Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung; SR 831.201 Krankenversicherung Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung; SR 832.10

5699

LSE MV MVG MWST OECD RAD StHG UV UVG ZAS

5700

Schweizerische Lohnstrukturerhebung Militärversicherung Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über die Militärversicherung; SR 833.1 Mehrwertsteuer Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Regionalärztlicher Dienst Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden; SR 642.14 Unfallversicherung Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung; SR 832.20 Zentrale Ausgleichsstelle

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Renten- und Kostenentwicklung in der IV 1993­2010

Rentenbestand Nach einer kontinuierlichen Zunahme hat sich der IV-Rentenbestand in der Schweiz ab dem Jahr 2003 als Folge des Rückgangs an Neurenten stabilisiert. Seit 2006 ist er leicht rückläufig. Zwischen Dezember 2009 und Dezember 2010 nahm der Bestand um 1,3 Prozent ab und ging auf 241 000 Rentenbezügerinnen und -bezüger zurück.

Das ist der grösste jemals verzeichnete Rückgang.

Die Entwicklung ist bei den meisten Gebrechensarten relativ stabil geblieben. Einzig bei den psychischen Krankheiten ist eine kontinuierliche Zunahme zu verzeichnen.

Anteil der laufenden Renten in der Schweiz

Unfall

Andere Krankheiten

Krankheiten der Knochen- und Bewegungsorgane

Krankheiten des Nervensystems

Psychische Krankheiten

Geburtsgebrechen

0%

5%

10%

15%

20% 1997

25% 2003

30%

35%

40%

45%

2010

Neurenten Seit Mitte der 1980er-Jahre, insbesondere aber zwischen 1997 und 2003, stiegen die Neurenten stark an, im Durchschnitt jährlich um 4,6 Prozent. Seit 2003 ist die Zahl der Neurenten rückläufig, wobei die durchschnittliche jährliche Abnahme 9,2 Prozent beträgt. Im Jahr 2010 wurden in der Schweiz 15 100 gewichtete Neurenten gesprochen, das sind 3,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Gegenüber dem Rekordjahr 2003 (27 700 Neurenten) ging die Anzahl Neurenten um insgesamt 47 Prozent zurück.

5701

Neurenten in der Schweiz 30'000

25'000

20'000

15'000

10'000

5'000

0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Frauen

Männer

Insgesamt

Die grosse Anzahl an Neurenten zwischen 1997 und 2003 ist insbesondere auf die Zunahme von Renten infolge psychischer Krankheiten zurückzuführen: Diese Kategorie wuchs um durchschnittlich 9,4 Prozent pro Jahr an. Am zweitstärksten haben die Krankheiten der Knochen- und Bewegungsorgane zugenommen, im Jahr 2003 waren rund 26 Prozent der Neuberentungen darauf zurückzuführen. Die Entwicklung bei Geburtsgebrechen und Unfällen ist demgegenüber relativ stabil geblieben.

Anteil der Neurenten in der Schweiz

Unfall

Andere Krankheiten

Krankheiten der Knochen- und Bewegungsorgane

Krankheiten des Nervensystem

Psychische Krankheiten

Geburtsgebrechen

0%

5%

10%

15%

20%

25% 1997

2003

30%

35%

40%

45%

50%

2010

Schliesslich kann festgestellt werden, dass die Neurenten bei Personen, die jünger sind als 55 Jahre, überdurchschnittlich zugenommen haben. Dies ist mit besonderen Kostenfolgen verbunden, da diese Altersgruppe eine längere Bezugsdauer aufweist.

5702

Negative Anreizwirkungen Trotz der erfreulichen Ergebnisse im Jahr 2010 ist der Rentenbestand heute immer noch sehr hoch. Die IV verzeichnet zwar mehr Abgänge als Neuzugänge, aber die grosse Mehrheit der Versicherten (12 000 von 17 500 Fällen) wechselt von der IV zur AHV über und geht nicht zurück in den Arbeitsmarkt. Dieser Zustand wird angesichts der demografischen Entwicklung anhalten. Rund 19 Prozent (3 300) der Abgänge sind auf Todesfälle zurückzuführen. Von den restlichen 13 Prozent (2 300) verlässt ein Teil der Versicherten die IV und nimmt eine Erwerbstätigkeit auf. Das entspricht einem sehr kleinen Prozentsatz.

Das heutige System bietet nicht genügend Anreize für Versicherte, die finanzielle Sicherheit des Rentensystems aufzugeben, um wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Im Gegenteil: In der Praxis haben die Versicherten praktisch kein finanzielles Interesse daran, ihre Resterwerbsfähigkeit zu nutzen. Sie müssen sogar damit rechnen, dass ihre Rente gekürzt wird und ihr Gesamteinkommen dadurch sinkt.

Entwicklung der finanziellen Situation der IV Anfangs der 1990er-Jahre begann die IV jährlich Defizite auszuweisen. 2005 machte das Defizit 15 Prozent der Ausgaben aus (1,7 Milliarden Franken) und die Verschuldung belief sich auf 7,7 Milliarden Franken. Nach einer Abnahme kann die Höhe des Verlustes nun seit 2006 stabil gehalten werden, wenn auch auf hohem Niveau (rund 1,1 Milliarden Franken). Die Schuldenbelastung hingegen ist 2010 auf rund 15 Milliarden Franken angestiegen.

Finanzen der IV 15

10

Mia. Fr.

5

0

-5

-10

-15

1960

1965

1970

1975

Kapitaltransfers EO-IV, Saldo NFA

1980

1985

Einnahmen

1990

1995

Ausgaben

2000 Saldo

2005

2010

Kapitalkonto

5703

Gründe für die Renten- und Kostenzunahme1 Verschiedenste Faktoren haben zu einem Renten- und Kostenwachstum und letztlich zu einer Fehlentwicklung in der IV geführt. Dazu gehören die Koordinationsprobleme im Sozialversicherungssystem, die schwache Aufsicht, die Praxis der Rentenzusprechung zugunsten der Versicherten sowie neue Formen psychischer Erkrankungen und die Anspruchshaltung der versicherten Personen2.

1.1.2

Einleitung der Sanierung der IV ab 2003

Angesichts des immer stärker zunehmenden Kosten- und Rentenwachstums waren einschneidende Massnahmen zur Einleitung der Sanierung der IV unabdingbar.

Dazu bedurfte es grundlegender Systemanpassungen und insbesondere einer Entwicklung weg von einer administrativen Rentenversicherung hin zu einer Eingliederungsversicherung. Im Vordergrund stand die Reduktion von Neurenten, was zu einer nachhaltigen Senkung der Kosten führt und zugleich verhindert, dass die betroffenen Personen aus dem Arbeitsmarkt fallen und dadurch sozial isoliert werden. Um diese Trendwende zu vollziehen, waren bzw. sind alle Akteure des IV-Systems gefordert (Bund, IV-Stellen, Arbeitgeber, Ärzteschaft, Versicherte, Gerichte).

Zusätzlich zu den Systemanpassungen waren weitere Massnahmen zur Senkung der Ausgaben bzw. zur Erhöhung der Einnahmen nötig.

Reduktion der Neurenten Massnahmen zwischen 2003 und 2008 Seit 2003 führten verschiedene Faktoren zur Senkung der Anzahl Neurenten und damit des Rentenbestandes: Einführung eines Monitorings, 4. IV-Revision, verstärkte Aufsicht durch das BSV, strengere Bundesgerichtspraxis und restriktivere Rentenpraxis der IV-Stellen sowie eine allgemeine Sensibilisierung3.

Einführung der 5. IV-Revision im Jahr 2008 Um die Anzahl der Neurenten weiter zu senken, wurden mit der 5. IV-Revision Instrumente zur Förderung der Eingliederung eingeführt. Es handelt sich dabei insbesondere um die Früherfassung, die Frühintervention und die Integrationsmassnahmen.

Gemäss IV-Statistiken wurden 2009, ein Jahr nach Einführung der 5. IV-Revision 15 600 Neurenten verfügt, das heisst 1300 oder 7,7 Prozent weniger als im Vorjahr.

Das bedeutet gegenüber dem Rekordstand von 2003 einen Rückgang um 47 Prozent.

Gemäss den ersten Erfahrungen bewähren sich die mit der 5. IV-Revision zur verstärkten Eingliederung eingeführten Instrumente. So gingen bei den IV-Stellen in den drei Jahren nach Inkrafttreten der 5. IV-Revision 32 700 Meldungen für die Früherfassung ein. Die meisten Meldungen erfolgten durch den Arbeitgeber (28 %) 1

2 3

Vgl. auch Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 6. Juni 2005: «Faktoren des Rentenwachstums in der IV».

Vgl. auch Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) BBl 2010 1817, hier 1829­1830.

Vgl. auch Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) BBl 2010 1817, hier 1831­1832.

5704

und durch die betroffenen Personen selbst (25 %). Einen Beitrag zur Früherfassung leistete auch die Ärzteschaft, von der ein Zehntel der Meldungen stammte.

Meldende Instanz (2008­2010) Meldungen total: 33 672 Andere; 2626; 8% vP oder gesetzliche Vertretung; 8270; 25%

Unfallversicherer; 1897; 6%

Private Versicherung; 3834; 11%

Krankentaggeldversicherer; 4078; 12%

Arbeitgeber; 9661; 28% Arzt; 3306; 10%

Seit dem Inkrafttreten der 5. IV-Revision wurden 40 610 Frühinterventionsmassnahmen zugesprochen (Stand Ende 2010). Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Berufsberatung (37 %), Ausbildungskurse (21 %) und Arbeitsvermittlung (24 %). Die Massnahmen wurden grösstenteils Versicherten mit Krankheiten der Knochen- und Bewegungsorgane zugesprochen (zweitgrösste Gruppe der IV-Rentnerinnen und -Rentner).

Massnahmen der Frühintervention (2008­2010) Massnahmen total: 40'610 Beschäftigungsmassnahmen; 1443; 4%

Anpassungen des Arbeitsplatzes; 2043; 5%

Sozialberufliche Rehabilitation; 3692; 9% Ausbildungskurse; 8369; 21%

Berufsberatung; 15297; 37%

Arbeitsvermittlung; 9766; 24%

5705

Die Integrationsmassnahmen zielen vor allem auf Versicherte mit psychischer Behinderung. Rund 8200 Personen haben davon profitiert (Stand Ende 2010). Dabei kommen überwiegend das Aufbautraining (47 %) und das Belastbarkeitstraining (35 %) zur Anwendung. Auf die wirtschaftsnahe Integration mit Support am Arbeitsplatz (WISA), bei der es zunächst um die Vermittlung der versicherten Person an einen Arbeitgeber und danach um die Gewöhnung an die verschiedenen Arbeitsprozesse geht, wird nur sehr selten zurückgegriffen (9 %).

Integrationsmassnahmen (2008­2010) Massnahmen total: 8'248

Beitrag an Arbeitgeber bei Weiterbeschäftigung im Betrieb; 275; 3%

Beitrag an Supportorganisation bei Weiterbeschäftigung im Betrieb; 81; 1%

Arbeit zur Zeitüberbrückung; 331; 4% Wirtschaftsnahe Integration mit Support am Arbeitsplatz; 747; 9%

Support durch IV-Stelle oder Betrieb bei Weiterbeschäftigung im Betrieb; 96; 1%

Belastbarkeitstraining; 2878; 35%

Aufbautraining; 3840; 47%

Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die mit der 5. IV-Revision eingeführten Massnahmen in die richtige Richtung gehen. Eine Evaluation dieser Massnahmen liegt jedoch noch nicht vor. Diese bildet Bestandteil des zweiten mehrjährigen Forschungsprogramms zur Umsetzung des Invalidenversicherungsgesetzes (FoP2-IV).

Analysiert werden sollen unter anderem die Wirkung auf bestimmte Zielgruppen, die Faktoren für den Eingliederungserfolg und das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Massnahmen.

6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket (IV-Revision 6a) Das Parlament verabschiedete in der Schlussabstimmung vom 18. März 2011 die IV-Revision 6a, die ein auf die Wiedereingliederung von Rentenbezügerinnen und -bezügern abzielendes Instrument vorsieht. Damit soll der Eingliederungsweg weiterverfolgt und der Rentenbestand weiter gesenkt werden. IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Eingliederungspotenzial werden durch individuelle Massnahmen, wie beispielsweise persönliche Beratung und Begleitung, gezielt auf eine ihren Möglichkeiten entsprechende, möglichst weitgehende Eingliederung ins Erwerbsleben vorbereitet. Ergänzend dazu werden verschiedene Schutzmechanismen geschaffen: Besitzstand der Rente während der Durchführung von Massnahmen, Auffangregelung bei erneuter Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach erfolgreicher Eingliederung, Koordination der Eingliederung mit anderen Versicherungen, insbesondere der 2. Säule. Die Revision 6a sieht auch Massnahmen wie zum Beispiel einen Arbeitsversuch vor, die einen zusätzlichen Anreiz bieten, dass auch Arbeitge5706

ber ihren Beitrag zur Eingliederung leisten. Damit werden die Grundlagen gelegt, dass das Rentenrevisionsverfahren als Brücke zur Eingliederung genutzt werden kann, vor allem bei jüngeren Personen und Personen mit psychischen Behinderungen, deren Gesundheitszustand Schwankungen unterliegt. Wenn alle betroffenen Akteure zusammenarbeiten, kann mit den in der IV-Revision 6a vorgesehenen Instrumenten der gewichtete Rentenbestand innerhalb von 6 Jahren um rund 5 Prozent gesenkt werden.

1.2

Handlungsbedarf

Eine nachhaltige Sanierung der IV inklusive Abbau der Schulden ist möglich, wenn der mit der 5. IV-Revision eingeschlagene Weg der IV zur Eingliederungsversicherung konsequent weitergeführt wird. Eine erfolgreiche Eingliederung ist im Übrigen nicht nur in finanzieller Hinsicht von Bedeutung, sondern sie hat gerade für junge Menschen mit einer Behinderung eine grosse Tragweite. Es geht darum, unserer Gesellschaft, unserem Staat und unserer Wirtschaft die nötigen Mittel zu geben, den Menschen, die in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, die grösstmöglichen Chancen zu geben. Dadurch werden sie neue Lebenskonzepte und neue Perspektiven entwickeln können, die es ihnen erlauben, in unserer Gesellschaft integriert zu leben. Dies ist ein wesentliches Ziel.

Nachhaltiger Sanierungsplan der IV in drei Schritten Die finanzielle Situation der Invalidenversicherung hat sich seit Mitte der 1990erJahre zunehmend verschlechtert. Der entwickelte Sanierungsplan, welcher im Rahmen der Zusatzfinanzierung bestätigt wurde, umfasst drei zentrale Schritte: die 5. IV-Revision, die IV-Zusatzfinanzierung und die 6. IV-Revision. Mit diesen drei aufeinander abgestimmten Gesetzesrevisionen soll eine nachhaltig ausgeglichene Rechnung der IV ab 2018 erreicht und mittelfristig die IV-Schulden bei der AHV zurückbezahlt werden.

5707

1. Schritt: 5. IV-Revision Seit 2008 ist die 5. IV-Revision in Kraft. Ziel dieser Systemanpassung ist es, das jährliche Defizit der IV in der Höhe von rund 1 Milliarde Franken zu stabilisieren.

Erreicht wird dies durch eine Senkung der Neurenten dank verstärkten Eingliederungsbemühungen und durch gezielte Sparmassnahmen4.

2. Schritt: IV-Zusatzfinanzierung Volk und Stände haben im September 2009 der IV-Zusatzfinanzierung zugestimmt.

Diese besteht aus zwei inhaltlich eng verknüpften Vorlagen: ­

Die Änderung der Bundesverfassung umfasst eine proportionale Erhöhung der Mehrwertsteuer (MWST)5. Die Erhöhung ist auf sieben Jahre befristet (2011­2017) und bringt zusätzliche Einnahmen von rund 1,2 Milliarde Franken jährlich.

­

Das Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung hat die Einrichtung eines eigenständigen Ausgleichsfonds für die IV vorgesehen. Die AHV hat dem neu geschaffenen IV-Fonds einen einmaligen Betrag (à fonds perdu) von 5 Milliarden Franken überwiesen. Zusätzlich werden die Schuldzinsen der IV während der Zeit der befristeten Mehrwertsteuererhöhung vollumfänglich vom Bund übernommen. Zwecks Reduktion der Schulden wird während dieser Zeit der Betrag, um den das Kapital des IV-Ausgleichfonds am Ende des Rechnungsjahres das Startkapital von 5 Milliarden Franken übersteigt, jährlich an den AHV-Ausgleichsfonds überwiesen.

Die Zusatzfinanzierung ergibt in der Zeit von 2011­2017 Mehreinnahmen für die IV von mehr als 14 Milliarden Franken: ­

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer bringt während 7 Jahren insgesamt 8,4 Milliarden.

­

Das Startkapital für den IV-Fonds beträgt 5 Milliarden Franken.

­

Die vollständige Übernahme der Schuldzinsen durch den Bund in der Höhe von zusätzlich durchschnittlich jährlich rund 160 Millionen Franken ergeben weitere insgesamt 1,1 Milliarden Franken.

Mit der Zustimmung zur Zusatzfinanzierung kann die IV in den Jahren 2011­2017 ihr Defizit vorübergehend eliminieren und damit wird die nötige Zeit für den dritten Schritt gewonnen, nämlich für die 6. IV-Revision, die insbesondere ausgabenseitig sanieren soll. Dank dieser Übergangsphase können die Massnahmen Schritt für Schritt und damit sozialverträglich umgesetzt werden.

4

5

Aufhebung der laufenden Zusatzrenten, kein Karrierezuschlag für neue Renten, Anpassung des Taggeldsystems, Überführung der medizinischen Massnahmen für Versicherte ab 20 Jahren in die Krankenversicherung, Erhöhung der Mindestbeitragsdauer und Senkung der Überversicherungsschwelle.

Der Normalsatz wird von 7,6 auf 8 % erhöht, der reduzierte Satz (Güter des täglichen Bedarfs) von 2,4 auf 2,5 % und der Sondersatz (Beherbergungsleistungen) von 3,6 auf 3,8 %.

5708

3. Schritt: 6. IV-Revision Ohne weitere Massnahmen würde die IV im Jahre 2018 ­ nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung ­ erneut ein deutliches Defizit ausweisen. Weitere Massnahmen sind deshalb unumgänglich. Im Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung wurde der Bundesrat vom Parlament beauftragt, eine Botschaft zu unterbreiten, wie die Invalidenversicherung insbesondere durch eine Senkung der Ausgaben saniert werden kann6. Dies als Ergänzung zum zweiten Schritt der Sanierung (Zusatzfinanzierung), welcher ausschliesslich durch Mehreinnahmen erfolgte.

Die 6. IV-Revision wurde in zwei Massnahmenpakete unterteilt: ­

Das Parlament hat das erste Massnahmenpaket in der Schlussabstimmung vom 18. März 2011 verabschiedet. Darin wurden Massnahmen vorgeschlagen, mit denen ­ unter Berücksichtigung der Mehreinnahmen der IV sowie der Einsparungen bei den Ausgaben ­ das nach Auslaufen der Mehrwertsteuererhöhung (2018) erwartete Defizit gemäss neusten Prognosen um rund 750 Millionen Franken pro Jahr gesenkt werden kann (Durchschnitt der Jahre 2019­2025). Dies einerseits dank der eingliederungsorientierten Rentenrevision und der Preissenkungen im Hilfsmittelbereich sowie andererseits aufgrund der Neuregelung des Finanzierungsmechanismus. Die im Rahmen dieser Revision vorgesehene Einführung des Assistenzbeitrages, der Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung erlaubt, erfolgt kostenneutral. Damit die Massnahmen bereits während der Zusatzfinanzierung zusätzlich Spareffekte erzielen und ab dem Jahr 2018 ihre Wirkung voll entfalten können, muss die IV-Revision 6a per 1. Januar 2012 in Kraft treten.

­

Die Massnahmen der vorliegenden Botschaft sollen das allenfalls verbleibende Defizit eliminieren und für die Entschuldung der Versicherung sorgen.

Der IV-Finanzhaushalt Der IV-Finanzhaushalt basiert auf einem mathematischen Modell, welches die künftigen Einnahmen und Ausgaben der IV abschätzt. Dabei müssen Annahmen in den drei Bereichen Wirtschaft, Demografie und Invalidität getroffen werden.

Die wirtschaftlichen Modellannahmen für das Referenzszenario basieren während der Phase des Finanzplanes auf den expliziten Vorgaben des Bundesrates bezüglich Lohn- und Preisentwicklung. Über die Phase des Finanzplans hinaus werden plausible, langfristig stabile Annahmen getroffen.

Die demografischen Modellannahmen stützen sich auf das Bevölkerungsszenario A-17-2010 des BFS vom Sommer 2010. Dieses enthält implizite Annahmen über den voraussichtlichen Verlauf der Fruchtbarkeit, der Lebenserwartung und der Wanderungen.

Die Annahmen bezüglich Invalidität stützen sich auf die beobachteten Zu- und Abgangswahrscheinlichkeiten des Jahres 2010.

6

Art. 5 Abs. 2

5709

Finanzielle Entwicklung ab 2011 mit IV-Revision 6a Die folgende Grafik zeigt die finanzielle Entwicklung mit IV-Revision 6a anhand der Schulden und des Fonds-Standes. Die gepunktete Linie gibt den notwendigen Fonds-Stand wieder (um über liquide Mittel im Umfang einer halben Jahresausgabe zu verfügen). Während der Zusatzfinanzierung werden die Schulden jährlich reduziert, ab 2018 ist die Rückzahlung der Schulden nicht mehr geregelt. In der Tabelle 2 im Anhang ist der Finanzhaushalt im Detail aufgeführt.

Entwicklung der IV-Schulden und des Fonds-Standes der IV mit Revision 6a (in Mio. Franken, zu Preisen von 2011) 16'000

14'000

12'000

10'000

8'000

6'000

4'000

2'000

0 2011

2013

2015

Schulden

2017

2019

IV-Fonds

2021

2023

2025

Notwendiger Fonds-Stand

1.3

Beantragte Neuregelung

1.3.1

Anpassung des Rentensystems zur Förderung der Eingliederung

1.3.1.1

Hintergrund und Ziel

Geltendes Rentensystem Anspruch auf eine IV-Rente haben Versicherte, die ihre Erwerbsfähigkeit nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wiederherstellen, erhalten oder verbessern können und zu mindestens 40 Prozent invalid sind. Als Invalidität im Sinne der IV gilt die durch einen körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.

Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener 5710

Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre7. Der so errechnete Einkommensverlust ergibt den Invaliditätsgrad.

Das geltende Rentensystem kennt 4 Rentenstufen (vgl. auch Tabelle 1-1): Viertelsrente (Invaliditätsgrad 40­49 %), halbe Rente (Invaliditätsgrad 50­59 %), Dreiviertelsrente (Invaliditätsgrad 60­69 %) und ganze Rente (Invaliditätsgrad 70­100 %).

Die ganze IV-Rente beträgt ­ abhängig vom massgebenden durchschnittlichen Erwerbseinkommen ­ mindestens 1160 und maximal 2320 Franken pro Monat (Stand 2011). Auffällig sind der hohe Anteil von ganzen Renten (71 Prozent) und der entsprechend geringe Anteil von Dreiviertelsrenten, halben Renten und Viertelsrenten (insgesamt 29 Prozent). Gerade diese Renten würden es den Arbeitgebern erlauben, Rentnerinnen und Rentner aufgrund ihrer effektiven Leistungsfähigkeit zu entlöhnen, weil die Kombination von Leistungslohn und Rente ein ausreichendes Einkommen generiert; dies wäre für das Angebot an entsprechenden Stellen förderlich.

Tabelle 1-1 Abstufung der Invalidenrenten Anzahl und durchschnittlicher Betrag der Invalidenrenten, Dezember 2010 Invaliditätsgrad

Höhe Rentenanspruch

Anzahl Bezüger

40­ 49 % 50­ 59 % 60­ 69 % 70­100 %

¼-Rente ½-Rente ¾-Rente ganze Rente

14 931 45 801 19 883 198 912

5% 16 % 7% 71 %

448 864 1 265 1 602

279 527

100 %

1 395

Total

7

Anteil Bezüger

Durchschnittliche Leistung pro Monat

Bei Personen, die keine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben und denen die Aufnahme einer solchen auch nicht zugemutet werden kann, bestimmt sich der Grad der Invalidität nach dem Ausmass der Behinderung, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen. Diese Regel findet namentlich bei im Haushalt tätigen Versicherten Anwendung.

5711

Heutiges Rentensystem und Verteilung der Renten nach IV-Grad 100

Rentenanspruch in % der ganzen Rente

75

50

25

5%

16%

7%

15%

10%

46%

40-49

50-59

60-69

70-79

80-89

90-100

0 0-9

10-19

20-29

30-39

Invaliditätsgrad

Lesehilfe: Bei einem Invaliditätsgrad von 40­49 Prozent besteht Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 25 Prozent einer ganzen Rente (Viertelsrente). 5 Prozent aller Renten sind Viertelsrenten.

Koordination mit BVG, UVG und ELG Beim Eintritt eines Invaliditätsfalls werden unter Umständen auch Leistungen der Unfallversicherung (UV), der beruflichen Vorsorge (2. Säule) oder ­ bei ungenügendem Einkommen ­Ergänzungsleistungen (EL) ausgerichtet:

8

­

Gut 47 Prozent der IV-Rentnerinnen und -Rentner beziehen zusätzlich eine Invalidenrente nach BVG. Im Jahr 2009 wurden rund 134 000 Invalidenrenten im Gesamtbetrag von 2,25 Milliarden Franken durch Vorsorgeeinrichtungen ausgerichtet, was eine durchschnittliche Rente von 1400 Franken pro Monat ergibt (diese Werte umfassen sowohl obligatorische als auch überobligatorische Leistungen). Die Invalidenrenten nach BVG sind gleich abgestuft wie die IV-Renten. Auch für die Feststellung des Invaliditätsgrades8 und den Beginn der Invalidenrente verweist das BVG auf die IV. Die Vorsorgeeinrichtung kann die Invalidenrenten kürzen, soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen.

­

38 Prozent der IV-Rentnerinnen und -Rentner erhalten zusätzlich zur IV-Rente Ergänzungsleistungen. 2010 wurden 1,8 Milliarden Franken EL an 105 600 Personen ausgerichtet.

­

Hat die Person mit einer Rente der obligatorischen Unfallversicherung gleichzeitig Anspruch auf eine Rente der IV, so gewährt die Unfallversicherung eine Komplementärrente; diese entspricht der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdienstes und der Rente der IV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag (Art. 20 Abs. 2 Für die berufliche Vorsorge ist nur der Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich massgebend, da nur dieser Bereich versichert wird.

5712

UVG). Die Invaliditätsursache bei Neuberentungen der IV ist in rund 7 Prozent auf einen Unfall zurückzuführen9, rund die Hälfte der Unfälle ist UVG-versichert. Die Unfallversicherung richtete Ende 2009 86 800 Invalidenrenten aus. Davon erhielten etwa 21 500 UV-Rentenbezügerinnen und -Rentenbezüger zusätzlich zur Komplementärrente der UV eine Rente der IV.

Handlungsbedarf Zwei Drittel der IV-Ausgaben entfallen auf Renten (5,9 Milliarden Franken im Jahr 2010). Im Rahmen der 5. IV-Revision wurde viel in Eingliederungsmassnahmen investiert und im Rahmen der IV-Revisionen 6a und 6b werden diese nochmals verstärkt. So sind ab 2018 zusätzliche jährliche Ausgaben für die Eingliederung von 250 Millionen Franken vorgesehen. Das geltende Rentensystem weist jedoch eine Reihe von Merkmalen auf, welche im Ergebnis die Eingliederung behindern, weil IV-Rentnerinnen und -Rentner, welche eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder ihr Arbeitspensum erhöhen, häufig finanziell bestraft werden. Mit einer Anpassung des Rentensystems soll die Eingliederung zusätzlich unterstützt und die IV finanziell entlastet werden.

Die folgende schematische Darstellung zeigt den Zusammenhang zwischen dem geltenden Rentensystem und dem Gesamteinkommen. Die Summe der drei Flächen entspricht dem Gesamteinkommen der versicherten Person aus Erwerbseinkommen, IV-Rente und Rente nach BVG. Ganz links ist die Situation von Personen mit einer ganzen IV-Rente und einer ganzen Rente nach BVG, aber ohne Erwerbseinkommen dargestellt. Das Gesamteinkommen steigt bis zu einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent stetig an, wenn die versicherte Person zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielt. Ist das erzielte Erwerbseinkommen so hoch, dass der Invaliditätsgrad unter 70 Prozent sinkt, werden die beiden ganzen Renten auf Dreiviertelsrenten reduziert.

Dadurch reduziert sich trotz dem zusätzlichen Erwerbseinkommen das Gesamteinkommen deutlich. Dieser Schwelleneffekt wiederholt sich bei einem Invaliditätsgrad von 60 Prozent, 50 Prozent und 40 Prozent. Dadurch sinkt das Gesamteinkommen mit zunehmendem Erwerbseinkommen bzw. mit abnehmendem Invaliditätsgrad.

Das heutige Rentensystem aus Sicht der Versicherten

Gesamteinkommen

6'000 5'000

IV-Rente nach BVG

4'000

IV-Rente

3'000

Erwerbseinkommen

2'000 1'000 0 0

1'500

100%

3'000 60%

70% 3/4

4'500

50% 1/2

40% 1/4

6'000

Erwerbseinkommen Invaliditätsgrad Rentenstufe

1/1

9

IV-Statistik Dezember 2009, S. 26

5713

Die Abbildung zeigt klar, wo im geltenden Rentensystem mit Verbesserungen angesetzt werden muss: ­

Arbeit lohnt sich nicht: 62 Prozent der Rentnerinnen und Rentner weisen einen Invaliditätsgrad von weniger als 100 Prozent aus; sie verfügen also noch über eine Resterwerbsfähigkeit. Viele von ihnen möchten zumindest in eingeschränktem Umfang arbeiten. Wenn sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder ihr Arbeitspensum erhöhen, resultiert daraus ein tieferer Invaliditätsgrad. Sobald der Invaliditätsgrad unter einen für IV-Renten massgebenden Schwellenwert fällt (70, 60, 50 oder 40 %), wird die Rente um 25 Prozentpunkte reduziert (z.B. Dreiviertelsrente statt ganze Rente). Dieser Rückgang der Rente ist häufig grösser als das zusätzlich erzielte Erwerbseinkommen. Dadurch sinkt das Gesamteinkommen trotz höherem Erwerbseinkommen (Schwelleneffekt). Dies trifft insbesondere Personen, welche bereits eine Arbeitsstelle haben und in der Lage sind, ihr Arbeitspensum zu erhöhen. So lautet eine den IV-Stellen häufig gestellte Frage «Wie viel darf ich noch verdienen, ohne dass meine Rente gekürzt wird?». Damit bestraft das Rentensystem, was die Invalidenversicherung von den Rentnerinnen und Rentnern fordert, nämlich die Integration in den Arbeitsmarkt.

­

Invaliditätsgrad und Rentenanspruch entsprechen sich nicht: Die Abstufung der Renten erstreckt sich heute über einen schmalen Bereich von 31 Prozentpunkten: Bei einem Invaliditätsgrad von 39 Prozent gibt es keine Rente, und ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent eine ganze Rente. Innerhalb dieser 31 Prozentpunkte steigt der Rentenanspruch von 0 auf 100 Prozent einer ganzen Rente. Dies hat folgende Effekte: ­ Bei Invaliditätsgraden von 40 bis 49 Prozent wird die Invalidität nur teilweise kompensiert, d. h. der Rentenanspruch ist tiefer als der Invaliditätsgrad.

­ Bei Invaliditätsgraden ab 60 Prozent wird die Invalidität überkompensiert, d. h. der Rentenanspruch ist höher als der Invaliditätsgrad.

­ Unterschiede im Invaliditätsgrad wirken sich überproportional auf die Höhe der Rente aus. Dies führt dazu, dass beispielsweise eine Person mit einem Invaliditätsgrad von 61 Prozent eine dreimal so hohe Rente bekommt wie eine Person mit einem Invaliditätsgrad von 49 Prozent, obwohl der Unterschied im Invaliditätsgrad lediglich 12 Prozentpunkte beträgt. Das bedeutet umgekehrt auch, dass eine erfolgreiche Eingliederung, welche zu einer Erhöhung des Einkommens und damit zu einer Reduktion des Invaliditätsgrades von 61 Prozent auf 49 Prozent führt, die IV-Rente um Zweidrittel reduziert.

­

Ganze Rente trotz Erwerbseinkommen: 71 Prozent der Rentnerinnen und Rentner erhalten eine ganze Rente. Nur knapp die Hälfte hat einen Invaliditätsgrad von 100 Prozent, die anderen verfügen noch über eine Resterwerbsfähigkeit. Weil ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent eine ganze Rente ausgerichtet wird, können Personen mit einer ganzen Rente bis zu 30 Prozent ihres früheren Einkommens erzielen, ohne dass ihr Anspruch auf eine ganze Rente reduziert wird. Dadurch können sie ein höheres Gesamteinkommen (Rente plus Erwerbseinkommen) erzielen als die anderen Rentnerinnen und Rentner.

5714

Nicht nur bei der IV werden Leistungsempfängerinnen und -empfänger für ihre Bemühungen finanziell bestraft, sondern auch in anderen Bereichen der sozialen Sicherheit. Dort wurden in den letzten Jahren bereits verschiedene Massnahmen ergriffen, um diesen Systemwiderspruch zu korrigieren: ­

Bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen werden lediglich zwei Drittel der Erwerbseinkünfte angerechnet.

­

Bei der Arbeitslosenversicherung kann mit dem Zwischenverdienst das verfügbare Einkommen erhöht werden.

­

In der Sozialhilfe wurden Integrationszulagen eingeführt, um den Anreiz zur Erwerbsaufnahme zu stärken.

­

Die Unfallversicherung kennt ein stufenloses Rentensystem.

Anreizverbesserung auch bezüglich des verfügbaren Einkommens Für die Versicherten ist die Frage entscheidend, wie viel Geld letztlich «im Portemonnaie bleibt», wenn sie eine Arbeit aufnehmen oder ihre Erwerbstätigkeit erhöhen. Das BSV liess die Anreizwirkung eines stufenlosen Rentensystems im Vergleich zum geltenden Rentensystem mithilfe einer Einkommensmodellierung untersuchen.10 Zum einen wurde auch hier festgestellt, dass aufgrund der Stufen im IV-Rentensystem das verfügbare Einkommen (= Einkommen nach Abzug von Sozialabgaben und Steuern sowie unter Berücksichtigung sämtlicher Transferleistungen wie Rente, Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligung, Sozialhilfe) trotz einer Steigerung des Bruttolohns sinken kann. Das höchste erzielbare verfügbare Einkommen für eine Person mit einer IV-Rente besteht bei einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent.

10

Gysin, Basil & Bieri, Oliver (2011): Modellierung des verfügbaren Einkommens von IV-Rentnerinnen und IV-Rentnern: finanzielle Erwerbsanreize im Vergleich zweier Rentensysteme, Bericht zuhanden des BSV; Online unter: http://www.bsv.admin.ch/dokumentation/publikationen/00098/index.html?lang=de.

5715

80'000

Fallbeispiel: Alleinstehende Person ohne Kinder Einkommen 90'000 Franken Heutiges Rentensystem Einkommen vor Invalidität

Verfügbares Einkommen

70'000 60'000 50'000 40'000 IV-Grad

30'000

70%

60%

50%

40%

20'000 10'000 0 0

10'000 20'000

30'000 40'000

50'000

60'000 70'000

80'000 90'000 100'000

Bruttolohn (Invalideneinkommen)

Quelle: Gysin/Bieri (2011).

Zum anderen geht aus der Studie von Gysin/Bieri hervor, dass die Einführung eines stufenlosen Rentensystems zu einer erheblichen Verbesserung der Erwerbsanreize führt. Die Studie untersuchte zudem auch die Erwerbsanreize bei einem allfälligen Anspruch auf Ergänzungsleistungen und/oder bei einer Überentschädigungskürzung der Leistungen nach BVG.

Angestrebtes Ziel Arbeit soll sich lohnen. Das Rentensystem soll die Wiedereingliederung verstärkt fördern, indem ­

die Schwelleneffekte eliminiert werden, damit Rentnerinnen und Rentner bei einer Erhöhung der Erwerbstätigkeit nicht finanziell bestraft werden;

­

sich Invaliditätsgrad und Rentenanspruch besser entsprechen;

­

mehr Teilrenten ausgerichtet werden, welche die Kombination von Teilerwerbstätigkeit und Rente fördern.

Zur Erreichung dieses Ziels sollen die geltenden Rentenstufen durch ein stufenloses Rentensystem ersetzt werden. Erwerbseinkommen, Renten und Gesamteinkommen können so aufeinander abgestimmt werden, dass es sich finanziell lohnt, zu arbeiten.

Gleichzeitig soll damit die Invalidenversicherung finanziell entlastet werden.

Auch die OECD wies in ihrem Länderbericht zur Schweiz auf diese Problematik hin und empfiehlt unter anderem «... einen stufenweisen Leistungsrückzug mit parallel verlaufenden Erwerbseinkommenserhöhungen auszubauen, um speziell durch die Abstufung der Teilleistungen der ersten und zweiten Säule verursachte Sprünge in den effektiven Steuersätzen zu vermeiden.»11

11

OECD: BSV Forschungsbericht 1/06: Krankheit, Invalidität und Arbeit: Hemmnisse abbauen, Serie 1: Norwegen, Polen und die Schweiz, S. 160.

5716

1.3.1.2

Stufenloses Rentensystem in der IV

Grundprinzip Die geltenden Rentenstufen (Viertelsrente, halbe Rente, Dreiviertelsrente und ganze Rente) sollen durch ein stufenloses Rentensystem ersetzt werden. Neu nimmt die Höhe des Rentenanspruchs mit steigendem Invaliditätsgrad kontinuierlich zu, d.h.

jedem Invaliditätsgrad ist eine andere Rente zugeordnet. Der Rentenanspruch wird in Prozenten einer ganzen Rente ausgedrückt.

Die folgenden zentralen Parameter des geltenden Rentensystems bleiben unverändert: ­

Die Rente richtet sich nach dem Invaliditätsgrad, dieser wird wie bisher berechnet und in ganzen Prozentpunkten festgelegt.

­

Der Anspruch auf eine Rente beginnt bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent.

­

Der Maximalbetrag der ganzen Rente beträgt 2320 Franken pro Monat (Stand 2011).

Im vorgeschlagenen stufenlosen Rentensystem entsprechen sich Invaliditätsgrad und Rentenanspruch, d. h. bei einem IV-Grad von 50 Prozent besteht Anspruch auf 50 Prozent einer ganzen Rente, bei einem Invaliditätsgrad von 66 Prozent besteht Anspruch auf 66 Prozent einer ganzen Rente, bei einem Invaliditätsgrad von 75 Prozent besteht Anspruch auf 75 Prozent einer ganzen Rente, usw. Im unteren und oberen Bereich der Invaliditätsgrade wird von diesem Grundsatz abgewichen: ­

Im Bereich der Invaliditätsgrade von 40 bis 49 Prozent entspricht die Höhe der Rente nicht dem Invaliditätsgrad. Ausgangspunkt ist auch im neuen Rentensystem, dass bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent weiterhin ein Anspruch auf eine Viertelsrente besteht. Mit jedem weiteren Invaliditätsgrad erhöht sich der Rentenanspruch so, dass bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent Anspruch auf eine 50- Prozent-Rente besteht. Dies entspricht pro zusätzlichem Invaliditätsgrad einer Erhöhung der Rente um 2,5 Prozentpunkte einer ganzen Rente. Damit wird vermieden, dass mit dem stufenlosen Rentensystem die Austrittsschwelle (bei einem Absinken des Invaliditätsgrads unter 40 %) heraufgesetzt wird und dass die Renten gegenüber heute massiv erhöht werden, was der finanziellen Sanierung der IV entgegenlaufen würde.

­

Im Bereich der Invaliditätsgrade von 80 bis 100 Prozent besteht Anspruch auf eine ganze Rente, ausser es wird ein tatsächliches Einkommen erzielt.

Damit wird einerseits berücksichtigt, dass Personen mit einer nur geringen Restarbeitsfähigkeit auch auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt geringere Chancen haben, eine Stelle zu finden. Andererseits sollen tatsächliche Einkommen angerechnet werden und zu einer entsprechend tieferen Rente führen. Das Gesamteinkommen aus Rente und tatsächlichem Einkommen ist dabei immer noch höher als dasjenige von Personen mit einer ganzen Rente, aber ohne Erwerbseinkommen. Bei der Berücksichtigung tatsächlicher Einkommen sind die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (stabiles Arbeitsverhältnis, Ausschöpfung der zumutbaren Restarbeitsfähigkeit, keine Anrechnung eines Soziallohns) weiterhin anwendbar und sollen in der Ver5717

ordnung konkretisiert werden. Die Anrechnung der Einkommen bei Invaliditätsgraden ab 80 Prozent ist notwendig, um für die Gruppe der erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentner keinen neuen Schwelleneffekt zwischen einem Invaliditätsgrad von 79 und 80 Prozent zu schaffen. Es wird davon ausgegangen, dass rund 90 Prozent der Rentnerinnen und Rentner, welche heute einen Invaliditätsgrad zwischen 80 und 100 Prozent aufweisen, kein anzurechnendes Erwerbseinkommen erzielen und deshalb auch künftig eine ganze Rente erhalten werden.

Vergleich der Renten im geltenden und künftigen Rentensystem Die folgende Abbildung stellt das stufenlose Rentensystem im Vergleich zum geltenden Rentensystem dar. Die durchgezogene Linie ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent gilt nur für Personen, denen bei der Bemessung des Invaliditätsgrades ein tatsächliches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wurde. Personen ohne tatsächliches Einkommen erhalten eine ganze Rente (gestrichelte Linie).

Neues Rentensystem für IV-Renten 100

Rentenanspruch in % der ganzen Rente

Geltendes System 75

50

25

0 0-9

5718

10-19

20-29

30-39

40-49 50-59 Invaliditätsgrad

60-69

70-79

80-89

90-100

Tabelle 1-2 Rentenanspruch bisher und neu Invaliditätsgrad in Prozent

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59

Rentenanspruch in Prozent bisher

neu

25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 25,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0 50,0

25,0 27,5 30,0 32,5 35,0 37,5 40,0 42,5 45,0 47,5 50,0 51,0 52,0 53,0 54,0 55,0 56.0 57,0 58,0 59,0

Invaliditätsgrad in Prozent

60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Rentenanspruch in Prozent bisher

neu

75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 75,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

60,0 61,0 62,0 63,0 64,0 65,0 66,0 67,0 68,0 69,0 70,0 71,0 72,0 73,0 74,0 75,0 76,0 77,0 78,0 79,0

Invaliditätsgrad in Prozent

80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Rentenanspruch in Prozent bisher

neu ohne Einkommen

neu mit Einkom men

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0* 100,0

80,0* 81,0* 82,0* 83,0* 84,0* 85,0* 86,0* 87,0* 88,0* 89,0* 90,0* 91,0* 92,0* 93,0* 94,0* 95,0* 96,0* 97,0* 98,0* 99,0* 100,0

* In den Fällen, in denen dem Invalideneinkommen kein tatsächliches Einkommen zugrunde gelegt wird, resultieren ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit ein Anspruch auf eine ganze Rente.

Verglichen mit dem geltenden Rentensystem werden bei Neurentnerinnen und -rentnern die Renten künftig ­

höher sein bei einem Invaliditätsgrad von 41 bis 49 Prozent und von 51 bis 59 Prozent;

­

gleich hoch sein bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent, 100 Prozent sowie bei einem Invaliditätsgrad von 80 bis 99 Prozent, wenn kein tatsächliches Einkommen erzielt wird;

­

tiefer sein bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis 79 Prozent. Das hängt damit zusammen, dass bei diesen Invaliditätsgraden im geltenden System der Rentenanspruch höher ist als der Invaliditätsgrad, d. h. die Invalidität heute also überkompensiert wird (bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis 69 % werden heute 75 % einer ganzen Rente ausgerichtet und bei einem Invaliditätsgrad von 70 bis 79 % werden heute 100 % einer ganzen Rente ausgerichtet).

5719

Tabelle 1-3 Höhe der durchschnittlichen Invalidenrente in Franken pro Monat (Dezember 2010) Invaliditätsgrad heute

Ø Rente heute

Ø Rente neu

Differenz in Fr.

40­ 49 % 50­ 59 % 60­ 69 % 70­ 79 % 80­100 % ohne Einkommen 80­100 % mit Einkommen

448 864 1265 1560 1613 1613

583 899 1080 1138 1613 1544

+136 +35 ­185 ­422 0 ­69

Total

1395

1330

­65

Berechnungen aufgrund der Invaliditätsgrade und Invalidenrenten im Dezember 2010. Annahme, dass bei 10 Prozent der Personen einem Invaliditätsgrad von 80 bis 100 Prozent im neuen Rentensystem ein tatsächliches Einkommen zugrunde gelegt wird.

Überführung bestehender Renten in das stufenlose Rentensystem Bestehende Renten sollen in das stufenlose Rentensystem überführt werden, ­

weil der Grundsatz «Arbeit lohnt sich» auch bei den bestehenden Renten gelten soll;

­

um bestehende und künftige Renten gleich zu behandeln;

­

um die IV finanziell zu entlasten.

Von der Überführung ins neue Rentensystem betroffen sind nur Rentnerinnen und Rentner, welche bei Inkrafttreten der Revision jünger als 55 Jahre alt sind. Viertelsrenten aufgrund der Invaliditätsgrade von 40 bis 49 Prozent sollen zudem erst dann angepasst werden, wenn eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist (Art. 17 ATSG), welche zu einem Invaliditätsgrad von über 50 Prozent führt.

Damit kann für diese Gruppe eine kostspielige Erhöhung der laufenden Renten vermieden werden und gleichzeitig ist trotzdem für alle IV-Rentnerinnen und Rentner sichergestellt, dass bei einer Verbesserung der Erwerbssituation und einer entsprechenden Reduktion des Invaliditätsgrades kein Schwelleneffekt mehr besteht (es sei denn der Invaliditätsgrad falle unter 40 % und die versicherte Person habe wie bereits heute keinen Anspruch mehr auf eine IV-Rente).

Besitzstand ab Alter 55 Jahre Nicht in das stufenlose Rentensystem überführt werden Renten von Rentenbezügerinnen und -bezügern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesrevision das 55. Altersjahr vollendet haben (124 000 Personen). Diese Personen haben oft bereits einen langjährigen Rentenbezug hinter sich, können sich schlechter an eine neue Rentensituation anpassen und haben im Allgemeinen auch schlechtere Chancen, ihr Gesamteinkommen mit einem Einkommen aus einer Arbeitstätigkeit aufzubessern.

Ihre Rente wird nach den heute geltenden Bestimmungen weitergeführt. Massgebend ist das Alter zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesrevision.

5720

14 Prozent der Renten werden reduziert, 9 Prozent erhöht und 77 Prozent bleiben gleich Von den 280 000 laufenden Renten bleiben 216 000 Renten (77 Prozent) unverändert und 23 000 Renten (9 %) aufgrund eines Invaliditätsgrades von 51 bis 59 Prozent werden leicht erhöht.

14 Prozent der bestehenden Renten (41 000) werden nach unten angepasst: ­

Die Renten von 31 000 Personen mit einem Invaliditätsgrad von 60 bis 79 Prozent, welche das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben. Dies entspricht 11 Prozent des Rentenbestandes. Von diesen 31 000 Personen beziehen 82 Prozent seit weniger als 15 Jahren eine Rente.

­

Die Renten der Personen mit einem Invaliditätsgrad von 80 bis 100 Prozent, welche das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben und bei welchen bei der Invaliditätsbemessung ein tatsächliches Einkommen zugrunde gelegt wird. Dies betrifft schätzungsweise 10 000 Personen.

38 Prozent der Personen mit einer IV-Rente erhalten Ergänzungsleistungen. Bei diesen Personen wird eine Rentenreduktion durch die EL im Normalfall vollständig kompensiert. Dadurch reduziert sich die Zahl der finanziell Betroffenen auf rund 26 000 Personen. Dies entspricht weniger als 10 Prozent des Rentenbestandes Tabelle 1-4 Anzahl Invalidenrenten nach Alter und Invaliditätsgrad Dezember 2009 Invaliditätsgrad

40­ 49 % 50­ 59 % 60­ 79 % 80­100 % Total

Unter 55 Jahren

55 Jahre und mehr

Total

7 628 23 437 30 672 93 987

7 303 22 364 31 568 62 568

14 931 45 801 62 240 156 555

155 724

123 803

279 527

Übergangsfrist von drei Jahren Die Anwendung des neuen Rentensystems auf die bestehenden Renten bedingt, dass die IV-Stellen 148 000 laufende Renten von Personen unter 55 Jahren mit einem Invaliditätsgrad ab 50 Prozent (53 % des Bestandes) einer Revision unterziehen müssen. Da dabei die medizinischen und beruflichen Verhältnisse zu überprüfen sind, kann die Anpassung nicht für alle Fälle zeitgleich vorgenommen werden. Es ist also eine Übergangsfrist vorzusehen und zwar von drei Jahren (dies im Hinblick darauf, dass heute jährlich 55 000­60 000 Renten revidiert werden). In dieser Zeit ist es möglich, die laufenden Renten, welche wegen der Gesetzesänderung angepasst werden müssen, zu revidieren. Um zu vermeiden, dass der Revisionszeitpunkt und damit verbunden eine allfällige Reduktion der Rente aufgrund des neuen Rentensystems von zufälligen Faktoren abhängt, soll das Alter der Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger massgebend für die Reihenfolge der Revisionen sein. Weil die Anpassungsfähigkeit mit zunehmendem Alter grundsätzlich abnimmt und nicht zuletzt deshalb eine erfolgreiche Eingliederung schwieriger wird, sollen zuerst die 5721

Renten der jungen Personen revidiert werden. Dadurch wird also den älteren Rentenbezügerinnen und -bezügern, für welche kein Besitzstand gilt (da sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Gesetzesbestimmungen noch nicht 55 Jahre alt waren), eine gewisse Anpassungszeit auf die bevorstehende Rentenanpassung gewährt.

Existenzsicherung durch Ergänzungsleistungen gewährleistet Rentnerinnen und Rentner mit ungenügendem Einkommen erhalten Ergänzungsleistungen (der Anteil der Rentner und Rentnerinnen mit Ergänzungsleistungen beträgt in der Schweiz beträgt 38 Prozent). Die Anpassung des Rentensystems in der IV führt im Durchschnitt der Jahre 2015­2025 zu einer finanziellen Mehrbelastung der EL zur IV von insgesamt 35 Millionen Franken (vgl. Tabelle 3-1). Davon finanziert der Bund 20 Millionen Franken, die Kantone 15 Millionen Franken.

Finanzielle Auswirkungen auf die IV Die Anpassung des Rentensystems führt im Durchschnitt der Jahre 2015­2025 zu einer finanziellen Entlastung von insgesamt 150 Millionen Franken: ­

70 Millionen bei den künftigen Neurenten

­

80 Millionen bei bestehenden Renten von Personen unter 55 Jahren.

Zusätzlich hat das stufenlose Rentensystem auch einen dynamischen Effekt: Die Eingliederungsmassnahmen der IV-Stellen werden unterstützt, weil es für die Rentnerinnen und Rentner finanziell interessanter wird, ihr Erwerbseinkommen zu erhöhen, was letztlich zu weniger Rentenleistungen führt. Dieser Effekt kann zum heutigen Zeitpunkt nicht finanziell beziffert werden.

1.3.1.3

Begleitmassnahmen

Revision erst ab einer Veränderung des Invaliditätsgrades um 5 Prozentpunkte Auch weiterhin sollen nur erhebliche Änderungen zu einer Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung der Rente führen (Art. 17 ATSG), denn jede Revision einer Rente ist mit Aufwand für die versicherten Personen, die IV-Stellen, Ausgleichskassen und Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verbunden und führt zu einer gewissen Unsicherheit bei den versicherten Personen. Bisher wird eine Änderung als erheblich betrachtet, wenn sie zu einer höheren oder tieferen Rentenstufe führt. Unter Umständen ist dies bereits bei einer Änderung des Invaliditätsgrads um 1 Prozent der Fall.

Mit dem Wegfall der Rentenstufen ist es notwendig, eine neue Erheblichkeitsschwelle zu definieren. Es ist vorgesehen, sich an der Rechtsprechungspraxis im Unfallversicherungsbereich zu orientieren, wo heute schon eine analoge stufenlose Invaliditätsbemessung erfolgt. Im UVG-Bereich besteht Erheblichkeit bei einer Änderung des Invaliditätsgrades von mindestens 5 Prozentpunkten. In der Invalidenversicherung sollen daher ebenfalls 5 Prozentpunkte als Erheblichkeitsschwelle für eine Rentenrevision gelten. Künftig wird eine Rente also nur dann revidiert, wenn sich der Invaliditätsgrad um mindestens 5 Prozentpunkte verändert, z.B. von 63 Prozent auf 68 Prozent. Durch diese Erheblichkeitsschwelle wird verhindert, dass bescheidene Änderungen in den Einkommensverhältnissen zu einer Anpassung der Rente führen.

5722

Mit der Präzisierung der Erheblichkeit im ATSG gilt künftig für die Invaliden-, Unfall- und Militärversicherung eine einheitliche Regelung. Da das ATSG grundsätzlich nicht auf die berufliche Vorsorge anwendbar ist, wird durch eine Regelung im BVG sichergestellt, dass auch hier die gleiche Erheblichkeit angewendet wird.

Streichen des Einkommensfreibetrags (Art. 31 IVG) Im geltenden Recht wird die Rente nur dann im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 ATSG revidiert, wenn die Einkommensverbesserung jährlich mehr als 1500 Franken beträgt (Art. 31 Abs. 1). Mit einem stufenlosen Rentensystem fallen die bisherigen Schwelleneffekte weg, so dass bei einem kleinen Mehrverdienst die Gefahr eines niedrigeren Gesamteinkommens bei einem kleinen Mehrverdienst aufgrund des Verlusts einer Rentenstufe nicht mehr besteht. Zudem ist neu eine Erheblichkeitsschwelle von 5 Invaliditätsgraden vorgesehen. Der Freibetrag von 1500 Franken nach Artikel 31 Absatz 1 ist daher nicht mehr nötig und kann aufgehoben werden.

Invaliditätsbemessung mithilfe von Tabellenlohnvergleichen Bei der Invaliditätsbemessung ist gemäss Artikel 16 ATSG das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen) in Bezug zu setzen zum Erwerbseinkommen, welches die versicherte Person trotz Gesundheitsschaden zumutbarerweise bei ausgeglichenem Arbeitsmarkt noch erzielen könnte (Invalideneinkommen). Übt die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität weiterhin eine Erwerbstätigkeit aus, so kann üblicherweise der tatsächlich erzielte Verdienst als Invalidenlohn angerechnet werden. Ist dagegen kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so sind Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik beizuziehen. Diese weisen die Medianwerte der monatlichen Bruttoeinkommen von Männern und Frauen nach verschiedenen Anforderungsniveaus aus. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diverse persönliche und berufliche Faktoren (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstalter, Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) dazu führen können, dass eine invalide Person nicht den Lohn
verdient, welchen die Tabelle ausweist, hat die Rechtsprechung den sogenannten leidensbedingten Abzug sowie die Möglichkeit der Parallelisierung der Vergleichseinkommen geschaffen.

Bei Fällen ohne tatsächliches Erwerbseinkommen besteht bei der Invaliditätsbemessung ein Ermessensspielraum. Mit Einführung eines stufenlosen Rentensystems erhält die Frage der Invaliditätsbemessung einen noch höheren Stellenwert. Deshalb sind ­ bereits heute bestehende ­ Unklarheiten klar zu regeln und die unité de doctrine für die ganze Schweiz durch eine Einschränkung des Ermessensspielraums zu festigen. Durch eine offene Formulierung wird jedoch weiterhin eine Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht.

Die geltende Delegationsnorm an den Bundesrat (Art. 28a) soll in dem Sinne präzisiert werden, als er nicht nur bestimmt, wie das Valideneinkommen und das Invalideneinkommen nach Artikel 16 ATSG festzulegen sind (z. B. wann auf tatsächliche Werte abzustellen ist und in welchen Fällen Tabellenlöhne angewendet werden müssen), sondern er soll auch die von diesen Einkommen allfällig vorzunehmenden Abzüge oder Zuschläge definieren. So sollen neu die bisherigen von der Rechtsprechung entwickelten Abzüge für die leidensbedingte Einschränkung und für die 5723

Parallelisierung unterdurchschnittlicher Einkommen zu einem einzigen nach oben begrenzten Abzug zusammengeführt werden. Neu soll zudem die Möglichkeit geschaffen werden, überdurchschnittliche Erwerbsmöglichkeiten mit einem Zuschlag zu berücksichtigen.

Gleichzeitig soll auch die geltende Regelung für Versicherte, die wegen der Invalidität keine zureichenden beruflichen Kenntnisse erwerben konnten (Art. 26 Abs. 1 IVV), überprüft werden. Bei diesen Versicherten werden für das Valideneinkommen Ergebnisse der Lohnstrukturerhebung verwendet (nach Alter abgestufte Prozentsätze des Medianwertes). Dieser Medianwert beträgt 76 000 Franken pro Jahr (Ansatz 2011). Die Verwendung dieses Vergleichswerts führt im Vergleich zu Personen, die erst nach der Ausbildung invalid wurden, zu höheren Invaliditätsgraden. Mit der starken Altersabhängigkeit des verwendeten Valideneinkommens steigt zudem der Invaliditätsgrad mit zunehmendem Alter, auch wenn das tatsächlich erzielte Einkommen gleichbleibt und unter Umständen sogar wenn das erzielte Einkommen steigt. Dies fördert die Eingliederung nicht.

An der Invaliditätsbemessung bei selbstständigerwerbenden oder nichterwerbstätigen Personen sowie nach der gemischten Methode ändert sich mit der Umstellung auf ein stufenloses Rentensystem grundsätzlich nichts.

1.3.1.4

Stufenloses Rentensystem in der beruflichen Vorsorge

Anspruch auf eine IV-Rente nach dem BVG haben heute grundsätzlich Personen, die im Sinn der IV mindestens zu 40 Prozent invalid sind und bei Eintritt der massgebenden Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, in der beruflichen Vorsorge versichert waren. Obligatorisch in der beruflichen Vorsorge versichert sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mindestens 20 880 Franken (Stand 2011) verdienen. Die Abstufung des Rentenanspruchs bei Teilinvalidität wurde in der 1. BVG-Revision mit derjenigen der IV harmonisiert (Viertelsrente, halbe Rente, Dreiviertelsrente, ganze Rente).

Neurenten in der beruflichen Vorsorge Rund 47 Prozent der Personen mit einer IV-Rente beziehen auch eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge. Damit das stufenlose Rentensystem der 1. Säule auch tatsächlich seine Wirkung entfalten kann, soll auch für die Neurenten der 2. Säule ein stufenloses Rentensystem eingeführt werden. Würden die geltenden Rentenstufen in der 2. Säule beibehalten, bliebe die Problematik des Schwelleneffekts teilweise bestehen, denn das Gesamteinkommen der Rentner nähme bei höherem Erwerbseinkommen weiterhin jedes Mal ab, wenn eine Rentenstufe überschritten wird.

Für die künftige Abstufung der Invalidenrenten der beruflichen Vorsorge wird die Regelung der IV übernommen: Weiterhin beginnt der Anspruch auf eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge also ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent und die berufliche Vorsorge übernimmt im Normalfall den von der IV ermittelten Invaliditätsgrad. Bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent besteht Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 25 Prozent der vollen Invalidenrente der beruflichen Vorsorge. Bis zu einem Invaliditätsgrad von 49 Prozent erhöht sich die Rente dann je zusätzlichen Prozentpunkt um 2,5 Prozent der vollen Invalidenrente.

5724

Ab einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent beläuft sich die Rente schliesslich auf den dem Invaliditätsgrad entsprechenden Anteil in Prozenten der vollen Invalidenrente.

Neues Rentensystem für BV-Renten 100

Rentenanspruch in % der ganzen Rente

Geltendes System 75

50

25

0 0-9

10-19

20-29

30-39

40-49 50-59 Invaliditätsgrad

60-69

70-79

80-89

90-100

Das stufenlose Rentensystem wird nur für das BVG-Obligatorium festgeschrieben, im überobligatorischen Teil besteht weiterhin Gestaltungsfreiheit. Dadurch besteht zwar eine gewisse Gefahr, dass Vorsorgeeinrichtungen in ihren Reglementen auch in Zukunft an einem abgestuften Rentensystem festhalten, denn solange diese reglementarischen Renten mindestens gleich hoch ausfallen wie die Leistungen, die gemäss den gesetzlichen Minimalbestimmungen berechnet werden, wären solche Reglemente gesetzeskonform. Eine gesetzliche Regelung, die den Vorsorgeeinrichtungen verbieten würde, in ihren Reglementen abgestufte Rentensysteme vorzusehen, würde jedoch einen grundlegenden Eingriff in ihre reglementarische Gestaltungsfreiheit bedeuten. Aus Sicht der Eingliederung wäre es allerdings sinnvoll, wenn auch für den überobligatorischen Teil ein stufenloses Rentensystem übernommen würde.

Laufende Renten der beruflichen Vorsorge In der beruflichen Vorsorge unterstehen Renten prinzipiell den gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen, die in Kraft waren, als der Rentenanspruch begann. Eine Anpassung der laufenden Renten der beruflichen Vorsorge an die neue Regelung soll daher nur dann in Betracht fallen, wenn sich der Invaliditätsgrad im Sinne der IV ändert. Bei einer Änderung des Invaliditätsgrades kommt es einerseits zur Überführung der Rente ins neue Recht, wenn sich der Invaliditätsgrad im Sinne der IV erheblich ändert (in der IV gilt eine Änderung von mindestens 5 Prozentpunkten als erheblich), und andererseits, wenn die Änderung des Invaliditätsgrades zwar nicht erheblich im Sinne der IV ist (weniger als 5 Prozentpunkte), aber ­ falls das bisherige Recht auf die Rente weiterhin angewendet würde ­ ein anderer Teilrentenanspruch ausgelöst würde (vgl. die Erläuterungen zu den Übergangsbestimmungen). Dies wäre z. B. der Fall bei einer Änderung des Invaliditätsgrades von 59 Prozent auf 60 Prozent. Bei Anwendung des bisherigen Rechts würde gemäss diesem ein Anspruch auf eine Dreiviertelsrente entstehen. In diesem Fall soll auf die Rente das neue Recht angewendet werden: Die versicherte Person hat Anspruch auf eine Rente von 60 Prozent einer vollen Rente.

5725

Bei einer erheblichen Änderung des Invaliditätsgrades verzichtet die IV in zwei Fällen auf die Anwendung des neuen Rechts: Erstens bei Renten von Personen, die bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung das 55. Altersjahr vollendet haben. Auf diese bleibt das bisherige Recht anwendbar; es können hier nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung sogar Teilrentenansprüche nach altem Recht entstehen. Weiter nimmt die IV keine Anpassung an das neue Recht vor bei laufenden Viertelsrenten: Auf diese wird das neue Recht erstangewendet, wenn ein Invaliditätsgrad mindestens 50 Prozent erreicht ist(vgl. Ziff. 1.3.1.2). Für die berufliche Vorsorge werden diese beiden Ausnahmen ebenfalls in die Übergangsbestimmung übernommen.

Die berufliche Vorsorge verzichtet im Unterschied zur IV zudem auf eine Berechnung der Rente nach neuem Recht, wenn dies zur Folge hätte, dass beim Ansteigen des Invaliditätsgrades die Rente sinken und beim Absinken des Invaliditätsgrades die Rente steigen würde. In diesen Fällen bleibt der bisherige Teilrentenanspruch weiter bestehen. Dies ist der Fall, wenn der Invaliditätsgrad z.B. von 62 Prozent (bisher Dreiviertelrente) auf 67 Prozent steigt. Der bisherige Anspruch auf eine Dreiviertelsrente bleibt bestehen, da bei der Berechnung nach neuem Recht die Rente auf 67 Prozent reduziert würde. Diese Rente wird erst dann nach dem neuen Recht berechnet, wenn der Invaliditätsgrad auf mindestens 76 Prozent steigt. Als weiteres Beispiel kann der Fall erwähnt werden, in dem der Invaliditätsgrad von 58 Prozent (bisher halbe Rente) auf 53 Prozent, sinkt. Der bisherige Anspruch auf eine halbe Rente bleibt weiter bestehen, weil sich die neue Rente trotz sinkendem Invaliditätsgrad gegenüber der bisherigen erhöhen würde, nämlich auf 53 Prozent.

Erst wenn der Invaliditätsgrad unter 50 Prozent sinkt, wird die Rente durch eine nach neuem Recht berechnete Rente abgelöst.

1.3.1.5

Rentensysteme im internationalen Vergleich

In Bezug auf die Eintrittsschwelle in das Rentensystem weist die Schweiz mit 40 Prozent Erwerbsunfähigkeit einen im internationalen Vergleich tiefen Wert auf: ­

Die Eintrittschwellen in das Rentensystem liegen in der Mehrheit der OECD-Staaten zwischen 40 Prozent und 67 Prozent Erwerbsunfähigkeit. In Finnland liegt die Eintrittsschwelle beispielsweise bei einer Erwerbsminderung von 40 Prozent , in Norwegen und Österreich bei 50 Prozent , in Frankreich bei 66,66 Prozent und in Irland erst bei einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit.

­

Es gibt jedoch auch wenige Staaten mit einer tieferen Eintrittsschwelle als die Schweiz. So richten etwa Schweden und die Niederlande eine Rente bereits ab einer Erwerbsunfähigkeit von 25 Prozent bzw. 35 Prozent aus.

Auch bei der Rentenabstufung sind erhebliche Unterschiede zwischen den Staaten beobachtbar. Mit seinen vier Rentenstufen ist das Rentensystem der Schweiz ähnlich wie das System in Schweden und den Niederlanden: ­

5726

Einige Staaten kennen keine Rentenabstufung. So richtet etwa Österreich bereits ab einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent eine ganze Rente aus. Auch in Italien (wo es zwei unterschiedliche Leistungen, nämlich eine Erwerbsunfähigkeitsrente ab einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent und eine Art Invaliditätsbeihilfe ab einem Invaliditätsgrad von 66 Prozent gibt) und Dänemark sind die Renten nicht abgestuft.

­

Andere Staaten kennen wiederum weniger Stufen als die Schweiz. In Deutschland etwa gibt es eine halbe Rente bei einer teilweisen Erwerbsunfähigkeit (Leistungsvermögen zwischen 3 und 6 Stunden täglich) und eine ganze Rente bei einer vollen Erwerbsunfähigkeit (Leistungsvermögen weniger als 3 Stunden täglich). Auch Finnland kennt zwei Stufen: eine halbe Rente bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent bis 59 Prozent, eine ganze Rente ab 60 Prozent.

­

Ähnlich abgestuft wie in der Schweiz sind die Rentensysteme beispielsweise in Schweden (vier Stufen, ganze Rente ab einem Invaliditätsgrad von 100 %) und in den Niederlanden (fünf Stufen, ganze Rente ab einem Invaliditätsgrad von 80 %). Die Niederlande haben allerdings 2010 ein stufenloses Rentensystem bei der Versicherung für junge Invalide (Wajong) eingeführt.

In Norwegen sind die Renten ab einem Einkommensfreibetrag in 5-ProzentSchritten abgestuft. Doch aufgrund der weiter bestehenden Schwelleneffekte besteht in Norwegen der Reformplan, dieses System durch ein stufenloses Rentensystem zu ersetzen.

1.3.1.6

Auswirkungen auf die Versicherten

Anhand von Fallbeispielen kann die konkrete Wirkung des neuen Rentensystems illustriert werden. Zunächst gilt das Augenmerk einem detaillierten Vergleich der Arbeitsanreize im geltenden und im neuen Rentensystem (vgl. auch Tabelle 1-5).

Fallbeispiel: finanzielle Arbeitsanreize heute und im neuen Rentensystem Die versicherte Person hat vor der Invalidität ein Einkommen von 90 000 Franken pro Jahr erzielt. Nun kann sie invaliditätsbedingt noch 34 200 Franken verdienen.

Dies entspricht einem Invaliditätsgrad von 62 Prozent, was nach dem neuen Rentensystem jährlich eine IV-Rente von 14 791 Franken und eine Rente nach BVG von 12 078 Franken ergibt (Annahmen gemäss Tabelle 1-5). Zusammen mit dem Renteneinkommen erzielt sie somit ein Gesamteinkommen von 61 069 Franken. Bei einer Erhöhung des Erwerbseinkommens auf 40 500 Franken pro Jahr würde sie im neuen Rentensystem 64 335 Franken, also 3266 Franken mehr erzielen ­ heute würde ihr Gesamteinkommen hingegen um 4534 Franken sinken (Reduktion der IV-Rente und der Rente nach BVG von einer Dreiviertels- auf eine halbe Rente). Im neuen Rentensystem lohnt sich also Arbeit, im geltenden Rentensystem wird finanziell bestraft, wer sein Erwerbseinkommen erhöht.

5727

Tabelle 1-5 Auswirkungen einer Erhöhung des Erwerbseinkommens Neues Rentensystem, in Franken pro Jahr vor Erhöhung des Erwerbseinkommens

nach Erhöhung des Erwerbseinkommens

Differenz

Erwerbseinkommen

34 200

40 500

+6 300

Invaliditätsgrad

62 %

55 %

­7 %

IV-Rente Rente nach BVG

14 791 12 078

13 121 10 714

­1 670 ­1 364

Total Renten

26 869

23 835

­3 034

Total Einkommen

61 069

64 335

+3 266

vor Erhöhung des Erwerbseinkommens

nach Erhöhung des Erwerbseinkommens

Differenz

34 200

40 500

+6 300 ­7 %

Geltendes Rentensystem, in Franken pro Jahr

Erwerbseinkommen Invaliditätsgrad

62 %

55 %

IV-Rente Rente nach BVG

17 892 14 610

11 928 9 740

­5 964 ­4 870

Total Renten

32 502

21 668

­10 834

Total Einkommen

66 702

62 168

­4 534

Annahmen: Alleinstehende Person ohne Kinder, Invalidität tritt im Alter von 40 Jahren ein, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, keine überobligatorischen Leistungen nach dem BVG, 3 Prozent karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr, alle Beitragsjahre erfüllt.

Das Ausmass der Veränderung des Gesamteinkommens hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielweise dem Valideneinkommen, dem für die Rentenberechnung massgeblichen durchschnittlichen Jahreseinkommen und der Höhe der IV-Rente nach dem BVG. In den allermeisten Fällen kann ein positiver Gesamteffekt erwartet werden.

Fallbeispiele: Auswirkungen des neuen Rentensystems auf das Gesamteinkommen der Versicherten Anhand von Fallbeispielen kann illustriert werden, wie sich das stufenlose Rentensystem im Einzelfall auf das Gesamteinkommen auswirkt. Aus Sicht der Versicherten ist für den finanziellen Arbeitsanreiz auch wichtig, wie sich die Höhe des Gesamteinkommens nach Eintritt der Invalidität im Vergleich zum Erwerbseinkommen vor Invalidität verändert.

5728

In den folgenden Fallbeispielen geht es um eine alleinstehende Person ohne Kinder ­

mit obligatorischen Leistungen der beruflichen Vorsorge,

­

mit überobligatorischen Leistungen der beruflichen Vorsorge und

­

ohne Leistungen der beruflichen Vorsorge.12

Der Vergleich des heutigen Gesamteinkommens mit demjenigen nach der Anpassung des Rentensystems wird für die drei häufigsten Invaliditätsgrade (50 %, 70 % und 100 %) vorgenommen, die zusammen über die Hälfte aller IV-Fälle abdecken.

Allen drei Fallbeispielen ist folgendes Ergebnis gemeinsam: ­

Bei alleinstehenden Personen mit einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent oder 50 Prozent bleibt das Gesamteinkommen mit der Anpassung an das stufenlose Rentensystem unverändert, da sich der Rentenanspruch nicht ändert.

­

Bei alleinstehenden Personen mit einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent reduziert sich das Gesamteinkommen (neu eine 70 %-Rente statt wie bisher eine ganze Rente). Das Gesamteinkommen bei einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent liegt aber auch mit dem stufenlosen Rentensystem immer über demjenigen von Personen mit einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent.

Besteht neu ein Anspruch auf EL, wird die Rentenanpassung bei einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent teilweise abgefedert oder vollumfänglich kompensiert.

Alleinstehende Person ohne Kinder, Einkommen 65 000 Franken, nur BVG-Obligatorium Bei einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent reduziert sich das Gesamteinkommen.

Der heute resultierende hohe Wert von 85 Prozent des früheren Einkommens ist darauf zurückzuführen, dass trotz eines Einkommens von 30 Prozent des Valideneinkommens eine ganze Rente ausgerichtet wird. Da dies nun korrigiert wird, reduziert sich das Gesamteinkommen auf 74 Prozent des vorherigen Einkommens, wobei der neu entstehende Anspruch auf EL die Rentenanpassung ein Stück weit abgefedert.

12

Zu Fallbeispielen von Familien mit Kindern vgl. Ziffer 1.3.3.

5729

Fallbeispiel: Alleinstehende Person ohne Kinder Einkommen 65'000 CHF, BVG-Obligatorium 70000

60000 85%

50000

83%

83%

Einkommen nach Invalidität im Verhältnis zu Einkommen vor Invalidität

74%

60%

40000

60%

EL IV-Rente nach BVG IV-Rente

30000

Erwerbseinkommen 20000

10000

0 vor Eintritt der Invalidität

heute

neu

IV Grad 100%

heute

neu

IV Grad 70%

heute

neu

IV Grad 50%

Annahmen: Invalidität tritt im Alter von 40 Jahren ein, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, BVG-Obligatorium, 2 Prozent karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr, alle Beitragsjahre erfüllt.

EL-Berechnung: kein Vermögen, max. möglicher Mietwert, Art. 14a Abs. 2 ELV wird bei den Berechnungen für das stufenlose System nicht angewendet, Berechnungen für die Stadt Luzern für das Jahr 2009.

Alleinstehende Person ohne Kinder, Einkommen 65 000 Franken, BVG-Überobligatorium Die Auswirkungen der Rentenanpassung sind grundsätzlich die gleichen wie beim vorhergehenden Fallbeispiel. Allerdings werden keine EL ausgerichtet, da das Gesamteinkommen nach Eintritt der Invalidität aufgrund der überobligatorischen BVG-Leistungen insgesamt deutlich höher ist.

5730

Fallbeispiel: Alleinstehende Person ohne Kinder Einkommen 65'000 CHF, BVG-Überobligatorium 70000

90%

60000

86%

86%

81% 73%

50000

Einkommen nach Invalidität im Verhältnis zu Einkommen vor Invalidität

73%

40000

IV-Rente nach BVG IV Rente

30000

Erwerbseinkommen

20000

10000

0 vor Eintritt der Invalidität

heute

neu

IV Grad 100%

heute

neu

IV Grad 70%

heute

neu

IV Grad 50%

Annahmen: Invalidität tritt im Alter von 40 Jahren ein, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, Invalidenrente nach BVG = 60 Prozent des versicherten Lohnes, 1 Prozent karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr, alle Beitragsjahre erfüllt. Überentschädigungsregelung in der 2. Säule greift bei 90 Prozent des Valideneinkommens (Resterwerbsfähigkeit wird voll angerechnet).

EL-Berechnung: kein Vermögen, max. möglicher Mietwert, Art. 14a Abs. 2 ELV wird bei den Berechnungen für das stufenlose System nicht angewendet, Berechnungen für die Stadt Luzern für das Jahr 2009.

Alleinstehende Person ohne Kinder, kein Einkommen, ohne BVG-Leistungen Knapp mehr als die Hälfte der IV-Rentnerinnen und -Rentner hat keinen Anspruch auf BVG-Leistungen. Grund hierfür kann beispielsweise sein, dass vor der Invalidität kein Erwerbseinkommen erzielt wurde. Im folgenden Fallbeispiel wird die Situation einer alleinstehenden Person ohne Kinder dargestellt, welche bereits in der Kindheit invalid wurde und deshalb nicht erwerbstätig war. Ihr Valideneinkommen wird hypothetisch festgesetzt und kann entsprechend nicht mit dem tatsächlichen Gesamteinkommen nach Invalidität verglichen werden. Der IV-Rentenanspruch entsteht ab dem Alter von 18 Jahren.

Bei den hier dargestellten Invaliditätsgraden werden heute wie im neuen Rentensystem für diese Person Ergänzungsleistungen zur IV-Rente ausgerichtet. Dies hat insbesondere zwei Auswirkungen: Zum einen gewährleistet der Anspruch auf EL die Existenzsicherung dieser Person. Zum anderen kompensiert er die Rentenreduktion bei einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent vollständig. Für diese Person hat die Anpassung an das neue Rentensystem also keine Auswirkungen auf das Gesamteinkommen.

5731

50000

Fallbeispiel: Alleinstehende Person ohne Kinder ohne BVG-Leistungen

45000 40000 35000 30000 EL IV-Rente Erwerbseinkommen

25000 20000 15000 10000 5000 0 heute

neu

IV Grad 100%

heute

neu

IV Grad 70%

heute

neu

IV Grad 50%

Annahmen: 18 Jahre alt, Schweizer Staatsbürgerschaft, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, kein Erwerbseinkommen vor Invalidität, keine BVG-Leistungen, 0 % karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr.

EL-Berechnung: kein Vermögen, max. möglicher Mietwert, Art. 14a Abs. 2 ELV wird bei den Berechnungen für das stufenlose System nicht angewendet, Berechnungen für die Stadt Luzern für das Jahr 2009.

Massnahmen zur Eingliederung ins Erwerbsleben Die Invalidenversicherung setzt verschiedenste Massnahmen um, welche die Wiedereingliederung von IV-Rentnerinnen und -Rentnern erleichtern und die Arbeitgeber bei der Anstellung und Weiterbeschäftigung von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen unterstützen. Damit werden Voraussetzungen geschaffen, dass IVRentnerinnen und -Rentner ihre Resterwerbsfähigkeit realisieren können. Im Einzelnen bestehen folgende Massnahmen: Förderung der Eingliederung der Versicherten ­

Arbeitsvermittlung: Die IV-Stellen verfügen heute über spezialisierte Arbeitsvermittler, die mit den Versicherten aktiv nach Stellen suchen.

­

Erhalt des Arbeitsplatzes: Die mit der 5. IV-Revision eingeführten Frühinterventionsmassnahmen ermöglichen eine Unterstützung der Versicherten und der Arbeitgeber hinsichtlich des Ziels des Arbeitsplatzerhaltes, wobei dies auch die Suche/Schaffung eines Nischenarbeitsplatzes mit einem kleinen Pensum bedeuten kann.

­

Verbesserte Eingliederungsmassnahmen: Mit der 5. IV-Revision wurden die Eingliederungsmassnahmen (insbesondere Integrationsmassnahmen) verstärkt, um die Leistungsfähigkeit zu fördern.

5732

Massnahmen für Arbeitgeber ­

Arbeitsversuch: Der Arbeitsversuch soll mit der IV-Revision 6a eingeführt werden und ermöglicht es dem Arbeitgeber, ohne Verpflichtung und Risiko eine Person mit einer Behinderung «zu testen». Während der Dauer des Arbeitsversuchs hat der Arbeitgeber eine zusätzliche Arbeitskraft, deren Leistung zwar (noch) reduziert ist, durch deren Beschäftigung ihm aber keine Kosten entstehen: Da kein Anstellungsverhältnis entsteht, ergeben sich keine Lohnzahlungspflicht, keine Versicherungskosten, kein Malusrisiko beim Unfallversicherer oder der Krankentaggeldversicherung. Zudem entsteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit für eine spätere Anstellung, nicht jedoch die Verpflichtung.

­

Personalverleih: Mit dem Personalverleih (siehe Ziff. 1.3.2) wird ein zusätzliches Eingliederungsinstrument geschaffen, das den (Wieder-) Eintritt in eine bezahlte Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt ermöglicht.

­

Entschädigung für Beitragserhöhungen: Mit der 5. IV-Revision wurde die Möglichkeit geschaffen, dass die Versicherung bei erneuter Arbeitsunfähigkeit eine Entschädigung für Beitragserhöhungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge und der Krankentaggeldversicherung ausrichten kann. Diese Regelung soll mit der Revision 6a noch verbessert werden (Wegfall der Kausalität und Ausweitung des Schutzes auf drei Jahre).

­

Übergangsleistung und erleichtertes Wiederaufleben einer Rente: Entsprechend der Entschädigung für Beitragserhöhungen bei der Eingliederung von noch nicht berenteten Personen wird mit der Revision 6a eine Regelung für die Wiedereingliederung von Rentnerinnen und Rentnern geschaffen: Das Risiko einer Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit wird während drei Jahren durch die Versicherung abgedeckt. Zusätzlich verbleibt während dieser Dauer die angestellte Person bei der alten Pensionskasse, womit kein Risiko für die Pensionskasse des neuen Arbeitgebers und für die versicherte Person entsteht und für den neuen Arbeitgeber auch keine Prämien anfallen.

­

Einarbeitungszuschuss: Mit der 5. IV-Revision wurde die Möglichkeit geschaffen, dem Arbeitgeber für die notwendige Anlern- oder Einarbeitungszeit bis zu 6 Monate ein Einarbeitungszuschuss zu bezahlen. Der Einarbeitungszuschuss wird mit der Revision 6a administrativ noch vereinfacht.

­

Beratung und Begleitung: Die IV-Stellen verstärken seit Jahren kontinuierlich die Beratung und Begleitung von behinderten Menschen und Arbeitgebern. Mit der Revision 6a wird explizit auch geregelt, dass diese Begleitung auch nach einer erfolgreichen Eingliederung weiter erfolgen kann.

Pilotversuche Das BSV hat seit der 5. IV-Revision die Möglichkeit, zum Zweck der Eingliederung Pilotversuche zu bewilligen. Als ein Schwerpunkt für solche Pilotversuche wurde die Schaffung von Arbeitsplätzen definiert. Es laufen zurzeit zwei erste Pilotversuche, die zu weiteren Erkenntnissen führen sollen: ­

Sozialfirma «Öko-Reinigungsservice»: Das Projekt bietet Arbeitsplätze für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Ziel ist es, IV-Rentnerinnen und ­Rentner einzustellen (und deren Rente herabzusetzen).

5733

­

Projekt «REGIOfutura»: Das Projekt zielt auf die Schaffung von Nischenarbeitsplätzen in einer Randregion für junge Menschen mit psychischer Erkrankung.

Assistenzbeitrag Im Rahmen der IV-Revision 6a wird die Einführung eines Assistenzbeitrags vorgeschlagen. Personen mit einer Hilflosenentschädigung werden so die Möglichkeit erhalten, Assistenzpersonen anzustellen, welche sie auch in ihrem beruflichen Alltag unterstützen.

Fazit Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Invalidenversicherung seit Jahren eine konsequente Eingliederungsstrategie verfolgt, die mit den laufenden Revisionen 6a und 6b noch zusätzlich verstärkt wird. Durch die arbeitgeberseitigen Massnahmen werden konsequent Negativanreize, die gegen eine Anstellung von Menschen mit Behinderungen sprechen, aus dem Weg geräumt, bzw. sogar in Positivanreize (Minimierung des Anstellungsrisikos) für die Anstellung solcher Menschen umgewandelt. Dadurch werden die Arbeitgeber («die Wirtschaft») ihre sozialpolitische und volkswirtschaftliche Verantwortung vermehrt wahrnehmen können. Die Invalidenversicherung passt sich der dynamischen Wirtschaftsentwicklung laufend an und führt lösungs- und zukunftsorientierte Projekte durch.

Massnahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes Neben dem IVG verfolgt auch das Behindertengleichstellungsgesetz das Ziel, Menschen mit Behinderungen bestmöglich in die Arbeitswelt und den Alltag zu integrieren. Das BehiG ist darauf ausgerichtet, mit entsprechenden gesetzlichen Massnahmen die Umstände und Hindernisse des Umfeldes zu bekämpfen, welche Menschen mit Behinderungen belasten. Es richtet sich damit an die Gesellschaft als Ganze und will die von ihr geschaffenen Rahmenbedingungen beeinflussen, damit Personen, die nicht in jeder Hinsicht den allgemeinen Normen entsprechen, nicht marginalisiert und ausgeschlossen werden. Weiter ist auch im BehiG die Möglichkeit vorgesehen, Pilotversuche im Bereich der Integration behinderter bzw. invalider Personen ins Erwerbsleben durchzuführen.

1.3.1.7

Geprüfte Varianten

Stufenloses Rentensystem gemäss Vernehmlassung Das in die Vernehmlassung geschickte stufenlose Rentensystem sah vor, dass ­

in der IV der Rentenanspruch zwischen einer Viertelsrente bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent und einer ganzen Rente bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent linear verläuft;

­

in der 2. Säule der Rentenanspruch dem Invaliditätsgrad entspricht.

5734

Vernehmlassung: Rentensystem für IV-Renten 100 Rentenanspruch in % der ganzen Rente

Geltendes System 75

50

25

0 0-9

10-19

20-29

30-39

40-49 50-59 Invaliditätsgrad

60-69

70-79

80-89

90-100

Vernehmlassung: Rentensystem für IV-Renten nach BVG 100

Rentenanspruch in % der ganzen Rente

Geltendes System 75

50

25

0 0-9

10-19

20-29

30-39

40-49

50-59

60-69

70-79

80-89

90-100

Invaliditätsgrad

Dieses Rentensystem hätte in der IV zu Einsparungen von jährlich 380 Millionen Franken geführt (Durchschnitt 2015­2025). An diesem Vorschlag kritisiert wurden das Ausmass der Rentenreduktionen in der IV, die Mehrkosten für die Ergänzungsleistungen (und damit verbunden auch für die Kantone), die unterschiedliche Rentenformel für die IV und die 2. Säule sowie die Erhöhung der Austrittsschwelle in der 2. Säule bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent. Das nun vorgeschlagene Rentensystem trägt diesen Kritikpunkten Rechnung.

Verschiebung der heutigen Rentenstufen Es wurde geprüft, ob das heutige Rentensystem auch mit einer Beibehaltung der Viertelsrenten, halben Renten, Dreiviertelsrenten und ganzen Renten optimiert werden kann. Dazu würden die heute bei einem Invaliditätsgrad von 50, 60 und 70 Prozent bestehenden Stufen neu festgesetzt:

5735

Tabelle 1-6 Verschiebung der heutigen Rentenstufen Rentenhöhe

Invaliditätsgrad bisher

Invaliditätsgrad neu

¼-Rente ½-Rente ¾-Rente ganze Rente

40­ 49 % 50­ 59 % 60­ 69 % 70­100 %

40­ 54 % 55­ 69 % 70­ 79 % 80­100 %

Verschiebung der heutigen Rentenstufen 100 Rentenanspruch in % der ganzen Rente

Geltendes System 75

50

25

0 0-9

10-19

20-29

30-39

40-49

50-59

60-69

70-79

80-89

90-100

Invaliditätsgrad

Diese Anpassung würde zu einer finanziellen Entlastung der IV von 370 Millionen Franken im Durchschnitt der Jahre 2015­2025 führen.

Zwar würden mit dieser Rentenabstufung mehr Teilrenten ausgerichtet, aber die Tatsache, dass eine erfolgreiche Eingliederung finanziell bestraft wird, bliebe wegen der Schwelleneffekte weiterhin bestehen.

Bei einer Übernahme dieser Rentenstufen auch in der 2. Säule würden die jährlich zu stellenden Deckungskapitalien für Neurenten um 170 Millionen Franken reduziert werden. Um die Kumulation von Rentenreduktionen aus IV und 2. Säule zu vermeiden, müsste in der beruflichen Vorsorge das heutige Rentensystem beibehalten werden. Daraus entstünden unterschiedliche Rentenstufen in der IV und der 2. Säule. Da die IV nur dann eine Rentenrevision durchführt, wenn sich der Rentenanspruch ändert, könnte die berufliche Vorsorge nicht mehr auf die Invaliditätsbemessung durch die IV-Behörden abstellen und müsste für eine Rentenrevision eine eigene Invaliditätsbemessung vornehmen.

Andere Rentenstufen Auch ein Rentensystem mit mehr Rentenstufen wurde geprüft (statt Viertelsrenten neu Fünftels- oder Sechstelsrenten). Diese Varianten wurden verworfen, weil sie zu einer vollständigen Umstellung des Rentensystems führen würden, ohne dass die Schwelleneffekte eliminiert und die Eingliederung wirklich besser unterstützt würde.

Für die berufliche Vorsorge würde die Einführung anderer Rentenstufen bedeuten, dass entweder Koordinationsprobleme zwischen IV und 2. Säule (bei Beibehaltung

5736

der geltenden Viertelsrenten) oder eine Leistungsreduktion in der 2. Säule (bei Übernahme der Rentenstufen) resultieren würden.

1.3.2

Verstärkte Eingliederung und Verbleib im Arbeitsmarkt

Heutige Situation und Zielsetzung Mit der 5. IV-Revision wurde die verstärkte Wahrnehmung der IV als Eingliederungsversicherung und ein damit verbundener Kulturwandel erfolgreich eingeleitet.

Durch das Instrument der Früherfassung erhöhen sich die Chancen von Personen mit gesundheitlichen Problemen auf die Erhaltung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit und auf Integration. Frühinterventions- und Integrationsmassnahmen ermöglichen eine individuellere Handhabung des Eingliederungsprozesses.

Mit der 6. IV-Revision sollen die Anstrengungen, Menschen mit einer Behinderung so weit als möglich in das Erwerbsleben und in die Gesellschaft zu integrieren, verstärkt werden. Mit der Revision 6a wird besonderes Augenmerk auf die Wiedereingliederung aus der Rente gelegt. Mit dem Paket 6b sollen die mit der 5. IV Revision geschaffenen Instrumente optimiert und flexibler gestaltet werden, um damit besonders auch den Bedürfnissen von Menschen mit psychischen Behinderungen noch stärker gerecht werden zu können. Deren Teilhabe am Erwerbs- und Sozialleben soll verstärkt gefördert werden, um Chronifizierungen entgegenzuwirken und Neurenten entweder ganz zu vermeiden oder aber eine Teilrentenpraxis stärker zu forcieren.

Ungeachtet der seit 2003 rückläufigen Neurentenzahlen, sind die Menschen mit psychischen Behinderungen mit einem Anteil von 42 Prozent heute die grösste Gruppe von Rentenbezügern der IV. Unterschiedliche, unter dem Sammelcode 646 kategorisierte Krankheitsbilder, wie etwa depressive und affektive Störungen sowie Persönlichkeits- und somatoforme Schmerzstörungen, teilweise in komorbiden Ausprägungen, verzehnfachten sich zwischen 1986 und 2006 nahezu auf etwa 50 000 Fälle.

Die Rentenpraxis der IV hat den speziellen Rehabilitationsbedürfnissen von Menschen mit psychischen Behinderungen lange Zeit zu wenig Rechnung getragen und auf für diese Personen unzureichende Beurteilungs- und Eingliederungskonzepte zurückgegriffen. Eine Reihe von politischen Vorstössen hat diese Problematik in den vergangenen Jahren immer wieder aufgegriffen13. Handlungsbedarf ergibt sich besonders auch deshalb, weil überdurchschnittlich viele jüngere Personen, die einen grossen Teil ihres Erwerbslebens noch vor sich haben, von diesen Störungen betroffen sind. Der frühzeitige Ausschluss dieser Personen aus dem Erwerbsleben ist sowohl unter
individuellen als auch unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar. Vielmehr darf den betroffenen Personen die Chance zur Teilhabe nicht vorenthalten werden.

Die IV muss daher den unterschiedlichen psychischen Problematiken künftig mit differenzierteren und wirksameren Abklärungs- und Eingliederungsverfahren begeg13

Vgl. 04.3120 Postulat Zisyadis, 05.3179 Interpellation Schiesser, 07.3654 Interpellation Schwaller, 08.1062 Anfrage Bortoluzzi, 09.1134 Anfrage Bortoluzzi, 09.3797 Motion FDP-Liberale Fraktion, 09.4250 Interpellation Schenker.

5737

nen und gleichzeitig weiterhin bestehende negative Anreize im Zusammenhang mit der Eingliederung beseitigen (z.B. Rentensystem, vgl. Ziff. 1.3.1). Eingliederungsmassnahmen für Menschen mit psychischen Behinderungen müssen individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen Person zugeschnitten sein, oft in Form einer länger andauernden persönlichen aber niederschwelligen Begleitung. Solche Massnahmen sind oft wirksamer und günstiger als institutionalisierte Beschäftigungs- und Rehabilitationsprogramme.

Eine Vielzahl psychischer Krankheitsbilder ist behandelbar, und verbesserte Eingliederungserfolge sind möglich, insbesondere wenn frühzeitig, möglichst solange der Arbeitsplatz der Person noch vorhanden ist, Einfluss genommen wird. Die IV will mit den Massnahmen der IV-Revision 6b einen Beitrag leisten, um der beunruhigenden Tendenz des stetigen Anstiegs von Invalidisierungen aus psychischen Gründen entgegen zu wirken. Darüber hinaus sollen letztlich alle Versicherten von der konsequenten Fortsetzung des mit der 5. IV-Revision eingeschlagenen Weges der «Eingliederung statt Rente» profitieren.

Optimierungspotential im heutigen System Optimierungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der mit der 5. IV-Revision eingeführten Instrumente, vor allem für Menschen mit psychischen Behinderungen, sind am Ende einer nunmehr zweijährigen Erfahrungsperiode bereits erkennbar. Im Mittelpunkt stehen dabei die Invaliditätsprävention, der Ausbau der Früherfassung sowie die Weiterentwicklung der Eingliederungsinstrumente.

Trotz Früherfassung kommt die IV bislang noch zu oft zu spät ins Geschehen, nämlich nachdem der Arbeitsplatz einer betroffenen Person bereits gefährdet oder verloren gegangen ist. Die vorgesehene Erweiterung der Früherfassung und die verstärkte präventive Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern sollen dem entgegenwirken. Das Angebot einer eingliederungsorientierten Beratung und Begleitung ist dabei auch in Ergänzung der mit der IV-Revision 6a einzuführenden Beratung und Begleitung der Arbeitgeber bei der Wiedereingliederung der Rentnerinnen und Rentner zu sehen.

Die mit der 5. IV-Revision eingeführten Integrationsmassnahmen wurden bereits speziell im Hinblick auf Menschen mit psychischen Behinderungen entwickelt. Die bisherige Praxis zeigt jedoch, dass sie immer noch zu wenig auf die Bedürfnisse dieser
Personengruppe und ihrer jeweiligen Arbeitgeber zugeschnitten sind. Anstelle institutionalisierter Integrationsmassnahmen sollte künftig die niederschwellige ressourcenorientierte Begleitung direkt am Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt das Mittel der Wahl sein. Um die Chancen auf den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen, wird mit dem Personalverleih zusätzlich eine weitere Eingliederungsmassnahme auf Gesetzesstufe eingeführt.

Für eine erfolgreiche Eingliederung ist aber auch eine integrierte Beurteilungspraxis unter Einbezug medizinischer und berufsbezogener Elemente notwendig. Rentenprüfungen erfolgen bislang häufig allein anhand medizinischer Diagnosen, ohne dass deren Folgen auf die im Arbeitsprozess massgebliche funktionelle Leistungsfähigkeit systematisch untersucht und aufgezeigt worden wären. Damit wird weder den Ressourcen und Potentialen einer Person, noch den besonders bei psychischen Störungen schwankenden Krankheitsverläufen Rechnung getragen. Künftig muss die IV die Eingliederungsfähigkeit einer versicherten Person unter Bezugnahme auf

5738

medizinische und berufsbezogene Beurteilungskriterien festlegen, und dabei in der Regel Fachpersonen verschiedener Disziplinen einbeziehen.

Der Begriff der Eingliederungsfähigkeit wird dazu in Konkretisierung der gängigen Rechtsprechung verbindlich definiert. Das Primat der Eingliederung vor Rente wird im Gesetz klarer abgebildet.

Darüber hinaus muss, unter Berücksichtigung der besonderen Dynamik psychischer Erkrankungen, die Möglichkeit von Teilrenten stärker in Betracht gezogen werden.

Unter den IV-Rentnerinnen und -Rentnern mit psychisch en Behinderungen liegt heute der Anteil derer, die eine ganze Rente erhalten, mit 80 Prozent über dem Durchschnitt (71 %), obwohl gerade bei psychischen Erkrankungen durch frühzeitige und angemessene Behandlung und Begleitung nicht jede Krankheitsdiagnose in Invalidität und ganze Rente münden muss. Eine verstärkte Teilrentenpraxis sollte mit differenzierter ausgestalteten Eingliederungsmassnahmen möglich sein. Diesem Gedanken kommt auch die geplante Umstellung auf das stufenlose Rentensystem entgegen.

Prävention und Erhalt des Arbeitsplatzes ­ Verstärkter Einbezug der Arbeitgeber Durch verstärkte Invaliditätsprävention sowie eine erweiterte Früherfassung sollen Arbeitsplätze von Menschen mit psychischen Behinderungen nach Möglichkeit gar nicht erst verloren gehen. Der Erhalt des Arbeitsplatzes und damit einhergehend die selbstständige Existenzsicherung und die gesellschaftliche Teilhabe sind wichtige Faktoren, um ungünstigen Krankheitsverläufen entgegenwirken. Dazu wird die IV Arbeitgebern künftig verstärkt Hilfestellung bieten. Zusätzlich soll das Instrument der Früherfassung vom bisherigen Kriterium der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit entkoppelt werden. Mit diesen Massnahmen soll auch in Ergänzung des Massnahmenpaketes der Revision 6a der mit der 5. IV-Revision eingeschlagene eingliederungsorientierte Weg konsequent fortgesetzt werden.

Prävention Künftig muss es ein zentrales Handlungsfeld der IV sein, den Prozessen vorzubeugen, die bei Menschen mit psychischen Behinderungen zur Invalidisierung führen.

Dabei muss unter anderem auch eine stärkere Vernetzung mit entsprechenden weiteren Akteuren angestrebt werden14.

Obwohl sich diese Erkrankungen zumeist über Jahre und schleichend entwickeln, werden entsprechende Problematiken oft erst erkannt oder
thematisiert, wenn die gesundheitlichen oder sozialen Folgen schwerwiegend und offensichtlich werden, der Arbeitsplatz gefährdet ist oder verloren geht. Dann ist der Zeitpunkt für frühzeitige wirkungsvolle Interventionen verpasst. Die Chronifizierungsgefahr nimmt zu und das Invalidisierungsrisiko der Erkrankten steigt durch die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen sozialen Einschränkungen. Die notwendigen Rehabilitationsmassnahmen werden aufwändiger.

Die IV-Stellen erhalten daher den Auftrag zur präventiven Unterstützung von Arbeitgebern, um deren Bedürfnis nach Hilfestellung im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit psychischen Behinderungen entgegenzukommen (Art. 57 14

U.a.: SECO: Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Arbeitsgesetz); BAG: Präventionsgesetz; Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK): Regionale Bündnisse gegen Depression.

5739

Abs. 1 E-IVG). Mit dem Instrument der «eingliederungsorientierten Beratung und Begleitung» (Art. 3a E-IVG) soll es künftig möglich sein, auf Anfrage eines Arbeitgebers Leistungen anzubieten, ohne dass sofort eine Früherfassung oder die Eröffnung eines IV-Verfahrens für eine versicherte Person notwendig ist. Damit ist es zum einen denkbar, dass sich Arbeitgeber allgemein hinsichtlich der Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bezogen auf deren beruflichen Tätigkeit, beraten lassen. Die Beratung kann aber auch in Bezug auf einen konkreten Fall erfolgen. Teamcoachings oder das Jobcoaching der betreffenden Person können sich anschliessen. Je nach Dauer der Begleitung kann eine spätere Anmeldung der Person bei der IV notwendig werden; durch das frühzeitige Eingreifen kann sich eine solche aber auch erübrigen.

Die eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung ist ein Instrument, welches in Ergänzung zu Früherfassung und Frühintervention, ein noch schnelleres und unbürokratischeres sowie bedarfsbezogenes erstes Reagieren der IV möglich macht, um in Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und der versicherten Person, den Arbeitsplatz nach Möglichkeit erhalten zu können. Auslöser einer entsprechenden Intervention der IV ist der Beratungs- und Begleitungsbedarf eines Arbeitgebers, der eine Verschlechterung einer Arbeitssituation aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen eines Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feststellt oder aber bereits die Gefahr einer Verschlechterung erkennt. Erste Anzeichen einer solchen Gefahr können beispielsweise eine Verhaltensänderung oder der Leistungsabfall sein, oder aber es ist erkennbar, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermehrten Belastungen ausgesetzt sind. Diese Massnahme der IV gegenüber dem Arbeitgeber erfolgt unentgeltlich und ist wie alle anderen Massnahmen nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit einzusetzen.

Um die Beratung und Begleitung niederschwellig und unbürokratisch anbieten zu können, macht es keinen Sinn, konkretere Kriterien für die Nachfragbarkeit dieser Leistung zu definieren. Deren niederschwelliger Charakter bringt es mit sich, dass, wie beim Instrument der Frühintervention, niemand einen Rechtsanspruch auf diese Leistung hat. Mit der eingliederungsorientierten Beratung und Begleitung wird der Präventionsgedanke auf Gesetzesebene
gestärkt. Der direkte Kontakt zwischen IV und Arbeitgebern ermöglicht, Problemen am Arbeitsplatz zu begegnen und Invalidität zu verhindern, ohne dass eine Anmeldung erforderlich wäre.

Im Gegenzug zur Erweiterung des Beratungsinstrumentariums der IV wird der Arbeitgeber eingeladen, der betreffenden Person während der Durchführung der Massnahmen (Beratung und Begleitung, Frühinterventions- oder andere Eingliederungsmassnahmen im Betrieb) das Arbeitsverhältnis nicht ohne vorherige Rücksprache mit der IV aufzulösen (Art. 7c Abs. 2 E-IVG). Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber soll so, wie mit der 5. IV-Revision bereits eingeleitet und mit dem Massnahmenpaket der Revision 6a fortgesetzt, weiter ausgebaut werden. Unter dem Aspekt des Ausbaus dieser Zusammenarbeit ist Artikel 7c Absatz 2 E-IVG als Appell formuliert, der nicht durch Sanktionen flankiert wird und somit keinen Eingriff in das Kündigungsrecht darstellt.

5740

Erweiterte Früherfassung Sowohl gemäss wissenschaftlichen Studien15 als auch aufgrund der Erfahrungen aus der Praxis ist unbestritten, dass die frühzeitige Erkennung von problematischen Gesundheitszuständen und entsprechendes schnelles Handeln entscheidend für den Eingliederungserfolg sind. Die sich seit der 5. IV-Revision bewährende Früherfassung soll deshalb erweitert werden, indem sie vom Kriterium der bereits eingetretenen Arbeitsunfähigkeit entkoppelt wird. Gerade bei Menschen mit psychischen Behinderungen hat sich gezeigt, dass der Invalidisierungsprozess schleichend beginnt, oftmals mit Problemen im psychosozialen Bereich und lange vor Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit. Bereits früh sollen daher Signale erkannt und Hilfe angeboten werden, um einer psychischen Behinderung und einer Chronifizierung vorzubeugen.

Der bisherige Einbezug der IV nach 30 Tagen Arbeitsunfähigkeit geschieht in solchen Fällen oftmals zu spät, und der Arbeitsplatz ist bereits gefährdet oder verloren.

Ebenso erscheint das zweite Erfassungskriterium, wiederholte Kurzabsenzen während eines Jahres, für diese spezifische Gruppe nicht immer ausreichend. Mit einer Erweiterung des Melderechtes auf von Arbeitsunfähigkeit bedrohte Versicherte (Art. 3a E-IVG) soll in Ergänzung der eingliederungsorientierten Beratung und Begleitung der Arbeitgeber oder im Anschluss an eine solche eine frühere Intervention und Unterstützung dieser Versicherten ermöglicht werden, um einem möglichen Arbeitsplatzverlust entgegenzuwirken. Die Kriterien für die bedrohte Arbeitsunfähigkeit können vielschichtig sein und sich beispielsweise in dem weiter oben bereits angesprochenen Leistungsabfall einer Person oder Verhaltensänderungen zeigen und von psychosozialen Belastungen begleitet sein. Generell ist bei der Früherfassung zu beachten, dass die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre einer Person respektiert werden und diese vorgängig über die Meldung informiert wird, wie dies bereits heute im Gesetz (Art. 3b Abs. 3 IVG) festgehalten ist.

Optimierung der Eingliederungsinstrumente Die Ressourcen und letztlich die Arbeitsmarktfähigkeit einer aus psychischen Gründen von Invalidität bedrohten, aber eingliederungsfähigen Person sollen durch geeignete Massnahmen auf- und ausgebaut werden. Die mit der 5. IV-Revision eingeführten Integrationsmassnahmen
wurden speziell für Menschen mit psychischen Behinderungen entwickelt, in erster Linie mit dem Ziel, die Verbindung zwischen sozialer und beruflicher Integration herzustellen und die verbliebene Restarbeitsfähigkeit der Versicherten zu stärken.

Mittels der zeitlichen Flexibilisierung der Integrationsmassnahmen sowie der Einführung des Personalverleihs als weitere Eingliederungsmassnahme werden die Eingliederungsinstrumente optimiert und damit besonders an die Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Behinderungen angepasst.

Flexibilisierung der Integrationsmassnahmen und Beitrag an neue Arbeitgeber In der Botschaft zur 5. IV-Revision wurden Integrationsmassnahmen tendenziell unter dem Aspekt «first train, then place16» eingeführt. Die Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation (Gewöhnung an den Arbeitsprozess, Aufbau der Arbeitsmotivation, Stabilisierung der Persönlichkeit, Einüben sozialer Grundelemente) 15 16

U.a.: Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit. (2002): Wer zur Arbeit zurück kehrt und warum; Genf.

Berufliche Integration über Wiedereingliederungstrainings und geschützte Werkstätten zur Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt.

5741

sowie die auf die berufliche Eingliederung gerichteten Beschäftigungsmassnahmen werden bislang von den Durchführungsstellen mehrheitlich auch so verstanden.

Diese Rehabilitationselemente sollen weiterhin angeboten werden, vor allem um stark eingeschränkte versicherte Personen auf eine Eingliederung in den Erwerbsprozess vorzubereiten.

Mit der weiteren Stärkung der Früherfassung wird aber auch davon ausgegangen, dass immer mehr betroffene Personen früher identifiziert und somit frühzeitig begleitet werden können. Wenn der Arbeitsplatz oder zumindest der Kontakt zur Arbeitswelt noch nicht oder noch nicht lange verloren ist, scheint der auch von der einschlägigen Literatur17 beschriebene Weg des «first place, then train» gerade für Menschen mit psychischen Behinderungen deutlich erfolgversprechender als die entgegengesetzte Vorgehensweise. Dieses, insbesondere in den USA unter der Bezeichnung «Supported Employment» angewandte Konzept, sieht im Gegensatz zum bisher in der Schweiz vorherrschenden Ansatz die direkte Platzierung im ersten Arbeitsmarkt als wegweisenden Rehabilitationsschritt. In diesem Modell unterstützt ein Jobcoach die versicherte Person, falls notwendig, bei der Stellensuche, vor allem aber steht er der Person und deren Arbeitgeber während der Anstellung an einem Arbeitsplatz in einem normalen Betrieb jederzeit beratend und unterstützend zur Seite. Dies kann zum einen das Selbstvertrauen und die Motivation sowie die Frustrationstoleranz der begleiteten Person deutlich stärken, zum anderen aber auch das Verständnis des Umfeldes, d. h. des Arbeitgebers und der Kolleginnen und Kollegen, für die besondere Situation der Person erhöhen18.

Die Integration in den Arbeitsmarkt wirkt sich positiv aus auf Selbstwertgefühl, Lebensqualität und damit auf die Gesundheit. Dies ist nicht zuletzt auf das Verrichten von bezahlter Arbeit zurückzuführen. Studien aus den USA belegen den positiven Beitrag dieses Ansatzes zur Senkung von Gesundheits- und Versicherungskosten. Berentungen können verhindert werden, oder Teilrenten statt ganzen Renten werden möglich. Erste Erfahrungen mit diesem Modell in der Schweiz zeigen, dass eine Koordination der unterschiedlichen bislang damit betrauten Fachstellen nötig und eine klare und einheitliche konzeptuelle Basis noch zu erarbeiten ist. Die Psychiatrische
Universitätsklinik Zürich (PUK) ist in verschiedene Studien und Pilotprojekte zum Thema der Rehabilitation durch Begleitung am Arbeitsplatz involviert.

Es zeigt sich, dass eher diese niederschwelligen, aber dauerhafteren Begleitmassnahmen zu Eingliederungserfolgen führen, da sie ganz individuell auf die medizinischen, beruflichen und sozialen Belange der begleiteten Person zugeschnitten sind.

Im Vergleich zu den eher standardisierten, institutionellen, zunächst in geschütztem Rahmen auf eine spätere Erwerbstätigkeit vorbereitenden Rehabilitationsmassnahmen sind sie zudem wesentlich günstiger. In Zukunft soll im Rahmen der Frühinterventions- und Eingliederungsmassnahmen der IV das Konzept der niederschwelligen Begleitung von Personen an ihrem Arbeitsplatz ein stärkeres Gewicht erhalten.

Dafür sollen die mit der 5. IV-Revision eingeführten Integrationsmassnahmen zeitlich flexibilisiert werden.

Bislang konnten Integrationsmassnahmen für insgesamt ein Jahr in Anspruch genommen werden, in Ausnahmefällen für höchstens 2 Jahre. Aber gerade Men17

18

Rüst, T. et al. (2004). Supported Employment. Modelle unterstützter Beschäftigung in der Schweiz. Nationales Forschungsprogramm. Probleme des Sozialstaates. Wissenschaftlicher Schlussbericht.

Rössler, W. (2006). Supported Employment. Der Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt.

5742

schen mit psychischen Behinderungen benötigen oft mehr Zeit für eine berufliche Rehabilitation. Eine Begleitung am Arbeitsplatz kann eine längerfristige, dafür aber eher kostengünstige Massnahme sein. Es ist daher sinnvoll, die bisherige zeitliche Beschränkung von Integrationsmassnahmen aufzuheben (Art. 14a Abs. 3 IVG), um die länger dauernde, hochindividuelle und massgeschneiderte Begleitung von betroffenen Personen an ihrem Arbeitsplatz gewährleisten zu können. Wie auch die vom BSV im Rahmen der FoP-IV in Auftrag gegebenen Studie «Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen»19 zeigt, muss Eingliederung vor allem die persönlichen Bedürfnisse einer zu begleitenden Person sowie deren sozialen Hintergrund berücksichtigen. Zum Beispiel benötigen ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, allein erziehende Mütter oder Migrantinnen und Migranten jeweils unterschiedliche zusätzliche Unterstützung.

Im Zuge der vorgesehenen zeitlichen Flexibilisierung der Integrationsmassnahmen sind bei der Planung und Durchführung dieser Massnahmen in jedem Fall die Kosten-Nutzen-Aspekte im Auge zu behalten. Massnahmen, die nicht den ursprünglich erwarteten Erfolg im Hinblick auf eine theoretisch mögliche Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt versprechen, müssen rechtzeitig abgebrochen werden. Dies gilt insbesondere für die kostenintensiven institutionellen Rehabilitationsmassnahmen.

Mit der Möglichkeit, Integrationsmassnahmen mehrfach zuzusprechen, wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass sich die Situation einer Person verschlechtern kann, und sie zu einem späteren Zeitpunkt einer erneuten Begleitung bedarf.

Mit der 5. IV-Revision wurde ein Anreiz für den bisherigen Arbeitgeber einer versicherten Person eingeführt, der diese für Integrationsmassnahmen im Unternehmen weiterhin beschäftigte. Ein Beitrag von 60 Franken für jeden Tag, in denen Rehabilitationsmassnahmen durchgeführt werden, kann gewährt werden. Um die berufliche Integration zu fördern und die Philosophie der Rehabilitation direkt am Arbeitsplatz zu stärken, sollen in Zukunft auch neue Arbeitgeber einer versicherten Person diesen finanziellen Beitrag erhalten können , um besser auf die Bedürfnisse insbesondere von Menschen mit psychischen Behinderungen reagieren zu können. Dabei soll der Kulturwandel in Richtung einer Rehabilitation
und Unterstützung direkt am Arbeitsplatz fortgesetzt werden.

Personalverleih Der Grundgedanke der Rehabilitation direkt am Arbeitsplatz liegt auch der Einführung des Personalverleihs als Eingliederungsmassnahme zu Grunde: Wann immer die Chance besteht, einen ersten Schritt in den Arbeitsmarkt zu tun, soll dies gefördert werden, denn entscheidend für den Eingliederungserfolg ist es, diesen Schritt zu tun.

Der Personalverleih kann einer versicherten Person diesen ersten Schritt sowie eine (bezahlte) Beschäftigung ermöglichen, wenn eine direkte Anstellung in einem Unternehmen nicht möglich ist, z. B. weil nur eine vorübergehende Beschäftigung angeboten werden kann oder weil das Unternehmen zwar bereit ist, eine versicherte Person zu beschäftigen und auch zu bezahlen, jedoch eine direkte Anstellung (noch) nicht riskieren möchte.

19

Baer, N., Fasel, T., Frick, U. (2009).Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen. Typologisierung der Personen, ihrer Erkrankungen, Belastungen und Berentungsverläufe. Beiträge zur Sozialen Sicherheit.

5743

Mit der Einführung des Personalverleihs als Eingliederungsmassnahme werden somit zwei Ziele verfolgt: ­

die Ausübung einer (bezahlten) Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt, damit die versicherte Person zusätzliche berufliche Erfahrung machen und ihre Beschäftigungschancen verbessern kann;

­

eine spätere Anstellung aufgrund des Arbeitseinsatzes20: Im Sinne eines «try & hire» können sich Betrieb und die versicherte Person als potenzielle langfristige Arbeitnehmerin in einem echten (bezahlten) Arbeitseinsatz kennenlernen und damit die Basis für eine allfällige Festanstellung schaffen.

Der Personalverleih wird seit 2007 in einem Pilotversuch (zunächst unter dem Namen Job-Passerelle und danach als XtraJobs21) ausgetestet. Eine erste Evaluation22 zeigt, dass der Personalverleih zu erfolgreichen Eingliederungen geführt hat.

Gleichzeitig zeigt die Evaluation konzeptionelle Schwachstellen im Projekt auf, die mit der Einführung der Massnahme jedoch gelöst werden können.23 Das Reporting des bisherigen Projektverlaufs (Stand Mitte 2010) ergibt, dass von 316 eröffneten Personalverleih-Dossiers 203 Verleihverträge zustandekamen, woraus bisher 90 Festanstellungen resultierten.24 Mit der Massnahme Personalverleih können also erfolgreiche Eingliederungen ermöglicht werden.

Ergänzung zu den anderen IV-Massnahmen Der Personalverleih ist eine ideale Ergänzung zu den anderen beruflichen Eingliederungsmassnahmen (bestehende und im Rahmen der IV-Revision 6a geplante), wie das folgende Schema zeigt: Einstellung/ Massnahmen

Finanzielle Hilfe IV

Einstellungsmodalitäten

BeschäftigungsStellung/Kosten chancen der Einsatzbetrieb versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt

1. Einstellung

keine

Arbeitsvertrag

gut

Arbeitgeber: Lohnzahlung

2. Einstellung mit EAZ

Einarbeitungszu- Arbeitsvertrag schuss (EAZ)

mittel: Die versicherte Person braucht eine Einarbeitungszeit.

Arbeitgeber: Lohnzahlung (am Anfang mit EAZ)

20

21 22 23

24

Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt erfolgt vielfach zunächst über eine temporäre Anstellung (auch bei Arbeitslosen ist das häufig der Fall). Wie auch die genannten Resultate von XtraJobs zeigen.

Vgl. http://www.xtrajobs.ch Bieri O., Inauen M. & Balthasar A. (in Vorbereitung). Evaluation des Pilotprojekts «XtraJobs».

Im Projekt war vorgesehen, dass die Einsatzunternehmen XtraJobs initiieren sollten: Dies muss jedoch klar die Aufgabe der IV-Stellen und/oder der Personalverleihfirmen sein. Im Weiteren waren die Rollen der IV-Stellen und der Personalverleihfirmen zu wenig klar definiert. Entsprechende Anpassungen werden aufgrund der Evaluation nun im noch laufenden Pilotversuch eingeführt werden.

Weitere 40 Arbeitseinsätze waren noch am Laufen, so dass sich die Zahl der Festanstellungen noch erhöhen könnte.

5744

Einstellung/ Massnahmen

Finanzielle Hilfe IV

Einstellungsmodalitäten

3. Personalverleih

Entschädigung an Personalverleih Personalverleiher (Arbeitsvertrag zwischen versicherter Person und Personalverleiher)

BeschäftigungsStellung/Kosten chancen der Einsatzbetrieb versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt

mittel: Bedarf an Beratung und Betreuung

Einsatzbetrieb: bezahlt Arbeitsleistung an Verleiher

4. Arbeitsversuch Taggeld/Rente

Versuch: Kein Arbeitsvertrag

zu klären: Arbeitsfähigkeit muss getestet werden

Betrieb: keine Bezahlung

5. Integrationsmassnahmen, Umschulung, usw.

Massnahmen: kein Arbeitsvertrag

weniger gut: Die versicherte Person muss vorbereitet, eingearbeitet werden, usw.

­

Kosten der Massnahme und Taggeld/Rente

Der Personalverleih erweitert die Eingliederungsmöglichkeiten somit auf ideale Weise: Einerseits entspricht er einer wirklichen (bezahlten) Anstellung und geht damit klar über den Arbeitsversuch (Revision 6a) hinaus, der auch zu einer Festanstellung führen kann, aber sich gerade dadurch auszeichnet, dass kein Arbeitsverhältnis besteht. Andererseits bietet der Personalverleih dem Unternehmen eine Möglichkeit, eine versicherte Person zwar (bezahlt) zu beschäftigen, aber das Risiko einer Anstellung (noch) nicht einzugehen.

Funktionsweise Der Personalverleih funktioniert wie folgt: Arbeitgeber (Verleiher) überlassen Dritten (Einsatzbetrieben) gewerbsmässig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (vgl. Art. 12 AVG). Der Arbeitgeber/Verleiher ist somit vertraglich zwar an den Arbeitnehmer gebunden, nutzt dessen Dienste aber nicht selber, sondern überlässt sie anderen Einsatzbetrieben. Meist wird diese Möglichkeit genutzt, um einen vorübergehenden Mehrbedarf an Personal zu decken. Der Verleiher benötigt dazu eine Betriebsbewilligung des kantonalen Arbeitsamtes.

Das AVG schützt Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, indem die Verleiher sich an die berufsüblichen Arbeitsbedingungen, den Normalarbeitsvertrag (NAV) oder den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Branche halten müssen.

Im Vergleich zum gewöhnlichen Personalverleih besteht im Rahmen des IVG der Unterschied darin, dass die IV-Stelle mitwirkt. Das Vertragsverhältnis zwischen Verleiher, Einsatzbetrieb und Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer (= versicherte Person) ist das gleiche. Das AVG ist ebenfalls anwendbar.

5745

Schematisch dargestellt sieht der Personalverleih für Versicherte der IV wie folgt aus:

Verleiher

Auftrag

IV-Stelle

Verleihvertrag

Arbeitsvertrag

«IVG»

Einsatzbetrieb

Sorgfalts- und Treuepflichten

Versicherte Person

Die konkreten Abläufe gestalten sich wie folgt: I. Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle Drei unterschiedliche Ausgangslagen können einen Personalverleih auslösen: a.

Die IV-Stelle konnte der versicherten Person eine Arbeit vermitteln (Art. 18 IVG); der Betrieb ist bereit, die Person zu beschäftigen, will sie jedoch ­ selbst mit EAZ ­ nicht fest anstellen.

b.

Die versicherte Person und der Betrieb sind nicht über die IV in Kontakt getreten; sie haben sich auf die Erbringung einer Arbeitsleistung geeinigt, aber der Betrieb möchte das Risiko einer Festanstellung nicht eingehen.

c.

Es steht keine Arbeitsstelle für die versicherte Person zur Verfügung. Die IV-Stelle beauftragt einem Personalverleiher mit der Suche nach einem Arbeitsplatz. Hierbei handelt es sich um die erste Auftragsphase des Personalverleihs, für die der Verleiher entschädigt wird.

II. Abschluss der erforderlichen Verträge Sobald eine Arbeitsstelle gefunden wurde, kommt der eigentliche Personalverleih zum Tragen.

a.

5746

Die IV-Stelle erteilt dem Personalverleiher einen formellen Auftrag, der die von der IV finanzierten Leistungen klärt. Die IV-Stelle erlässt hierzu eine formelle Verfügung: Die IV-Stelle muss den Personalverleih wie alle ande-

ren Eingliederungsmassnahmen genehmigen. Die Zuständigkeit der IV-Stellen muss somit in diesem Sinne geregelt sein.

b.

Verleihvertrag: Der Verleiher und der Einsatzbetrieb schliessen einen Verleihvertrag gemäss AVG ab. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Personalverleih werden die Kosten des Verleihs (Verwaltungskosten, usw.) nicht vom Einsatzbetrieb, sondern von der IV getragen.

c.

Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und der versicherten Person: Die versicherte Person ist vertraglich dem Verleiher und nicht dem Einsatzbetrieb unterstellt.

III. Ablauf des Arbeitseinsatzes a.

Die versicherte Person arbeitet im Unternehmen und unterliegt den Sorgfalts- und Treuepflichten gemäss Obligationenrecht (OR).

b.

Der Verleiher sichert die nötige Beratung und Betreuung sowohl zugunsten der versicherten Person als auch des Einsatzbetriebs.

c.

Der Einsatzbetrieb entschädigt den Verleiher, der der versicherten Person den Lohn bezahlt.

IV. Weiteres Vorgehen nach Beendigung des Personalverleihs Der Personalverleih kann auf eine Festanstellung der Person im Einsatzbetrieb und einen Arbeitsvertragsabschluss hinauslaufen. Selbst wenn kein Arbeitsvertrag zustande kommt, hat die versicherte Person ihre Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern können, indem sie zusätzliche Berufserfahrung erlangt und bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, zu arbeiten. Diese Erfahrung bringt ihr ein Arbeitszeugnis und findet sich im Lebenslauf wieder.

Entschädigung Der Einsatzbetrieb befindet sich im Rahmen dieser IV-Massnahme finanziell gesehen in der gleichen Situation wie ein normaler Arbeitgeber. Folgende Kosten entschädigt die IV im Rahmen des Personalverleihs: a.

die Kosten des Personalverleihs (Kosten für Vermittlung, Suche nach zu vermittelnden Kandidaten, Lohnzahlungen, usw.). Dadurch wird die Massnahme für den Arbeitgeber billiger, als wenn er eine Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einstellen würde. In diesem Sinne hat er auch einen Ausgleich dafür, dass er zusätzliche Anstrengungen unternehmen und mehr Zeit in die Anstellung der versicherten Person investieren muss.

b.

die Kosten für Beratung und Betreuung (der versicherten Person und des Einsatzbetriebes).

c.

die höheren Krankentaggeld- und BVG-Prämien (weil der Verleiher formell als Arbeitgeber der versicherten Person fungiert, muss er auch die Soziallasten und verschiedene Prämien bezahlen; aufgrund des Gesundheitszustandes der versicherten Person fallen diese höher aus).

Spezialisierte Verleihbetriebe Personalverleiher mit Bewilligung nach AVG müssen über die nötige fachliche Erfahrung und das Knowhow verfügen. Ausserdem sind Kenntnisse der Sozialversicherungen und des Verfahrens im Allgemeinen unabdingbar. Insbesondere muss er 5747

fähig sein, eine bezüglich Gesundheitszustand und Ausbildung der versicherten Person adäquate Stelle zu finden und mit der IV und anderen Sozial- und Privatversicherungen zusammenzuarbeiten.

Es ist auch wichtig, dass der Verleiher bei Bedarf so rasch als möglich vor Ort interveniert, um den Verlauf der Massnahmen zu optimieren und etwaige Rückfälle zu vermeiden.

Eingliederungsfähigkeit und eingliederungsorientierte Abklärung versicherter Personen Begriff der Eingliederungsfähigkeit Der Begriff der Eingliederungsfähigkeit findet sich bereits im IVG und wird von der Rechtsprechung verwendet. Dennoch fehlt bis heute eine für den Eingliederungsauftrag der IV relevante, klare gesetzliche Definition dieses Begriffes.

Bislang wird häufig die Arbeitsunfähigkeit (nach Art. 6 ATSG), die eine Voraussetzung für die Zusprache von Frühinterventions- und Eingliederungsmassnahmen ist, auch zur Klärung der Frage herangezogen, ob eine Eingliederung überhaupt angezeigt ist. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit stellt aber im Sinne einer Momentaufnahme nur auf eine medizinisch bedingte Unfähigkeit ab, in einer bisherigen Tätigkeit eine zumutbare Arbeit zu leisten. Für die Eingliederung wesentliche Aspekte bleiben ausser Acht: welche Aufgaben kann die versicherte Person noch erfüllen? In welcher sozialen Situation befindet sie sich? Wie sieht es mit ihrer Motivation aus? Welche Massnahmen könnten, unter Einbezug der vorhandenen Ressourcen, mittelfristig eine Rückkehr ins Erwerbsleben ermöglichen? Nötig ist daher eine konkrete Definition des eher ressourcenorientierten Begriffs der Eingliederungsfähigkeit und somit der Bedingungen, die die Zusprache von Frühinterventions- und Eingliederungsmassnahmen überhaupt sinnvoll erscheinen lassen.

Als eingliederungsfähig soll künftig gelten, wer trotz gesundheitlicher Einschränkungen objektiv in der Lage ist, an Frühinterventions- und Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen, um ins Erwerbsleben zurückzukehren (Art. 7abis Abs. 1 E-IVG).

Die Eingliederungsfähigkeit wird unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit bestimmt (Art. 7abis Abs. 2 E-IVG). Im Gegensatz zu dieser wird sie nicht nur anhand medizinischer, sondern auch aufgrund beruflicher und sozialer Faktoren beurteilt und nimmt Bezug auf die im Einzelfall infrage kommenden Massnahmen und deren möglichen Erfolg im Sinne einer
Kosten-Nutzenabwägung.

Die Begriffe Arbeitsunfähigkeit und Eingliederungsfähigkeit beziehen sich somit auf unterschiedliche Kontexte und sind nicht deckungsgleich. Arbeitsunfähigkeit ist die Voraussetzung für eine Eingliederungsleistung der IV. Die Eingliederungsfähigkeit zeigt, unter welchen Bedingungen eine Eingliederungsleistung möglich und sinnvoll ist. Die Eingliederungsfähigkeit ist also Grundlage für die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Eingliederung.

Kompetenz der Versicherung zur Festlegung der Eingliederungsfähigkeit Schon heute wird die Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit als Aufgabe der IV-Stelle in Artikel 57 IVG umschrieben. Aus versicherungslogischer Sicht fehlt jedoch bislang die explizite Formulierung, dass die Kompetenz zur Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit bei der IV liegen sollte.

Die IV ist die einzige Sozialversicherung mit einem ausdrücklichen Auftrag zur Eingliederung von gesundheitlich beeinträchtigten versicherten Personen; das IVG 5748

schreibt diese Aufgabe den IV-Stellen zu. Daher muss auch die Zuständigkeit zur Bestimmung, ob eine Eingliederung angezeigt ist, bei der IV liegen. Eingliederungsmassnahmen, die zum Teil durch zeit- und ressourcenintensive Abklärungen und Gespräche vorbereitet wurden, sollen nicht länger durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die für sich allein genommen keinerlei Aussagekraft bezüglich einer möglichen Eingliederung haben, torpediert werden können.

Die Kompetenz zur Festlegung der Eingliederungsfähigkeit einer Person, unter Berücksichtigung medizinischer und beruflicher Kriterien, liegt daher künftig allein bei den IV-Stellen (Art. 7a Abs. 3 E-IVG).

Die IV-Stellen arbeiten eng mit den behandelnden Ärzten zusammen, können die medizinischen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs aber auch durch die Ärzte der RAD beurteilen lassen. Diese beurteilen für die Überprüfung des Rentenanspruchs auch die medizinischen Voraussetzungen für die funktionelle Leistungsfähigkeit der Versicherten, unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen.

Besonderes Augenmerk lenken sie darauf, wie sich die medizinischen Aspekte auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auswirken. Aus systematischen Gründen werden die geltenden Bestimmungen zu den RAD (Art. 59 Abs. 2 und 2bis) in einen neuen Artikel 54a E-IVG verschoben. Die in der Vernehmlassung heftig kritisierte Bestimmung, dass für die Festlegung der funktionellen Leistungsfähigkeit einer versicherten Person, eine zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben, ausschliesslich die abschliessende Beurteilung der RAD massgebend ist, wird nicht ins Gesetz aufgenommen.

Ganzheitliche Abklärung Die «Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen25» hat gezeigt, dass dem Abklärungsprozess in der Invalidenversicherung grundsätzlich ein gutes Zeugnis ausgestellt werden kann. Die medizinischen Beurteilungen sind professionell und stützen sich auf medizinische Aspekte, ohne z. B. aufgrund von soziodemographischen Merkmalen zu diskriminieren. Das Verfahren wurde aber nur mit Bezug auf die mit der Rentenprüfung einhergehenden Abklärungen analysiert. Den eingliederungsorientierten Aspekten der Abklärung kann leider kein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Hier zeigt sich, dass über der ausgeprägten Fokussierung auf die Erhebung der rein medizinischen Aspekte des Sachverhaltes,
die eingliederungsorientierten Fragestellungen quasi gänzlich vergessen gehen. Anders ist nicht zu erklären, dass bei der Hälfte der geprüften Dossiers in den durchschnittlich 5-seitigen medizinischen Dokumenten entweder gar keine Folgen der Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit ausgewiesen werden oder nur in einem einzigen Satz darauf hingewiesen wird. Konkret handlungsleitende Aussagen, welche der Einleitung individueller beruflicher Massnahmen dienen würden, fehlen vollständig.

Heute werden die medizinischen Faktoren und die Aspekte, die die berufliche Eingliederung betreffen, in zwei getrennten Verfahren abgeklärt. Diese Trennung führt zu Verzögerungen im Verfahren und zu mehrfachen Abklärungen. Wenn das medizinische Gutachten der Planung der Eingliederung nicht dient, muss in weiteren Abklärungen festgestellt werden, ob eine Eingliederung angezeigt und sinnvoll ist.

Zeitverlust ist im Bereich der Eingliederung jedoch deckungsgleich mit Verlust an 25

Baer, N., Fasel, T., Frick, U. (2009). Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen. Typologisierung der Personen, ihrer Erkrankungen, Belastungen und Berentungsverläufe. Beiträge zur Sozialen Sicherheit.

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Eingliederungschancen. Die Trennung der Abklärungsverfahren ist also ein grosses Hindernis für eine erfolgreiche Eingliederung. Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass die Eingliederungserfolge bei Menschen mit psychischen Behinderungen geringer sind und dass ihnen deutlich häufiger ganze Renten zugesprochen werden als Personen mit anderen Erkrankungsbildern. Es ist also zwingend, dass die IV in Zukunft zwingend auf eine ganzheitliche eingliederungs- und ressourcenorientierte Abklärung abzustellen ist, die unter Einbezug von Fachspezialistinnen und Fachspezialisten verschiedener Berufsrichtungen, insbesondere der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, die medizinische, arbeitsmarktliche und soziale Situation der versicherten Person berücksichtigt. Ziel muss sein, unter der Verantwortung der Eingliederungsfachperson einen von allen involvierten Fachspezialistinnen und Fachspezialisten getragenen Entscheid darüber zu treffen, welche Strategie angewendet werden soll: Eingliederung oder Eingliederung und Teilrente oder Rente.

Diese ganzheitliche Beurteilung kann zu einem oder zu mehreren Zeitpunkten im IV-Prozess stattfinden. Sie kann aber auch als ein den Eingliederungsprozess flankierender, permanenter Evaluationsprozess verstanden werden, bei dem die Ziele immer wieder zu überprüfen und allenfalls anzupassen sind. In jedem Fall müssen bei der Beurteilung der Bedarf der versicherten Person und vor allem deren Ressourcen und Möglichkeiten berücksichtigt sowie die Leistungen der involvierten Leistungsträger koordiniert werden.

Der Einbezug der dem jeweiligen Sachverhalt gerecht werdenden internen und externen Fachpersonen obliegt der Eingliederungsfachperson der IV-Stelle. Grundsätzlich sollten alle Personen einbezogen werden, welche mit Blick auf die anstehenden nächsten Schritte wesentliche Informationen beitragen können. Dies können neben der versicherten Person selbst insbesondere folgende Beteiligte sein: Behandelnde Ärztinnen und Ärzte, ggf. die RAD-Ärztin oder der RAD-Arzt, Fachspezialistinnen und Fachspezialisten anderer Versicherungsträger, Case Manager der Krankentaggeldversicherung, oder auch frühere oder aktuelle Arbeitgeber etc.

Umfang und Tiefe des Abklärungsprozesses ergeben sich oft erst innerhalb desselben. Der Umfang der Abklärung kann variieren zwischen ­

einem interprofessionellen Gespräch, oder

­

der Beobachtung der versicherten Person bei der Ausübung einer den beruflichen Alltag widerspiegelnden Tätigkeit

­

einmaligen, mehrmaligen, punktuellen Abklärungen oder einer eigentlichen Abklärungsphase während eines bestimmten Zeitraums.

Schlussendlich erfolgt, neben der Einschätzung der Eingliederungsfähigkeit, die Erhebung des Eingliederungsbedarfs sowie die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Eingliederungsmassnahmen, aus denen sich letztlich auch die Verhältnismässigkeit der geplanten Massnahmen ableitet. Auf Grundlage dessen wird ein Bericht mit einem Eingliederungsplan erstellt, welcher von allen Beteiligten verbindlich unterstützt wird. Dieser umschreibt die für die Eingliederung konkret geplanten Etappen und Massnahmen.

Gerade bei Menschen mit psychischen Behinderungen sollte eine solchermassen interprofessionell ausgerichtete Abklärung zu deutlich verbesserten Einschätzungen der Eingliederungsfähigkeit und zur Empfehlung zielgerichteter Massnahmen führen. Auf die ursprünglich vorgesehene Festschreibung im Gesetz, wie genau und ob dies beispielsweise anhand eines so zu bezeichnenden interprofessionellen Assess5750

ments geschehen soll, wird unter Bezugnahme auf die Vernehmlassungsantworten verzichtet. Die Wahl der jeweils geeigneten Mittel ergibt sich letztlich in jedem Einzelfall.

Abklärung, Eingliederung und verstärkte Teilrentenpraxis Der Sachverhalt, der einer Leistung zugrunde zu legen ist, muss rechtsgenüglich abgeklärt werden. Je nachdem, welche Leistung bzw. Massnahme zur Diskussion steht, bedingt dies den Einbezug unterschiedlicher Fachpersonen.

Geht es ausschliesslich um eingliederungsorientierte Fragen, ist der Beizug einer Ärztin oder eines Arztes, auch der RAD-Ärztin oder des RAD-Arztes, nicht zwingend erforderlich, insbesondere aber ist das Einholen von Arztberichten und medizinischen Gutachten eher nicht notwendig. Medizinische Aspekte spielen während der Eingliederung zwar durchaus eine Rolle, sie stehen aber im Gegensatz zu deren Auswirkungen auf die Eingliederungsfähigkeit während der Eingliederungsphase nicht im Mittelpunkt des Interesses. Um nicht wertvolle Zeit zu verlieren und somit auch keine Chronifizierungen zu riskieren, darf im Eingliederungsprozess auf erschöpfende medizinische Abklärungen verzichtet werden. Entscheidend für die Eingliederungsfähigkeit ist in erster Linie, was eine Person (noch) kann und weniger was sie nicht mehr kann, wie dies etwa durch das Arbeitsunfähigkeitszeugnis attestiert wird.

Anders verhält es sich, wenn sich im Laufe der Eingliederungsphase zeigt, dass für eine versicherte Person die Ausrichtung einer (Teil-)Rente ein Thema wird (z. B.

parallel zur Erhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes). Um in solchen Fällen ein sequenzielles Aneinanderreihen verschiedener Abklärungen zu vermeiden, ist im Moment, in dem sich abzeichnet, dass eine Rentenprüfung unumgänglich wird, zwingend eine Ärztin oder ein Arzt ins Beurteilungsteam einzubinden, um die notwendigen medizinischen Abklärungen vorzunehmen.

Neu ist daran, dass in diesem Fall medizinische Abklärungen parallel und insbesondere «verlinkt» mit der Eingliederung erfolgen müssen, z. B. indem im Rahmen eines Arbeitsversuches die Festlegung der funktionellen Leistungsfähigkeit gestützt auf die konkreten Tätigkeiten an diesem «Testarbeitsplatz» und unter Miteinbezug der Einschätzungen des «Arbeitgebers» erfolgt. Gleichzeitig kann die Einbindung der medizinischen Sicht dazu beitragen, den Eingliederungsverlauf
zu optimieren, indem z. B. eine medizinische Beratung zur bestmöglichen Verwertung dieser Leistungsfähigkeit in der konkreten Tätigkeit erfolgt (Arbeitsplatzanpassung, Initiieren einer arbeitspsychologischen Beratung, Einüben sozialer Fähigkeiten im «Testteam», etc). Vor diesem Hintergrund wird in diesen Fällen am Ende der Abklärungsbzw. Eingliederungsphase gestützt auf sorgfältig erhobene Beurteilungsergebnisse ein rascher Rentenentscheid möglich, ohne unbedingt nochmals den Rentenanspruch vollständig zu prüfen.

Abklärung, Eingliederung und die Bedeutung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte Obwohl also während der Eingliederungsphase eine umfassende Abklärung der medizinischen Situation nicht im Vordergrund steht und damit insbesondere nicht das Einholen von Arztzeugnissen und -berichten, sollte dennoch bereits während dieser Phase der Kontakt zur behandelnden Ärztin oder zum behandelnden Arzt möglichst unbürokratisch (Gespräch vor Akten) gesucht werden. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sind auch während der Eingliederungsphase eine Vertrauensund Bezugsperson der versicherten Person und tragen dadurch wesentlich zum 5751

Gelingen der Eingliederung bei. Sie verfügen über eine umfassende Kenntnis der Krankheitsgeschichte sowie der aktuellen medizinischen Situation der betreffenden Person. Die Eingliederungsfachperson der IV-Stelle ist dafür verantwortlich, dieses Wissen bei der Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit und der Bestimmung der auf eine versicherte Person zugeschnittenen Massnahmen einzubeziehen. Dabei wäre es wünschenswert, wenn von medizinischer Seite der Zusammenhang zwischen Krankheitsdiagnose und den damit verbundenen Erwerbsfolgen in Zukunft stärker herausgestellt werden könnte und dabei auf Ressourcen, Potenziale und Rehabilitationsmöglichkeiten der behandelten Person verstärkt Bezug genommen würde.

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass es für interessierte, engagierte Ärztinnen und Ärzte nicht immer einfach ist, in eine Zusammenarbeit mit den IV-Stellen einzusteigen. Oft ist das Leistungsspektrum der IV zu wenig bekannt, weshalb mögliche Dienstleistungen gar nicht bedacht werden. Mitunter herrscht Unklarheit über die Organisation der kantonalen IV-Stelle sowie die richtigen Ansprechpartner. Selbst wenn beispielsweise im Rahmen eines von der IV-Stelle organisierten Gespräches ein Kontakt erstellt ist, bleiben wichtige Punkte zu oft unbeantwortet. Dazu gehört auch die Frage, wie die Zeit, welche die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt für eingliederungsbezogene Leistungen und Gespräche aufbringt, abgerechnet werden kann. Dabei ist es bereits im Rahmen der aktuellen IV-Regularien möglich, Ärztinnen und Ärzte für Leistungen, die sie für die IV erbringen, zu entschädigen.

Die neu für die IV-Stelle eingeführte Aufgabe der Beratung und Information der meldeberechtigten Stellen und Personen (Art. 57 Abs. 1 Bst. i E-IVG) wird auch diesen Aspekten Rechnung zu tragen haben und darauf abzielen, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte nicht nur über das eigene, weit gefächerte Angebot zu informieren, sondern auch über die Möglichkeit einer gut organisierten und insbesondere auch bezahlten Zusammenarbeit.

Rechte und Pflichten Rechte Neu bei der IV angemeldete Personen haben Anspruch auf Massnahmen zur Eingliederung, sofern die Eingliederungsfähigkeit durch die IV-Stelle festgestellt wurde und die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Um mittels verstärkter Eingliederung einen Rückgang der Neurenten zu
erreichen, wird der Fokus in der vorliegenden Revision auf eine Stabilisierung und Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und des Gesundheitszustands der versicherten Personen gelegt. Dazu wird ihnen eine Eingliederungsfachperson der IV-Stelle zur Seite stehen. Bedarfsgerechte Eingliederungsmassnahmen sollen diesen Prozess ermöglichen.

Die Eingliederungsfähigkeit wird unter Berücksichtigung medizinischer und berufsbezogener Faktoren, sowie anhand der Ressourcen und Potenziale einer versicherten Person festgestellt. Die Eingliederungsphase endet mit der abschliessenden Beurteilung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, woran sich die (teilweise) Eingliederung in den ausgeglichenen Arbeitsmarkt oder aber, unter Voraussetzung der sonst erfüllten Anspruchsbedingungen, die Prüfung einer (Teil-)rente anschliessen kann.

Mit den vorgesehenen Massnahmen wird die Grundlage dafür gelegt, dass neu bei der IV angemeldete versicherte Personen auf inhaltlich und zeitlich adäquate Weise an eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden können.

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Pflichten Es steht nicht im freien Belieben der versicherten Personen, ob sie sich eingliedern lassen wollen oder nicht. Die IV-Stelle entscheidet über die Eingliederungsfähigkeit der betroffenen Person und die damit verbundenen Leistungen der IV. Kommt die IV-Stelle zum Schluss, dass eine Verbesserung der Erwerbsfähigkeit mit Hilfe von geeigneten Massnahmen voraussichtlich erreicht werden kann, so entsteht für die betroffene Person eine gesetzliche Pflicht zur Mitwirkung. Dieser Grundsatz wurde bereits mit der 5. IV-Revision eingeführt. Die aktive Mitwirkung der versicherten Person ist für das Gelingen der Eingliederung unabdingbar.

Mit der 5. IV-Revision wurde das Primat der Eingliederung vor Rente in Artikel 28 Absatz 1 IVG bereits festgeschrieben. Schon heute kann ein Rentenanspruch nur entstehen, wenn alle zumutbaren Eingliederungsmassnahmen ausgeschöpft sind. Der Entscheid über die für eine Person geeigneten und erfolgversprechenden Eingliederungsmassnahmen erfolgt künftig im Zuge der ganzheitlichen, interprofessionellen und potentialorientierten Einschätzung der Eingliederungsfähigkeit nach Artikel 7abis. Die unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit zu beurteilende Eingliederungsfähigkeit ist somit ein zentraler und differenziert zu beurteilender Begriff im Eingliederungsprozess. Um den Grundsatz «Eingliederung vor Rente» zu unterstreichen, macht es somit gemäss Artikel 28 Buchstabe a E-IVG Sinn, einen Rentenanspruch nur dann zu prüfen, wenn eine versicherte Person nicht eingliederungsfähig im Sinne von Artikel 7abis ist. Dies ist die grundlegende vor allen weiteren Bestimmungen von Artikel 28 zu prüfende Bedingung.

Dies berührt jedoch nicht einen bereits während der Eingliederung absehbaren Teilrentenanspruch, der um eine teilweise Eingliederung zu unterstützen schnellstmöglich zu prüfen ist, wenn alle anderen Bedingungen nach Artikel 28 erfüllt sind.

Auch Personen, für die eine Eingliederungsfähigkeit in der Zukunft zwar erkennbar ist, die jedoch zum momentanen Zeitpunkt noch nicht in der Lage sind, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen, ist wenn die weiteren Bedingungen von Artikel 28 erfüllt sind, ein möglicherweise vorläufiger und unter Auflagen auszusprechender Rentenanspruch zu prüfen.

Der Entscheid über durchzuführende Eingliederungsmassnahmen muss innerhalb eines Jahres nach
Anmeldung fallen (Art. 49 IVG), womit verhindert wird, dass die IV in Fällen, in welchen noch keine Massnahmen möglich sind, mit dem Entscheid zuwartet, um damit die Zusprache einer Rente zu verhindern. Das Ziel von Artikel 49 IVG ist, dass die IV, wenn eine Person nicht oder noch nicht eingliederungsfähig ist, den Rentenanspruch immer prüft, und dies unabhängig davon, ob in Zukunft Eingliederungsmassnahmen geplant sind oder nicht. Personen jedoch, welche eingliederungsfähig sind und damit an Eingliederungsmassnahmen der IV teilnehmen können, erhalten während der Teilnahme in der Regel ein Taggeld der IV. In Anbetracht dieser Regelungen ist ein Anstieg von Fällen, die aufgrund der neuen in Artikel 28 Buchstabe a IVG verankerten Bedingung auf Sozialhilfe angewiesen sind, nicht zu vermuten.

Um die Erfolgschancen der Eingliederungsbemühungen zu erhöhen, wird Artikel 28 Buchstabe b IVG ergänzt. Damit die Prüfung des Rentenanspruchs erfolgt, muss künftig zusätzlich zu den bisherigen Bedingungen die Voraussetzung erfüllt sein, dass die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit sich im Aufgabenbereich zu betätigen nicht durch medizinische Behandlungen im Sinne von Artikel 25 KVG, Artikel 10 UVG, Artikel 16 MVG wiederhergestellt, erhalten oder verbessert werden kann.

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Durch diese Konkretisierung wird der mit der 5. IV-Revision eingeleitete Eingliederungsfokus der Versicherung weiter gestärkt.

Heute werden bei Menschen mit psychischen Behinderungen nicht selten Renten gesprochen, ohne dass die betroffene Person jemals in Behandlung bei einer Psychiaterin oder einem Psychiater oder einer oder einem Psychotherapeuten war. Eine Vielzahl psychischer Krankheiten sind jedoch dahingehend behandelbar, dass eine Heilung oder Stabilisierung erzielt werden kann.

Dass die IV die Durchführung von Therapien für das Ausrichten von Leistungen voraussetzen darf, macht aus versicherungsrechtlicher Sicht Sinn. Weil die Versicherung damit jedoch im therapeutischen Bereich tätig wird, sollte jede medizinische Auflage vor Erlass mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Dies bedeutet eine weitere Entlastung des Verhältnisses zwischen IV und Ärzteschaft. Weitere involvierte Partner sind bei Bedarf einzubeziehen. So muss zum Beispiel sichergestellt sein, dass die Kosten für eine verordnete Massnahme von der Krankenversicherung übernommen werden.

Würdigung der geplanten Massnahmen im Zusammenspiel aller Akteure Die Erweiterung von Früherfassung und Integrationsmassnahmen, ergänzt durch die eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung der Arbeitgeber, erhöhen die Chancen, dass Personen, welche nach bisheriger Praxis Rentenbezügerinnen würden, im Erwerbsleben verbleiben können und ohne IV-Rente beziehungsweise lediglich mit einer IV-Teilrente auskommen können.

Insgesamt sollen die aufgezeigten Massnahmen in Fortsetzung der 5. IV-Revision dem Grundsatz «Eingliederung vor Rente» ein noch stärkeres Gewicht verleihen, insbesondere durch Vertiefung des Präventionsgedankens und zielgerichtetere Eingliederungsmassnahmen. Dabei wird der engen Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern besondere Bedeutung beigemessen, um gefährdete Arbeitsverhältnisse erhalten zu können. Neben deren Beratung und Begleitung spielt auch die erweiterte Früherfassung eine wichtige Rolle, um bedarfsgerechte Hilfestellungen anbieten zu können. Ein Nebeneffekt kann die Reduktion von Krankheitstagen sein, wenn es nicht mehr einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedarf, um Frühinterventionsmassnahmen in Anspruch zu nehmen. Für Arbeitgeber und Versicherten wird somit die Schwelle
zur Nachfrage nach Beratungsleistungen der IV weiter gesenkt.

Die gesetzliche Verankerung der eingliederungsorientierten Beratung und Begleitung der Arbeitgeber ist ein wichtiges Signal, dass die IV die Arbeitgeber als Kunden wahrnimmt und ihnen ein entsprechendes Leistungsangebot eröffnet. Erstmals sind damit IV-Leistungen nicht mehr an eine versicherte Person gebunden, und das Kundenverhältnis besteht zwischen Arbeitgeber und IV. Zudem profiliert sich die IV als Präventionsversicherung.

Mit der Aufhebung der zeitlichen Befristung von Integrationsmassnahmen erhalten die IV-Eingliederungsfachpersonen mehr Spielraum in der Gestaltung von bedarfsgerechten Eingliederungsplänen. Zudem wird damit einem Anliegen der Psychiatrie Geltung verschafft, weil gerade die Eingliederung von Menschen mit psychischen Behinderungen oftmals mehr Zeit als die bisher definierte Zeitspanne erfordert.

Gleichzeitig soll der Ansatz der wirtschaftsnahen Integration (Begleitung am Arbeitsplatz) weiter verstärkt werden. Dies bedingt einen erhöhten Ressourceneinsatz im Bereich der Arbeitgeberakquisition bei den IV-Stellen. Der Zugang zum 5754

ersten Arbeitsmarkt soll zusätzlich auch über die neue Eingliederungsmassnahme Personalverleih ermöglicht werden.

Mit der gesetzlichen Verankerung der unter medizinischen und berufsbezogenen Aspekten festzulegenden Eingliederungsfähigkeit verliert die rein medizinisch festgelegte Arbeitsunfähigkeit an Bedeutung. Damit verändert sich die Rolle der behandelnden Ärztinnen und Ärzte: Heute erschöpfen sich ihre Beziehungen zur IV oftmals im Ausfüllen von Arztberichten und dem Attestieren von Arbeitsunfähigkeiten. Zukünftig sollen sie aktiver in den Eingliederungsprozess eingebunden werden und ihre Sichtweisen einbringen. Die Kommunikation zwischen IV und Ärzteschaft verlagert sich von der schriftlichen auf die mündliche Ebene, was für die Ärztinnen und Ärzte eine administrative Entlastung bedeutet und dem mit der 5. IV-Revision eingeführten Leitsatz «Gespräch vor Akten» entspricht. Das oftmals konfliktgeladene Verhältnis zwischen Versicherungs- und Behandlungsmedizin wird entschärft, weil die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt als Netzwerkpartner die Möglichkeit erhält, den Eingliederungsprozess mitzugestalten. Wenn wichtige Entscheide über die Eingliederungsstrategie gemeinsam gefällt werden, bedeutet das eine höhere Verbindlichkeit für alle Beteiligten, inklusive der versicherten Person.

Die Entkoppelung der Eingliederungsfähigkeit von der Arbeitsfähigkeit verhindert zudem, dass subjektiv arbeitsunfähige Versicherte mit dem wiederholten Einreichen von Arbeitsunfähigkeitszeugnissen den Eingliederungsprozess erschweren können.

Bereits heute kann ein Rentenanspruch nur entstehen, wenn alle zumutbaren Eingliederungsmassnahmen ausgeschöpft worden sind. Diesem Grundsatz wird ein stärkeres Gewicht verliehen, indem ein Rentenanspruch künftig nur entsteht, wenn eine Person nicht eingliederungsfähig ist. Ausserden werden neu auch die medizinischen Behandlungen nach KVG als Massnahmen aufgeführt. Kommt die IV-Stelle zum Schluss, dass mit zumutbaren geeigneten medizinischen Massnahmen die Erwerbsfähigkeit verbessert werden kann, so wird die Prüfung des Rentenanspruchs bis zur Erfüllung der Auflage aufgeschoben.

Insgesamt ist vor dem Hintergrund der geplanten Massnahmen damit zu rechnen, dass die Zahl der gewichteten Neurenten aus psychischen Gründen mittelfristig sinken wird.

Finanzielle Auswirkungen
Der Fokus der dargestellten Massnahmen liegt auf der verstärkter Teilhabe und Integration von Menschen mit psychischen Behinderungen. Derzeit machen diese Personen 42 Prozent am Gesamtbestand aller Rentnerinnen und Rentner aus, und es ist gleichzeitig die grösste Gruppe der jährlichen Neurentnerinnen und -rentner. Die verstärkte Eingliederung wird langfristig eine Senkung der Neurenten mit sich bringen.

Zunächst jedoch werden die Massnahmen mit Investitionen einhergehen. Insgesamt sind für die in der vorliegenden Revision vorgesehenen Massnahmen 100 zusätzliche Stellen ab dem geplanten Inkrafttreten der Revision 2015 vorgesehen (vgl.

Ziff. 3.1.2). Neben dem notwendigen Auf- und Ausbau von Knowhow in den IV-Stellen können jedoch zusätzlich auch externe Dienstleistungen eingekauft werden.

Die Massnahmen, die am Arbeitsplatz stattfinden, sollten die höchsten Erfolgsquoten haben, und sie verursachen gleichzeitig die geringsten Kosten. Denn die so

5755

begleiteten versicherten Personen benötigen kein Taggeld, da sie sich noch in Arbeit befinden.

Die Berechnungen berücksichtigen auch, dass Personen, die trotz Massnahmen schliesslich eine Rente erhalten, Kosten für die entsprechenden Massnahmen verursacht und gegebenenfalls Taggelder bezogen haben.

Unter der Annahme, dass die geplanten Massnahmen vor allem zur Verhinderung von ganzen Renten zugunsten von Teilrenten führen werden, wird erstmals im Jahr 2019 mit einer Netto-Ersparnis in Höhe von 30 Millionen Franken gerechnet. Zwischen 2015 und 2025 wird nach Abzug der Investitionskosten eine durchschnittliche Ersparnis von jährlich 50 Millionen Franken erwartet.

Die Wirkung der Ausgabenreduktion ist in zeitlicher Hinsicht verschoben, da in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten die Investitionskosten zu Buche schlagen.

Andererseits führen eingesparte Renten aber nicht nur im Jahr zu Einsparungen, in dem die Eingliederung erfolgt, sondern ebenso in allen Folgejahren, in denen die versicherte Person ohne Eingliederung weiterhin ein Rente beziehen würde. Daher kumulieren sich die erwarteten Einsparungen über die Jahre.

1.3.3

Neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern

Hintergrund und Zweck IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Kindern bis 18 Jahre (bzw. bis 25 Jahre, falls diese in Ausbildung sind) erhalten gemäss Artikel 35 IVG zusätzlich zur Invalidenrente eine Kinderrente. Diese beträgt 40 Prozent der Invalidenrente (Art. 38 IVG), das entspricht im Jahr 2011 mindestens 464 Franken (bei einer IV-Rente von 1160 Franken) und maximal 928 Franken pro Monat (bei einer IV-Rente von 2320 Franken). Die durchschnittliche Kinderrente beträgt 531 Franken pro Monat (Stand Dezember 2010). Haben beide Elternteile einen Anspruch auf eine Kinderrente (beide Elternteile invalid oder ein Elternteil invalid und der andere pensioniert), ist die Summe der beiden Kinderrenten auf 60 Prozent der maximalen Invalidenrente plafoniert (1392 Franken).

Ein Viertel der IV-Rentnerinnen und -Rentner bezieht Kinderrenten, in den meisten Fällen (87 %) für 1 oder 2 Kinder: Im Dezember 2010 wurden an 60 000 IV-Rentnerinnen und -Rentner für insgesamt 96 000 Kinder im Umfang von 611 Millionen Franken ausgerichtet. Bei 12 000 Kindern hatten beide Elternteile einen Anspruch auf eine Kinderrente.

Auch die AHV richtet Rentnerinnen und Rentnern mit Kindern eine Kinderrente aus: Im Dezember 2010 wurden an 15 000 AHV-Rentnerinnen und -Rentner für insgesamt 20 000 Kinder im Umfang von 139 Millionen Franken ausgerichtet. In der AHV und IV gelten die gleichen Ansätze.

Die Invalidenrente wie die Kinderrente stellen ein Ersatzeinkommen für den Wegfall des Erwerbseinkommens dar. Weil Rentnerinnen und Rentner mit Kindern zusätzliche Kosten haben, benötigen sie ein höheres Ersatzeinkommen. Mittels Aequivalenzskalen wird gemessen, wie viel zusätzliche Mittel ein Haushalt mit einer bestimmten Anzahl Kinder gegenüber einem gleichen Haushalt ohne Kinder benötigt, um das gleiche Wohlfahrtsniveau zu erreichen. Die national und international 5756

gebräuchlichen Aequivalenzskalen (vgl. Tabelle 1-7) bewegen sich zwischen einem Zuschlag von 20 und 33 Prozent pro Kind. Auch im Vergleich zur beruflichen Vorsorge (20 %) und den Ergänzungsleistungen (21­31 %) ist der in der IV verwendete Ansatz von 40 Prozent vergleichsweise hoch.

Tabelle 1-7 Aequivalenzskalen und Ansätze für Kinder

1. Kind 2. Kind 3. Kind

IV-/AHVKinderrente26

Kinderrente nach BVG27

OECD28

SKOS29

EL30

40 % 40 % 40 %

20 % 20 % 20 %

30 % 30 % 30 %

33 % 28 % 28 %

31 % 30 % 21 %

Die vergleichsweise hohen Prozentansätze der IV lassen sich dadurch erklären, dass das Ersatzeinkommen ursprünglich hauptsächlich durch die IV geleistet wurde. Seit Einführung der Kinderrenten wurden jedoch weitere Leistungen für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern eingeführt:

26 27

28

29

30

­

Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 1. Januar 1985 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG,1.1.1985; SR 831.40) besteht in der 2. Säule zusätzlich Anspruch auf eine Kinderrente in der Höhe von 20 Prozent der IV-Rente nach BVG (gut 45 % der IV-Rentnerinnen und Rentner beziehen zusätzlich Leistungen der 2. Säule).

­

Seit 1966, als das Bundesgesetz über die Ergänzungsleistungen (ELG; Totalrevision per 1.1.2008; SR 831.30) in Kraft getreten ist, ist sichergestellt, dass auch Rentnerinnen und Rentner mit tiefen Renten und mit unterstützungspflichtigen Kindern über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um die Lebenshaltungskosten bestreiten zu können (im Jahr 2009 erhielten 13 Prozent der IV-Rentnerinnen und IV-Rentner mit Kindern EL).

­

Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Familienzulagen (FamZG im Januar 2009 wurde der Anspruch auf Familienzulagen einheitlich geregelt (Kinderzulage mindestens 200 Franken, Ausbildungszulage mindestens 250 Franken pro Monat). Damit hat sich die Möglichkeit, Familienzulagen (FZ) zu erhalten, auch für IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Kindern ver-

Die Werte beziehen sich auf den Anteil an der Invalidenrente, der pro zusätzliches Kind (ohne Plafonierung) ausbezahlt wird.

Vgl. Art. 25 BVG in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 BVG. Die Werte beziehen sich auf den Anteil an der Invalidenrente, der pro zusätzliches Kind (ohne Plafonierung) ausbezahlt wird.

Quelle: OECD, «What are equivalence scales?», unter: http://www.oecd.org/dataoecd/61/52/35411111.pdf. Die Werte beziehen sich auf die Zunahme des Skalenwerts pro zusätzliches Kind einer 2-Eltern-Familie.

Quelle: Grundbedarf (ohne Miete und medizinische Kosten) gemäss den SKOS-Richtlinien, unter: http://www.skos.ch/store/pdf_d/richtlinien/richtlinien/RL_deutsch_2009.pdf, S. 57, Abschnitt B.2.2.

Diese Skala liegt implizit den Bedarfsrechnungen (Lebensbedarf + Mietzins) der EL zugrunde (Stand 2009). Die Werte beziehen sich auf die Zunahme des Skalenwerts pro zusätzliches Kind einer 2-Eltern-Familie.

5757

bessert.31 Schätzungen des BSV gehen davon aus, dass für über 80 Prozent der in der Schweiz lebenden Kinder, für welche eine Kinderrente ausgerichtet wird, zusätzlich auch eine Familienzulage oder Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden.

In Anbetracht dieser neuen Leistungen muss der Zuschlag von IV und AHV kritisch überdacht werden.

Auch im internationalen Vergleich sind die Leistungen der IV an Rentnerinnen und Rentner mit Kindern sehr hoch. In Deutschland und den Niederlanden besteht beispielsweise für Personen mit Kindern kein Anrecht auf eine höhere Invalidenrente, und in Österreich werden 29 Euro pro Monat und Kind ausgezahlt. Einzig Norwegen zahlt 40 Prozent der Invalidenrente für Kinder von Personen mit Behinderungen­ allerdings nur an bedürftige Familien.

Vorgeschlagene Massnahmen Anpassung der IV-Kinderrente Der Zuschlag für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern soll an die prozentualen Zusatzkosten, welche ein Kind gemäss den gebräuchlichen Äquivalenzskalen verursacht, angepasst werden. Die Kinderrente soll deshalb neu 30 statt 40 Prozent der Invalidenrente betragen.

Bei einer Anpassung der Kinderrente muss auch der Anspruch, falls beide Elternteile je einen Anspruch auf eine Kinderrente haben (Doppelanspruch), angepasst werden. Wie heute wird die Summe der beiden Kinderrenten auf das Anderthalbfache einer Kinderrente gekürzt und beträgt also neu maximal 45 statt wie bisher 60 Prozent. Der Maximalanspruch richtet sich zudem neu nicht mehr nach der maximalen Invalidenrente sondern vielmehr nach der tatsächlichen unplafonierten Invalidenrente. Falls beide Elternteile einen Anspruch auf eine Kinderrente haben, beträgt die Kinderrente also pro Elternteil je 22,5 Prozent der jeweiligen IV-Rente.

Die Änderungen sollen im Sinne einer Abfederung bei bisher laufenden Kinderrenten erst 3 Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision angewendet werden. Für neue Kinderrenten gelten die neuen Ansätze ab Inkrafttreten der Gesetzesrevision.

Weiterhin soll für ein Kind sowohl eine Kinderrente als auch eine Kinderzulage ausgerichtet werden können, denn die beiden Leistungen haben eine unterschiedliche Zielsetzung: Die Kinderrente stellt ein Ersatzeinkommen dar, die Kinderzulage 31

Der Bezug von Familienzulagen für Arbeitnehmende (sei es durch die rentenbeziehende Person selbst oder durch den anderen Elternteil) bleibt auch für IV-Rentnerinnen und -Rentner uneingeschränkt bestehen. Neu gibt es auch bei Teilzeitarbeit volle Familienzulagen, sofern das Erwerbseinkommen im Jahr mindestens 6960 Franken beträgt (Ansatz 2011). Früher gab es meist nur eine Teilzulage, die im Verhältnis zum Beschäftigungsgrad stand. Neu besteht in der ganzen Schweiz Anspruch auf Familienzulagen für Nichterwerbstätige, sofern das Jahreseinkommen 41 760 Franken nicht übersteigt (Ansatz 2011). Früher gab es nur in 5 Kantonen Familienzulagen für Nichterwerbstätige.

Der Bezug von Ergänzungsleistungen schliesst allerdings den Bezug von Familienzulagen durch nichterwerbstätige IV-Rentnerinnen und -Rentner aus. Angesichts der Ausgestaltung der Grenzwerte für den EL-Bezug und für den Anspruch auf Familienzulagen kann davon ausgegangen werden, dass nichterwerbstätige IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Kindern i.d.R. entweder Ergänzungsleistungen erhalten oder, wenn ihr Gesamteinkommen die Einkommensgrenze für den Bezug von Familienzulagen übersteigt, weder EL noch Familienzulagen für Nichterwerbstätige erhalten. Die Selbstständigerwerbenden werden vom FamZG nicht erfasst. Heute kennen 13 Kantone Familienzulagen für Selbstständigerwerbende, wobei in 5 Kantonen eine Einkommensgrenze gilt.

5758

hingegen ein Zusatzeinkommen für erwerbstätige Eltern, welches im Invaliditätsfall weder von der IV noch von der 2. Säule kompensiert wird, da die Kinderzulage nicht als beitragspflichtiger Lohn gilt. Die geltenden Bestimmungen sind zudem so ausgestaltet, dass eine Kinderzulage nur dann ausgerichtet wird, wenn eine Person mit einer IV-Rente oder ihr Partner bzw. ihre Partnerin erwerbstätig sind. Nichterwerbstätige IV-Rentnerinnen und IV-Rentner erhalten in der Regel keine Kinderzulage.

Anpassung der Überversicherungsregel Die seit der 5. IV-Revision eingeführte Überversicherungsregel (Art. 38bis IVG) bezweckt, dass IV-Rentnerinnen und IV-Rentner nicht besser gestellt sind als vor der Invalidität: Kinderrenten werden deshalb gekürzt, soweit sie zusammen mit der Rente des Vaters oder derjenigen der Mutter 90 Prozent des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens übersteigen. Diese Regelung ist jedoch ungenügend für Personen, die vor der Invalidität nicht oder nur in geringem Ausmass erwerbstätig waren. Bereits vor Inkrafttreten der vorliegenden Revision 6b sind deshalb Verordnungsanpassungen vorgesehen, um bei den Kürzungsregeln wegen Überversicherung eine Anpassung bei der Berechnung des Mindestbetrags (Art. 33bis IVV und Art. 54bis Abs. 2 AHVV) vorzunehmen.

Anpassung der AHV-Kinderrente Bezüglich Höhe der AHV-Kinderrente gelten die gleichen Überlegungen wie für die IV-Kinderrente. Entsprechend soll auch die Kinderrente der AHV neu 30 Prozent der Altersrente entsprechen.

Falls beide Elternteile einen Anspruch auf eine Kinderrente haben, beträgt der Anspruch analog zur IV neu 22,5 Prozent der jeweiligen Altersrente. Nicht betroffen von diesen Anpassungen sind Kinderrenten, die mit einer Waisenrente zusammentreffen. Das System der Hinterlassenenrenten (Witwen-, Witwer- und Waisenrenten) wird im Rahmen der 12. AHV-Revision eingehend überprüft. Welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein werden, ist heute noch völlig offen. Trifft eine Kinderrente (neu 30 Prozent) auf eine Waisenrente (40 Prozent), soll vorderhand wie bisher eine Plafonierung auf 60 Prozent der maximalen Altersrente (Art. 37bis AHVG) erfolgen. Allfällige Anpassungen können im Rahmen der 12. AHV-Revision vorgenommen werden.

Auswirkungen auf die Versicherten Die durchschnittliche Kinderrente der IV beträgt neu 400 statt 530 Franken pro Monat, diejenige der AHV neu 440 statt 590 Franken pro Monat.

Tabelle 1-8 Höhe der Kinderrenten in Franken pro Monat Mindestbetrag (Ansatz 2011)

bisher neu Veränderung

Durchschnitt IV (Dezember 2010)

Durchschnitt AHV (Dezember 2010)

Maximalbetrag (Ansatz 2011)

464 348

531 400

593 440

928 696

­116

­130

­150

­232

5759

In folgenden Fällen wirkt sich die Anpassung der IV-Rente wegen den bestehenden Koordinationsregeln nicht oder nur beschränkt auf das verfügbare Einkommen aus: ­

Bei Rentnerinnen und Rentnern, welche neben der IV-Rente Ergänzungsleistungen erhalten (13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner mit Kindern), reduziert sich die Höhe der anrechenbaren Renteneinnahmen, was zu einem höheren ausbezahlten EL-Betrag führt, so dass keine Einkommenseinbusse erfolgt.

­

Bei Rentnerinnen und Rentnern mit einer Komplementärrente der UV (rund 13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner mit Kinderrenten) sinken die anrechenbaren Leistungen, so dass die Anpassungen der Kinderrente durch die UV ganz oder zumindest teilweise ausgeglichen werden.

­

Bei Rentnerinnen und Rentnern mit Kinderrenten, bei denen die Rente nach BVG wegen Überentschädigung gekürzt wurde (schätzungsweise 15 Prozent der Rentnerinnen und Rentner mit Kinderrenten), sinken die anrechenbaren Leistungen der 1. Säule, was zu höheren Renten nach BVG führt und die Einkommenseinbusse ganz oder zumindest teilweise ausgleicht.

Dank den Ergänzungsleistungen, welche für das 1. und 2. Kind zusätzlich 9945 Franken pro Jahr (entspricht 829 Franken pro Monat), für das 3. und 4. Kind zusätzlich 6630 Franken pro Jahr (entspricht 553 Franken pro Monat) und für jedes weitere Kind zusätzlich 3315 Franken pro Jahr (entspricht 276 Franken pro Monat) als zusätzliche Ausgaben anrechnen (Ansätze 2011), ist die Existenzsicherung auch für Familien mit Kindern weiterhin gewährleistet und wird Familienarmut wirkungsvoll vermieden. Auch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in der IV Rentnerinnen und Rentner mit Kindern im Vergleich zu Rentnerinnen und Rentner ohne Kinder deutlich seltener auf EL angewiesen sind.

Fallbeispiele Ehepaar mit 2 Kindern Anhand von zwei Beispielen eines Ehepaars mit zwei Kindern, welche einen Anspruch auf zwei Kinderrenten begründen, soll illustriert werden, wie sich die Anpassungen im Einzelfall auswirken. In den grafischen Darstellungen der Fallbeispiele werden die Auswirkungen der Anpassung der Kinderrente isoliert (ohne Anpassung des Rentensystems gem. Ziff. 1.3.1) illustriert. Im Text werden auch die Auswirkungen beider Massnahmen zusammen (Anpassung der Kinderrente und neues Rentensystem) jeweils kurz beschrieben. Das Haushaltseinkommen vor Invalidität wird verglichen mit dem Gesamteinkommen des Haushalts nach Eintritt der Invalidität. Dabei wurden die drei häufigsten Invaliditätsgrade untersucht: 50 Prozent, 70 Prozent und 100 Prozent. Diese decken zusammen mehr als die Hälfte der IV-Fälle ab.

­

Insgesamt hat die Anpassung der Kinderrente bei diesen Fallbeispielen geringfügige Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen. Das Gesamteinkommen des Haushalts wird nur leicht reduziert und verbleibt bei allen drei Invaliditätsgraden im Vergleich zum Haushaltseinkommen vor Invalidität immer noch auf dem Niveau von mindestens 90 Prozent (Fallbeispiel 1) bzw. 80 Prozent (Fallbeispiel 2).

­

Die finanziellen Auswirkungen der geplanten Massnahmen sind in den Fallbeispielen gering, da die höheren Leistungen des heutigen Systems ohnehin bereits heute wegen der Überentschädigungsregel in der 2. Säule auf ein Niveau gekürzt werden, das nur knapp über den neuen Rentenleistungen

5760

liegt. Hinzu kommt, dass verbleibende Einkommensunterschiede zwischen der Situation im heutigen und derjenigen im neuen Rentensystem durch einen allfälligen EL-Anspruch angeglichen werden.

­

Dabei wirkt sich die Anpassung der Rentenleistungen weniger stark auf Familien mit geringeren Einkommen (Fallbeispiel 1) aus als auf Familien mit höheren Einkommen (Fallbeispiel 2). Dies hängt zum einen damit zusammen, dass IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Kindern und mit geringen Valideneinkommen ­ sofern sie über eine 2. Säule verfügen ­ tendenziell stärker von der Überentschädigungsregelung der 2. Säule betroffen sind als IV-Rentnerinnen und -Rentner mit höheren Valideneinkommen. Das hat in vielen Fällen zur Folge, dass die Rente nach BVG im heutigen System gekürzt wird und die Anpassung der Kinderrente und des Rentensystems ein Stück weit durch eine geringere Kürzung der 2. Säule und damit eine höhere Rente nach BVG kompensiert wird. Zum anderen haben IV-Rentnerinnen und -Rentner mit geringen Einkommen oft Anspruch auf EL. Die EL orientieren sich primär an der Bedürftigkeit auf Haushaltsebene und gleichen damit allfällige Auswirkungen der Rentenanpassung weitgehend aus.

Fallbeispiel 1: Einkommen 65 000/20 000 Franken Es wird von einer Person ausgegangen, die vor ihrer Invalidität ein Erwerbseinkommen von jährlich 65 000 Franken erzielte und deren Ehepartnerin bzw.Ehepartner 20 000 Franken im Jahr verdient. In diesem Fallbeispiel greift die Überentschädigungsregelung in der 2. Säule (Art. 24 BVV 2): Die Leistungen der 2.

Säule werden gekürzt, bis sie zusammen mit den anderen Einkommensquellen (inklusive der voll ausgenutzten Resterwerbsfähigkeit) die Schwelle von 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes (hier das Valideneinkommen) der IVbeziehenden Person nicht mehr übersteigen.

5761

100000

Fallbeispiel 1: Paar mit zwei Kindern Einkommen IV-RentnerIn 65'000 CHF Einkommen EhepartnerIn 20'000 CHF Anpassung der Kinderrente 107%

90000 92%

80000

103%

107%

107%

Einkommen nach Invalidität im Verhältnis zu Einkommen vor Invalidität

90%

70000 60000

EL

50000

IV-Rente nach BVG (Haupt- und Kinderrente)

40000

IV Kinderrente

30000 IV-Hauptrente 20000 Erwerbseinkommen PartnerIn

10000

Erwerbseinkommen IV-BezügerIn

0 vor Eintritt der Invalidität

heute

neu

IV Grad 100%

heute

neu

IV Grad 70%

heute

neu

IV Grad 50%

Annahmen: Invalidität tritt im Alter von 40 Jahren ein, Kinder sind 3 und 5 Jahre alt, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, Ehepartnerin des IV-Bezügers bzw. Ehepartner der Rentenbezügerin realisiert ein Erwerbseinkommen von 20 000 CHF, BVG-Obligatorium, 2 Prozent karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr, alle Beitragsjahre erfüllt, Überentschädigungsregelung in der 2. Säule greift bei 90 Prozent des Valideneinkommens (Resterwerbsfähigkeit wird voll angerechnet).

EL-Berechnung: kein Vermögen, max. möglicher Mietwert, Kinderzulagen in der Höhe von 4800 Franken im Jahr, Berechnungen für die Stadt Luzern für das Jahr 2009.

Im Fallbeispiel zeigen sich die folgenden Auswirkungen: ­

Bei Personen mit einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent wird heute die Rente nach BVG wegen der Überentschädigungsregel gekürzt. Wenn die Kinderrente nun reduziert wird, wird die Rente nach BVG nicht mehr gekürzt. Insgesamt führt dies zu einer geringfügigen Reduktion des Haushaltseinkommens von 92 Prozent auf 90 Prozent des Haushaltseinkommens vor Invalidität. Dies gilt auch unter Einbezug des stufenlosen Rentensystems, da darin der Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent im Vergleich zum heutigen System unverändert bleibt.

­

Bei Personen mit einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent wird mit der heutigen Kinderrente die Rente nach BVG wegen Überentschädigung vollständig gestrichen. Gleichzeitig hat diese Familie Anspruch auf EL. Auch mit angepasster Kinderrente wird die Rente nach BVG (allerdings nicht vollständig) gekürzt und es besteht ein Anspruch auf EL. Die Höhe der jährlichen EL entspricht in beiden Fällen deren Mindesthöhe nach Artikel 26 ELV. Das Haushaltseinkommen reduziert sich von 107 Prozent auf 103 Prozent des Einkommens vor Invalidität. Diese Werte ergeben sich auch unter Mitberücksichtigung des stufenlosen Rentensystems. Zwar reduzieren sich die

5762

IV-Rente und die Rente nach BVG, doch wird diese Reduktion durch eine erheblich geringere Überentschädigungskürzung in der 2. Säule kompensiert.

­

Bei Personen mit einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent wird die Anpassung der Kinderrente durch eine geringere Kürzung der Rente nach BVG kompensiert. Gleichzeitig kommt mit der heutigen wie mit der neuen Kinderrente ein Anspruch auf EL hinzu, sodass sich die beiden Haushaltseinkommen in der Summe nicht unterscheiden und jeweils 107 Prozent des Einkommens vor Invalidität betragen. Dies gilt auch unter Einbezug des stufenlosen Rentensystems, da darin der Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent im Vergleich zu heute unverändert bleibt.

Fallbeispiel 2: Einkommen 90 000/25 000 Franken Im zweiten Beispiel wird eine Familie betrachtet, in der die IV-beziehende Person vor Invalidität ein Erwerbseinkommen von 90 000 Franken realisierte und ihr Ehepartner 25 000 Franken verdient.

Die Anpassung der Rentenleistungen wirkt sich im Fallbeispiel folgendermassen aus: ­

Die Auswirkungen der neuen Kinderrente sind für dieses Fallbeispiel bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent am grössten. Das Haushaltseinkommen reduziert sich von 86 Prozent auf 81 Prozent des Einkommens vor Invalidität. Dies gilt auch unter Einbezug des stufenlosen Rentensystems, da darin der Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent im Vergleich zu heute unverändert bleibt.

­

Bei Personen mit einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent ist das Gesamteinkommen mit angepasster Kinderrente identisch mit demjenigen nach der heutigen Regelung (92 % des Einkommens vor Invalidität), da beide Male ein Teil der 2. Säule aufgrund einer Überentschädigung gekürzt wird. Diese Überentschädigungskürzung fällt unter Einbezug des neuen Rentensystems vollständig weg, was die Rentenreduktion etwas abfedert. Die Anpassung sowohl der Kinderrente als auch des Rentensystems führt zu einem Gesamteinkommen von 86 Prozent des Einkommens vor Invalidität.

­

Auch bei Personen mit einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent greift heute die Überentschädigungsregel in der 2. Säule. Mit der neuen Kinderrente wird die Überentschädigungsschwelle der 2. Säule nicht mehr erreicht, und eine ungekürzte Rente nach BVG wird ausgerichtet. Das Haushaltseinkommen reduziert sich entsprechend aufgrund der Anpassung der Kinderrente nur geringfügig von 92 Prozent auf 91 Prozent des Haushaltseinkommens vor Invalidität. Dies gilt auch unter Einbezug des stufenlosen Rentensystems, da darin der Rentenanspruch bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent im Vergleich zu heute unverändert bleibt.

5763

Fallbeispiel 2: Paar mit zwei Kindern Einkommen IV-RentnerIn 90'000 CHF Einkommen EhepartnerIn 25'000 CHF Anpassung der Kinderrente 140000 120000 92%

100000

92%

92%

91%

86%

Einkommen nach Invalidität im Verhältnis zu Einkommen vor Invalidität

81%

80000

IV-Rente nach BVG (Haupt- und Kinderrente) IV-Kinderrente

60000 40000

IV-Hauptrente

20000

Erwerbseinkommen PartnerIn Erwerbseinkommen IV-BezügerIn u ne

ut e he

u ne

ut e he

u ne

ut e he

vo r

Ei n

tr i t

td

er

In v

al

id i

tä t

0

IV Grad 100%

IV Grad 70%

IV Grad 50%

Annahmen: Invalidität tritt im Alter von 40 Jahren ein, Kinder sind 3 und 5 Jahre alt, Resterwerbsfähigkeit wird voll realisiert, Ehepartnerin des IV-Bezügers bzw. Ehepartner der IVRentenbezügerin realisiert ein Erwerbseinkommen von 25 000 CHF, BVG-Obligatorium, 3 Prozent karrierebedingte Lohnsteigerung pro Jahr, alle Beitragsjahre erfüllt, Überentschädigungsregelung in der 2. Säule greift bei 90 Prozent des Valideneinkommens (Resterwerbsfähigkeit wird voll angerechnet).

EL-Berechnung: kein Vermögen, max. möglicher Mietwert, Kinderzulagen in der Höhe von 4800 Franken pro Jahr, Berechnungen für die Stadt Luzern für das Jahr 2009.

Finanzielle Auswirkungen Die Massnahmen bei den Rentnerinnen und Rentnern mit Kindern führen zwischen 2015 und 2025 im Durchschnitt zu Einsparungen in der IV von 120 Millionen Franken pro Jahr. Ausserdem führt diese Massnahme zu Einsparungen bei der AHV von rund 25 Millionen Franken pro Jahr.

1.3.4

Neue Regelung für Reisekosten

Heutige Situation Seit dem Inkrafttreten des IVG im Jahre 1960 stellen die Reisekosten eine akzessorische Leistung dar, welche in Verbindung mit Sachleistungen (Heilbehandlungen, Eingliederungsmassnahmen) erbracht wird. Als notwendige Reisekosten gelten diejenigen Aufwendungen, welche den Versicherten für die Reise zu den nächstgelegenen Eingliederungs- oder Behandlungsstätten entstehen, wo sie an den von den IV-Stellen angeordneten Eingliederungsmassnahmen teilnehmen.

5764

Nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass es sich bei den Reisekosten um eine akzessorische Leistung in Abhängigkeit von Eingliederungsmassnahmen handelt, hat das Bundesgericht im Laufe der Jahre eine sehr grosszügige Praxis in der Zusprache von Reisekosten entwickelt (z. B. in Bezug auf Begleitpersonen, Besuche). Diese Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde beispielsweise in der Militärversicherung im Rahmen einer Gesetzesrevision nachvollzogen, und sie hat sich auch in die Praxis der Zusprache von Reisekosten der IV-Stellen eingeschlichen.

Dies hat zur Folge, dass die IV oftmals nicht mehr nur notwendige und tatsächliche Reisekosten (z. B. für eine Umschulung) oder effektiv behinderungsbedingte Mehrkosten bei Reisen (Behindertentaxi anstelle öffentlicher Verkehrsmittel) bezahlt.

Konkret bedeutet dies, dass die IV heute im Prinzip jegliche Kosten für Fahrten zu Eingliederungsstätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privaten Motorfahrzeugen oder Taxis für die versicherte Person selbst, eine notwendige Begleitperson, die besuchenden Angehörigen, sowie das mitgeführte Invalidenfahrzeug, das notwendige Gepäck und den Blindenführhund übernimmt.

Die Reisekosten beliefen sich 2006 auf insgesamt 103 Millionen Franken und 2007 auf 110 Millionen Franken. Infolge des neuen Finanzausgleichs (Wegfall der Transporte im Zusammenhang mit den Massnahmen für die besondere Schulung) sind diese Kosten zwischenzeitlich beträchtlich gesunken. 2010 beliefen sie sich auf rund 40 Millionen Franken (bei rund 37 000 Leistungsbeziehenden).

Neue Regelung Der Anspruch auf Reisekosten ist heute in Artikel 51 IVG sehr allgemein für alle Eingliederungsmassnahmen geregelt. Dies ist ein wesentlicher Grund für die immer grosszügigere Auslegung dieser Bestimmung. Mit der präziseren und auf die jeweiligen Eingliederungsmassnahmen angepassten Umschreibung einer zielgerichteten Übernahme von Reisekosten können diese wieder auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehenen notwendigen und behinderungsbedingten Kosten begrenzt werden. Zudem soll bei den medizinischen Massnahmen eine Angleichung an die Krankenversicherung vorgenommen werden, dies nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die IV im Bereich der medizinischen Massnahmen im Prinzip ein anderer Kostenträger für im Vergleich zur Krankenversicherung identische Leistungen
der Krankenversicherung ist. In Anbetracht dieser Ausgangslage ist es heute nur schwer nachvollziehbar, weshalb in der obligatorischen Krankenversicherung grundsätzlich keine Reisekosten zur Ärztin oder zum Arzt, ins Spital oder zur Therapie übernommen werden, während die IV für identische Leistungen die vollen Reisekosten übernimmt.

Umsetzung Die oben umschriebene Optimierung kann einerseits durch eine konsequente Umsetzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften durch die IV-Stellen erzielt werden.

Dies trifft insbesondere auf die erstmalige berufliche Ausbildung zu. Dazu bedarf es jedoch Anpassungen und Präzisierungen der Weisungen sowie einer konsequenten Kontrolle durch das BSV. Andererseits braucht es aber auch gesetzgeberische Anpassungen, damit beispielsweise bei den medizinischen Massnahmen eine Annäherung an die Krankenversicherung erfolgen kann.

Die allgemeine Regelung der Reisekosten nach Artikel 51 IVG soll gestrichen werden, und im Gegenzug sollen die Reisekosten ­ soweit dies notwendig ist ­ bei den einzelnen Massnahmen neu geregelt werden. Zudem sollen bei den medizini5765

schen Massnahmen die Kosten von der IV nicht mehr generell direkt geschuldet und vorfinanziert werden, sondern nur noch zurückerstattet werden, und die Übernahme der Reisekosten soll nur noch auf behinderungsbedingte Mehrkosten beschränkt werden.

Medizinische Massnahmen Für die medizinischen Massnahmen soll neu das Rückerstattungsprinzip, wie es in der Krankenversicherung gilt, eingeführt werden. Das bedeutet, dass die versicherten Personen die im Zusammenhang mit medizinischen Massnahmen entstandenen Reisekosten selber bezahlen und erst nach deren Geltendmachung von der IV-Stelle zurückerstattet bekommen (Tiers garant anstelle des Tiers payant). Damit kann die IV-Stelle eine bessere Kostenkontrolle vornehmen, und es ist davon auszugehen, dass geringfügige Kosten gar nicht erst geltend gemacht werden. Zudem sollen nur noch Mehrkosten für Reisen bzw. für die Wahl der entsprechenden Transportmittel vergütet werden, die aufgrund der Behinderung der versicherten Person entstehen.

Damit werden beispielsweise bei Geburtsgebrechen wie Cerebrallähmung die durch die Behinderung entstandenen Mehrkosten für Reisen zur Ärztin oder zum Arzt, ins Spital oder zur Therapie übernommen (Behindertentaxi anstelle von Zug oder Bus), jedoch in der Regel nicht mehr bei Therapien bei psychischen Behinderungen.

Mit dieser Regelung gleicht sich die Invalidenversicherung sowohl im Umfang wie auch in der Art der Übernahme der Reisekosten der Krankenversicherung an.

Integrationsmassnahmen und Hilfsmittel Umschulungen oder Integrationsmassnahmen werden von der IV zugesprochen, damit bei Personen mit gesundheitlichen Problemen wenn immer möglich eine Rente verhindert werden kann und sie im aktiven Berufsleben integriert bleiben. Bei diesen Massnahmen bilden die Reisekosten eine «klassische» akzessorische Leistung zu den Eingliederungsmassnahmen; siewürden für die versicherte Person nicht anfallen, wenn sie gesund wäre. In diesem Bereich können die heutigen gesetzlichen Regelungen beibehalten werden, wobei auch hier im Vollzug noch Optimierungen vorgenommen werden können, unter anderem bei der Wahl des geeigneten Transportmittels (öffentlicher Verkehr, Privatfahrzeug oder Taxi) oder der nächstgelegenen Durchführungsstelle. Eine analoge Regelung wird für die Hilfsmittel vorgesehen.

Bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung
(Art. 16 IVG) ist keine Gesetzesänderung notwendig. Die heutige Umschreibung im Sinne des Ersatzes behinderungsbedingter «zusätzlicher Kosten» muss im Gesetz nicht neu formuliert werden, da sie sich grundsätzlich bewährt hat. Hier liegt das Optimierungspotenzial vielmehr in den Anpassungen und Präzisierungen der heutigen Weisungen sowie in der verbesserten Kontrolle durch das BSV. Es muss beispielsweise sichergestellt werden, dass nicht alle Versicherten, die in Bern eine erstmalige berufliche Ausbildung absolvieren, ohne Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse ein «Bäre-Abi» (Abonnement des öffentlichen Verkehrs der Agglomeration Bern) von der IV bezahlt bekommen.

Diese Kosten würden auch einem Lehrling ohne Gesundheitsschaden entstehen, weshalb nicht von «behinderungsbedingten Mehrkosten» gesprochen werden kann.

5766

Auswirkungen Die konsequente Übernahme von ausschliesslich behinderungsbedingt anfallenden Reisekosten bei medizinischen Massnahmen bringt eine jährliche Entlastung des IV-Haushalts von rund 20 Millionen Franken.

Für die einzelnen Versicherten bedeutet dies, dass sie effektiv nur noch für diejenigen Reisekosten entschädigt werden, welche entweder behinderungsbedingt oder aufgrund von invaliditätsbedingten Eingliederungsmassnahmen entstehen (vgl.

oben). Gegenüber der heutigen Regelung ist davon auszugehen, dass Versicherte, welche medizinische Massnahmen der IV beziehen, in Zukunft geringere Entschädigungen für Reisen erhalten werden als heute. Diese Personen werden die Reisekosten zur Ärztin oder zum Arzt, ins Spital oder zur Therapie künftig wie in der Krankenversicherung selber zu bezahlen haben. Es besteht die Möglichkeit, dass die oben umschriebenen Transporte bei den Einkommenssteuern auf Stufe Bund als behinderungsbedingte Kosten im Rahmen und Umfang von Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe hbis des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer in Abzug gebracht werden können. Die Kosten, die von der IV übernommen werden, geben jedoch kein Anrecht auf einen Steuerabzug. Wir verweisen diesbezüglich auf das Kreisschreiben Nr. 11 vom 31. August 2005 der Eidgenössischen Steuerverwaltung betreffend Abzug von Krankheits- und Unfallkosten sowie von behinderungsbedingten Mehrkosten. Eine analoge Vorgabe für die kantonalen Einkommenssteuern findet sich in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe hbis des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden.

Im Sinne einer Angleichung und Koordination der Leistungen der verschiedenen Sozialversicherungen erscheint es zumutbar, dass die IV als «Krankenversicherung für spezielle Fälle» wie die obligatorische Krankenpflegeversicherung für «normale Krankheitsfälle» grundsätzlich keine Reisekosten bzw. nur noch die behinderungsbedingten Mehrkosten übernimmt.

1.3.5

Verstärkte Betrugsbekämpfung

Ausgangslage Seit dem Inkrafttreten der 5. IV-Revision am 1. Januar 2008 bestehen in der IV die notwendigen gesetzlichen Grundlagen, damit gegen Personen, die unter begründetem Betrugsverdacht stehen, Observationen durchgeführt werden können. Diese Ergänzung des Gesetzes wurde zum Anlass genommen, die Betrugsbekämpfung in der IV neu auszurichten bzw. neu aufzubauen, und es wurde ein einheitliches Konzept entwickelt, welches seit dem 1. August 2008 in den IV-Stellen umgesetzt wird.

Die Betrugsbekämpfung ist für die IV, wie für jede andere Versicherung auch, eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Betrügenden schädigen die Beitragszahlenden und die ehrlichen Bezügerinnen und Bezüger, die auf die Leistungen der IV existenziell angewiesen sind. Sie untergraben auch das Vertrauen in die Versicherung und damit die Bereitschaft der Allgemeinheit, die Kosten der IV solidarisch mitzutragen.

Das Betrugsmanagement der IV orientiert sich grundsätzlich an den Instrumenten und Abläufen, wie sie seit Längerem bereits erfolgreich in den Privatversicherungsgesellschaften angewandt werden. Das Konzept lässt sich grob in folgende vier Phasen unterteilen: 5767

­

Erkennen von Verdachtsfällen

­

Spezielle Abklärungen und Ermittlungen

­

Observationen als Ultima Ratio

­

Versicherungs- und strafrechtliche Massnahmen

Erste Erfahrungen Die Erfahrungen der IV mit der Betrugsbekämpfung sind durchwegs positiv: Seit dem 1. August 2008 haben alle IV-Stellen ein Betrugsbekämpfungsmanagement eingeführt und setzen es nun konsequent um. In den ersten zwei Jahren haben die IV-Stellen und das BSV die Erfahrungen in der praktischen Arbeit stetig analysiert, die Abläufe verbessert und die rechtlich korrekte Durchführung der Betrugsbekämpfung kontrolliert. Die Auswertung zeigt, dass bisher alle Observationen ohne Verletzung der Rechte oder der Privatsphäre der Versicherten durchgeführt wurden. Zudem hat die Erfahrung der IV-Stellen gezeigt, dass in erster Linie das Erkennen von Unstimmigkeiten in den medizinischen Berichten in den Versichertendossiers sowie Hinweise von anderen Versicherungen oder von Dritten zum Erfolg führten. Andere Kriterien spielten hingegen eine untergeordnete Rolle. In dieser Phase der Einführung wurde auch die Statistik zur Betrugsbekämpfung aufgebaut. Es liegen nun erstmals Angaben über ein vollständiges Jahr vor.

2009 haben die IV-Stellen 2550 Dossiers an die Betrugsbekämpfungs-Spezialistinnen und -Spezialisten zu weiteren Abklärungen und Ermittlungen weitergeleitet.

Hinzu kommen 640 Ermittlungen, die Ende 2008 noch nicht abgeschlossen waren.

Somit waren 2009 insgesamt 3190 Fälle von Betrugsverdacht in Bearbeitung. In 210 dieser Fälle wurde eine Observation eingeleitet. 1180 Fälle konnten im Jahr 2009 abgeschlossen werden, davon 90 nach einer Observation. In 240 Fällen konnte ein Betrug nachgewiesen werden, bei 30 Fällen davon aufgrund einer Observation.

Dank diesem Betrugsmanagement kommen 180 ganze Renten weniger zur Auszahlung. Dies entspricht einer jährlichen Ausgabenreduktion von rund 4,6 Millionen Franken. Entlastungen, die sich allenfalls auch bei den Ergänzungsleistungen zur IV oder bei IV-Renten der 2. Säule ergeben, sind bei dieser Rechnung nicht berücksichtigt. In 20 Fällen haben die IV-Stellen unrechtmässig bezogene Leistungen zurückgefordert und in 10 Fällen wurde Strafanzeige erstattet.

Die Betrugsbekämpfung in der IV wird nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland betrieben. Die Erfahrungen aus zwei Pilotversuchen in Thailand und Kosovo helfen nun bei der Ausweitung der offensiveren Betrugsbekämpfung auf andere Länder mit vergleichsweise hohem Anteil exportierter IV-Renten. So
konnten bereits mit Erfolg Betrugsbekämpfungsklauseln in die bilateralen Abkommen mit Montenegro, Serbien sowie Bosnien-Herzegowina aufgenommen werden und es ist davon auszugehen, dass weitere Länder folgen werden. Zudem wird die Zusammenarbeit im Rahmen der Betrugsbekämpfung mit EU-Staaten intensiviert und ausgebaut. Nicht zuletzt dank dem verantwortungsvollen Umgang der IV-Stellen mit den neuen Instrumenten, insbesondere der Observation, haben sich diese in der Betrugsbekämpfung der IV bewährt. Dabei ist zu bemerken, dass es bei den bisher durchgeführten Observationen zu keinerlei ungerechtfertigten Eingriffen in die Privatsphäre der Versicherten gekommen ist. Zudem erreichen die im Rahmen der Betrugsbekämpfung erlangten Beweise volle Beweiswürdigung vor den Gerichten und erfüllen damit alle rechtstaatlichen Erfordernisse.

5768

Handlungsbedarf aufgrund praktischer Erfahrungen Im Bereich der Sozialversicherungen ist die Betrugsbekämpfung längstens nicht mehr nur ein Thema für die Invalidenversicherung. Nicht zuletzt aufgrund der im Rahmen der 5. IV-Revision geführten Diskussion um Versicherungsmissbrauch haben die anderen Sozialversicherungen ebenfalls ihre Bemühungen in der Betrugsbekämpfung verstärkt. So wird in der laufenden Revision der Unfallversicherung eine für alle Sozialversicherungen geltende Regelung im ATSG betreffend Observationen diskutiert.

Im Rahmen der praktischen Erfahrungen der IV hat sich in der Folge gezeigt, dass bei gewissen Verfahrenspunkten, welche mit der Betrugsbekämpfung zusammen hängen, gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Betroffen ist vor allem die Möglichkeit der vorsorglichen Einstellung der Leistung, welche zwar heute schon genutzt wird, von den Gerichten in Bezug auf die Zulässigkeit, die gesetzliche Grundlage und die Notwendigkeit des Vorbescheids und des rechtlichen Gehörs jedoch unterschiedlich beurteilt wird.

In der Tat ist es nicht einsehbar, weshalb in Fällen, bei welchen sich ein Betrugsverdacht erhärtet hat, die Abklärungen jedoch für eine ordentliche Einstellung der Leistung noch nicht abgeschlossen sind, die Rente weitergezahlt werden muss.

Erweist sich nach Abschluss der Abklärungen, dass tatsächlich ein Betrug vorliegt und die Rente zu Unrecht geleistet worden war, so können die Leistungen für die Zukunft zwar mit einer ordentlichen Aufhebungsverfügung eingestellt werden. Die bereits ausgerichteten Beträge müssen jedoch zurückgefordert werden, wobei Rückforderungen in der Sozialversicherung oft daran scheitern, dass das Geld uneinbringlich ist. Um solche Verluste zu verhindern oder mindestens zu minimieren, ist es notwendig, dass ein Sozialversicherungsträger bei begründeten Verdachtsfällen die Leistung vorsorglich per sofort einstellen kann.

Wenn sich im Laufe der weiteren Abklärungen allenfalls erweisen sollte, dass doch kein Betrug vorliegt bzw. dass eben doch eine Rentenberechtigung besteht, entstehen der versicherten Person keine nachteiligen finanziellen Folgen. In diesen Fällen kann die Rente nämlich bis zum Zeitpunkt der vorsorglichen Leistungseinstellung nachgezahlt werden.

Weil die Betrugsbekämpfung nicht nur eine Angelegenheit der IV, sondern aller
Sozialversicherungszweige ist, sollen die angestrebten einheitlichen gesetzlichen Grundlagen deshalb im ATSG festgeschrieben werden und die Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften in den Sozialversicherungen verstärkt werden.

1.3.6

Entschuldung der Versicherung

Entschuldungsmechanismus Damit die IV nachhaltig saniert werden kann, muss sie ihre Schulden bei der AHV zurückzahlen. Das Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung sieht während des Zeitraums der befristeten Mehrwertsteuererhöhung (2011­2017) einen Schuldenabbau der Invalidenversicherung vor, wenn das Kapital des IV-Ausgleichsfonds den Betrag von 5 Milliarden Franken übersteigt. Aktuellen Schätzungen zufolge werden sich die Schulden unter Berücksichtigung der Massnahmen der IV-Revision 6a im Jahr 2018 aber immer noch auf rund 9 Milliarden Franken belaufen. Mit der IV-Revision 6b muss nun die Grundlage gelegt werden, um auch nach 5769

Auslaufen der Zusatzfinanzierung eine ausgeglichene Rechnung zu haben und die Schulden definitiv abzubauen. Der am 1. Januar 2011 gleichzeitig mit dem Bundesgesetz über die Sanierung der IV in Kraft getretene Artikel 79 Absatz 3 IVG sieht vor, dass der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Ausgleichsfonds grundsätzlich nicht unter 50 Prozent einer Jahresausgabe fallen darf. Die Schuldenrückzahlung soll sich künftig an dieser Zielgrösse orientieren. Die für die Dauer der Zusatzfinanzierung vorgesehene Sonderregelung (Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Sanierung der Invalidenversicherung) wird aufgehoben.

Der über 50 Prozent einer Jahresausgabe liegende Anteil der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Ausgleichsfonds wird zwecks Schuldenabbaus der AHV überwiesen. Beträgt der Anteil 50 Prozent oder weniger, wird die Rückzahlung ausgesetzt.

Eine Rückzahlung der Schulden bis 2025 ist damit realistisch.

1.3.7

Interventionsmechanismus zur langfristigen Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts

Hintergrund und Zweck Das Bundesgesetz über die Sanierung der IV, welches am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, sieht die Einrichtung eines eigenständigen Ausgleichsfonds für die IV (IV-Fonds) vor. Um die für den Versicherungsbetrieb nötige Liquidität zu gewährleisten, startete der neu geschaffene Fonds mit einem Deckungskapital von 5 Milliarden Franken, was etwa 50 Prozent einer Jahresausgabe entspricht.

Mit den im ersten und zweiten Massnahmenpaket der 6. IV-Revision vorgeschlagenen Massnahmen wird der IV-Fonds künftig im Gleichgewicht sein. Um die Liquidität des IV-Fonds auch in schwierigen Situationen sicherzustellen, beispielsweise bei einem wirtschaftlichen Einbruch oder einer unerwarteten starken Zunahme der Neurenten, soll bereits heute ein Interventionsmechanismus geschaffen werden.

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung kommt der Bundesrat seiner Absicht nach, einen Mechanismus einzuführen, mit dem er die Nachhaltigkeit der Finanzierung der IV sichern kann.

Zentrale Elemente des Interventionsmechanismus Indikator für das finanzielle Gleichgewicht stellen die liquiden Mittel und Anlagen des IV-Fonds dar, welche mindestens 50 Prozent einer Jahresausgabe betragen sollen. Bei Erreichen oder Unterschreiten dieses Soll-Bestandes wird die Schuldenrückzahlung an den AHV-Fonds ausgesetzt (vgl. Ziff. 1.3.6). Gleichzeitig ist sofort zu prüfen, mit welchen Massnahmen auf Verordnungs- und Weisungsebene das Defizit reduziert werden kann.

Zeigen die im Rahmen der finanziellen Überwachung des IV-Fonds erstellten Prognosen, dass der IV-Fonds trotzdem weiter absinkt und die Gefahr besteht, dass in den folgenden drei Jahren die Interventionsschwelle von 40 Prozent am Ende des Rechnungsjahres und im Folgejahr unterschritten wird, so wird der zweistufige Interventionsmechanismus aktiviert. Der Bundesrat ist dann verpflichtet, in einem ersten Schritt dem Parlament eine Botschaft zur finanziellen Stabilität der IV vorzulegen, damit der Gesetzgeber rasch Massnahmen beschliessen kann. Die Botschaft 5770

soll innert Jahresfrist ab Veröffentlichung der Jahresrechnung, der Bilanz und des detaillierten Vermögensausweises des Fonds vorliegen.

Dadurch kann der Bundesrat früh reagieren und einer Reduktion des Vermögensbestandes des IV-Fonds vorgreifen Die Veröffentlichung gemäss Artikel 108 Absatz 2 AHVG erfolgt nämlich jährlich, in der Regel im Laufe des Monats April. Beispiel: Die Jahresrechnung 2010 wird der Eidgenössischen Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vorgelegt und daraufhin im April 2011 veröffentlicht. Ist zu diesem Zeitpunkt absehbar, dass der Bestand des IV-Fonds in den Jahren 2012­2014 unter den Stand von 40 Prozent einer Jahresausgabe sinkt, so muss der Bundesrat der Bundesversammlung bis April 2012 einen Gesetzesänderungsentwurf vorlegen.

Sinkt der IV-Fonds am Ende des Rechnungsjahres dann tatsächlich unter 40 Prozent einer Jahresausgabe und ist absehbar, dass er auch im Folgejahr darunter liegen wird, so ist der Bundesrat verpflichtet, in einem zweiten Schritt folgende Massnahmen zu ergreifen, um die Solvenz des Fonds sicherzustellen: ­

den Beitragssatz um 0,1 Prozentpunkte anheben. Dieser erhöht sich damit von 1,4 auf 1,5 Prozent;

­

die Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung sistieren, um die Ausgaben der IV in der Höhe der mit der Beitragserhöhung erzielten Mehreinnahmen zu senken, wobei die IV-Rente in jedem Fall 95 Prozent der AHV-Rente oder mehr ausmachen muss.

Die Erhöhung des Beitragssatzes und die Sistierung der Rentenanpassung müssen gleichzeitig in Kraft treten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass beide Massnahmen ausgeglichen auf die Reduktion des IV-Defizits wirken. Insgesamt kann das Defizit der IV mit diesen beiden Massnahmen um 600­700 Millionen Franken jährlich verringert werden.

Die Sistierung der Anpassung der Invalidenrenten an die Lohn- und Preisentwicklung wird sich auch auf die anderen Sozialversicherungen auswirken. Es ist insbesondere mit einer Lastenverschiebung von der IV auf die Ergänzungsleistungen von rund 90 Millionen Franken zu rechnen. Davon übernimmt der Bund rund 56 Millionen Franken.

Da sich die AHV-Renten und die IV-Renten aufgrund der Sistierung der Rentenanpassung nicht mehr entsprechen, braucht es eine Koordination mit den im AHVG festgehaltenen Regeln zur Rentenberechnung. Die Renten müssen insbesondere dann aufeinander abgestimmt werden, wenn bei Ehepaaren beide Partner eine Rente der IV beziehen, oder wenn einer der Partner eine AHV-Rente bezieht und der andere eine IV-Rente. Auch bei der Festlegung der Kinder- und Waisenrenten sind die Regeln zu koordinieren. Deshalb erteilt Artikel 80 dem Bundesrat den Auftrag, die infolge der sistierten Anpassung der Invalidenrente nötige Koordination mit der Alters- und Hinterlassenenversicherung zu regeln. Diese Koordination ist nicht unerheblich: Im Dezember 2010 wurden knapp 20 000 Renten an Personen ausgerichtet, deren Ehegatte ebenfalls eine Rente der IV (8306 Renten) oder eine Altersrente der AHV (11 520 Renten) bezieht. Von der Koordination betroffen sind damit 28 132 Personen, d. h. 10 Prozent der Renten. Bei den Kinder- und Waisenrenten sind es 6832 Renten oder 7 Prozent der insgesamt 95 957 von der IV ausgerichteten Kinderrenten.

5771

Die vom Parlament, gestützt auf die vom Bundesrat unterbreitete Botschaft, ergriffenen Massnahmen dürfen nicht auf einen Fonds-Stand von 40 Prozent abzielen, sondern müssen vielmehr den in Artikel 79 Absatz 3 IVG festgehaltenen Sollstand von 50 Prozent anstreben. Grundlegendes Ziel für den ausgeglichenen IV-Haushalt ist nach wie vor die 50-Prozent-Schwelle. Die Massnahmen werden eingestellt, sobald der Fonds wieder 50 Prozent einer Jahresausgabe erreicht und absehbar ist, dass er über diesem Stand bleiben wird. Auch der Beitragssatz wird wieder bei 1,4 Prozent festgesetzt, und die Renten werden wieder an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst, so dass sie wieder der AHV-Rente entsprechen.

Zusätzliche Anreize für Arbeitgeber Der vorgesehene Interventionsmechanismus sieht als ersten Ablauf vor, dass der Bundesrat eine Botschaft vorlegen muss, wenn sich abzeichnet, dass der Stand des IV-Fonds unter 40% einer Jahresausgabe sinken wird. Diese Botschaft muss aber nicht nur Massnahmen zur Wiederherstellung einer ausgeglichenen Rechnung enthalten, sondern auch zusätzliche Anreize für die Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung anzustellen. Denn ein derartiges Absinken des Fonds wird als Indiz dafür gewertet, dass die gesteckten Integrationsziele nicht genügend erreicht wurden.

Anpassung der Regelung zur Schuldentilgung Mit den neuen Regeln zur Sicherung des IV-Fonds wird der Stand der Liquidität zum zentralen Element für allfällige Massnahmen. Mit der Regel gemäss Bundesgesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung ist der maximale Fonds-Stand auf 5 Milliarden Franken limitiert, denn ein Überschuss wird zur Schuldentilgung an den AHV-Ausgleichsfonds überwiesen. Weil mit dem Interventionsmechanismus eine langfristige Nachhaltigkeitsregel geschaffen wird, welche einen Fonds-Stand von 50 Prozent sicherstellen soll, muss die bisherige Regel zur Schuldentilgung ersetzt werden. Ansonsten wird sich der IV-Fonds-Stand bis 2017 (Ende der Gültigkeit des Bundesgesetzes über die Sanierung der Invalidenversicherung) bereits der Interventionsschwelle von 40 Prozent nähern. Der geforderte Minimalstand von 50 Prozent soll möglichst rasch erreicht werden, also bereits während der Dauer der befristeten Mehrwertsteuererhöhung.

1.4

Finanzielle Auswirkungen auf die IV: Gesamtüberblick

Investitionen Im Rahmen des IV-Sanierungsplanes wurden und werden immer noch erhebliche Summen für die Optimierung der Eingliederung investiert. Die Investitionen lohnen sich, denn eine höhere Eingliederungsquote schlägt sich letztendlich in einer kleineren Anzahl Renten und in weniger sozialer Ausgrenzung nieder. Die Auswirkungen der Eingliederung, verbunden mit der Einführung der RAD, der allgemeinen Sensibilisierung auf die IV-Probleme und der strengeren Praxis der IV-Stellen, sind bereits heute vielversprechend: 2010 wurden 47 Prozent weniger neue Renten verzeichnet als 2003, dem Jahr mit dem höchsten Neurentenstand.

5772

Tabelle 1-9 Investitionen in die Eingliederung In Millionen Franken, zu Preisen von 2011 Revisionen

5.

2018

IV-Revision32

6. IV-Revision, 1. Massnahmenpaket (Revision

150 6a)33

6. IV-Revision, 2. Massnahmenpaket (Revision 6b) Total

40 60 250

Entschuldung Sollte die IV nach der IV-Revision 6a immer noch ein Defizit ausweisen, erlauben es die im zweiten Massnahmenpaket der 6. IV-Revision vorgesehenen Massnahmen (vgl. Ziff. 1.3), unter Einbezug der erforderlichen Investitionen, das Defizit gegebenenfalls zu beseitigen und die IV-Betriebsrechnung nachhaltig auszugleichen. Nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung kann 2018 mit diesen Massnahmen eine Ausgabensenkung von rund 295 Millionen Franken erzielt werden. Da in den ersten Jahren nach Inkrafttreten in die verstärkte Eingliederung investiert werden muss, entfalten die Massnahmen ihre volle Wirkung erst nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung.

Eine eigentliche Sanierung der IV ist nur möglich, wenn auch die Schulden gegenüber der AHV beglichen werden; die vorliegende Revision hat zum Ziel, die Schulden bis 2025 zurückzuzahlen, dem Zeitpunkt also, zu dem die AHV voraussichtlich zusätzliche Mittel brauchen wird. Basierend auf den aktuellen demografischen und wirtschaftlichen Szenarien ist das Ziel 2025 aus heutiger Sicht erreichbar. Voraussetzung ist, dass die beiden Massnahmenpakete der 6. IV-Revision ihre erwartete Wirkung entfalten. Wenn sich allerdings die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten 15 Jahren schlechter entwickelt oder wenn die Wirkung der Massnahmen der 6. IV-Revision, und damit deren finanzielle Auswirkungen, geringer ausfallen als heute angenommen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vollständige Rückzahlung der Schulden eine etwas längere Frist benötigt.

Verbesserung der IV-Betriebsrechnung Die IV-Betriebsrechnung wird mit der Ausgabenkürzung in der Zeitperiode 2015­2025 um 325 Millionen Franken pro Jahr entlastet. Tabelle 1-10 zeigt die finanzielle Wirkung der einzelnen Massnahmen: für das Jahr 2018 und für den Durchschnitt der Jahre 2015­2025. Die jährliche Entwicklung ist in Tabelle 1 des Anhangs zusammengefasst.

32

33

Die Angaben zu den Investitionen in die Eingliederung aufgrund der 5. IV-Revision beruhen auf einer Schätzung, die auf Basis der tatsächlichen Investitionen in den Jahren 2008­2010 vorgenommen wurde.

Die Investitionen in die Eingliederung aufgrund der 6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket (IV-Revision 6a) fallen mehrheitlich vor dem Referenzjahr 2018 an. Der jährliche Durchschnitt dieser Investitionen zwischen 2012 und 2017 beträgt 180 Mio. Franken.

5773

Tabelle 1-10 Finanzielle Auswirkungen der IV-Revision 6b34 Durchschnittswerte, in Millionen Franken, zu Preisen von 2011 Massnahmen

2018

2015­2025

130

150

0

50

160

120

Ausgabenreduktion Neues Rentensystem (vgl. Ziff. 1.3.1) Verstärkte Eingliederung (vgl. Ziff. 1.3.2) Rentnerinnen und Rentner mit Kindern (vgl. Ziff. 1.3.3) Reisekosten (vgl. Ziff. 1.3.4)

20

20

Personalbedarf (vgl. Ziff. 3.1.2)

­15

­15

Total IV-Revision 6b

295

325

Der IV-Finanzhaushalt mit der Revision 6b Die Grundlagen zur Berechnung des IV-Finanzhaushalts sind in Ziffer 1.2 dargelegt.

Die nachstehende Grafik zeigt die Entwicklung der IV-Schulden einerseits und des Umlageergebnisses andererseits (dies entspricht dem Jahresergebnis ohne Anlageergebnis) in den Jahren 2011­2025 unter Berücksichtigung der IV-Revision 6b (in Millionen Franken, zu Preisen von 2011).

Es erweist sich, dass mit den vorgesehenen Massnahmen die Entschuldung der IV bis 2025 realistisch ist.

34

Die im Rahmen der IVV oder auf Weisungsebene realisierbaren Massnahmen (insbesondere Beiträge an Organisationen der Behindertenhilfe und Reform der beruflichen Eingliederung von Sonderschulabgänger/innen), die ebenfalls Teil des Sanierungskonzeptes der IV sind, sind in der vorliegenden Botschaft und in den Zahlenwerten der Tabelle 1-10 nicht eingerechnet.

5774

Schuldenabbau und Entwicklung des Umlageergebnissesmit der IV-Revision 6b In Millionen Franken, zu Preisen von 2011 1'600

16'000

Schulden (linke Skala)

14'000

1'400

Umlageergebnis (rechte Skala) 12'000

1'200

10'000

1'000

8'000

800

6'000

600

4'000

400

2'000

200

0

0 2011

1.5

2013

2015

2017

2019

2021

2023

2025

Stellungnahme der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission

Die Eidgenössische AHV/IV-Kommission befasste sich am 15. April 2010 mit der Vernehmlassungsvorlage und dem erläuternden Bericht zur Revision. Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist behandelte die Kommission am 10. Januar 2011 den Botschaftsentwurf. Die Massnahmen der IV-Revision 6b werden im Grundsatz unterstützt und die Anträge der Kommission konnten weitgehend übernommen werden. Folgende Themen wurden vertieft, wobei gewisse Punkte der einzelnen Kommissionsanträge nicht mit einbezogen wurden.

Neues Rentensystem Die Kommission unterstützt die Abschaffung der heutigen Rentenstufen und die Einführung des vorgeschlagenen stufenlosen Rentensystems. Hingegen möchte sie, dass bereits ab einem Invaliditätsgrad ab 75 Prozent eine ganze Rente ausgerichtet wird, wenn kein tatsächliches Einkommen erzielt werden kann (und nicht ab 80 Prozent wie vorgeschlagen).

Diesem Antrag wird nicht nachgekommen. Teilzeitstellen sind auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt vorhanden und es gilt zu berücksichtigen, dass für den Invaliditätsgrad nicht die Präsenz (z. B. 50 %) massgebend ist, sondern die entlöhnte Arbeitsleistung. Benötigt werden deshalb nicht 20-Prozent-Stellen sondern Teilzeitstellen zwischen 50 Prozent und mehr, in welchen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen unabhängig ihrer Präsenzzeit eine Arbeitsleistung zwischen 10 und 60 Prozent erbringen.

5775

Mit der Einführung des stufenlosen Rentensystems verschwinden die Schwelleneffekte, so dass Rentnerinnen und Rentner, welche einen Nebenverdienst mit Tätigkeiten wie Haushaltshilfen, Altenbetreuung, Aushilfe in Restaurationsbetrieben u. Ä.

erarbeiten, nicht finanziell bestraft werden, weil ihre Rente z. B. um eine Viertelsrente gekürzt wird. Dies dürfte sich positiv auf die Erwerbsquote der IVRentnerinnen und -Rentner auswirken.

Zudem würde dieser Antrag Mindereinsparungen von bis zu 60 Millionen Franken zur Folge haben.

Verstärkte Eingliederung Die Kommission unterstützt die vorgeschlagenen Massnahmen für eine verstärkte Eingliederung. Sie möchte beim Personalverleih jedoch zusätzlich im Gesetz geregelt haben, dass der Personalverleih nur dann zur Anwendung kommt, wenn eine direkte dauerhafte Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gelingt. Dem Anliegen wird Folge gegeben; dazu braucht es jedoch keine Regelung im Gesetz, eine entsprechende Präzisierung in den Erläuterungen genügt. Die Frage, ob und in welcher Form die Frage der Eingliederungsfähigkeit mit der Prüfung des Rentenanspruchs in Artikel 28 verknüpft werden soll, wurde kontrovers diskutiert. In der Folge wurde der Artikel nochmals überarbeitet.

Neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Die Kommission unterstützt die vorgeschlagene Anpassung der Kinderrenten für IV-Rentnerinnen und -Rentner mit Kindern.

Neue Regelung für Reisekosten Die Kommission unterstützt die vorgeschlagene Anpassung bei der Vergütung von Reisekosten.

Verstärkte Betrugsbekämpfung Die Kommission unterstützt die vorgeschlagene Schaffung einer gemeinsamen Gesetzesgrundlage im ATSG für alle Versicherungen im Bereich der Betrugsbekämpfung.

Entschuldung der IV Die Kommission unterstützt den Grundsatz der Entschuldung der IV und heisst den dafür vorgesehenen Interventionsmechanismus gut. Sie spricht sich dafür aus, dass die Übernahme der Schuldzinsen durch den Bund über das Jahr 2017 hinaus aufrechterhalten wird.

Interventionsmechanismus Die Kommission unterstützt den vorgeschlagenen Interventionsmechanismus, welcher sowohl einnahmen- als auch ausgabenseitige Massnahmen vorsieht.

Hilflosenentschädigung aufgrund lebenspraktischer Begleitung Die Kommission unterstützt die vorgeschlagene Änderung, um die lebenspraktische Begleitung auf Personen mit einer psychischen oder geistigen Gesundheitsbeeinträchtigung zu begrenzen, wie es die 4. IV-Revision vorsah, möchte aber auch

5776

direkte Hilfe anerkennen. Dieses Anliegen wurde nicht übernommen, weil die lebenspraktische Begleitung nicht erweitert werden soll.

1.6

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Das Vernehmlassungsverfahren zur IV-Revision 6b wurde am 23. Juni 2010 eröffnet. Zur Stellungnahme eingeladen waren die Kantone, die Parteien, die Spitzenverbände der Wirtschaft und weitere interessierte Organisationen. Die Vernehmlassungsfrist endete am 15. Oktober 2010. Insgesamt sind 135 Stellungnahmen eingegangen.

Die hauptsächlichen Tendenzen der Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Befürwortung der Hauptziele der Revision Dass das strukturelle Defizit der Versicherung beseitigt und die Schulden der IV gegenüber der AHV getilgt werden müssen, wird allgemein anerkannt. Bei den zu treffenden Massnahmen gehen die Meinungen jedoch bisweilen sehr stark auseinander. Verschiedentlich wurde die Forderung laut, die Revision nicht nur mit kostendämpfenden Massnahmen zu versehen, sondern auch einnahmenseitige Massnahmen einzubringen.

Anpassung des Rentensystems: grundsätzliche Befürwortung undgeteilte Meinungen zur Umsetzung Die Abschaffung der heutigen Rentenstufen und die Einführung eines stufenlosen Rentensystems in der IV und in der 2. Säule werden mit grosser Mehrheit begrüsst.

Allerdings gehen die Meinungen über die konkrete Ausgestaltung auseinander.

Rentenformel: Die vorgeschlagene Rentenformel wird von vielen Vernehmlassern abgelehnt, insbesondere wegen des Ausmasses der Rentenreduktionen in der IV.

Verschiedentlich wird gefordert, der Rentenanspruch in der IV solle ­ wie für die 2. Säule vorgeschlagen ­ dem Invaliditätsgrad entsprechen. Andere Vernehmlassungsteilnehmer kritisieren die unterschiedliche Rentenformel für die IV und die 2. Säule. Einzelne Vernehmlasser wehren sich dagegen, dass die Voraussetzung für eine ganze Rente neu ein Invaliditätsgrad von 80 Prozent und nicht mehr ein Invaliditätsgrad von 70 Prozent ist, mit dem Hinweis, es gäbe kaum entsprechende Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Bezüglich Anrechnung tatsächlicher Einkommen ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent wird befürchtet, dies erhöhe die Komplexität zu sehr und schaffe eine Ungleichbehandlung.

Anpassung laufender IV-Renten: Die vorgeschlagene Anpassung laufender Renten in der IV wird grundsätzlich begrüsst, ebenso der Besitzstand für Personen ab 55 Jahren. Bedenken bestehen für die Umsetzung, weil während der Übergangszeit zwei parallele Systeme geführt werden müssen. Gefordert wird von einigen
Vernehmlassern eine Anpassung auch der Renten mit einem Invaliditätsgrad von 40 bis 49 Prozent sowie eine Ausdehnung des Besitzstandes auf Personen ab 50 Jahren.

Anpassung laufender Renten nach BVG: Zum stufenlosen Rentensystem in der 2. Säule gab es nur wenige Rückmeldungen. Diese äusserten sich vorwiegend positiv zur Absicht, das stufenlose Rentensystem in der 2. Säule für laufende Renten nur bei einer Änderung des Invaliditätsgrades einzuführen.

5777

Begleitmassnahmen: Die Schaffung einer neuen Erheblichkeitsschwelle von 5 Prozentpunkten (Art. 30bis) sowie die Streichung des Freibetrags (Art. 31) sind unbestritten.

Kostenverlagerung auf EL: Die Kantone verlangen eine Kompensation der durch die Ergänzungsleistungen verursachten Mehrkosten.

Aufgrund der Ergebnisse der Vernehmlassung wurde das stufenlose Rentensystem so angepasst, dass die IV und die 2. Säule die gleiche Rentenformel haben, die Rentenreduktionen geringer ausfallen und deutlich weniger Kostenverlagerungen zu den EL ausgelöst werden.

Verstärkte Eingliederung: Zustimmung Die Vernehmlassungsteilnehmer begrüssen die verstärkte Eingliederung an sich, kritisieren allerdings verschiedene Aspekte allgemeiner Art: Beispielsweise bedauern einige der Befragten, dass die Arbeitgeber nicht verbindlicher in den Eingliederungsprozess eingebunden werden. Für andere sollte es einen Anspruch auf eingliederungsorientierte Beratung und Betreuung geben. Ein gesetzlich verankertes interprofessionelles Assessment wurde klar abgelehnt, da es den Handlungsspielraum der IV-Stellen eingrenzen würde. Die Definition der Eingliederungsfähigkeit im Gesetz wurde praktisch einhellig begrüsst. Hingegen wurde deren Aufnahme in die Voraussetzungen für eine Rentenanspruch von mehreren Befragten als eine Verlängerung der Karenzfrist um ein Jahr aufgefasst; die Folge davon seien mehr Sozialhilfefälle. Auf breite Kritik stiess die Ausweitung des Aufgabenbereichs der RAD.

Neue Regelung für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern: Zustimmung mit Vorbehalt Die vorgeschlagene Reduktion der Kinderrenten wird nicht von einer Mehrheit der Vernehmlasser vorbehaltlos begrüsst. Dort wo die Massnahme auf Ablehnung oder Vorbehalte stösst, liegt der Grund jedoch oft nicht in der Massnahme selber, sondern im Kontext der Revision 6b: Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer, insbesondere Kantone, lehnen die Anpassung der Kinderrenten wegen der erwarteten Mehrkosten bei den Ergänzungsleistungen ab. Andere könnten der Massnahme zustimmen, wenn nicht gleichzeitig ein stufenloses Rentensystem eingeführt würde, welches zu einer Reduktion einzelner Invalidenrenten führt, und wenn die Revision auch Mehreinnahmen vorsehen würde. Eine Minderheit schliesslich lehnt die Massnahme grundsätzlich ab, weil sie den Bestrebungen zur Verringerung von
Familienarmut und zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie widerspreche.

Vereinzelt wird geäussert, die Massnahme gehe zu wenig weit.

Mit der vorgenommenen Anpassung des Rentensystems werden deutlich weniger Invalidenrenten gekürzt und dies zudem in geringerem Ausmass, was auch zu weniger Mehrkosten für die EL führt. Damit kann den Vorbehalten gegenüber der Reduktion der Kinderrenten zumindest teilweise Rechnung getragen werden, so dass diese Massnahme gegenüber der Vernehmlassung unverändert belassen wird.

Neue Regelung für Reisekosten: Zustimmung Die Massnahme wird mehrheitlich gutgeheissen und das Verbesserungspotenzial allseits anerkannt. Einige Kantone beanstandeten die Einführung zweier unterschiedlicher Systeme je Massnahme und die Komplexität der neuen Regelung.

5778

Verschiedentlich wurde ein alternatives System vorgeschlagen mit einer Franchise von 300 Franken. Ein Teilnehmer sprach sich dafür aus, den Begriff «behinderungsbedingte Mehrkosten» auf alle Massnahmen, auch auf Eingliederungsmassnahmen, anzuwenden und die Übernahme des sogenannten Zehrgelds zu streichen.

Missbrauchsbekämpfung: Zustimmung Von zahlreichen Beteiligten wurde die konsequente Weiterführung bzw. Ergänzung der Massnahmen in der Betrugsbekämpfung, insbesondere die Regelung im ATSG für alle Sozialversicherungen, begrüsst und unterstützt. Von einigen Beteiligten wurde festgehalten, dass die bestehenden Massnahmen genügen, und dass insbesondere die vorgeschlagenen Artikel 42 und 52a ATSG nicht nötig seien.

Entschuldung der Versicherung: grundsätzliche Zustimmung Die vorgeschlagene Rückzahlung der IV-Schulden war unbestritten. Alle Beteiligten sahen die Notwendigkeit der Entschuldung der IV als gegeben. Allerdings verlangte ein Teil der Beteiligten, dass dieses Vorhaben nicht nur über eine Ausgabenkürzung, sondern auch über Mehreinnahmen realisiert wird.

Interventionsmechanismus zur langfristigen Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts: grundsätzliche Zustimmung und Präferenz für Variante 1 Zwei Varianten wurden in die Vernehmlassung geschickt: nur einnahmenseitige Massnahmen bei einer Interventionsschwelle von 40 Prozent einer Jahresausgabe (Variante 1), und einnahmen- und ausgabenseitige Massnahmen, die unterschiedlich hoch ausfallen, bei einer Interventionsschwelle von 30 Prozent einer Jahresausgabe (Variante 2). Variante 1 wurde mehrheitlich vorgezogen. Einige Teilnehmer schlugen jedoch ausschliesslich eine ausgabenseitige Intervention vor, wohingegen sich ein anderer Teilnehmer für eine ausgeglichene einnahmen- und ausgabenseitige Interventionslösung aussprach. In der Botschaft wird nun ein Modell vorgeschlagen, das im Gegensatz zu den Varianten der Vernehmlassung ausgeglichen auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite wirkt.

Die im Rahmen der Vernehmlassung zur Diskussion gestellten Massnahmen, welche über eine Verordnungs- und Weisungsänderung umgesetzt werden, sind nicht Bestandteil der vorliegenden Botschaft.

1.7

Evaluation

Die vorliegende Gesetzesrevision unterliegt, wie alle Revisionen, einer systematischen Evaluation. Grundlage dafür bildet der mit der 4. IV-Revision eingeführte Artikel 68 IVG. Die Evaluation zielt auf die mit der Revision eingeführten Massnahmen und deren Auswirkung auf die Versicherten, die anderen Sozialversicherungen, die Kantone und die Gemeinden.

Die Kosten für die wissenschaftlichen Auswertungen trägt gemäss Artikel 68 Absatz 2 IVG die IV.

Im Übrigen richtet das BSV zurzeit ein dauerhaftes Monitoring der Bezügerinnen und Bezüger von Leistungen der IV, der ALV und der Sozialhilfe ein («Monitoring SHIVALV»). Dieses Monitoring ermöglicht es, die individuellen Übergänge zwischen den genannten Leistungssystemen systematisch und präzis zu messen und zu 5779

analysieren. Damit können mögliche Entwicklungen erkannt und gegebenenfalls Massnahmen ergriffen werden. Der Datensatz (mit Daten aus den einzelnen Leistungssystemen ab 2005) bildet eine der Grundlagen für die Evaluation der Auswirkungen der verschiedenen IV-Revisionen.

1.8

Parlamentarische Vorstösse

Wir beantragen zwei Vorstösse zur Abschreibung. Das Postulat Robbiani «Weniger anforderungsreiche Tätigkeit und Anspruch auf IV-Rente» (05.3070) und die Motion Robbiani «Bestimmung des Invalideneinkommens» (06.3466) beschäftigen sich beide mit verschiedenen Teilaspekten der Bemessung des Invalideneinkommens mittels der allgemeinen Einkommensvergleichsmethode. Verlangt wird einerseits die Festlegung verbindlicher Kriterien zur Ermittlung des Invalideneinkommens (hypothetisches Einkommen mit Gesundheitsschädigung) und andererseits, dass bei der Bemessung des (hypothetischen) Invalideneinkommens den regionalen Lohnunterschieden Rechnung getragen und nicht auf die schweizerischen Durchschnittswerte abgestellt wird. Die IV-Revision 6b sieht mit der Präzisierung der Delegationsnorm vor, dass der Bundesrat bezüglich des ersten Anliegens weiterhin die Möglichkeit hat zu bestimmen, wie das Validen- und das Invalideneinkommen festzulegen sind und dass er beispielsweise die tatsächlichen Werte oder die Anrechenbarkeit bzw. Nichtanrechenbarkeit tatsächlich erzielter kleiner Einkommen festlegen kann. Was die Bemessung des Invalideneinkommens mithilfe von Tabellenlohnvergleichen angeht, sollen die bisherigen von der Rechtsprechung entwickelten Abzüge für die leidensbedingte Einschränkung und für die Parallelisierung unterdurchschnittlicher Einkommen zu einem einzigen nach oben begrenzten Abzug zusammengeführt werden. Damit wird der Ermessensspielraum eingeschränkt, und die Unité de Doctrine bezüglich der Bemessung der Vergleichseinkommen und damit des Invaliditätsgrades wird gefestigt. Damit wird den Anliegen der beiden Vorstösse Rechnung getragen. Wir schlagen vor, diese abzuschreiben.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Art. 3 Abs. 1bis letzter Satz (neu) Der Verweis auf Artikel 9bis AHVG schafft die gesetzliche Grundlage für die Anpassung der Beiträge der Nichterwerbstätigen an den Rentenindex gemäss Artikel 33ter AHVG. Der Bundesrat hat diese Ergänzung von Absatz 1bis im Sinne einer Klarstellung bereits in der Botschaft zur 5. IV-Revision vorgeschlagen, zusammen mit der Erhöhung der Beiträge vom Erwerbseinkommen sowie des Mindest- und des Höchstbeitrages, den die Nichterwerbstätigen entrichten müssen (BBl 2005 4459, hier 4557). Das Parlament hat sich bei der Beratung der 5. IV-Revision für eine befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer und gegen eine Beitragserhöhung ausgesprochen und hat die vorgeschlagene Änderung von Artikel 3 Absatz 1 und 1bis ganz gestrichen. Der letzte Satz von Absatz 1bis, wonach Artikel 9bis AHVG sinngemäss gilt, wird deshalb wieder aufgenommen.

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Art. 3a (neu) Die Informierung, Beratung und Unterstützung der Versicherten und Unternehmen spielen eine wichtige Rolle, um die berufliche und soziale Ausgliederung zu verhindern und die Eingliederung zu unterstützen. Versicherte und Arbeitgeber können künftig mehrmals individuelle und punktuelle auf Eingliederung ausgerichtete Beratung und Begleitung in Anspruch nehmen.

Gerade bei Menschen mit psychischen Behinderungen zeigt sich, dass die bisherigen Kriterien der Früherfassung (30-tägige Arbeitsunfähigkeit oder wiederholte Kurzabsenzen während eines Jahres) nicht oder zu spät greifen. Psychische Probleme manifestieren sich auch am Arbeitsplatz oft schleichend und auf diffuse Weise, und nicht selten fällt es selbst der betroffenen Person schwer, das Problem zu identifizieren. Für den Arbeitgeber und die Arbeitskolleginnen und ­kollegen ist es oft schwierig, auch wenn sie eine Verschlechterung der Arbeitsbeziehungen wahrnehmen, die Ursache des Problems auszumachen. Vor diesem Hintergrund wird die Früherkennung auf Personen ausgeweitet, die von Arbeitsunfähigkeit bedroht sind (Art. 3abis Abs. 1).

In Fällen psychischer Erkrankungen ist es daher nicht sinnvoll, genaue Kriterien festzulegen für die Frage, wann eine Früherfassung angezeigt ist; bestenfalls würde es sich dabei um Leitlinien handeln, die in vielen konkreten Fällen nur ansatzweise angewandt werden könnten. Aus diesem Grund wird die Voraussetzung für einen möglichen Beizug der IV für arbeitende Versicherte mit psychischen Problemen, deren Weiterbeschäftigung aus gesundheitlichen Gründen gefährdet ist, sehr niederschwellig ausgestaltet. Dies soll es nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch ihren Arbeitgebern ermöglichen, Dienstleistungen der IV-Stelle problemlos in Anspruch zu nehmen. Damit wird der Arbeitgeber selbst Empfänger einer IV-Dienstleistung. Damit diese Dienstleistung in Anspruch genommen wird, muss sie einfach ausgestaltet sein. So ist für die Beratungsdienstleistung keine Meldung oder Anmeldung erforderlich. Es wird des Weiteren auf die Eröffnung eines Versicherungsfalls und die Anbindung einer als Rechtsanspruch ausgestalteten Leistung an eine konkrete versicherte Person verzichtet. Für alle Beteiligten ­ auch für die Fachleute der IV-Stelle ­ wird damit die Möglichkeit geschaffen, ein Gespräch über eine Situation und
nicht über einen Fall zu führen. Es wird zudem verhindert, dass die betreffende Person stigmatisiert wird. Nicht die Person ist das Problem, nicht sie muss gemeldet und angemeldet werden, damit die nötigen Hilfestellungen erfolgen; vielmehr steht die vom Arbeitgeber als schwierig empfundene Situation im Vordergrund sowie sein Bedarf an Beratung und Unterstützung. Selbstverständlich kann sich auch die betroffene Person mit der IV-Stelle in Verbindung setzen, dies ist jedoch nicht Voraussetzung für eine Beratung. Abhängig von Art und Umfang der Begleitung und Beratung kann die IV-Stelle die Beratung selbst durchführen oder eine externe Spezialistin oder einen externen Spezialisten (z. B. einen Coach) beiziehen.

Kann die Situation nicht rasch und ohne grossen Aufwand verbessert werden, so kann nach der Beratung die Meldung für die Früherfassung erfolgen.

Diese Leistungen, die bereits im Rahmen der IV-Revision 6a für Massnahmen zur Wiedereingliederung von Rentenbezügerinnen und -bezügern vorgeschlagen wurden, sind für kleingewerbliche Betriebe von grosser Bedeutung, da diese in der Regel weder über die personellen Ressourcen noch über das entsprechende Knowhow verfügen, um Versicherte zu begleiten.

5781

Es handelt sich um eine Kann-Bestimmung. Weder für Versicherte noch für Arbeitgeber besteht ein Anspruch auf eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung.

Dieses Instrument gehört zu den unverbindlichsten und unbürokratischsten Leistungen der IV-Stellen und beruht auf Freiwilligkeit. Wird eine eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung verweigert, so wird im Sinne des Einfachheitsprinzips keine Verfügung erlassen. Es besteht kein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf diese Leistungen, weshalb dieser vor Gericht auch nicht eingeklagt werden kann.

Art. 3abis (neu)

Grundsatz

Absatz 1: Die Früherfassung wurde mit der 5. IV-Revision eingeführt und soll es den IV-Stellen ermöglichen, zur Verhinderung einer Invalidität so früh wie möglich mit der versicherten Person in Kontakt zu treten. Die Erfahrung hat indes gezeigt, dass die Versicherung trotz der Früherfassung meist zu spät mit den Versicherten in Kontakt tritt, vor allem bei Menschen mit einer psychischen Behinderung. Die Richtung der 5. IV-Revision muss deshalb weiterverfolgt werden, und die Früherfassung ist nicht nur auf bereits arbeitsunfähige Versicherte anzuwenden, sondern auch auf von Arbeitsunfähigkeit bedrohte Versicherte. Mit dieser Änderung können IV-Stellen noch rascher intervenieren und Unterstützung anbieten. Neu wird dazu eine von den IV-Stellen angebotene eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung für Versicherte und Arbeitgeber eingeführt (Art. 3a).

Absatz 2: Um eine einheitliche Terminologie zu gewährleisten, wird der Begriff «frühzeitige Erfassung» durch «Früherfassung» ersetzt. Ausserdem wird im Hinblick auf eine terminologische Übereinstimmung mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz35 der Begriff «Versicherungseinrichtungen» durch «Versicherungsunternehmen» ersetzt.

Art. 3b Abs. 2 Bst. f und g Buchstabe f: Im Hinblick auf eine terminologische Übereinstimmung mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz36 wird der Begriff «Versicherungseinrichtung» durch «Versicherungsunternehmen» ersetzt.

Buchstabe g: Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe d enthält neu einen Verweis auf das Unfallversicherungsgesetz, weshalb die Abkürzung des Erlasstitels hier eingeführt wird.

Art. 7 Abs. 2 Bst. d Die versicherte Person ist verpflichtet, aktiv an allen zumutbaren Massnahmen teilzunehmen, die zur Erhaltung des bestehenden Arbeitsplatzes oder zu ihrer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in einen dem Erwerbsleben gleichgestellten Aufgabenbereich dienen. Dazu gehören auch die medizinischen Behandlungen durch die Krankenversicherung. Da auch die Unfall- und die Militärversicherung solche Massnahmen durchführen, sind sie ebenfalls in die Liste von Absatz 2 Buchstabe d aufzunehmen, auch wenn es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung handelt.

35 36

SR 961.01 SR 961.01

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Art. 7abis (neu)

Eingliederungsfähigkeit

Absatz 1 und 2: Das ATSG definiert die Begriffe der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7) und der Invalidität (Art. 8). Nicht definiert wird hingegen der Begriff der Eingliederungsfähigkeit.

Es handelt sich jedoch, gerade in der IV, nicht um einen neuen Begriff. So spricht etwa Artikel 18 IVG bei der Arbeitsvermittlung von arbeitsunfähigen Versicherten, die «eingliederungsfähig» sind. Auch Artikel 18b spricht im Zusammenhang mit der Kapitalhilfe von «eingliederungsfähigen invaliden Versicherten», und Artikel 57 führt die «Abklärung der Eingliederungsfähigkeit» als Aufgabe der IV-Stellen auf.

Eine klare gesetzliche Definition dieser zentralen Aufgabe und der Elemente, welche die Eingliederungsfähigkeit kennzeichnen, fehlt allerdings.

Die Eingliederungsfähigkeit ist seit Beginn ein zentraler Begriff der IV. Es überrascht daher nicht, dass die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen für berufliche Massnahmen den Begriff aufgenommen und rasch inhaltlich konkretisiert hat: Dabei wird zwischen objektiver und subjektiver Eingliederungsfähigkeit unterschieden. Die objektive Eingliederungsfähigkeit bezieht sich in diesem Verständnis auf die jeweilige in Frage stehende Massnahme (Ist diese für die versicherte Person in deren derzeitigen Lage notwendig und ist es die geeignete?). Die subjektive Eingliederungsfähigkeit wiederum bezieht sich auf die Eingliederungsbereitschaft der versicherten Person. (Ist diese bereit, an der in Betracht gezogenen Massnahme zu teilzunehmen?)

Insgesamt bleibt die Definition der Eingliederungsfähigkeit aber auch in der Rechtsprechung zwangsläufig relativ offen; es wird lediglich festgehalten, dass von Fall zu Fall zu prüfen ist, ob eine Massnahme mit Blick auf den Gesundheitszustand, das Leistungsvermögen, die Bildungsfähigkeit und die Motivation der versicherten Person sowie allfälliger zusätzlicher Elemente sinnvoll und geeignet erscheint.

Die Eingliederungsfähigkeit als zentrales Element im Eingliederungsprozess ist klar zu definieren. Dies ist umso wichtiger, als die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit heute meist gleichgesetzt wird mit der Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit. Diese Gleichsetzung ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch der Eingliederung abträglich.

Wie in Artikel 6 ATSG umschrieben, bezeichnet
die Arbeitsunfähigkeit die medizinisch bedingte Unfähigkeit, im bisherigen Aufgabenbereich Arbeit zu leisten. Erst bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf berücksichtigt. Weder in der ersten noch in der zweiten Phase ist eine mögliche Eingliederung Gegenstand der Begriffsdefinition. Entsprechend wird in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht auf für die Eingliederung wesentliche Aspekte Bezug genommen: So wird weder umschrieben, welche konkreten Aspekte einer Tätigkeit nicht mehr bewältigt werden können, noch welche konkreten Verrichtungen noch möglich wären. Auch fehlt jeglicher Hinweis darauf, wie die motivationale oder soziale Situation der versicherten Person aussieht und welche allenfalls sinnvollen rehabilitative Schritte eingeleitet werden sollten.

Während der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Wesentlichen Auskunft darüber gibt, inwiefern eine (bisherige) konkrete Tätigkeit aus rein medizinischer Sicht nicht oder nicht mehr bewältigt werden kann, beinhaltet der Begriff der Eingliederungsfähigkeit ganz andere Aspekte. Trotz der unterschiedlichen Bedeutungen dieser beiden Begriffe besteht heute mehrheitlich die Auffassung, dass eine rein medizinisch 5783

bestimmte, vorwiegend auf bisherige Tätigkeiten fokussierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine verlässliche Aussage darüber erlaubt, ob Frühinterventions- und Eingliederungsmassnahmen zugesprochen bzw. weiter durchgeführt werden sollten.

Nun sind es aber die oben erwähnten Aspekte, welche bei der Prüfung der Frage massgebend sind, ob jemand eingliederungsfähig ist und welche Massnahmen angezeigt sind.

Die Eingliederungsfähigkeit als Grundvoraussetzung für die Zusprechung von Eingliederungsmassnahmen der IV nach Artikel 8 IVG ist deshalb als eigenständiger Sachverhalt klar zu definieren. Da die IV auf die Eingliederung von Personen mit gesundheitlichen Problemen zielt, ist diese Definition im IVG zu verankern.

Als eingliederungsfähig gelten Versicherte, die objektiv in der Lage sind, an Frühinterventionsmassnahmen und Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen, im Sinne von Abschnitt III, Unterabschnitt B und C IVG. Entgegen der Definition, wie sie sich in der Rechtsprechung etabliert hat, wird neu auf das Vorhandensein einer subjektiven Eingliederungsfähigkeit bewusst verzichtet. Die Einführung der Integrationsmassnahmen, welche auf die Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Behinderungen zugeschnitten sind, macht diese überflüssig, denn ein wesentliches Element der Integrationsmassnahmen ist die Förderung der Arbeitsmotivation. Seit Einführung dieser Massnahmen wird von den Fachpersonen der IV erwartet, die versicherten Personen auch darin zu begleiten, sich eine Eingliederung überhaupt erst zuzutrauen.

Dort, wo die subjektiven Voraussetzungen trotz geeigneter Beratung und Massnahmen nicht erfüllt sind, wird künftig wohl eher von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht ausgegangen.

Die Eingliederungsfähigkeit bezieht sich künftig direkt auf die Fähigkeit, an konkreten Eingliederungsmassnahmen (und Frühinterventionsmassnahmen) teilzunehmen.

Diese Massnahmen müssen nicht unmittelbar auf eine berufliche Tätigkeit ausgerichtet sein. Auch hier handelt es sich um eine Folge der Einführung der niederschwelligen Integrationsmassnahmen, die nur zugesprochen bzw. nach einer Zusprechung weitergeführt werden sollen, wenn zumindest mittelbar eine berufliche Eingliederung möglich erscheint.

Auch bei der Eingliederungsfähigkeit geht es um die Frage, ob die versicherte Person in ihrer aktuellen Situation
in der Lage ist, an Massnahmen der IV teilzunehmen und ob diese Teilnahme mittelfristig zu einem Erfolg führen kann.

Was die einzelnen Massnahmen anbelangt, so werden die versicherungsmässigen Voraussetzungen für dieselben unterschiedlich umschrieben. An diesen Voraussetzungen ändert sich nichts. Das heisst z. B., dass für die Integrationsmassnahmen eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent bestehen muss. Ob die Person, für welche zu prüfen ist, ob Integrationsmassnahmen angezeigt sind, auch effektiv eingliederungsfähig ist, ist eine andere Frage. Das heisst, wenn eine Person als eingliederungsfähig gilt, so verleiht ihr das noch nicht Anspruch auf Leistungen.

Dieser Anspruch muss unabhängig und nach den gesetzlichen Voraussetzungen geprüft werden.

Abs. 3: Die Eingliederung ist eine Aufgabe, die den IV-Stellen bereits im geltenden IVG zugewiesen ist (Art. 57 Abs. 1 Bst. d IVG). Keine andere Sozialversicherung (mit Ausnahme der Militärversicherung) hat den Auftrag zur (beruflichen) Eingliederung der Versicherten.

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Es ist demnach Sache der IV-Stelle, über die Eingliederungsfähigkeit zu entscheiden. In Anlehnung an den mehrdimensionalen Invaliditätsbegriff in der IV, zu dem immer auch die Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer gesundheitlichen Einschränkung gehört, berücksichtigt die IV-Stelle bei ihrer Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit daher berufliche und medizinische Aspekte.

Für diese ressourcenorientierten Gesamtbetrachtung müssen fallweise die jeweils notwendigen internen und externen Spezialistinnen und Spezialisten einbezogen werden. Bei ausschliesslich eingliederungsorientierten Fragen muss der Beizug eines Arztes nicht zwingend sein. Anders verhält es sich, wenn sich im Laufe der Eingliederungsphase zeigt, dass die Ausrichtung einer (Teil-)Rente in Betracht gezogen wird. Um ein Aneinanderreihen verschiedener Abklärungen zu vermeiden, ist in dem Moment, in dem sich abzeichnet, dass eine Rentenprüfung unumgänglich wird, zwingend ein Arzt einzubinden, der die notwendigen medizinischen Abklärungen vornehmen wird.

Art. 7c Abs. 2 (neu) Damit die Eingliederung gelingt, braucht es eine enge Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber. Die 5. IV-Revision verankerte den Grundsatz der Mitwirkung im Gesetz. Der Arbeitgeber hat demnach bei der Herbeiführung einer angemessenen Lösung mitzuwirken. Die IV-Revision 6b verfolgt diesen Weg weiter und begrenzt so weit als möglich die Faktoren, welche die Eingliederungsbemühungen aller beteiligten Akteure behindern könnten. So lädt die IV-Stelle etwa den Arbeitgeber ein, das Arbeitsverhältnis mit der versicherten Person während der Durchführung von Frühinterventions- oder Eingliederungsmassnahmen nicht ohne Rücksprache mit der IV-Stelle aufzulösen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine verbindliche Weisung, und es können keine Sanktionen gegen den Arbeitgeber ergriffen werden, wenn er sich nicht daran hält. Es geht vielmehr darum, die Zusammenarbeit zwischen den beiden wichtigsten Eingliederungspartnern ­der IV-Stelle und dem Arbeitgeber ­ zu festigen. Die IV-Stelle kann einen Arbeitgeber nicht daran hindern, das Arbeitsverhältnis mit der versicherten Person zu kündigen, sie kann aber gemeinsam mit dem Arbeitgeber nach einer Alternative suchen (z. B. einer Anpassung der Massnahme).

Art. 8 Abs. 3 Bst. b Mit der Einführung der neuen Eingliederungsmassnahme
«Arbeitsversuch» sowie der neuen Gliederung des Kapitels «Die Massnahmen beruflicher Art» im Rahmen der 6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket37, muss Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe b entsprechend angepasst werden. Da in den Buchstaben a, abis und d von Artikel 8 Absatz 3 nicht auf die einzelnen Massnahmen verwiesen wird, wird bei Buchstabe b die Klammer nicht durch das neue Instrument «Arbeitsversuch» und die neue Gliederung ergänzt bzw. angepasst, sondern gestrichen. Ein Verweis auf das Kapitel der Massnahmen beruflicher Art genügt.

37

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Art. 14 Abs. 2bis und 2ter (neu) Absatz 2bis: Für medizinische Massnahmen nach Artikel 12 und 13 sollen in Zukunft nicht mehr die gesamten Reisekosten als akzessorische Leistung zur Massnahme vergütet werden. Die Versicherten werden dementsprechend keinen Anspruch mehr auf die Vergütung der vollen Reisekosten zur Ärztin oder zum Arzt, ins Spital oder zur Therapie haben, sondern nur noch Anspruch auf die Rückerstattung von behinderungsbedingten Mehrkosten im Zusammenhang mit notwendigen Reisen von und zur nächstgelegenen Durchführungsstelle. Die versicherte Person wird also aufzeigen müssen, dass ihr aufgrund ihrer Behinderung Mehrkosten bei der Reise von und zur Durchführungsstelle entstanden sind. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn es ihr aufgrund ihrer Behinderung nicht möglich ist, ein öffentliches Transportmittel wie Bus oder Zug zu nehmen und sie stattdessen das Behindertentaxi nehmen muss. In Zukunft wird eine versicherte Person also darlegen müssen, dass ihr im Vergleich zu einer nicht behinderten Person Mehrkosten entstanden sind, und wie hoch diese sind.

Häufige oder regelmässige Reisen von und zu einer Ärztin oder einem Arzt oder zur Therapie aufgrund einer Behinderung fallen explizit nicht unter den Begriff «behinderungsbedingte Mehrkosten». Unter dem Titel «behinderungsbedingte Mehrkosten» werden einzig die Mehrkosten aufgrund der Wahl des Transportmittels, nie jedoch aufgrund der Häufigkeit berücksichtig.

Im Weiteren werden nur noch die behinderungsbedingten Mehrkosten der versicherten Person selbst übernommen. Damit soll die immer grosszügigere Praxis des Bundesgerichts und damit dessen Ausdehnung der Kostenübernahme auf Dritte, auf Besuche von Dritten etc. wieder auf das ursprünglich vom Gesetzgeber vorgesehene Mass beschränkt werden.

Als weitere Neuerung werden die behinderungsbedingten Mehrkosten der versicherten Person zudem nur noch, analog zum System des Tiers garant in der Krankenversicherung, zurückerstattet. Die Versicherten werden die Reisekosten selber bezahlen müssen. Unter Vorweisung der entsprechenden Rechnungen oder Belege können sie die Mehrkosten bei der IV-Stelle geltend machen bzw. deren Rückerstattung beantragen. Die IV-Stellen werden die Rechnungen prüfen und den Versicherten die ihnen zustehenden Mehrkosten zurückerstatten.

Abs. 2ter: Gemäss
Artikel 9 IVG werden Eingliederungsmassnahmen grundsätzlich nur in der Schweiz und nur ausnahmsweise im Ausland gewährt. Wie bereits heute sollen deshalb auch in Zukunft nur in Ausnahmefällen bei Behandlungen im Ausland die behinderungsbedingten Mehrkosten an notwendigen Reisekosten zurückerstattet werden. Die Bedingungen für die Ausnahmen werden, wie bereits heute, vom Bundesrat festgelegt.

Art. 14a Abs. 2bis (neu), 3 und 5 Absatz 2bis: Mit dem Wegfall der allgemeinen Norm für die Regelung der Reisekosten (Art. 51 geltendes Recht) muss für die Integrationsmassnahmen eine gesetzliche Grundlage für die Übernahme der Reisekosten der versicherten Person von und zur Durchführungsstelle der Integrationsmassnahme geschaffen werden. Zudem soll bei dieser Gelegenheit auch gleich eine klare gesetzliche Grundlage für die bisher auf Verordnungs- und Weisungsebene geregelte Übernahme von Kosten für die Unterkunft und Verpflegung geschaffen werden 5786

Bei Integrationsmassnahmen bilden die Reisekosten eine «klassische» akzessorische Leistung zu den Eingliederungsmassnahmen: Siewürden für die versicherte Person nicht anfallen, wenn sie gesund wäre. Deshalb sollen bei diesen Massnahmen grundsätzlich die heutigen Regelungen zur Anwendung gelangen, d. h. es werden von der Versicherung die tatsächlich anfallenden Reisekosten übernommen.

Die Versicherung übernimmt grundsätzlich nur die notwendigen Kosten im Zusammenhang mit Versicherungsleistungen. Dies bedeutet beispielsweise, dass sich die versicherte Person an die nächstgelegene Durchführungsstelle begeben muss, dass eine Verpflegung nur dann übernommen wird, wenn es der versicherten Person nicht zumutbar ist, sich zu Hause zu verpflegen oder dass wenn immer möglich öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen sind.

Abs. 3: Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung wurden mit der 5. IV-Revision eingeführt. Sie sind speziell auf Menschen mit psychischen Behinderungen ausgerichtet. Die ersten Erfahrungen zeigen indes, dass dieses Instrument noch optimiert werden kann, um besser auf das anvisierte Ziel hinwirken zu können.

Nach bisherigem Recht kommt eine versicherte Person im Verlauf des Lebens nur während einem Jahr in den Genuss von Integrationsmassnahmen, in Ausnahmefällen während höchstens zwei Jahren. Die berufliche Eingliederung psychisch beeinträchtigter Versicherter braucht jedoch meist mehr Zeit. Um die Eingliederung dieser Personen ­ der Versichertenkategorie, die am häufigsten eine IV-Rente bezieht ­ nicht zu gefährden, ist deshalb auf eine zeitliche Begrenzung zu verzichten. Die IV-Revision 6a sieht übrigens im Rahmen der eingliederungsorientierten Rentenrevision bereits vor, die Integrationsmassnahmen für Rentenbezügerinnen und bezüger nicht zeitlich zu begrenzen.

Um die Wirksamkeit der Massnahme aufrechtzuerhalten, müssen die IV-Stellen weiter darauf achten, dass eine Integrationsmassnahme nur verfügt wird, wenn eine begründete Aussicht auf Erfolg besteht und Kosten und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.

Abs. 5: Die 5. IV-Revision führte eine Anreizmassnahme für Arbeitgeber ein: Werden die Integrationsmassnahmen an der bisherigen Arbeitsstelle der versicherten Person durchgeführt, so erhält der Arbeitgeber einen Beitrag von 60
Franken für jeden Tag, an dem eine Integrationsmassnahme durchgeführt wird (Art. 4octies IVV).

Der Kreis der Personen, die Anspruch auf einen solchen Beitrag haben, soll erweitert werden, damit die berufliche Eingliederung und die Integration in den ersten Arbeitsmarkt weiter gefördert werden. Neu sollen auch neue Arbeitgeber Anspruch auf diesen Beitrag haben, wenn sie eine versicherte Person zur Umsetzung von Integrationsmassnahmen in ihren Betrieb aufnehmen.

Art. 17 Abs. 3 (neu) Wie bei den Integrationsmassnahmen (Art. 14a) muss für die Umschulung nach dem Wegfall der allgemeinen Norm für die Regelung der Reisekosten (Art. 51 geltendes Recht) eine gesetzliche Grundlage für die Übernahme der Reisekosten der versicherten Person von und zur Durchführungsstelle der Ausbildungsstätte geschaffen werden. Zudem soll wie bei den Integrationsmassnahmen auch gleich eine klare gesetzliche Grundlage für die bisher auf Verordnungs- und Weisungsebene geregelte Übernahme der tatsächlich notwendigen Kosten für die Unterkunft und Verpflegung 5787

geschaffen werden. Ansonsten kann hinsichtlich der Kostenübernahme auf die Ausführungen zu den Integrationsmassnahmen verwiesen werden.

Art. 18abis (neu)

Personalverleih

Ziel dieser neuen Massnahme ist es, den «Werkzeugkasten» an Eingliederungsmassnahmen, der den IV-Stellen zur Verfügung steht, zu erweitern und somit die Chancen der Versicherten zu erhöhen, wieder eine ihrer Ausbildung, ihrem Profil und ihrem Gesundheitszustand entsprechende Arbeit zu finden. Die Versicherten sollen vor allem zusätzliche berufliche Erfahrung sammeln, um ihre Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, ohne dass indes zwischen der versicherten Person und dem Einsatzbetrieb ein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden muss. Um die Logik bezüglich des Eingliederungsprozesses wiederzugeben, wird der Personalverleih in Art. 18abis eingeführt. Dem Personalverleih vorgelagert ist im Gesetz der Arbeitsversuch (Art. 18a38). Für diesen ist kein Arbeitsvertrag nötig und er dient der Arbeitserprobung der versicherten Person im freien Arbeitsmarkt. Gefolgt wird der Personalverleih vom Einarbeitungszuschuss (Art. 18b39), dessen Ausrichtung an einen Arbeitsvertrag gebunden ist.

Absatz 1: Der Personalverleih soll den Versicherten die Möglichkeit geben, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, wenn sich eine Festanstellung als schwierig erweist. In gewissen Fällen wäre ein Betrieb durchaus bereit, eine versicherte Person einzustellen. Mögliche zusätzliche Kosten (höhere Krankentaggeld-, BVG-Prämien, usw.) oder die Komplexität der Situation beim Abschluss eines Arbeitsvertrags (z. B. Rückfallrisiko) halten die Betriebe jedoch davon ab. Grundsätzlich können die IV-Stellen erst dann auf diese Massnahme zurückgreifen, wenn keine Anstellung im ersten Arbeitsmarkt zustande kommt. Wenn sich also ein Betrieb bereit erklärt, die versicherte Person zu beschäftigen, ohne ihr eine Festanstellung bieten zu können (z. B. nur Temporäreinsatz), oder wenn noch keine Stelle verfügbar ist, können die IV-Stellen sich an einen Personalverleiher wenden, und ihn damit beauftragen, eine entsprechende Anstellung zu finden.

Im konkreten Fall erteilt die IV-Stelle dem Personalverleiher einen Auftrag. Dieser schliesst mit der versicherten Person einen Arbeitsvertrag ab und vermittelt die Person anschliessend an einen Einsatzbetrieb mit entsprechendem Personalbedarf weiter. Der Verleihvertrag zwischen dem Personalverleiher und dem Einsatzbetrieb fällt unter das Arbeitsvermittlungsgesetz vom 6. Oktober 1989; AVG. Der
Einsatzbetrieb ist somit formell nicht der Arbeitgeber, nichtsdestotrotz gelten für die versicherte Person ihm gegenüber die arbeitsrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflichten.

Der Lohn wird vom Personalverleiher bezahlt.

In Absatz 1 wird eine Kann-Formulierung verwendet. Folglich besteht auf die Leistung kein Anspruch, sondern die IV-Stellen können den Personalverleih nutzen, wenn sie es als opportun erachten. Das heisst, die Massnahme kann nicht vor Gericht eingefordert werden. Beim Personalverleih wird auf einen versicherungsexternen Akteur zurückgegriffen (Verleiher). Dieser kann der versicherten Person, dem Einsatzbetrieb oder der IV-Stelle den Abschluss eines Vertrages nicht aufzwingen.

Ausserdem besteht die Möglichkeit des Personalverleihs nur so lange, wie eine Festanstellung nicht in Frage kommt. Deshalb ist es wichtig, dass die IV-Stellen auf 38 39

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eine solche Massnahme verzichten oder sie beenden können, wenn die Integration der versicherten Person nicht mehr das Ziel der betroffenen Parteien ist, z. B. bei wiederholten Einsätzen, die in keine Festanstellung münden, obschon die Einsätze und die Anzahl der dem Einsatzbetrieb zugewiesenen Versicherten klar zeigen, dass dieser eine Person fest anstellen müsste. Diese Bestimmung dient dazu, in jedem Fall zu vermeiden, dass durch den zweckentfremdeten Einsatz dieser Massnahme prekäre Arbeitsverhältnisse entstehen.

Die IV-Stellen spielen bei der Umsetzung dieser Massnahme eine zentrale Rolle. Sie entscheiden über die Zusprache der Massnahme, legen den Umfang derselben sowie die Höhe der an den Verleiher bezahlten Entschädigung fest. Diese vorrangige Rolle, die den IV-Stellen hier zukommt, verhindert Missbräuche und erlaubt es den IV-Stellen sicherzugehen, dass die Massnahme im Interesse der versicherten Person und nicht ausschliesslich in jenem des Einsatzbetriebes ist (der beispielsweise keinen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen und die Kosten des Verleihs einsparen möchte, ohne auf den Gesundheitszustand der Person Rücksicht zu nehmen).

Absatz 2: Die Anforderung, dass es sich bei den Verleihagenturen um spezialisierte Personalverleiher handeln muss, garantiert eine fachgerechte Beratung und Begleitung , sowohl für die versicherte Person als auch für den Einsatzbetrieb. Die Voraussetzungen in fachlicher Hinsicht sind erfüllt, wenn beim Personalverleiher eine Fachkraft arbeitet, die Kenntnisse und Erfahrung im Bereich der Beratung und des Coachings von gesundheitlich beeinträchtigten Personen sowie im Bereich des Konfliktmanagements mitbringt. Diese Fachperson wird die Parteien beraten und bei der Umsetzung optimaler Bedingungen für den Arbeitseinsatz der versicherten Person begleiten, wobei deren Gesundheitszustand, Kompetenzen und Profil zu berücksichtigen sind. Die Fachperson muss zudem mögliche Rückfallrisiken der versicherten Person vorausschauend berücksichtigen.

Absatz 3: Dieser Absatz zählt die Auslagen auf, die in der von der IV gedeckten Entschädigung an den Personalverleiher enthalten sind. Die Aufzählung ist abschliessend. Der Personalverleiher ist somit finanziell in der gleichen Situation, wie sie bei einem ganz normalen Arbeitsvertrag vorzufinden ist. Abgedeckt werden: ­

die Entschädigung der vom Verleiher im Rahmen des Personalverleihs erbrachten Leistungen, d. h. die finanzielle Gegenleistung für seine Basisleistungen (Arbeitsstelle suchen, Dossierverwaltung, Vorbereitung von Unterlagen und erforderlichen Verträgen, Lohnzahlung, usw.);

­

die Entschädigung des Zeitaufwands für Beratung und Begleitung, das heisst: Begleitung der versicherten Person (Coaching: Organisation der Arbeit, Einrichtung des Arbeitsplatzes, Interventionen bei Krisen oder Rückfällen, usw.) und des Einsatzbetriebs (Beantworten von Fragen und Beratung: Gesundheitszustand der versicherten Person, Schwierigkeiten und potentielle Konflikte, Arbeitsorganisation, usw.). Es ist wichtig, dass der Verleiher bei Bedarf so rasch als möglich vor Ort intervenieren kann, damit der Ablauf der Massnahme optimiert und ein Rückfall vermieden werden kann.

­

die gesundheitsbedingte Erhöhung von Krankentaggeld- und BVG-Prämien.

Insofern als der Verleiher formell als Arbeitgeber der versicherten Person fungiert, muss er auch die Soziallasten und diverse Prämien bezahlen (Taggeldversicherung, BVG, usw.). Bei gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten sind diese Ansätze höher. Die IV kommt für die Mehrkosten bei 5789

Prämien und Beiträgen auf, sofern diese auf den Gesundheitszustand der Person zurückzuführen sind.

Absatz 4: Der Bundesrat legt den Höchstbetrag der Entschädigung fest und kann ihn bei Bedarf anpassen, zum Beispiel aufgrund der Kostenentwicklung oder der gemachten Erfahrungen.

Der Bundesrat muss ausserdem eine Obergrenze festlegen, ab der der Rückgriff von Einsatzbetrieben auf den Personalverleih nicht mehr entschädigt wird. Es kann sich dabei um eine maximal Anzahl von temporären Einsätzen, eine Zeitlimite oder beides gleichzeitig handeln.

Art. 21 Abs. 2bis (neu) Absatz 2bis: Im Zusammenhang mit der Abgabe von Hilfsmitteln nach Artikel 21 Absatz 1 sollen analog den Integrationsmassnahmen und der Umschulung nach wie vor die gesamten Reisekosten als akzessorische Leistung zur Massnahme vergütet werden. Hinsichtlich der Regelung der Vergütung wie auch deren Umfang kann auf die entsprechenden Ausführungen zu Artikel 14a Absatz 2bis verwiesen werden.

Art. 22 Abs. 1 Mit der 5. IV-Revision wurde das IV-Taggeldsystem geändert: Anspruch auf Taggelder haben insbesondere nur noch erwerbstätige Personen, die Eingliederungsmassnahmen absolvieren. Der geltende Artikel verweist indes fälschlicherweise noch auf die gewohnte Tätigkeit der versicherten Person, obwohl ausschliesslich die Einschränkung in ihrer Erwerbstätigkeit massgebend ist. Deshalb ist die Bezeichnung «gewohnte Tätigkeit» durch den Begriff «Erwerbstätigkeit» zu ersetzen, entsprechend dem Willen des Gesetzgebers.

Art. 28

Grundsatz

Buchstabe a: Anspruch auf eine Rente besteht künftig nur, wenn eine Person nicht eingliederungsfähig nach Artikel 7abis ist. Dieser Zusatz nimmt den Grundsatz der 5. IV-Revision «Eingliederung vor Rente» auf und stellt die Eingliederung der Versicherten wie auch den zentralen Begriff der Eingliederungsfähigkeit ins Zentrum. Solange versicherte Personen eingliederungsfähig, und damit in der Lage sind, an Massnahmen teilzunehmen, die ihre Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit verbessern können, wird eine Rente nicht geprüft. Damit wird auch für die versicherte Person selbst der Fokus auf die Eingliederungsbemühungen gelegt. Bereits während der ganzheitlichen Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit durch die Eingliederungsfachperson in Zusammenarbeit mit allen relevanten Spezialisten verschiedener Fachrichtungen und beim sich daran anschliessenden Entscheid über die in Frage kommenden Massnahmen ist die versicherte Person aktiv einzubinden.

Für Personen, bei denen es sich bereits vor oder im Laufe der Eingliederungsphase zeigt, dass die Ausrichtung einer Teilrente ein Thema wird (z.B. parallel zur Erhaltung eines bestehenden Arbeitsplatzes), kann diese, wenn alle anderen Voraussetzungen nach Artikel 28 Absatz 1 erfüllt sind, trotz vorhandener Eingliederungsfähigkeit, die ja dann eine teilweise ist, geprüft werden. Ein rascher Rentenentscheid fördert hier die Eingliederung.

5790

Auch für Personen, für die eine spätere Eingliederungsfähigkeit zwar zu vermuten, jedoch zum Abklärungszeitpunkt noch nicht vorhanden ist, ist eine Rente, möglicherweise befristet und unter Auflagen zu prüfen, wenn alle anderen Bedingungen des Artikel 28 Absatz 1 erfüllt sind.

Buchstabe b: Die bestehende Bestimmung wird ergänzt. Bereits heute kann ein Rentenanspruch nur entstehen, wenn alle zumutbaren Eingliederungsmassnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen ausgeschöpft worden sind. Neu werden hier auch medizinische Behandlungen im Sinne von Artikel 25 KVG, 10 UVG und 16 MVG nach KVG aufgeführt. Kommt die IV-Stelle zum Schluss, dass mit geeigneten medizinischen Massnahmen (Therapien, Operationen) die Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit verbessert werden kann, wird die Prüfung des Rentenanspruchs bis zur Erfüllung der Auflage aufgeschoben.

Zeigt sich, wie in Buchstabe a, dass eine Teilrente in Frage kommt, und sind die anderen Voraussetzungen von Artikel 28 erfüllt, kann die Ausrichtung einer Teilrente geprüft werden. Für Personen, die im Abklärungszeitpunkt noch nicht in der Lage sind, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen, dies später vermutlich aber sein werden, ist eine Rente zu prüfen, möglicherweise befristet oder unter Auflagen, sofern alle anderen Bedingungen von Artikel 28 erfüllt sind.

Auch damit wird dem Primat «Eingliederung vor Rente» weiteres Gewicht verliehen. Gerade bei Menschen mit psychischen Behinderungen kann eine fachärztliche Behandlung zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit führen.

Aus versicherungsrechtlicher Sicht macht es Sinn, dass die IV die Durchführung von Therapien für das Ausrichten von Leistungen voraussetzen darf. Absprachen mit dem behandelnden Arzt und allenfalls weiteren involvierten Partnern (etwa den Krankenversicherern) sind dabei unerlässlich.

Buchstaben c und d Absatz 1 nehmen das bisherige Recht unverändert auf.

Art. 28a Abs. 1, 1bis (neu) und 4 (neu) Absatz 1 bestimmt, dass sich die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten weiterhin wie bisher nach Artikel 16 ATSG (Grad der Invalidität) richtet.

Absatz 1bis: Allerdings soll für Invalideneinkommen in der Höhe bis zu 20 Prozent des Valideneinkommens eine Sonderregelung eingeführt werden. Absatz 1bis bestimmt
deshalb, dass Invalideneinkommen in der Höhe bis zu 20 Prozent des Valideneinkommens nur berücksichtigt werden, sofern der Invaliditätsbemessung ein tatsächlich erzieltes Einkommen zugrunde gelegt wird. Wird jedoch bei der Invaliditätsbemessung nicht auf das tatsächliche Einkommen abgestellt, so resultiert in diesen Fällen ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit eine ganze Rente.

Es geht hier typischerweise um Personen, welche nur noch kleine Restarbeitsfähigkeiten aufweisen. Solch kleine Restarbeitsfähigkeiten können auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nicht immer realisiert werden. Daher ist in solchen Fällen heute schon unter gewissen Umständen (vgl. etwa Urteil I 831/05 vom 21. August 2006 Erw. 4.1.1 mit Hinweisen) davon auszugehen, dass kein Invalideneinkommen mehr realisiert werden kann (= 100 Prozent Invaliditätsgrad und damit eine ganze Rente).

5791

Allerdings gibt es Fälle, in welchen davon auszugehen ist, dass auch bescheidene Restarbeitsfähigkeiten grundsätzlich auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt noch verwertbar sind. Werden solche Einkommen tatsächlich noch erzielt, so soll in diesen Fällen weiterhin eine Anrechnung dieser Einkommen erfolgen können. Bei der Berücksichtigung dieser Einkommen sind die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (stabiles Arbeitsverhältnis, Person schöpft die ihr zumutbare Leistungsfähigkeit voll aus und es wird kein Soziallohn ausgerichtet) zur Anwendung zu bringen. Entsprechend sind diese Kriterien vom Bundesrat in der Verordnung festzulegen, wofür die bestehende Delegationsnorm an den Bundesrat angerufen werden kann (vgl. die Erläuterungen zum neuen Abs. 4). Darin wird auch geregelt, welche Einkommen aus Tätigkeiten in einer geschützten Werkstätte oder aus selbständiger Tätigkeit anzurechnen sind.

Neu bestehen somit die Invaliditätsgrade von 80­99 Prozent nur noch in denjenigen Fällen, in denen der Festlegung des Invalideneinkommens ein tatsächliches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wurde. In allen anderen Fällen resultieren ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit ein Anspruch auf eine ganze Rente.

Absatz 4: Die bisherige Delegationsnorm an den Bundesrat in Absatz 1 soll neu in Absatz 4 verschoben werden. Zudem soll die Delegationsnorm präzisiert werden.

Einerseits soll der Bundesrat wie bisher die Möglichkeit haben zu bestimmen, wie das Valideneinkommen und das Invalideneinkommen nach Artikel 16 ATSG festzulegen sind (z.B. tatsächliche Werte, Tabellenlöhne oder wie oben erwähnt die Kriterien für die Anrechenbarkeit bzw. Nichtanrechenbarkeit tatsächlich erzielter, kleiner Einkommen). Andererseits soll er auch die von diesen Einkommen allfällig vorzunehmenden Abzüge oder Zuschläge definieren. So ist neu geplant (vgl. Ziff. 1.3.1.3, Invaliditätsbemessung bei Tabellenlohnvergleichen) die bisherigen von der Rechtsprechung entwickelten Abzüge für die leidensbedingte Einschränkung und für die Parallelisierung unterdurchschnittlicher Einkommen zu einem einzigen nach oben begrenzten Abzug zusammenzuführen, um die unité de doctrine für die ganze Schweiz durch eine Einschränkung des Ermessensspielraums zu festigen. Dies kann auch einen einschränkenden Effekt auf die Anzahl der Beschwerden haben, indem
eine klare Regelung für mehr Transparenz und Akzeptanz sorgt und damit Streitfälle verhindern hilft.

Für die Anwendung der neuen Bestimmungen greift die normale Übergangsregelung, welche sich nach dem Eintritt des Versicherungsfalles richtet. Trat der Versicherungsfall noch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderungen ein, so gilt noch altes Recht mit der entsprechenden bisherigen Praxis betreffend Abzüge. Trat der Versicherungsfall jedoch nach Inkrafttreten der Gesetzesänderungen ein, so gilt das neue Recht. Bei Revisionsfällen ist die neue Regelung zu berücksichtigen, sobald die Revisionsvoraussetzungen nach Artikel 17 ATSG erfüllt sind (d.h. sobald eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist).

Art. 28b (neu)

Festlegung der Höhe des Rentenanspruchs

Artikel 28b nimmt die bisherige Regelung von Artikel 28 Absatz 2 auf. Dabei richtet sich die Höhe der Rente wie bisher schon nach dem Invaliditätsgrad. Auch wird der Invaliditätsgrad (abgesehen von den Anpassungen bei den Abzügen und Zuschlägen, vgl. Ziff. 1.3.1.3) weiterhin wie bisher berechnet und in ganzen Prozentpunkten festgelegt.

5792

Neu bestimmen nun aber die Absätze 1 und 2 eine neue Art, wie aus dem Invaliditätsgrad die Höhe des Rentenanspruchs in Bezug auf eine ganze Rente festgelegt wird (Art. 37 Abs. 1 hält schon heute fest, dass die Invalidenrenten den Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung entsprechen). Gemäss dem neuen Rentensystem (vgl. Ziff. 1.3.1.2) werden die bisherigen Rentenstufen abgeschafft.

Für die Invaliditätsgrade ab 50 Prozent entspricht die Rente neu einem dem Invaliditätsgrad entsprechenden Anteil in Prozenten der ganzen Rente (Abs. 1). Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Invaliditätsgrad von 50 Prozent einen Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 50 Prozent einer ganzen Rente gibt. Bei einem Invaliditätsgrad von 66 Prozent besteht Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 66 Prozent einer ganzen Rente, bei einem Invaliditätsgrad von 75 Prozent in der Höhe von 75 Prozent einer ganzen Rente usw.

Bezüglich der Berechnung des Invaliditätsgrades ist festzuhalten, dass Artikel 28a Abs. 1bis diesbezüglich eine spezielle Regelung für diejenigen Fälle einführt, bei denen das Invalideneinkommen bis zu 20 Prozent des Valideneinkommens ausmacht (vgl. Erläuterungen zu Art. 28a Abs. 1bis). Neu bestehen Invaliditätsgrade von 80­99 Prozent (und damit auch Renten in der Höhe von 80­99 Prozent einer ganzen Rente) nur noch in denjenigen Fällen, in denen der Festlegung des Invalideneinkommens ein tatsächliches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wurde. In allen anderen Fällen resultiert ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit ein Anspruch auf eine ganze Rente.

Absatz 2 regelt sodann den Rentenanspruch für die Invaliditätsgrade unter 50 Prozent. Im Bereich der Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent entspricht die Höhe der Rente nicht dem Invaliditätsgrad wie bei der Regelung nach Absatz 1. Ausgangspunkt ist auch im neuen System, dass bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent weiterhin ein Rentenanspruch von einem Viertel (d.h. 25 Prozent) einer ganzen Rente besteht. Die Höhe des Rentenanspruchs soll sodann auch für die Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent grundsätzlich linear ansteigen. Die Höhe des Rentenanspruchs für die Invaliditätsgrade über 40 Prozent berechnet sich mathematisch so, dass zu den 25 Prozent einer ganzen Rente bei 40 Prozent Invaliditätsgrad für jeden Prozentpunkt, den der Invaliditätsgrad
40 Prozent übersteigt, 2,5 Prozentpunkte einer ganzen Rente hinzugerechnet werden. Aus Verständlichkeits- und Praktikabilitätsgründen werden die sich so ergebenden Rentenhöhen in der Liste in Absatz 2 einzeln aufgezählt.

Art. 31 Abs. 1 Mit dem Übergang zu einem stufenlosen Rentensystem fallen die bisherigen Schwelleneffekte weg (vgl. hierzu auch Ziff. 1.3.1.2). Sodann werden die Voraussetzungen für eine Rentenrevision in Artikel 17 Absatz 1 ATSG neu geregelt. Die Gefahr eines niedrigeren Gesamteinkommens bei einem kleinen Mehrverdienst aufgrund des allfälligen Verlusts einer Rentenstufe kann somit grundsätzlich neu nicht mehr bestehen. Aus diesem Grund ist der in Artikel 31 Absatz 1 geregelte Freibetrag von 1500 Franken bei einer Erhöhung des Erwerbseinkommens nicht mehr nötig. Der Artikel 31 kann somit vollständig aufgehoben werden, zumal Absatz 2 bereits im Rahmen der Revision 6a aufgehoben wird40.

40

BBl 2010 1941

5793

Art. 38 Abs. 1 und 1bis (neu) Absatz 1: Die Höhe der Kinderrenten für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern soll an die tatsächlichen prozentualen Zusatzkosten, welche ein Kind gemäss den gebräuchlichen Aequivalenzskalen verursacht, angepasst werden (vgl. Ziff. 1.3.3).

Absatz 1 regelt daher, dass die Kinderrente neu 30 Prozent der Invalidenrente entspricht.

Absatz 1bis: Wegen der Anpassung der Kinderrente muss auch der Anspruch, falls beide Elternteile je einen Anspruch auf eine Kinderrente haben (Doppelanspruch), angepasst werden. Wie heute wird die Summe der beiden Kinderrenten auf das Anderthalbfache einer Kinderrente gekürzt, beträgt also neu maximal 45 statt wie bisher 60 Prozent (vgl. die geltende Regelung in Abs. 1). Neu richtet sich der Maximalanspruch zudem nicht mehr nach der maximalen Invalidenrente, sondern vielmehr nach der tatsächlichen unplafonierten Invalidenrente. In der Folge sieht der neue Absatz 1bis vor, dass in den Fällen eines Doppelanspruchs für beide Elternteile je Anspruch auf eine Kinderrente in der Höhe von 22,5 Prozent der jeweiligen Invalidenrente vor der Plafonierung nach Artikel 35 AHVG besteht. Die beiden Kinderrenten betragen im Maximum 1044 Franken (heute 1392 Franken, Zahlen 2011).

Der bisherige Verweis auf Artikel 35 AHVG kann sodann weggelassen werden, da alle notwendigen Faktoren für die Kürzung in Absatz 1 und 1bis enthalten sind.

Ausserdem bestimmt bereits Artikel 38 Absatz 2, dass die gleichen Berechnungsregeln wie für die jeweilige Invalidenrente gelten.

Nicht betroffen von diesen Anpassungen sind Kinderrenten, die mit einer Waisenrente zusammentreffen.

Art. 38bis Abs. 3 Die Delegationsnorm in Absatz 3 hätte aufgrund der Änderungen des Rentensystems und dem Wegfall der Viertels-, halben und Dreiviertelsrenten redaktionell angepasst werden müssen.

Die Delegationsnorm enthält nun aber keine eigentliche Rechtsetzungsbefugnis, sondern lediglich einen Auftrag zur Konkretisierung von Artikel 38 Absatz 1 für gewisse Spezialfälle. Aus diesem Grund ist die Bestimmung eigentlich überflüssig.

Kommt hinzu, dass diese Fälle heute in der IVV (vgl. etwa Art. 33bis IVV) bereits geregelt sind und nun lediglich an das neue Rentensystem gemäss Artikel 28b angepasst werden müssen. Hierfür ist die bisherige Delegationsnorm nicht notwendig, weshalb sie ersatzlos gestrichen
wird.

Art. 42 Abs. 3, 4 und 4bis (neu) Absatz 3: Während die Botschaft zur 4. IV-Revision sich einzig auf Personen mit psychischer oder geistiger Beeinträchtigung bezieht, wird im Gesetz die allgemeine Formulierung «Beeinträchtigung der Gesundheit» verwendet. Letzteres kann sich nicht nur auf eine psychische und geistige Beeinträchtigung beziehen, sondern auch auf eine körperliche. Die geltende Gesetzesformulierung erlaubt es nicht, den ursprünglich eng gefassten Ansatz umzusetzen, der vorsah, den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für lebenspraktische Begleitung einzig auf Personen mit psychischer oder geistiger Beeinträchtigung zu begrenzen, die indirekte Hilfe benö-

5794

tigen. Mehrere Bundesgerichtsurteile stützen sich auf das Prinzip der Gleichbehandlung und bestätigen, dass der Ausschluss einer Gruppe nicht möglich ist.

Steht die Leistung Menschen offen, deren körperliche Gesundheit beeinträchtigt ist, wird der ursprüngliche und einzige Zweck der lebenspraktischen Begleitung entfremdet. Körperlich beeinträchtige Personen haben seit Inkrafttreten des IVG am 1. Januar 1960 ohne Einschränkung Anspruch auf Hilflosenentschädigung. Deshalb muss wieder das im Rahmen der 4. IV-Revision ausgearbeitete Modell Gültigkeit haben und die Leistungsempfänger müssen eindeutig benannt werden. Mit dieser Ergänzung wird beabsichtigt, den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers klar und eindeutig im Gesetz festzuhalten. Zudem soll verhindert werden, dass es auf Grund der bisher erfolgten Rechtsprechung zu einer ungewollten Mengenausweitung, und damit auch zu einem erheblichen Anstieg der Kosten bei diesen Leistungen kommt.

Mit der IV-Revision 6a41 wird der Assistenzbeitrag eingeführt, der als neue Leistung die Hilflosenentschädigung und die Hilfe von Angehörigen ergänzt und eine Alternative zur institutionellen Hilfe schaffen soll. Menschen mit einer Behinderung sollen künftig für die benötigten Hilfeleistungen selber Personen anstellen können und an die dabei anfallenden Kosten von der IV einen Assistenzbeitrag erhalten. Die Betroffenen werden dadurch in die Lage versetzt, ihre Betreuungssituation vermehrt selbstständig und in eigener Verantwortung zu gestalten (BBl 2010 1817). Mit dem neuen System können versicherte Personen Hilfe in Anspruch nehmen, die anderweitig nicht gedeckt wird. Deshalb wird die lebenspraktische Begleitung auch auf die indirekte Hilfe beschränkt. Die direkte Hilfe kann mit dem Assistenzbeitrag abgedeckt werden.

Der neue Wortlaut beschränkt den Anspruch auf Hilflosenentschädigung bei Bedarf an lebenspraktischer Begleitung. Künftig haben einzig Personen mit psychischer oder geistiger Gesundheitsbeeinträchtigung Anspruch auf solche Leistungen. Diese Leistungen bestehen nur in der Anweisung, der Erklärung oder Anleitung für eine entsprechende Handlung, welche die Person mit einer psychischen oder geistigen Gesundheitsbeeinträchtigung jedoch selber ausführen kann und soll. Es kann somit im Rahmen der lebenspraktischen Begleitung erklärt werden, dass und auch
wie die Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt werden muss. Diese Arbeiten werden jedoch von der Person mit einer Behinderung selber gemacht, und nicht von der indirekt hilfeleistenden Person.

Sodann ist aufgrund der Änderung des Rentensystems und dem Wegfall der Begriffe Viertels-, halbe und Dreiviertelsrenten der zweite Satz der Bestimmung anzupassen.

Es handelt sich hier um eine rein redaktionelle Anpassung und die Voraussetzungen für den Bezug einer Hilflosenentschädigung aufgrund lebenspraktischer Begleitung werden materiell nicht geändert. Für rein psychisch beeinträchtigte Personen muss somit nach wie vor ein Anspruch auf eine IV-Rente gegeben sein.

Absatz 4: Der zweite Satz wurde gestrichen, da der Beginn des Anspruchs auf eine Hilflosenentschädigung im neu eingeführten Absatz 4bis geregelt wird.

Absatz 4bis: Der Verweis in Artikel 29 Absatz 1 des geltenden Rechts ist nicht korrekt. Die Karenzfrist von einem Jahr für den Beginn des Rentenanspruch ist seit Inkrafttreten der 5. IV-Revision in Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b geregelt und nicht in Artikel 29 Absatz 1. Ausserdem bezieht er sich ausschliesslich auf volljährige Versicherte, obwohl auch Minderjährige eine Hilflosenentschädigung erhalten 41

BBl 2010 1817

5795

können. Aus Gründen der Klarheit soll der Verweis deshalb durch eine materiellrechtliche Bestimmung ersetzt werden.

Die Bestimmungen zur Karenzfrist für die Entstehung des Rentenanspruchs gelten sinngemäss: Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung beginnt nach Ablauf einer einjährigen Wartezeit, in welcher die versicherte Person ohne wesentlichen Unterbruch mindestens eine Hilflosigkeit leichten Grades aufgewiesen hat. Gemäss Artikel 42bis Absatz 3 entsteht bei Versicherten, welche das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, der Anspruch, sobald voraussichtlich während mehr als zwölf Monaten eine Hilflosigkeit besteht. Auf diese Versichertengruppe ist die Karenzfirst nicht anwendbar und die Hilflosenentschädigung kann ab Geburt ausbezahlt werden.

Art. 49 Insofern als in Artikel 28 IVG eine neue Voraussetzung (Eingliederungsfähigkeit) eingefügt worden ist, muss auch der Verweis, welcher auf diesen Artikel gemacht wird, entsprechend angepasst werden. Artikel 49 IVG verweist deshalb nicht mehr auf Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe a IVG, sondern auf Artikel 28 Buchstabe b IVG.

Art. 51 In Zukunft soll die Vergütung für Reisekosten im Zusammenhang mit Eingliederungsmassnahmen differenzierter geregelt werden als bis anhin. Die Vergütung der Reisekosten wird neu jeweils bei den einzelnen Massnahmen geregelt, weshalb der bisherige Artikel 51 gestrichen werden kann.

Art. 54a (neu)

Regionale ärztliche Dienste

Die regionalen ärztlichen Dienste (RAD) wurden mit der 4. IV-Revision eingeführt.

Gegenwärtig werden sie in Artikel 59 gemeinsam mit den Bestimmungen zur Organisation und zum Verfahren der IV-Stellen behandelt. Die Einbettung der Aufgaben der RAD in den «Sammelartikel» 59 wird deren Bedeutung jedoch nicht gerecht.

Aus diesem Grund wird der Funktion der RAD ein eigener Artikel gewidmet.

Absätze 1­4 (neu) nehmen den geltenden Artikel 59 Absatz 2 und 2bis auf. Er erfährt keine materielle Änderung.

Art. 57 Abs. 1 Bst. d und i (neu) Buchstabe d: Mit diesem Buchstaben wird der Grundsatz der Beratung und Begleitung der versicherten Personen und der Arbeitgeber eingeführt. Diese Aufgabe wird analog zur Berufsberatung und zur Arbeitsvermittlung von den IV-Stellen wahrgenommen. Der bisherige Buchstabe d übertrug den IV-Stellen auch die Abklärung der Eingliederungsfähigkeit. Die vorliegende Revision führt dazu einen spezifischen Artikel ein (Art. 7abis Abs. 1), der ausdrücklich vorsieht, dass die IV-Stellen für die Beurteilung der Eingliederungsfähigkeit zuständig sind. Deshalb muss die Abklärung der Eingliederungsfähigkeit in Artikel 57 Absatz 1 Buchstabe d nicht mehr aufgeführt werden.

Buchstabe i: Eine weitere Aufgabe der IV-Stellen ist die Beratung und die Information der zur Meldung berechtigten Personen und Stellen gemäss Artikel 3b in Fragen der Invalidenversicherung, insbesondere der Eingliederung. Ein Beratungsthema kann zum Beispiel sein, wie sie sich bei Arbeitsunfähigkeit einer erwerbstätigen 5796

Person verhalten sollen. Die Liste der Aufgaben der IV-Stellen muss folglich in diesem Sinne ergänzt werden.

Art. 57a Abs. 1bis und 3 (neu) Absatz 1bis: Wie die Frage der Möglichkeit der vorsorglichen Leistungseinstellung (vgl. hierzu die Erläuterungen zu Art. 52a ATSG) wird auch die Frage, ob der vorsorglichen Leistungseinstellung ein Vorbescheidverfahren voranzugehen hat bzw.

inwiefern das rechtliche Gehör zu gewähren ist, von den Gerichten unterschiedlich beantwortet. So entschieden einige kantonale Gerichte mit Verweis auf die betroffenen Interessen der IV und die zeitliche Dringlichkeit, dass bei einer vorsorglichen Leistungseinstellung kein Vorbescheid nötig sei. Andere Gerichte verweisen jedoch auch auf die zwingende Natur des rechtlichen Gehörs bzw. des Vorbescheids, lassen jedoch dann teilweise zu, dass in solchen Fällen die normalerweise 30-tägige Frist für einen Einwand zum Vorbescheid massiv gekürzt wird.

Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit und der wichtigen betroffenen Interessen des Versicherungsträgers ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs vor Erlass einer Verfügung über eine vorsorgliche Leistungseinstellung nicht sinnvoll. Aus diesem Grund wird Artikel 42 ATSG entsprechend angepasst (vgl. Erläuterungen zu Art. 42 ATSG). Soll das rechtliche Gehör daher erst nachträglich gewährt werden, so hat einer Verfügung über eine vorsorgliche Leistungseinstellung auch kein Vorbescheid voranzugehen.

Absatz 3: Mit der Einführung der Massnahmen zur Verfahrensstraffung per 1. Juli 2006 wurde in der IV der Vorbescheid wieder eingeführt und in diesem Zusammenhang wurde die Frist (30 Tage) für die Einwanderhebung gegen den Vorbescheid in Artikel 73ter Absatz 1 IVV geregelt. Da sich die Lehre uneins ist, und auch noch keine bundesgerichtliche Rechtssprechung zu diesem Thema existiert, ob es sich bei dieser auf Verordnungsstufe geregelten Frist nun um eine gesetzliche, nicht verlängerbare, oder um eine richterliche, verlängerbare Frist handelt, drängt es sich aus Gründen der Rechtsicherheit auf, die Frist neu in Artikel 57a Absatz 3 IVG aufzunehmen und sie somit klar als gesetzliche Frist zu definieren.

Zum einen wurde das Vorbescheidsverfahren im Zuge der Verfahrensstraffung eingeführt. Würde die Frist weiterhin in der IVV geregelt bleiben und das Bundesgericht zum Schluss kommen, dass es
sich dabei um eine richterliche Frist handelt, würde dies dem Sinn und Zweck zuwider laufen und unter Umständen zu einer ungewollten Verlängerung des Verfahrens führen. Zum anderen sind an die Vorbringung von Einwänden gegen den Vorbescheid keine grossen formellen Anforderungen gestellt (diese kann z.B. auch mündlich erfolgen). Eine absolute Frist von 30 Tagen erscheint auch im Lichte des Rechtsschutzes der Versicherten unbedenklich, haben diese doch die Möglichkeit nach Erhalt der Verfügung, ebenfalls in einer gesetzlichen Frist von 30 Tagen Beschwerde gegen diese zu führen.

Systematisch ist die Frist in Artikel 57a Absatz 3 IVG aufzunehmen, da die Frist auch für die in Absatz 2 genannten Parteien zu gelten hat.

Art. 59 Sachüberschrift (neu) Abs. 2 und 2bis

Organisation und Verfahren

Dieser Artikel erfährt keine materielle Änderung. Da die RAD neu in einem eigenen Artikel behandelt werden, wurden die Absätze 2 und 2bis aufgehoben. Der Artikel erhält folglich eine neue, dem veränderten Inhalt angepasste Sachüberschrift.

5797

Art. 60 Abs. 1 Bst. b und c Buchstabe b: Mit der Inkraftsetzung der 5. IV-Revision wird der Einarbeitungszuschuss auf Gesetzesstufe geregelt, nämlich in Artikel 18a IVG. Seit seiner Einführung im Jahr 2008 war die Berechnung der Höhe des Einarbeitungszuschusses Sache der IV-Stelle, und nicht Aufgabe der Ausgleichskasse (s. Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung). Mit der Streichung dieser Aufgabe soll der Gesetzestext im Sinne einer Korrektur an die heutige Praxis angepasst werden.

Buchstabe c: Gleichzeitig mit der Einführung des Einarbeitungszuschusses im Jahr 2008 waren die Ausgleichskassen mit dessen Auszahlung beauftragt worden. Vorgenommen wird die Auszahlung jeweils von der Ausgleichskasse des Arbeitgebers, welcher die versicherte Person angestellt hat. Für die IV-Stellen führt dies dazu, dass sie mit einer der schweizweit ca. 70 Ausgleichskassen zusammenarbeiten muss.

Dies erhöht erfahrungsgemäss das Risiko, dass es hier zu Fehlern kommt. Diese Praxis ist kompliziert und erzeugt Änderungsbedarf. Deshalb soll künftig neu die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) die Auszahlung des Einarbeitungszuschuss übernehmen. Die ZAS ist bereits heute zuständig für die Auszahlung der Entschädigung für Beitragserhöhungen (Art. 18c IVG42).

Art. 66

Anwendbare Bestimmungen des AHVG

Die Regelung des Entzugs der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde bei Verfügungen über Geldleistungen ist neu in Artikel 49a ATSG aufgenommen worden und der Artikel 97 AHVG wird in der Folge aufgehoben. Aus diesem Grund fällt der Verweis auf die aufschiebende Wirkung (Art. 97 AHVG) ersatzlos weg. Die neue ATSG-Bestimmung ist automatisch für die Invalidenversicherung anwendbar (Art. 1 Abs. 1).

Die Sachüberschrift von Artikel 66 wurde in der französichen Fassung zwecks besserer inhaltlicher Übereinstimmung abgeändert.

Art. 68bis Abs. 1 Bst. b Zwecks Begriffsübereinstimmung mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz43 wird der Ausdruck «Versicherungseinrichtungen» durch «Versicherungsunternehmen» ersetzt.

Art. 68quinquies Sachüberschrift (neu) Abs. 1 und 244

Haftung für Schäden in Einsatzbetrieben

Die IV-Revision 6a sieht eine Haftung der IV im Rahmen von Arbeitsversuchen vor45. Bezüglich der Haftung für einen Schaden, welcher dem Arbeitgeber oder Dritten von der versicherten Person zugefügt wird, haftet die Versicherung direkt für den Schaden, den die versicherte Person dem Einsatzbetrieb zufügt, und indirekt

42 43 44 45

BBl 2010 1941 SR 961.01 BBl 2010 1941 BBl 2010 1908 ff.

5798

über das Regressverfahren für den Schaden, den die versicherte Person einem Dritten zufügt.

Wie die Praxis gezeigt hat, bedarf es nicht nur für den Arbeitsversuch, sondern auch für die Integrationsmassnahmen einer Regelung für die Haftung für Schäden in Einsatzbetrieben. Dies deshalb, weil immer mehr Integrationsmassnahmen möglichst wirtschaftsnah in Einsatzbetrieben durchgeführt werden. Aus diesem Grund wird die im Rahmen der IV-Revision 6a eingeführte Haftung für Schäden bei Arbeitsversuchen auch auf die Integrationsmassnahmen ausgeweitet.

Massnahmen in Institutionen bieten hinsichtlich Haftung kein Problem, da diese über entsprechende Betriebshaftpflichtversicherungen verfügen und dieses Risiko über den Tarif für die Massnahme abgegolten wird. Das gilt auch bei erstmaligen beruflichen Ausbildungen oder bei Umschulungen im geschützten Rahmen oder in Institutionen. Werden diese Massnahmen in der freien Wirtschaft durchgeführt, liegt ein Arbeits- oder ein Lehrlingsvertrag vor, womit die Haftungsfragen über das Arbeitsrecht geregelt sind.

Art. 80 Abs. 2­4 (neu) Das seit dem 1. Januar 2011 geltende Gesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung46 richtet einen eigenständigen Ausgleichsfonds für die IV ein (IV-Fonds).

Damit das finanzielle Gleichgewicht dieses neuen Fonds sichergestellt ist, enthält die vorliegende Revision einen Interventionsmechanismus. Damit soll allfälligen Defiziten der IV vorgebeugt werden, z.B. aufgrund einer schwächeren Wirtschaftskonjunktur oder einer unerwartet starken Zunahme der Anzahl Neurenten. Der zweistufige Interventionsmechanismus muss so rasch als möglich Wirkung zeigen können.

Nach Artikel 79 Absatz 3 IVG, ebenfalls in Kraft seit dem 1. Januar 2011, darf der Bestand der flüssigen Mittel und Anlagen des Ausgleichsfonds in der Regel nicht unter 50 Prozent einer Jahresausgabe sinken.

Absatz 2: Absatz 2 regelt die erste Stufe des Interventionsmechanismus. Der Bundesrat muss einer Verringerung der Mittel des IV-Fonds unter den Stand von 40 Prozent einer Jahresausgabe vorgreifen und rasch Massnahmen vorsehen, damit der Stand der flüssigen Mittel und Anlagen des IV-Fonds wieder 50 Prozent einer Jahresausgabe übersteigt. Beispiel: Im Rahmen der finanziellen Überwachung des IV-Fonds werden im Jahr 2011 Prognosen für die Jahre 2012­2014 erstellt. Sollten diese
Prognosen zeigen, dass der Bestand der flüssigen Mittel und Anlagen des IV-Fonds während zweier aufeinanderfolgender Jahre unter 40 Prozent der jeweiligen Jahresausgabe zu liegen kommen könnte, wird der Interventionsmechanismus aktiviert. Der Bundesrat muss dem Parlament dann innerhalb eines Jahres ab der Veröffentlichung der Jahresrechnung, der Bilanz und des detaillierten Vermögensausweises des Ausgleichsfonds (vgl. Art. 108 Abs. 2 AHVG), d.h. in der Regel im Monat April, eine Botschaft über die Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichtes der IV unterbreiten, damit der Gesetzgeber die erforderlichen Massnahmen ergreifen kann.

Absatz 3: Absatz 3 regelt die zweite Stufe des Interventionsmechanismus. Sollte der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Fonds trotzdem am Ende eines 46

SR 831.27

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Rechnungsjahres unter 40 Prozent einer Jahresausgabe fallen und ist absehbar, dass er auch im Folgejahr unter diesem Stand liegen wird, erhöht der Bundesrat den Beitragssatz für erwerbstätige Versicherte um 0,1 Prozentpunkte (der Beitragssatz wird damit von 1,4 auf 1,5 Prozent angehoben); die Beiträge für Nichterwerbstätige werden ebenfalls entsprechend erhöht (Bst. a). Zudem sistiert er die Rentenanpassung an die Lohn- und Preisentwicklung (Bst. b), wobei der Betrag der Invalidenrente in jedem Fall mindestens 95 Prozent der AHV-Altersrente entsprechen muss.

Die Renten sind gemäss Artikel 112 Absatz 2 Buchstabe d der Bundesverfassung an die Preisentwicklung anzupassen. Allerdings kann die Rentenhöhe als provisorische Massnahme bis zu einer begrenzten Zeitdauer von 5 Jahren «eingefroren» werden.

Solle der Interventionsmechanismus länger zur Anwendung kommen, darf nur noch die Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung sistiert werden. Die Anpassung an die Preisentwicklung muss hingegen wieder gewährt werden. Sobald die Massnahmen des Interventionsmechanismus ausser Kraft sind, wird die Höhe der IV-Rente angepasst, so dass sie wieder der AHV-Rente entspricht. Buchstabe b weicht damit vom Grundsatz gemäss Artikel 37 Absatz 1 IVG ab, wonach die Invalidenrenten den AHV-Altersrenten entsprechen.

Das Rentensystem der IV und dasjenige der AHV sind eng miteinander verknüpft.

Deshalb kann die Sistierung der Anpassung der Invalidenrenten an die Lohn- und Preisentwicklung in gewissen Fällen zu Koordinationsproblemen bei der Berechnung oder bei der Plafonierung der AHV-Altersrenten führen, weil die Berechnungsgrundlagen nicht mehr übereinstimmen (Bst. c). Dies ist insbesondere in folgenden Fällen gegeben: bei den in Artikel 31 AHVG vorgesehenen Situationen, bei der Ablösung der Invalidenrente (Art. 33bis AHVG), bei der Summe der beiden Renten für Ehepaare, insbesondere, wenn ein Ehegatte Anspruch auf eine Altersrente und der andere Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung hat (Art. 35 AHVG) und gegebenenfalls beim Zusammentreffen von Waisen- und Kinderrenten gemäss Artikel 37bis AHVG. Absatz 3 Buchstabe b stellt die den erwähnten Artikeln des AHVG zugrunde liegenden Grundsätze zwar nicht in Frage, allerdings kann er zu Problemen praktischer Art führen, was der Bundesrat über Ausführungsbestimmungen
regeln muss. Deshalb sieht Buchstabe c eine entsprechende Kompetenzübertragung vor. Der Bundesrat muss beispielsweise festhalten, auf welcher Grundlage (IV-Rente oder AHV-Rente) die Plafonierung der Paarrenten berechnet werden soll (vgl. Art. 35 AHVG), wenn ein Ehegatte Anspruch auf eine Rente der AHV hat (die an die Preisentwicklung angepasst wird) und der andere eine Rente der IV bezieht (deren Anpassung an die Preisentwicklung sistiert wurde).

Absatz 4: Um sicherzustellen, dass die Auswirkungen der Beitragserhöhung (Abs. 3 Bst. a) und der Sistierung der Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung (Abs. 3 Bst. b) ausgeglichen sind, müssen beide Massnahmen gleichzeitig in Kraft treten. Die durch die Beitragserhöhung erzielten Mehreinnahmen entsprechen damit in etwa den Einsparungen aufgrund der Sistierung der Rentenanpassung. Die beiden Massnahmen müssen auf Anfang des Kalenderjahres erfolgen (1. Januar).

Eine Erhöhung der Beitragssätze unter dem Jahr wäre für die Arbeitgeber und die Ausgleichskassen administrativ nicht umsetzbar und würde zu zahlreichen Durchführungsproblemen führen.

Die Massnahmen nach Absatz 3 Buchstaben a und b werden spätestens dann ausser Kraft gesetzt, wenn der IV-Fonds wieder den Stand von 50 Prozent Jahresausgabe erreicht hat und davon auszugehen ist, dass sich die Lage im darauffolgenden Jahr nicht wieder verschlechtert. Sie können auch im Rahmen der Übergangsbestimmun5800

gen aufgehoben werden, die in dem von der Bundesversammlung gemäss Absatz 2 zu verabschiedenden Gesetz vorzusehen sind.

Schlussbestimmungen der Änderung vom ...

Anpassung laufender Renten Das neue Rentensystem soll nicht nur für neue Rentenfälle gelten, sondern auch auf die bisher laufenden Renten angewendet werden. Absatz 1 regelt daher die Anpassung der laufenden Renten. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Anpassung einer laufenden Rente bilden Personen, die das 55. Altersjahr erreicht haben und für welche ein Besitzstand gilt (vgl. nachfolgende Erläuterung). Eine weitere Ausnahme bilden sodann die Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent, für welche Absatz 2 eine Sonderregelung trifft (vgl. unten).

Somit müssen die IV-Stellen die Hälfte der laufenden Renten einer Revision unterziehen. Da dabei die medizinischen und erwerblichen Verhältnisse neu zu prüfen sind, kann die Anpassung nicht für alle Fälle zeitgleich vorgenommen werden. Es ist also eine Übergangsfrist vorzusehen und zwar von drei Jahren (dies im Hinblick darauf, dass heute jährlich 55 000­60 000 Renten revidiert werden). In dieser Zeit ist es möglich, die laufenden Renten, welche wegen der Gesetzesänderung angepasst werden müssen, zu revidieren. Die Revisionen werden aufsteigend dem Alter der versicherten Person folgend vorgenommen (vgl. unten).

Für den Zeitpunkt der Herabsetzung oder Erhöhung der Rente gelten die normalen Bestimmungen von Artikel 88bis IVV.

Dabei ist zu unterscheiden, ob sich die Herabsetzung oder Erhöhung nur aus der Anwendung des neuen Rentensystems ergibt oder ob gleichzeitig eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vorliegt. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen kann dabei nach Artikel 17 Absatz 1 ATSG erst dann berücksichtigt werden, wenn eine Veränderung beim Invaliditätsgrad von mindestens 5 Prozentpunkten erreicht wird.

Die Herabsetzung von Renten erfolgt sowohl bei Anwendung des neuen Rentensystems als auch bei einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen in der Regel erst auf den ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats (Ausnahme bildet die Meldepflichtverletzung der versicherten Person bei Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen).

Erhöhungen, welche sich nicht aus einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ergeben, sondern aus dem neuen Rentensystem (z.B. neu bei einem gleichbleibenden Invaliditätsgrad von 55 Prozent eine Rente in Höhe von 55 Prozent einer
ganzen Rente statt nur 50 Prozent) sind ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung zu berücksichtigen, so dass es aufgrund der dreijährigen Übergangsfrist zu entsprechenden Nachzahlungen kommen kann.

Weil die Anpassungsfähigkeit mit zunehmendem Alter grundsätzlich abnimmt und nicht zuletzt deshalb eine erfolgreiche Eingliederung schwieriger wird, je älter eine Person ist, sollen die Renten der jungen Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger als erstes revidiert werden. Durch diese Prioritätenordnung wird verhindert, dass der Zeitpunkt der Revision einer Rente von rein zufälligen Faktoren abhängt. Ausserdem wird den älteren Personen, welche nicht vom Besitzstand profitieren können 5801

(da sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Gesetzesbestimmungen noch keine 55 Jahre alt waren) eine gewisse Anpassungszeit gewährt, während welcher sie sich auf die bevorstehende Rentenanpassung einstellen können. Die mit dieser Regelung gewährte Anpassungsfrist führt allerdings dazu, dass eine Person, welche bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung knapp noch nicht 55 Jahre alt war, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Anpassung der Rente unter Umständen fast schon 58 Jahre alt sein wird.

Absatz 2 bestimmt sodann für die Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent, dass diese nicht an das neue System angepasst werden, solange sich der Invaliditätsgrad nicht auf mindestens 50 Prozent erhöht. Wird jedoch neu ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent erreicht, so erfolgt auch in diesen Fällen eine Revision und damit eine Anpassung ans neue Recht. Dabei ist klar, dass Absatz 2 als Sonderreglung zu betrachten ist, so dass die allgemeine Erheblichkeitsschwelle von 5 Prozentpunkten nach Artikel 17 Absatz 1 ATSG für diese Fälle keine Gültigkeit hat. Das heisst, dass bei einem Invaliditätsgrad von 49 Prozent auch dann die Rente an das neue Recht angepasst werden kann, wenn eine gesundheitliche Änderung zu einem Invaliditätsgrad von 51 Prozent führt und somit keine Veränderung um mindestens 5 Prozentpunkte vorliegt.

Um die Wiedereingliederung von Personen mit Anspruch auf eine IV-Rente zu ermöglichen und zu fördern, schlägt die IV-Revision 6a47 vor, dass diese Personen während drei Jahren einen gewissen Schutz geniessen: Personen, welche nach einer Herabsetzung oder Aufhebung ihrer Rente aufgrund einer Erhöhung des Arbeitspensums oder der Neuaufnahme einer Arbeit erneut länger dauernd arbeitsunfähig werden, erhalten neu Anspruch auf eine Übergangsleistung nach Artikel 32 (vgl. die vorgeschlagenen Art. 32­34 IVG48). Diese Phase der Wiedereingliederung soll nicht durch eine Herabsetzung des Rentenbetrags im Rahmen der aktuellen Gesetzesrevision belastet werden. Ausserdem würde eine Herabsetzung in diesem Zeitraum zusätzliche und erhebliche Komplikationen bei der Koordination mit den Leistungen der beruflichen Vorsorge mit sich bringen, da sie in die Zeit der neu geschaffenen provisorischen Weiterversicherung in der beruflichen Vorsorge fallen würde (vgl.

Art. 26a und 49 Abs. 2 Ziff. 3a BVG gemäss Revision 6a49).
Absatz 3 enthält daher für die Fälle des Zusammentreffens einer Anpassung laufender Renten nach Absatz 1 mit der provisorischen Weiterversicherung in der beruflichen Vorsorge oder der Übergangsleistung nach Artikel 32 eine Koordinationsregelung, nach welcher die Anpassung der laufenden Renten an den neuen Artikel 28b in diesen Fällen erst nachträglich erfolgt. Dies bedeutet, dass bei gleichbleibendem Gesundheitszustand die Anpassung an den neuen Artikel 28b erst mit Wirkung ab dem Zeitpunkt des Auslaufens der dreijährigen Frist nach Artikel 32 erfolgt. Im Falle einer erneuten gesundheitlichen Beeinträchtigung der versicherten Person (bei welcher eine Übergangsleistung nach Art. 32 ausgerichtet wird) erfolgt die Anpassung an das neue Rentensystem gleichzeitig mit der Überprüfung des Invaliditätsgrades nach Artikel 34 (mit Wirkung ab dem von Artikel 34 Absatz 2 festgelegten Zeitpunkt). Im Falle einer weiteren rentenrelevanten Verbesserung, sei es aufgrund einer Verbesserung des Gesundheitszustandes, sei es aufgrund einer weiteren Erhöhung des Erwerbseinkommens bzw. einer Ausdehnung des Arbeitspensums, erfolgt 47 48 49

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eine normale Rentenrevision nach Artikel 17 ATSG, welche sich jedoch noch am alten Rentensystem zu orientieren hat (solange die dreijährige Frist nach Art. 32 noch nicht abgelaufen ist).

Hat die Person auch einen Anspruch auf eine Invalidenrente in der obligatorischen beruflichen Vorsorge, so wird durch diese Regelung sichergestellt, dass die Anpassung der Renten erst nach der Beendigung der provisorischen Weiterversicherung erfolgt.

Beispiel 1: Eine versicherte Person bezieht eine ganze Rente bei einem Invaliditätsgrad von 72 Prozent. Kurz nach Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung wird ihr wegen einer Erhöhung des Arbeitspensums die Rente revisionsweise auf eine halbe Rente (Invaliditätsgrad von 55 %) heruntergesetzt. Weil eine Anpassung der laufenden Rente an Artikel 28b vorher noch nicht erfolgt ist, richtet sich die Herabsetzung der IV-Rente noch nach den alten Bestimmungen. Nach Ablauf der drei Jahre provisorische Weiterversicherung nach Artikel 26a BVG wird die Rente nun an die neuen Bestimmungen angepasst und sie erhält neu ab dem Zeitpunkt des Auslaufens der dreijährigen Frist nach Artikel 32 bei einem Invaliditätsgrad von 55 Prozent eine Rente in der Höhe von 55 Prozent einer ganzen Rente (gleichzeitig erfolgt aufgrund des Auslaufens der provisorischen Weiterversicherung eine Anpassung der Rente nach BVG).

Beispiel 2: Eine versicherte Person bezieht eine halbe Rente bei einem Invaliditätsgrad von 53 Prozent. Kurz nach Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung wird ihr wegen einer Erhöhung des Arbeitspensums die Rente revisionsweise aufgehoben (Invaliditätsgrad von 30 %). Nach 12 Monaten erleidet die versicherte Person eine erneute gesundheitliche Beeinträchtigung und erhält eine Übergangsleistung in der Höhe der früheren halben Rente. Die Überprüfung des Invaliditätsgrades nach Artikel 34 ergibt neu einen Invaliditätsgrad von 57 Prozent. Da nun gleichzeitig eine Anpassung der Rente an die neuen Bestimmungen erfolgt, erhält sie neu mit Wirkung ab dem von Artikel 34 Absatz 2 festgelegten Zeitpunkt eine Rente in der Höhe von 57 Prozent einer ganzen Rente.

Beispiel 3: Eine versicherte Person bezieht eine ganze Rente bei einem Invaliditätsgrad von 72 Prozent. Kurz nach Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung wird ihre laufende Rente an Artikel 28b angepasst und sie erhält neu eine Rente in der
Höhe von 72 Prozent einer ganzen Rente. Einige Monate später wird ihre Rente wegen einer Erhöhung des Arbeitspensums revisionsweise auf eine Rente in der Höhe von 51 Prozent einer ganzen Rente (bei Invaliditätsgrad von 51 %) heruntergesetzt. Nach 18 Monaten erleidet die versicherte Person eine erneute gesundheitliche Beeinträchtigung und erhält nun eine Übergangsleistung in der Höhe der Rente vor der Herabsetzung aufgrund der Ausdehnung des Arbeitspensums (in casu also eine Rente in der Höhe von 72 Prozent einer ganzen Rente). Die anschliessende Überprüfung des Invaliditätsgrades nach Artikel 34 ergibt neu einen Invaliditätsgrad von 61 Prozent, was zu einer Rente in der Höhe von 61 Prozent einer ganzen Rente führt.

Nichtanpassung laufender Renten von Rentenbezügerinnen und -bezügern, die das 55. Altersjahr vollendet haben Um einerseits die aufgrund der Änderung des Rentensystems notwendigen Revisionen zahlenmässig einzugrenzen und andererseits Härtefälle abzufedern, soll die Anpassung des neuen Rentensystems bei den Rentenbezügerinnen und Rentenbezügern im fortgeschrittenen Alter, welche oftmals bereits einen langjährigen Renten5803

bezug hinter sich haben, sich schlechter an eine neue Rentensituation anpassen können und welche auch schlechtere Chancen haben, ihr Gesamteinkommen mit einem Einkommen aus einer Arbeitstätigkeit aufzubessern, nicht angewendet werden. Alle Rentenbezügerinnen und Rentenbezüger, welche daher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesrevision das 55. Altersjahr vollendet haben, profitieren von einem Besitzstand. Dies bedeutet, dass sich die Höhe des Rentenanspruchs weiterhin nach den bisherigen Bestimmungen richtet.

Aus Gründen der Rechtsgleichheit sollen zufällige externe Faktoren wie etwa der Zeitpunkt der Verfügung einer Rente keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des Besitzstandes haben können. Deshalb wird die bewährte intertemporalrechtliche Regelung zur 5. IV-Revision (vgl. IV-Rundschreiben Nr. 253 vom 12. Dezember 2007) übernommen, wonach jeweils der Eintritt des Versicherungsfalles massgebend ist. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass Renten mit einem Rentenbeginn unter dem alten Recht unabhängig davon, ob sie bereits vor oder erst nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts verfügt wurden, für die Gewährung des Besitzstandes in Frage kommen.

Änderungen in den Verhältnissen sollen auch künftig berücksichtigt werden und zu einer Revision der Leistung führen. Dies gilt einerseits für Änderungen in den persönlichen Verhältnissen (wie Heirat, Scheidung, Verwitwung, Zuwachs oder Wegfall von Kinderrenten, periodische Rentenanpassungen usw.), welche zu einer Änderung des Rentenbetrages führen können. Andererseits sollen auch Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen (z. B. aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Rentenbezügers oder einer Rentenbezügerin) zu einer Revision führen, wobei sich die Höhe des Rentenanspruchs weiterhin nach den bisherigen Bestimmungen zu richten hat.

Beispiel 1: Eine versicherte Person bezieht bei einem Invaliditätsgrad von 53 Prozent eine halbe Rente. Sie hat beim Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen das 55. Altersjahr vollendet und erhält daher weiterhin eine halbe Rente ausgerichtet (Besitzstand). In der Folge verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse derart, dass die IV-Stelle neu einen Invaliditätsgrad von 64 Prozent feststellt.

Da sich die Leistung weiterhin nach den bisherigen Bestimmungen richtet, erhält die versicherte
Person neu eine Dreiviertelsrente (=75 Prozent einer ganzen Rente und nicht 64 Prozent einer ganzen Rente wie es nach den neuen Bestimmungen der Fall wäre).

Beispiel 2: Eine versicherte Person bezieht bei einem Invaliditätsgrad von 72 Prozent eine ganze Rente. Sie hat beim Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen das 55. Altersjahr vollendet und erhält daher weiterhin eine ganze Rente ausgerichtet (Besitzstand). In der Folge verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse derart, dass die IV-Stelle revisionsweise einen Invaliditätsgrad von 61 Prozent feststellt. Da sich die Leistung weiterhin nach den bisherigen Bestimmungen richtet, erhält die versicherte Person neu eine Dreiviertelsrente (= 75 Prozent einer ganzen Rente und nicht 61 Prozent einer ganzen Rente, wie es nach den neuen Bestimmungen der Fall wäre).

Beispiel 3: Eine versicherte Person bezieht bei einem Invaliditätsgrad von 62 Prozent eine Dreiviertelsrente. Sie hat beim Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen das 55. Altersjahr zurückgelegt und erhält daher weiterhin ihre Dreiviertelsrente ausgerichtet (Besitzstand). In der Folge verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse derart, dass die IV-Stelle revisionsweise einen Invaliditätsgrad von 5804

35 Prozent feststellt. Da kein rentenbegründender Invaliditätsgrad mehr besteht, wird die Rente revisionsweise aufgehoben.

Anpassung laufender Kinderrenten Die Änderungen bei den Kinderrenten sollen nicht nur für neue Rentenfälle gelten, sondern auch auf alle bisher laufenden Renten angewendet werden. Die Ausgleichskassen müssen daher alle laufenden Kinderrenten nach den neuen Bestimmungen neu berechnen. Die laufenden Renten werden jedoch im Sinne einer Abfederung erst 3 Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision an den neuen Artikel 38 Absatz 1 angepasst. Für neue Kinderrenten gelten die neuen Ansätze ab Inkrafttreten der Gesetzesrevision. Wegen der Implikationen auf andere Sozialversicherungssysteme ist es zu vermeiden, dass die Anpassung unter dem Jahr erfolgt. Die Gesetzesänderungen sollen deshalb auf einen 1. Januar in Kraft gesetzt werden.

Allerdings kann es bei den Kinderrenten zu Anpassungen in zweierlei Hinsicht kommen. Einerseits muss eine Anpassung an den neuen Artikel 38 Absatz 1 erfolgen und andererseits zieht auch eine allfällige Anpassung der Invalidenrente an das neue Recht (vgl. Art. 28a und 28b sowie die diesbezüglichen Schlussbestimmungen) eine Anpassung der zugeordneten Kinderrente(n) nach sich. Mit dieser Schlussbestimmung ist nur die erste Anpassung gemeint, was mit dem expliziten Hinweis auf Artikel 38 Absatz 1 im Gesetzeswortlaut klargestellt werden soll.

Entschuldung der Invalidenversicherung Absätze 1 und 2: Das Gesetz über die Sanierung der Invalidenversicherung50 hat zum Ziel, die IV nachhaltig zu sanieren. Dazu muss die IV ihre Schulden bei der AHV abbauen. Artikel 79 Absatz 3, in Kraft seit 1. Januar 2011, hält fest, dass der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Ausgleichsfonds grundsätzlich nicht unter 50 Prozent einer Jahresausgabe fallen darf. Die vorliegende Revision sieht deshalb die Rückzahlung der Schulden entsprechend diesem Grenzwert vor.

Liegt der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Ausgleichsfonds bei 50 Prozent einer Jahresausgabe oder mehr, wird der Überschuss zum Abbau der Schulden vollumfänglich der AHV überwiesen (Abs. 1). Liegt der Bestand der flüssigen Mittel und der Anlagen des IV-Ausgleichsfonds unter dem gesetzlich festgelegten Minimum, d. h. unter 50 Prozent einer Jahresausgabe, wird die Rückzahlung ausgesetzt
(Abs. 2). Dank dieser Bestimmung kann die Invalidenversicherung, wenn sie sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden sollte, ihre Ausgaben reduzieren. Folglich ist dies die erste Massnahme, die noch vor dem Interventionsmechanismus greift, um zu verhindern, dass die IV sich verschuldet (vgl. Art. 79b).

Anreize für Arbeitgeber Der in der vorliegenden Gesetzesrevision geplante Interventionsmechanismus sieht vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung eine Botschaft vorlegen muss, wenn sich abzeichnet, dass der Stand des IV-Fonds unter 40 Prozent einer Jahresausgabe sinken wird (Art. 80 Abs. 2 IVG). Ein derartiges Absinken des Fonds wird als Indiz dafür gewertet, dass das Eingliederungsziel nicht erreicht ist. Deshalb muss die Botschaft zuhanden der Bundesversammlung nicht nur Massnahmen zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts enthalten, sondern auch zusätzli50

SR 831.27

5805

che Anreize für Arbeitgeber, damit diese vermehrt Personen anstellen, die eine Rente der IV beziehen oder bezogen haben.

Änderung des Bundesgesetzes51 über das Verwaltungsverfahren Art. 1 Abs. 3 Der bisherige letzte Satz von Absatz 3, welcher Artikel 97 AHVG bezüglich der Regelung des Entzuges der aufschiebenden Wirkung vorbehält, kann ersatzlos aufgehoben werden. Einerseits wird auch Artikel 97 AHVG aufgehoben, andererseits wird in Artikel 49a ATSG neu eine einheitliche Regelung des Entzugs der aufschiebenden Wirkung geschaffen. Da die Regelungen des VwVG aufgrund von Artikel 55 Absatz 1 ATSG nur subsidiär zur Anwendung kommen, ist es nicht nötig einen entsprechenden Vorbehalt zu Gunsten von Artikel 49a in Absatz 3 aufzunehmen.

Änderung des Bundesgesetzes52 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts Art. 17 Abs. 1 Die bisherige Regelung zur Revision der Invalidenrente bestimmt, dass eine Rente immer dann revisionsweise angepasst wird, wenn sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich ändert. Die Erheblichkeit selbst wird dagegen nicht näher definiert.

In der Schweiz werden Invalidenrenten von vier Sozialversicherungen ausgerichtet.

Da das ATSG jedoch grundsätzlich nicht auf die berufliche Vorsorge anwendbar ist, gilt die Regelung nur für die Invalidenversicherung, die Unfallversicherung und die Militärversicherung. Für diese drei Sozialversicherungen hat die Rechtsprechung letztlich Regelungen über die Erheblichkeit von Änderungen getroffen.

Für die Invalidenversicherung wird die Erheblichkeitsschwelle in dem Sinne gehandhabt, dass auch nur kleine Änderungen im Invaliditätsgrad erheblich sein können, sobald sie zu einer höheren oder tieferen Rentenstufe führen (vgl. hierzu etwa BGE 133 V 545). Da mit der vorgeschlagenen Neuregelung des Rentensystems (vgl. Ziff. 1.3.1.2) die bisherigen Rentenstufen wegfallen und durch ein stufenloses Rentensystem ersetzt werden, muss eine neue Erheblichkeitsschwelle gefunden werden, welche nicht mehr an den bisherigen Rentenstufen (Viertelsrente, halbe Rente, Dreiviertelsrenten, ganze Rente) anknüpft.

Die Unfallversicherung (und auch die Militärversicherung) besitzen bereits heute ein stufenloses Rentensystem mit einer prozentgenauen Festsetzung des Invaliditätsgrades. Gemäss Urteil des Bundesgerichtes vom 19. Juli 2006 (U 267/05, Erw. 3.3), bestätigt in BGE 133 V 545 (Erw. 6.2) richtet sich die Erheblichkeit einer Änderung im UVG-Bereich nach einer Änderung des Invaliditätsgrades von mindestens 5 Prozentpunkten. Teilweise (wie etwa in der Militärversicherung) braucht es gestützt 51 52

SR 172.021 SR 830.1

5806

auf interne Weisungen bei Invalidenrenten unter 50 Prozent eine Änderung von mindestens 5 Prozentpunkten, bei einem Invaliditätsgrad von über 50 Prozent jedoch zusätzlich eine relative prozentuale Veränderung von mindestens 10 Prozent des Invaliditätsgrades.

Neu sollen diejenigen Sachverhalte, welche zu einer Revision der Invalidenrente führen, für alle drei betroffenen Sozialversicherungen einheitlich im ATSG geregelt werden. Es wird daher nicht mehr von einer Erheblichkeit gesprochen, sondern es werden die einzelnen revisionsauslösenden Tatbestände aufgezählt. Grundsätzlich wird dabei an der bisherigen Rechtsprechung im UVG-Bereich (vgl. oben zitiertes Urteil des Bundesgerichtes vom 19. Juli 2006, U 267/05, Erw. 3.3) angeknüpft.

Massgebend ist daher als Grundsatz eine Änderung des Invaliditätsgrades um 5 Prozentpunkte (Bst. a). Durch eine solche Erheblichkeitsschwelle wird verhindert, dass sehr bescheidene Änderungen in den Einkommensverhältnissen sofort zu einer Verringerung der Rente führen. Damit wird für die Invalidenversicherung auch der Zweck des bisherigen Artikels 31 Absatz 1 IVG erfüllt, weshalb dieser aufgehoben wird (vgl. die entsprechenden Erläuterungen zu Artikel 31 Absatz 1 IVG). So ist bei einem Invaliditätsgrad von 66 Prozent dann eine Revision vorzunehmen, wenn neu ein Invaliditätsgrad von mindestens 71 Prozent vorliegt, hingegen würde keine Revision stattfinden, wenn der Invaliditätsgrad auf 62 Prozent sinkt.

Die bisherigen Eintrittsschwellen in das Rentensystem sollen beibehalten werden (für die Invalidenversicherung liegt diese bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent, bei der Unfallversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 10 Prozent und die Militärversicherung kennt keine gesetzliche Eintrittsschwelle, richtet Renten aber grundsätzlich erst ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 5 Prozent aus, wobei Renten unter 10 Prozent regelmässig ausgekauft werden). In Anknüpfung an die Rechtsprechung (BGE 133 V 545), wonach auch nur kleine Änderungen im Invaliditätsgrad erheblich sein können, sobald sie neu zum Anspruch auf eine Rente oder zur Aufhebung einer bisherigen Rente führen können, soll daher eine Revision auch dann stattfinden, wenn sich der Invaliditätsgrad derart ändert, dass neu ein Anspruch auf eine Rente entsteht oder wenn der Anspruch auf eine Rente wegfällt
(Bst. b). Für die Invalidenversicherung bedeutet dies beispielsweise, dass bei einem Rentenbezüger mit einem Invaliditätsgrad von 41 Prozent bei einer gesundheitlichen Verbesserung, welche zu einem Invaliditätsgrad von 38 Prozent führt, eine Rentenrevision vorgenommen wird. Andererseits würde auch bei einer Person, welche eine Rentenablehnung bei einem Invaliditätsgrad von 39 Prozent erhalten hat, bei einer gesundheitlichen Verschlechterung neu ein Rentenanspruch entstehen, sobald ein Invaliditätsgrad von 40 Prozent oder mehr erreicht wird. In diesen Fällen gilt somit die allgemeine Regel einer notwendigen Änderung von 5 Prozentpunkten gemäss Buchstabe a nicht.

Eine weitere Ausnahme zur 5-Prozentpunkte-Regel nach Buchstabe a bilden diejenigen Fälle, in welchen neu ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent erreicht wird (Bst. c). Andernfalls könnten Personen, welche einen Invaliditätsgrad von 96­99 Prozent aufweisen, zukünftig gar nie mehr eine ganze Rente erreichen, selbst wenn sich die gesundheitliche Situation derart verschlechtert, dass gar keine Erwerbstätigkeit mehr möglich ist. Wichtig ist diese Regelung vor allem für die Invalidenversicherung, bei welcher Invaliditätsgrade von 96­99 Prozent nur in denjenigen Fällen in Frage kommen, in denen der Festlegung des Invalideneinkommens ein tatsächliches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wurde (vgl. Art. 28a Abs. 1bis sowie die entsprechende Erläuterung). Fällt in solchen Fällen ein solches tatsächlich erzieltes 5807

Einkommen weg, ohne dass es durch ein neues tatsächlich erzieltes Einkommen ersetzt werden könnte, so führt die Invaliditätsbemessung unter ansonsten gleichbleibenden Verhältnissen zu einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit neu zu einer ganzen Rente.

Da das ATSG ohne ausdrücklichen Verweis auf die berufliche Vorsorge nicht anwendbar ist, wird durch eine Regelung in Artikel 24b BVG sichergestellt, dass auch hier die gleiche Erheblichkeit angewendet wird (vgl. die Erläuterungen zu Art. 24b BVG).

Art. 25 Abs. 2 Bei der Verjährungsregelung von Artikel 25 ATSG wird die Kenntnisnahme betreffend einen Rückforderungsanspruch in der Praxis sehr streng ausgelegt. Dabei ist nicht eine tatsächliche Kenntnisnahme verlangt, sondern die Rechtsprechung bezeichnet es als ausreichend, dass der Versicherungsträger bei Beachtung der zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen (vgl. KIESER, ATSG-Kommentar, Zürich 2009, Art. 25 Rz 39). In Fällen, in welchen eine Person Leistungen zu Unrecht erwirkt oder zu erwirken versucht, hat die Praxis gezeigt, dass diese Frist zu kurz ist, da oftmals weitergehende Abklärungen notwendig sind, bevor alle Tatsachen mit genügender Sicherheit festgestellt sind, um die Unrechtmässigkeit des Leistungsbezuges zu bestätigen. Eine Sistierung der Leistungen kommt hier oft zu spät, da bereits über einen längeren Zeitraum zu Unrecht Leistungen ausgerichtet wurden.

Auch ist eine Sistierung der Leistungen nicht immer möglich oder sinnvoll. Da die Verjährungsregelung in einzelnen Fällen auch ausserhalb der Betrugsbekämpfung eine Rückforderung verunmöglicht (z.B. oftmals bei Kapitalhilfefällen in der IV), soll die Frist neu auf 3 Jahre verlängert werden.

Art. 42 Wie die Frage der Möglichkeit der vorsorglichen Leistungseinstellung (vgl. hierzu die Erläuterungen zu Art. 52a ATSG) wird auch die Frage, ob der vorsorglichen Leistungseinstellung ein Vorbescheidverfahren voranzugehen hat bzw. inwiefern das rechtliche Gehör zu gewähren ist, von den Gerichten unterschiedlich beantwortet (vgl. zur Praxis beim Vorbescheid die Erläuterungen zu Art. 57a Abs. 1bis IVG).

Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit und der wichtigen betroffenen Interessen des Versicherungsträgers ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs vor Erlass einer Verfügung
über eine vorsorgliche Leistungseinstellung nicht sinnvoll. Das rechtliche Gehör soll erst nachträglich gewährt werden und erfolgt dadurch, dass die Verfügung der Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht unterliegt (Art. 56 Abs. 1). Dies ist möglich, weil die Beschwerdeinstanz über eine volle Überprüfungsbefugnis verfügt (vgl. hierzu BGE 118 Ib 269 Erw. 3a).

Art. 45 Abs. 4 (neu) Immer dann, wenn eine versicherte Person unrechtmässig Leistungen empfängt oder versucht, solche unrechtmässig zu beanspruchen, hat der Versicherungsträger zur Abwendung eines entsprechenden Schadens für die Versicherung Massnahmen und zusätzliche Abklärungen zu ergreifen, die über das übliche Mass der normalerweise erforderlichen Abklärungen hinausgehen. Dementsprechend wurde beispielsweise 5808

im Rahmen der 5. IV-Revision die Möglichkeit geschaffen, dass die IV-Stellen Spezialisten zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs beiziehen können (Art. 59 Abs. 5 IVG). Dadurch entstehen dem Versicherungsträger aber Mehrkosten (insbesondere durch Observationen oder zusätzliche notwendige medizinische Gutachten). Diese Mehrkosten (eine Observation kostet im Durchschnitt etwa zwischen 10 000 und 15 000 Franken) sollen der versicherten Person, welche die zusätzlichen Abklärungen im Rahmen Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs verursacht hat, in Zukunft auferlegt werden können.

Für die Kostenauferlegung für Massnahmen im Rahmen der Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs muss die versicherte Person entweder versucht haben, Versicherungsleistungen unrechtmässig zu beanspruchen oder aber aktiv dazu beigetragen haben, dass ihr eine unrechtmässige Leistung zukam.

Es braucht in jedem Fall ein der versicherten Person vorwerfbares Verhalten, wobei hier nicht primär die strafrechtliche Relevanz des entsprechenden Verhaltens sondern die versicherungsrechtliche Konsequenz zählt. Entweder versucht die versicherte Person Leistungen zu erhalten, obwohl sie davon ausgehen muss, dass ihr solche gar nicht zustehen (Bst. a) oder aber sie trägt durch ein aktives Verhalten wie beispielsweise unwahre Angaben gegenüber der IV-Stelle oder den begutachtenden Ärzten dazu bei, dass eine Versicherungsleistung zugesprochen wird, welche unrechtmässig ist (Bst. b). Es reicht somit nicht aus, dass eine versicherte Person beispielsweise nur auf Grund einer ungenügenden Abklärung (bei vorhandener Mitwirkung der versicherten Person und bei stetig wahrheitsgetreuen Angaben) durch den Versicherungsträger während Jahren Leistungen empfangen hat, auf die sie bei einer rechtsgenüglichen Abklärung eigentlich gar keinen Anspruch gehabt hätte.

Art. 49a (neu) Diese Regelung entspricht dem bisherigen Artikel 97 AHVG, welcher für die Invalidenversicherung und die Ergänzungsleistungen sinngemäss anwendbar ist (bisherige Art. 66 IVG und Art. 27 ELG). Nach der Rechtsprechung galt Artikel 97 AHVG analog auch für die Arbeitslosenversicherung und die Krankenversicherung (BGE 124 V 82 Erw. 3b und RSKV 1981 Nr. 445 S. 80 ff. Erw. 2).

Zwar kann bisher schon über eine ergänzende Anwendung von Artikel 55 Absatz 2 VwVG
(in Verbindung mit Artikel 55 Absatz 1 ATSG) einer allfälligen Beschwerde gegen eine Verfügung, welche nicht eine Geldleistung zum Gegenstand hatte, die aufschiebende Wirkung entzogen werden. Und gemäss der Rechtsprechung sowie der einhelligen Lehrmeinung (vgl. etwa BGE 109 V 229 Erw. 2a und Hansjörg Seiler, Praxiskommentar zum VwVG, 2009, Art. 55 Ziff. 83 ff.) wird als Verfügung, welche eine Geldleistung zum Gegenstand hat, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nur eine Verfügung verstanden, welche den Adressaten der Verfügung zu einer Geldleistung verpflichtet. Keine Verfügungen über eine Geldleistung im Sinne des VwVG stellen somit Leistungsverfügungen der Sozialversicherungen dar. Wird daher eine bisher ausgerichtete (Dauer-)Geldleistung eingestellt oder gekürzt, so kann die aufschiebende Wirkung entzogen werden.

Um jegliche Rechtsunsicherheit in diesem Bereich auszuräumen (immerhin spricht man in den Sozialversicherungen bei Leistungen wie Renten, Taggeldern, Hilflosenentschädigungen etc. einhellig von Geldleistungen, vgl. etwa nur die Definition von Geldleistungen in Artikel 15 ATSG) soll eine klare gesetzliche Grundlage für alle 5809

dem ATSG unterstehenden Sozialversicherungen geschaffen werden. Die neue Regelung dient somit der Rechtssicherheit und ist nicht zu letzt im Zusammenhang mit der Regelung der vorsorglichen Leistungseinstellung nach Artikel 52a ATSG essentiell (vgl. die entsprechenden Erläuterungen zu Art. 52a ATSG).

Hingegen soll die bisherige Praxis gemäss BGE 130 V 407 (insb. Erw. 3.4), welche den Entzug der aufschiebenden Wirkung bei Rückerstattungen unrechtmässig bezogener Leistungen nicht erlaubt, mit dieser Vereinheitlichung auf ATSG-Ebene nicht geändert werden.

Für diejenigen Fragen im Zusammenhang mit der aufschiebenden Wirkung, welche durch Artikel 49a nicht geregelt werden, sind über Artikel 55 Absatz 1 ATSG weiterhin die Bestimmungen des VwVG ergänzend anwendbar (insbesondere Art. 55 Abs. 2­4 VwVG).

Art. 52a (neu) In den Sozialversicherungen werden typischerweise Leistungen auf längere oder unbestimmte Zeit zugesprochen (z.B. Renten, Hilflosenentschädigungen, Taggelder sowie medizinische oder berufliche Massnahmen). Im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung kann sich ergeben, dass die Rechtmässigkeit der Leistung in Frage gestellt werden muss (vgl. hierzu SCHLAURI, Die vorsorgliche Einstellung von Dauerleistungen der Sozialversicherungen, in «Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung», St. Gallen 1999, Seite 191 ff.). Ergeben die Abklärungen, dass ein Leistungsbezug mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht oder nicht mehr berechtigt ist, ist aber ein endgültiger Entscheid über die Leistung nicht innert nützlicher Frist möglich, so kann der Versicherungsträger die Leistung vorsorglich einstellen.

Die vorsorgliche Leistungseinstellung wird heute bereits von diversen Versicherungsträgern genutzt, wobei das Verfahren unterschiedlich gehandhabt wird und die kantonalen Gerichte unterschiedliche gesetzliche Grundlagen zur Anwendung bringen. Oftmals wird von den kantonalen Gerichten Artikel 56 VwVG i.V. mit Artikel 55 Absatz 1 ATSG herangezogen, auch wenn diese Bestimmung eigentlich für das Beschwerdeverfahren und nicht das Verwaltungsverfahren geschaffen wurde (immerhin wurde kürzlich in einer beiläufigen Erwähnung in einem Bundesgerichtsurteil vom 12. April 2010 [9C_45/2010, Erw. 2] festgehalten, dass die Anordnung einer Renteneinstellung als vorsorgliche Massnahme in analoger Anwendung von
Art. 56 VwVG zulässig sei, wobei auch auf die Urteile BGE 212 V 112 und 119 V 295 Erw. 4 verwiesen wurde). Neu seit dem Inkrafttreten der 5. IV-Revision wird in der Invalidenversicherung auch die Bestimmung von Artikel 7b Absatz 2 Buchstabe b und c IVG angewendet. Gleichzeitig gibt es auch Rechtsprechung und Literatur, welche sagt, dass die Leistungssistierung ohne spezielle gesetzliche Grundlage ohne weiteres zulässig sein muss und sich aus den materiell-rechtlichen Bestimmungen ableite, deren Durchsetzung gesichert werden soll (vgl. hierzu etwa das sehr illustrative Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes C-676/2008 vom 21. Juli 2009).

Artikel 52a soll nun eine einheitliche Handhabung der vorsorglichen Leistungseinstellung innerhalb der Sozialversicherungen und eine schweizweite Unité de Doctrine herstellen. Als Beispiele für eine vorsorgliche Leistungseinstellung können folgende praxisbezogenen Fälle dienen:

5810

­

Ein Versicherungsträger erfährt, dass ein Strafverfahren wegen Versicherungsbetrugs hängig ist, nimmt Einsicht in die entsprechenden Akten und stellt fest, dass die versicherte Person Tätigkeiten ausgeübt hat, welche nicht vereinbar sind mit dem der Leistungsverfügung zugrundeliegenden Gesundheitsschaden.

­

Ein Versicherungsträger stellt fest, dass eine versicherte Person für den Leistungsanspruch erhebliche Einkommen generiert, welche nicht gemeldet wurden (Meldepflichtverletzung).

Der Versicherungsträger soll daher eine vorsorgliche Leistungseinstellung vornehmen können, wenn der Verdacht besteht, dass die versicherte Person die Leistung unrechtmässig erwirkt hat oder wenn sie es unterlassen hat, wesentliche Änderungen in den für die Leistung massgebenden Verhältnissen zu melden.

Eine Interessenabwägung fällt in diesen Situationen zu Gunsten des Versicherungsträgers aus, dessen Interesse an der Vermeidung von Umtrieben und Verlustrisiken im Zusammenhang mit allfälligen Rückforderungen klar höher zu werten ist als das Interesse des Versicherten, nicht in eine vorübergehende finanzielle Notlage zu geraten. Dies umso mehr, als die Prozessaussichten im Hauptverfahren für die Versicherten in solchen Fällen grundsätzlich kaum je eindeutig positiv zu werten sind. Dieselbe Interessenabwägung wird von den kantonalen Gerichten wie auch vom Bundesgericht regelmässig bei der Frage des Entzugs der aufschiebenden Wirkung zu Gunsten des Versicherungsträgers entschieden.

Hierbei muss jedoch der Versicherungsträger die Sicherung allfällig uneinbringlicher Rückforderungen abwägen gegen mögliche Nachteile bei der weiteren Abklärung. So erfährt der Versicherte mit einer vorsorglichen Leistungseinstellung durch den Versicherungsträger beispielsweise unweigerlich, dass der Versicherungsträger Zweifel an der Leistungsberechtigung hegt. Dadurch aber hat der Versicherte auch die Möglichkeit, sich im Laufe der weiteren Abklärungen so zu verhalten, dass die Leistungsberechtigung am Ende nicht mehr in Zweifel steht. Mit anderen Worten ist in Fällen, in denen noch eine Observation einer versicherten Person aussteht, die vorsorgliche Leistungseinstellung keine Option, da sie dadurch gewarnt würde und in der Folge ihre Tätigkeiten einstellen könnte, so dass diese nicht mehr observiert werden können.

Hingegen kann eine vorsorgliche Leistungseinstellung nach durchgeführter Observation mit eindeutigem Resultat Sinn machen, wenn beispielsweise nur noch eine medizinische Begutachtung in diesem Zusammenhang aussteht. Die Anordnung einer vorsorglichen Leistungseinstellung hat in Form einer Verfügung zu erfolgen (Art. 49 Abs. 1) und unterliegt als prozess- und verfahrensleitende Verfügung (vgl.

hierzu KIESER, ATSG-Kommentar, Zürich 2009, Art. 52 Rz 30) nicht der Einsprache (Art. 52 Abs. 1). Die Verfügung kann
dagegen direkt beim kantonalen Versicherungsgericht angefochten werden (Art. 56 Abs. 1).

Um eine sofortige Vollstreckbarkeit der vorsorglichen Leistungseinstellung sicherzustellen, muss der Versicherungsträger die Möglichkeit haben, einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung ist neu in Artikel 49a ATSG geregelt.

Bei der vorsorglichen Leistungseinstellung ist sodann wie bei jeder Verfügung Artikel 49 Absatz 4 ATSG zu berücksichtigen.

5811

Änderung des Bundesgesetzes53 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung Art. 35ter (neu) Die Höhe der Kinderrenten für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern soll wie bei der Invalidenversicherung an die tatsächlichen prozentualen Zusatzkosten, welche ein Kind gemäss den gebräuchlichen Aequivalenzskalen verursacht, angepasst werden (vgl. Erläuterung zu Art. 38 Abs. 1 IVG). Dies soll wie in der Invalidenversicherung neu in zwei separaten Absätzen geregelt werden.

Nach dem neuen Absatz 1 entspricht die Kinderrente daher neu 30 Prozent der Altersrente.

Auch der Anspruch, falls beide Elternteile einen Anspruch auf eine Kinderrente haben (Doppelanspruch), soll analog der Invalidenversicherung angepasst werden.

Gemäss dem neuen Absatz 2 richtet sich der Maximalanspruch neu nicht mehr nach der maximalen Altersrente, sondern vielmehr nach der tatsächlichen unplafonierten Altersrente. Wie bisher ist der Anspruch auf das Anderthalbfache der Kinderrente begrenzt. Da der Ansatz der Kinderrente von 40 auf 30 Prozent reduziert wird, reduziert sich auch der Ansatz für die Plafonierung von bisher 60 auf 45 Prozent: in den Fällen eines Doppelanspruchs für beide Elternteile besteht somit je Anspruch auf eine Kinderrente in der Höhe von 22,5 Prozent der jeweiligen Altersrente vor der Plafonierung nach Artikel 35 AHVG. Die beiden Kinderrenten betragen im Maximum 1044 Franken (heute 1392 Franken, Zahlen 2011).

Der bisherige Verweis auf Artikel 35 AHVG kann sodann weggelassen werden, da alle notwendigen Faktoren für die Kürzung in Artikel 35ter enthalten sind.

Nicht betroffen von diesen Anpassungen sind Kinderrenten, die mit einer Waisenrente zusammentreffen.

Art. 97 Die Regelung des Entzugs der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde bei Verfügungen über Geldleistungen ist neu in Artikel 49a ATSG aufgenommen worden, weshalb die bisherige spezialgesetzliche Regelung im AHVG nicht mehr notwendig ist. Die neue ATSG-Bestimmung ist automatisch für die Alters- und Hinterlassenenversicherung anwendbar (Art. 1 Abs. 1 AHVG).

Übergangsbestimmung der Änderung vom ... (6. IV-Revision, 2. Massnahmenpaket) Anpassung laufender Kinderrenten Die Änderungen bei den Kinderrenten sollen analog der Invalidenversicherung nicht nur für neue Rentenfälle gelten, sondern auch auf alle bisher laufenden Renten angewendet
werden. Die Ausgleichskassen müssen daher alle laufenden Kinderrenten nach den neuen Bestimmungen neu berechnen. Die laufenden Renten werden jedoch wie in der Invalidenversicherung im Sinne einer Abfederung erst 3 Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision an den geänderten Artikel 35ter angepasst.

53

SR 831.10

5812

Für neue Kinderrenten gelten die neuen Ansätze ab Inkrafttreten der Gesetzesrevision. Wegen der Implikationen auf andere Sozialversicherungssysteme muss jedoch auch hier eine Anpassung unter dem Jahr vermieden werden. Die Gesetzesänderungen sollen deshalb auf einen 1. Januar in Kraft gesetzt werden.

Änderung des Bundesgesetzes54 über die Sanierung der Invalidenversicherung Art. 2 Abs. 2 Artikel 2 Absatz 2 sieht vor, dass der über dem Startkapital von 5 Milliarden Franken liegende Betrag des neuen IV-Ausgleichsfonds jedes Jahr an den AHV-Fonds überwiesen wird, um die Schulden bei der AHV zu tilgen. Ziel dieser Bestimmung war es, die Mittel, die nicht zur Aufgabenerfüllung des IV-Fonds erforderlich sind, d.h. über 50 Prozent einer IV-Jahresausgabe betragen, für die Rückzahlung der IV-Schulden bei der AHV zu verwenden, zumal es die AHV war, die das Startkapital bereitgestellt hat. Dieser Artikel wurde vom Gesetzgeber im Kontext der Diskussionen zur IV-Zusatzfinanzierung eingebracht. Seither haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Mit der 6. IV-Revision, 1. Massnahmenpaket, wurde die Voraussetzung für eine politisch machbare Sanierung geschaffen. Diese wird mit der 6. IV-Revision, 2. Massnahmenpaket realisiert. Um vor dem Hintergrund eines solcherart veränderten Kontextes dem Willen des Gesetzgebers nach wie vor Rechnung zu tragen, wird in der vorliegenden Revision eine langfristige und wesentlich weitergehende Entschuldung eingeführt, als es der entsprechende Artikel im Sanierungsgesetz vorsieht. Damit kann diese wichtige «Zwischenlösung» abgeschlossen und dieser Artikel gestrichen werden.

Änderung des Bundesgesetzes55 über Ergänzungsleistungen zur Alters- Hinterlassenen- und Invalidenversicherung Art. 27 Die Regelung des Entzugs der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde bei Verfügungen über Geldleistungen ist neu in Artikel 49a ATSG aufgenommen worden und der Artikel 97 AHVG wird in der Folge aufgehoben. Aus diesem Grund fällt der Verweis auf die aufschiebende Wirkung (Art. 97 AHVG) ersatzlos weg. Die neue ATSG-Bestimmung ist automatisch für die Ergänzungsleistungen anwendbar (Art. 1 Abs. 1 ELG).

54 55

SR 831.27 SR 831.30

5813

Änderung des Bundesgesetzes56 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge Art. 24

Berechnung der vollen Invalidenrente

Die Abstufung der Invalidenrente nach dem Invaliditätsgrad wird aus Gründen der Übersichtlichkeit aus Artikel 24 herausgelöst und neu in einem eigenen Artikel (Art. 24a BVG) geregelt. Artikel 24 enthält so neu nur noch die Regelungen betreffend Berechnung der vollen Invalidenrente. Absatz 1 des geltenden Artikels 24 BVG wird daher aufgehoben, die Absätze 2­4 werden unverändert beibehalten.

Art. 24a (neu)

Abstufung der Invalidenrente nach Invaliditätsgrad

Die Abstufung der Rente nach dem Invaliditätsgrad wird neu in einem eigenen Artikel geregelt.

Abstufung nach geltendem Recht: Das BVG wurde als Zusatz zur 1. Säule konstruiert. Die Invalidenleistungen wurden daher mit denjenigen der IV koordiniert, das heisst beim gleichen Invaliditätsgrad wird in beiden Systemen ein gleicher Anteil einer ganzen Rente fällig (¼, ½, ¾, ganze Rente). Für die berufliche Vorsorge ist dabei der von der IV festgestellte Invaliditätsgrad im Erwerbsbereich massgebend, da nur dieser Bereich in der beruflichen Vorsorge versichert wird.

Bei Teilinvalidität wird gemäss den gesetzlichen Bestimmungen das bisher angesparte Altersguthaben entsprechend dem Rentenanspruch in einen passiven Teil und einen aktiven Teil gesplittet. Der passive Teil fliesst in die Finanzierung der Invalidenleistungen57, der aktive Teil in die Vorsorge des weiterhin erzielten Erwerbseinkommens. Um der besonderen Situation Rechnung zu tragen, werden für die Versicherung des weiterhin erzielten Lohnes die Grenzbeträge (Eintrittsschwelle, Koordinationsabzug und oberer Grenzbetrag)58 angepasst.

Beispiel: Bei einer Invalidität von 60 Prozent entsteht ein Anspruch auf eine Dreiviertelsrente. Das bisher angesparte Guthaben wird im Verhältnis von ¾ passiver Teil und ¼ aktiver Teil gesplittet. Für die Vorsorge auf dem weiterhin erzielten Lohn werden ¼ der Grenzbeträge angewandt.

Verbessert oder verschlimmert sich später die Invalidität und entsteht ein anderer Rentenanspruch, muss die Teilung in einen aktiven und passiven Teil angepasst werden. Wenn die Person für den aktiven Teil nicht mehr in der gleichen Vorsorgeeinrichtung versichert ist, weil sie den Arbeitgeber gewechselt hat, muss die Differenz in Form einer (Teil-) Freizügigkeitsleistung an die andere Vorsorgeeinrichtung

56 57

58

SR 831.40 Während die Invalidenleistungen fliessen, muss die Vorsorgeeinrichtung diesen Teil mit Altersgutschriften und Zins als Schattenrechnung im Hinblick darauf weiterführen, dass die Invalidität noch vor dem Rentenalter wegfallen könnte. In dieser Situation müsste das so weiter geäufnete Guthaben wieder zu einem aktiven Teil der Vorsorge dieser Person werden. Arbeitet sie in diesem Zeitpunkt nicht mehr beim gleichen Arbeitgeber, hat sie Anspruch auf eine entsprechende Freizügigkeitsleistung (vgl. dazu Art. 14 BVV 2).

Vgl. Art. 4 BVV 2.

5814

überwiesen und in die aktive oder passive Vorsorge, die bei der anderen Einrichtung geführt wird, integriert werden59.

Bei einem Invaliditätsgrad, der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente gibt (aktuell ab 70 %), wird ein allfällig weiterhin erzielter Lohn nicht mehr obligatorisch versichert, da der Vorsorgefall bereits vollständig eingetreten ist.

Neuregelung für die Abstufung der Renten: Mit der Einführung eines stufenlosen Rentensystems in der Invalidenversicherung soll auch im BVG ein stufenloses Rentensystem eingeführt werden. Andernfalls würden weiterhin Schwelleneffekte bestehen und Versicherte bei der Erhöhung ihres Erwerbseinkommens unter Umständen einen Verlust auf dem Gesamteinkommen hinnehmen müssen. Der von der vorliegenden Revision angestrebte Effekt, nämlich der Wegfall der Schwelleneffekte, wäre dadurch auch für die IV wohl kaum möglich. Ausserdem könnten die Vorsorgeeinrichtungen, wenn in den beiden Versicherungen unterschiedliche Rentensysteme bestünden, bei einer Rentenrevision in der Regel nicht mehr auf die Feststellungen der IV abstellen, sondern müssten selbst die entsprechenden Abklärungen treffen und die damit zusammenhängenden Prozesse führen. Denn die Renten der IV werden künftig unter den Voraussetzungen des geänderten Artikel 17 Absatz 1 ATSG angepasst, während in der beruflichen Vorsorge, wie unter bisherigem Recht, dann eine Rentenrevision vorgenommen werden müsste, wenn sich der Invaliditätsgrad in dem Ausmass ändert, dass ein anderer Teilrentenanspruch (Viertelsrente, halbe Rente, Dreiviertelsrente oder ganze Rente) entstünde.

Absatz 1: Für die Abstufung der Invalidenrenten der beruflichen Vorsorge wird in Artikel 24a BVG die Regelung von Artikel 28b IVG übernommen. Es wird die dem jeweiligen Invaliditätsgrad entsprechende Rentenhöhe ­ ausgedrückt in Prozenten der vollen Invalidenrente ­ festgelegt: Bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent und mehr hat der Versicherte gemäss Absatz 1 Anspruch auf eine Invalidenrente in der Höhe des seinem Invaliditätsgrad entsprechenden Anteils in Prozenten der vollen Invalidenrente. Bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent besteht Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 50 Prozent der vollen Rente, bei einem Invaliditätsgrad von 66 Prozent Anspruch auf eine Rente in der Höhe von 66 Prozent einer vollen Rente, bei einem
Invaliditätsgrad von 75 Prozent beträgt die Rente 75 Prozent der vollen Rente usw.

Bezüglich der Berechnung des Invaliditätsgrades ist festzuhalten, dass Artikel 28a Absatz 1bis eine spezielle Regelung für diejenigen Fälle einführt, bei denen das Invalideneinkommen höchstens 20 Prozent des Valideneinkommens ausmacht (vgl.

Erläuterungen zu Art. 28a Abs. 1bis). Neu bestehen Invaliditätsgrade von 80­99 Prozent (und damit auch Renten in der Höhe von 80­99 Prozent einer ganzen Rente) nur noch in denjenigen Fällen, in denen der Festlegung des Invalideneinkommens ein tatsächliches Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wurde. In allen anderen Fällen resultiert ein Invaliditätsgrad von 100 Prozent und damit ein Anspruch auf eine volle Rente. Diese Regelung hat allerdings keine Auswirkungen auf die geltenden Regelungen der Überentschädigungskürzung nach Artikel 34a Absatz 1 BVG i. V. mit 24 59

Dabei kommt es oft auch zu Fragen im Zusammenhang mit dem Zins und allfällig geleisteten Beiträgen zwischen dem Beginn der Rente und der Erhöhung der Invalidität. Zusätzlich kompliziert werden diese Vorgänge, wenn die Invalidität einer Person mehrere Ursachen hat, für die verschiedene Vorsorgeeinrichtungen aufzukommen haben.

5815

BVV2. Dasjenige Einkommen, das die versicherte Person zumutbarerweise noch erzielen könnte, sie tatsächlich jedoch nicht erzielt, zählt weiterhin zu den anrechenbaren Einkünften im Sinne von Artikel 24 Absatz 2 BVV2.

Absatz 2 regelt ­ gleich wie die entsprechende Regelung von Artikel 28b Absatz 2 IVG ­ den Rentenanspruch für die Invaliditätsgrade unter 50 Prozent. Im Bereich der Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent entspricht die Höhe der Rente nicht dem Invaliditätsgrad, wie es bei der Regelung nach Absatz 1 der Fall ist. Bei einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent besteht ­ wie im geltenden Recht ­ ein Rentenanspruch von 25 Prozent der vollen Rente. Bis zu einem Invaliditätsgrad von 49 Prozent steigt der Rentenanspruch dann linear an und zwar in der Weise, dass für jeden Prozentpunkt, den der Invaliditätsgrad 40 Prozent übersteigt, Anspruch auf zusätzliche 2,5 Prozent der vollen Rente besteht. Wie in der IV-Regelung werden aus Verständlichkeits- und Praktikabilitätsgründen die sich so ergebenden Rentenhöhen in einer Skala in Absatz 2 einzeln aufgezählt. Die von den Grundsätzen des Absatz 1 abweichende Festlegung der Rentenhöhe für die Invaliditätsgrade von 40­49 Prozent trägt der Problematik der Austrittsschwelle Rechnung: Die Regelung berücksichtigt, dass der Erwerbsanreiz im Bereich dieser unteren Invaliditätsgrade beeinträchtigt wäre, wenn die Verminderung des Invaliditätsgrades auf unter 40 Prozent für den Betroffenen den Wegfall eines Einkommens in der Höhe von 40 Prozent einer vollen Invalidenrente zur Folge hätte. Die vom Prinzip des Absatz 1 abweichende Festsetzung der Rentenhöhe führt mit anderen Worten dazu, dass die Austrittsschwelle gegenüber der heutigen Regelung nicht erhöht wird.

Artikel 24 ff. BVG beschränkt sich auf die obligatorische berufliche Vorsorge. Es wurde bewusst darauf verzichtet, eine Verpflichtung zur Übernahme eines stufenlosen Rentensystems auch im überobligatorischen Bereich vorzuschlagen (vgl. dazu auch unter 1.3.1.4), so dass die Reglemente weiterhin andere Lösungen vorsehen können, sofern die Leistungen mindestens den gesetzlichen Minimalbestimmungen entsprechen.

Art. 24b (neu) Artikel 24b legt fest, dass eine einmal zugesprochene Rente nur dann erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben werden kann, wenn sich der Invaliditätsgrad in dem in Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe
a bis c ATSG festgelegten Ausmass ändert (vgl. die Erläuterungen zur Änderung von Art. 17 ATSG). Der Verweis auf die Bestimmung des ATSG ist notwendig, da ohne solchen Verweis das ATSG im Bereich der beruflichen Vorsorge nicht anwendbar ist. Die Erheblichkeitsschwelle für die Änderung des Rentenanspruchs, die mit der vorliegenden Revision für sämtliche Sozialversicherungszweige einheitlich durch das Gesetz geregelt werden soll, ist für die 2. Säule von grosser Bedeutung: Da die Vorgänge insbesondere bei Personen, die den Arbeitgeber gewechselt haben, relativ kompliziert und mit erheblichem Aufwand für die Vorsorgeeinrichtungen verbunden sein können, ist es wichtig, dass nicht kleinste und nur vorübergehende Änderungen des Invaliditätsgrades Rentenänderungen auslösen können.

Art. 26b (neu)

Vorsorgliche Einstellung der Rentenzahlung

Diese Regelung folgt dem Prinzip, dass für die Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich eine Bindungswirkung an den IV-Entscheid besteht, der ihr von der IV-Stelle mitgeteilt wird (diese Koordination besteht auch bei anderen Fragen der Invalidenleistun5816

gen z.B. betreffend den massgebenden Invaliditätsgrad). Die Regelung klärt die Koordination zwischen 1. und 2. Säule bei der vorsorglichen Einstellung der Invalidenrente und verbessert damit die Rechtssicherheit. Der Vorteil der Anknüpfung an den Entscheid der IV-Stelle besteht darin, dass die Vorsorgeeinrichtungen nicht selber aktiv werden müssen; sie müssen nicht eigens Observationen durchführen sondern handeln gestützt auf den Entscheid der IV-Stellen. Gleichzeitig kommt die einheitliche Vorgehensweise zwischen IV-Stellen und Vorsorgeeinrichtungen dem Schutz der betroffenen Versicherten entgegen. Artikel 26b BVG stellt ausserdem sicher, dass die Vorsorgeeinrichtungen das durch die vorsorgliche Einstellung der Invalidenrente der IV wegfallende Einkommen nicht durch eine Reduktion einer allfälligen Überentschädigungskürzung ausgleichen müssen.

Übergangsbestimmungen der Änderung vom ... (6. IV-Revision, 2. Massnahmenpaket) Die IV wendet auf Renten, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung bereits am Laufen sind, das neue Recht grundsätzlich ab dessen Inkrafttreten an. Im Gegensatz dazu wird in der beruflichen Vorsorge prinzipiell auf jene Gesetzesbestimmungen abgestellt, die bei Beginn des Rentenanspruchs Gültigkeit haben.

Dies hängt mit der Finanzierungsform der Invalidenleistungen der 2. Säule zusammen: Diese müssen grundsätzlich bei Beginn der Rente ausfinanziert sein. So muss eine Vorsorgeeinrichtung zwar bei Teilrenten damit rechnen, dass eine solche später ­ bei einer Verschlimmerung der Invalidität ­ erhöht werden muss. Änderungen, die auf eine Änderung von Gesetzesbestimmungen zurückzuführen sind, sind hingegen nicht ausfinanziert. Eine generelle Erhöhung ganzer Rentengruppen einzig aufgrund einer Änderung der Gesetzesbestimmungen könnte daher zu Finanzierungsproblemen der Vorsorgeeinrichtungen führen.

Die Übergangsbestimmungen sollen diesen Umständen bei der Überführung laufender Renten ins neue Recht so weit als möglich Rechnung tragen. Gleichzeitig darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Invalidenrenten der beruflichen Vorsorge nicht völlig losgelöst von den Invalidenrenten der IV betrachtet werden können, da die berufliche Vorsorge durch Artikel 24 und 26 BVG ­ insbesondere in Bezug auf die Festlegung des Invaliditätsgrades ­ an die Entscheidungen der
IV gebunden ist. Aufgrund dieser Bindungswirkung gilt es unbedingt zu vermeiden, dass sich im Rahmen der Umsetzung der vorliegenden Gesetzesrevision bereits laufende Invalidenrenten der IV und der beruflichen Vorsorge unkoordiniert weiterentwickeln. Denn eine solche unkoordinierte Entwicklung würde dazu führen, dass die Bindung der laufenden Renten der beruflichen Vorsorge an jene der IV erschwert oder gar verunmöglicht würde.

Bei der Überführung der laufenden Renten ins neue Recht sollen also beide Punkte weitest möglich berücksichtigt werden: Die Finanzierungsform der Invalidenrenten der 2. Säule sowie der Zusammenhang zwischen den Renten von 1. und 2. Säule.

Aufgrund dieser Überlegungen sollen folgende Übergangsregelungen getroffen werden: a. Behandlung laufender Invalidenrenten bei unverändertem Invaliditätsgrad Buchstabe a der Übergangsbestimmung trägt dem eingangs erwähnten Grundsatz Rechnung, dass in der beruflichen Vorsorge prinzipiell auf jene Gesetzesbestimmungen abgestellt wird, die bei Beginn des Rentenanspruchs Gültigkeit haben: Solange sich nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung der Invaliditätsgrad nicht 5817

ändert, bleibt die Leistung gemäss dem bisherigen Recht (insbesondere dem geltenden Art. 24 Abs. 1) geregelt.

b. Behandlung laufender Invalidenrenten bei Veränderung des Invaliditätsgrades Grundvoraussetzung für die Überführung der laufenden Renten in das neue Recht ist somit eine Änderung des Invaliditätsgrades.

Zur Überführung ins neue Recht kommt es einerseits, wenn der Invaliditätsgrad im Sinne der IV erheblich ändert (grundsätzlich erachtet die IV eine Änderung von mindestens 5 Prozentpunkten als erheblich) sowie bei einer Änderung des Invaliditätsgrades, die zwar nicht erheblich im Sinne der IV ist (weniger als 5 Prozentpunkte), die aber ­ falls das bisherige Recht auf die Rente weiterhin angewendet würde ­ einen anderen Teilrentenanspruch auslösen würde. Letzteres wäre bspw. der Fall, bei einer Änderung des Invaliditätsgrades von 59 Prozent auf 60 Prozent. Bei Anwendung des bisherigen Rechts würde ein Anspruch auf eine Dreiviertelsrente entstehen. In diesem Fall soll auf die Rente das neue Recht angewendet werden, es würde somit Anspruch auf eine Rente von 60 Prozent einer vollen Rente entstehen.

Bei einer erheblichen Änderung des Invaliditätsgrades verzichtet die IV in zwei Fällen auf die Anwendung des neuen Rechts: Erstens bei Renten von Personen, die bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung das 55. Altersjahr zurückgelegt haben. Auf diese bleibt das bisherige Recht anwendbar; es können hier nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung sogar Teilrentenansprüche nach altem Recht entstehen. Weiter nimmt die IV keine Anpassung ans neue Recht vor bei laufenden ¼-Renten: Auf diese wird erst in dem Zeitpunkt das neue Recht angewendet, in dem der Invaliditätsgrad mindestens 50 Prozent erreicht. Für die berufliche Vorsorge werden diese beiden Ausnahmen von der Anpassung ans neue Recht in Absatz 1 Buchstabe b der Übergangsbestimmung übernommen.

Absatz 2 der Übergangsbestimmung b regelt die Fälle, in denen die IV ihre Rente ins neue Recht überführt, die Renten der beruflichen Vorsorge jedoch nicht verändert werden sollen. Dieses Abweichen von der Regelung der IV hat folgende Gründe: Beim Ansteigen des Invaliditätsgrades soll durch die Anwendung des neuen Rechts die Rente nicht sinken und beim Absinken des Invaliditätsgrades soll sie nicht steigen. In diesen Fällen bleibt der bisherige Teilrentenanspruch
weiter bestehen. Dies ist der Fall, wenn der Invaliditätsgrad z.B. von 62 Prozent (bisher ¾-Rente) auf 67 Prozent steigt. Der bisherige ¾-Teilrentenanspruch bleibt bestehen, da bei der Berechnung nach neuem Recht die Rente auf 67 Prozent reduziert würde.

Diese Rente wird erst dann nach dem neuen Recht berechnet, wenn der Invaliditätsgrad dereinst auf mindestens 76 Prozent steigt. Als weiteres Beispiel kann der Fall erwähnt werden, in dem der Invaliditätsgrad von 58 Prozent (bisher ½-Rente) auf 53 Prozent sinkt. Der bisherige ½-Teilrentenanspruch bleibt weiter bestehen, weil sich die neue Rente trotz sinkendem Invaliditätsgrad gegenüber der bisherigen erhöhen würde, nämlich auf 53 Prozent. Erst wenn der Invaliditätsgrad unter 50 Prozent sinkt, wird die Rente durch eine nach neuem Recht berechnete Rente abgelöst.

Absatz 3 der Übergangsbestimmung enthält schliesslich eine Spezialregelung für Personen, bei denen eine allfällige Anpassung an das neue Recht mit der provisorischen Weiterversicherung nach Artikel 26a BVG kollidieren würde. Eine Änderung des Anspruchsumfangs während dieser Periode würde dem Wesen der im ersten

5818

Paket der 6. IV-Revision60 vorgeschlagenen provisorischen Weiterversicherung grundsätzlich widersprechen und zahlreiche neue Komplikationen schaffen. Da es sich um eine zeitlich klar begrenzte Sonderlösung handelt, ist ein Aufschub während dieser Zeit gerechtfertigt. Die Anpassung ist dadurch jedoch nur aufgeschoben und wird am Ende der provisorischen Weiterversicherung durchgeführt.

Änderung des Arbeitslosengesetzes61 Art. 88 Abs. 2bis und 3 Absatz 2bis enthielt bisher nur die Möglichkeit der Auferlegung von Mehrkosten, welche durch missbräuchliche Leistungserwirkung verursacht wurde. Hingegen war der Versuch der missbräuchlichen Leistungserwirkung nicht erfasst. Artikel 45 Absatz 4 ATSG schafft neu eine einheitliche Regelung der Auferlegung von Mehrkosten und nimmt dabei nebst dem unrechtmässigen Leistungsbezug auch den Versuch desselben auf. Aus diesem Grund muss die Regelung in Absatz 2bis entsprechend mit der neuen ATSG-Regelung harmonisiert werden.

Absatz 3: Artikel 25 Absatz 2 ATSG enthält neu eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Da diese neue Regelung auch für die Arbeitslosenversicherung gelten soll, ist Absatz 3 entsprechend anzupassen.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

3.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Massnahmen verursachen jährlich Mehrkosten bei den Ergänzungsleistungen (vgl. Ziff. 3.3.1), welche vom Bund mitfinanziert werden. Dabei entstehen für den Bund im Durchschnitt der Jahre 2015­2025 Kosten von rund 20 Millionen Franken.

3.1.2

Personelle Auswirkungen

Für die Umsetzung der Revision 6a, insbesondere für die Umsetzung der Schlussbestimmungen (4500 gewichtete Renten, welche nach heutigem Recht nicht mehr zugesprochen würden) und für die Einführung der eingliederungsorientierten Rentenrevision (Korrektur des Rentenbestandes um rund 8000 gewichtete Renten) sind in den IV-Stellen (inkl. RAD) zwischen 2012 und 2017 im Durchschnitt rund 200 Stellen vorgesehen. In den ersten Jahren wird mit rund 300 Stellen gerechnet um die Korrektur des Rentenbestandes zu erreichen. Ab dem Jahr 2018 (nach der Korrektur des Rentenbestandes) wird der personelle Aufwand zurückgehen und im Vergleich zu heute 42 Vollzeitstellen betreffen62.

60 61 62

BBl 2010 1817 SR 837.0 BBl 2010 1817, 1855­1856

5819

Da die zusätzlichen Stellen für die Revision 6a ab 2019 zu einem grossen Teil wieder abgebaut sind, stehen sie für die Umsetzung der Revision 6b nicht zur Verfügung. Die verstärkte Eingliederung und die Einführung des stufenlosen Rentensystems werden deshalb bei den IV-Stellen ab 2015 (angestrebter Zeitpunkt für das Inkrafttreten der IV-Revision 6b) zu einem erhöhten Personalbedarf von 100 Stellen führen.

Der Mehrbedarf an Eingliederungsfachpersonen ergibt sich aus dem zeitlichen Aufwand für den Koordinationsbedarf durch den verstärkten Einbezug der behandelnden Ärzte im Rahmen des interprofessionellen Assessments. Jede bei der IV früh erfasste beziehungsweise angemeldete Person durchläuft eine Form des interprofessionellen Assessments. Darüber hinaus ergibt sich eine Ausweitung der Aufgaben der Eingliederungsfachpersonen unter anderem durch die eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung der Arbeitgeber, sowie die erweiterte Beratung der Früherfassungsberechtigten.

Die Einführung des stufenlosen Rentensystems führt zu rund 150 000 Rentenüberprüfungen innerhalb von 3 Jahren. In den vergangenen 5 Jahren haben die IV-Stellen im Durchschnitt 55 000­60 000 Rentenrevisionsverfahren durchgeführt. Die IV-Stellen können bereits heute bei den anstehenden Rentenrevisionsverfahren die notwendige Basis und die entsprechenden Vorbereitungsarbeiten im Hinblick auf die Überführung ins stufenlose Rentensystem leisten. Hierfür sind keine zusätzlichen Stellen notwendig. Das neue Rentensystem und insbesondere die Überführung vom heutigen in das neue Rentensystem werden hingegen zu vermehrten Revisionen und zu Beschwerden gegen die Neufestsetzung des Rentengrades führen. Diese Zunahme wird den Personalbedarf bei der Sachbearbeitung und den Rechtsdiensten der IV-Stellen erhöhen.

Die Aufsicht, die Qualitätskontrolle und die Evaluation sowie die Koordination der Weiterentwicklung der neuen Massnahmen mit den IV-Stellen ziehen auch im BSV einen zusätzlichen Stellenbedarf nach sich: Die Einführung des stufenlosen Rentensystems mit Besitzstand für versicherten Personen, ab 55 Jahren führt dazu, dass während mindestens 10 Jahren zwei Rentensysteme parallel geführt und entsprechend gesteuert werden müssen. Politisch ist es unerlässlich, dass das BSV mit einem Monitoring Auskunft über die Auswirkungen dieses Systemwechsels
und allfällige Kostenverschiebungen zur EL und/oder Sozialhilfe geben kann. Weiter sind die Ausgaben für Reisekosten sowie die Wirkung der Prävention und Beratung der Arbeitgeber aktiv zu beobachten und zu steuern. Die kontinuierliche Evaluation und das Monitoring der neuen Anpassungen sind personalintensiv. Mit Inkrafttreten der vorliegenden Revision müssen mindestens fünf neue Vollzeitstellen geschaffen werden. Gemäss Artikel 67 Absatz 1 Buchstabe b IVG werden die Kosten von 750 000 Franken pro Jahr durch die IV getragen.

Weiter ist festzuhalten, dass die Einführung des neuen Rentensystems auch zu einem gewissen Mehraufwand bei den Ausgleichskassen, den Vollzugsorganen der EL sowie bei den Organen der Beruflichen Vorsorge führen wird, weil damit gerechnet wird, dass gegenüber heute etwas mehr Rentenanpassungen erfolgen werden.

5820

3.2

Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden

Ergänzungsleistungen Die vorgeschlagenen Massnahmen verursachen Mehrkosten bei den Ergänzungsleistungen (vgl. Ziff. 3.3.1), welche von den Kantonen mitfinanziert werden. Dabei entstehen für die Kantone im Durchschnitt der Jahre 2015­2025 Kosten von rund 15 Millionen Franken.

Sozialhilfe Es sind nur in Einzelfällen (z.B. bei Nichterfüllen der zehnjährigen Karenzfrist für den Anspruch auf EL) Auswirkungen auf die Sozialhilfe zu erwarten, weil die Existenzsicherung weiterhin durch die Ergänzungsleistungen gesichert ist.

Neues Rentensystem Allfällige Reduktionen von Renten in Zusammenhang mit dem neuen Rentensystem werden in den meisten Fällen bei Personen mit ungenügendem Einkommen durch die EL kompensiert. Deshalb hat das neue Rentensystem grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Sozialhilfe.

Im Zusammenhang mit der Anrechnung von hypothetischen Erwerbseinkommen bei den Ergänzungsleistungen kann es zu geringen Mehrkosten bei der Sozialhilfe kommen. Bei Personen mit einer Teilrente wird ­ wenn sie kein genügendes Erwerbseinkommen erzielen ­ ein hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet (Art. 14a ELV). Die versicherte Person kann diese gesetzliche Vermutung umstossen, wenn sie glaubhaft macht, dass nicht gesundheitsbedingte Faktoren (Alter, Bildung, berufliches Profil, usw.) sie daran hindern, ihre theoretische Resterwerbsfähigkeit einzusetzen. Dann wird in die Berechnung der EL für die Existenzsicherung kein hypothetisches Einkommen eingerechnet. Die Mehrkosten sind gering, weil ein hypothetisches Erwerbseinkommen lediglich bei einem Fünftel der EL-Bezüger mit Teilrenten angerechnet wird (Basis: Alleinstehende mit Teilrenten im Jahr 2009).

Mit dem neuen Rentensystem wird die Verordnung über die Ergänzungsleistungen angepasst werden müssen. Es ist zu prüfen, ob es gemäss Artikel 14a ELV zulässig ist, dass ein hypothetisches Einkommen auch bei einem IV-Grad von 70 bis unter 80 Prozent angerechnet wird. In einigen Fällen kann es dabei zu einer begrenzten Verlagerung der EL-Lasten zur Sozialhilfe kommen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es für eine gesamtheitliche Linearität des Systems nicht zweckmässig wäre, die hypothetischen Einkommen ebenfalls linear zu berechnen und somit sämtliche Schwelleneffekte auszuschliessen.

Verstärkte Eingliederung Die geplanten Massnahmen zur Verstärkung der
Eingliederung setzen bei den Neurenten an und haben die Verhinderung von ganzen Renten zugunsten von Teilrenten zum Ziel. Auch bei einer Teilrente besteht Anspruch auf EL, so dass ein allfälliger Rückgang der anrechenbaren Einnahmen bei der Berechnung der EL berücksichtigt wird und im Normalfall keine Belastung der Sozialhilfe erfolgt.

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Die Anpassungen bei den Kinderrenten haben keine Auswirkungen auf die Sozialhilfe, weil ein allfälliger Rückgang der anrechenbaren Einnahmen bei der Berech5821

nung der EL berücksichtigt wird, ausser die Karenzfrist für den Anspruch auf EL ist nicht erfüllt.

3.3

Auswirkungen auf andere Sozialversicherungen

3.3.1

Ergänzungsleistungen

Ergänzungsleistungen werden an Personen mit einer AHV- oder IV-Rente ausgerichtet, wenn sie in der Schweiz wohnen und ihr Einkommen die minimalen Lebenskosten nicht decken kann. Im Jahr 2010 bezogen 105 600 Personen mit einer IV-Rente EL, dies entspricht 38 Prozent.

Neues Rentensystem Künftig werden die IV-Renten bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis 79 Prozent tiefer sein. 23 Prozent dieser Rentnerinnen und Rentner erhalten Ergänzungsleistungen. Bei ihnen sinkt die Höhe der anrechenbaren Renteneinnahmen bei der ELBerechnung, was zu einem höheren EL-Betrag führt. Die durch die Einführung des neuen Rentensystems resultierenden Mehrkosten bei den Ergänzungsleistungen betragen 35 Millionen Franken und sind für eine sozialverträgliche Umsetzung notwendig, weil sie die Existenzsicherung sicherstellen.

Verstärkte Eingliederung Der Neurentenzugang bei der IV aufgrund psychischer Erkrankungen soll gesenkt werden. Da einige dieser Personen auch EL beansprucht hätten, senkt sich die Zahl der Personen mit EL stärker als mit der geltenden Ordnung erwartet, was zu einer finanziellen Entlastung der EL von 20 Millionen Franken führt.

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Künftig werden die IV-Renten von Personen mit Kindern tiefer sein. Der Anteil der Rentnerinnen und Rentner mit Kindern, welche EL erhalten, beträgt 13 Prozent und liegt damit deutlich unter dem Durchschnitt aller IV-Rentner (38 Prozent). Sofern keine Kompensation durch eine Rente nach BVG (Reduktion der Überentschädigungskürzung) oder eine UV-Rente (Komplementärrente) erfolgt, reduziert sich die Höhe der anrechenbaren Renteneinnahmen bei der EL-Berechnung, was zu einem höheren EL-Betrag führt. Die dadurch resultierenden Mehrkosten bei den Ergänzungsleistungen betragen 20 Millionen Franken.

Gesamtwirkung Im Jahr 2018 ergeben sich insgesamt Mehrkosten von rund 40 Millionen Franken.

Der Durchschnitt der Jahre 2015­2025 beträgt 35 Millionen Franken.

Sollte der Interventionsmechanismus gemäss Artikel 80 Absatz 2­4 eines Tages zum Greifen kommen, käme es zudem zu einer Lastenverschiebung. Die von der IV durch die Sistierung der Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung erzielten Einsparungen würden für die EL nämlich Mehrkosten im Umfang von 90 Millionen Franken verursachen, 56 Millionen davon zulasten des Bundes.

5822

Tabelle 3-1 Finanzielle Auswirkungen auf die Ergänzungsleistungen In Millionen Franken, zu Preisen von 2011 Massnahmen

Neues Rentensystem (vgl. Ziff. 1.3.1) Verstärkte Eingliederung (vgl. Ziff. 1.3.2) Rentnerinnen und Rentner mit Kindern (vgl. Ziff. 1.3.3)

2018

2015­2025

30

35

­15

­20

25

20

Total

40

35

davon Bund

23

20

davon Kantone

17

15

Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass der Rückgang der Neurenten um 47 Prozent seit 2003 enorme Kostenreduktionen auch bei den Ergänzungsleistungen zur Folge hatte: Hätte sich die Entwicklung in der IV ab dem Jahr 2003 fortgesetzt wie in den Jahren zuvor, hätten sich im Jahr 2018 Mehrkosten im Umfang von rund 350 Millionen Franken bei den Ergänzungsleistungen ergeben. Die mit dem Sanierungsplan verbundenen Sparanstrengungen in der IV, die mit der 5. IV-Revision ihren Anfang genommen haben, führen deshalb insgesamt nicht zu Mehraufwendungen bei den Ergänzungsleistungen, sondern haben auch bei den Ergänzungsleistungen substanzielle Kostensenkungen zur Folge.

3.3.2

Berufliche Vorsorge

Die berufliche Vorsorge umfasst die Altersvorsorge sowie die Versicherung weiterer Risiken (Witwen-/Witwerrente oder Waisenrente) und deckt auch das Risiko Invalidität ab. Obligatorisch muss der sogenannte koordinierte Lohn versichert werden.

Lohnanteile, welche über oder unter dem koordinierten Lohn liegen, können aufgrund reglementarischer Bestimmungen versichert sein. Bei den obligatorischen Leistungen ist für die Vorsorgeeinrichtung der Entscheid der zuständigen IV-Stelle bindend, d. h. sie zahlt eine Invalidenrente für denselben Invaliditätsgrad aus. Für die weitergehende Vorsorge (überobligatorischer Teil) haben die Vorsorgeeinrichtungen im Prinzip die Möglichkeit, Vorschriften zu erlassen. Sie schliessen sich aber auch hier in der Regel der IV-Stelle an. Dabei findet bei unfallbedingter Invalidität eine Koordination mit der Unfallversicherung statt. Im Falle der Überversicherung gehen die Leistungen der Unfallversicherung vor, und die Leistungen der 2. Säule werden entsprechend gekürzt.

Das BVG richtet Invalidenrenten nur soweit aus, als die invalide Person zusammen mit den Leistungen der IV und UV nicht mehr Einkommen hat, als sie ohne Invalidität erzielt hätte. Die Vorsorgeeinrichtung kann daher ihre Leistungen kürzen, wenn diese zusammen mit den vorerwähnten Leistungen und anderen anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen. Dies tritt hauptsächlich dann ein, wenn zusätzlich zur IV-Rente auch noch eine Rente der Unfallversicherung oder Kinderrenten ausbezahlt werden. Sobald nun ein anderer

5823

Leistungserbringer seine Leistungen kürzt oder einstellt, muss das BVG im Prinzip diese Lücke bis zur Überentschädigungsgrenze füllen.

Neues Rentensystem Das neue Rentensystem führt einerseits zu einer Erhöhung der neuen Invalidenrenten bei Invaliditätsgraden zwischen 41 und 49 Prozent sowie zwischen 51 und 59 Prozent und andererseits zu einer Senkung des Rentenbetrages bei Invaliditätsgraden zwischen 60 und 79 Prozent. Konkret werden je etwa ein Fünftel der neuen Invalidenrenten höher respektive tiefer ausfallen als im heutigen System. Renten, die erhöht werden, werden im Durchschnitt um 1650 Franken pro Jahr höher ausfallen als heute. Hingegen werden Neurenten bei Invaliditätsgraden zwischen 60 und 79 Prozent im Durchschnitt um 3900 Franken pro Jahr tiefer ausfallen als im heutigen System. Insgesamt führt dies dazu, dass jährlich schätzungsweise 25 Millionen Franken weniger Deckungskapitalien für neue Invalidenrenten zu stellen sein werden.

Die Überführung der bestehenden IV-Renten ins neue Rentensystem führt dazu, dass bei schätzungsweise 4500 bestehenden Invalidenrenten der beruflichen Vorsorge die Überentschädigungskürzungen um durchschnittlich 2000 Franken pro Jahr reduziert werden müssen. Folglich müssen allfällige Reduktionen von Deckungskapitalien im Umfang von rund 70 Millionen Franken63 rückgängig gemacht werden.

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Rund ein Viertel der 134 000 Bezügerinnen und Bezüger von Invalidenrenten der 2. Säule haben zusätzlich noch Anspruch auf Invaliden-Kinderrenten. Aktuell übersteigen bei knapp 7700 dieser Personen die Leistungen aus der 1. und der 2. Säule zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes, so dass die Vorsorgeeinrichtungen ihre Leistungen bis zu dieser Grenze kürzen können. Werden nun die Kinderrenten in der IV um einen Viertel gesenkt, müssen die Überentschädigungskürzungen um durchschnittlich 3000 Franken pro Jahr reduziert werden. Da das Durchschnittsalter der anspruchsberechtigten Kinder zwischen 15 und 16 Jahren liegt, wird sich diese Reduktion durchschnittlich zehn Jahre lang auswirken. Deshalb müssen allfällige Reduktionen von Deckungskapitalien im Umfang von rund 220 Millionen Franken64 rückgängig gemacht werden.

Bei den neuen Invalidenrenten haben die tiefer ausfallenden Kinderrenten
in der IV zur Folge, dass Reduktionen der zu stellenden Deckungskapitalien von jährlich etwa 20 Millionen Franken wegfallen werden.

Verstärkte Eingliederung Es wird erwartet, dass infolge der verstärkten Eingliederung von Menschen mit psychischen Behinderungen jährlich etwa 900 weniger neue Invalidenrenten der 2. Säule anfallen werden. Bei einer durchschnittlichen Jahresrente von knapp 17 000 63

64

Diese Zahlen beruhen auf der Annahme, dass die Überführung der bestehenden Renten ins neue Rentensystem keine Auswirkungen auf die Verwertung der Resterwerbsfähigkeit hat. Würde die Resterwerbsfähigkeit jedoch vermehrt ausgeschöpft, dann würde sich dieser Betrag reduzieren. Zudem werden die Überentschädigungskürzungen bei der Berechnung der Deckungskapitalien nicht immer mitberücksichtigt (vgl. nächste Fussnote).

Dieser Betrag ist tendenziell überschätzt, da nicht alle Vorsorgeeinrichtungen bei der Berechnung der Deckungskapitalien die Überentschädigungskürzungen mitberücksichtigen.

5824

Franken ergibt dies eine Senkung des Bedarfs an Deckungskapital für neue Invalidenrenten um rund 180 Millionen Franken. Diese Massnahme hat in der beruflichen Vorsorge relativ gesehen grössere Auswirkungen als in der IV, da Personen, die aufgrund einer Krankheit eine IV-Rente beziehen, häufiger auch eine Rente der 2. Säule erhalten als der Gesamtbestand der IV65.

Gesamteffekt Für neue Invalidenrenten müssen jährlich rund 185 Millionen Franken weniger Deckungskapitalien gestellt werden; für bestehende Invaliden- und Kinderrenten müssen einmalig allfällige Reduktionen von Deckungskapitalien im Umfang von schätzungsweise 290 Millionen Franken66 rückgängig gemacht werden.

Tabelle 3-2 Finanzielle Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge Schätzungen, in Millionen Franken Massnahmen

Neues Rentensystem (vgl. Ziff. 1.3.1)

Wegfallende Reduktionen von Deckungskapitalien (laufende Renten, einmalig bei Inkrafttreten)

Bedarf an Deckungskapital (Neurenten, jährlich ab Inkrafttreten

70

­25

­

­180

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern (vgl. Ziff. 1.3.3)

220

20

Total

290

­185

Verstärkte Eingliederung (vgl. Ziff. 1.3.2)

Einsparungen als Folge der 5. IV-Revision und der Revision 6a Der deutliche Rückgang der Neurenten seit 2003, die Massnahmen der 5. IV-Revision und die geplante IV-Revision 6a haben für die berufliche Vorsorge deutliche Einsparungen zur Folge:

65

66

­

Aufgrund des Rückgangs der Neurenten um die Hälfte seit 2003 müssen jedes Jahr rund 1,4 Milliarden Franken weniger Deckungskapitalien für neue Invalidenrenten nach BVG gestellt werden als wenn die Neurenten auf dem Stand von 2003 verblieben wären.

­

In der Botschaft zur IV-Revision 6a wird für die 2. Säule mit Einsparungen (= frei werdende Deckungskapitalien) von knapp 2,5 Milliarden Franken gerechnet.

Beispielsweise erhalten Personen, die aufgrund eines Geburtsgebrechens oder eines Unfalls eine IV-Rente beziehen, in der Regel keine Invalidenrente der 2. Säule, da sie entweder nicht BVG-versichert waren oder die Unfallversicherung bereits eine genügend hohe Invalidenrente ausbezahlt.

Dieser Betrag ist tendenziell überschätzt (vgl. Fussnoten zu den vorangehenden Absätzen zum neuen Rentensystem und den Rentnerinnen und Rentner mit Kindern).

5825

3.3.3

Arbeitslosenversicherung

Das neue Rentensystem hat zum Ziel, dass eine vorhandene Resterwerbsfähigkeit bestmöglich realisiert wird. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass Betroffene sich ­ sofern sie über keine Stelle verfügen, oder diese verlieren ­ bei der Arbeitslosenversicherung melden. Die IV verfügt aber selbst über die Instrumente, um für die Betroffenen die angemessene Begleitung sicherzustellen. Es handelt sich insbesondere um die mit der 6. IV-Revision, 1. Massnahmenpaket eingeführten Instrumente des Arbeitsversuchs und des vereinfachten Einarbeitungszuschusses. Unabhängig von diesen Leistungen besteht Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die Fachspezialisten der IV.

3.3.4

Krankentaggeldversicherung

Die Krankentaggeldversicherung sollte durch die Massnahmen dieser Vorlage tendenziell entlastet werden. Die frühzeitige eingliederungsorientierte Beratung und Begleitung sollte dazu beitragen, lang andauernde, rasch chronifizierende Erkrankungen und dadurch resultierende Arbeitsunfähigkeiten zu reduzieren. Ebenso wird die noch niederschwelliger ausgestaltete Früherfassung dazu beitragen, dass im Falle von Arbeitsunfähigkeiten schneller gemeldet wird und die Leistungen der IV ­ nach Ablauf der Frühinterventionsphase, in denen keine Taggelder geleistet werden ­ frühzeitig einsetzen.

3.3.5

Unfallversicherung

Hat die Person mit einer Rente der obligatorischen Unfallversicherung gleichzeitig Anspruch auf eine Rente der IV, so gewährt die Unfallversicherung eine Komplementärrente; diese entspricht der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdienstes und der Rente der IV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag (Art. 20 Abs. 2 UVG).

In der IV werden die Renten mit einem Invaliditätsgrad 60­79 Prozent sowie die Kinderrenten für Rentnerinnen und Rentner mit Kindern reduziert. Der Komplementärmechanismus führt zu Mehrausgaben in der obligatorischen Unfallversicherung: ­

Neues Rentensystem: Für Neurenten wird jährlich 4 Millionen zusätzliches Deckungskapital benötigt. Die Anpassung der rund 11 000 bestehenden Renten von Personen unter 55 Jahren führt zu einer einmaligen Erhöhung des Deckungskapitals in der obligatorischen Unfallversicherung von 60 Millionen Franken.

­

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern: Für Neurenten wird jährlich 4 Millionen zusätzliches Deckungskapital benötigt. Die Anpassung der rund 3500 bestehenden Renten von Rentnern mit Kindern führt zu einer einmaligen Erhöhung des Deckungskapitals in der obligatorischen Unfallversicherung von 50 Millionen Franken.

Die mit der verstärkten Eingliederung von Menschen mit psychischen Behinderungen durch die IV zu erwartenden Einsparungen der obligatorischen Unfallversicherung sind voraussichtlich gering.

5826

Neben diesen Mehrausgaben führt die Neuerung zu einem administrativen Mehraufwand der obligatorischen Unfallversicherung, da bei einer Rentenrevision auch die Unfall-Komplementärrente angepasst werden muss.

3.3.6

Alters- und Hinterlassenenversicherung

Rentnerinnen und Rentner mit Kindern Die Massnahmen bei den Rentnerinnen und Rentnern mit Kindern führen zu Einsparungen bei der AHV von rund 25 Millionen Franken pro Jahr.

3.3.7

Krankenversicherung

Die geplanten Änderungen und Neuerungen haben keinen Einfluss auf die Krankenversicherung.

3.3.8

Militärversicherung

Beim Zusammentreffen einer Militärversicherungsrente und einer Rente der IV darf der Gesamtbetrag 100 Prozent des mutmasslich entgangenen Verdienstes nicht übersteigen. Wenn die Höhe der IV-Renten sinkt, hat folglich die Militärversicherung höhere Renten zu leisten. Diese vom Bund zu tragenden Mehrkosten betragen ungefähr 0,3 Millionen Franken pro Jahr.

3.4

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Insgesamt sind die vorgeschlagenen Massnahmen für die Schweizer Wirtschaft positiv, wenngleich die Wirkung in Bezug auf das Wirtschaftswachstum kaum wahrnehmbar ist.

Aus makroökonomischer Sicht dürften sich das neue Rentensystem und die verstärkte Eingliederung günstig auf die Beschäftigung (durch die Eingliederung der Versicherten) sowie auf den jährlichen Finanzierungsbedarf der IV (weniger neue oder bestehende Renten) auswirken. Diese positiven wirtschaftlichen Auswirkungen sind jedoch auf volkswirtschaftlicher Ebene sehr gering und verlaufen zudem progressiv. Sie haben daher keinen sichtbaren Einfluss auf das Wirtschaftswachstum.

Nicht auszuschliessen sind ausserdem gewisse Substitutionseffekte, welche die ohnehin relativ geringen direkten Auswirkungen der Revision teilweise neutralisieren könnten. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn gescheiterte Eingliederungsversuche andere Sozialausgaben (ALV, Sozialhilfe) verursachen.

5827

3.5

Auswirkungen auf künftige Generationen

Mit der vorliegenden Revision wird das allenfalls noch vorhandene Defizit beseitigt und es wird für eine nachhaltig ausgeglichene Rechnung der IV und die Entschuldung gesorgt, damit die IV nach Auslaufen der Zusatzfinanzierung finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Somit müssen künftige Generationen nicht Altlasten der heutigen Generationen tragen. Der vorgesehene Interventionsmechanismus wird dafür sorgen, dass Einnahmen und Ausgaben auf Dauer im Gleichgewicht sind.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zum Finanzplan

Die Vorlage ist im Bundesbeschluss vom 18. September 200867 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die vorliegende Revision stützt sich auf Artikel 112 Absatz 1 BV und, soweit sie die Eingliederung betrifft, auf Artikel 112b Absatz 1 BV.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

5.2.1

Instrumente der Vereinten Nationen

Der Internationale Pakt von 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) ist für die Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getreten68. In seinem Artikel 9 sieht er das Recht eines jeden auf Soziale Sicherheit vor; diese schliesst die Sozialversicherung ein. Ausserdem hat jeder Vertragsstaat zu gewährleisten, dass die im Pakt verkündeten Rechte ohne jegliche Diskriminierung, insbesondere hinsichtlich der nationalen Herkunft, ausgeübt werden (Art. 2 Abs. 2).

Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2006 umfasst alle in den anderen Verträgen der UNO aufgeführten Menschenrechte, passt diese aber an die besondere Situation von Personen mit Behinderung an und ergänzt sie durch zusätzliche, spezifische Rechte. Artikel 19 hält fest, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sowie auf vollumfängliche Integration und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben. Die Schweiz hat dieses Übereinkommen nicht ratifiziert. Die Legislaturplanung 2007­2011 sieht die Verabschiedung einer Botschaft zu dieser Konvention vor (Art. 16, Ziff. 78 Bundesbeschluss vom 18. September 2008 über die Legislaturplanung 2007­2011).

67 68

BBl 2008 8547 AS 1993 724; SR 0.103.1

5828

5.2.2

Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation

Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr. 128 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene von 1967 am 13. September 1977 ratifiziert69. Teil II regelt die Leistungen bei Invalidität. Er definiert den gedeckten Schadenfall und bezeichnet die zu schützenden Personen, die Leistungsvoraussetzungen sowie die Höhe und Dauer der Leistungen. Was die Leistungshöhe betrifft, muss die Invalidenleistung für eine bestimmte Bezügerkategorie (vorliegend ein verheirateter Mann mit zwei Kindern) mindestens 50 Prozent des Referenzeinkommens ausmachen. Das Übereinkommen Nr. 128 sieht ferner vor, dass die Staaten Einrichtungen zur beruflichen Wiedereingliederung bereitzustellen haben, die dazu bestimmt sind, eine invalide Person, wo immer es möglich ist, für die Wiederaufnahme ihrer früheren Tätigkeit oder für eine andere Erwerbstätigkeit vorzubereiten, die ihrer Eignung und ihren Fähigkeiten am besten entspricht. Ausserdem haben die Mitglieder Massnahmen zu treffen, um die Vermittlung einer geeigneten Beschäftigung für Invalide zu erleichtern.

Am 20. Juni 1985 hat die Schweiz auch das Übereinkommen Nr. 159 über die berufliche Rehabilitation und die Beschäftigung der Behinderten von 198370 ratifiziert. Gemäss diesem Übereinkommen hat jeder Mitgliedstaat eine innerstaatliche Politik auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation und der Beschäftigung Behinderter festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen. Ziel der genannten Politik ist es, sicherzustellen, dass geeignete Massnahmen der beruflichen Rehabilitation allen Gruppen von Behinderten offen stehen, und Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fördern.

5.2.3

Instrumente des Europarats

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, stellt die Europäische Sozialcharta von 1961 das Pendant zur europäischen Menschenrechtskonvention dar. Artikel 12 der Charta sieht das Recht auf soziale Sicherheit vor. Artikel 15 schreibt vor, dass körperlich, geistig oder seelisch Behinderte ein Anrecht auf eine berufliche Ausbildung sowie auf berufliche und soziale Eingliederung oder Wiedereingliederung haben. Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet, sie allerdings nicht ratifiziert. Dieses Übereinkommen ist für unser Land somit nicht bindend.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) von 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Sie ist ein neues Abkommen, welches das alte nicht ersetzt. Das Recht auf soziale Sicherheit ist ebenfalls in Artikel 12 enthalten. Artikel 15 hält neu das Recht behinderter Personen auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft fest. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht ratifiziert.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 wurde am 16. September 1977 von der Schweiz ratifiziert71. Unser Land hat insbesondere Teil IX über die Leistungen bei Invalidität angenommen. Der Teil IX definiert den 69 70 71

AS 1978 1493; SR 0.831.105 AS 1986 966; SR 0.822.725.9 AS 1978 1518; SR 0.831.104

5829

gedeckten Versicherungsfall und bezeichnet die zu schützenden Personen, die Leistungsvoraussetzungen sowie die Höhe und Dauer der Leistungen. Was die Leistungshöhe betrifft, muss die Invalidenleistung für eine bestimmte Bezügerkategorie (vorliegend ein verheirateter Mann mit zwei Kindern) mindestens 40 Prozent des Referenzeinkommens ausmachen. Die Ordnung regelt die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme dahingehend, dass die Aufwendungen für die Leistungen und die damit zusammenhängenden Verwaltungskosten durch Beiträge oder Steuern oder aus beiden zusammen so zu bestreiten sind, dass Minderbemittelte nicht über Gebühr belastet werden und die wirtschaftliche Lage der Vertragspartei und der geschützten Personengruppen berücksichtigt wird (Art. 70 Abs. 1).

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) von 1990 ist ein von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit von 1964 zu unterscheidendes Abkommen, das die ursprüngliche Ordnung nicht aufhebt. Sie erweitert gewisse Vorschriften von 1964 und führt parallel dazu eine grössere Flexibilität ein. Sie ist noch nicht in Kraft getreten.

Bei den nicht bindenden Instrumenten beinhaltet die Empfehlung (2006)5 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten einen Aktionsplan 2006­2015 des Europarates zur Förderung der Rechte und vollen Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft. Der Aktionsplan sieht im Besonderen vor, dass Menschen mit Behinderung so unabhängig wie möglich leben und selbst wählen können, wie und wo sie leben wollen.

5.2.4

Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Artikel 48 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (EU) verlangt die Errichtung eines Koordinationssystems der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit zur Erleichterung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Selbständigen und ihrer Familienangehörigen. Diese Koordination wird durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 197172 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie durch die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 197273 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 geregelt. Diese beiden Verordnungen bezwecken einzig die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit und stützen sich auf die entsprechenden internationalen Koordinationsgrundsätze, insbesondere die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit den eigenen Staatsangehörigen, die Aufrechterhaltung der erworbenen Ansprüche und die Auszahlung von Leistungen im ganzen europäischen Raum. Das EU-Recht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten und die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen. Seit dem Inkrafttreten des mit der EG und ihren Mitgliedstaaten abgeschlossenen Abkommens über den freien Personenverkehr (FZA; 1. Juni 2002) nimmt die Schweiz an diesem Koordinationssystem teil (vgl.

72 73

SR 0.831.109.268.1 SR 0.831.109.268.11

5830

Anhang II zum FZA, Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Im April 2004 wurde in der EU die Verordnung (EG) Nr. 883/200474 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verabschiedet. Diese Verordnung löste in der EU die Verordnung Nr. 1408/71 am 1. Mai 2010 ab. Die neue Durchführungsverordnung75 trat ebenfalls dann in Kraft. Zurzeit laufen die Arbeiten zur Übernahme der beiden Verordnungen in den Anhang II zum FZA. Die beiden neuen Rechtstexte beschränken sich wie die bisherigen auf die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme und sehen keine Harmonisierung vor.

5.2.5

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem internationalen Recht

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist mit dem internationalen Recht und mit den Koordinationsbestimmungen des Anhangs II zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz ­ EU sowohl in der geltenden Fassung als auch in der Version der neuen Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 87/2009 vereinbar.

Stufenloses Rentensystem und Rentenbezüger und -bezügerinnen mit Kindern Ein stufenloses Rentensystem bietet bezüglich den IAO-Abkommen und der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit des Europarates keine Probleme. Diese Übereinkommen geben in diesem Bereich keine Normvorgaben ab. Auch mit der vorgesehenen Kürzung der Kinderrenten von 40 auf 30 Prozent der Invalidenrenten würde die Schweiz den Vorschriften des Übereinkommens Nr. 128 der IAO und der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit in Bezug auf die Mindestersatzquote entsprechen. Bezüglich der Koordinationsbestimmungen des Anhangs II zum Freizügigkeitsabkommen bietet die vorgeschlagene Neuregelung keine Probleme.

Verstärkte Eingliederung Die vorgeschlagenen Massnahmen zur verstärkten Eingliederung von Personen mit psychischer Behinderung gehen in Richtung der in den IAO-Übereinkommen zur Wiedereingliederung festgehaltenen Bestimmungen.

Analog der heutigen Praxis muss die Anwendung der neuen Bestimmungen bei Auslandsfällen eine etwas andere sein. Beispielsweise dürfte Artikel 7c Absatz 2 E-IVG gegenüber ausländischen Arbeitgebern eher nicht umzusetzen sein. Gleichzeitig sollte es eher selten der Fall sein, dass IV-Massnahmen für versicherte Personen in solcherlei Unternehmungen stattfinden. Zudem wird insbesondere das Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzung des Artikel 28 E-IVG bei Rentenantragstellern aus dem Ausland schwieriger sein. Wenn im Ausland keine Eingliederungsmassnahmen möglich sind, kann die Teilnahme daran auch nicht als Voraussetzung für den Rentenanspruch gefordert werden.

74 75

ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 988/2009 vom 16. September 2009, ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 43.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30.10.2009, S. 1.

5831

Verstärkte Betrugsbekämpfung In die bilateralen Abkommen mit Montenegro, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina konnte im Rahmen der Ausweitung der Betrugsbekämpfung auf andere Länder eine Betrugsbekämpfungsklausel für alle von den Abkommen erfassten Sozialversicherungszweige aufgenommen werden. Damit konnte eine völkerrechtlich klare Rechtsgrundlage für die Betrugsbekämpfung insbesondere durch die IV in diesen Ländern geschaffen werden.

Die übrigen Massnahmen stellen für die Bestimmungen des internationalen Rechts kein Problem dar.

5.3

Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung des Bundes vor, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen (qualifiziertes Mehr). Die Höchstwerte werden vorliegend nicht überschritten.

5.4

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die zur Durchführung der IV erforderlichen Rechtsetzungskompetenzen werden wie üblich an den Bundesrat delegiert. Im Einzelnen kann er zusätzlich zu seinen bestehenden Kompetenzen neu in folgenden Bereichen Bestimmungen erlassen: ­

Medizinische Massnahmen: Möglichkeit, detaillierte Bestimmungen zur Gewährung von behinderungsbedingten Mehrkosten an die Reisekosten von und zur Durchführungsstelle im Ausland vorzusehen (Art. 14 Abs. 2ter IVG);

­

die zur Bemessung der Invalidität massgebenden Erwerbseinkommen sowie die daran vorzunehmenden Abzüge oder Zuschläge (Art. 28a Abs. 4 IVG).

5832

Anhang Tabelle 1 Entwicklung der finanziellen Auswirkungen Beträge in Millionen Franken, zu Preisen von 2011 Jahr

Ausgaben Rentensystem

Verstärkte KinderEingliederung renten

Reisekosten

Personal

Total Wirkungen auf Ausgaben

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

­113 ­117 ­127 ­129 ­140 ­145 ­156 ­160 ­170 ­172 ­180

21 43 24 ­2 ­28 ­49 ­73 ­90 ­111 ­123 ­139

­9 ­24 ­40 ­156 ­156 ­153 ­156 ­153 ­157 ­154 ­158

­19 ­19 ­19 ­19 ­20 ­20 ­20 ­20 ­20 ­20 ­20

15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 16

­105 ­104 ­148 ­291 ­328 ­352 ­389 ­408 ­442 ­454 ­482

Ø 2015­2025

­146

­48

­120

­20

15

­319

5833

Tabelle 2 IV-Finanzhaushalt

IV-Revision 6a

Beträge in Millionen Franken Jahr

zu Preisen von 2011

Ausgaben

Einnahmen

Geltende 6. IVSchuldOrdnung Revision zinsen 1. Paket

Total

Beiträge und Regress

Umlageergebnis

Mehrwertsteuer

1)

Öffentliche 6. IVHand Revision

9 058

162

9 220

4 700

2011 2012 2013 2014 2015

9 195 9 155 9 227 9 143 9 284

-4 89 108 0

299 294 281 267 248

9 494 9 444 9 597 9 518 9 533

4 842 4 938 5 043 5 128 5 216

863 1 114 1 137 1 162 1 176

3 579 3 560 3 618 3 588 3 593

98 134

2016 2017 2018 2019 2020

9 220 9 390 9 326 9 489 9 419

- 103 - 223 - 292 - 300 - 296

227 200 213 210 207

9 344 9 367 9 248 9 399 9 330

5 305 5 397 5 480 5 565 5 640

1 194 1 215 262

3 523 3 531 3 486 3 543 3 516

244 291 386 375 444

2021 2022 2023 2024 2025

9 592 9 517 9 700 9 615 9 781

- 303 - 300 - 308 - 305 - 312

204 201 198 195 192

9 493 9 417 9 590 9 505 9 661

5 716 5 784 5 852 5 912 5 975

3 578 3 550 3 615 3 583 3 642

423 488 457 521 494

Rentenanpassungen: alle zwei Jahre

5834

2015 2.0 0.3 1.5

Ertrag Anlagen

3 476

ab 2016 2.2 0.3 1.5

Total

Jährliche Veränderung

1. Paket 2) zinsen 3) 4)

2010

Abrechnung 2010 - Szenario A-17-2010 - IV-GL-2010 Annahmen über die wirtschafliche Entwicklung in %: Jahr 2011 2012 2013 2014 Nominallohn 1.6 1.5 1.7 2.0 Struktur 0.3 0.3 0.3 0.3 Preis 0.7 0.8 1.0 1.5

Bund: Schuld-

1) 2) 3) 4) 5)

Kapitalkonto der IV

Flüssige Mittel und Anlagen

Jährlicher Stand Schulden- Ende Jahr abbau 5)

Schuld beim AHV-Fonds

in Prozenten der Ausgaben

8 176

-1 045

-1 045

0

-14 944

-14 944

186 183 175 167 155

164 127 126 147 146

9 634 9 922 10 099 10 290 10 420

- 24 351 376 625 741

140 478 502 772 887

140 477 501 772 888

5 000 4 960 4 913 4 840 4 768

-14 803 -14 210 -13 571 -12 598 -11 526

48.0 47.9 46.5 46.2 45.4

141 125

148 147 130 141 148

10 555 10 706 9 744 9 624 9 748

1 063 1 192 366 84 270

1 211 1 339 496 225 418

1 212 1 339 0 0 0

4 697 4 628 5 056 5 206 5 548

-10 143 -8 656 -8 527 -8 402 -8 277

45.6 44.8 50.0 50.8 54.8

160 172 188 205 226

9 877 9 994 10 112 10 221 10 337

224 405 334 511 450

384 577 522 716 676

0 0 0 0 0

5 850 6 340 6 768 7 384 7 951

-8 155 -8 034 -7 916 -7 799 -7 685

57.0 62.7 65.9 73.1 77.7

2011-2017: Erhöhung der MWST um 0,4 Prozentpunkte (proportional) Zusätzlicher Bundesbeitrag aus neuem Finanzierungsmechanismus 2011-2017: Zusätzliche Schuldzinsen (37.7% im ord. Beitrag; in dieser Kolonne 62.3%) zu Lasten des Bundes Ertrag auf dem IV-Kapitalkonto Jährliche Reduktion der Schuld, falls das IV-Kapitalkonto 5 Mrd. (nominell) übersteigt BSV/ 10.5.2011

Tabelle 3 IV-Finanzhaushalt

IV-Revision 6b

Beträge in Millionen Franken Jahr

zu Preisen von 2011

Ausgaben

Einnahmen

Umlage-

Kapitalkonto der IV

Flüssige Mittel und Anlagen

ergebnis g.O. inkl. 6. Revision Schuld6.Revision 2. Paket zinsen 1.Paket

Total

Beiträge und Regress

Mehrwertsteuer

1)

Bund gemäss 6.Revision 1.Paket 2)

Bund: Ertrag Schuld- Anlagen zinsen 3) 4)

Jährliche Veränderung

Jährlicher Stand Schulden- Ende Jahr abbau 5)

Schuld beim AHV-Fonds

in Prozenten der Ausgaben

2010

9 058

162

9 220

4 700

8 176

-1 045

-1 045

-14 944

-14 944

2011 2012 2013 2014 2015

9 195 9 150 9 316 9 251 9 284

- 105

299 294 281 267 248

9 494 9 444 9 597 9 518 9 427

4 842 4 938 5 043 5 128 5 216

863 1 114 1 137 1 162 1 176

3 579 3 560 3 618 3 686 3 727

186 183 175 167 155

164 127 126 147 148

9 634 9 922 10 099 10 290 10 422

- 24 351 376 625 847

140 478 502 772 995

140 477 501 772 612

5 000 4 961 4 913 4 840 5 152

-14 803 -14 210 -13 571 -12 598 -11 802

48.0 47.9 46.5 46.2 50.0

2016 2017 2018 2019 2020

9 117 9 167 9 035 9 189 9 122

- 104 - 148 - 291 - 328 - 352

233 202 214 189 175

9 246 9 221 8 958 9 050 8 945

5 305 5 397 5 480 5 565 5 640

1 194 1 215 262

3 767 3 822 3 872 3 917 3 961

145 126

163 161 149 139 143

10 574 10 721 9 763 9 621 9 744

1 165 1 338 656 432 656

1 328 1 500 805 571 799

1 351 1 439 874 449 782

5 053 5 039 4 895 4 945 4 889

-10 275 -8 686 -7 682 -7 121 -6 233

50.0 50.0 50.0 50.0 50.0

2021 2022 2023 2024 2025

9 289 9 217 9 392 9 310 9 469

- 389 - 408 - 442 - 454 - 482

154 135 108 85 53

9 053 8 944 9 057 8 940 9 040

5 716 5 784 5 852 5 912 5 975

141 146 144 148 146

9 857 9 968 10 068 10 164 10 257

663 878 867 1 076 1 071

804 1 024 1 011 1 224 1 217

676 1 011 876 1 215 1 092

4 945 4 884 4 947 4 883 4 936

-5 466 -4 373 -3 434 -2 167 -1 044

50.0 50.0 50.0 50.0 50.0

Abrechnung 2010 - Szenario A-17-2010 - IV-GL-2010 Annahmen über die wirtschafliche Entwicklung in %: Jahr 2011 2012 2013 2014 Nominallohn 1.6 1.5 1.7 2.0 Struktur 0.3 0.3 0.3 0.3 Preis 0.7 0.8 1.0 1.5 Rentenanpassungen: alle zwei Jahre

5835

2015 2.0 0.3 1.5

3 476

Total

4 000 4 038 4 072 4 104 4 136

ab 2016 2.2 0.3 1.5

1) 2) 3) 4) 5)

2011-2017: Erhöhung der MWST um 0,4 Prozentpunkte (proportional) Bis 2013 37.7% der Ausgaben; ab 2014 gemäss IV-Revision 6a 2011-2017: Zusätzliche Schuldzinsen (37.7% im ord. Beitrag; in dieser Kolonne 62.3%) zu Lasten des Bundes Ertrag auf dem IV-Kapitalkonto Jährliche Reduktion der Schuld, falls das IV-Kapitalkonto 5 Mrd. (nominell) übersteigt, ab 2015 sobald die flüssigen Mittel 50% der Ausgaben übersteigen BSV/ 10.5.2011

5836