zu 08.314 Standesinitiative Bauen ausserhalb der Bauzone Bericht vom 22. August 2011 der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 7. September 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 22. August 2011 der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) betreffend die Standesinitiative St. Gallen, Bauen ausserhalb der Bauzone, nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

7. September 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Der Kanton St. Gallen hat am 26. Mai 2008 die Standesinitiative «Bauen ausserhalb der Bauzone» eingereicht. Über die Änderung der Artikel 24 ff. des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 19791 (RPG) soll mit dieser Initiative sichergestellt werden, «dass die zur Gewährleistung von zeitgemässen Wohnverhältnissen sinnvollen baulichen Massnahmen», einschliesslich Wiederaufbau, möglich sind, und dies unabhängig vom Stichtag 1. Juli 1972, an dem die konsequente Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet im Bundesrecht in Kraft trat.

Am 11. Januar 2011 gab die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK-S) der Standesinitiative Folge, und am 24. Januar 2011 folgte ihr die UREK-N. Auf Antrag der beiden Kommissionen haben die Büros des Nationalrates und des Ständerates die UREK-N mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs betraut. Am 4. April 2011 hat die UREK-N den Vorentwurf einstimmig angenommen und beschlossen, eine zwei Monate dauernde Vernehmlassung durchzuführen.

In der Vernehmlassung ist das Grundanliegen des Vorentwurfs, künftig nicht mehr zu differenzieren, ob eine Baute 1972 landwirtschaftlich oder nichtlandwirtschaftlich bewohnt war, praktisch einhellig auf Zustimmung gestossen. Kritisch aufgenommen wurde hingegen insbesondere der Umstand, dass dieses Thema in einer isolierten Teilrevision aus dem Gesamtzusammenhang herausgebrochen werden soll, obwohl intensive Arbeiten für eine gesamthafte Überprüfung der Bestimmungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen im Gang sind. Auch wurde auf mögliche negative Nebenwirkungen der neuen Regelung hingewiesen und es wurden verschiedene Verbesserungen vorgeschlagen.

Die UREK-N hat den Vernehmlassungsbericht zum Vorentwurf über die Umsetzung der Standesinitiative St. Gallen an ihrer Sitzung vom 22. August 2011 zur Kenntnis genommen und den Erlassentwurf samt Bericht verabschiedet (BBl 2011 7083).

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Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat unterstützt das Grundanliegen der Standesinitiative St. Gallen und der von der UREK-N beantragten Teilrevision: Die Abklärung, ob eine Wohnbaute 1972 landwirtschaftlich oder nichtlandwirtschaftlich genutzt wurde, soll möglichst rasch überflüssig werden.

Der Bundesrat teilt aber gewisse in der Vernehmlassung geäusserte Bedenken.

Gemäss Aussprache im Bundesrat vom 21. Oktober 2009 sollen in der so genannten zweiten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes unter anderem bessere und einfachere Regelungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen erarbeitet werden. Eine breit abgestützte Arbeitsgruppe überprüft derzeit die einschlägigen Bestimmungen.

Sie kommt trotz der Komplexität der Aufgabe erfreulich gut voran. Würden nun parallel dazu einzelne Teilbereiche revidiert, die dann weitgehend unverändert in 1

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diese Überprüfung einfliessen müssten, wäre die Aufgabe kaum mehr zu bewältigen.

Dadurch würde der Gestaltungsspielraum im Rahmen der umfassenden Überprüfung der Bestimmungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen empfindlich eingeengt.

Sollten Sie an einer vorgezogenen Teilrevision zur Umsetzung der Standesinitiative St. Gallen festhalten, so müsste im Interesse einer in sich stimmigen Regelung zum Bauen ausserhalb der Bauzonen die hier vorgeschlagene Gesetzesänderung bei Bedarf auf die anderen, dereinst zu revidierenden Bestimmungen abgestimmt werden können. Es würde die Tätigkeit der Arbeitsgruppe wesentlich erleichtern, wenn sich dies klar aus den parlamentarischen Beratungen ergeben würde. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass eine derart vorgezogene Teilrevision während einer gewissen Zeit zu Rechtsunsicherheiten führen kann.

Der Bundesrat teilt namentlich die Bedenken, dass die vorgeschlagene Neuregelung unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte, die nicht zu unterschätzen sind. Zu beachten sind insbesondere folgende Punkte: ­

Wenn praktizierende Landwirtschaftsbetriebe künftig für landwirtschaftliche Wohnbauten Bewilligungen nach Artikel 24c RPG erhalten, darf dies nicht dazu führen, dass der bewilligte Wohnraum vom Landwirtschaftsbetrieb abgetrennt wird und dadurch Zwänge für zusätzlichen landwirtschaftlichen Wohnraum geschaffen werden. Voraussetzung für eine Bewilligung muss deshalb bleiben, dass das Gebäudevolumen für die Landwirtschaft nicht mehr benötigt wird. Auch darf eine Bewilligung nicht dazu führen, dass zu landwirtschaftlichen Zwecken eine Ersatzbaute erstellt werden muss.

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Regionaltypische Landschaften sollten mittel- und längerfristig ihren Charakter bewahren. Um dies sicherzustellen, braucht es nicht nur geeignete Regelungen, sondern auch Anstrengungen im Vollzug. Instrumente, die bewirken können, dass der typische Charakter einer Landschaft erhalten bleibt, sollten gleichzeitig einer unerwünschten weiteren Zersiedelung entgegenwirken können.

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Es muss sichergestellt werden, dass auch Temporärwohnbauten, so weit sie unter Artikel 24c fallen, ihren Charakter als solche nicht verlieren. Nicht jede Hütte, in der ab und zu ein Landwirt übernachtet hat, soll abgerissen und als Ferienhaus wieder aufgebaut werden dürfen.

­

Aus den zusätzlichen Nutzungsmöglichkeiten sollten für die Gemeinwesen keine zusätzlichen Kosten entstehen.

Im Nachgang zur Vernehmlassung hat die UREK-N mehrheitlich beantragt, in Artikel 24c Absatz 3 ausdrücklich auch Wohnbauten mit angebauten Ökonomieteilen zu erwähnen. Es ist fraglos sinnvoll, die bestehende Bausubstanz möglichst optimal weiterzunutzen. Aus diesem Grund ist es bereits nach geltendem Recht zulässig, die Wohnnutzung in den angebauten Ökonomieteil hinein zu erweitern; nach dem klaren Gesetzeswortlaut darf es sich dabei jedoch nur um eine massvolle Erweiterung handeln (Art. 24c Abs. 2 RPG in Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 der Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000, RPV; SR 700.1). Dies muss auch künftig gelten. Insofern handelt es sich bei der von der UREK-N mehrheitlich beantragten Ergänzung ­ zumindest was die Erweiterungsmöglichkeiten bestehender Bauten mit zusammengebautem Wohn- und Ökonomieteil betrifft ­ bloss um eine Bestätigung dessen, was bereits nach geltendem Recht möglich ist. Wesentlich problematischer wäre es jedoch, wenn diese Bestimmung so verstanden würde, dass 7099

derartige Bauten künftig auch abgebrochen, in den genau gleichen Dimensionen wieder aufgebaut und dann zu landwirtschaftsfremdem Wohnen genutzt werden dürften. Zunächst ist klar ­ die UREK-N weist in ihrem Bericht richtigerweise darauf hin (Ziff. 3.1, S. 7) ­, dass es unter dem Aspekt der Identitätswahrung nicht nötig ist, Bauten mit zusammengebautem Wohn- und Ökonomieteil in genau diesen Dimensionen wieder aufzubauen, wenn für den bisherigen Ökonomieteil künftig keine Verwendung mehr besteht. Im Falle eines Abbruchs und Wiederaufbaus dürfen solche Bauten in Auslegung und Anwendung der neu beantragten Bestimmung höchstens in jenen Dimensionen und regionaltypischen Ausprägungen wieder aufgebaut werden, die der (massvollen) Erweiterung entspricht, die auch realisiert werden könnte, wenn die Baute nicht abgebrochen und wiederaufgebaut, sondern als bestehende Baute weitergenutzt würde.

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Schlussfolgerungen

Der Bundesrat ist sich bewusst, dass es nicht einfach ist, den geäusserten Anliegen durch eine vorgezogene, isolierte Revision von Artikel 24c RPG umfassend gerecht zu werden, weshalb er dieses Vorgehen tendenziell als problematisch erachtet. Er ist der Meinung, dass der von der UREK-N beschlossene Entwurf eine vertretbare Lösung darstellt, um das als dringlich angesehenes Anliegen der Standesinitiative umzusetzen. Es sollte jedoch zuhanden der Materialien klar zum Ausdruck gebracht werden, dass der Bundesrat beim Erlass der Ausführungsvorschriften und die kantonalen Behörden im Vollzug den dargestellten Bedenken konsequent Rechnung zu tragen haben. Im Rahmen der gesamthaften Überprüfung der Bestimmungen zum Bauen ausserhalb der Bauzonen werden diese Bedenken noch besser zu berücksichtigen sein.

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