Entscheid zur Planung der hochspezialisierten Medizin (HSM) im Bereich der Behandlung von schweren Traumata und Polytrauma, inklusive Schädel-Hirn-Traumata bei Kindern

Das Beschlussorgan der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (HSM Beschlussorgan) hat nach Einsichtnahme in den Antrag des Fachorgans an seiner Sitzung vom 25. November 2011, gestützt auf Artikel 39 Absatz 2bis des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) sowie Artikel 3 Absätze 3, 4 und 5 der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM), beschlossen: 1. Zuteilung Die Behandlung von schwerverletzten Kindern; dies umfasst: ­

Kinder mit einer schweren, lebensbedrohlichen Einzel- oder Mehrfachverletzung (Mono- oder Polytrauma) mit einer Verletzungsschwere nach Injury Severity Score (ISS) von mindestens 16 Punkten;

­

Kinder mit einem Schädel-Hirn-Trauma;

wird folgenden acht Zentren zugewiesen: ­

Hôpitaux universitaires de Genève (HUG)

­

Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)

­

Inselspital Bern

­

Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)

­

Kinderspital Zürich

­

Ostschweizer Kinderspital (in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital St. Gallen)

­

Luzerner Kantonsspital (LUKS)

­

Kantonsspital Graubünden (KSGR) mit Einschränkungen gemäss Anlage II

Schwere Amputationsverletzungen von Gliedmassen der oberen und unteren Extremität (inkl. Skalpierungsverletzungen) fallen nicht unter diesen Leistungsbereich.

Diese Verletzungen sollen von speziell erfahrenen Replantationsteams behandelt werden.

2. Ausnahmeregelungen a.

Lebensrettende Massnahmen sollen wie bei anderen Notfällen und wie bisher im nächst gelegenen geeigneten Spital erfolgen.

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2011-2910

b.

Patientenbezogene Gründe zum Verzicht auf eine Überweisung: Von der Zuweisung in die vorgenannten acht Zentren kann abgewichen werden, wenn das behandelnde Ärzte- und Pflegeteam wegen infauster Prognose, schweren akuten oder chronischen Erkrankungen, anderen wichtigen Argumenten oder Transportunfähigkeit auf eine Überweisung verzichten will.

c.

Kapazitätsengpässe: Im Falle eines Kapazitätsengpasses bspw. in Folge eines Grossschadensereignisses oder einer Katastrophe veranlassen die oben genannten Zentren die erforderlichen Zuweisungen gemäss kantonalen Grosskatastrophenplänen.

3. Auflagen Die vorgenannten Zentren haben bei der Erbringung der Leistung folgende Auflagen zu erfüllen: a.

Sie gewährleisten die 24-stündige Aufnahme und Versorgung von schwerverletzten Kindern und stellen die Einhaltung der in der Anlage I beschriebenen notwendigen Voraussetzungen für die Behandlung dieser Kinder sicher.

b.

Sie führen ein Register. Das Register muss eine einheitliche, standardisierte und strukturierte Erfassung der Prozess- und Ergebnisqualität garantieren.

Inhalt und Form des Registers müssen als Grundlage für eine schweizweit koordinierte klinische Versorgung und Forschungsaktivität genutzt werden können. Die Leistungserbringer werden beauftragt, dem HSM Fachorgan einen Vorschlag für das im Rahmen des Registers zu erhebende minimale Datenset sowie zu Form und Ausgestaltung des Registers zu unterbreiten.

c.

Sie sind in ein anerkanntes Programm für Weiter- und Fortbildung in den Bereichen Kinderchirurgie eingebunden und nehmen an klinischen Forschungsprojekten teil.

d.

Die Leistungserbringer erstatten den IVHSM Organen zuhanden des Projektsekretariats jährlich Bericht über ihre Tätigkeiten. Die Berichterstattung umfasst die Offenlegung ihrer Fallzahlen, ihrer Tätigkeiten in Forschung und Lehre sowie der im Rahmen des Registers erhobenen Daten zur Prozessund Ergebnisqualität. Für die Berichterstattung zuhanden der IVHSM Organe soll ein Koordinationszentrum bestimmt werden.

4. Fristen Der vorliegende Zuteilungsentscheid ist befristet bis zum 31. Dezember 2015.

5. Begründung Das HSM Beschlussorgan hat an seiner Sitzung vom 25. November 2011 die Behandlung von schweren Traumata und Polytrauma, inklusive Schädel-HirnTraumata bei Kindern dem Bereich der hochspezialisierten Medizin zugewiesen.

Nach Prüfung der im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Argumente kommt das HSM Beschlussorgan zu folgenden Einschätzungen: a.

Die Behandlung von schwerverletzten Kindern erfolgt in der Regel unter grossem Zeitdruck und stellt höchste Anforderungen an das behandelnde Team. Die Prognose hängt entscheidend von der möglichst zeitnahen, adäquaten und prioritätengerechten Versorgung der Verletzungen ab. Der 9277

schnelle Transport in eine Klinik mit entsprechender struktureller und personeller Ausstattung, ist daher von grosser Wichtigkeit. Für das HSM Fachorgan steht die optimale Versorgung der Patienten im Vordergrund, und es erachtet daher eine Konzentration der Behandlung von schwerverletzten Kindern in erster Linie aus Gründen der Qualitätssicherung für angezeigt.

b.

Die Behandlung von schwerverletzten Kindern erfordert die flächendekkende Vorhaltung von Versorgungseinrichtungen, welche die äusserst personal- und ressourcen-intensive Versorgung gewährleisten müssen und dies während 24 Stunden und an 365 Tagen im Jahr. Dazu gehören neben der unfallchirurgischen Kompetenz, Fachkompetenzen aus den Bereichen Kinderintensivmedizin, Kinderanästhesie, Kinderchirurgie und Neurochirurgie, Neuropädiatrie, (Kinder-)Radiologie und pädiatrische Rehabilitationsmedizin und weiteren unterstützenden Disziplinen.

Die notwendigen Voraussetzungen für die Versorgung von schwerverletzten Kindern erfüllen nur wenige Kinderkliniken in der Schweiz. Das HSM Fachorgan empfiehlt in einem ersten Schritt die Konzentration der Behandlung von schwerverletzten Kindern auf diejenigen Leistungserbringer, welche die notwendigen Voraussetzungen zum jetzigen Zeitpunkt am besten erfüllen. Die Konzentration auf wenige Zentren ist nebst der unter Punkt (a) erwähnten Qualitätssicherung, auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit angezeigt.

c.

Die Behandlung von schwerverletzten Kindern soll auf diejenigen Zentren konzentriert werden, welche einerseits über die für die adäquate klinische Behandlung notwendige Infrastruktur ­ insbesondere über eine Kinderchirurgie und eine pädiatrische Intensivstation ­ sowie andererseits über das erforderliche hochqualifizierte Personal ­ insbesondere im Bereich der Notfallstation und Chirurgie ­ und die notwendigen unterstützenden Disziplinen verfügen und die geforderte zeitliche Verfügbarkeit (24 h) gewährleisten können. Die Auswahl der vorgeschlagenen 8 Kinderkliniken erfolgte zum einen auf Basis der in der Anlage I aufgelisteten Anforderungen an Personal und Infrastruktur. Diese zentralen Voraussetzungen werden von vielen Kantons-/Regional- oder Privatspitälern zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt.

Diese Zentren verfügen demnach nicht über das für die Leistungserbringung zwingend notwendige Personal und die erforderliche Infrastruktur. Zum andern erfolgte die Auswahl der Zentren unter Berücksichtigung einer flächendeckenden Notfallversorgung mit entsprechend kurzen Transportwegen.

d.

Im Falle des Kantonsspitals Graubünden (KSGR) erfolgt eine Zuteilung ab einer generellen Alterslimite von 5 Jahren sowie unter Ausschluss gewisser Eingriffe gemäss Anlage II. Die folgenden Gründe waren für diese eingeschränkte Leistungszuteilung massgebend: Das KSGR weist eine grosse Expertise in der Behandlung von Sportunfällen bei Kindern und Jugendlichen auf. Bei der Behandlung von etwas älteren Kindern als auch von Jugendlichen kann die Absenz eines stationären Teams von Kinderchirurgen durch die nötige Routine und Erfahrung von Erwachsenen-Chirurgen mit Erfahrung in der Behandlung des Schwerverletzten ausgeglichen werden.

Diese Voraussetzung ist am KSGR erfüllt.

e.

Im Übrigen wird auf den Bericht «Hochspezialisierte Pädiatrie und Kinderchirurgie vom 7. Dezember 2011» verwiesen.

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6. Rechtsmittelbelehrung Gegen den Beschluss kann innerhalb von 30 Tagen ab Datum der Publikation im Bundesblatt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden (Art. 90a Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung in Verbindung mit Art. 12 der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin vom 14 März 2008).

7. Mitteilung und Publikation Der Beschluss einschliesslich dessen Begründung gemäss Ziffer 5 wird im Bundesblatt publiziert mit dem Hinweis, dass der Bericht «Hochspezialisierte Pädiatrie und Kinderchirurgie» vom 7. Dezember 2011 von den Betroffenen beim HSM-Projektsekretariat der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Speichergasse 6, Postfach 684, 3000 Bern 7, bezogen werden kann.

Der Beschluss wird schriftlich per eingeschriebenen Brief den Universitätsspitälern Zürich, Basel, Bern, Lausanne, Genf, dem Kinderspital Zürich, dem Universitätskinderspital beider Basel, dem Ostschweizer Kinderspital, den Kantonsspitälern St.Gallen, Luzern und Chur, dem Regionalspital Lugano, den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Bern, Waadt, Genf, St. Gallen, Luzern, Tessin, Chur und santésuisse eröffnet. Die weiteren Universitäts-, Zentrums- und Kinderspitäler werden schriftlich informiert. Die weiteren in die Anhörung einbezogenen Partner werden per E-Mail über diesen Beschluss in Kenntnis gesetzt.

20. Dezember 2011

Für das HSM Beschlussorgan Die Präsidentin: Heidi Hanselmann

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Anlage I zum Entscheid zur Planung der hochspezialisierten Medizin (HSM) im Bereich der Behandlung von schweren Traumata und Polytrauma, inklusive Schädel-Hirn-Traumata bei Kindern1

Die vorgenannten Zentren haben bei der Versorgung von schwerverletzten Kindern folgende Anforderungen zur erfüllen: ­

Vorhandensein einer anerkannten Notfall- und Intensivpflegestation für Kinder und Jugendliche im Hause.

­

Notwendige Einrichtungen für die Diagnostik (CT, MRI, etc.) im Hause.

­

24-stündige Verfügbarkeit von Spezialisten der Fachrichtungen Kinderintensivmedizin, Kinderanästhesie, Kinderchirurgie und Neurochirurgie, Neuropädiatrie, (Kinder-) Radiologie und pädiatrische Rehabilitationsmedizin.

­

Die Betreuung eines Kindes und seiner Eltern in der vertrauten Sprache muss wenn möglich sichergestellt werden.

Als Verlegungsdiagnosen an ein Traumazentrum werden die folgenden Kriterien empfohlen: ­

Polytrauma mit Injury Severity Score (ISS) von mindestens 16 Punkten

­

Schädelhirntrauma mit Glasgow Coma Scale (GCS) von 9 Punkten oder weniger

­

Wirbelsäulenfraktur

­

Rückenmarksverletzung

­

Dislozierte, operationsbedürftige Beckenfraktur

­

Sakrumfraktur mit neurologischen Symptomen

Für die prähospitale Triage auf dem Unfallort ist die Anwendung des PTS (Paediatric Trauma Score) zu empfehlen, bei welchem im Gegensatz zum ISS Atmung, Kreislauf, Alter und Gewicht des Patienten im Vordergrund stehen.

1

Siehe Hochspezialisierte Pädiatrie und Kinderchirurgie - Bericht für die Sitzung des HSM Beschlussorgans vom 25.11.2011. Bericht des HSM Fachorgans vom 7.11.2011.

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Anlage II zum Entscheid zur Planung der hochspezialisierten Medizin (HSM) im Bereich der Behandlung von schweren Traumata und Polytrauma, inklusive Schädel-Hirn-Traumata bei Kindern

Einschränkungen für die Versorgung schwerverletzter und mehrfachverletzter Kinder am Kantonsspital Graubünden (KSGR) Für das KSGR wird aufgrund des Fehlens einer 24 h/24 verfügbaren Kinderchirurgie eine eingeschränkte Leistungszuteilung mittels genereller Alterslimite und zusätzlicher Negativliste empfohlen.

Alterslimite Kinder unter 5 Jahren mit schwerem Trauma/Polytrauma (ISS>16) sollen generell entweder direkt oder nach initialer Notfallversorgung und Stabilisierung in eines der übrigen 7 anerkannten Zentren verlegt werden.

Die folgenden Verletzungsmuster bei Kindern sollen (nach adäquater Notfallversorgung und Stabilisierung) an eines der 7 vollausgerüsteten Zentren überwiesen werden und folglich nicht am KSGR behandelt werden: Negativliste (Behandlungen, welche nicht am KSGR durchgeführt werden sollen): ­

Versorgung komplexer Beckenfrakturen am wachsenden Skelett

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Versorgung komplexer Gallengangsverletzungen

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Spezifische augenchirurgische Eingriffe nach Trauma

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Versorgung komplexer Traumen von ZNS inklusive Rückenmark

Begründung Das KSGR weist eine grosse Expertise in der Behandlung von Sportunfällen bei Kindern und Jugendlichen auf. Bei der Behandlung von Kindern im Schulalter als auch von Jugendlichen kann die Absenz eines stationären Teams von Kinderchirurgen durch die nötige Routine und Erfahrung von Erwachsenen-Chirurgen mit Erfahrung in der Behandlung des Schwerverletzten ausgeglichen werden. Mit den oben aufgeführten Ausnahmen und der vorgeschlagenen Alterslimite ist aufgrund der am KSGR vorhanden Expertise eine eingeschränkte Leistungszuteilung gerechtfertigt.

Eine qualitativ hochstehende Versorgung ist somit gewährleistet.

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