Entscheid zur Planung der hochspezialisierten Medizin (HSM) im Bereich der hochspezialisierten Behandlung von Hirnschlägen

Das Beschlussorgan der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (HSM Beschlussorgan), hat nach Einsichtnahme in den Antrag des HSM Fachorgans an seiner Sitzung vom 20. Mai 2011, gestützt auf Artikel 39 Absatz 2bis des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) sowie Artikel 3 Absätze 3­5 der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM), beschlossen: 1. Zuteilung Die hochspezialisierte Behandlung bei Hirnschlägen umfasst die: ­

Akute endovaskuläre Behandlung des akuten Hirnschlages mit intraarterieller oder in loco applizierter Thrombolyse und mechanischer Thrombusauflösung,

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Dekompressive Kraniektomie in der akuten oder subakuten Krankheitsphase,

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Revaskularisierende Behandlungen (Wiedereröffnung der Gefässe) an extraund intrakraniellen, obstruktiv erkrankten Hirnarterien (als subakuter oder Wahleingriff).

Diese komplexen Behandlungen der Hirnschläge werden den folgenden acht Zentren zugewiesen.

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Hôpitaux universitaires de Genève

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Centre Hospitalier Universitaire Vaudois

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Inselspital Bern

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Universitätsspital Basel

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Universitätsspital Zürich

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Kantonsspital St.Gallen

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Kantonsspital Aarau

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Ente Ospedaliero Cantonale, Standort Ospedale Regionale di Lugano

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2011-1232

2. Auflagen Die vorgenannten Zentren haben bei der Erbringung der Leistung folgende Auflagen zu erfüllen: a.

Sie gewährleisten die Einhaltung der in der Anlage definierten fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen.

b.

Sie gewährleisten die einem Comprehensive Stroke Center (CSC) oder einem Primary Stroke Center (PSC) entsprechende hochspezialisierte Versorgung von Patienten mit Hirnschlag.

c.

Jedes der vorgenannten Zentren erreicht die je nach Status vorgeschlagenen Mindestfallzahlen pro spezialisierter Leistungen, das heisst, dass i. in einem PSC jährlich mindestens 30 Thrombolysen ausgeführt und 150 ischämische Hirnschlag-Patienten ii. in einem CSC jährlich mindestens 50 Thrombolysen und 250 ischämische Hirnschlag-Patienten aufgenommen und behandelt werden.

d.

Jedes der vorgenannten Zentren führt ein Register.

e.

Das Register muss eine einheitliche, standardisierte und strukturierte Erfassung der Prozess- und Ergebnisqualität garantieren. Inhalt und Form des Registers müssen als Grundlage für eine Schweiz weit koordinierte klinische Versorgung und Forschungsaktivität genutzt werden können. Die Leistungserbringer unterbreiten dem HSM Fachorgan einen Vorschlag für das im Rahmen des Registers zu erhebende minimale Datenset sowie zur Form und Ausgestaltung des Registers.

f.

Jedes der vorgenannten Zentren erstattet den IVHSM Organen zuhanden des Projektsekretariats jährlich Bericht über seine Tätigkeiten. Die Berichterstattung umfasst die Offenlegung der Fallzahlen, der Tätigkeiten in Forschung und Lehre sowie der im Rahmen des Registers erhobenen Daten zur Prozessund Ergebnisqualität. Für die Berichterstattung zuhanden der IVHSM Organe bestimmen die vorgenannten Zentren ein Koordinationszentrum.

g.

Die Akkreditierung durch die Schweizerische Hirnschlaggesellschaft als CSC oder PSC ist innerhalb von zwei Jahren zu beantragen.

h.

Mit der Zuteilung der hochspezialisierten Leistungen an die vorgenannten acht Zentren sind die folgenden Auflagen bezüglich regionaler Vernetzung verbunden: i. Sie organisieren sich in acht Regionen mit den entsprechend ausgerüsteten (Privat)-Spitälern im Sinne von CSCs und PSCs in Netzwerken.

ii. Diese Netzwerke berücksichtigen auch die Zusammenarbeit mit Rehabilitationskliniken.

iii. Sie definieren, organisieren und gewährleisten in ihrem Netzwerk jeweils die stufengerechte Versorgung der Hirnschlagpatienten.

iv. Sie definieren gemeinsam die Netzwerk-Eigenschaften und -Pflichten für Patientenversorgung.

v. Zur Zusammenarbeit in der klinischen Forschung und Lehre in der Neurochirurgie organisieren sich die dafür verantwortlichen Zentren in drei Regionen.

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3. Fristen Der vorliegende Zuteilungsentscheid ist befristet bis zum 31. Dezember 2014.

4. Begründung Das Beschlussorgan hat an seiner Sitzung vom 27. Januar 2011 die hochspezialisierte Behandlung von Hirnschlägen der hochspezialisierten Medizin zugewiesen.

Nach Prüfung der im Rahmen der Anhörung im November 2010 vorgebrachten Argumente kommt das HSM Beschlussorgan zu folgenden Einschätzungen: a.

Die vorgeschlagene Zuteilung stellt sicher, dass alle Patienten mit Hirnschlag, welche eine Behandlung im Rahmen der hochspezialisierten Medizin benötigen, einer anerkannten Stroke Unit (PSC oder CSC) zugewiesen werden. Innerhalb des Netzwerkes gelten die entsprechend definierten Zuweisungsregeln.

b.

Die Carotis-Chirurgie ist vom Zuteilungsbeschluss gemäss Ziffer 1 nicht betroffen.

c.

Die Organisation in Form von acht Regionen mit CSCs und PSCs gewährleistet die flächendeckende Versorgung mit den kleinstmöglichen Distanzen und nimmt Rücksicht auf die bereits etablierten Entwicklungen. Die verlangte Organisation in Netzwerken klärt die Abläufe und trägt zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Aufnahme von Patienten zur indizierten Behandlung bei. Sie entspricht im Wesentlichen dem Status quo der durch die verpflichtenden Unterstützungsaufgaben der CSC gegenüber den PSC und kleineren Spitälern z.B. Telemedizin und gemeinsam ausgearbeitete Zuweisungsregeln und Behandlungs-Pfade verbessert wird.

d.

Die Koordination der Weiter- und Fortbildung und der verfügbaren Weiterbildungsplätze muss unter den verschiedenen Netzwerken aufgebaut und gesichert werden.

e.

Die Anzahl der verfügbaren Fachpersonen ist begrenzt. Die Anforderungen an ein CSC oder PSC werden wegen dieser absehbaren Personalengpässe nicht für alle gleich gut zu erfüllen sein. Daher wird eine Netzwerkorganisation mit definierter Zu- und Rückweisungspraxis empfohlen.

f.

Die Zusammenarbeit bei Forschungsaufgaben wird sowohl netzwerkintern als auch netzwerkübergreifend wahrgenommen.

g.

Im Übrigen wird auf den Bericht «Hochspezialisierte Behandlung von Hirnschlägen in der Schweiz» vom 3. Mai 2011 verwiesen.

5. Rechtsmittelbelehrung Gegen den Beschluss kann innerhalb von 30 Tagen ab Datum der Publikation im Bundesblatt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden (Art. 90a Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung in Verbindung mit Art. 12 der Interkantonalen Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin vom 14. März 2008).

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6. Mitteilung und Publikation Der Beschluss einschliesslich dessen Begründung gemäss Ziffer 4 wird im Bundesblatt mit dem Hinweis, dass der Bericht «Hochspezialisierte Behandlung von Hirnschlägen in der Schweiz» vom 3. Mai 2011 von den Betroffenen beim HSMProjektsekretariat der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Speichergasse 6, Postfach 684, 3000 Bern 7, bezogen werden kann, publiziert.

Der Beschluss ist schriftlich per eingeschriebenen Brief mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung den Universitätsspitälern Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf, den Kantonspitälern Aarau und St. Gallen sowie dem Regionalspital Lugano und den Kantonen Zürich, Basel, Bern, Waadt, Genf, Aargau, St. Gallen und Tessin zu eröffnen. Die weiteren in die Anhörung einbezogenen Partner werden schriftlich informiert.

21. Juni 2011

Für das HSM Beschlussorgan Die Präsidentin: Heidi Hanselmann

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Anlage zum Entscheid zur Planung der hochspezialisierten Medizin (HSM) im Bereich der hochspezialisierten Behandlung von Hirnschlägen

Anforderungen an ein behandelndes Zentrum1 1. Charakterisierung Ausgehend von den publizierten Empfehlungen der European Stroke Initiative (EUSI), der deutschen Kommission Stroke Units und akute Schlaganfallbehandlung und der amerikanischen Brain Attack Coalition wird unter Berücksichtigung der Schweizerischen Verhältnisse der Begriff «Stroke Unit» wie folgt definiert: Die Stroke Unit ist ein definierter Behandlungsort oder ­Pfad mit Behandlungsalgorithmus, die eine umfassende Diagnose, Überwachung und Therapie bei akuten Hirnschlagpatienten durch geschultes Personal in nützlicher Zeit gewährleisten und Massnahmen zur Früh-Rehabilitation ermöglichen.

Diese Definition beinhaltet somit strukturelle Voraussetzungen («Ort» oder «Pfad», [inklusive Transport und Rehabilitationsphase]), fordert eine Prozessorientierung («Behandlungsalgorithmus») und formuliert das Ziel («Rehabilitation»).

Jede Stroke Unit muss dem nachfolgend beschriebenen, allgemeinen Anforderungsprofil entsprechen: ­

Erfüllen von fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen, um das neurologische Ausfallsyndrom und die zugrundeliegende Ätiologie zu erfassen, sowie die Gefahr von Komplikationen abzuschätzen, diese zu verhindern und zu behandeln.

­

Durchführen und Applikation von Therapien (medizinisch, interventionell, chirurgisch), auch unter Zeitnot während 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr.

­

Multidisziplinäre, neurologische Frührehabilitation

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Rehabilitationsplanung und Weiterbehandlung

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Spezifische Sekundärprophylaxe

­

Fort- und Weiterbildung

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Qualitätssicherung

2. Strukturqualität Im Spital sind folgende strukturellen Ressourcen notwendig:

1

1.

Verfügbarkeit einer interdisziplinären Notfallstation rund um die Uhr.

2.

Hospitalisation in einer definierten und für Hirnschlagpatienten geeigneten Behandlungseinheit jederzeit möglich (24 h/d).

Bericht «Hochspezialisierte Behandlung von Hirnschlägen in der Schweiz» vom 3. Mai 2011, S. 17­18.

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3.

Betten des Typs Intermediate Care (Überwachung 24 h/d, Pflege am Bett) inklusive kontinuierliches Monitoring: EKG, Blutdruck, Puls, Temperatur, Pulsoxymetrie (Verfügbarkeit 24 h/d), neurologische Überwachung (Verfügbarkeit 24 h/d).

4.

Intensive Care Unit (Intensivstation inkl. Beatmungsmöglichkeit) im Hause.

5.

Neuroradiologie (CT/MRI/DSA) im Hause, wobei CT (Verfügbarkeit 24 h/d; innerhalb 25 min nach Anmeldung), MRI (Verfügbarkeit 24 h/d), Angiographie (DSA) mit der Möglichkeit der endovaskulären Rekanalisierung (elektive Verfügbarkeit).

6.

Neurosonologie mit extrakranieller Dopplersonographie am Patientenbett (Verfügbarkeit 24 h/d), transkranieller Doppler mit Verfügbarkeit 24 h/d, Duplexsonographie mindestens innerhalb 24 h verfügbar.

7.

Labor (Gerinnung, Blutbild, Chemie) (Verfügbarkeit 24 h/d) (Resultate innerhalb max. 45 min nach Blutentnahme verfügbar).

8.

Echokardiographie: transthorakal (TTE) innerhalb 24 h verfügbar, transösophageal (TEE) elektiv.

3. Personelle Anforderungen Die Behandlung in einer Stroke Unit setzt die Verfügbarkeit von entsprechenden Fachpersonen voraus: Neurologen mit Kenntnissen der Hirnschlagbeurteilung und -behandlung mit Verfügbarkeit 24 h/Tag, Notfallmediziner mit 24 h Anwesenheit im Haus, Verfügbarkeit von Intensivmedizinern, Neurochirurgen und Neuroradiologen mit 24 h Anwesenheit oder Bereitschaft. Zudem ist die Betreuung durch geschultes Pflegepersonal zu gewährleisten, und ein multimodales Rehabilitationsteam (inklusive Rehabilitationsspezialarzt, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Neuropsychologen) soll die funktionellen Ausfälle der Patienten von Beginn an therapieren.

4. Prozessqualität Vorgeschlagene Qualitätsindikatoren finden sich im Anhang des Berichts und basieren auf deutschen und amerikanischen Erfahrungen. Solche Indikatoren sollten für alle akuten (< 7 Tage zwischen Symptombeginn und Spitalaufnahme) ischämischen und hämorrhagischen Hirnschlag-Patienten erhoben werden. Ein HirnschlagRegister ist integraler Bestandteil eines Qualitätsprozesses, indem es ein nationales und internationales Benchmarking zwischen den Zentren erlaubt.

5. Minimale Fallzahl Bezüglich der jährlichen Patientenzahlen pro Stroke Unit gibt es bereits Vorgaben, nicht jedoch für spezialisierte Leistungen. Es wird bestimmt, dass in einem PSC jährlich mindestens 30 Thrombolysen ausgeführt und 150 ischämische HirnschlagPatienten aufgenommen und behandelt werden. In einem CSC werden mindestens 50 Thrombolysen und 250 ischämische Aufnahmen verlangt.

6. Weiterbildung und Forschung Generell müssen eine aktive Beteiligung an der Weiter- und Fortbildung, ausreichende Teamgrösse für die Gewährleistung der Nachwuchsförderung, formale Zusammenarbeit in der Weiter- und Fortbildung mit anderen Zentren und Teilnahme 4697

an klinischen Forschungsaktivitäten angeboten und dokumentiert sein, besonders für die CSC.

7. Akkreditierung Die Akkreditierung von Stroke Centers soll von einer Anerkennungskommission unter Leitung der entsprechenden Fachgesellschaft (Neurologie) durchgeführt werden. Diese soll aus Hirnschlag-Experten sowie Fachpersonen der Neurowissenschaften und des Instituts für Weiter- und Fortbildung (SIWF) bestehen. Sie erteilt reguläre und bedingte Zertifikate für eine beschränkte Dauer gemäss vordefinierter Kriterien.

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