04.439 Parlamentarische Initiative Betäubungsmittelgesetz. Revision (Ordnungsbussenverfahren) Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 2. September 2011

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

2. September 2011

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Thérèse Meyer-Kaelin

2011-1962

8195

Übersicht Nach geltendem Recht ist der Konsum von Cannabis in der Schweiz strafbar. Die Bekämpfung des Cannabiskonsums mit strafrechtlichen Mitteln ist für Polizei und Justiz mit erheblichem Aufwand verbunden. Dieser wird im Verhältnis zur Schwere des Delikts insbesondere bei Erwachsenen mit moderatem und sozial unauffälligem Konsum als nicht angemessen empfunden. Zudem handhaben die Kantone die Bestrafung des Cannabiskonsums sehr unterschiedlich. Sowohl das Strafmass als auch die Zahl der jährlichen Verzeigungen variieren stark.

Die Polizei soll den Cannabiskonsum von Erwachsenen deshalb künftig mit einer Ordnungsbusse in der Höhe von 100 Franken ahnden können, vorausgesetzt, der Täter oder die Täterin trägt nicht mehr als 10 Gramm Cannabis bei sich. Analog zum Ordnungsbussenverfahren im Strassenverkehr stellt die Polizei einen Bussenzettel aus. Akzeptiert und bezahlt der Cannabiskonsument oder die Cannabiskonsumentin die Ordnungsbusse, erübrigen sich eine Verzeigung und ein allfälliges Strafverfahren.

Die Polizeiorgane hätten damit ein einfaches Mittel zur Hand, um das vom Gesetzgeber vorgesehene Konsumverbot konsequent und mit adäquatem Aufwand zu ahnden. Polizei und Justiz würden entlastet und Kosten eingespart. Die Erhebung einer schweizweit einheitlichen Busse führt auch zu einer Vereinheitlichung der bis anhin sehr heterogenen Sanktionspraxis. Die vom Gesetz vorgesehenen Präventionsmassnahmen bleiben auch nach der Einführung eines Ordnungsbussenverfahrens wirksam.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Beratungen über die Sanktionierung von Cannabiskonsum und Arbeiten der Kommission

Das Sanktionsregime für Cannabiskonsum steht seit längerem zur Diskussion. Mit seiner Botschaft vom 9. März 20011 legte der Bundesrat eine umfassende Revision des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 19512 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) vor. Hauptziel der Vorlage war es, die in der Praxis bereits etablierten vier Säulen der schweizerischen Drogenpolitik (Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression) und die staatliche Abgabe von Heroin definitiv im Gesetz zu verankern. Bezüglich Cannabis schlug der Bundesrat eine Entkriminalisierung des Konsums und Regelungen für Anbau, Fabrikation und Handel vor. Er argumentierte, angesichts der schätzungsweise 500 000 Menschen in der Schweiz, die gelegentlich oder regelmässig Cannabis konsumierten, sei die Bestrafung des Konsums mit vernünftigem Aufwand nicht mehr zu gewährleisten. Da die gesundheitlichen Risiken bei moderatem Konsum nicht grösser seien als bei anderen, legal erhältlichen Substanzen, sei die Strafbarkeit auch von gesundheitspolitischer Warte aus betrachtet nicht länger zu rechtfertigen.

Um einer allfälligen Banalisierung des Cannabiskonsums entgegenzuwirken, schlug der Bundesrat Massnahmen in den Bereichen Prävention und Jugendschutz vor.

In der Sommersession 2004 beschloss der Nationalrat, definitiv nicht auf die Vorlage einzutreten. Die Mehrheit vertrat die Auffassung, die vorgeschlagene Straffreiheit führe zu einer Banalisierung des Cannabiskonsums. Das geltende Konsumverbot sei nach wie vor die beste Präventionsmassnahme, um insbesondere Jugendliche davon abzuhalten, Cannabis zu konsumieren und dabei ihre körperliche und psychische Gesundheit ernsthaft zu gefährden. Ausserdem befürchtete die Ratsmehrheit eine Zunahme des Konsumtourismus, sollte die Schweiz den Konsum straffrei erklären.

Im Februar und Mai 2005 beschlossen die beiden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit des National- und des Ständerates (SGK-NR und SGK-SR), die mehrheitsfähigen Elemente der Bundesratsvorlage mit einer Kommissionsinitiative (05.470) umzusetzen. Ausgeklammert wurde dabei die Frage der Sanktionierung des Cannabiskonsums, die erst später neu geregelt werden sollte. Die vom Parlament ausgearbeitete Revision des Betäubungsmittelgesetzes wurde am 30. November 2008 in der Volksabstimmung
gutgeheissen.3 Gleichzeitig lehnten Volk und Stände die Volksinitiative «für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz» mit 63,3 Prozent Neinstimmen ab. Die Initiative verlangte die Legalisierung des Cannabiskonsums sowie Straffreiheit für den Besitz, den Erwerb oder den Anbau von Cannabis zum Eigenbedarf.4 Hauptargumente der Initiativgegner waren gemäss

1 2 3 4

BBl 2001 3715 SR 812.121 BBl 2006 8573, 2009 605; AS 2009 2623 BBl 2008 2263, 2009 606

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Vox-Analyse die grundsätzliche Ablehnung einer Liberalisierung weicher Drogen und der Jugendschutz.5 Am 25. März 2009 griff die SGK-NR die noch hängige Frage der Sanktionen für Cannabiskonsum erneut auf. Sie entschied, den von der CVP-Fraktion am 16. Juni 2004 in Form einer parlamentarischen Initiative (04.439) eingebrachten Vorschlag weiterzuverfolgen und den Konsum von Cannabis einem Ordnungsbussenverfahren zu unterstellen. Am 18. Januar 2010 stimmte die SGK-SR diesem Beschluss zu. Die CVP-Fraktion begründete ihre parlamentarische Initiative wie folgt: «Es ist nicht angebracht, die Gerichtsmaschinerie bei Cannabiskonsumenten anzuwerfen; deshalb soll der Cannabiskonsum nach Auffassung der CVP neu mittels Ordnungsbussen geahndet werden. Diese Lösung ist einfach, verständlich und schafft Klarheit für alle Betroffenen.» Die SGK-NR beauftragte ihre Subkommission «Drogenpolitik»6 mit der Erarbeitung einer Vorlage. Die Subkommission zog Sachverständige des Bundesamtes für Gesundheit und des Bundesamtes für Justiz bei. An ihrer Sitzung vom 3. Mai 2010 hörte sie Vertreterinnen und Vertreter der Suchtfachleute, der Lehrerinnen und Lehrer, der Jugendstrafrechtspflege, der Polizeibeamten sowie des Kantons St. Gallen an. An zwei weiteren Sitzungen vom 29. Juni 2010 und 30. August 2010 erarbeitete sie einen Vorentwurf samt erläuterndem Bericht zuhanden der SGK-NR.

Am 21. Januar 2011 stimmte die SGK-NR dem Vorentwurf und dem erläuternden Bericht mit 15 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu und beschloss, ihn bei den Kantonen, den politischen Parteien und den interessierten Kreisen in eine Vernehmlassung zu geben. Eine Kommissionsminderheit lehnt die Vorlage grundsätzlich ab und beantragt Nichteintreten.

Die Vernehmlassung wurde am 28. Februar 2011 eröffnet und lief bis zum 31. Mai 2011. Zur Zusammenstellung der Vernehmlassungsergebnisse zog die Kommission gemäss Artikel 6 Absatz 2 VIG das Bundesamt für Gesundheit bei7.

Am 17. August 2011 diskutierte die Subkommission die Ergebnisse der Vernehmlassung. Aufgrund der Auswertung der Vernehmlassungsantworten (vgl. Ziff. 1.2) kam die SGK-NR insbesondere auf die Frage der Altersgrenze zurück und beschränkte das Ordnungsbussenverfahren auf Erwachsene. Anschliessend stimmte sie vorliegendem Bericht- und Erlassentwurf am 2. September 2011 mit 14 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu.

1.2

Ergebnisse der Vernehmlassung

Von den 105 Teilnehmenden der Vernehmlassung befürworteten 73 die Einführung eines Ordnungsbussenverfahrens bei Cannabiskonsum. Grundsätzlich positiv äusserten sich 20 Kantone, 5 Parteien (CVP, FDP, SP, Grüne und CSP) sowie 34 Organi-

5 6 7

Vox-Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 30. November 2008, gfs.bern, Université de Genève, Universität Zürich und Universität Bern, S. 29­37.

Fehr Jacqueline, Meyer Thérèse, Baettig, Cassis, Dunant (ersetzt durch Frehner ab März 2011), Prelicz-Huber, Schenker Silvia Siehe «Parlamentarische Initiative 04.439, Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens der Revision des Betäubungsmittelgesetzes, Ordnungsbussenverfahren bei Cannabiskonsum», Bundesamt für Gesundheit, Juli 2011

8198

sationen8. Die vorgeschlagene Revision vereinfache das Verfahren insbesondere für die Staatsanwaltschaften und trage zu einer Vereinheitlichung der Sanktionierung des Cannabiskonsums in der Schweiz bei. Für einen Teil der Vernehmlassungsteilnehmenden bedeutet das Ordnungsbussenverfahren lediglich einen Schritt in die richtige Richtung.

Gegen ein Ordnungsbussenverfahren sprachen sich die 5 Kantone AI, BS, GR, TG und TI, die Parteien SVP und EDU sowie 13 Organisationen9 aus. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende argumentierten, der Konsum von Cannabis würde banalisiert und die Ermittlung der Händler erschwert. Andere hielten fest, dass das Ordnungsbussenkonzept bei Cannabiskonsum im Verhältnis zu anerkannten Rechtsgrundsätzen mehr Probleme schaffe als es löse und die Behörden, wenn überhaupt, nur marginal entlaste.

46 Vernehmlassungsteilnehmer ­ unter ihnen 15 Kantone sowie die FDP und die EDU ­ lehnten es ab, den Cannabis-Konsum von Minderjährigen mit Ordnungsbussen zu ahnden. Im Ordnungsbussenverfahren würden beginnende Drogenprobleme nicht frühzeitig erkannt und die Erziehungsberechtigten nicht informiert. Das auf Schutz und Erziehung ausgerichtete Jugendstrafrecht hingegen ermögliche es, rechtzeitig mit geeigneten Massnahmen Einfluss zu nehmen, argumentierten verschiedene Vernehmlassungsteilnehmende10.

16 Vernehmlassungsteilnehmer ­ unter ihnen 7 Kantone sowie die CVP und die Grünen ­ sprachen sich für die Altersgrenze 16 aus, und zwar teilweise mit der Begründung, diese Grenze gelte auch für den Alkohol und den Tabak11. Andere Vernehmlassungsteilnehmende ­ unter ihnen 2 Kantone sowie die SP und die CSP ­ favorisierten die Altersgrenze 15, da Jugendliche gemäss Jugendstrafrecht ab diesem Alter mit einer Busse bestraft werden können.

Was die Höhe der Ordnungsbusse betrifft, sprachen sich 30 Vernehmlassungsteilnehmende ­ unter ihnen 12 Kantone sowie die CVP, die FDP und die CSP ­ für 100 Franken aus. 20 Vernehmlassungsteilnehmende ­ vor allem aus Suchtfachkreisen ­ plädierten für einen tieferen Ansatz, ebenso wie die SP (50 Franken) und die Grünen (30 Franken). 17 Vernehmlassungsteilnehmende ­ unter ihnen 8 Kantone ­ votierten für 200 Franken. Die Befürworter tieferer Bussen machten geltend, eine zu hohe Ordnungsbusse könne die Cannabis-Konsumierenden veranlassen, ein ordentliches Strafverfahren zu verlangen. In der Vernehmlassung wurden zudem verschiedene Modelle von differenzierten Bussenansätzen vorgeschlagen.

8

9

10

11

Arbeitsgruppe Rauschgift, Avenir Social, Contact Netz, COROMA, EKDF, EKKJ, Fachverband Sucht, FMH, FNA, Fondation du Levant, FOSUMOS, Gesundheitsförderung Schweiz, GREA, Hausärzte Schweiz, infodrog, kf, KKBS, KSBS, KV Schweiz, NAS, pharmasuisse, Pro Juventute, Public Health, Radix, REPER, Schweizerisches Blaues Kreuz, SIS, SKBS, SKG, SSAM, SSV, Suchtpräventionsstelle Freiburg, VSEI, VSND ARCD, Centre Patronal, DDS, Eltern gegen Drogen, Schweizer Ärzte gegen Drogen, SGV, SHK, SVJ, Universität Basel, Universität Genf, Verein Jugend ohne Drogen, VEVDAJ, VSPB U. a. EKKJ, Fachverband Sucht und GREA, infodrog, Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS), Schweizerische Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege (SVJ) Dies ist nicht in allen Kantonen einheitlich geregelt.

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Gemäss Artikel 19b BetmG ist nicht strafbar, wer eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels besitzt. 66 Vernehmlassungsteilnehmer würden es begrüssen, wenn die geringfügige Menge eines Betäubungsmittels vom Wirkungstyp Cannabis im Betäubungsmittelgesetz definiert und damit landesweit vereinheitlicht würde.

Unter ihnen sind 19 Kantone sowie die SP, die FDP, die Grünen und die CSP. 44 Vernehmlassungsteilnehmende würden 10 Gramm als geringfügige Menge definieren, weitere 30 würden diese Menge tiefer ansetzen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

Wer in der Schweiz unbefugt Cannabis vorsätzlich konsumiert oder zum eigenen Konsum besitzt oder anbaut, wird gemäss Betäubungsmittelgesetz mit einer Busse bestraft (Art. 19a Ziff. 1). In leichten Fällen kann das Strafverfahren eingestellt oder von einer Strafe abgesehen werden (Art. 19a Ziff. 2). Die Zahl der Verzeigungen wegen Konsums von Hanfprodukten ist bis zum Jahr 2002 stark gestiegen: 1990 lag sie bei 12 422, im Jahr 2002 erreichte sie 32 261. Seither ist es nicht mehr zu nennenswerten Veränderungen gekommen.12 Im selben Zeitraum blieb der Cannabiskonsum in der Schweiz relativ stabil. Im Rahmen von vier zwischen 1992 und 2007 vom Bundesamt für Statistik durchgeführten Gesundheitsbefragungen gaben jeweils 4,4­4,6 Prozent der Befragten zwischen 15 und 50 Jahren an, innerhalb der letzten sechs Monate Hanfprodukte konsumiert zu haben.13 Gemessen an der Gesamtbevölkerung entspricht dies aktuell rund 350 000 Personen.

Die Bekämpfung des Cannabiskonsums mit strafrechtlichen Mitteln ist für Polizei und Justiz mit erheblichem Aufwand verbunden. Dieser wird im Verhältnis zur Schwere des Delikts insbesondere bei Erwachsenen mit moderatem und sozial unauffälligem Konsum als nicht angemessen empfunden. Damit ein Strafverfahren eingeleitet werden kann, muss ein Polizeiorgan einen Konsumenten oder eine Konsumentin schriftlich anzeigen. Anschliessend beurteilt eine Strafverfolgungs- oder Justizbehörde den Fall. Bei erwachsenen Konsumierenden wird häufig im Strafbefehlsverfahren eine Busse verhängt, die nicht ins Strafregister eingetragen wird.

Zusätzlich werden den Verurteilten Verfahrenskosten auferlegt. Ein Verzicht auf Bestrafung oder eine blosse Verwarnung kommen vor allem bei Jugendlichen zur Anwendung.14 Schweizweit verbreitet ist die Praxis der Jugendstrafbehörden, jugendliche Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten zu einem Kurs zu verpflichten, in dem der Konsum und die damit verbundenen Risiken thematisiert werden.15 Die geltende Sanktionspraxis bei Cannabiskonsum wirft nicht nur das Problem des Aufwands, sondern auch jenes der Rechtsgleichheit auf, da die Umsetzung des Konsumverbots regional sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Die Zahl der Verzeigungen variiert je nach Kanton erheblich, wie eine Auswertung von Sucht Info 12 13 14 15

Bundesamt für Statistik (BFS), Schweizerische Betäubungsmittelstatistik, Stand 2009.

Bundesamt für Statistik (BFS), Schweizerische Gesundheitsbefragungen, 1992­2007.

Eidgenössische Kommission für Drogenfragen, «Cannabis 2008. Update zum Cannabisbericht 1999», Oktober 2008, S. 23.

Ausführungen des Präsidenten der Schweizerischen Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege vor der Subkommission «Drogenpolitik» der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates, Mai 2010.

8200

Schweiz, der ehemaligen Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA), für das Jahr 2008 zeigt:16 Die tiefsten Werte ergaben sich für Basel-Landschaft (1,3 Verzeigungen pro 1000 Einwohner), Zug (1,5) und Genf (1,8); die höchsten Werte für Schaffhausen und Wallis (5,3), Zürich (5,0) und Waadt (4,9). Beeinflusst wird die Verzeigungsrate durch verschiedene Rahmenbedingungen (z.B. Grenznähe, internationaler Flughafen, überregionale Drogenszene).

Sie widerspiegelt aber auch die unterschiedliche Aktivität der Polizei.

Zudem sind kantonale Unterschiede beim Strafmass festzustellen, wie ein Vergleich von Richtlinien und Empfehlungen aus sieben Kantonen (AG, FR, LU, NE, SH, TI und ZH) zeigt: Die Mehrheit der befragten Kantone sieht einen leichten Fall gemäss Art. 19a Ziff. 2 BetmG vor und verzichtet in solchen Fällen auf eine Busse. Die Kriterien für das Vorliegen eines leichten Falles variieren jedoch stark. In einigen Kantonen ist die Menge Cannabis ausschlaggebend, die ein Konsument oder eine Konsumentin auf sich trägt, in anderen das Alter oder die Konsumhäufigkeit. Auch die empfohlene Höhe für Bussen in schwereren Fällen weist grosse Unterschiede auf. Ausschlaggebend sind je nach befragtem Kanton die Menge des mitgeführten Cannabis oder die Frage, ob es sich bei den Beschuldigten um Erst- oder Wiederholungstäter handelt. Die empfohlene Bussenhöhe reicht von 50 Franken bei einer Menge zwischen 10 und 100 Gramm im Kanton Freiburg bis zu 3000 Franken bei einer Menge von über 100 Gramm im Kanton Tessin.17 Sanktionen für alleinigen Cannabiskonsum sind selten.18 In der Praxis erweist sich die Sanktionierung des Cannabiskonsums mit strafrechtlichen Mitteln somit seit längerem als unbefriedigend, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Effizienz staatlichen Handelns wie auch unter jenem der Rechtsgleichheit. Ausgehend von der Tatsache, dass eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums politisch nicht mehrheitsfähig ist, schlägt die Kommission vor, die bestehenden Vollzugsprobleme mit der Einführung eines Ordnungsbussensystems zu entschärfen.

2.2

Die beantragte Neuregelung

2.2.1

Grundzüge

Cannabiskonsum bei Erwachsenen soll künftig im Ordnungsbussenverfahren sanktioniert werden. Beobachtet die Polizei einen Fall von Cannabiskonsum, kann sie diesen in einem vereinfachten Verfahren vor Ort mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken ahnden, vorausgesetzt, der Cannabiskonsument oder die Cannabiskonsumentin trägt nicht mehr als eine geringfügige Menge Cannabis bei sich, die bei 10 Gramm festgesetzt werden soll. Analog zum Ordnungsbussenverfahren im Strassenverkehr stellt die Polizei einen Bussenzettel aus. Akzeptiert und bezahlt der Cannabiskonsument oder die Cannabiskonsumentin die Ordnungsbusse, erübrigen 16

17 18

Kantonale Verzeigungen 2008 wegen Cannabiskonsums pro 1000 Einwohner, Berechnungen von Sucht Info Schweiz auf der Basis von: Bundesamt für Polizei (fedpol), Schweizerische Betäubungsmittelstatistik 2008, sowie Bundesamt für Statistik (BFS), Statistik des jährlichen Bevölkerungsstandes (ESPOP) 2008. (www.sucht-info.ch) Abklärungen des Bundesamtes für Justiz zuhanden der Subkommission «Drogenpolitik» vom 9. August. 2010.

Eidgenössische Kommission für Drogenfragen, «Cannabis 2008. Update zum Cannabisbericht 1999», Oktober 2008, S. 23.

8201

sich eine Verzeigung und ein allfälliges Strafverfahren. Trägt der Täter oder die Täterin mehr als 10 Gramm Cannabis auf sich, muss in jedem Fall Anzeige erstattet werden.

Die Polizeiorgane hätten damit ein einfaches Mittel zur Hand, um das vom Gesetzgeber vorgesehene Konsumverbot konsequent zu ahnden. Polizei und Justiz würden entlastet und Kosten eingespart. Zudem führt die Erhebung einer schweizweit einheitlichen Busse zu einer Vereinheitlichung der bis anhin sehr heterogenen Sanktionspraxis.

Die Kommission widmete sich ausführlich der Frage, ob die Einführung eines Ordnungsbussensystems zu negativen Begleiterscheinungen in den Bereichen Gesundheitsschutz und Verkehrssicherheit führen würde.

2.2.2

Gesundheitsschutz

Die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen (EKDF) schätzt das gesundheitliche Gefährdungspotential von Cannabis wie folgt ein: Eine Gefahr für die körperliche Gesundheit besteht hauptsächlich hinsichtlich eines erhöhten Krebsrisikos. Zu den psychischen Folgen des Cannabiskonsums gehören Stimmungsverschiebungen und Beeinträchtigungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit. Das Risiko für psychische Störungen ist zwar erhöht, ob dieses ursächlich auf den Cannabiskonsum oder auf eine erhöhte Prädisposition unter Cannabiskonsumierenden zurückzuführen ist, steht indes nicht fest. Zu einer Abhängigkeit kommt es bei etwa 3­6 Prozent der regelmässig Cannabiskonsumierenden.19 Mit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 20. März 200820 hat der Gesetzgeber die Massnahmen zum Schutz von Drogenkonsumierenden, die sich oder andere erheblich gefährden, verstärkt. Demnach können Amtsstellen und Fachleute im Erziehungs-, Sozial-, Gesundheits-, Justiz- und Polizeiwesen, Fälle von drohenden oder vorliegenden suchtbedingten Störungen den zuständigen Behandlungs- und Sozialhilfestellen melden (Art. 3c BetmG). Diese Meldebefugnis wird von der Einführung eines Ordnungsbussensystems nicht tangiert. Sie bleibt bestehen, unabhängig davon, ob der Konsum von Cannabis allenfalls mit einer Ordnungsbusse oder mit strafrechtlichen Mitteln geahndet wird.

2.2.3

Verkehrssicherheit

Problematisch ist der Cannabiskonsum im Strassenverkehr. Eine Auswertung von knapp 4800 im Jahre 2005 durchgeführten Blut- und Urinproben bei Fahrzeuglenkern, die verdächtigt wurden, unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss zu stehen, ergab folgende Resultate: In 89 Prozent der Fälle wurden eine oder mehrere psychoaktive Substanzen nachgewiesen. An erster Stelle lag Cannabis (48 Prozent) vor Alkohol (35 Prozent), Kokain (25 Prozent), Opiaten (10 Prozent) und Amphetaminen (7 Prozent). Die Tatsache, dass Cannabis meist in beachtlichen Konzentrationen auch im Blut nachgewiesen wurde, lässt den Schluss zu, dass die Fahrzeuglenker die 19 20

Eidgenössische Kommission für Drogenfragen, «Cannabis 2008. Update zum Cannabisbericht 1999», Oktober 2008, S. 14­16.

AS 2009 2623; in Kraft getreten am 1. Juli 2011.

8202

Droge kurz oder sogar während der Fahrt konsumiert hatten. 35 Prozent der Tests veranlasste die Polizei nach Verkehrsunfällen.21 Die Einführung einer Ordnungsbusse für Cannabiskonsum ändert nichts an der vom Bundesrat verordneten Nulltoleranz für Betäubungsmittel im Strassenverkehr22.

Unverändert gültig bleibt zudem die im Betäubungsmittelgesetz vorgeschriebene Meldepflicht bei Anzeichen auf einen verkehrsgefährdenden Betäubungsmittelkonsum (Art. 3h BetmG). Wenn eine Amtsstelle befürchtet, dass eine betäubungsmittelabhängige Person den Verkehr gefährdet, wird sie auch künftig dazu verpflichtet sein, die zuständige Verkehrsbehörde zu benachrichtigen. Diese hat dann die Möglichkeit, den Betroffenen den Führerausweis zu entziehen. Die beantragte Neuregelung hätte somit keine nachteiligen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit.

2.2.4

Vergleichbare Verfahren in den Kantonen

2.2.4.1

St. Gallen

Ein der beantragten Neuregelung vergleichbares Sanktionsregime für Betäubungsmittelkonsum wurde 2003 im Kanton St. Gallen eingeführt. Die kantonale Strafprozessverordnung regelt die sogenannte Bussenerhebung auf der Stelle. Diese beschränkt sich allerdings nicht auf den Cannabiskonsum. Die kantonale Strafprozessverordnung sieht für über 80 Delikte eine Bussenerhebung auf der Stelle vor.

Konsum und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum in einfachen Fällen (bis zu 5 Gramm Cannabis) werden mit 50 Franken gebüsst.

Gemäss Auskunft des Ersten Staatsanwalts des Kantons St. Gallen, Thomas Hansjakob,23 hat der Kanton mit Ordnungsbussen bei Cannabiskonsum gute Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich war man bei der Einführung der neuen Regelung davon ausgegangen, dass die Bekämpfung des Cannabishandels hohe Priorität geniessen sollte, da beim Handel die höchsten Prohibitionsgewinne erzielt würden. Die Verfolgung des Cannabiskonsums mit strafrechtlichen Mittel mache dagegen nur zum Teil Sinn und in vielen Fällen stünden Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis.

Jugendliche, die das 15. Altersjahr noch nicht vollendet haben, können gemäss Art. 24 Abs. 1 Jugendstrafgesetz (JStG)24 nicht mit einer Busse bestraft werden. Sie werden deshalb auch im Kanton St. Gallen weiterhin bei der Jugendstaatsanwaltschaft angezeigt. Gegebenenfalls ergriffene Sanktionsmassnahmen dienen laut dem Ersten Staatsanwalt aber nicht in erster Linie der Bestrafung der Jugendlichen sondern deren Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums. Bei Erwachsenen erweise sich der Gesundheitsschutz demgegenüber als weniger dringend, weil problematischer Konsum hier eher selten sei. Geschützt werden müsse allenfalls die öffentliche Ordnung, indem verhindert werde, dass es zu Szenenbildungen komme. In diesem Bereich sei es zielführend, wenn mit geringem Aufwand

21 22

23 24

Maria-Cristina Senna et al., «First nationwide study on driving under the influence of drugs in Switzerland», Forensic Science International Vol. 198, Nr. 1 (2010), S. 11­16.

Siehe dazu die Erläuterungen im Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates zur Parlamentarischen Initiative 05.470, BBl 2006 8573, Ziffer 3.1.9.3.2.

Eine Anhörung fand im Rahmen der Subkommissionssitzung vom 3. Mai 2010 statt.

SR 311.1

8203

unerwünschtes Verhalten rasch bestraft werden könne. Dies sei mit einem Ordnungsbussenverfahren gewährleistet.

Keinen direkten Einfluss hatte die Einführung von Ordnungsbussen laut dem Ersten Staatsanwalt auf den Konsumtourismus. Der Hanftourismus aus dem benachbarten Ausland sei in erster Linie darauf zurückzuführen, dass Cannabis in der Schweiz besser verfügbar sei als etwa in Österreich. Um den Konsumtourismus zu unterbinden, müsse deshalb in erster Linie der Handel konsequent bekämpft werden.

2.2.4.2

Neuenburg

Neben dem Kanton St. Gallen kennt auch der Kanton Neuenburg ein vereinfachtes Bussenverfahren. Im Falle von Drogenkonsum kann die Polizei die Busse gestützt auf Artikel 16 der Neuenburger Strafprozessordnung25 direkt erheben, sofern sie den Beschuldigten auf frischer Tat ertappt und dieser mit der Bezahlung der Busse einverstanden ist. Die Polizei stellt eine Quittung aus und informiert die Staatsanwaltschaft über den Fall. Diese kann im Einzelfall das vereinfachte Bussenverfahren innerhalb von drei Tagen aufheben und ein ordentliches Verfahren einleiten. Auch der Gebüsste kann mit einer schriftlichen Mitteilung an die Staatsanwaltschaft innerhalb von drei Tagen noch ein ordentliches Verfahren erwirken.

Die vom Generalstaatsanwalt festgelegte Bussenliste26 sieht für den Konsum oder den Besitz von weichen Drogen eine Busse von 150 Franken vor. Für harte Drogen beträgt die Busse 300 Franken. Das vereinfachte Verfahren kommt nur bei erwachsenen Drogenkonsumenten und -konsumentinnen zur Anwendung.

Der Kanton Neuenburg führte das vereinfachte Bussenverfahren bei Drogenkonsum nach Auskunft des Neuenburger Generalstaatsanwalts erst ein, nachdem die Möglichkeit kurzer Freiheitsstrafen mit der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (StGB)27 am 1. Januar 2007 grundsätzlich dahinfiel. Da Drogenkonsum seither nur noch mit Bussen sanktioniert werden könne, sei es einfacher, deren Höhe von vornherein festzulegen. Dies vereinfache die Verfahren für die Beschuldigten, die Polizei und die Staatsanwaltschaft.

Ein Konsumtourismus in den Kanton Neuenburg sei nicht zu beobachten. Einerseits sei Cannabis an anderen Orten leichter erhältlich. Anderseits werde der Drogenkonsum im Kanton Neuenburg weiterhin nicht toleriert.

25 26 27

Recueil systématique de la législation neuchâteloise (RSN) 322.0 Recueil systématique de la législation neuchâteloise (RSN) 322.0 SR 311.0. Im Rahmen der Revision des Strafgesetzbuches wurde Art. 19a Ziff. 1 des Betäubungsmittelgesetzes entsprechend angepasst (SR 812.121).

8204

2.2.5

Minderheitsanträge

Im Rahmen der Beratungen in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates wurden verschiedene Minderheitsanträge eingereicht: 1. Nichteintreten Eine Kommissionsminderheit (Baettig, Borer, Bortoluzzi, Glur, Parmelin, Scherer, Stahl) lehnt die Vorlage grundsätzlich ab und beantragt Nichteintreten. Die Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesundheit und im Strassenverkehr dürften nicht unterschätzt werden. Eine konsequente Strafverfolgung sei deshalb wichtig. Durch die Einführung eines Ordnungsbussenverfahrens verliere das gesetzliche Konsumverbot seine abschreckende Wirkung. Zudem sende die Politik ein widersprüchliches Signal aus, wenn einerseits der Tabakkonsum vermehrt eingeschränkt, andererseits aber mit der Einführung von Ordnungsbussen für Cannabiskonsum eine ungleich gefährlichere Substanz zunehmend banalisiert werde.

2. Definition der geringfügigen Menge Cannabis (Art. 19b Abs. 2) (neu) Eine Kommissionsminderheit (Baettig, Borer, Bortoluzzi, Estermann, Frehner, Meyer Thérèse, Parmelin, Stahl) möchte die geringfügige Menge Cannabis, deren Besitz gemäss geltendem Recht straffrei ist (Art. 19b BetmG), nicht im Betäubungsmittelgesetz definieren. Es sei für die Polizei aus praktischen Gründen nahezu unmöglich, vor Ort festzustellen, wie viel Cannabis eine Person auf sich trage.

Zudem könne nur unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Täters beurteilt werden, ob eine bestimmte Menge Cannabis als geringfügig einzustufen sei. Ob es sich im Einzelfall um eine strafbare Menge handle oder nicht, müsse daher im ordentlichen Verfahren geklärt werden.

3. Ermessensspielraum in leichten Fällen (Art. 28b Abs. 1bis) (neu) Gemäss geltendem Recht kann in einem ordentlichen Verfahren von einer Bestrafung des Betäubungsmittelkonsums abgesehen werden, wenn nur ein leichter Fall vorliegt (Art. 19a Ziff. 2 BetmG). Viele Kantone machen von diesem Recht Gebrauch und verzichten in solchen Fällen auf eine Busse (siehe Ziff. 2.1). Damit die Einführung eines Ordnungsbussenverfahrens für die Bestrafung des Cannabiskonsums nicht zu einer Verschärfung der heutigen Sanktionspraxis oder zu einer Ungleichbehandlung des Cannabiskonsums gegenüber dem Konsum anderer Betäubungsmittel führt, möchte eine Kommissionsminderheit (Cassis, Fehr Jacqueline, Gilli, Goll, Prelicz-Huber, Rielle, Rossini,
Schenker Silvia, Weber-Gobet) der Polizei ein Ermessen einräumen, wie es dem Sachrichter im ordentlichen Verfahren eingeräumt wurde. Gemäss Artikel 19a Ziffer 2 BetmG kann schon heute in leichten Fällen von Betäubungsmittelkonsum das Verfahren eingestellt oder von einer Strafe abgesehen werden. Analog dazu soll die Polizei in leichten Fällen von Cannabiskonsum auf eine Ordnungsbusse verzichten können.

4. Bussenhöhe (Art. 28b Abs. 2) (neu) Eine Kommissionsminderheit (Baettig, Borer, Bortoluzzi, Estermann, Parmelin, Stahl) möchte die Ordnungsbusse bei 200 Franken festsetzen. Ein Verstoss gegen das Verbot des Cannabiskonsums müsse spürbare finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen. Andernfalls verfehle die angedrohte Strafe ihre abschreckende Wirkung.

Zudem würde mit einer zu tief angesetzten Busse ein falsches Signal ausgesandt und der Cannabiskonsum verharmlost.

8205

5. Berücksichtigung von Vorleben und persönlichen Verhältnissen (Art. 28b Abs. 3) (neu) Eine Kommissionsminderheit (Baettig, Borer, Bortoluzzi, Estermann, Parmelin, Stahl) beantragt, dass das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters oder der Täterin im Ordnungsbussenverfahren, wie im ordentlichen Verfahren auch, berücksichtigt werden. Andernfalls könnten Fälle von problematischem Konsumverhalten nicht identifiziert und mit geeigneten Massnahmen darauf reagiert werden.

6. Altersgrenze (Art. 28c Bst. c) Eine Kommissionsminderheit (Schenker Silvia, Cassis, Fehr Jacqueline, Gilli, Goll, Heim, Rielle, Robbiani, Rossini, Weber-Gobet, Weibel) beantragt, das Ordnungsbussenverfahren auch bei Jugendlichen ab 16 Jahren anzuwenden. Stellt die Polizei bei Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren einen Cannabiskonsum fest, hätte sie zwei Sanktionsmöglichkeiten: In unproblematischen Fällen könnte sie die Ordnungsbusse verhängen. Alternativ könnte sie bei der Jugendstaatsanwaltschaft Anzeige erstatten. Diese könne im Bedarfsfalle erzieherische oder therapeutische Massnahmen im Sinne von Artikel 10 JStG anordnen. Wichtig für den Jugendschutz sei zudem die Meldebefugnis nach Artikel 3c BetmG. Jugendliche, die in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Jugendverein durch problematischen Cannabiskonsum auffielen, könnten den zuständigen Behandlungs- und Sozialhilfestellen gemeldet werden. Von dieser Meldebefugnis könne auch die Polizei Gebrauch machen.

7. Ordnungsbusse, Busse und ordentliches Verfahren (Art. 28k und 28l) Eine Kommissionsminderheit (Schenker Silvia, Fehr Jacqueline, Goll, Heim, Rielle, Rossini, Weber-Gobet) beantragt, eine Ordnungsbusse solle auch im ordentlichen Strafverfahren erhoben werden können. Indem dem Staatsanwalt oder dem Gericht ermöglicht werde, eine Ordnungsbusse von 100 Franken nach Artikel 28b Absatz 2 nBetmG zu verhängen, werde gewährleistet, dass eine Person nicht dafür bestraft werde, dass sie ihr Recht auf ein ordentliches Verfahren gemäss Artikel 6 der Europäischen Konvention vom 4. November 195028 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wahrnehme. Werde sie schuldig gesprochen, müsse sie zudem die Kosten des Verfahrens tragen (vgl. Art. 353 Abs. 1 Bst. g StPO). Die gleiche Kommissionsminderheit lehnt Art. 28l nBetmG ab, wonach die Busse im ordentlichen
Verfahren, in dem die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Täters oder der Täterin berücksichtigt werden, mindestens so hoch sein müsse wie die Ordnungsbusse.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Gliederung

Die vorgeschlagene Ordnungsbusse ist eine Busse für Übertretungen nach Artikel 19a Ziffer 1 BetmG, die in einem besonderen Verfahren erhoben wird (dem Ordnungsbussenverfahren). Die Bestimmungen, die das Ordnungsbussenverfahren regeln, werden in das 4. Kapitel: Strafbestimmungen eingeordnet. Da die Strafver28

SR 0.101

8206

folgung Sache der Kantone ist (Art. 28 Absatz 1 BetmG) wird das Ordnungsbussenverfahren im Anschluss an Artikel 28a BetmG in den Artikeln 28b bis 28l nBetmG geregelt.

3.2

Erläuterungen

3.2.1

Geringfügige Menge (Art. 19b Abs. 2) (neu)

Artikel 19b BetmG regelt, dass wer eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, nicht strafbar ist.

Das Ordnungsbussenverfahren bei Cannabiskonsum kann nur zur Anwendung kommen, wenn keine anderen Widerhandlungen gegen das BetmG oder andere Gesetze vorliegen (vgl. Art. 28c Bst. a nBetmG). Aus den Artikeln 49 und 344 StGB geht nämlich hervor, dass im Strafrecht der Urheber mehrerer Straftaten in einem einheitlichen Verfahren beurteilt werden soll, damit die Frage der Strafzumessung und der Anordnung einer Massnahme einheitlich entschieden und ein einheitlicher, folgerichtiger Vollzug möglich wird. Der Umstand, dass ein Straftäter auch Betäubungsmittel konsumiert, kann sich auf die Strafzumessung auswirken und für die Anordnung einer therapeutischen Massnahme ausschlaggebend sein. Eine isolierte Bestrafung des Cannabiskonsums mit einer Ordnungsbusse ist daher in solchen Fällen nicht sinnvoll.

Soll das Ordnungsbussenverfahren bei Cannabiskonsum angewendet werden, müsste die straflose geringfügige Menge des Betäubungsmittels des Wirkungstyps Cannabis (Cannabis) festgelegt werden. Auf diese Weise kann die Polizei vor Ort entscheiden, ob der beobachtete Cannabiskonsum mit einer Ordnungsbusse belegt werden darf oder ob ein ordentliches Verfahren eingeleitet werden muss. Mit der Festlegung der geringfügigen Menge von Cannabis in Artikel 19b Absatz 2 nBetmG wird eine gesamtschweizerisch einheitliche Regelung getroffen.

Sollte die Täterschaft mehr als eine geringfügige Menge auf sich tragen, ist dieser Besitz im Sinne von Artikel 19 BetmG (Verdacht auf Betäubungsmittelhandel) strafbar und die Verhängung einer Ordnungsbusse nach Artikel 28c Buchstabe a nBetmG ausgeschlossen.

Bei den vorgeschlagenen straflosen 10 Gramm Cannabis handelt es sich um einen Durchschnitt der Mengen, die in bestimmten Kantonen29 und international30 als «geringfügige Menge» gelten.

Bei der Festlegung der geringfügigen Menge wird nicht zwischen den verschiedenen cannabishaltigen Produkten unterschieden, welche auf dem Markt («Gasse») erhältlich und für den Konsum bestimmt sind. Erfahrungsmesswerte der Rechtsmedizin der letzten zehn Jahre von solchen Konfiskaten zeigen, dass der mittlere THCGehalt von Marihuana, Haschisch, Hanftaler, etc. heute in etwa gleich gross ist und sich zwischen 9 % THC und 11 % THC bewegt, Spitzenwerte von über 30 % THC

29 30

Als geringe Menge gelten z.B.: 5 g (Zürich Stadt); 10 g (Kanton FR); 30 g (Basel-Stadt).

Vgl. dazu BGE 124 IV 184.

2,5 g täglich (Portugal); 5 g (Italien und Niederlanden); 5­15 g (Deutschland); 1 g THC, d.h ca. 50 g 10 % THC-haltiges Cannabis (Tschechien); 20 g THC (Österreich).

8207

sind zwar möglich, kommen aber nur noch sehr selten vor. Das Gleiche gilt auch für Haschisch-Öl, das sehr selten auf der «Gasse» erhältlich ist.

3.2.2

Grundsatz (Art. 28b) (neu)

Mit Artikel 28b nBetmG wird der Cannabiskonsum dem Ordnungsbussenverfahren unterstellt und damit als Spezialfall des Betäubungsmittelkonsums behandelt. Beim Ordnungsbussenverfahren handelt es sich um ein einfaches Verfahren, in dem im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren die Strafe durch ein Polizeiorgan ohne Berücksichtigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse des Täters (vgl.

Art. 47 und 106 Abs. 3 StGB) verhängt wird. Dies ist möglich, weil nach Artikel 333 Absatz 1 StGB die allgemeinen Bestimmungen des StGB nur insoweit gelten, als das Spezialgesetz nicht selbst Bestimmungen aufstellt.31 Zudem werden in Artikel 1 Absatz 2 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO)32, die am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, Verfahrensvorschriften anderer Bundesgesetze ausdrücklich vorbehalten. Darunter fallen unter anderem auch Ordnungsbussenverfahren (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1085, Ziff. 2.1.1) Mit Artikel 28b ff. nBetmG werden entsprechende spezialrechtliche Bestimmungen erlassen und damit die Möglichkeit geschaffen, den Cannabiskonsum mit einer Ordnungsbusse zu belegen.

Absatz 1 verweist auf Artikel 19a Ziffer 1 BetmG, worin der Konsum von Betäubungsmitteln allgemein geregelt wird. Die Busse in Artikel 19a Ziffer 1 BetmG wird im Gegensatz zur Busse in Artikel 28b ff. nBetmG im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens unter Berücksichtigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse der Täterin oder des Täters verhängt. Während nach Artikel 19a Ziffer 2 BetmG der Betäubungsmittelkonsum in leichten Fällen straflos sein kann, wird der Cannabiskonsum nach Einführen des Ordnungsbussenverfahren von der Möglichkeit der Straflosigkeit ausgenommen, falls der Cannabiskonsum nicht in einem ordentlichen Verfahren beurteilt wird (Art. 28e Absatz 5, 28j Abs. 2 nBetmG).

Absatz 2: Die Ordnungsbusse ist ein fester Betrag und lässt keine Abstufung der Deliktschwere des Cannabiskonsums zu. Der festgesetzte Betrag von 100 Franken ahndet alleine den Cannabiskonsum (inklusive Verwaltungskosten) ungeachtet der konsumierten Menge oder des THC-Gehalts im Erzeugnis. Die festgelegte Höhe der Ordnungsbusse orientiert sich an den heute für den Cannabiskonsum verhängten Strafen, deren Höhen jedoch je nach Kanton beträchtliche Unterschiede aufweisen.
Absatz 3: Da wie erwähnt das Ordnungsbussenverfahren weder das Vorleben noch die persönlichen Verhältnisse der Täterinnen oder der Täter berücksichtigt, fällt insbesondere auch die Möglichkeit dahin, dass mildernde Umstände (Art. 19a Ziff. 2 BetmG) geltend gemacht werden können, die das Strafmass positiv beeinflussen.

Absatz 4: In einem ersten Schritt stellt die Polizei das cannabishaltige Produkt mit der Erhebung der Busse sicher. Wird die Busse mit der Bezahlung rechtskräftig, gilt das cannabishaltige Produkt formell als eingezogen (vgl. Art. 28e Abs. 4 nBetmG).

31 32

Vgl. auch Art. 26 BetmG SR 312.0

8208

3.2.3

Ausnahmen (Art. 28c) (neu)

Diese Bestimmung regelt die Ausnahmen vom Ordnungsbussenverfahren abschliessend.

Buchstabe a: Das Ordnungsbussenverfahren kann nur angewendet werden, wenn Cannabiskonsum das einzige zu ahndende Delikt ist. Sollte die Täterin oder der Täter neben dem Cannabiskonsum weitere strafbare Handlungen gegen das BetmG oder ein anderes Gesetz begangen haben, müssen alle Straftaten (inklusiv der Cannabiskonsum), nicht zuletzt aus Gründen der Verfahrensökonomie, in einem ordentlichen Verfahren beurteilt werden. Sollte die Täterin oder der Täter beispielsweise neben dem Cannabiskonsum auch unbefugt eine Menge Cannabis besitzen, die nicht als geringfügige Menge im Sinne von Artikel 19b Absatz 2 nBetmG gilt, kann keine Ordnungsbusse verhängt werden. In diesem Fall muss ein ordentliches Verfahren eingeleitet werden, in dem sowohl der Cannabiskonsum nach Artikel 19a Ziffer 1 als auch der unbefugte Besitz von Betäubungsmitteln nach Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe d BetmG zu beurteilen sein werden.

Buchstabe b: Voraussetzung für das Ordnungsbussenverfahren ist, dass die Widerhandlung von einer Polizistin oder einem Polizisten eines zuständigen Polizeiorgans selber beobachtet wird. Es kann z.B. kein Ordnungsbussenverfahren auf Anzeige eines Dritten hin eingeleitet werden. Eine gleichlautende Bestimmung findet sich auch in Artikel 2 Buchstabe b Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 197033 (OBG).

Buchstabe c: Jugendliche, die beim Cannabiskonsum erwischt werden, dürfen nicht nach dem Ordnungsbussenverfahren bestraft werden. Auf diese Weise wird der Jugendschutz sowohl über Artikel 3c BetmG als auch über Artikel 19a BetmG in Anwendung des Jugendstrafgesetzes gewährleistet.

3.2.4

Zuständige Polizeiorgane (Art. 28d ) (neu)

Absatz 1: Das Polizeiwesen liegt in der Kompetenz der Kantone, weshalb ihnen auch die Bezeichnung des zuständigen Polizeiorgans obliegt.

Absatz 2 bezweckt, Zweifel und Diskussionen über die Beamteneigenschaft der handelnden Polizistin bzw. des handelnden Polizisten zum Vornherein auszuschliessen. Deshalb können nur Beamte in Dienstuniform eine Ordnungsbusse auferlegen.

3.2.5

Bezahlung (Art. 28e) (neu)

Absatz 1: Für die Ordnungsbusse wird eine Bedenkfrist von 30 Tagen eingeräumt, wenn sie nicht sofort beglichen werden kann. Damit wird die Tatsache berücksichtigt, dass viele Personen ihre Rechnungen nur einmal im Monat begleichen.

Absatz 2: Mit der Bezahlung der Ordnungsbusse erhält die Täterin oder der Täter eine Quittung über den Bussenbetrag. Die Quittung kann der Täterschaft als Beweismittel im Verfahren nach Artikel 28k nBetmG dienen.

33

SR 741.03

8209

Absatz 3: Bezahlt die Täterin oder der Täter die Busse nicht sofort, so erhält sie oder er ein Bedenkfristformular. Die Polizistin oder der Polizist behält eine Kopie des Formulars zurück. Bezahlt die Täterin oder der Täter die Busse innert Frist, so wird die Kopie vernichtet.

Absatz 4: In der Regel kann die Polizei nur eine Sicherstellung vornehmen. Nach Artikel 70 StGB muss eine Einziehung durch ein Gericht erfolgen. Demgegenüber soll das cannabishaltige Erzeugnis («Joint», das cannabishaltige Gebäck, Cannabisgetränk etc.) im vorgeschlagenen Ordnungsbussenverfahren zusammen mit der Verhängung der Busse eingezogen werden können. Dies steht deshalb im Einklang mit dem Erfordernis gemäss Artikel 70 StGB, weil die betroffene Person eine gerichtliche Beurteilung erwirken kann, indem sie entweder das Ordnungsbussenverfahren überhaupt ablehnt (Art. 28j), oder die Busse innerhalb der Bedenkfrist nicht bezahlt (Art. 28e Abs. 5). Die Einziehung erfolgt erst, wenn die Busse rechtskräftig ist (vgl. Art. 28e Abs. 4). Eingezogen werden kann nur das Cannabisprodukt, das im Moment der Feststellung des Cannabiskonsums tatsächlich konsumiert wird.

Das Cannabis im unbefugten Besitz nach Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe d BetmG kann nicht im Rahmen des Ordnungsbussenverfahrens eingezogen werden, sondern muss von der Polizei sichergestellt und in einem ordentlichen Strafverfahren vom Gericht eingezogen werden. Nicht eingezogen werden kann eine geringfügige Menge von Cannabis, die die Täterin oder der Täter nur bei sich trägt, da der Besitz von geringfügigen Mengen eines Betäubungsmittels nach Artikel 19b Absatz 1 nBetmG straflos ist. Solange nicht klar ist, ob die Täterin oder der Täter die Ordnungsbusse bezahlt, wird das cannabishaltige Produkt sichergestellt. Damit bei der Bezahlung der Busse nicht die Einziehung des sichergestellten Produkts durch ein Gericht verfügt werden muss, wurde in Artikel 28e Absatz 4 nBetmG die Regelung eingefügt: «Das sichergestellte cannabishaltige Produkt gilt mit der Bezahlung der Busse als eingezogen».

Absatz 5: Sollte die Ordnungsbusse nicht spätestens nach 30 Tagen nach der Verhängung (Abs. 1) bezahlt werden, muss die Polizei ein ordentliches Verfahren einleiten. Damit sind alle «ordentlichen Verfahren» der StPO gemeint. Die Einziehung des sichergestellten cannabishaltigen Produkts würde in diesem Falle durch das Gericht verfügt.

3.2.6

Formulare (Art. 28f ) (neu)

Die Bezeichnung der Formularinhalte trägt zum einheitlichen Vollzug der Ordnungsbusse in allen Kantonen bei. Eine entsprechende Regelung findet sich im Ordnungsbussenrecht (Art. 12 OBG, Art. 3 Ordnungsbussenverordnung34) und in Artikel 353 der StPO.

3.2.7

Kosten (Art. 28g) (neu)

Der Aufwand für die Kontrollorgane ist im Bussenbetrag enthalten, weshalb keine zusätzlichen Kosten erhoben werden dürfen.

34

SR 741.031

8210

3.2.8

Rechtskraft (Art. 28h) (neu)

Mit der Bezahlung der Busse wird diese rechtskräftig. Somit steht gegen die Ordnungsbusse kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung, es sei denn die Täterin oder der Täter beruft sich nach Artikel 28k nBetmG auf Artikel 28c nBetmG.

3.2.9

Täterin oder Täter ohne Wohnsitz in der Schweiz (Art. 28i ) (neu)

Hat die Täterschaft ohne Wohnsitz in der Schweiz die Busse sofort bezahlt, ist das Verfahren abgeschlossen. Falls sie die Ordnungsbusse nicht sofort bezahlt, muss sie den entsprechenden Betrag hinterlegen oder, wenn sie nicht über genügend Barschaft verfügt, eine andere angemessene Sicherheit leisten.

Wird die Sicherheit nicht geleistet oder der Betrag nicht hinterlegt, so findet das ordentliche Verfahren statt. Die fehlbare Person kann gestützt auf Artikel 217 Absatz 3 Buchstabe b StPO vorläufig festgenommen werden. Die Festnahme dauert längstens 24 Stunden. Dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend, geht der Festnahme eine Sicherstellung der Busse durch Beschlagnahme im Sinne von Artikel 263 Absatz 1 Buchstabe b StPO jedoch vor (Basler Kommentar StPO, Gianfranco Albertini/Thomas Armbruster, Art. 217 StPO N 9). Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei Gegenstände oder Vermögenswerte (wie z.B. Mobiltelefone, Uhren oder Schmuck) zuhanden der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte vorläufig sicherstellen (Art. 263 Abs. 3 StPO). Artikel 268 Absatz 1 Buchstabe b StPO lässt ein solches Vorgehen ebenfalls zu, indem vom Vermögen der beschuldigten Person so viel beschlagnahmt werden kann, als voraussichtlich zur Deckung der Busse nötig ist.

3.2.10

Ablehnung (Art. 28j ) (neu)

Absatz 1: Nach Artikel 6 EMRK hat jede Person das Recht, dass die erhobene strafrechtliche Anklage von einem Gericht beurteilt wird. Da das Ordnungsbussenverfahren die Strafe ohne richterliche Beurteilung verhängt, braucht es dazu das Einverständnis der oder des Beschuldigten.

Absatz 2: Sollte der oder die Beschuldigte das Ordnungsbussenverfahren für die Bestrafung des Cannabiskonsums ablehnen, wird der Cannabiskonsum in einem ordentlichen Verfahren vor Gericht nach Artikel 19a BetmG und StPO beurteilt.

3.2.11

Ordnungsbussen und ordentliches Verfahren (Art. 28k ) (neu)

In den Fällen, bei denen eine Ordnungsbusse erhoben wurde, obwohl diese nach Artikel 28c nBetmG nicht zulässig war, kann die Täterin oder der Täter, die oder der im Rahmen einer anderen Widerhandlung gegen das BetmG oder gegen andere Gesetze vor Gericht steht, das Gericht darauf hinweisen, dass die Ordnungsbusse gegebenenfalls aufzuheben ist. Weil das Ordnungsbussenverfahren keine Registrie-

8211

rung vorsieht, ist das Gericht auf einen entsprechenden Hinweis der Täterin oder des Täters angewiesen.

3.2.12

Busse im ordentlichen Verfahren (Art. 28l ) (neu)

Jede Person hat Anspruch darauf, dass eine sie betreffende Strafsache in einem ordentlichen Verfahren respektive durch ein ordentliches Gericht beurteilt wird (Art. 6 EMRK). Eine Person, die gebüsst werden soll, kann daher durch Verstreichenlassen der Bedenkfrist (Art. 28e Abs. 5 nBtmG) oder durch eine ausdrückliche Ablehnung des Ordnungsbussenverfahrens (Art. 28j Abs. 2 nBtmG) die Beurteilung im ordentlichen Verfahren verlangen. Im ordentlichen Verfahren wird die Busse für den Cannabiskonsum jedoch nach Artikel 19a BetmG in Verbindung mit Artikel 106 StGB in Abhängigkeit der persönlichen und finanziellen Verhältnisse der zu büssenden Person zugemessen. Damit die Busse im ordentlichen Verfahren nicht geringer ausfällt als beim Ordnungsbussenverfahren, wird geregelt, dass die Busse mindestens 100 Franken betragen muss. Selbstverständlich wird diese Person, sofern sie schuldiggesprochen wird, zusätzlich die Kosten des Verfahrens tragen müssen (vgl. für das in diesen Fällen durchgeführte Strafbefehlsverfahren Art. 353 Abs. 1 Bst. g StPO).

4

Auswirkungen auf Bund und Kantone

4.1

Finanzielle Auswirkungen

Auf den Bund haben die vorgeschlagenen Änderungen des nBetmG keine finanziellen Auswirkungen.

Für die Kantone dürften sich durch die Möglichkeit, den Cannabiskonsum mit einer Ordnungsbusse zu belegen, zusätzliche Busseneinnahmen und Einsparungen bei den ordentlichen Verfahren ergeben. In welchem Umfang sich die Busseneinnahmen und die Ersparnisse bewegen werden, kann nicht vorausgesagt werden.

4.2

Personelle Auswirkungen

Auf Bundesebene hat die Einführung des Ordnungsbussenverfahrens keine personellen Auswirkungen. Der personelle Mehraufwand auf Kantonsebene scheint gering.

8212

5

Verhältnis zum Internationalen Recht

5.1

Vereinbarkeit mit den UNO-Übereinkommen

Zwar schreibt weder das Einheitsübereinkommen von 196135 noch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen (Übereinkommen von 1988)36 die Strafbarkeit des Betäubungsmittelkonsums vor. Da aber umstritten ist, ob die Straffreiheit von Vorbereitungshandlungen (Besitz, Anbau, Erwerb) für den Eigenkonsum mit den einschlägigen internationalen Übereinkommen im Drogenbereich kompatibel ist, hat die Schweiz im Jahre 2005 bei der Ratifikation des Übereinkommens von 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen einen entsprechenden Vorbehalt angebracht.37 Infolgedessen liegt es im Ermessen des Gesetzgebers darüber zu entscheiden, in welcher Form die Strafbarkeit des Konsums verwirklicht und geahndet wird. Auch mit der Einführung eines Ordnungsbussenverfahrens bleibt der Konsum von Cannabis eine Straftat.

5.2

Vereinbarkeit mit europäischem Recht

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung steht mit dem Schengen-Assoziierungsabkommen38 und den damit übernommenen Verpflichtungen im Einklang.

Des Weiteren besteht Kompatibilität mit den Anforderungen der EMRK, insbesondere mit Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren). Insbesondere steht es jeder Person frei, das ordentliche Verfahren einzuleiten.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage des vorliegenden Entwurfs findet sich in Artikel 118 Absatz 2 und Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung39.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Entwurf enthält keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.

6.3

Erlassform

Beim vorliegenden Entwurf handelt es sich um die Revision eines Bundesgesetzes.

35 36 37 38 39

SR 0.812.121 SR 0.812.121.03 Art. 1 Abs. 1 des BB vom 16. März 2005 (AS 2006 529) BBl 2004 5965, 6101 ff., 6167 ff.

SR 101

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