10.054 Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 30. Mai 2010

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Zusammenfassung Ausgangslage Im letzten Quartal 2008 und im ersten Quartal 2009 musste die schweizerische Eidgenossenschaft im Zusammenhang mit der UBS zwei Massnahmen ergreifen: 1.

Mitte Oktober 2008 hatte die UBS aufgrund der Finanzkrise und ihren Auswirkungen ein schwerwiegendes Liquiditätsproblem, das die Existenz der Bank bedrohte. Nachdem eine weitere private Rekapitalisierung der Bank nicht erzielt werden konnte, ergriffen der Bundesrat und die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 15. Oktober 2008 konzertiert Massnahmen, um diese Gefahr und massive Schäden für die schweizerische Volkswirtschaft und die Finanzstabilität abzuwenden. Der Bundesrat beschloss an diesem Tag, die UBS mit der Übernahme einer Pflichtwandelanleihe von sechs Milliarden Franken zu stützen. Die SNB verpflichtete sich zum gleichen Zeitpunkt gegenüber der UBS, «toxische» Papiere im Wert von maximal 60 Milliarden Dollar zu übernehmen.1

2.

Nach monatelangen Verhandlungen der UBS mit den amerikanischen Behörden sah sich die Eidg. Finanzmarktaufsicht (FINMA) am 18. Februar 2009 gezwungen, die Übergabe von Kundendaten durch die UBS zu verfügen.2 Die Bemühungen verschiedener Schweizer Behörden (insbesondere Eidg.

Bankenkommission [EBK]/FINMA und Eidg. Finanzdepartement [EFD]), den ständig zunehmenden Druck der amerikanischen Behörden im Rahmen der beiden Amtshilfeverfahren an die US-Börsenaufsicht SEC und die amerikanische Steuerbehörde IRS ab März 2008 abzubauen, hatte die Datenübergabe nicht verhindern können.

Eine solch massive finanzielle Intervention der Eidgenossenschaft zugunsten eines privaten Unternehmens, wie sie die erste Massnahme darstellt, ist für die Schweiz von ausserordentlicher Tragweite. Auch die zweite Massnahme hatte weitgehende Konsequenzen für das Land: Die Schweiz musste im Nachgang zur Übergabe von Kundendaten im Februar 2009 die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung relativieren, den Artikel 26 des OECD-Musterabkommens für Doppelbesteuerungsabkommen übernehmen und den USA eine erweiterte Amtshilfe im Rahmen einer Revision des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz ­ USA (DBA) im Sommer 2009 zugestehen.3 Inspektion der GPK Vor diesem Hintergrund führten die Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte (GPK) von März 2009 bis Ende Mai 2010 gemeinsam eine umfassende Inspektion durch, die das Verhalten der involvierten Schweizer Behörden im Vorfeld der beiden Massnahmen auf seine Zweckmässigkeit und Wirksamkeit hin unter1 2 3

Kapitel 2.5.3.2.

Kapitel 3.5.2.4.

Kapitel 3.5.4.

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suchte. Die Beurteilung des Verhaltens der UBS wie auch der amerikanischen Behörden liegt nicht im Kompetenzbereich der parlamentarischen Oberaufsicht, so dass die GPK dieses auch nicht untersuchen konnten.4 Die GPK führten in 30 Sitzungen 60 Anhörungen mit den Mitgliedern des Bundesrats, Vertretern des EFD, des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), der EBK/FINMA, des Bundesverwaltungsgerichts, der SNB, der UBS5 sowie mit externen Experten durch.

Für die Beurteilung des Behördenverhaltens vor und während der Finanzkrise im internationalen Vergleich liessen die GPK durch externe Experten eine Studie erstellen.6 Sie zogen im Weiteren umfangreiche Dokumentationen bei und beauftragten ihre Geschäftprüfungsdelegation (GPDel), die vertraulichen Dokumente der Bundeskanzlei über die Verhandlungen im Bundesrat zu konsultieren.7 Nachfolgend werden die wichtigsten Resultate der GPK-Inspektion zusammengefasst. Diese Zusammenfassung kann jedoch die Lektüre des Berichts nicht ersetzen.

Der Bericht enthält umfangreiche Sachverhaltsfeststellungen, welche die Schlussfolgerungen der GPK nachvollziehbar machen.

Untersuchung I: Verhalten der schweizerischen Behörden im Zusammenhang mit der Finanzkrise 1. Von den Finanzmarktturbulenzen zu einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise Die Finanzkrise, welche Grossbanken wie die UBS und die Credit Suisse (CS) ins Wanken brachte, geht zurück auf die Probleme im Zusammenhang mit den amerikanischen Risikohypotheken, dem so genannten Subprime-Markt. Waren 2007 die Turbulenzen noch hauptsächlich finanzieller Natur, brach eine weltweite Wirtschaftsund Finanzkrise aus, nachdem die Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 Konkurs gegangen war.8 Der amerikanische Subprime-Markt geriet bereits 2006 mit dem Einbruch der Immobilienpreise in Schwierigkeiten. Da die EBK die Engagements der UBS auf diesem Markt nicht kannte, befragte sie diese erst im März 2007 zu diesem Thema.

Zu jenem Zeitpunkt hatte die UBS nicht nur eine falsche Vorstellung von ihrer Exposure, sondern hoffte gar, von einem Einbruch dieses Marktes profitieren zu können. Dies lässt sich damit erklären, dass das Risikomanagement der UBS aufgrund der grundsätzlich positiven Bewertungen durch die internationalen Ratingagenturen (triple A) jene Exposures ausschloss, die sich als die problematischsten erweisen sollten.9

4 5 6 7 8 9

Kapitel 1.2, 2.1.3 und 3.1.2.

Kapitel 3.6.8.4.

Kapitel 2.9.5.

Kapitel 1.5.2.

Kapitel 2.1.1, 2.3 und 2.4.

Kapitel 2.3.

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Die steigende Ungewissheit über das Ausmass der Verluste und Abschreibungen der internationalen Grossbanken auf dem Subprime-Markt führte schliesslich zu einer schweren Vertrauenskrise auf dem Interbankenmarkt. Dies zeigte sich, als am 9. August 2007 die Liquiditäten auf dem Interbankenmarkt fast vollständig versiegten, was deutlich auf einen Missstand im Bankenwesen hinwies.

Ab diesem Zeitpunkt wurden die SNB und die EBK aktiv und trafen eine Reihe von Massnahmen. Im August 2007 führte die SNB zusammen mit anderen Zentralbanken den Währungs- und Interbankenmärkten massive Liquiditätsspritzen zu, um deren Fortbetrieb zu gewährleisten. Zudem verstärkte sie das Monitoring der von den Turbulenzen betroffenen Märkte. Gleichzeitig baute die EBK in Zusammenarbeit mit der SNB ihr Monitoring der Grossbanken aus. Auch revidierte die EBK ihre Vorgehensweise und reorganisierte ihre Abteilung Grossbanken. Ende August 2007 erhöhte sie in einem Vorentscheid per sofort die Eigenmittelanforderungen von UBS und Credit Suisse.10 Im Januar 2008 wurde der Vorsteher des EFD von den Präsidenten der SNB und der EBK informiert, dass die UBS in ernsthaften Schwierigkeiten sei. Die Lage der Bank war so besorgniserregend, dass es angezeigt war, ein Notfallszenario ­ d. h.

eine staatliche Interventionsoption zugunsten der Bank ­ auszuarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Bundesrat vom Vorsteher des EFD noch nicht über den Ernst der Lage unterrichtet.11 Im März 2008 forderte die EBK den Rücktritt Marcel Ospels als Verwaltungsratspräsident der UBS. Dieser gab seinen Rücktritt an der UBS-Generalversammlung vom 23. April 2008 bekannt.12 Nach einer relativ ruhigen Sommerpause ging die Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 in Konkurs, was eine tiefe Erschütterung des internationalen Finanzsystems und einen starken Konjunktureinbruch mit sich brachte. Die Lage der UBS verschlechterte sich derart, dass eine Hilfe der SNB und des Bundes unausweichlich wurde, um die Stabilität des Finanzsystems und der schweizerischen Wirtschaft zu sichern.13 Am 20. September 2008 wurde der Vorsteher des EFD sowohl vom Präsidenten der SNB als auch vom Präsidenten der EBK kontaktiert. Sie teilten ihm mit, dass die Lage der UBS äusserst gravierend sei.14 Am Sonntag, den 21. September 2008, wurden die mit der Krisenbewältigung betrauten
Führungsspitzen der SNB, der EBK und des EFD zum einen informiert, dass die UBS umgehend auf die Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen sei; zum andern erfuhren sie, dass der Vorsteher des EFD am Vorabend einen HerzKreislauf-Kollaps erlitten hatte.15 Es galt, die Stellvertretung des EFD-Vorstehers

10 11 12 13 14 15

Kapitel 2.5.1.

Kapitel 2.5.2.2.

Kapitel 2.5.2.6.

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Kapitel 2.6.3.

Kapitel 2.6.3.

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durch die Vorsteherin des EJPD sicherzustellen und das Massnahmenpaket zu schnüren.

Somit hatten sich die Probleme der UBS innert einiger Tage derart verschärft, dass ihr Überleben gefährdet war und nur noch mit einem staatlichen Eingriff, den die Bank am 14. Oktober 2008 offiziell beantragte, gesichert werden konnte.

In seiner Sitzung vom 15. Oktober 2008 beschloss der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems. Dieses enthielt insbesondere folgende zwei Massnahmen: die Übertragung der illiquiden Aktiven der UBS über höchstens 60 Milliarden Dollar in eine von der SNB finanzierte Zweckgesellschaft sowie die Stärkung der Eigenmittelbasis der UBS durch die Zeichnung einer Pflichtwandelanleihe in der Höhe von sechs Milliarden Franken durch den Bund.16 2. Eine Krisenorganisation ohne Einbezug des Bundesrats Die SNB, die EBK und die Eidg. Finanzverwaltung (EFV) befassten sich ab Ende der Neunzigerjahre mit möglichen Koordinations- und Steuerungsstrukturen für den Fall einer Finanzkrise und ­ in jüngerer Zeit ­ mit Interventionsmöglichkeiten im Falle des Ausfalls einer schweizerischen Grossbank.17 Somit verfügten die Schweizer Behörden, als die Finanzkrise ausbrach und sich die Frage einer staatlichen Unterstützung der UBS stellte, bereits über eine strukturierte Krisenorganisation, über Konzepte zu Szenarien bei einer Grossbankenkrise sowie über gewisse Zusammenarbeitserfahrungen. Allerdings sah keines der Szenarien eine Krise des gesamten Finanzsystems vor. Zudem wies die Krisenorganisation keine operativen Einsatzpläne auf; ebenso wenig lag ein Grundsatzentscheid in Bezug auf eine allfällige Finanzaktion des Bundes zur Rettung einer Grossbank vor.

Die GPK stellen fest, dass die bestehenden Risiken erkannt und entsprechende Vorkehrungen getroffen worden waren. Sie bezweifelt nicht, dass die geschaffenen Strukturen einen günstigen Rahmen für die Zusammenarbeit und für die Ausarbeitung eines Massnahmenpakets zur Stärkung des Schweizer Finanzsystems bildeten, obschon noch keine operativen Einsatzpläne vorlagen.

In der Krisenorganisation ist festgelegt, dass das EFD die Führung übernimmt, wenn ein Eingreifen des Bundes wahrscheinlich wird. Hingegen sieht die Krisenorganisation nichts über die spezifische Rolle des Bundesrats und die Art und Weise seiner Involvierung in das Krisenmanagement
vor. Nach Ansicht der GPK ist ein Einbezug des Bundesrats in die Krisenorganisation aber unabdingbar. Eine Finanzund Wirtschaftskrise kann gravierende Folgen für die Gesellschaft, die Bürger und die Sicherheit des Landes haben. Für die GPK ist es deshalb unbegreiflich, warum der Bundesrat im Krisendispositiv nicht erscheint und sich seine Rolle nur gerade auf die des «letzten Entscheidungsträgers» von Massnahmen beschränkte, an deren Ausarbeitung er nicht beteiligt war. Die GPK halten es für absolut unerlässlich, dass die Rolle und Involvierung des Bundesrats in die gesamte Krisenorganisation definiert wird. (Empfehlung 1).18 16 17 18

Kapitel 2.5.3.2.

Kapitel 2.2.

Kapitel 2.10.1.

3103

3. Unfähigkeit, eine Krise zu erkennen; zu revidierende Aufsichtspraxis Lange vor Ausbruch der Krise äusserten sich die SNB und die EBK besorgt über die wachsenden Bilanzen, das Risikomanagement oder die Problematik der ungenügenden Eigenmittelversorgung der Grossbanken. Andere Akteure, allen voran die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), waren in ihren Mahnungen expliziter und warnten vor den Gefahren des US-Hypothekenmarktes.19 Angesichts dieser Indizien und der in der Folge eingetretenen Ereignisse kommen die GPK zum Schluss, dass die schweizerischen ­ wie im Übrigen auch weltweit die meisten ­ Behörden in ihrer Früherkennung der Krise gescheitert sind. Die «Too big to fail»-Problematik kam zu jenem Zeitpunkt nicht wirklich zur Sprache oder löste zumindest keine Debatte aus. Das mag zum Teil mit den damals aussergewöhnlichen Gewinnen der beiden Grossbanken zu tun haben, die kaum Anlass gaben, deren finanzielle Solidität oder die Qualität ihrer strategischen Ausrichtung anzuzweifeln.

Die GPK sind der Meinung, dass die Behörden sich zu rasch mit ihren ersten Befunden zufrieden gaben. Auch wirft die Unfähigkeit, eine Krise solchen Ausmasses frühzeitig zu erkennen, Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Zielsetzungen und der Instrumente der Finanzmarktaufsicht auf. So hat die EBK zwar in ihren Geschäftsberichten sowie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit verschiedentlich auf die Bedeutung eines effizienten Risikomanagements hingewiesen, jedoch ihre theoretischen Erkenntnisse bei der konkreten Wahrnehmung ihrer Aufsicht, insbesondere über die UBS, nicht umgesetzt. Sie unterliess es insbesondere, entsprechende vertiefte Abklärungen vorzunehmen oder gar Auflagen bezüglich rechtlicher Risiken oder Reputationsrisiken vorzusehen, obwohl die Risikostruktur der UBS zahlreiche Fragen hätte aufwerfen müssen.20 Diese Mängel zeigen nach Ansicht der GPK, dass hier beträchtliche Verbesserungen nötig sind, denn die Schweiz ist auf diesem Gebiet besonders anfällig und von der Stabilität ihrer beiden Grossbanken abhängig. Die überdurchschnittliche Grösse ihres Bankensektors ­ auch im Vergleich zu anderen Staaten ­ sowie die ebenso aussergewöhnliche Konzentration in diesem Sektor zwingen die Schweiz, in Sachen Früherkennung und Finanzaufsicht nicht einfach nur «Durchschnitt», sondern
Spitzenreiterin zu sein, und zwar sowohl in der Früherkennung als auch bei Reformen auf internationaler Ebene und bei der Umsetzung von Best Practices in der Bankenaufsicht.

Die Hauptprobleme bezüglich der Fähigkeit der schweizerischen Behörden, Finanzmarktkrisen rechtzeitig zu erkennen, stehen nach Auffassung der GPK im Zusammenhang mit: 1. der Abhängigkeit der EBK/FINMA von Informationen, die sie von Drittstellen erhält (Banken, Zentralbanken, Auditbüros, Ratingagenturen), 2. dem mangelnden Follow-up ihrer eigenen Kritiken oder Beobachtungen, insbesondere der EBK/FINMA, 3. dem Mangel an kritischem Geist bei sämtlichen betroffenen Behörden.

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Kapitel 2.3.

Kapitel 2.10.2.

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Die GPK kommen zum Schluss, dass erstens eine Klärung und präzisere Definition der Ziele erforderlich ist, um klare und realistische Forderungen im Hinblick auf die Rollen und die Verantwortlichkeiten der Behörden formulieren zu können. Zweitens muss eine Analyse der Organisation, der Mittel und der Instrumente vorgenommen werden, damit die Behörden den Grossbanken und anderen zu beaufsichtigenden Instituten sowie den damit einhergehenden Herausforderungen punkto Finanz- und Wirtschaftsstabilität begegnen können.

Die GPK sind mit der Schlussfolgerung im Bericht des Bundesrats vom 12. Mai 2010 nicht einverstanden, wonach es in diesem Bereich keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt. Im Gegenteil sind die GPK überzeugt, dass die Relevanz der Ziele der mit der Aufsicht über den Finanzmarkt oder die Finanzstabilität betrauten Behörden überprüft und ihnen die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Kompetenzen übertragen werden müssen (Empfehlung 2).21 Aufgrund der Erfahrungen und gewisser Praktiken, die sich im Ausland bewährt haben, sind die GPK überzeugt, dass die schweizerische Aufsichtspraxis weiterentwickelt werden muss. Insbesondere muss die FINMA ihre im September 2009 festgelegten strategischen Ziele rasch umsetzen (Empfehlung 3).22 Die SNB und die FINMA müssen nach Ansicht der GPK auch ihre Informationsquellen stärker diversifizieren. Es besteht die Gefahr, dass kritische Stimmen nicht genügend gewichtet werden, obwohl gerade sie wesentliche Quellen für Denkanstösse und Signale zur Früherkennung darstellen. Nach Ansicht der GPK müssen die SNB und die FINMA eine solche Abschottung (groupthink) verhindern und Kontakte, Strukturen und Informationskanäle aufbauen, um diese Lücke zu füllen.

Die SNB und die FINMA müssen in Zukunft über etablierte und institutionalisierte Beziehungen zu unabhängigen Experten verfügen (Empfehlung 4).23 Nach Auffassung der GPK verlangt die Früherkennung von den Behörden eine optimale Koordination beim Informationsaustausch. Die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems hängt stark von der Qualität der Bankenaufsicht ab. Die Bankenaufsicht wiederum hängt stark von der Qualität der Analysen zur schweizerischen und internationalen Finanzstabilität ab. Eine intensive, regelmässige und enge Zusammenarbeit zwischen der SNB und der FINMA ist somit eine unerlässliche
Voraussetzung zur Sicherung der Stabilität des Finanzsystems und einer effizienten Bankenaufsicht (Empfehlung 5).24 Die GPK stellen fest, dass innerhalb der EBK der Informationsaustausch zwischen den für die Aufsicht der UBS und den für die Aufsicht der Credit Suisse zuständigen Personen eindeutig unzureichend war. Der Bundesrat muss nach Auffassung der GPK sicherstellen, dass die Arbeitsprozesse und die neue Organisation der FINMA auftragsgerecht ausgestaltet sind (Empfehlung 6).25

21 22 23 24 25

Kapitel 2.3, 2.3.4 und 2.10.2.

Kapitel 2.7.1.4, 2.9.4.2 und 2.10.2 Kapitel 2.3.4.3 und 2.10.2.

Kapitel 2.3 und 2.10.2.

Kapitel 2.3, 2.9.4.1 und 2.10.2.

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4. Ein angemessenes Krisenmanagement der Schweizer Behörden Die GPK stimmen mit der Ansicht internationaler Organisationen ­ wie des IWF und der OECD ­ und der vom Bundesrat bzw. von den GPK beauftragten Experten überein, dass die Massnahmen der schweizerischen Behörden angesichts ihrer positiven Wirkung auf die Finanz- und Wirtschaftsstabilität des Landes als angemessen betrachtet werden können.26 Nach Auffassung der GPK wurden diese Massnahmen zum richtigen Zeitpunkt ergriffen und waren effizient, situationsgerecht und für den Bund finanziell tragbar.

Die GPK verweisen auch auf die Mitwirkung und den ausgezeichneten Ruf der schweizerischen Behörden in den internationalen Gremien vor, während und nach der Krise.27 5. Aus der Krise die nötigen Lehren ziehen Die zahlreichen parlamentarischen Vorstösse auf nationaler Ebene sowie die nicht minder zahlreichen Diskussionen auf internationaler Ebene zeugen vom Willen und von der Notwendigkeit, aus der Krise die nötigen Lehren zu ziehen.28 Die GPK betonen, dass ­ zwei Jahre, nachdem die Verschärfung der Finanzkrise die schweizerischen Behörden dazu veranlasste, Handlungsoptionen für den Fall eines Ausfalls der UBS auszuarbeiten (März 2008) ­ sich das Zeitfenster zur Einführung von angemessenen Reformen schliesst. Die Probleme der Vergütungspolitik und der Boni der Grossbanken, der Bankenaufsicht, der Finanzstabilität sowie der Banken, die zu gross sind, um in Konkurs gehen zu können (too big to fail), sind erkannt worden, doch jetzt gilt es, die Massnahmen rasch umzusetzen. Diese Arbeit darf nach Ansicht der GPK auf keinen Fall aufgeschoben werden. Die GPK sind der Meinung, dass der Bundesrat sämtliche Empfehlungen der von ihm beauftragten Experten eingehend zu prüfen hat (Empfehlung 7).29 6. Ungenügende Informationsgrundlagen des Bundesrats Zwischen Dezember 2007 und April 2008 wurde der Bundesrat nicht über die vom EFD, der SNB und der EBK vorgenommenen Krisenvorbereitungen informiert, obwohl jene Monate für die Intervention des EFD die wichtigsten waren. In diesem Zeitraum verbuchte die UBS massive Verluste, die Krisenorganisation war aktiviert worden, und nachdem die SNB und die FINMA Alarm geschlagen hatten, beteiligte sich das EFD aktiv an der Ausarbeitung von Interventionsoptionen.30 Daraus ziehen die GPK folgende zwei Schlüsse: ­

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Der Vorsteher des EFD wurde von der EFV, der SNB und der EBK gut unterrichtet, doch hat er seinerseits den Bundesrat nicht hinreichend informiert, wobei er dies mit der Furcht vor Indiskretionen (Börsenrelevanz)

Kapitel 2.5, 2.7 und 2.10.3.

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Kapitel 2.8.2.

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begründet hat. Der Vorsteher des EFD leitete dieses Dossier allein und wollte den Bundesrat nicht einbeziehen; ­

die Mitglieder des Bundesrats haben sich mit dieser Sachlage zufrieden gegeben und sich nicht genügend informiert. Sie haben damit ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.31

Angesichts der Brisanz der Informationen und der schwerwiegenden Folgen, die deren Bekanntmachung gehabt hätte, ist die äusserst restriktive Kommunikationspolitik des Vorstehers des EFD noch einigermassen nachvollziehbar. Was aber die GPK schockiert, ist, dass der Bundesrat offenbar nicht in einem Klima des Vertrauens und der Vertraulichkeit arbeiten kann. In den Augen der GPK dürfen die Stabilität und die Sicherheit des Landes nicht dadurch gefährdet werden, dass die sieben Mitglieder der Regierung unseres Landes nicht in der Lage sind, eine vertrauliche Information innerhalb des Kollegiums zu behalten. (vgl. Motion 2 und Empfehlung 15).

7. Mangelnde Steuerung durch den Bundesrat Zwischen Januar 2008 (dem Zeitpunkt, als die SNB und die FINMA den Vorsteher des EFD über die Lage informierten) und September 2008 lag das Krisenmanagement in den Händen des EFD-Vorstehers.

Aufgrund der volkswirtschaftlichen Folgen, die der Zusammenbruch einer Grossbank haben könnte, wurde die Vorsteherin des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements (EVD) im April 2008 zu den Interventionsoptionen konsultiert, welche vom EFD, der SNB und der EBK ausgearbeitet worden waren. Nach Auffassung der GPK hätten die Mitglieder des Bundesrats, die über diese Information verfügten, den Gesamtbundesrat darüber in Kenntnis setzen sollen.32 In den darauffolgenden fünf Monaten, also bis September 2008, befasste sich der Bundesrat nicht mit der Finanzkrise.

Die GPK schliessen daraus, dass der Bundesrat bis September 2008 an der Steuerung des Krisenmanagements in keiner Weise beteiligt war.33 Ab dem 21. September 2008 wurde der Bundesrat aufgrund der Situation der UBS und der Abwesenheit des EFD-Vorstehers vermehrt in das Krisenmanagement eingebunden. Der Bundespräsident leitete ab diesem Zeitpunkt die Intervention des Bundes, insbesondere unterstützt von der Vorsteherin des EJPD.

Die GPK halten fest, dass die Strategie des Bundespräsidenten, den Wirtschaftsausschuss des Bundesrats zu mobilisieren, um einen positiven Beschluss des Bundesrats zum Massnahmenpaket sicherzustellen, zwar funktionierte. Ein Ausschuss des Bundesrats ist aber dazu da, ein Dossier für die Behandlung durch den Bundesrat vorzubereiten, und darf in einem so schwerwiegenden Fall wie der Finanzkrise nicht dazu dienen, den Entscheidungsprozess des Bundesrats auszuschalten. Damit würde der Bundesrat nach Ansicht der GPK seiner Verantwortung enthoben. Diejenigen 31 32 33

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Kapitel 2.8.3.

Kapitel 2.10.6.

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Mitglieder des Bundesrats, die nicht im Wirtschaftsausschuss sitzen, missbilligten denn auch dieses Vorgehen. Die GPK schliessen sich dieser Kritik an. Tatsächlich mussten die drei betroffenen Mitglieder des Bundesrats ihre Entscheidung einen Tag, nachdem sie vom Antrag Kenntnis genommen hatten, treffen ­ einem Antrag, bei dem es um ein Engagement des Bundes in der Höhe von sechs Milliarden Franken und ein De-facto-Engagement der SNB in der Höhe von 60 Milliarden Dollar ging (vgl. Motion 3 und Empfehlung 16).

Vor diesem Hintergrund gelangen die GPK zu folgenden Feststellungen: ­

Der Bundesrat hat das Krisenmanagement nicht gesteuert;

­

der Bundesrat wurde erst aktiv, als er Entscheidungen zum Massnahmenpaket treffen musste, also am 2. und 15. Oktober 2008;

­

der Bundesrat hat sich keine Gedanken zu Handlungsoptionen für den Fall einer Krisenverschärfung gemacht;

­

die Steuerung des Bundesrats funktionierte schlecht, und dies trotz der wiederholten Empfehlungen der GPK bei früheren Inspektionen in diesem Bereich;

­

dem Bundesrat scheint es im Krisenfall an den elementarsten Mitteln der Teamarbeit zu mangeln.

Deshalb halten die GPK den Bundesrat an, zum einen die Probleme in Sachen Steuerung zu lösen, auf welche die GPK in früheren Untersuchungen hingewiesen haben (Empfehlung 8), und zum andern auf seiner Stufe ein wirksames Überwachungs- und Frühwarnsystem für Krisen einzurichten (Empfehlung 9).

Untersuchung II: Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA 1. Der Beginn der Affäre Im Dezember 2007 erfuhr die EBK von einer Untersuchung der US-Börsenaufsicht SEC gegen die UBS im Zusammenhang mit Lizenzierungspflichten in den USA. In der Folge reichte die SEC im März 2008 ein Amtshilfegesuch bei der EBK ein, worin es jedoch nicht um den Erhalt von Kundendaten ging. Gemäss Aussagen der UBS wurde die EBK schon im Dezember 2007 und Januar 2008 über die Abklärungen des DOJ (Department of Justice) kurz informiert. Allerdings sei erst Ende Februar 2008 erkennbar gewesen, dass das DOJ die Herausgabe von Kundendaten anstrebte. Die UBS selbst hatte erst kurz zuvor von dieser Forderung des DOJ im Zusammenhang mit einer Untersuchung der amerikanischen Steuerbehörde IRS gegen die UBS erfahren. Wie sich herausstellen sollte, liefen diese drei amerikanischen Untersuchungen gegen die UBS seit Herbst 2007 und betrafen deren grenzüberschreitendes Geschäft mit Privatkunden in den USA.34

34

Kapitel 3.2.2.2.

3108

Die Untersuchung des DOJ sollte klären, welche Rolle die UBS und ihre Führungskräfte im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA bei Betrugsund Steuerfluchtfällen gespielt hatten. Insbesondere wollte das DOJ überprüfen, ob die UBS mit der Errichtung von offshore Strukturen für die Betreuung von Kunden, die in den USA steuerpflichtig sind, bewusst ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem IRS verletzte bzw. mithalf, amerikanische Steuergesetze zu umgehen.

Die UBS war ­ wie viele andere Banken weltweit ­ im Rahmen eines so genannten Qualified Intermediary Agreement (QIA) verschiedene Verpflichtungen zugunsten des IRS eingegangen, u. a. Melde- und Rückbehaltspflichten.35 Die Grundidee des QIA ist es, Finanzinstitute wie die UBS zu verpflichten, die Identität von Kunden, die amerikanische Kapitalerträge erhalten, zu kennen, sie gemäss den Weisungen des IRS nach Wohnsitz und Status auf der Basis des Doppelbesteuerungsabkommens zu kategorisieren und gegebenenfalls Melde- und Steuerrückbehaltspflichten zugunsten des IRS wahrzunehmen. Damit bezweckten die USA, frühere Praktiken von in den USA steuerpflichtigen Personen, welche aus ihrer Sicht missbräuchlich waren und zu bedeutenden Steuerverlusten für die USA führten, gestützt auf Doppelbesteuerungsabkommen in Zukunft zu verhindern.36 Wie sich zeigen sollte, hatten UBS-Mitarbeitende amerikanischen Kunden in rund 300 Fällen geholfen, offshore Strukturen aufzusetzen, und teilweise falsche Erklärungen in US-Formularen akzeptiert, um wichtige Kunden darin zu unterstützen, sich nicht als in den USA steuerpflichtige Personen zu deklarieren.37 2. Entwicklung des Geschäfts und Rolle der schweizerischen Behörden Als die EBK anfangs März 2008 von der UBS erfuhr, dass die amerikanischen Behörden mit einem Teil ihrer Untersuchungen Kundendaten der UBS zu erhalten versuchten, erkannte sie sofort die Tragweite dieser Absicht, deren Auswirkungen über die Aufgabe der Bankenaufsicht der EBK hinausgingen. Sie zog umgehend Vertreter der potenziell betroffenen Bundesverwaltungsstellen bei und informierte diese zusammen mit Vertretern der UBS über die damalige Situation.38 In der Folge berief der Vorsteher des EFD eine Arbeitsgruppe ein, die «Arbeitsgruppe Karrer». Sie bestand aus Vertretern der EFV, der politischen Abteilung V (PA V) im EDA, des
Bundesamts für Justiz (BJ) im EJPD, der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) im EFD und in der Anfangsphase auch der Bundesanwaltschaft. Sie wurde geleitet vom damaligen Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, Alexander Karrer.39 Auch die Schweizer Botschaft in den USA wurde von diesem Zeitpunkt an einbezogen.

In einer ersten Phase erkannte die Arbeitsgruppe keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.40 Dies änderte sich, als Ende April 2008 die amerikanischen Behörden Martin Liechti, den damaligen Leiter des Nordamerikageschäfts der UBS, verhafte35 36 37 38 39 40

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ten, in der Folge über längere Zeit als Zeugen festhielten und durch dessen Befragung u. a. versuchten, Kundendaten zu erhalten.41 Von diesem Zeitpunkt an war es der Arbeitsgruppe klar, dass sie aktiv werden musste, um die Forderung der USA nach Kundendaten in rechtsstaatliche Bahnen zu leiten. Sie prüfte sowohl den Rechtshilfe- wie auch den Amtshilfeweg und entschied sich dann für Letzteres, da schon zu diesem Zeitpunkt erkennbar war, dass die amerikanischen Behörden eine möglichst baldige Übergabe von Kundendaten anstrebten und das Amtshilfeverfahren in Steuersachen schneller zu Ende geführt werden konnte. Die Arbeitsgruppe bevorzugte das Amtshilfeverfahren auch deshalb, weil die amerikanischen Behörden die Namen der mutmasslichen Steuerbetrüger nicht kannten und somit nur auf der Basis eines «Schemas» (Kunden, bei denen eine bestimmte Konstellation gegeben war) ein Gesuch an die schweizerischen Behörden stellen konnten. Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe war ein Eintreten auf ein solches Gesuch im Rahmen der Amtshilfe eher möglich.

Im Mai 2008 lagen Hinweise vor, dass die UBS mit ihrem Verhalten im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA allenfalls auch schweizerisches Aufsichtsrecht verletzt haben könnte, worauf die EBK eine eigene Untersuchung gegen die UBS einleitete.42 Seit Herbst 2007 lief zudem bereits eine UBS-interne Untersuchung, die durch eine amerikanische Anwaltskanzlei geführt wurde. Da sich die EBK teilweise auf Daten dieser Untersuchung stützte, stellte sie über eine von ihr beauftragte schweizerische Anwaltskanzlei sicher, dass die UBS-interne Untersuchung nicht unzulässigerweise durch die oberste UBS-Leitung beeinflusst wurde.

Gleichzeitig lieferte die EBK im Rahmen des Amtshilfegesuchs weiterhin Informationen an die SEC und war dadurch auch mit den amerikanischen Behörden im Gespräch.

3. Amtshilfegesuch des IRS vom 16. Juli 2008 In verschiedenen telefonischen Kontakten sowie über die Entsendung einer vom stellvertretenden Direktor des BJ geführten Delegation in die USA konnten die amerikanischen Behörden im Frühsommer 2008 dazu gebracht werden, dass der IRS am 16. Juli 2008 gestützt auf das Doppelbesteuerungsabkommen bei der ESTV ein Amtshilfegesuch einreichte.43 Auch die Schweizer Botschaft in den USA sowie die Vorsteherin des EDA setzten sich dafür
ein. Mit dem Einreichen des Amtshilfegesuchs des IRS schien im Sommer 2008 eine gewisse Entspannung erzielt worden zu sein. Aus Sicht der Schweizer Behörden war ein Weg gefunden worden, die Forderung der USA im Einklang mit der schweizerischen Rechtsordnung zu prüfen und gegebenenfalls Kundendaten herauszugeben.

Die ESTV war durch das Amtshilfegesuch des IRS stark gefordert.44 Die zuständige Abteilung für Internationales der ESTV hatte in den vorangegangenen Jahren im Durchschnitt weltweit nur drei Amtshilfegesuche erhalten; nun wurde sie im Sommer 2008 mit einem Gesuch konfrontiert, das mehrere Hundert Fälle umfasste. Die 41 42 43 44

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Kapitel 3.3.2.6 bis 3.3.2.8.

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genaue Zahl war Mitte Juli 2008 weder den amerikanischen Behörden noch der ESTV bekannt. Ende August 2008 präzisierte der IRS sein Amtshilfegesuch, womit die Anzahl betroffener Fälle um ca. 1600­1800 weitere Fälle anstieg.45 Die ESTV baute zuerst verwaltungsintern personelle Ressourcen auf. Im letzten Quartal 2008 und anfangs 2009 stellte sie weiteres verwaltungsexternes Personal ein. Aufgrund des Schemas, das dem Amtshilfegesuch zu Grunde lag, übermittelte die UBS der ESTV ab Mitte Juli 2008 laufend Kundendossiers; bis Ende 2008 waren es 348.46 4. Unzufriedenheit der amerikanischen Behörden mit der Amtshilfe: Forderungen nach rascher Datenübergabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens Gegen Ende Sommer 2008 führte die EBK mit dem DOJ Gespräche über den Ausstieg der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA. Ein Vertreter der UBS hatte diesen Schritt Mitte Juli 2008 an einem Hearing vor einem Untersuchungsausschuss des US-Senats angekündigt. Bei diesem Gespräch musste die EBK feststellen, dass das DOJ die Auflösung der grenzüberschreitenden Kundenbeziehungen durch die UBS nur akzeptierte, falls vorgängig Kundendaten an die amerikanischen Behörden übergeben würden. Im September 2008 folgte ein Austausch von «non-Papers» zur Verständigung zwischen dem DOJ und der EBK in dieser Angelegenheit. Dabei zeigte sich, dass der Amtshilfeweg aus Sicht der amerikanischen Behörden kein geeignetes Mittel darstellte, um ihre Forderungen zu erfüllen, da das DOJ die Kundendaten rasch erhalten wollte und es dies über den Amtshilfeweg nicht als gewährleistet erachtete.47 Die Zweifel der amerikanischen Behörden am Amtshilfeweg konnten durch die schweizerischen Behörden schon zuvor nie ganz ausgeräumt werden.

Die EBK leitete regelmässig ihre Situationsbeurteilung sowie die Informationen der UBS und der amerikanischen Behörden an die ehemaligen Mitglieder der Arbeitsgruppe Karrer weiter, obwohl sich die Arbeitsgruppe ab August 2008 nicht mehr traf und praktisch keine Besprechungen mehr stattfanden.

Am 17. Oktober 2008 präsentierte die UBS in New York in Anwesenheit von Vertretern der drei involvierten amerikanischen Behörden sowie der EBK die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung. Die von der UBS mit der internen Untersuchung beauftragte amerikanische Anwaltskanzlei kam dabei insbesondere
zum Schluss, dass eine geringe Anzahl von UBS-Mitarbeitenden Kunden geholfen hatte, die QIAVorschriften zu umgehen, dass jedoch die Führungsebene der UBS für die Verletzungen des QIA nicht verantwortlich gemacht werden könne.48 Am selben Tag erliess die ESTV im Rahmen des Amtshilfeverfahrens die erste Schlussverfügung.

45 46 47 48

Kapitel 3.3.2.10 und 3.3.3.4.

Kapitel 3.3.3.4.

Kapitel 3.4.1.

Kapitel 3.4.2.4.

3111

5. Verhalten der schweizerischen Behörden bis 19. Dezember 2008 Aufgrund der Reaktionen der amerikanischen Behörden beim Treffen vom 17. Oktober 2008 in New York ortete die EBK dringenden Handlungsbedarf bei den Schweizer Behörden, um eine rasche Datenübergabe an die USA zu ermöglichen. Für die EBK war klar, dass dies nicht auf dem Amtshilfeweg würde geschehen können. Sie erarbeitete in der Folge mögliche Handlungsoptionen für die Schweizer Behörden, die von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Karrer angepasst und danach der Vorsteherin des EJPD, die in dieser Zeit den erkrankten Vorsteher des EFD vertrat, unterbreitet wurden. Die Spannbreite der möglichen Handlungsoptionen ging von einem Beharren auf dem Amtshilfeweg über die Datenherausgabe durch die UBS aufgrund eines strafrechtlichen Notstands bis zu einer Datenherausgabe durch den Bundesrat, gestützt auf dessen Notrechtskompetenz. Auch die Option des Entzugs der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen die Schlussverfügungen der ESTV wurde erwogen. Die involvierten Mitglieder der Arbeitsgruppe stellten zu diesem Zeitpunkt die Frage nach einer Kontaktaufnahme auf höchster politischer Ebene, welche vor den Wahlen in den USA am 4. November 2008 zu erfolgen hätte.

Eine solche Kontaktaufnahme fand vor den amerikanischen Wahlen nicht mehr statt.49 Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember 2008 verdichteten sich die Hinweise, dass die amerikanischen Behörden eine Datenübergabe bis Ende 2008 als notwendig erachteten und eine Anklageerhebung gegen die UBS in den USA ­ diese wurde schon seit Frühling 2008 immer wieder durch die amerikanischen Behörden mehr oder weniger erwogen ­ nun ernsthaft in Betracht zogen.50 Von Anfang an waren sich alle schweizerischen Behördenvertreter wie auch die UBS einig, dass eine solche Anklageerhebung die UBS in ihrer Existenz gefährden würde. Entsprechende Hinweise kamen nicht nur vom DOJ und dem IRS bzw. von der EBK, sondern auch von der amerikanischen Zentralbank Fed bzw. der SNB sowie von der UBS, die nach wie vor auch selbst versuchte, mit den amerikanischen Behörden eine Lösung des Problems zu finden. Die SNB wurde mehrmals bei Kontakten mit dem Fed von diesem auf den Ernst der Lage und den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen.51 Ein klares Zeichen setzten die amerikanischen Behörden, als am 12. November 2008 in den
USA Anklage gegen Raoul Weil, Global Wealth Management & Business Banking (GWM&BB) der UBS, erhoben wurde.52 Der UBS-Verwaltungsrat schilderte in einem Schreiben an die Präsidenten der SNB und der EBK vom 10. Dezember 2008 die besorgniserregende Situation, in welcher sich die UBS befand.

Diese Informationen wurden an den Verantwortlichen der EFV (sowie an die ehemaligen Mitglieder der Arbeitsgruppe Karrer), aber auch teilweise direkt an den Vorsteher des EFD und punktuell an die Vorsteherin des EJPD weitergeleitet. So informierte beispielsweise die EBK den Vorsteher des EFD wie auch die Vorsteherin

49 50 51 52

Kapitel 3.4.3.1 und 3.4.3.2.

Kapitel 3.4.2 und 3.4.3.

Kapitel 3.4.4.3.

Kapitel 3.4.3.4.

3112

des EJPD an einem Treffen vom 18. November 2008 unmissverständlich über die Situation und den dringenden Handlungsbedarf.53 Die EFV, der involvierte Vertreter der ESTV sowie auch das BJ nahmen den zunehmenden Druck auf die UBS wahr. Die EFV erarbeitete zusammen mit der EBK immer wieder Situationsanalysen, u. a. auch zuhanden des Vorstehers des EFD, und aktualisierte mehrfach die Handlungsoptionen, wobei die Fortführung der Amtshilfe oder die Datenherausgabe durch die UBS immer wieder Optionen darstellten und eine Datenherausgabe ausserhalb dieser beiden Varianten sehr kritisch beurteilt wurde.54 Auf Stufe der betroffenen Departementsleitungen wurde geprüft und erwogen, doch letztlich wurden nur wenige Massnahmen getroffen: Am 10. November 2008 ging ein Brief des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD an den US-Finanzminister und den US-Justizminister, der insbesondere den Willen der schweizerischen Regierung betonte, im Rahmen des Amtshilfeverfahrens ernsthaft die Datenherausgabe zu prüfen. In diesem Brief wurden auch die Bedeutung der UBS für die Finanzstabilität und die Stützungsmassnahmen der Eidgenossenschaft gegenüber der UBS erwähnt. Dieser Brief wurde nie beantwortet.55 Der Vorsteher des EFD rief am 15. Dezember 2008 beide amerikanischen Minister an, wobei nur der Justizminister für ein Gespräch zur Verfügung stand. Er legte ihm den wesentlichen Inhalt des Briefs nochmals dar und erreichte, dass die Frist für die Datenherausgabe verlängert wurde. Ein Versuch des Bundespräsidenten, den amerikanischen Präsidenten in dieser Zeit zu erreichen, sei gescheitert.56 Im Dezember 2008 signalisierte die EBK der UBS, sie solle die Verhandlungen mit den amerikanischen Behörden unter der Annahme, dass eine Datenübergabe möglich sein werde, fortführen. Sie teilte der Bank mit, dass sie als ultima ratio mit der Unterstützung der EBK in Sachen Datenherausgabe rechnen könne. Dies führte dazu, dass die amerikanischen Behörden gewillt waren, mit der Anklageerhebung vorerst zuzuwarten.57 6. Befassung des Bundesrats mit dem Dossier bis 19. Dezember 200858 Am 19. September 2008 informierte der Vorsteher des EFD zum ersten Mal den Gesamtbundesrat kurz über dieses Dossier.59 Während des ganzen Monats Oktober und bis zum 26. November 2008 befasste sich der Bundesrat nicht aktiv mit den Schwierigkeiten der
UBS im grenzüberschreitenden Geschäft mit den USA. Das Dossier wurde danach an den Sitzungen vom 12. und 16. Dezember 2008 erörtert.

Am 12. Dezember 2008 informierte der Präsident der SNB den Gesamtbundesrat über seine tiefe Besorgnis hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen des Steuerstreits zwischen der UBS und den amerikanischen Finanzbehörden. Er legte u. a. dar, dass 53 54 55 56 57 58 59

Kapitel 3.4.3.4.

Kapitel 3.4.4.4 ff.

Kapitel 3.4.3.3.

Kapitel 3.4.4.5.

Kapitel 3.4.4.2.

Kapitel 3.4.3.

Kapitel 3.4.1.4.

3113

eine Anklageerhebung unmittelbar bevorstehe und dies faktisch den Untergang der UBS bewirken könne. An der darauffolgenden Sitzung des Bundesrats erörterte der Vorsteher des EFD drei ausgearbeitete Handlungsoptionen. Nebst dem Beharren auf dem Amtshilfeweg und dem Beginn von Verhandlungen mit den USA zur Anpassung des DBA war auch die Datenherausgabe entweder aufgrund der Notrechtskompetenz des Bundesrats oder gestützt auf die Artikel 25 und 26 Bankengesetz eine Option. Auf Vorschlag des Vorstehers des EFD bevorzugte der Bundesrat ein Vorgehen der EBK gestützt auf das Bankengesetz.

Am 19. Dezember 2008 beschloss der Bundesrat, die EBK zu ersuchen, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um existenzgefährdende unilaterale Zwangsmassnahmen des DOJ gegen die UBS zu verhindern. Damit war der Ball wieder bei der EBK.60 7. Schlussbericht zur EBK-Untersuchung vom 17. Dezember 2008 und Beschlüsse der EBK vom 21. Dezember 2008 Die EBK nahm am 17. Dezember 2008 vom Schlussbericht ihrer Untersuchung Kenntnis.61 Die Untersuchung zeigte, dass die fehlbaren Handlungen der UBS bzw.

einzelner ihrer Mitarbeiter im Bereich des grenzüberschreitenden Geschäfts mit Privatkunden in den USA nicht mit der Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit zu vereinbaren waren und damit nach schweizerischem Bankenaufsichtsrecht beanstandet werden mussten. Auch waren die mit diesem Geschäft verbundenen Rechtsrisiken durch die Bank nicht adäquat gehandhabt worden. Im Weiteren stellte die Untersuchung fest, dass keine Hinweise auf ein aktives Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer bezüglich der Verstösse gegen die QIA-Verpflichtungen gefunden worden seien.

Die EBK verfügte daraufhin am 21. Dezember 2008, dass die UBS das non-W9Geschäft nicht weiterführen dürfe. Gleichzeitig fasste die EBK ­ in Kenntnis des Ersuchens des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 ­ den vorbehaltenen Beschluss, gestützt auf Artikel 25 und 26 Bankengesetz die Datenherausgabe anzuordnen, falls nur so eine Anklage gegen die UBS abgewendet werden könnte.62 Ende Dezember 2008 liess der IRS durchblicken, dass er sich nicht in eine globale Vergleichslösung mit der UBS einbinden lassen wollte.63 Diese Information wurde Mitte Januar 2009 durch das Fed und die SNB64 wie auch die Schweizer Botschaft in den USA bestätigt65. Weitere Bestätigungen folgten im Februar
2009.66 8. Die Entwicklung im Jahr 2009 Die UBS verhandelte anfangs 2009 weiterhin mit den amerikanischen Behörden, um möglichst alle derer Forderungen im Rahmen eines Vergleichs einer Lösung zuzuführen. Anlässlich dieser Verhandlungen wurde auch die Revision des DBA in 60 61 62 63 64 65 66

Kapitel 3.4.3.11.

Kapitel 3.4.3.10.

Kapitel 3.5.1.1.

Kapitel 3.5.1.1.

Kapitel 3.5.1.5.

Kapitel 3.5.1.8.

Kapitel 3.5.1.11.

3114

Betracht gezogen. Die Schweizer Botschaft in den USA wie auch die FINMA (die EBK ging am 1.1.2009 in die FINMA über) wurden durch den Group General Counsel der UBS, der die Verhandlungen führte, regelmässig über deren Verlauf informiert. Sowohl die Botschaft wie auch die FINMA leiteten diese Informationen weiter.

Die FINMA informierte den Vorsteher des EFD am 8. Januar 2009, dass die zentrale Bedingung für den Abschluss eines Vergleichs die sofortige Übergabe von ca. 250 Kundendaten ausserhalb des Amtshilfeverfahrens sei und eine allfällige Übergabe der Daten durch die FINMA vom Bundesrat politisch eingebettet werden müsste.67 Der Verantwortliche der EFV wurde weiterhin informiert und hielt seinerseits den Vorsteher des EFD mittels Situationsanalysen über die Entwicklung auf dem Laufenden.68 Er stand anfangs Februar 2009 einer Datenherausgabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens kritisch gegenüber und bevorzugte eine Datenherausgabe durch die UBS selbst oder die Übernahme der Dossierführung durch den Bundesrat (Verhandlungen zur Revision des DBA).69 Von der ESTV wurden im Januar und Februar 2009 immer wieder Bedenken hinsichtlich der Neuverhandlung des DBA und den Eckwerten des Vergleichs zwischen der UBS und den amerikanischen Behörden vorgebracht.70 Es kam der Vorschlag auf, dass das EFD die Federführung in diesem Dossier wieder übernehmen solle.71 Der Vorsteher des EFD informierte am 28. Januar 2009 den Bundesrat über den Stand des Amtshilfeverfahrens und der Vergleichsverhandlungen der UBS. Insbesondere orientierte er darüber, dass der IRS 19 000 Kundendaten einsehen wolle.

Am World Economic Forum (WEF), das Ende Januar 2009 stattfand, versuchte der Vorsteher des EFD, die persönliche Beraterin des amerikanischen Präsidenten für eine Lösung im gegenseitigen Respekt beider Rechtsordnungen zu gewinnen.

Im Januar 2009 schloss weder die Schweizer Botschaft in den USA noch die ESTV und die EFV vollständig aus, dass allenfalls der IRS doch noch in eine Globallösung eingebunden werden könne.72 Die UBS, die FINMA und die SNB erachteten dies ihrerseits jedoch nicht mehr als möglich.

Am 1. Februar 2009 informierte der Vize-Präsident des UBS-Verwaltungsrats die FINMA, dass eine Anklageerhebung unmittelbar bevorstehe. Vier Tage später orientierte er schriftlich den Vorsteher des EFD sowie die Präsidenten
der FINMA und der SNB, dass die Verhandlungen der UBS mit den USA kurz vor ihrem Abschluss stünden, bezüglich der IRS-Forderungen jedoch bisher keine Lösung gefunden werden konnte. Er bat die Schweizer Regierung um Anerkennung der erzielten Lösung.73

67 68 69 70 71 72 73

Kapitel 3.5.1.4.

Kapitel 3.5.1.9.

Kapitel 3.5.1.9.

Kapitel 3.5.1.6, 3.5.1.8 und 3.5.1.12.

Kapitel 3.5.1.8.

Kapitel 3.5.1.8.

Kapitel 3.5.1.10.

3115

Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat am 11. Februar 2009 über den Stand des Geschäfts. Dabei erwähnte er auch, dass der IRS nicht eingebunden werden könne. Der Bundesrat diskutierte die Situation mit einer gewissen Besorgnis und beauftragte das EFD, ein Aussprachepapier zu einer allfälligen Anpassung des DBA vorzubereiten.

In einer vom Vertrauensanwalt der Schweizer Botschaft in den USA verfassten Notiz vom 12. Februar 2009 wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass die Übergabe von Kundendaten im Rahmen einer Vereinbarung zwischen der UBS und dem DOJ die schweizerischen Behörden stark unter Druck setzen würde, andere Ausnahmen des Bankgeheimnisses oder der Amtshilfeverfahren zu bewilligen.74 Am darauffolgenden Tag wies der UBS-Verwaltungsrat die FINMA erneut auf die Zwangslage der Bank hin und ersuchte sie, die Datenherausgabe anzuordnen.75 Gleichentags übermittelte die FINMA dem Vorsteher des EFD einen Statusbericht zuhanden des Gesamtbundesrates und teilte ihm mit, die Geschäftsleitung beantrage dem Verwaltungsrat der FINMA, am 18. Februar 2009 die Datenherausgabe anzuordnen.76 Am 17. Februar 2009 stand die endgültige Vereinbarung zwischen dem DOJ, der SEC und der UBS. Am gleichen Tag drohte das DOJ in einem Brief an die UBS die Anklageerhebung an.77 9. Übergabe von Bankkundendaten an die USA und ihre Folgen Am 18. Februar 2009 wurde der Bundesrat durch den Vorsteher des EFD mit einem Aussprachepapier informiert. Er diskutierte das für den Nachmittag angekündigte Vorgehen der FINMA kontrovers, doch hielt letztlich an seinem Entscheid vom 19. Dezember 2008 fest. Er beschloss zudem, keinen Vertreter der Schweiz an das auf den 24. Februar 2009 verschobene Hearing des Untersuchungsausschusses des US-Senats zu entsenden. Die FINMA verfügte am Nachmittag des 18. Februar 2009 als Schutzmassnahme gestützt auf die Artikel 25 und 26 Bankengesetz die Herausgabe von Kundendaten. Die Übergabe an die amerikanischen Behörden durch die FINMA erfolgte noch am gleichen Tag.78 Danach wurde die Öffentlichkeit informiert.79 Die Übergabe von Kundendaten der UBS an die amerikanischen Behörden hatte verschiedene Auswirkungen: Am 19. Februar 2009 reaktivierte der IRS das John Doe Summons (zivilrechtliches Verfahren) gegen die UBS. Auch vor dem Hintergrund des Drucks der EU und der OECD beschloss der Bundesrat
am 25. Februar 2009, den aktuellen Konflikt mit den USA im Hinblick auf den Finanzplatz Schweiz und die Verhandlungen mit der EU und den USA vertieft zu analysieren, um Mass-

74 75 76 77 78 79

Kapitel 3.5.1.14.

Kapitel 3.5.1.15.

Kapitel 3.5.2.1.

Kapitel 3.5.2.2.

Kapitel 3.5.2.4.

Sowohl durch eine Medienmitteilung der FINMA wie auch durch eine Erklärung des Bundesrats; vgl. Kapitel 3.5.2.5.

3116

nahmen ergreifen zu können. Er setzte dafür einen Ausschuss ein.80 Eine superprovisorische Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verhinderung der Übergabe von Bankkundendaten kam zu spät.81 Am 13. März 2009 informierte der Bundesrat die Öffentlichkeit, dass die Schweiz den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen übernehmen wolle. In der Folge nahmen die Schweizer Behörden die Neuverhandlung des DBA mit den USA auf, um eine Lösung zu finden, welche auch die Zivilklage des IRS gegen die UBS erfasst. Die Verhandlungen resultierten Mitte August 2009 in einem Abkommen zwischen der Schweiz und den USA über ein Amtshilfegesuch des IRS betreffend UBS, das am 19. August 2009 in Kraft trat. Das Abkommen sieht u. a. vor, dass die Zivilklage des IRS (John Doe Summons) in ein ordentliches Amtshilfegesuch überführt wird und die USA auf unilaterale Massnahmen zur Durchsetzung der IRSForderungen verzichten. Im Gegenzug verpflichtete sich die Schweiz, maximal 4 450 Fälle im Rahmen dieses neuen Amtshilfegesuchs innert eines Jahres zu bearbeiten.

Die schweizerischen Behörden zogen zu diesem Zweck eine grosse Projektorganisation auf und besprachen das Vorgehen auch mit dem Bundesverwaltungsgericht.82 10. Bewertungen und Schlussfolgerungen der GPK Bevor auf die Bewertungen des Behördenverhaltens eingegangen wird, ist daran zu erinnern, dass diese Affäre durch das Fehlverhalten der UBS und von Mitarbeitenden der Bank verursacht wurde. Die Untersuchungen der amerikanischen Behörden trugen dazu bei, dass sich die schweizerischen Behörden mit dem Verhalten der UBS befassten. Allerdings zeugt die Art und Weise des amerikanischen Vorgehens von einem fehlenden Respekt gegenüber der schweizerischen Rechtsordnung. Die GPK verurteilen beide Verhaltensweisen aufs Schärfste.83 11. Eidgenössische Bankenkommission/Finanzmarktaufsicht FINMA Die EBK/FINMA hat bei der Bewältigung der Probleme, die aus dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA und den damit verbundenen amerikanischen Untersuchungen entstanden, eine zentrale Rolle gespielt.

Sie erkannte frühzeitig, dass die erwähnten Untersuchungen potenziell zum Aufeinanderprallen der amerikanischen und schweizerischen Rechtsordnungen führen könnten und bezog rasch die zentrale Bundesverwaltung ein. Der Vertreter der EBK war in der Arbeitsgruppe
Karrer aktiv an einer Lösungsfindung beteiligt.

Ab Herbst 2008 kamen immer wieder massgebende Impulse von der EBK zuhanden der betroffenen Bundesverwaltungsstellen und des Vorstehers des EFD. Die ersten schriftlichen Handlungsoptionen, die sich nicht auf ihre eigenen, sondern auf die Kompetenzen des Bundesrats und der Bundesverwaltung abstützten, kamen von der EBK. Allerdings stellt sich für die GPK die Frage, ob sich dadurch die anderen Behörden nicht faktisch ­ zumindest teilweise ­ aus der Verantwortung genommen haben. Die EBK/FINMA muss sich aus Sicht der GPK vorwerfen lassen, dass sie zu 80 81 82 83

Kapitel 3.5.4.1.

Kapitel 3.5.4.1.

Detaillierte Ausführungen zur Phase nach dem 18.2.2009 finden sich im Kapitel 3.5.4.

Kapitel 3.6.8.1.

3117

keinem Zeitpunkt den Gesamtbundesrat mit einem formellen Schreiben auf die gravierende Lage und die Dringlichkeit aufmerksam machte. Die GPK sind der Ansicht, dass der Zugang des Verwaltungsratspräsidenten der FINMA zum Gesamtbundesrat und zu dessen Wirtschaftsausschuss in Zukunft gewährleistet sein muss (Motion 1).

Es war auch die EBK, welche im Dezember 2008 die Situation aus damaliger Sicht deblockierte, indem sie den Vorschlag einer Datenherausgabe gestützt auf das Bankengesetz erarbeitete und der UBS signalisierte, dass im Notfall eine Datenherausgabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens möglich sein werde. Letztlich gelang es der EBK/FINMA, mit ihrem Vorgehen und ihrer Federführung, im Jahr 2009 zumindest eine Teillösung des Problems zu erzielen und eine existenzgefährdende Anklageerhebung gegen die UBS zu verhindern.

Die EBK/FINMA war auch für das von der SEC initiierte Amtshilfeverfahren verantwortlich. Sie führte zudem im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit eine eigene Untersuchung gegen die UBS durch und begutachtete die UBS-interne Untersuchung.

Allerdings vermochten die EBK-Untersuchung ­ aufgrund ihrer substanziellen Abhängigkeit von den Erkenntnissen der UBS-internen Abklärungen ­ und die Aussage der EBK, es seien keine Hinweise auf ein «aktives» Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer über die Verfehlungen gefunden worden, die GPK nicht zu überzeugen.

Die GPK erachten es als wichtig, dass die Frage, wie viel die oberste Leitung der UBS von den QIA-Verletzungen der Bank wusste, angesichts der grossen Tragweite dieser Affäre durch die FINMA auch ohne aktuelles Rechtsschutzinteresse vertieft abgeklärt wird. Sollten sich in Zukunft ähnliche Fälle ereignen, wäre die Gewährsfrage von Amtes wegen und systematisch zu klären (Empfehlung 10).

Die vorliegende Inspektion der GPK hat gezeigt, dass die teilweise bestehende Abhängigkeit der schweizerischen Bankenaufsicht von den Banken verringert werden muss. So ist rückblickend kritisch festzustellen, dass die EBK bis Dezember 2007 keine Hinweise auf Mängel im grenzüberschreitenden Geschäft der UBS hatte.

Die GPK sind auch der Ansicht, dass die EBK den QIA-inhärenten Risiken in Bezug auf die schweizerische Rechtsordnung zu wenig Bedeutung beimass und generell im grenzüberschreitenden Geschäft der Banken in Zukunft den Compliance-Risiken grössere
Aufmerksamkeit schenken muss.

Die GPK beurteilen den Informationsfluss und die Zusammenarbeit der EBK, FINMA mit der Bundesverwaltung und der SNB in diesem Dossier als gut.

Die GPK sind im Übrigen der Auffassung, dass die FINMA in schwerwiegenden Fällen vor einer Déchargeerteilung einwandfrei klären muss, ob die obersten Chargen einer Bank gegen die Gewährserfordernisse für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit verstossen haben. Dies führte die GPK zum Schluss, dass die zuständigen Legislativkommissionen die gesetzlichen Regelungen der Déchargeerteilung durch die Generalversammlung im Bankensektor überprüfen sollten (Empfehlung 11).84

84

Kapitel 3.6.1.6.

3118

Einen weiteren Handlungsbedarf erkannten die GPK bei der Rolle der Revisionsfirmen: Die Revisionsfirma der UBS hat bezüglich der Aufdeckung der Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA keinen Mehrwert erbracht. Die GPK beantragen deshalb dem Parlament, den Bundesrat zu beauftragen, die von der schweizerischen Gesetzgebung definierte Rolle der Revisionsfirmen bei Prüfungen von Grossbanken zu überprüfen (Postulat 1).85 12. Schweizerische Nationalbank Die Vertreter der SNB intervenierten nicht nur wiederholt bei ihren amerikanischen Amtskollegen zugunsten der schweizerischen Behörden, sondern gewährleisteten auch schon ab Sommer 2008 die Übermittlung entscheidender Informationen zur Gefahr einer Strafklage gegen die UBS an die zuständigen schweizerischen Behörden. Der SNB kommt ebenfalls das Verdienst zu, den Bundesrat Mitte Dezember 2008 über die inhärenten Risiken des Dossiers mit klaren Worten informiert zu haben. Demgemäss muss die SNB gegenüber den politischen und administrativen Behörden auch in Zukunft die Rolle der Wächterin und Bewahrerin der schweizerischen Finanzstabilität übernehmen. In dieser Absicht und in Anbetracht ihrer zentralen Rolle für den Erhalt und das Überleben des Finanzplatzes Schweiz muss sie regelmässig mit dem Bundesrat in Kontakt sein (Empfehlung 12).86 13. Eidgenössisches Finanzdepartement Das EFD hat im Mai 2008 sehr schnell reagiert und eine richtig zusammengesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt. Nicht zu überzeugen vermag jedoch die Konzipierung der Arbeitsgruppe. Sie hatte weder einen schriftlichen Auftrag noch besondere Befugnisse und nahm sich u. a. deshalb nicht frühzeitig umfassend der Problematik der Datenübermittlung bzw. der Aushöhlung des Bankgeheimnisses an. Sie beschränkte sich darauf, die amerikanischen Behörden auf den Amtshilfeweg zu führen und existierte danach in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr. Obwohl in der Regel die Mehrheit der Mitglieder der Arbeitsgruppe auch nach Mitte Juli 2008 im Informationsfluss blieben, führten die erhaltenen Informationen nur selten zu expliziten Anträgen an die vorgesetzten Stellen. Die GPK kommen nicht umhin, die Mängel in der Projektorganisation dem federführenden Vorsteher des EFD anzulasten.87 Das EFD hat sich in der Frage der Datenübermittlung für den Amtshilfeweg eingesetzt,
um dem Anliegen der amerikanischen Behörden möglichst rasch innerhalb der Grenzen der schweizerischen Rechtsordnung entgegenzukommen. Es verkannte jedoch die Problematik dieses Ansatzes, indem es vorgängig keine Abklärungen zur Angemessenheit der personellen Ressourcen in der ESTV und keine entsprechenden Massnahmen traf. Auch der Vorsteher des EFD hat es unterlassen, EFD-intern rechtzeitig die nötigen Abklärungen zu veranlassen und hernach die notwendigen Massnahmen zu treffen, um eine rasche Abwicklung des Amtshilfeersuchens aus den USA zu gewährleisten. Die GPK bemängeln ebenfalls die ungenügende Absprache des EFD mit dem Bundesverwaltungsgericht bezüglich des Vorgehens der ESTV und 85 86 87

Kapitel 3.6.1.7.

Kapitel 3.6.2.

Kapitel 3.6.3.1.

3119

des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen des Amtshilfeverfahrens. Damit wurde eine wichtige Chance vertan, die Forderungen der USA zeitgerecht in rechtsstaatlichen Bahnen zu behandeln. Wie sich im Sommer 2009 zeigen sollte, wäre die Schaffung adäquater Rahmenbedingungen auch schon in dieser Phase grundsätzlich möglich gewesen.88 Die Untersuchung der GPK ergab, dass der Vorsteher des EFD stets gut über die neusten Entwicklungen in diesem Dossier informiert wurde und dass die von departementsfremden Akteuren erhaltenen Informationen durchwegs zuverlässig waren.

Allerdings ging der Vorsteher des EFD gestützt auf sein staatspolitisches Verständnis immer davon aus, dass eine staatliche Massnahme zur Herausgabe der Bankkundendaten ausserhalb des Amtshilfeverfahrens nur als ultima ratio in Frage käme. Dadurch wurden weitere Massnahmen erst geprüft, als faktisch kein Spielraum mehr für solche bestand. So ist auch zu erklären, dass der Gesamtbundesrat zu spät durch das EFD einbezogen wurde. Eine frühzeitige Nutzung des Handlungsspielraums hätte u. a. bedingt, dass eine umfassende Finanzplatzstrategie vorgelegen wäre. Durch dieses Verhalten hat sich der Vorsteher des EFD der Nutzung potenzieller Handlungsoptionen des EFD und des Bundesrats beraubt. Dies war aus Sicht der GPK ein verhängnisvoller Fehler. Obwohl die GPK nicht abschliessend klären konnten, inwieweit der Vorsteher des EFD die schwierige Situation in der ESTV verfolgte, muss aus der Entwicklung des Dossiers gefolgert werden, dass er ihr zu wenig Aufmerksamkeit widmete. Dies widerspiegelte sich auch in seiner Information des Gesamtbundesrats.89 Im Weiteren beurteilen die GPK die Zusammenarbeit der betroffenen Departementsvorstehenden (EFD, EDA, EJPD) als ungenügend. Auf dieser Stufe erfolgten keine regelmässigen bilateralen oder trilateralen Gespräche zu diesem Dossier. Es fanden nur punktuelle bilaterale Gespräche zwischen dem Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EJPD statt.90 Das federführende EFD, aber auch der Gesamtbundesrat unterliessen es zudem, Handlungsoptionen ausserhalb der Amtshilfe rechtlich fundiert zu überprüfen oder überprüfen zu lassen: Weder die Herausgabe der Daten gestützt auf das Notrecht des Bundesrats noch die Herausgabe gestützt auf die Artikel 25 und 26 Bankengesetz wurden durch das EFD vertieft abgeklärt. Insbesondere
dem Staatshaftungsaspekt wurde durch das EFD zu wenig Rechnung getragen.91 14. Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten/ Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Die Schweizer Botschaft in den USA, die Politische Abteilung V des EDA und das BJ haben bei der Bearbeitung der anfallenden Fragen eine wichtige Rolle gespielt und im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen ihr Möglichstes getan, um die von den amerikanischen Untersuchungen ausgelöste Problematik geordnet einer Lösung zuzuführen. Die GPK hätten jedoch einen weitergehenden Einbezug des BJ z. B. zum 88 89 90 91

Kapitel 3.6.3.2.

Kapitel 3.6.3.4.

Kapitel 3.6.3.4.

Kapitel 3.6.3.5.

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Notrecht und zum Staatshaftungsrisiko begrüsst. Für die Zukunft richten sie eine entsprechende Empfehlung an den Bundesrat (Empfehlung 14), die einen systematischen Einbezug des BJ bei wichtigen Rechtsfragen zugunsten des Bundesrats anregt.

Bei beiden Departementen hätte das Generalsekretariat oder der Staatssekretär des EDA in den Informationsfluss eingebunden werden bzw. eine aktive Rolle innehaben müssen. Ob dies beim EDA der Fall war, konnte nicht restlos geklärt werden. Beim EJPD war das Generalsekretariat nicht eingebunden. Bei wichtigen Geschäften muss dies in Zukunft in allen Departementen gewährleistet sein (Empfehlung 13).

Eine weitere Parallele zwischen den beiden Departementen liegt darin, dass beide Vorsteherinnen über die ihnen unterstellten Dienststellen bzw. über die Stellvertretung des Vorstehers des EFD vertiefte Informationen über dieses Dossier hatten oder hätten haben können, diese aber nicht genügend nutzten, um im Bundesrat ihre Verantwortung als Mitglied des Kollegiums adäquat wahrzunehmen. Beide Departemente unterliessen es auch, im Rahmen der jeweiligen Departementskompetenzen die Problematik des Dossiers breiter zu analysieren.92 15. Bundesrat ­

Bewusster Verzicht auf ein Protokoll im Dossier UBS

Der damalige Bundespräsident ordnete am 26. September 2008 an, aus Vertraulichkeitsgründen auf ein Bundesratsprotokoll im Dossier UBS zu verzichten. Dagegen opponierten weder die anderen Mitglieder des Bundesrats noch die Bundeskanzlerin. Dieser Beschluss galt faktisch über den Jahreswechsel hinaus. Zu diesem Geschäft existiert aus dieser Zeit nur eine stichwortartige Zusammenfassung der Bundeskanzlei. Die GPK sind der Auffassung, dass dies nicht akzeptiert werden kann: Das Kriterium der Schriftlichkeit muss in allen Situationen, also auch bei geheimen Geschäften oder bei bloss mündlich erfolgender Information, gewahrt bleiben, und das Bundesratskollegium muss in der Lage sein, mit heiklen Informationen umzugehen.

Die Protokolle des Bundesrats sollen als Führungsinstrumente dienen. Sie müssen ebenfalls die nachträgliche Nachvollziehbarkeit der Beratungen und Beschlüsse des Bundesrats gewährleisten. In einer Motion beantragt die GPK dem Parlament, den Bundesrat zu beauftragen, eine gesetzliche Pflicht für die durchgehende Schriftlichkeit seiner Beratungen und Beschlüsse zu verankern (Motion 2). In einer Empfehlung laden die GPK den Bundesrat ein, sich für adäquate Protokolle und eine ausreichende Geschäftskontrolle auch die notwendigen Mittel zu geben (Empfehlung 15).93 ­

Unzureichende Informationsgrundlage zur Wahrnehmung der Führungsverantwortung

Der Gesamtbundesrat verfügte im Dossier zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit den USA nicht bzw. viel zu spät über die notwendigen Informationen, um seine Führungsverantwortung wahrnehmen zu können. Dadurch hat der Bundesrat 92 93

Kapitel 3.6.4.

Kapitel 3.6.5.1.1.

3121

zu lange die weitreichenden Konsequenzen dieses Konflikts auf den schweizerischen Finanzplatz unterschätzt und jeglichen Handlungsspielraum vertan.

Im Dezember 2008 schliesslich entzog sich der Bundesrat gänzlich seiner Verantwortung, indem er es der EBK überliess, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Bank vor ihrem Untergang zu retten. Staatspolitisch bedenklich ist dies u. a.

auch, weil er vorgängig die Rechtslage nicht eingehend und vertieft geprüft hat.94 ­

Überholtes Stellvertretungssystem des Bundesrats

Die Untersuchung der GPK zur Problematik rund um das grenzüberschreitende Geschäft der UBS zeigt auf, dass das heutige Stellvertretungssystem des Bundesrats in mehrfacher Hinsicht anpassungsbedürftig ist. So war die Vorsteherin des EJPD als Stellvertreterin des Vorstehers des EFD weder vorgängig durch diesen über dieses wichtige Dossier informiert worden, noch erlaubte die EFD-interne Betreuung des Dossiers eine effektive Stellvertretung während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Vorstehers des EFD. Bei dessen Rückkehr erfolgte keine geordnete Geschäftsübergabe. Auch befasste sich der Vorsteher des EFD während seiner Rekonvaleszenz zeitweilig mit den Geschäften des Departements. Die GPK empfehlen deshalb dem Bundesrat, sein Stellvertretungssystem den Anforderungen einer modernen Regierungstätigkeit anzupassen (Empfehlung 16).95 ­

Stärkung der Bundesratsausschüsse als Ausgleich zur bisherigen Übergewichtung des Departementalprinzips

Aus der Sicht der GPK hat sich das (Selbst)Verständnis des Bundesrats als Kollegium ­ dieses ist durch einen weitgehenden Departementalansatz geprägt ­ in der vorliegenden Inspektion als Haupthindernis für eine hinreichende und frühzeitige Einbindung des Bundesratskollegiums erwiesen. Wiederholtes Nachfragen im Kollegium zu einem bestimmten Geschäft wird als Angriff auf das Kollegialitätsprinzip verstanden bzw. birgt die Gefahr, dass es so verstanden wird. Auch vom Instrument des Mitberichts wird nur zurückhaltend Gebrauch gemacht, damit die Vorsteherin oder der Vorsteher des federführenden Departements sich nicht persönlich angegriffen fühlt. Um das Departementalprinzip in ein Gleichgewicht mit dem Kollegialprinzip zu bringen, muss aus Sicht der GPK das Instrument von 3er-Ausschüssen des Bundesrats vermehrt und systematischer zur Anwendung gelangen und im Grundsatz gesetzlich geregelt werden (Motion 3). Das Instrument hat sich insbesondere ab März 2009 im Hinblick auf die Verhandlungen mit den USA bewährt.96 ­

Stärkung der Wahrnehmung der kollektiven Verantwortung des Bundesrats

Die vorliegende Untersuchung der GPK hat aufgezeigt, dass der Bundesrat seine Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde des Landes im Dossier des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS nicht wahrgenommen hat.

Einerseits lag dies am Selbstverständnis des Bundesrats als Kollegium, andererseits auch an der zu weit gehenden Umsetzung des Departementalprinzips. Diese gravierende Schlussfolgerung, die schon in früheren Untersuchungen ähnlich gezogen 94 95 96

Kapitel 3.6.5.1.2.

Kapitel 3.6.5.1.3.

Kapitel 3.6.5.1.4.

3122

werden musste, zeigt einen dringenden Handlungsbedarf auf. In einer Motion und in einer Empfehlung fordern die GPK im Rahmen der Regierungsreform Massnahmen, damit der Bundesrat die wichtigen Geschäfte nicht nur formell, sondern auch effektiv als Kollegium führt und die kollektive Verantwortung dafür wahrnimmt (Motion 4 und Empfehlung 17).

16. Bundeskanzlei Auch wenn die Bundeskanzlei durch die nachträgliche Erstellung eines summarischen Protokolls einen wichtigen Beitrag geleistet hat, damit die Beratungen des Bundesrats zumindest in ihren Grundzügen nachvollzogen werden können, gelangen die GPK zum Schluss, dass sie ihre Aufgabe als Stabsstelle des Bundespräsidenten und des Gesamtbundesrats nur sehr unzureichend wahrgenommen hat. Die Bundeskanzlei muss in Zukunft ihre Aufgabe umfassender und mit mehr Durchsetzungskraft ausüben. Dies ist für die GPK ein wichtiger Punkt der zurzeit hängigen Regierungsreform. Als unmittelbare Massnahme formulierten die GPK eine Empfehlung zu einem umfassenden Controlling der Bundeskanzlei i. S. Aufträge des Gesamtbundesrats an ein oder mehrere Departemente (Empfehlung 18).

17. Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht wurde durch die schweizerischen Behörden schlecht und zu spät über die Begehren der amerikanischen Behörden und das in der Folge eingeleitete Amtshilfeverfahren der ESTV informiert. Gemäss dem Bundesverwaltungsgericht erfuhr es erst am 17. Oktober 2008 anlässlich der ersten Schlussverfügung der ESTV aus den Medien von diesem Dossier. Auch wenn die von der ESTV erhaltene anderslautende Information, wonach eine Kontaktaufnahme mit dem Bundesverwaltungsgericht schon im September 2008 erfolgte, stimmen sollte, ist die Information des Bundesverwaltungsgerichts spät erfolgt. Das Gericht wurde auch zu wenig über die stetig zunehmende Dringlichkeit einer Datenübergabe informiert. Es ist positiv zu würdigen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Herbst 2008 für die Besprechung des Vorgehens mit der ESTV zur Verfügung stand und ein solches Gespräch auch stattfand. Die GPK konnten auch feststellen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Möglichkeiten organisatorische Massnahmen ergriff, um möglichst schnell allfällige Beschwerden gegen Schlussverfügungen zu behandeln. Der erste Entscheid erfolgte dann am 5. März 2009.

Über den Entscheid
der FINMA vom 18. Februar 2009 erfuhr das Bundesverwaltungsgericht aus der Presse und reagierte sofort mit superprovisorischen Verfügungen.97 18. Weitere Feststellungen der GPK Im Weiteren veranlasste die Untersuchung die GPK zu folgenden vier allgemeinen Feststellungen: ­

97

Zwei Faktoren begrenzten die Lösungsfindung: So war man einerseits sowohl auf der Stufe der Bundesverwaltung wie auch des Bundesrats zu lange nicht gewillt, den Themenkreis der Unterscheidung SteuerhinterzieKapitel 3.6.7.

3123

hung/Steuerbetrug/Artikel 26 OECD-Musterabkommen im Lichte der Ereignisse kritisch zu hinterfragen. Andererseits beeinflusste die Wertung von Verwaltungsvertretern wie auch des Bundesrats, dass die UBS das Problem selbst verursacht habe und es deshalb auch selbst lösen müsse, die Lösungsfindung negativ.98 ­

Unzureichende Anfangsinformation der Behörden: Die GPK stellten widersprüchliche Aussagen zur Ausgangssituation fest. So gaben Verwaltungsvertreter zu Protokoll, dass die UBS bis in den Sommer 2008 hinein immer wieder signalisiert hätte, das Problem könnte allenfalls mit einem Vergleich gelöst werden, während die UBS-Vertreter die GPK informierten, dass früh klar gewesen sei, dass ein Vergleich nicht ohne Datenübergabe erzielt werden könne. Die schweizerischen Behörden wiesen bei ihren Lagebeurteilungen oft eine zu grosse Abhängigkeit von der UBS auf und gelangten so zu nicht ausreichend klaren Schlüssen.99

­

Unklarheiten bezüglich der Konformität des QIA mit der schweizerischen Rechtsordnung und bezüglich dessen Bewilligung gemäss Artikel 271 Strafgesetzbuch (StGB): Das EFD erteilte am 7. November 2000 den mit der Anwendung des QIA befassten Personen eine Bewilligung gemäss Artikel 271 StGB, damit die im Vertrag (QIA) vorgesehenen Handlungen dieser Personen zugunsten des IRS durchgeführt werden durften. Die GPK orteten in diesem Bereich vertieften Abklärungsbedarf: So stellt sich vorab die Frage, ob die Erteilung einer solchen unbefristeten (Global-)Bewilligung an einen Kreis von unbestimmten Personen überhaupt zulässig war und welche Instanz diese Bewilligung hätte erteilen müssen. Die GPK beantragen dem Parlament, den Bundesrat zu beauftragen, die Fragen rund um die Anwendung des Artikels 271 StGB sowie zur Kompatibilität des QIA mit dem schweizerischen Bankkundengeheimnis in einem vertieften Bericht abzuklären (Postulat 2).100

­

Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung/Misswirtschaft: Angesichts der Ereignisse im Fall UBS und ihren diesbezüglichen Feststellungen beantragen die GPK dem Parlament, den Bundesrat zu beauftragen, eine Revision der Artikel 164 und 165 StGB vorzuschlagen, damit deren Anwendbarkeit auf Grossunternehmungen erweitert wird, falls diese aufgrund ihrer Systemrelevanz für die schweizerische Volkswirtschaft und die Finanzstabilität durch staatliche Interventionen vor ihrem Untergang bewahrt werden müssen (Motion 5).101

19. GPK nehmen die UBS in die Pflicht Im Übrigen haben die GPK festgestellt, dass in der Öffentlichkeit ein grosses Bedürfnis nach Transparenz bezüglich der bankinternen Vorgänge und Verantwortlichkeiten besteht. Deshalb haben die GPK den Bundesrat und die UBS aufgefor98 99 100 101

Kapitel 3.6.8.2.

Kapitel 3.6.8.3.

Kapitel 3.6.8.5.

Kapitel 3.6.8.6.

3124

dert, die bankinternen Vorgänge durch ein unabhängiges Gremium aufzuarbeiten und die Resultate zu veröffentlichen (Empfehlung 19).

Weiteres Vorgehen Nachdem die GPK ihre Aufgabe der parlamentarischen Oberaufsicht wahrgenommen haben, obliegt es nun den betroffenen Behörden, insbesondere dem Bundesrat, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Die GPK erwarten bis Ende 2010 die Stellungnahmen des Bundesrats, der FINMA und der SNB zu ihrer Untersuchung.

3125

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

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Abkürzungsverzeichnis

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1 Einführung 1.1 Ausgangslage 1.2 Gesetzlicher Auftrag und Untersuchungsgegenstand 1.3 Schranken der Untersuchung 1.4 Zweck der Untersuchung 1.5 Vorgehen der GPK 1.5.1 Untersuchungszeitraum und Berichtsstruktur 1.5.2 Methodisches Vorgehen 1.5.3 Ausübung der Informationsrechte 1.5.4 Weitere schwierige Rahmenbedingungen der Untersuchung

3137 3137 3139 3140 3140 3141 3141 3141 3142 3142

2 Untersuchung I: Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2.1 Einführung 2.1.1 Im Kontext einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2.1.2 Bedeutung des Finanzsektors 2.1.3 Gegenstand der Untersuchung 2.1.4 Vorgehensweise 2.1.5 Kompetenzen der wichtigsten Akteure 2.2 Nationale Vorbereitungsmassnahmen für den Krisenfall 2.2.1 Bildung von Strukturen zur Zusammenarbeit und Steuerung 2.2.2 Spezifische Massnahmen der EBK bzw. der SNB 2.3 Kapazität zur Erkennung der Krise und ihrer Auswirkungen 2.3.1 Früherkennungskapazität der EBK 2.3.2 Früherkennungskapazität der Schweizerischen Nationalbank 2.3.3 Koordination zwischen den Behörden, Mitwirkung des Eidgenössischen Finanzdepartements und des Bundesrats 2.3.4 Beurteilung im internationalen Vergleich 2.3.4.1 Unterschiedliche Strukturen der Aufsichtsbehörden 2.3.4.2 Unterschiedliche Ressourcen der Aufsichtsbehörden 2.3.4.3 Probleme der Finanzaufsicht 2.4 Auswirkungen der Krise auf den Schweizer Bankensektor 2.4.1 UBS 2.4.2 Credit Suisse 2.4.3 Situation der anderen Schweizer Banken 2.5 Krisenmanagement: Massnahmen der schweizerischen Behörden (August 2007 bis April 2009) 2.5.1 August bis September 2007: Beginn der Krise und erste Massnahmen der Behörden 2.5.1.1 August 2007: Liquiditätsversorgung durch die SNB 2.5.1.2 August 2007: Verstärkung des Monitoring der Märkte durch die SNB

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2.5.1.3 August 2007: Verstärkung des Monitoring der beiden Grossbanken durch die EBK 2.5.1.4 August 2007: Erhöhung der Eigenmittelanforderungen durch die EBK 2.5.1.5 September 2007: Anpassung der Geldpolitik der SNB 2.5.2 Ende 2007 bis Anfang 2008: Verschlimmerung der Lage und Verstärkung des Monitoring 2.5.2.1 Dezember 2007: EBK fordert von der UBS eine Klärung der Verlustursachen 2.5.2.2 Januar 2008: Aktivierung der Dreierinstanz und Vorbereitung eines ernsthaften Krisenszenarios 2.5.2.3 Januar 2008: EBK stellt Forderungen zur Qualität der Informationen der Grossbanken 2.5.2.4 Februar 2008: EBK verlangt Verkauf der illiquiden Aktiven der UBS 2.5.2.5 März 2008: Intensiviertes Monitoring der Credit Suisse durch die EBK 2.5.2.6 März 2008: EBK fordert Rücktritt des Verwaltungsratspräsidenten der UBS 2.5.2.7 April 2008: Bericht der UBS über erlittene Verluste wird der EBK übergeben 2.5.3 September 2008: Ernste Krise, Verschlechterung der Lage der UBS und Finalisierung des Massnahmenpakets 2.5.3.1 Expansive Geldpolitik der SNB in Absprache mit anderen Zentralbanken 2.5.3.2 Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 15. Oktober 2008 2.5.3.3 Oktober 2008: Erneute Intensivierung des Monitorings der Credit Suisse durch die EBK 2.5.3.4 Herbst: Durch die SNB angestossene Umverteilung der Liquiditäten unter den Banken 2.5.3.5 Ende 2008 bis Anfang 2009: Follow-up und Massnahmen der EBK/FINMA bezüglich der UBS 2.6 Krisenmanagement: Ausarbeitung des Massnahmenpakets (August 2007 bis Oktober 2008) und Follow-up 2.6.1 Krisenorganisation 2.6.2 Ausarbeitung konsolidierter Optionen durch die Behörden 2.6.3 Akute Krisensituation: Letzte Änderungen und Lancierung des Massnahmenpakets 2.6.4 Follow-up 2.7 Krisenmanagement: Beurteilung des Verhaltens der schweizerischen Behörden im internationalen Vergleich durch externe Gutachten 2.7.1 Beurteilung der durch die GPK beauftragten Gutachter 2.7.1.1 Geldpolitik 2.7.1.2 Hilfsmassnahmen für den Bankensektor im internationalen Vergleich 2.7.1.3 Vergleich des Umfangs der Hilfsmassnahmen für den Bankensektor

3170 3171 3171 3171 3172 3172 3173 3173 3174 3175 3175 3176 3176 3177 3179 3180 3180 3181 3182 3185 3192 3196 3198 3199 3199 3199 3202 3127

2.7.1.4 Vergleich der Massnahmen und ihrer Ausarbeitung 2.7.2 Gutachten des IWF und der OECD 2.7.3 Von der EFV bestellte Gutachten 2.8 Steuerung durch den Bundesrat 2.8.1 Informationsgrundlagen des Vorstehers des EFD 2.8.2 Information des Kollegiums durch den Vorsteher des EFD 2.8.3 Entwicklung der Rolle und der Steuerung des Bundesrats 2.9 Lehren aus der Krise: Schritte der Behörden 2.9.1 Einführung 2.9.2 Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik 2.9.3 Bankenregulierung und «Too big to fail»-Problematik 2.9.3.1 Massnahmen im Bereich Regulierung 2.9.3.2 Laufende Projekte im Bereich Regulierung 2.9.4 Organisation der Finanzmarktaufsicht 2.9.4.1 Massnahmen im Bereich Finanzmarktaufsicht 2.9.4.2 Laufende Projekte im Bereich Finanzmarktaufsicht 2.9.5 Expertenbeurteilung der Lehren, welche die schweizerischen Behörden aus der Krise gezogen haben 2.9.5.1 Im Bereich Regulierung 2.9.5.2 Im Bereich Finanzmarktaufsicht 2.10 Beurteilungen und Empfehlungen 2.10.1 Vorbereitungen der Behörden in Bezug auf die Krisenorganisation 2.10.2 Schritte und Zuständigkeiten der Behörden in Bezug auf die Früherkennung und die Aufsichtspraxis 2.10.3 Koordination und Schritte der Behörden während der Krise 2.10.4 Aus der Krise zu ziehende Lehren der Behörden 2.10.5 Informationsgrundlagen des Bundesrats 2.10.6 Steuerung der Finanzkrise 3 Untersuchung II: Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA 3.1 Einführung 3.1.1 Ausgangslage 3.1.2 Untersuchungsgegenstand 3.1.3 Untersuchungszeitraum und Berichtsstruktur 3.2 Ursachen und Entwicklung der UBS-Cross-border-Affäre (2001 bis 7. März 2008) 3.2.1 Die Phase von 2001 bis Herbst 2007 3.2.1.1 Das Doppelbesteuerungsabkommen von 1996 (DBA) 3.2.1.2 Qualified Intermediary Agreement von 2001 (QIA) 3.2.1.3 Entwicklung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA 3.2.1.4 Die interne Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS 3.2.1.5 Rolle der Behörden in dieser Phase 3.2.2 Die Phase von Herbst 2007 bis 7. März 2008

3128

3202 3204 3205 3205 3206 3207 3210 3213 3213 3215 3216 3216 3218 3221 3221 3222 3225 3225 3226 3229 3229 3230 3234 3235 3236 3236 3238 3238 3238 3239 3239 3240 3240 3240 3241 3243 3246 3247 3248

3.2.2.1 Untersuchungen der amerikanischen Behörden/Einleitung einer UBS-internen Untersuchung 3.2.2.2 Kontaktaufnahme der SEC mit der EBK im Dezember 2007 3.2.2.3 Einbezug des EFD, des EJPD und des EDA am 7. März 2008 3.2.2.4 Rolle der Behörden in dieser Phase 3.3 Der Weg zum Amtshilfegesuch des IRS (7.3.2008 bis 29.8.2008) 3.3.1 Der schweizerische Staat: Vom Beobachter zum Akteur (7.3.2008 bis 21.4.2008) 3.3.2 Amtshilfegesuch der USA als Ziel: Arbeitsgruppe Karrer (21.4.2008 bis 29.8.2008) 3.3.2.1 Folgen der Verhaftung von Martin Liechti 3.3.2.2 Beginn der Verhandlungen zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden 3.3.2.3 Schaffung der Arbeitsgruppe Karrer 3.3.2.4 Die Option einer gemeinsamen Untersuchung von EBK und DOJ 3.3.2.5 Rechtshilfegesuch 3.3.2.6 Eine Schweizer Delegation in Washington 3.3.2.7 Verhandlung eines Zeitplans mit dem DOJ 3.3.2.8 Amtshilfegesuch des IRS vom 16. Juli 2008 3.3.2.9 Anhörung des Chief Financial Officer der UBS durch einen Unterausschuss des amerikanischen Senats am 17. Juli 2008 3.3.2.10 ESTV tritt auf Amtshilfegesuch des IRS ein 3.3.2.11 Ausweitung der vom Amtshilfegesuch betroffenen Fälle 3.3.3 Rolle der Behörden in dieser Phase 3.3.3.1 Allgemein 3.3.3.2 Eidgenössische Bankenkommission 3.3.3.3 Arbeitsgruppe Karrer 3.3.3.4 Eidgenössisches Finanzdepartement 3.3.3.5 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten 3.3.3.6 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement 3.3.3.7 Bundesrat 3.4 Grundsätzliche Differenzen zwischen den USA und der Schweiz: Der Druck auf die Schweiz nimmt stetig zu (26. August bis 19. Dezember 2008) 3.4.1 Die unterschiedlichen Positionen zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden 3.4.1.1 Plan für die Verhandlungen 3.4.1.2 Position des DOJ 3.4.1.3 Position der EBK 3.4.1.4 Erstmalige Information des Gesamtbundesrats 3.4.1.5 Entgegengesetzte Positionen 3.4.2 Treffen mit Vertretern des DOJ und des Treasury am 10. und 17. Oktober 2008

3248 3251 3252 3253 3254 3254 3257 3257 3259 3262 3264 3268 3268 3270 3272 3274 3274 3275 3276 3276 3276 3278 3279 3282 3283 3284

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3.4.2.1 Treffen mit Vertretern des DOJ 3.4.2.2 Sitzung des Bundesrats vom 15. Oktober 2008 zur Rekapitalisierung der UBS 3.4.2.3 Treffen mit Vertretern des Treasury 3.4.2.4 Präsentation der Resultate der internen Untersuchung der UBS 3.4.3 Vom Ungenügen des Amtshilfeverfahrens: Eine Geschichte der Eskalation 3.4.3.1 Erster schriftlicher Entwurf von Handlungsoptionen kommt von der EBK 3.4.3.2 Bereinigte Fassung der Handlungsoptionen zuhanden der Vorsteherin des EJPD 3.4.3.3 Brief des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD vom 10. November 2008 an ihre amerikanischen Amtskollegen 3.4.3.4 Zunehmender Druck der amerikanischen Behörden: Anklage von Raoul Weil in den USA 3.4.3.5 Klausursitzung des Bundesrats vom 26. November 2008 zu aktuellen internationalen Steuerfragen mit Fokus auf die EU 3.4.3.6 Option des strafrechtlichen Notstandes rückt in den Hintergrund 3.4.3.7 DOJ erhöht den Druck und droht mit einer Anklage 3.4.3.8 Option eines Beschlusses des Bundesrats gestützt auf die Bundesverfassung 3.4.3.9 Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008 3.4.3.9.1 Jährliche Besprechung mit dem Präsidenten der SNB 3.4.3.9.2 Erste materielle Diskussion im Bundesrat cross-border Geschäft der UBS 3.4.3.9.3 Bundesratssitzung vom 16. Dezember 2008: Fortsetzung der Diskussion 3.4.3.10 Untersuchungsbericht der EBK vom 17. Dezember 2008 3.4.3.11 Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008: Ball ist bei der EBK 3.4.4 Rolle der Behörden in dieser Phase 3.4.4.1 Allgemein 3.4.4.2 Eidgenössische Bankenkommission 3.4.4.3 Schweizerische Nationalbank 3.4.4.4 Noch eingebundene Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer 3.4.4.5 Eidgenössisches Finanzdepartement 3.4.4.6 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten 3.4.4.7 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement 3.4.4.8 Bundesrat 3.4.4.9 Bundesverwaltungsgericht

3130

3296 3297 3298 3299 3301 3301 3302 3305 3305 3309 3312 3312 3314 3316 3316 3316 3318 3320 3322 3325 3325 3326 3329 3330 3330 3334 3338 3339 3340

3.5 Rückzug des Bundesrats: Die EBK/FINMA übernimmt die Federführung (19. Dezember 2008 bis 18. Februar 2009) 3.5.1 Vorbereitungen auf das DPA vor dem Hintergrund von Divergenzen 3.5.1.1 Schlussfolgerungen der EBK aufgrund ihrer Untersuchung 3.5.1.2 Vergleichsvorschlag der UBS-Anwälte 3.5.1.3 Situationsanalyse der ESTV 3.5.1.4 Massnahmen der FINMA im Hinblick auf eine Herausgabe von Kundendaten 3.5.1.5 Kontakte mit den amerikanischen Behörden 3.5.1.6 Divergenzen über die Bedingungen des DPA 3.5.1.7 Entwurf der EFV für eine allfällige Kommunikation 3.5.1.8 Vorbehalte gegenüber den Bedingungen des DPA 3.5.1.9 Divergierende Ansicht der EFV über die weiteren Schritte 3.5.1.10 Brief der UBS an den Vorsteher des EFD vom 5. Februar 2009 3.5.1.11 Kontaktaufnahme des DOJ mit der schweizerischen Botschaft in den USA 3.5.1.12 Erneute Vorbehalte der ESTV gegenüber den Eckwerten des DPA 3.5.1.13 Diskussion im Bundesrat über den UBS-Vergleich und die Revision des DBA 3.5.1.14 Einladung an die Schweiz zur Teilnahme am Hearing des Untersuchungsausschusses des amerikanischen Senats 3.5.1.15 Information der FINMA über die Anklagedrohung gegen die UBS 3.5.2 Übergabe von Kundendaten an die USA am 18. Februar 2009 3.5.2.1 Schlussvorbereitungen zur Herausgabe von Kundendaten 3.5.2.2 Anklagedrohung gegen die UBS 3.5.2.3 Der Bundesrat befasst sich mit der unmittelbar bevorstehenden Übergabe von Kundendaten 3.5.2.4 FINMA beschliesst Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes 3.5.2.5 FINMA orientiert die Öffentlichkeit über die Übergabe der Kundendaten 3.5.3 Rolle der Behörden in dieser Phase 3.5.3.1 Allgemein 3.5.3.2 EBK/FINMA 3.5.3.3 Schweizerische Nationalbank 3.5.3.4 Eidgenössisches Finanzdepartement 3.5.3.5 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten 3.5.3.6 Bundesrat 3.5.3.7 Bundesverwaltungsgericht 3.5.4 Folgen der Datenübergabe vom 18. Februar 2009 3.5.4.1 Wieder zunehmender Druck der USA über das zivilrechtliche Verfahren gegen die UBS

3341 3341 3341 3342 3343 3344 3346 3347 3348 3349 3350 3351 3352 3353 3354 3355 3356 3357 3357 3361 3362 3366 3367 3368 3368 3368 3371 3371 3375 3375 3376 3377 3377

3131

3.5.4.2 Forderungen der EU/Artikel 26 des OECD-Abkommens/Revision des DBA Schweiz ­ USA 3.6 Übergreifende Beurteilung des Verhaltens der schweizerischen Behörden und Schlussfolgerungen 3.6.1 Eidgenössische Bankenkommission/FINMA 3.6.1.1 Allgemein 3.6.1.2 Verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem Verhalten der EBK/FINMA 3.6.1.2.1 Kehrseite der aktiven Rolle der EBK/FINMA 3.6.1.2.2 Ressourcenausstattung der EBK als Problem 3.6.1.2.3 Abhängigkeit von den Informationen der Bank als Problem 3.6.1.3 Grenzüberschreitendes Geschäft der Banken als besondere Herausforderung für die EBK/FINMA 3.6.1.4 Untersuchung der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA 3.6.1.5 Angemessenheit der Kommunikation 3.6.1.6 Déchargeerteilung an die UBS-Verantwortlichen 3.6.1.7 Rolle der Revisionsfirma der UBS im Zusammenhang mit dem QIA 3.6.2 Schweizerische Nationalbank 3.6.3 Eidgenössisches Finanzdepartement 3.6.3.1 Allgemeines 3.6.3.2 Problematik der Amtshilfe 3.6.3.3 Beurteilung der Informationen des Leiters der Arbeitsgruppe und der weiteren Akteure an den Vorsteher des EFD 3.6.3.4 Informationsaustausch mit den Vorsteherinnen des EJPD und des EDA/Information des Bundesrats durch das EFD 3.6.3.5 Rechtliche Expertise im EFD 3.6.4 EDA und EJPD 3.6.5 Bundesrat 3.6.5.1 Allgemeines zur Arbeitsweise des Bundesrats 3.6.5.1.1 Schriftlichkeit der Beratungen 3.6.5.1.2 Informationsgrundlagen des Bundesrats 3.6.5.1.3 Stellvertretungssystem im Bundesrat 3.6.5.1.4 Bundesratsausschüsse als Ausgleich zum Departementalprinzip 3.6.5.2 Stärkung der Wahrnehmung der kollektiven Verantwortung des Bundesrats 3.6.6 Bundeskanzlei 3.6.7 Bundesverwaltungsgericht 3.6.8 Abschliessende Schlussfolgerungen und offen gebliebene Fragen 3.6.8.1 Fehlverhalten der UBS und fehlende Respektierung der schweizerischen Rechtsordnung durch die USA 3.6.8.2 Zwei Faktoren begrenzten die Lösungsfindung 3.6.8.3 Unzureichende Anfangsinformationen

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3380 3389 3389 3389 3390 3390 3391 3391 3392 3394 3396 3397 3398 3399 3400 3400 3401 3402 3404 3404 3405 3407 3407 3407 3409 3410 3412 3413 3414 3415 3417 3417 3418 3418

3.6.8.4 Anhörungen von ehemaligen und aktuellen Vertretern der UBS 3.6.8.5 Das QIA und die Bewilligung gemäss Artikel 271 StGB 3.6.8.6 Verschärfung des StGB

3420 3421 3422

4 GPK nehmen die UBS in die Pflicht

3423

5 Weiteres Vorgehen

3424

Anhänge 1 2 3 4 5 6 7 8

Behördenverhalten im Rahmen der Finanzmarktkrise ­ Chronologie der Ereignisse Vergleichsgrundlage für die schweizerischen Behörden Arbeitslast der Aufsichtsbeamten im internationalen Vergleich Wichtigste Referenzliteratur für den ersten Teil der Untersuchung (Finanzkrise) Reingewinn bzw. Verlust von UBS und CS pro Jahr und Quartal in Mio. Franken (2005 ­ 2010) Liste der angehörten Personen An der Berichtserstellung beteiligte Personen des Sekretariats GPK Liste der Motionen / Postulate / Empfehlungen

3425 3445 3446 3447 3449 3450 3452 3453

3133

Abkürzungsverzeichnis BA BankG BEHG BIP BIZ BJ BK BPV BV BVGer CDS CEO CMBS CS DBA DOJ DPA DRCM EBK EDA EDI EFD EFV EJPD ERV ESTV EVD FDIC Fed FFA FinDel FINKRIST FINMA FINMAG FSA FSB

3134

Bundesanwaltschaft Bundesgesetz vom 8.11.1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, SR 952.0) Bundesgesetz vom 24.3.1995 über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, SR 954.1) Bruttoinlandprodukt Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel Bundesamt für Justiz Bundeskanzlei Bundesamt für Privatversicherungen Bundesverfassung (SR 101) Bundesverwaltungsgericht Credit Default Swap Chief Executive Officer Commercial mortgage-backed securities Credit Suisse Doppelbesteuerungsabkommen Department of Justice Deferred Prosecution Agreement Dillon Read Capital Management Eidgenössische Bankenkommission Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössische Finanzverwaltung Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Verordnung vom 29.9.2006 über die Eigenmittel und Risikoverteilung für Banken und Effektenhändler (Eigenmittelverordnung SR 952.03) Eidgenössische Steuerverwaltung Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement Federal Deposit Insurance Corporation Federal Reserve System (US-Zentralbank) Früherkennung Finanzmarktregulierung Ausland Finanzdelegation Management von Krisen im Finanzsystem Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Bundesgesetz vom 22.6.2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, SR 956.1) Financial Services Authority (UK) Financial Stability Board

FSF GAFI G7 G10

Financial Stability Forum Groupe d'Action Financière Treffen der Finanzminister der sieben führenden Industrieländer Treffen der Finanzminister und der Zentralbankpräsidenten der elf führenden Industrieländer G20 Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Government of Singapore Investment Corporation GPDel Geschäftsprüfungsdelegation GPK Geschäftsprüfungskommission des National- und des Ständerates GPK-N Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats GPK-S Geschäftsprüfungskommission des Ständerats GV Generalversammlung GWM&BB Global Wealth Management & Business Banking IMF International Monetary Fund IOSCO International Organisation of Securities Commissions IRS Internal Revenue Service IRSG Bundesgesetz vom 20.3.1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, SR 351.1) i. S.

In Sachen i. V. m.

In Verbindung mit IWF Internationaler Währungsfond JDS John Doe Summons KLL Krisenleitlinien Kst GwG Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei MBS Mortgage-backed securities MoU Memorandum of Understanding NBG Bundesgesetz vom 3.10.2003 über die Schweizerische Nationalbank (Nationalbankgesetz, SR 951.11) NRA Non-Resident Alien OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OV-EFD Organisationsverordnung vom 11.12.2000 für das Eidgenössische Finanzdepartement (AS 2001 267) PA V Politische Abteilung V, Unterabteilung Wirtschaft und Finanzfragen, EDA ParlG Bundesgesetz vom 13.12.2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10) Pkt.

Punkt PSI Permanent Subcommittee on Investigations of the Committee on Homeland Security and Government Affairs PUK Parlamentarische Untersuchungskommission PVK Parlamentarische Verwaltungskontrolle QI Qualified Intermediary QIA Qualified Intermediary Agreement 3135

RMM NAM Regional Market Manager North America RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (SR 172.010) RVOV Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (SR 172.010.1) SBL Securities borrowing and lending SBV Schweizerischer Bankverein SEC US-Securities and Exchange Commission SIF Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SNB Schweizerische Nationalbank SR Systematische Rechtssammlung STAF Ständiger Ausschuss für Finanzstabilität STAFI Steuerungsausschuss Dialog Finanzplatz STASY Steuerungsausschuss Systemstabilität StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937 (SR 311.0) TARP Rettungsplan der USA TBTF Too big to fail u. U.

unter Umständen UVEK Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation VaR Value-at-Risk VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VR Verwaltungsrat VRP Verwaltungsratspräsident VStrR Bundesgesetz vom 22.3.1974 über das Verwaltungsstrafrecht (SR 313.0) WAK-S Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates WEF World Economic Forum WLRK Anwaltspraxis Wachtell, Lipton, Rosen & Katz

3136

Bericht 1

Einführung

1.1

Ausgangslage

Als die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates und die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK) am 18. März 2009 den Handlungsbedarf für die parlamentarische Oberaufsicht im Bereich der Finanzmarktkrise erörterten, waren die Auswirkungen der Finanzkrise in der Schweiz nach wie vor schwerwiegend und die weitere Entwicklung nur schwer vorhersehbar. Insbesondere zwei Ereignisse standen damals im Zentrum der öffentlichen Diskussion: Knapp fünf Monate zuvor musste die Eidgenossenschaft die UBS durch die Übernahme einer Wandelanleihe von über sechs Milliarden Franken rekapitalisieren, um einen Zusammenbruch der UBS und dessen schwerwiegende Folgen für den Finanzplatz Schweiz wie auch für die schweizerische Volkswirtschaft zu verhindern.

Gleichzeitig errichtete die Schweizerische Nationalbank (SNB) eine Zweckgesellschaft (StabFund) für die Verwertung illiquider UBS-Aktiven im maximalen Umfang von 60 Milliarden US-Dollar und übernahm mit dem StabFund von der UBS das Risiko für diese Papiere.102 Im März 2009 war noch nicht absehbar, ob und in welchem Ausmass diese Risiken den öffentlichen Finanzhaushalt und die Erfolgsrechnung der SNB belasten würden.

Die Rettung einer privatrechtlichen Unternehmung durch den Staat, welche aufgrund ihrer Grösse nicht einfach sich selbst überlassen werden konnte, stellte in verschiedener Hinsicht in der schweizerischen Geschichte ein ausserordentliches Ereignis dar und wirft bis heute in der Öffentlichkeit sowie in der Politik vielfältige und grundsätzliche Fragen auf: Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Warum hat das Risikomanagementmodell der UBS versagt? Hätte die Bankenaufsicht nicht frühzeitiger intervenieren müssen und so das Debakel verhindern können? Nahmen die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat der UBS ihre Verantwortung wahr?

War es richtig, dass sich der schweizerische Staat derart für die UBS engagierte?

Das zweite wichtige Ereignis, das auch die Diskussion in den GPK prägen sollte, trat am 18. Februar 2009 ein. An diesem Tag gab die schweizerische Bankenaufsichtsbehörde FINMA bekannt, dass sie gestützt auf Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes im Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen als auch des globalen Finanzsystems gegenüber der UBS Schutzmassnahmen verfügt habe. Diese Verfügung sah vor, dass die UBS dem amerikanischen
Justizministerium (Department of Justice, DOJ) und allenfalls weiteren mit der Verfolgung von Steuerstraftatbeständen befassten amerikanischen Behörden Daten von Kunden, bei denen gemäss der Bank Verdacht auf Steuerbetrug nach schweizerischem Recht bestand, sofort über die FINMA an die amerikanischen Behörden herauszugeben habe. Dieses Vorgehen diente dem Zweck, eine Anklageerhebung gegen die UBS in den USA und ihre als schwerwiegend beurteilten Folgen für die Finanzmarktstabilität abzuwehren.103 Diesem Entscheid der FINMA war ein monatelanges Seilziehen um Informationsbegehren dreier amerikanischer Behörden gegenüber der UBS vorangegangen, in 102 103

Vgl. Medienmitteilungen der SNB vom 16.10.2008 und 26.11.2008.

Vgl. Medienmitteilung der FINMA vom 18.2.2009.

3137

dem nebst der UBS und den amerikanischen Behörden auch die FINMA, der Bundesrat, das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) involviert waren. Durch diesen Entscheid wurden auch ein bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) hängiges Amtshilfegesuch des Department of the Treasury, Internal Revenue Service (IRS) vom 16. Juli 2008 sowie die damit zusammenhängenden Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) gegenstandslos.

Pressestimmen in den Tagen nach der Verfügung der FINMA illustrieren anschaulich, welche Fragen nach der Datenherausgabe öffentlich diskutiert wurden: «Kapitulation im Steuerstreit»104, «Bankgeheimnis wird ausser Kraft gesetzt»105, «Politischer Kniefall der Schweiz»106, «Rechtsstaat oder Bananenrepublik»107, «Bundesrat kapituliert vor den USA»108, «UBS unter Druck: Wie die USA die Schweiz erpressten»109, «Zu spät: UBS-Akten schon in den USA ­ Dramatisches Eingreifen des Bundesverwaltungsgerichtes»110, «In 10 Tagen wäre Urteil erfolgt»111, «FINMA wollte, dass Merz handelt»112, «Déclaration de guerre au secret bancaire»113, «La Suisse lève le secret bancaire»114, «La Suisse est couchée, les Américains la piétinent»115, «Comment UBS a voulu berner le fisc américain»116, «Le secret bancaire vacille»117, um nur einige Schlagzeilen der Schweizer Presse zu nennen.

Der Entscheid der FINMA verhinderte zwar eine unmittelbare Anklageerhebung der USA gegen die UBS. Der Druck auf die Schweiz und die UBS, den amerikanischen Behörden weitere Kundendaten zu übergeben, stieg jedoch auch nach diesem Zeitpunkt weiter an. Parallel zum wachsenden Druck aus den USA wurden auch Forderungen der EU und der OECD laut, und das schweizerische Bankgeheimnis geriet auf breiter Front unter Druck. Der Bundesrat beschloss in der Folge am 13. März 2009, dass die Schweiz den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens übernehmen werde und zog den entsprechenden Vorbehalt zum OECD-Musterabkommen zurück. Am 18. Juni 2009 paraphierten die Schweiz und die USA in Washington ein revidiertes Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Vorgängig hatten sich die beiden Länder auf technischer Ebene auf die Ausweitung der Amtshilfe in Steuerfragen
nach Artikel 26 des OECD-Musterabkommens geeinigt.

Die Geschehnisse rund um die finanziellen Schwierigkeiten der UBS im Oktober 2008 wie auch um die Informationsbegehren der amerikanischen Behörden gegenüber der UBS bzw. ihre möglichen Konsequenzen weisen verschiedene Gemeinsamkeiten auf: Beide Konstellationen waren für den Finanzplatz Schweiz und für die 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Neue Zürcher Zeitung vom 19.2.2009.

Tages-Anzeiger vom 19.2.2009.

Berner Zeitung vom 20.2.2009.

Der Bund vom 20.2.2009.

Mittellandzeitung vom 20.2.2009.

Dito.

NZZ am Sonntag vom 22.2.2009.

Basler Zeitung vom 21.2.2009.

Sonntags-Blick vom 22.2.2009.

La Tribune de Genève vom 19.2.2009.

Le Temps vom 19.2.2009.

24 heures vom 19.2.2009.

24 heures vom 23.2.2009.

Le Matin vom 19.2.2009.

3138

schweizerische Volkswirtschaft von grosser Bedeutung; sie involvierten beide die Bundesbehörden und warfen dadurch Fragen zu den Grenzen des staatlichen Handelns auf, und in beiden Fällen war die UBS sowohl ein Hauptakteur als auch ein Hauptobjekt.

Vor diesem Hintergrund stellten die GPK einen klaren Handlungsbedarf seitens der parlamentarischen Oberaufsicht fest. Sie beschlossen zur Durchführung der Inspektion die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, die paritätisch aus Mitgliedern der GPK-N und der GPK-S zusammengesetzt wurde und Vertreter aller Fraktionen aufweist.

1.2

Gesetzlicher Auftrag und Untersuchungsgegenstand

Die GPK nehmen im Auftrag der eidgenössischen Räte die Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundesrats und der Bundesverwaltung, der Eidgenössischen Gerichte sowie anderer Träger von Aufgaben des Bundes wahr. Diese Zuständigkeit ist in Artikel 169 der Bundesverfassung (BV)118 sowie in den Artikeln 26 und 52 des Parlamentsgesetzes (ParlG)119 festgelegt. Die GPK besitzen zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe weitgehende Informationsrechte (Art. 153 ff. ParlG). Gemäss Artikel 52 Absatz 2 ParlG legen sie den Schwerpunkt ihrer Prüftätigkeit auf die Kriterien der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit.

Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag konnten die GPK im Rahmen der vorliegenden Inspektion nicht allen bedeutsamen Fragestellungen im Zusammenhang mit den geschilderten Ereignissen nachgehen. Sie hatten sich vielmehr auf die wesentlichen Fragen im Kompetenzbereich der parlamentarischen Oberaufsicht zu beschränken. Nach diesem Kriterium blieben einzelne Fragen, die von der Politik und der öffentlichen Meinung als ebenfalls bedeutsam oder klärungsbedürftig erachtet worden waren, unbehandelt, da sie sich ausserhalb des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes bewegten.

Die GPK gliederten den Untersuchungsgegenstand in zwei Teile und definierten ihn wie folgt: Im ersten Teil wird das Verhalten der schweizerischen Behörden bei der Bekämpfung der Finanzkrise untersucht. Im zweiten Teil wird das Behördenverhalten im Zusammenhang mit den Ereignissen, die letztlich zur Herausgabe von Kundendaten der UBS an die amerikanischen Behörden im Februar 2009 führten, vertieft analysiert.

Im Vordergrund dieser Untersuchung steht die Beurteilung der Zweckmässigkeit und der Wirksamkeit des behördlichen Handelns. Obwohl sich im Rahmen der untersuchten Sachverhalte auch Fragen der Rechtmässigkeit stellen, liegt deren Beantwortung, wie nachfolgend erläutert, nicht bei den GPK, sondern bei den Gerichten. Soweit sich aus dem Untersuchungsgegenstand rechtliche Fragen ergeben, deren Berurteilung in die Zuständigkeit der GPK fallen, wird darauf im Bericht eingegangen.

Der Untersuchungsgegenstand beider Teile wird zu Beginn des jeweiligen Berichtsteils näher erläutert.

118 119

Bundesverfassung (BV; SR 101).

Bundesgesetz vom 13.12.2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10).

3139

1.3

Schranken der Untersuchung

Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben musste sich die Untersuchung der GPK auf das Verhalten der Bundesbehörden konzentrieren. Das Verhalten der UBS oder der amerikanischen Behörden ist nicht Teil des Untersuchungsgegenstands der GPK; es wurde nur soweit einbezogen, wie es notwendig war, um das Verhalten der schweizerischen Behörden beurteilen zu können.

Die Beachtung des Gewaltenteilungsprinzips setzte den GPK ebenfalls Grenzen. So steht es den GPK nicht zu, Rechtsfragen zu beurteilen, die einer richterlichen Überprüfung unterliegen oder über welche ein Gericht schon entschieden hat. Auf den konkreten Sachverhalt bezogen bedeutet dies insbesondere, dass die GPK nicht befugt sind, sich zu einer allfälligen Verletzung des Bankgeheimnisses zu äussern oder den Entscheid des BVGer vom 5. März 2009 zur Zulässigkeit der Amtshilfe120 inhaltlich zu beurteilen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass bezüglich letzterer Frage noch kein rechtskräftiger Entscheid vorliegt. Es versteht sich im Übrigen von selbst, dass die GPK in dieser Untersuchung nicht an die Stelle der Strafverfolgungsbehörden treten können.

Das im Herbst 2008 vom Bundesrat und von der SNB erarbeitete Massnahmenpaket des Bundes zur Stärkung des Finanzsystems wurde durch die Bundesversammlung und ihre zuständigen Organe bereits eingehend erörtert und fand eine Mehrheit im Parlament. Soweit in diesem Zusammenhang Sachverhalte durch andere zuständige parlamentarische Organe oder durch das Parlament selbst abschliessend behandelt wurden, werden sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht mehr gesondert überprüft. Die diesbezüglichen Beschlüsse sind für die GPK verbindlich.

Schliesslich ist zu erwähnen, dass sich die GPK bei der Überprüfung und der Beurteilung von komplexen Fachentscheiden, die beispielsweise ein spezifisches Finanzmarktwissen voraussetzen, nicht an die Stelle der untersuchten Behörden setzen, sondern die massgeblichen Entscheide aus der Warte der parlamentarischen Oberaufsicht würdigen. Das gilt namentlich für die von der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) im Jahr 2008 durchgeführte Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit den USA, bei der es nicht darum ging, diese neu aufzurollen. Vielmehr war es Aufgabe der parlamentarischen Oberaufsicht, das durch die EBK damit verfolgte Ziel, die dafür eingesetzten Mittel, den Zeitpunkt ihrer Einleitung usw. im damaligen Kontext zu beurteilen.

1.4

Zweck der Untersuchung

Die durch die GPK ausgeübte Oberaufsichtstätigkeit dient nicht vorab der persönlichen Schuldzuweisung an Behördenvertreter, sondern bezweckt in erster Linie, Lehren für die zukünftige Geschäftsführung der Bundesbehörden ziehen zu können.

Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt somit vorwiegend auf der Feststellung und Analyse von systemrelevanten Mängeln und Schwachstellen, insbesondere im Bereich der Früherkennung von Krisen und der Wahrnehmung der Führungsverantwortung.

120

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) A-7342/2008 und A-7426/2008 vom 5.3.2009.

3140

1.5

Vorgehen der GPK

1.5.1

Untersuchungszeitraum und Berichtsstruktur

Der Zeitraum des ersten Teils der Untersuchung, der sich mit der Früherkennung und der Bewältigung der Finanzkrise durch die schweizerischen Behörden beschäftigt, beginnt im Frühjahr 2007, als die Finanzmarktkrise international erkennbar wurde, und endet im Oktober 2008 mit dem Massnahmenpaket des Bundes zur Rettung der UBS.

Der Fokus des zweiten Teils der Untersuchung liegt auf der Zeitspanne von Ende 2007, als die EBK durch die amerikanische Börsenaufsicht (US-Securities and Exchange Commission; nachfolgend SEC) in Sachen Informationsbegehren der USA gegenüber der UBS kontaktiert wurde, bis zum 18. Februar 2009, als die FINMA die Herausgabe von Kundendaten der UBS an die amerikanischen Behörden verfügte.

Selbstverständlich werden in beiden Untersuchungsteilen relevante Ereignisse vor und nach dem jeweiligen Untersuchungszeitraum miteinbezogen, sofern und soweit sie dem besseren Verständnis der Sachverhalte dienen.

Der Bericht gliedert sich in vier Teile: Nach der allgemeinen Einführung des ersten Kapitels widmet sich das zweite Kapitel dem ersten und das dritte Kapitel dem zweiten Untersuchungsteil. Im vierten Kapitel ziehen die GPK einige Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Erwartungen an die UBS.

1.5.2

Methodisches Vorgehen

Die GPK beauftragten eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Durchführung der Inspektion. Diese setzte sich aus folgenden Mitgliedern der GPK-N zusammen: Pierre-François Veillon (Präsident), André Daguet, Corina Eichenberger, Thérèse Frösch, Brigitta M. Gadient und Ruedi Lustenberger. Seitens der GPK-S nahmen folgende Mitglieder in die Arbeitsgruppe Einsitz: Hans Hess (Vize-Präsident), Konrad Graber, Claude Hêche, Alex Kuprecht, Helen Leumann und Anne Seydoux.

Die GPK stützen ihre nachfolgenden Ausführungen auf Informationen aus den verschiedensten Quellen: In 30 Sitzungen der Arbeitsgruppe beider GPK wurden 60 Anhörungen mit Vertretern aller betroffenen Behörden wie auch mit externen Experten durchgeführt. Alle Bundesratsmitglieder, die im Untersuchungszeitraum im Amt waren, wurden teilweise mehrfach angehört.121 Ebenfalls angehört wurden ehemalige und aktuelle Vertreter der UBS.122 Im Weiteren zogen die GPK eine Vielzahl von Unterlagen der involvierten Behörden bei123 und stützten sich auf öffentliche und nicht öffentlich zugängliche Berichte dieser Stellen ab. Beigezogen wurden zudem die Protokolle der Finanzkommissionen und der Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben. Wertvolle Erkenntnisse

121

Dies geschah teilweise auch im Rahmen der Behandlung anderer Geschäfte mit Vertretern des Bundesrats (z. B. bei der Behandlung des Geschäftsberichts 2008 durch die GPK).

122 Die Liste aller angehörten Personen findet sich in Anhang 6.

123 Dabei handelt es sich um E-Mails, Informationsnotizen, handschriftliche Notizen usw.

Ein grosser Teil davon ist vertraulich und somit nicht öffentlich zugänglich.

3141

liessen sich auch aus den Ausführungen des Präsidenten der Finanzdelegation gewinnen. Die GPK danken diesen Organen für ihre Unterstützung.

Im ersten Untersuchungsteil wurde ein Teilbereich an zwei externe Experten vergeben, die zuhanden der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK)124 einen Bericht erstellten, dessen Resultate in den vorliegenden Bericht einflossen. Die PVK unterstützte gemeinsam mit dem Sekretariat GPK/GPDel die Arbeiten der mit der Untersuchung beauftragten Arbeitsgruppe beider GPK.

Im Rahmen dieser Untersuchung wurde die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) aufgrund ihrer besonderen Informationsrechte durch die GPK beauftragt, die relevanten Dokumente, die der Orientierung und der Entscheidfindung des Bundesrats in diesem Dossier dienten, einzusehen. Das Ergebnis dieser Einsicht ist in den vorliegenden Bericht eingeflossen.

Der Bericht beider GPK stützt sich auf die Arbeiten der mit der Untersuchung beauftragten Arbeitsgruppe. Er wurde am 30. Mai 2010 von beiden GPK verabschiedet.

1.5.3

Ausübung der Informationsrechte

Der Bundesrat widersetzte sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 entgegen der gesetzlich verankerten Informationsrechte der parlamentarischen Aufsichtskommissionen mehreren Informationsbegehren der GPK.

Dies band unnötigerweise Ressourcen der GPK und ihres Sekretariats und führte zu einer Verzögerung der Untersuchung von mehreren Monaten. Anfang 2010 und wohl unter dem zunehmenden politischen Druck zur Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) erklärte sich der Bundesrat schliesslich bereit, die gewünschten Informationen den GPK zugänglich zu machen, so dass ab diesem Zeitpunkt keine Probleme mehr bei der Ausübung der Informationsrechte der GPK bestanden.125 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die GPK im Rahmen dieser Untersuchung Zugang zu allen von ihr gewünschten Unterlagen erhielten.

1.5.4

Weitere schwierige Rahmenbedingungen der Untersuchung

Eine weitere Schwierigkeit der Untersuchung lag darin, dass ­ obwohl die Führungsdossiers des EFD wie auch des EJPD (Stellvertretung des Vorstehers des EFD durch die Vorsteherin des EJPD) bezüglich beider Teile der Untersuchung eingeholt wurden und der Vorsteher des EFD der Arbeitsgruppe seine persönlichen Ordner zur Verfügung stellte ­ die GPK von keiner der involvierten Stellen ein vollständiges 124

Die PVK besteht aus einem Team von wissenschaftlichen Evaluatoren, welche vorwiegend im Auftrag beider GPK Evaluationen durchführen. Sie ist dem Sekretariat GPK administrativ unterstellt.

125 Um in Zukunft solche Verzögerungen von Untersuchungen der parlamentarischen Oberaufsicht zu vermeiden, haben die GPK beschlossen, die Informationsrechte im Parlamentsgesetz bezüglich der Unterlagen des Bundesrats zu konkretisieren. Zu diesem Zweck reichte die GPK-S am 26.2.2010 eine parlamentarische Initiative ein (Pa. Iv. 10.404; Präzisierung der Informationsrechte der Aufsichtskommissionen).

3142

Dossier mit allen relevanten Dokumenten erhielt. Die Führungsdossiers waren unvollständig. Einzelne Behörden wie die FINMA konnten auf ihrer Stufe alle relevanten Dokumente liefern, doch hatten sie ausschliesslich Dokumente aus ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Dies führte dazu, dass die GPK die erhaltenen Dokumente erfassen, strukturieren und aufgrund eigener Recherchen und weiterer Editionsbegehren vervollständigen mussten.

Die Sachverhaltsfeststellung durch die GPK bezüglich der Einschätzungen und Handlungen der schweizerischen Behörden wurde teilweise dadurch erschwert, dass Beratungen beispielsweise des Bundesrats oder der verwaltungsinternen Arbeitsgruppe, die sich mit der Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA befasste, nicht systematisch schriftlich festgehalten wurden.

Innerhalb des Untersuchungszeitraums verzichtete der Gesamtbundesrat während einer Phase von mehreren Monaten bei den hier untersuchten Sachverhalten bewusst auf das sonst übliche Protokoll seiner Sitzungen, wobei die Bundeskanzlei (BK) entgegen den Anweisungen des damaligen Bundespräsidenten dennoch Notizen erstellte. Diese Notizen mit dem Titel «Stichwortartige Aufzeichnungen zu den Verhandlungen zum Thema UBS» wurden dem Bundesrat am 19. Februar 2009 von der BK zugestellt. Die GPDel konnte im Rahmen dieser Untersuchung Einsicht in diese Chronologie nehmen.

Bei den Sitzungen der internen Arbeitsgruppe wurden in der Regel keine Protokolle in irgendeiner Form geführt. Solche Informationslücken sind im Nachhinein sehr schwierig zu füllen, auch von den direkt involvierten Personen.

Diese erschwerenden Rahmenbedingungen der Untersuchung der GPK sind sowohl für die parlamentarische Oberaufsicht wie auch für ein optimales Funktionieren von Regierung und Verwaltung von grundsätzlicher Bedeutung und werden deshalb weiter hinten durch die GPK materiell gewürdigt.

2

Untersuchung I: Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit der Finanzkrise

2.1

Einführung

2.1.1

Im Kontext einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise

Die Krise, die seit Sommer 2007 die globale Wirtschaft erschütterte, war ein Ereignis von aussergewöhnlicher Tragweite. Zu Beginn waren die Turbulenzen in erster Linie finanzieller Natur. Dann meldete die Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 Konkurs an, und die Weltwirtschaft stürzte in eine Krise, wie sie seit Jahren nicht mehr aufgetreten war.

Auch die Schweiz wurde vom Sturm nicht verschont. Zuerst bekam der Finanzstandort Schweiz die seit Sommer 2007 herrschenden Spannungen auf den Finanzmärkten, insbesondere im Bereich der Interbankenkredite, zu spüren ­ eine Entwicklung, die vor allem die starke Exposure der Schweizer Banken gegenüber der ausländischen Konjunktur widerspiegelte und noch keine hausgemachte Krise darstellte. Dann musste die UBS in Folge der US-Immobilienmarktkrise schwere Verluste einstecken, die ihre Zahlungsfähigkeit in Zweifel zogen. Auch die Credit 3143

Suisse war von der Krise betroffen, allerdings aus anderen Gründen, da sie im Jahr 2006 begann, ihre Exposure gegenüber dem amerikanischen Hypothekenmarkt zu reduzieren. Schliesslich schlug sich der Einbruch des Weltmarkts Ende 2008 mit voller Wucht auf das schweizerische Wirtschaftswachstum nieder, dies eine direkte Konsequenz der Integration der Schweiz in die globalen Wirtschaftsströme.

Die führenden Zentralbanken, unter ihnen auch die SNB, reagierten auf den Einbruch der Kreditmärkte mit massiven Liquiditätsspritzen. Gleichzeitig ergriffen die Regierungen verschiedene Massnahmen, um die Banken zu unterstützen und einen völligen Zusammenbruch des Kreditmarkts abzuwenden. Das Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 15. Oktober 2008126 (Kapitel 2.5.3.2) ist Teil dieser Bemühungen. Die Haushaltsbehörden gingen schliesslich allerorts ­ auch in der Schweiz127 ­ dazu über, die Wirtschaft durch Konjunkturprogramme zu unterstützen.

Im Vergleich zu anderen Ländern hat sich die wirtschaftliche Performance in der Schweiz recht gut gehalten. Die schweizerische Wirtschaft entwickelte sich von Mitte 2008 bis Mitte 2009 negativ, doch im internationalen Vergleich ist der Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität relativ gering. Zwischen Juli und Ende 2008128 ging das schweizerische Bruttoinlandprodukt (BIP) um 2 Prozent zurück, verglichen mit 3,2 Prozent in den USA, 2,6 Prozent in Frankreich und 5,1 Prozent in Deutschland. Obwohl berücksichtigt werden muss, dass die Schweiz vor der Krise eine schwächere Wachstumsrate aufwies als die anderen Länder, ist unbestritten, dass das schweizerische Wachstum sich im internationalen Vergleich als robust erwiesen hat.

Trotzdem erlebte auch die Schweiz eine starke Rezession. In einzelnen Bereichen litt sie eben so sehr wie die anderen Länder. So war der Einbruch der Börsenwerte in der Schweiz einer der markantesten.

2.1.2

Bedeutung des Finanzsektors

Der Finanzsektor ist in allen Ländern von zentraler Bedeutung, denn er bildet eine Infrastruktur, ohne welche die übrige Wirtschaft beträchtlich eingeschränkt wäre.

Aufgrund seiner globalen Vernetzung und seiner Funktion weist dieser Sektor Systemrisiken auf.129 Wegen der Gefahr eines völligen Zusammenbruchs des Systems sahen sich die Zentralbanken im Sommer 2007 erstmals zu Interventionen veranlasst, und die Regierungen schritten zur Rettung einzelner Banken.

126

Botschaft des Bundesrats zum Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 5.11.2008 (BBl 2008 8943).

127 In der Schweiz handelt es sich um Phasen I und II der Stabilisierungsmassnahmen, die der Bundesrat am 12.11.2008 bzw. am 11.2.2009 beschloss, und um Phase III der Stabilisierungsmassnahmen, die das Parlament am 25.9.2009 verabschiedete. Die Kosten für die Eidgenossenschaft beliefen sich auf Fr. 432 Mio. für die Phase I, Fr. 710 Mio. für die Phase II und Fr. 944 Mio. für die Phase III.

128 Tille Cédric und Wyplosz Charles, 2010, La Suisse face à la crise: une comparaison internationale, Gutachten im Auftrag der GPK.

129 Im Rahmen einer Finanzkrise bezeichnet der Begriff «Systemrisiko» die Gefahr, dass aufgrund des Ausfalls eines Akteurs und der durch diesen Ausfall ausgelösten Kettenreaktionen das Funktionieren des inländischen Finanzsystems oder wesentliche Teile davon gravierend beeinträchtigt werden. Quelle: FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 69 und Glossar der SNB unter: www.snb.ch.

3144

In der Schweiz zeichnet sich der Finanzsektor durch seinen Umfang, seine starke globale Integration sowie durch das verhältnismässig grosse Gewicht der zwei Grossbanken aus.

In der Tat belief sich die Summe der Bilanzen der Schweizer Banken Ende 2008 auf 4 361 Milliarden Franken, was 8,2-mal der Grösse des jährlichen BIP der Schweiz entspricht. In den USA liegt dieser Anteil bei 0,9, in Grossbritannien bei 4,3.130 Auch die Konzentration ist in der Schweiz relativ hoch: Die zwei Grossbanken weisen zusammen auf dem inländischen Kreditmarkt einen Marktanteil von 34 Prozent auf, dicht gefolgt von den Kantonalbanken (32 %).131 Die wirtschaftliche Bedeutung der Grossbanken für die Schweiz lässt sich auch daran illustrieren, dass die UBS zum Zeitpunkt der Umsetzung des Massnahmenpakets zu ihren Gunsten 130 000 kleine und mittlere Unternehmen zu ihren Kunden zählte und mehrere hunderttausend Lohnkonten verwaltete.

Die systemrelevante Bedeutung der Grossbanken und die katastrophalen Konsequenzen, die ihr eventueller Konkurs mit sich bringen würde, sind auch von der SNB132 und vom Bundesrat behandelt worden. Für die SNB steht die systemrelevante Bedeutung der UBS ausser Zweifel; ihre Zahlungsunfähigkeit würde zu schweren Störungen des Finanzsystems oder zentraler Aspekte desselben führen und hätte gravierende Auswirkungen auf die Realwirtschaft. In seiner Botschaft zum Massnahmenpaket133 hält der Bundesrat fest, dass bei einem Ausfall einer Grossbank Haushalte und Unternehmen infolge der Blockierung ihrer Konten und der Unterbrechung ihrer Kreditbeziehungen nicht mehr in der Lage wären, laufende Ausgaben und Investitionen zu tätigen. Der Ausfall einer Grossbank würde daher zumindest kurzfristig die Liquiditätsversorgung gefährden und das Zahlungssystem der Schweiz destabilisieren. Über den Interbankenmarkt würden auch die anderen Schweizer Banken erhebliche Verluste auf ihren Forderungen erleiden. Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen wären insgesamt gravierend. Aufgrund von internationalen Studien134 muss davon ausgegangen werden, dass der Ausfall einer Bank von der Grösse der UBS kurzfristig Kosten für die Volkswirtschaft in der Höhe von 15 bis 30 Prozent des BIP (75­150 Mia. Fr.) verursachen könnte. Der langfristige Wachstumsverlust wird gar auf 60 bis 300 Prozent des BIP geschätzt (300­1 500 Mia. Fr.).
Somit zeigt sich in der Schweiz das Problem des too big to fail (demzufolge eine zu grosse Bank nicht Konkurs anmelden darf) in seiner ganzen Tragweite, denn die beiden Grossbanken sind nicht nur wichtige Akteure im internationalen Finanzsystem, sondern auch zentrale Pfeiler der Schweizer Wirtschaft.

130 131 132

SNB, Bericht zur Finanzstabilität, 2009, S. 30.

Ebd.

SNB, Gutachten zur Rechtmässigkeit, unter dem Gesichtspunkt des Notenbankgesetzes, einer Beteiligung der Schweizerischen Nationalbank am Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems («Transaktion mit der UBS»), 13.10.2008, S. 5.

133 Botschaft des Bundesrats zum Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 5.11.2008 (BBl 2008 8943).

134 Bank of England, Costs of banking system instability: some empirical evidence, Financial Stability Review, June 2001; Boyd, J. H., Kwak, S., Smith, B., The Real Output Losses Associated with Modern Banking Crises, Journal of Money, Credit, and Banking, December 2005. Vom Bundesrat in seiner Botschaft zum Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems zitierte Studien.

3145

2.1.3

Gegenstand der Untersuchung

Der erste Teil der Untersuchung der GPK überprüft das Verhalten der schweizerischen Behörden im Rahmen der Finanzkrise. Er soll in erster Linie folgende Fragen beantworten: ­

Wie ist das Verhalten der schweizerischen Behörden (Bundesrat, EFD, EBK/FINMA, SNB [der Einfachheit halber hier als eidgenössische Behörde betrachtet]) zu beurteilen, unter folgenden Gesichtspunkten: ­ Früherkennung der Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die Schweiz; ­ Beschluss und Umsetzung von Massnahmen im jeweiligen Kompetenzbereich der verschiedenen Behörden; ­ Behandlung und Steuerung des Falls UBS unter Berücksichtigung der systemrelevanten Bedeutung der Bank und mit Blick auf das Gemeinwohl?

­

Welche Lehren können für die Zukunft gezogen werden, insbesondere in Bezug auf die Organisation und die Zuständigkeit der Behörden, das Behördenverhalten und die Koordination?

2.1.4

Vorgehensweise

Zusätzlich zu den Anhörungen und Unterlagen, die in Kapitel 1 genannt werden, stützt sich dieser Teil der Untersuchung auf das Gutachten, das die Professoren Cédric Tille und Charles Wyplosz135 im Auftrag der GPK im Oktober 2009 erstellt haben. Die Professoren evaluierten die Antworten der schweizerischen Behörden auf die Krise im Vergleich zu Massnahmen anderer Regierungen. Im Anhang 2 wird die Auswahl der Staaten, die für den Vergleich herangezogen wurden, erläutert (USA, Kanada, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Irland und Eurozone).

Des Weiteren beruht dieser Teil der Untersuchung auf Unterlagen, die sich spezifisch mit der Finanzkrise befassen (siehe Anhang 4). Es handelt sich dabei insbesondere um Jahres- und Geschäftsberichte, Krisenberichte der SNB, der FINMA und der UBS, Berichte internationaler Organisationen, vom Bundesrat in Auftrag gegebene Gutachten, Protokolle der Finanzkommissionen (die sich besonders für das Massnahmenpaket zugunsten der UBS interessierten) und der Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (die sich hauptsächlich mit der Frage der Bankenaufsicht in Zusammenhang mit der Finanzkrise befassten).

135

Cédric Tille und Charles Wyplosz sind Experten für Währungs- und Finanzfragen. Beide unterrichten am Institut de Hautes Etudes Internationales et du Développement in Genf (IHEID). Cédric Tille stiess im September 2007 zum Institut, nachdem er neun Jahre im Departement für Wirtschaftsforschung der Federal Reserve Bank of New York gearbeitet hatte. Charles Wyplosz wird regelmässig von verschiedenen Regierungen und internationalen Organisationen beigezogen (IWF, Weltbank, OECD) und leitet den Centre d'Etudes Monétaires et Bancaires in Genf.

3146

2.1.5

Kompetenzen der wichtigsten Akteure

Im Folgenden sollen die Kompetenzen der schweizerischen Behörden, die an der Früherkennung und der Bewältigung der Finanzkrise beteiligt waren, kurz dargelegt werden.

Das EFD ist für die Währungs- und Haushaltspolitik zuständig (sowie seit 2008 für die Politik in Bezug auf den Finanzstandort136) und vertritt in Zusammenarbeit mit dem EDA, dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD) und wenn nötig anderen Departementen die Interessen der Schweiz in internationalen Finanz-, Steuer- und Währungsangelegenheiten.137 Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) vertritt die Interessen der Schweiz in Finanz- und Währungsfragen, arbeitet die Grundlagen und Optionen der Haushaltspolitik aus (besonders die für die Wirtschafts- und Währungspolitik relevanten) und behandelt internationale Finanz- und Währungsfragen.138 Dabei bildet sie das Bindeglied zwischen der Eidgenossenschaft auf der einen und der SNB und der EBK bzw. der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) auf der anderen Seite.139 Die SNB führt die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes.

Zusätzlich zu ihren Aufgaben im Bereich der Liquiditäts- und Bargeldversorgung hat sie die Aufgabe, zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen.140 Die SNB ist unabhängig, muss jedoch dem Bundesrat, dem Parlament und der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen.141 Die EBK142 war bis zum 31. Dezember 2008 und die FINMA143 ist seither für die Beaufsichtigung der Banken und Finanzmärkte zuständig. Die FINMA übt ihre Aufsichtstätigkeit selbständig und unabhängig aus, muss jedoch dem Bundesrat, dem Parlament und der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen. Die EBK/FINMA verkehren mit dem Bundesrat über das EFD.144 Während die SNB einer makroprudenziellen Sicht verpflichtet ist, die auf die Stabilität des Finanzsystems in seiner Gesamtheit abzielt, verfolgt die FINMA (früher die EBK) eine mikroprudenzielle Perspektive, die sich auf die Beaufsichtigung der Akteure der Finanzmärkte konzentriert.

136

137 138 139 140 141 142 143 144

Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 22.6.2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG; SR 956.1) änderten sich die Rollen des EFD und der EFV ein wenig.

Organisationsverordnung vom 11.12.2000 für das Eidgenössische Finanzdepartement (OV-EFD, Version vom 11.12.2000); AS 2001 267.

Art. 9 OV-EFD (Version vom 11.12.2000); AS 2001 267.

Art. 10 Abs. 1 Bst. c OV-EFD; SR 172.215.1.

Art. 5 des Bundesgesetzes vom 3.10.2003 über die Schweizerische Nationalbank (Nationalbankgesetz, NBG; SR 951.11).

Art. 6 und 7 NBG.

Bundesgesetz vom 8.11.1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0).

Bundesgesetz vom 22.6.2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz, FINMAG; SR 956.1).

Art. 21 und 22 FINMAG

3147

2.2

Nationale Vorbereitungsmassnahmen für den Krisenfall

Bereits lange bevor die Krise, auf die sich der vorliegende Bericht bezieht, ausbrach, machten sich die schweizerischen Behörden Gedanken über Vorgehensweisen und Handlungsmöglichkeiten im Falle einer Finanzkrise.

In diesem Zusammenhang sei der wirtschaftliche und finanzpolitische Kontext, in dem diese Überlegungen angestellt wurden, kurz in Erinnerung gerufen: ­

die schwere Krise des schweizerischen Immobilienmarkts in den 90er Jahren;

­

der Konkurs der Spar- und Leihkasse Thun im Jahr 1991;

­

die Übernahme der Schweizerischen Volksbank durch die Credit Suisse im Jahr 1993;

­

die Fusion zwischen der Schweizerischen Bankgesellschaft und dem Schweizerischen Bankverein, aus der im Jahr 1998 die UBS hervorging;

­

das Swissair-Grounding im Jahr 2001.

2.2.1

Bildung von Strukturen zur Zusammenarbeit und Steuerung

Die Entwicklung der Strukturen der Zusammenarbeit zwischen dem EFD, der EBK und der SNB, die hier erläutert wird, ist in der nachfolgenden Tabelle 1 dargestellt.

Der erste bedeutende Schritt im Bereich der Zusammenarbeit im Krisenfall ist ein von der EBK und der SNB gemeinsam verfasster Grundsatzbericht. Dieser Bericht wurde im Anschluss an ein Ersuchen des Finanzchefs des Schweizerischen Bankvereins (SBV) an den Direktor der EBK im Jahr 1996 erstellt. Der Finanzchef der Bank wollte wissen, welche Massnahmen die EBK im Falle eines Einbruchs des schweizerischen Immobilienmarkts um zusätzliche 10 Prozent, der damals den Konkurs der Bank bedeutet hätte, zu ergreifen gedachte. Die Frage wurde im «Kleinen Komitee», dem Organ zur Zusammenarbeit in Sachen Finanzstabilität, das von den Präsidenten der EBK und der SNB geleitet wurde und mehrere Direktionsmitglieder beider Institutionen umfasste, behandelt. Der von diesem Komitee verfasste Bericht wurde am 13. November 1998 dem Vorsteher des EFD übergeben.145 Im Jahr 2001 wurden der Bundesrat und die schweizerischen Behörden durch das Swissair-Grounding mit dem Problem des Krisenmanagements konfrontiert. In der Folge kam es zu einem verstärkten Gedankenaustausch zur Krisenprävention zwischen der SNB, der EBK und dem EFD. Dabei ging es einerseits um die Handhabung der Krise, andererseits um Interventionsmöglichkeiten.146

145 146

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 1.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 4.­6. und 14.­15.5.2009.

3148

Tabelle 1: Entwicklung der Strukturen der Zusammenarbeit im Falle einer Finanzkrise 1998 2002

«Kleines Komitee» Präsidien und Direktionen EBK und SNB

Führungsstab FINKRIST

Steuerungsausschuss

STASY Direktionen EFD, SNB, EBK, EFV

EBK und SNB (ca. 20 Mitglieder)

(ca. 10 Mitglieder)

2007

Steuerungsausschuss KLL Dreierinstanz

Steuerungsausschuss

(Kleines Komitee)

(Task Force KLL) Direktor EFV

Vorsteher EFD

Vizepräsident SNB

Präsident SNB

Direktor EBK

Präsident EBK

Präsident EBK

Ständiger Ausschuss Finanzstabilität (STAF) Mittleres und höheres Management der SNB und der EBK Im Krisenfall: EFD als ständiges Mitglied

Im Jahr 2002 wurde unter der Leitung der SNB ein Steuerungsausschuss (Steuerungsausschuss Systemstabilität ­ STASY) eingerichtet, der die Aufgabe erhielt, Fragen zur Finanzstabilität zu vertiefen. Rund zwanzig Personen aus der EBK und der SNB nahmen an den Arbeiten des Ausschusses teil.147 Am 7. Juni 2002 informierte der Steuerungsausschuss STASY den Direktor der EFV über seine Arbeiten.

In der Diskussion ging es insbesondere um das Konzept des Kreditgebers in letzter Instanz (lender of last resort) der SNB, das diese in die Lage versetzen sollte, in Ausnahmefällen Grossbanken Liquidität zur Verfügung zu stellen.

147

Der Steuerungsausschuss STASY kam bis März 2006 rund zwanzig Mal zusammen.

3149

Drei Monate später, am 4. September 2002, wurde ein Führungsstab zum Management von Finanzkrisen gebildet. Er trägt den Namen FINKRIST148 und setzt sich aus Mitgliedern der Direktion der EFV, der SNB und der EBK zusammen. Der FINKRIST wird vom Direktor der EBK geleitet.149 Im Krisenfall ist er mit operativen Aufgaben des Krisenmanagements betraut. Ansonsten ist es seine Rolle, Analysen durchzuführen und den Boden für eventuelle Beschlüsse der Behörden im Falle der Krise eines systemrelevanten Finanzinstituts vorzubereiten. Im Jahr 2003 schloss sich das Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) dem Führungsstab an, um für den Bereich der Privatversicherungen ähnliche Überlegungen anzustellen.

Im Januar 2005 erarbeitete der Führungsstab FINKRIST einen Bericht mit Leitlinien zur Bewältigung von Krisen im Finanzsektor.150 Die Leitlinien sind als «FINKRIST Krisenleitlinien (KLL)» bekannt. Der Bericht präsentierte den aktuellen Stand der Arbeiten des FINKRIST zum Schweizer Bankenwesen und befasste sich insbesondere mit hypothetischen Krisenszenarien und ihren Konsequenzen sowie möglichen Massnahmen der Behörden.151 Der Bericht wurde dem Direktorium der SNB und der EBK unterbreitet. Ausserdem wurde er am 7. September 2005 dem Vorsteher des EFD präsentiert.

Im Jahr 2006 wurden diese Leitlinien mit der UBS und der Credit Suisse diskutiert, was am 30. Januar 2007 zur Schaffung eines neuen Steuerungsausschusses, dem Steuerungsausschuss KLL, führte. Dieser Ausschuss integrierte alle bereits bestehenden Instanzen, die sich mit der Stabilität des schweizerischen Finanzsystems befassten. Das «Kleine Komitee», der FINKRIST und der Steuerungsausschuss STASY wurden alle im neuen Steuerungsausschuss KLL vereint.

Der Steuerungsausschuss KLL ist auf drei Ebenen organisiert:


Ständiger Ausschuss für Finanzstabilität: Der Steuerungsausschuss STASY wird durch den Steuerungsausschuss STAF ersetzt. Er besteht aus Mitgliedern des mittleren und höheren Managements der EBK und der SNB. Im Krisenfall stossen Vertreter des EFD dazu, und der Ausschuss wird zum operativen Führungssstab.



Steuerungsausschuss (Task Force KLL), bestehend aus dem Direktor der EFV, dem Vizepräsidenten des Direktoriums der SNB sowie dem Direktor und dem Präsidenten der EBK. Er ist als «Steuerungsausschuss» oder «Krisenführungsstab» bekannt.



Eine Dreierinstanz (bekannt als «Kleines Komitee»), bestehend aus dem Vorsteher des EFD, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK.

148 149 150

Abgeleitet von der Bezeichnung «Management von Krisen im Finanzsystem».

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 5.

«Leitlinien des Stabes der EBK, der SNB, der EFV und des BPV zur Bewältigung von Krisen im Finanzsektor».

151 Folgende Massnahmen zum Krisenmanagement wurden vom Bericht untersucht: 1.

Klarstellung falscher Vorstellungen durch Kommunikation, 2. erleichterte Anforderungen an Eigenmittel und Rechnungslegung, 3. Arrangieren von privatwirtschaftlichen Fusionen, 4. Stundungsmassnahmen, 5. Liquiditätshilfe durch die SNB, 6. Zwangssanierung auf Kosten der Gläubiger, 7. staatliche Garantieerklärungen, 8. staatlich gestützte Auffanggesellschaft für schlechte Aktiven ­ Modell Dezennium, 9. Rekapitalisierung mit staatlichen Mitteln ­ Modell Volksbank, 10. staatliche Beteiligung an neuer Gesellschaft ­ Modell Neue Bank.

3150

Der Steuerungsausschuss KLL hat die Aufgabe, mit den Krisenleitlinien verbundene Fragen zu behandeln und die Leitlinien falls nötig anzupassen. In diesem Zusammenhang unterbreitet der Ausschuss u. a. Projekte im Bereich der Krisenszenarien, der Krisenübungen, der internationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen, der möglichen Massnahmen hinsichtlich systemrelevanter Banken und der Zusammenarbeit mit der Eidgenossenschaft.

So wurden zwischen 2002 und 2006 mögliche Interventionsschritte im Falle des Ausfalls einer Grossbank vom EFD, der SNB und der EBK gemeinsam geprüft und mit den Grossbanken diskutiert, unter einem wirtschaftlichen und einem rechtlichen Gesichtspunkt.152 Diese Arbeiten führten jedoch weder zu operativen Plänen, noch zu einer Grundsatzentscheidung von Seiten der Eidgenossenschaft bezüglich eines finanziellen Engagements zur Rettung einer Grossbank, wie die FINMA bemerkt.153 Nach Ansicht von Professor Geiger, der für den Bundesrat ein Gutachten über das Verhalten der Aufsichtsbehörden in der Finanzkrise erstellt hat, waren die EBK und die SNB im Vergleich zu anderen Ländern gut auf die Krise vorbereitet, denn sie hatten die Strukturen und Interventionsgrundlagen bereits mehrere Jahre zuvor geschaffen. Die Arbeit der SNB und der EBK diente ausländischen Aufsichtsbehörden sogar als Beispiel für eine gelungene Kooperation.154

2.2.2

Spezifische Massnahmen der EBK bzw. der SNB

Zusätzlich zu den gemeinsamen Überlegungen zur Zusammenarbeit und Intervention im Falle einer Finanzkrise und als Reaktion auf die wachsende Konzentration im Bankensektor in den 90er Jahren, ergriffen die SNB und die EBK auch Massnahmen in eigener Sache.

EBK-spezifische Massnahmen Als Reaktion auf die fortschreitende Globalisierung der Finanzmärkte und die Fusion der schweizerischen Grossbanken Ende der 90er Jahre schuf die EBK im Jahr 1998 die Abteilung Grossbanken155 und bemühte sich gleichzeitig, die internationale Zusammenarbeit in der Beaufsichtigung der global agierenden Grossbanken zu stärken.

152

Protokoll der Anhörung von Peter Siegenthaler, Direktor der EFV, durch die GPK vom 18.11.2009.

153 FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 34.

154 Geiger Hans, 2009, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise, Bern, S. 8­9.

155 Zu Anfang beschäftigte die Abteilung Grossbanken zehn Personen. Ihr Ziel war es, in Koordination mit den wichtigsten ausländischen Aufsichtsbehörden eine direkte und strikte Beaufsichtigung sicherzustellen, um die wesentlichen Risiken zu identifizieren. Im Jahr 2007 zählte die Abteilung Grossbanken der EBK 25 Mitarbeiter. Quellen: EBK, 1999, Geschäftsbericht 1998, S. 174; FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 21.

3151

Zu diesem Zweck organisierte die neue Abteilung Grossbanken trilaterale Sitzungen (trilateral meetings) mit der Financial Services Authority (FSA)156 und der Federal Reserve Bank of New York157. Diese Treffen, die mindestens zweimal pro Jahr stattfinden, erlauben eine gemeinsame Beleuchtung der Problemkomplexe, mit denen die Aufsichtsbehörden konfrontiert sind. Dementsprechend werden zu diesen Sitzungen auch Vertreter von Grossbanken eingeladen. Der Gedanken- und Erfahrungsaustausch der drei Behörden in Bezug auf ihre Risikoevaluierungen nimmt bei den Treffen eine zentrale Stelle ein. Ausserdem ist die EBK/FINMA Mitglied der Senior Supervisors Group, die auf Initiative des Präsidenten der Federal Reserve Bank of New York geschaffen wurde. Diese seit 2005 tätige informelle Gruppe vereint die Aufsichtsbehörden der global agierenden amerikanischen, britischen, deutschen, französischen und schweizerischen Investmentbanken.158 In seinem Gutachten über das Verhalten der Aufsichtsbehörden in der Finanzkrise159 hebt David Green hervor, dass die EBK sehr früh die globale Dimension der beiden schweizerischen Grossbanken und die Komplexität ihrer Tätigkeiten in New York und London erkannt hat. Dies veranlasste die EBK dazu, sich um engere Beziehungen zu den Aufsichtsbehörden dieser ausländischen Finanzmärkte zu bemühen. In Greens Augen war die EBK eine der ersten Behörden, die sich für eine multilaterale Aufsicht stark machte.

Somit trug die EBK den mit der Grösse und der Komplexität der beiden schweizerischen Grossbanken UBS und Credit Suisse verbundenen Risiken Rechnung und unterstellte diese einer engeren Aufsicht, was zeigt, dass sie sich der Problematik bewusst war.

Ausserdem sprach sich die EBK wiederholt ­ vor allem im Rahmen der Debatte über die Eigenkapitalnormen Basel II160 ­ für eine Verschärfung besagter Normen aus, besonders für Grossbanken.161 Auch die Politik interessierte sich zunehmend für die mit dem wachsenden Stellenwert der beiden Grossbanken verbundenen Systemrisiken und die möglichen Konsequenzen für die schweizerische Wirtschaft.162 Wie die FINMA jedoch hervorhebt, ist es ihr in Sachen Eigenmittelvorschriften nicht gelungen, strengere Sicherheits156 157 158 159 160

161 162

Die Financial Services Authority ist die britische Aufsichtsbehörde für Finanzmärkte und Finanzdienstleistungen.

Federal Reserve Bank, die US Zentralbank und Bankenaufsichtsbehörde; die Fed NY ist für die Aufsicht über die in New York niedergelassenen grössten Banken zuständig.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 21.

Green David, 2010, The Conduct of Financial Market Supervision during the Financial Crisis. Gutachten zuhanden der EFV.

Das Eigenkapitalabkommen (Basel II), das vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht Ende Juni 2004 verabschiedet wurde, hat zum Ziel, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Finanzsystems zu stärken, die Chancengleichheit im Wettbewerb zu verbessern sowie insgesamt die Risiken besser in den Griff zu bekommen.

Das Abkommen wurde durch die Eigenmittelverordnung (ERV; SR 952.03), die am 1.1.2007 in Kraft trat, und die diesbezüglichen Rundschreiben der EBK ins Schweizer Recht übertragen.

Pressekonferenz der EBK vom 29.4.2004.

Nicht abschliessend: 99.3006 Postulat der WAK-N «Eigenmittelanforderungen an Banken. Aufsicht von Allfinanzunternehmen»; 03.3374 Postulat von NR Rudolf Strahm «Unternehmensfinanzierung und Evaluierung der Kreditrisiken»; Botschaft des Bundesrats zum Bundesgesetz zur Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht vom 1.2.2006 (BBl 2006 2829).

3152

normen im Bankengesetz (BankG)163 zu verankern: «In einer Zeit des anhaltenden globalen Wachstums fanden die Stimmen, die verschärfte Eigenmittelanforderungen verlangten, weder Gehör noch die nötige Unterstützung, trotz der Bemühungen der Schweizer Vertreter im Basler Ausschuss. Diese verschärften Anforderungen wurden folglich nicht in die Mindestnormen von Basel II integriert».164 Wie der Präsident der FINMA betonte, war es im wirtschaftlichen und politischen Kontext der Jahre 2005 und 2006 nicht möglich, solche Vorschläge durchzusetzen.165 SNB-spezifische Massnahmen Im Jahr 2001 schuf die SNB eine Abteilung für Finanzstabilität, und seit 2003 veröffentlicht sie einen Bericht zu diesem Thema. Bei der Revision des NBG (das 2004 in Kraft trat) schlug die Generaldirektion der SNB zudem eine präzisere Formulierung ihrer Zuständigkeiten im Bereich der Finanzstabilität vor, um die Rolle der SNB zu klären und ihre Verpflichtung, im Krisenfall mit den Aufsichtsbehörden zusammenzuarbeiten, gesetzlich zu verankern.166 Memorandum of Understanding Am 23. Mai 2007 wurde das Memorandum of Understanding (MoU), das die Zusammenarbeit zwischen EBK und SNB im Bereich der Finanzstabilität regelt, unterzeichnet. Dieses Abkommen umschreibt die jeweiligen Zuständigkeiten, definiert die gemeinsamen Interessen und regelt die Zusammenarbeit in diesen Bereichen. Es zielt zudem darauf ab, die Finanzmarktaufsicht durch eine bessere Koordination zwischen SNB und EBK zu optimieren.

Dieses Abkommen ergänzt die bestehenden rechtlichen Grundlagen und steht in keiner Weise im Widerspruch zu ihnen. In der Tat dient das MoU dazu, die Koordination, d. h. die Zusammenarbeit auf operativer Ebene, zu regeln, während die Kompetenzen und Grundsätze ihrerseits gesetzlich festgelegt sind.

Am 1. Juni 2007 sprach die SNB in einem Schreiben an die EBK gewisse Punkte des MoU an, die gemeinsam ausgearbeitet worden waren:


Falls eine systemrelevante Bank bei der SNB «Emergency Liquidity Assistance» nachfragt, liefert die EBK der SNB eine Solvenzeinschätzung der Bank.



Im Falle einer Liquiditätskrise ohne erhebliche Solvenzrisiken liegt die Federführung bei der SNB.



Im Falle einer ernsthaften Insolvenzgefahr arbeiten die SNB und die EBK eng mit dem Bund zusammen, um die Krise zu bewältigen.

163

Bundesgesetz vom 8.11.1934 über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG; SR 952.0).

164 FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 22.

165 Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der EBK/FINMA, durch die GPK vom 22.4.2009.

166 Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 22.4.2009.

3153

2.3

Kapazität zur Erkennung der Krise und ihrer Auswirkungen

Ab 2007 begannen die Immobilienpreise in den USA einzubrechen. Das war das Vorspiel zur so genannten Subprime167-Krise, die durch hochriskante Immobilienkredite ausgelöst wurde. Durch den Preissturz waren die Immobilien auf einmal weniger wert als die Kredite, die sie sichern sollten. Damit befanden sich die Kreditinstitute in einer finanziellen Zwickmühle, reichte doch der Verkaufserlös der Immobilien nicht mehr aus, die gewährten Kredite zu decken. Während der sechs Monate bis August 2007 verschlimmerte sich die Lage zusehends, da immer mehr Kreditnehmer zahlungsunfähig wurden. Im Februar 2007 nahm die Bank HSBC bedeutende Rückstellungen vor, was darauf hinweist, dass man sich des Problems zunehmend bewusst wurde.

Die ersten Krisensymptome tauchten in den USA zu Beginn des Jahres 2007 auf. Im Folgenden soll untersucht werden, ob und wenn ja, wie die verschiedenen Behörden die frühen Anzeichen der Krise vor den Turbulenzen vom August 2007 erkannt haben.

Zuvor muss jedoch in Erinnerung gerufen werden, dass die schweizerischen Grossbanken im Hinblick auf ihre finanzielle Gesundheit und ihr Risikoverhalten ein ausgezeichnetes Image genossen. Wie die FINMA168 bemerkt, war die UBS für die ausländischen Aufsichtsbehörden, die Prüfgesellschaften und die Ratingagenturen wie auch für die EBK ein Musterschüler: solide und stabile Gewinnkapazität, relativ vorsichtiges Risikoverhalten, beste Ratingwerte. Die Kontroll- und Managementsysteme der UBS waren im Vergleich zu ihren Konkurrenten mehrmals als überdurchschnittlich eingestuft worden. Die ausländischen Aufsichtsbehörden, die in der Lage waren, die UBS horizontal mit ihren direkten Konkurrenten zu vergleichen, hielten sie für ein ausgesprochen solides, innovatives und wenig risikobereites Unternehmen. Die EBK ihrerseits war sowohl von den betroffenen Banken als auch von den ausländischen Aufsichtsbehörden hoch geachtet.

Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass die UBS im zweiten Quartal, d. h. per Ende Juni 2007, einen historisch hohen Reinerlös von 5,4 Milliarden Franken verzeichnete.169 167

Subprime-Kredite sind Immobilienkredite für US-Privathaushalte mit geringer Kreditwürdigkeit. Die Hypothekenkredite werden in der Regel zu variablen und sehr hohen Zinssätzen gewährt. Diese Ausgabebedingungen setzen die Privathaushalte dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit aus. Aufgrund ihrer fragilen finanziellen Situation kann es geschehen, dass die Haushalte nicht mehr in der Lage sind, die Kreditzahlungen zu leisten. Im Jahr 2006 hob die amerikanische Zentralbank (nach einer Niedrigzinspolitik seit 2003) ihren Leitzins, wodurch sich auch die Zinsen der Immobilienkredite erhöhten. Die Banken, die das Geld zur Finanzierung ihrer Projekte teurer bezahlen mussten, wälzten die härteren Bedingungen auf ihre Kunden ab. Gleichzeitig führte eine sinkende Nachfrage zu einem Preiseinsturz auf dem Immobilienmarkt und damit zu einem Rückgang des «Vermögenseffekts» in den Haushalten ­ mit der Wertminderung ihrer Wohnungen und Häuser war auch ihr potenzieller Reichtum gesunken. Das Zusammentreffen dieser beiden Faktoren führte zu einem Anstieg der Zahlungsausfälle.

Quelle: http://www.lesechos.fr/info/finance/300194636.htm.

168 FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 22.

169 Die Lage verschlechterte sich rapide. Im dritten Quartal verbuchte die UBS einen Verlust von rund 800 Mio. Fr. und im vierten Quartal von mehr als 12 Mia. Fr., womit sich der Gesamtverlust für das Geschäftsjahr 2007 auf 4,3 Mia. Fr. belief. Quelle: UBS, Quartalsbericht und Jahresbericht 2007.

3154

2.3.1

Früherkennungskapazität der EBK

Einleitend muss vorausgeschickt werden, dass die EBK im Juli 1999, auf der Grundlage der Bankenverordnung und des Rundschreibens zu den Marktrisiken, der UBS die Erlaubnis erteilte, zur Berechnung der angesichts der Marktrisiken erforderlichen Eigenmittel das Modell Value-at-Risk (VaR170) anzuwenden. Zu jenem Zeitpunkt war die Erteilung dieser Erlaubnis zwar durchaus kohärent, doch erwies sich in der Folge, dass sie sich negativ auf das Risikomanagement der UBS, die Aufsicht der EBK und ihre Krisenerkennungskapazität auswirkte. Wie die FINMA und das Gutachten Geiger festhalten, erwies sich im Rückblick die Eigenmittelunterlegung von Marktrisiken nach dem VaR-Modell ­ wie von Basel I (1996) vorgesehen ­ als regulatorisches Versagen.

Schon ab 2005 waren die Kreditrisiken der UBS im Bereich Subprime erstmals Thema bei den Gesprächen zwischen der UBS und der EBK. Ab Ende 2006 hatte die EBK von einer markanten Verschlechterung der Lage auf dem US-Hypothekenmarkt Kenntnis.171 Im Februar 2007 befragte die EBK die UBS zu ihren Engagements im Subprime-Bereich. Die Antwort wird beim dreimonatlichen Treffen zwischen der EBK und den Vertretern der Investment Bank172 der UBS geliefert.

Wie die FINMA berichtet, «kam die Exposure gegenüber Marktrisiken im Subprime-Bereich erstmals während einer Sitzung mit der Investment Bank in London am 9. März 2007 zur Sprache» 173. Der Chief Risk Officer der Investment Bank teilte den Vertretern der EBK damals mit, dass die Investment Bank von einer Verschlechterung der Lage auf diesem Markt sogar profitieren könnte. Mit anderen Worten: Sollte der Markt einbrechen, so könnte die Bank Gewinne verbuchen oder hätte zumindest keine Verluste zu beklagen. Allerdings schlossen diese Informationen genau jene Exposures174 aus, die sich als die problematischsten erweisen sollten.

Diese waren in den Risikoberichten nicht aufgeführt, da UBS sie als sicher und liquide betrachtete. Der Chief Risk Officer der Investment Bank informierte folglich nicht über diese Positionen.

170

171 172

173 174

Value-at-Risk (VaR) ist ein statistisches Risikomass, das im Finanzsektor häufig zur Evaluierung eventueller Verluste verwendet wird. Mit Hilfe von VaR kann gemessen werden, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Risikoposition mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit (Konfidenzniveau) und in einem gegebenen Zeithorizont nicht überschreiten wird. So bedeutet ein VaR von 100 Mio. Fr., dass in einem Zeithorizont von zehn Tagen und bei einem Konfidenzniveau von 95 % der mögliche Verlust der Risikoposition in den nächsten zehn Tagen 100 Mio. Fr. mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 % übersteigen wird. Quelle: FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 70­71.

Pressekonferenz der EBK vom 27.3.2007.

Die Investment Bank (Investment bank) ist zuständig für Effektenhandel für Kunden, Effektenhandel für eigene Rechnung, Emissionstätigkeit und Beratungsaktivitäten im Bereich Vermittlung und Ausführung von Finanzierungs-, Unternehmensfinanz- oder Finanzmarkttransaktionen.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 23.

Zu diesen Exposures gehörte Dillon Read Capital Management (DRCM) sowie so genannte CDO Super-Senior-Positions. DRCM war eine (von der UBS ausgelagerte) Geschäftseinheit im Bereich der alternativen Investitionen. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten hielt DRCM Positionen im Subprime-Bereich. Mitte März 2007 kündigte DRCM an, dass ihre Verluste in mehreren Subprime-Positionen stiegen. Die UBS schloss DRCM Ende April 2007 und führte diese Investitionsstrategien zurück in die UBS. Quelle: UBS, 2008, Shareholder Report on UBS's Write-Downs, S. 9, 17­18.

3155

«Angesichts der vorbehaltlosen Versicherungen des Chief Risk Officer der Investment Bank zweifelte die EBK keine Sekunde daran, dass die Bank der veränderten Lage auf dem US-Immobilienmarkt Rechnung trug und dass in diesem Bereich kein nennenswertes Risiko bestand. Folglich wurden keine detaillierteren Analysen vorgenommen. Es gab damals für die EBK keinerlei Anzeichen dafür, dass die Risikoerkennung und Risikokontrolle lückenhaft war und dass die erklärte Strategie nicht der intern verfolgten Strategie entsprach».175 Die FINMA stellte im Nachhinein fest, dass die Daten nicht vollständig und die Zahlen ungenau waren ­ die Fehler lagen in zweistelliger Milliardenhöhe ­, und bedauerte, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht stärker insistiert hatte, da zur Ergreifung von Massnahmen noch ein gewisser Handlungsspielraum bestanden hätte.176 Da die Daten und Informationen, die der EBK als Grundlage zur Meinungsbildung dienten, von den Banken stammten, die sich selbst ihrer Exposure nicht bewusst waren, war es für die EBK verständlicherweise schwierig, zu anderen Ergebnissen als die Bank selbst zu kommen.

Bei der jährlichen Pressekonferenz der EBK am 27. März 2007 zeigte sich ihr Direktor in Bezug auf die Grossbanken und deren Krisenresistenz optimistisch: «Der Konkurs einer Grossbank hätte zweifellos verheerende Folgen für das schweizerische Finanzsystem und die gesamte Schweizer Wirtschaft, so dass der Bankrott von Swissair im Vergleich geradezu harmlos erscheinen würde. Es ist dieses enorme Risiko, und nicht die ­ heute geringe ­ Wahrscheinlichkeit, dass es sich verwirklicht, das eine intensive Beaufsichtigung der Grossbanken rechtfertigt. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit der SNB, der Garantin für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems, sicherzustellen, dass eine solche Katastrophe nicht eintrifft.»177 Bei der Präsentation ihres Jahresberichts am 28. März 2007 vor den GPK sprach die EBK hauptsächlich von der Umsetzung von Basel II in der Schweiz. Des Weiteren betonte sie, dass die wachsende Komplexität der Finanzinstrumente und die globale Dimension der wichtigsten Finanzinstitute zunehmend eine internationale Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden nötig machten. Die Komplexität der Finanzinstrumente werfe zudem Fragen im Hinblick auf ihre buchhalterische Evaluierung und Erfassung auf,
doch verfügte die EBK ihrer Ansicht nach über angemessene Instrumente zur Risikoevaluierung. Angesichts der Entwicklung der internationalen Finanzmärkte betrachtete die EBK die Aufsicht über die beiden schweizerischen Grossbanken als eine grosse Herausforderung, der sie sich aber gewachsen glaubte. Der EBK zufolge waren die Ressourcen zur Beaufsichtigung der Grossbanken ausreichend, auch wenn der IWF178 forderte, mehr in Kontrolle und Aufsicht der Grossbanken zu investieren, häufiger Direktkontrollen vorzunehmen und vor Ort die angewandten Verfahren zu prüfen. Die Risiken in den USA kamen bei dieser Präsentation der EBK nicht zur Sprache und wurden auch in den Fragen der Kommissionsmitglieder nicht aufgegriffen.

Ebenfalls am 28. März 2007 beschloss die EBK, eine mögliche Verschärfung der Eigenmittelanforderungen für Banken zu prüfen. Dieser Beschluss ging aus der 175 176

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 24.

Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der EBK, durch die WAK-S vom 14. und 15.1.2008.

177 Pressekonferenz der EBK vom 27.3.2007.

178 IMF, Staff Report for the 2007 Article IV Consultation, 16.4.2007.

3156

Diskussion der IWF-Empfehlungen hervor, scheint aber nicht durch die Furcht vor eventuellen Turbulenzen, welche die schweizerischen Finanzinstitute in absehbarer Zukunft heimsuchen könnten, motiviert gewesen zu sein.

Am 1. Mai 2007 kamen im Rahmen des ersten der halbjährlichen Treffen zwischen der EBK und dem EFD der Vorsteher des EFD sowie Vertreter der EFV und der EBK zu Gesprächen zusammen. Thema war u. a. die Eigenmittelausstattung der Grossbanken, doch die Frage der Vorbereitung auf eine eventuelle Krise bei den Schweizer Grossbanken wurde nicht angesprochen.179 Am 23. und 24. Mai 2007 führten die EBK und die SNB mit Vertretern der Credit Suisse und der UBS eine spezielle Sitzung zum Thema Risiken des Finanzsystems und Durchführung von stress tests180 durch. Die dabei durchgeführten Krisensimulationen der Banken wiesen auf potenzielle Verluste in der Höhe von höchstens einem Quartalsergebnis hin. Diese Resultate stehen im Einklang mit denjenigen des IWF181 (FSAP Banking System Stress Testing) vom Februar 2007, aus denen hervorgegangen war, dass der schweizerische Bankensektor in der Lage sei, mehreren makroökonomischen Schocks zu widerstehen und dass die beiden Grossbanken im Falle einer Liquiditätskrise sehr solide und liquide sein würden.

Ihrem Direktor zufolge nahm die EBK die von den Banken errechneten Maximalverluste mit Skepsis auf und wollte die Ergebnisse durch eine eingehendere Analyse prüfen.182 Doch die finanziellen Turbulenzen in der Schweiz sollten bald andere Prioritäten aufzwingen, und die Tests wurden angesichts des realen Ausmasses der Krise schnell irrelevant. Die Hypothesen und die in diesen stress tests errechneten Verluste sollten sich in der Tat als falsch erweisen. Die Verluste waren weit unterschätzt worden (die errechneten Maximalverluste lagen bei 2­3 Mia. Fr., während die UBS allein im vierten Quartal 2007 einen Verlust von 12 Mia. Fr. verbuchte183, vgl. Grafik 3 und Anhang 5).

Die EBK hatte sicherlich gewisse krisenbedingte Probleme identifiziert, das Bevorstehen der Finanzkrise aber nicht vorhergesehen. Diese Unfähigkeit, mit der die EBK nicht alleine dasteht, sondern die sie mit ausländischen Aufsichtsbehörden teilt, kann bis zu einem gewissen Grad auf folgende zwei Faktoren zurückgeführt werden: Erstens geht aus dem Bericht der FINMA hervor, dass der Informations-
und Meinungsaustausch zwischen den Verantwortlichen für die tägliche Aufsicht über die UBS und die Credit Suisse einerseits und der Gruppe Risikomanagement in der Abteilung Grossbanken andererseits unzureichend war. Wie die FINMA bemerkt, waren die Modellexperten zwar mit der Konzipierung und der Funktionsweise von 179 180

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 25.

Die stress tests sind dazu bestimmt, die Wirkung von bestimmten Ereignissen oder Verschlechterungen des wirtschaftlichen Umfelds auf die Bank zu messen. Diese stress tests werden von den Banken auf der Basis von Szenarien durchgeführt. Seit Beginn der Krise, d. h. seit 2008, gibt die EBK/FINMA (Protokoll der Anhörung des Vizepräsidenten der FINMA vom 22.4.2010) oder die SNB (Stellungnahme der SNB vom 21./23.5.2010) die Szenarien vor. Die GPK konnten nicht ermitteln, welche Behörde die Szenarien vorgibt. Bis dahin waren sie von den Banken selbst festgelegt worden.

181 IMF, Switzerland: Financial System Stability Assessment update, Country Report No. 07/187 vom 7.6.2007.

182 Protokoll der Anhörung von Daniel Zuberbühler, Direktor der EBK, durch die WAK-N vom 25.2.2008.

183 UBS, 4. Quartalsbericht 2007.

3157

Modellen vertraut, kümmerten sich aber nicht genug um die konkreten Aktivitäten der Investment Bank. Die beiden für die UBS und Credit Suisse zuständigen Überwachungs-Teams wiederum waren sich der Mängel der Modelle nicht bewusst.

Auch der Austausch zwischen den Verantwortlichen der UBS-Aufsicht und denjenigen der Credit Suisse-Aufsicht war ungenügend. Tatsächlich hätte die Information, dass die Credit Suisse ihre Exposure auf dem Subprime-Markt seit dem vierten Quartal 2006 reduzierte, das Team der UBS-Aufsicht wahrscheinlich hellhörig gemacht und es dazu veranlasst, die Daten der Bank kritischer unter die Lupe zu nehmen ­ wenn es davon gewusst hätte.184 Zweitens war die Rolle der Auditbüros, die für die EBK/FINMA arbeiteten, problematisch, denn sie erkannten die Mängel in den Kontrollsystemen der Banken nicht.

Die FINMA berichtet, dass «die vom Unternehmen Ernst & Young durchgeführten Audits der UBS zwischen 2005 und 2007 ein angemessenes Kontrollsystem bescheinigten. Wie sich in der Folge herausstellen sollte, war diese Beurteilung ohne reelle Grundlage».185

2.3.2

Früherkennungskapazität der Schweizerischen Nationalbank

Im März 2007 erkundigte sich die SNB bei der EBK angesichts der Verschlechterung der Lage auf dem US-Hypothekenmarkt über die Exposure der Grossbanken, insbesondere der UBS, auf dem Subprime-Markt.186 Die EBK versicherte der SNB, basierend auf Angaben der UBS, dass die UBS eine «short»-Position hätte und somit von einer Verschlechterung auf dem Subprime-Markt sogar profitieren würde.187 Im Juni 2007 ­ d. h. zwei Monate vor den ersten Turbulenzen ­ veröffentlichte die SNB ihren Bericht zur Finanzstabilität, in welchem die Zukunftsprognosen für die Stabilität des schweizerischen Bankenwesens als grundsätzlich positiv eingeschätzt wurden.

Im gleichen Bericht jedoch hob die SNB hervor, dass «selbst wenn die Prognosen gut sind, böse Überraschungen nicht ausgeschlossen werden können. So ist nicht auszuschliessen, dass die zu Jahresbeginn 2007 aufgetretenen Probleme auf dem amerikanischen Markt für zweitklassige Hypotheken (subprime mortgages) sich als erste Anzeichen einer weitreichenden Krise auf dem US-Immobilienmarkt oder einer generellen Verschlechterung der Lage auf dem Kreditmarkt herausstellen.»188 Der Bericht bemerkte auch die wachsende Risikobereitschaft der Investoren, besonders der Grossbanken, und hob hervor, dass die Engagements der Letzteren in ausländischen Kreditmärkten stark zugenommen hätten. Die SNB warnte zudem, dass die Risiken auch wegen der allgemeinen Verschuldung der Grossbanken und ihrer wachsenden Bilanzsummen gestiegen seien. Wie die SNB hervorhob, habe sie nicht genügend detaillierte Informationen von Seiten der Banken erhalten, was die Risiko184 185 186

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 41.

Ebd.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 12.10.2009 und vom 19.3.2010.

187 Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 12.10.2009.

188 SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2007, Juni 2007, S. 57.

3158

und Stabilitätsanalyse erschwerte. Die Umsetzung von Basel II sollte nach Ansicht der SNB diese Mängel zumindest teilweise für die Grossbanken beheben.189 Nach Aussage des Präsidenten der SNB war das rapide Anwachsen der Bilanzsummen ­ vor allem bei der UBS ­ für die SNB schon seit 2006 Anlass zur Sorge.190 Das Thema wurde daher im Financial Stability Report 2006 diskutiert und in den bilateralen Gesprächen des Direktoriums der SNB mit den Grossbanken aufgebracht.191 Diese Elemente erschienen jedoch nicht als wirklich alarmierend, denn wie die SNB ebenfalls festhielt, vermittelten die internen Analysen von Krisenszenarien den Eindruck, dass der Schweizer Bankensektor in der Lage war, einer ernsthaften Verschlechterung der Lage standzuhalten. Die SNB betonte in ihrem Bericht, dass diese Analyse vom IWF192 geteilt werde. Er war in seiner Untersuchung193 des Schweizer Finanzsektors zu einem ähnlichen Schluss gekommen.

Die SNB erkannte somit die wesentlichen Probleme (US-Hypothekenmarkt, steigende Bilanzsummen der Banken usw.), doch sah sie weder das unmittelbare Bevorstehen noch das Ausmass oder den zeitlichen Ablauf der Krise voraus.

2.3.3

Koordination zwischen den Behörden, Mitwirkung des Eidgenössischen Finanzdepartements und des Bundesrats

Der Steuerungsausschuss KLL, der Anfang 2007 geschaffen wurde, stellte Überlegungen zu Organisationsschritten im Falle einer Finanzkrise an. Der Ausschuss kam insbesondere im Juni und Juli 2007 mit Vertretern der UBS und der CS zusammen, um verschiedene Projekte im Zusammenhang mit den Krisenleitlinien zu diskutieren. Allerdings hatten diese Sitzungen nicht die ersten Anzeichen der Krise zum Thema; der Ausschuss führte unverändert seine Vorbereitungsarbeiten zu Krisenszenarien und Massnahmen für den Krisenfall fort (siehe Kapitel 2.2).

Zu diesem Zeitpunkt befand sich das EFD, wie alle schweizerischen Behörden, nicht in einer ausserordentlichen Lage. Wie im vorhergehenden Kapitel erwähnt, fand das erste Treffen zwischen der EBK und dem EFD, bei dem die finanziellen Turbulenzen zur Sprache kamen, am 1. Mai 2007 statt.194 Die Vorbereitung auf eine eventuelle Krise auf Ebene der Grossbanken stand nicht auf der Tagesordnung. Auch in der Sitzung der Finanzkommission des Nationalrats vom 24. Mai 2007 brachten weder der Vorsteher des EFD noch der Direktor der EFV die Angelegenheit zur Sprache, und die Kommissionsmitglieder stellten keinerlei Fragen in Bezug auf schweizerische oder internationale Finanzprobleme.

189 190 191 192

193 194

Ebd., S. 57­58.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 12.10.2009.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 22.4.2009.

Der IWF führte zwei Untersuchungen des Schweizer Finanzsektors durch, die erste im Jahr 2001 und die zweite im Jahr 2006. Die zweite Untersuchung kam zum Schluss, dass sich der Schweizer Finanzsektor gegenüber makroökonomischen Schocks resistent zeigte, trotz der mit der Grösse der beiden Grossbanken verbundenen Risiken.

IMF, Switzerland: Financial System Stability Assessment 2006, Juni 2007.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 25.

3159

Was den Bundesrat anbelangt, so geht aus den von den GPK durchgeführten Anhörungen195 hervor, dass die Bundesräte bezüglich des Zeitpunkts, von dem an der Bundesrat sich mit der Finanzkrise zu beschäftigen begann, alle unterschiedlicher Ansicht sind.

Im August 2007196 wurden die finanziellen Turbulenzen erstmals deutlich wahrgenommen, mit einer substanziellen Verschlechterung der Marktbedingungen (Preissturz der Wertpapiere, die mit dem US-Subprime-Markt in Verbindung standen, Vertrauensverlust auf dem Interbankenmarkt) und einem drastischen Gewinnrückgang, besonders bei den zwei Schweizer Grossbanken.197 Von diesem Moment an gingen die schweizerischen Behörden in den «Krisenmanagement»198-Modus über, wie die Kapitel 2.5 bis 2.7 erläutern werden.

2.3.4

Beurteilung im internationalen Vergleich

Die folgende Beurteilung stützt sich auf das Gutachten, das die GPK den Experten Tille und Wyplosz in Auftrag gegeben haben. Zuerst werden die Strukturen (Kapitel 2.3.4.1) und die Mittel (Kapitel 2.3.4.2) der schweizerischen und ausländischen Aufsichtsbehörden verglichen. Auf Grundlage dieses Vergleichs werden im Abschnitt 2.3.4.3 die wesentlichen Probleme, mit denen sich die Aufsichtsbehörden bei der Krisenerkennung konfrontiert sahen, dargelegt. Die folgende Beurteilung ist jene der Verfasser des Gutachtens. Die Ansichten anderer Experten werden explizit als solche bezeichnet.

2.3.4.1

Unterschiedliche Strukturen der Aufsichtsbehörden

Das erste Element, das sich zum Vergleich der schweizerischen mit den ausländischen Aufsichtsbehörden anbietet, ist ihre Struktur, d. h. die Anzahl Instanzen und die Aufteilung der Aufsichtstätigkeit zwischen mehreren Instanzen. Nach Ansicht von Tille und Wyplosz kann diese Aufteilung (innerhalb eines Landes) zu einem Mangel an Koordination führen. Dieses Risiko ist von Land zu Land sehr unterschiedlich, entsprechend der jeweiligen Fragmentierung der Strukturen.199 Tabelle 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Instanzen, die für die Beaufsichtigung der Banken, der Finanzmärkte und der Versicherungen verantwortlich zeichnen. Sie verdeutlicht, wie sehr sich die Praktiken von Land zu Land unterscheiden.

Einige Länder wie Deutschland, Grossbritannien, Irland und die Schweiz (seit dem 1.1.2009 und in geringerem Masse zuvor) haben eine einzige Behördenstelle mit allen Aufsichtsbereichen betraut. Andere Länder wie Frankreich, die USA und Kanada verfügen über getrennte Instanzen für die Banken, die Märkte und die Versicherungen und über zusätzliche Behördenstellen für spezifische Aufgaben. In den 195 196

Protokoll der Anhörungen der Bundesräte durch die GPK vom 4.­6. und 14.­15.5.2009.

Das EFD erfuhr Ende August 2007 in einer Sitzung mit den Präsidenten der SNB und der EBK, dass die finanziellen Turbulenzen die Schweiz erreicht hatten. Es wurde beschlossen, regelmässig zusammenzukommen (siehe Kapitel 2.4).

197 SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2008, Juni 2008.

198 Der Begriff Finanzkrise trifft erst für die Situation ab September 2008 zu.

199 Financial Service Authority, 2009, The Turner review. A regulatory response to the global banking crisis, London, March 2009.

3160

USA herrscht eine extreme Fragmentierung, sowohl bei der Versicherungsaufsicht, die den Bundesstaaten untersteht, als auch bei der Bankenaufsicht, an der mehrere Regulierungsbehörden beteiligt sind, wobei sich jede um einen anderen Bankentyp kümmert. Die Schweiz gehört zu den Ländern mit einer stark konzentrierten Aufsicht und einer geringen Anzahl Aufsichtsbehörden ­ ein Aspekt, der sich mit der Schaffung der FINMA Anfang 2009 noch verstärkt hat.

Laut Tille und Wyplosz war die Schaffung der FINMA eine angemessene Antwort auf die Koordinationsproblematik; diese hat jedoch nichts mit der Finanzkrise zu tun.

Tabelle 2: Aufsichtsbehörden Land

Banken

Kanada

Canada mortgage and hous- 13 Büros auf födeing corporation (CHMC) raler Ebene Canada deposit insurance corporation (CDIC) Banque du Canada Office of the Superintendent of financial institutions (OSFI)

Spanien

Banco de España

USA

Office of comptroller of the currency (OCC) Federal Reserve Federal deposit insurance corporation (FDIC) Office of thrift supervision (OTS, potenziell konsolidiert) Comité de réglementation Autorité des marchés financiers bancaire et financière (CRBF) (AMF) Credit institutions and investment firms committee (CECEI) Commission bancaire Eidgenössische Bankenkommission

Frankreich

Schweiz (bis 2008) Schweiz (seit 2009) Deutschland Irland Grossbritannien

Wertpapiere

Versicherungen

Canada mortgage and housing corporation (CHMC) Canada deposit insurance corporation (CDIC) Banque du Canada Office of the Superintendent of financial institutions (OSFI) Nationale Kommis- Generaldirektorat für sion für WertpaVersicherungen und Penpiermärkte sionsfonds Securities and 50 Bundesstaaten Exchange Commission (SEC)

Commission de contrôle des assurances

Bundesamt für Privatversicherungen

FINMA Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) Irish financial services regulatory authority (IFSRA) Financial services authority (FSA)

Quelle: Tille und Wyplosz, auf Grundlage der Webseiten der jeweiligen Behörden

3161

2.3.4.2

Unterschiedliche Ressourcen der Aufsichtsbehörden

Ein weiterer Aspekt, der bei der Qualität der Aufsicht eine Rolle spielt, sind die Mittel, d. h. die Ressourcen, die den Aufsichtsbehörden zur Verfügung stehen. Laut Tille und Wyplosz sind diese Ressourcen von Land zu Land sehr unterschiedlich (Anhang 3). Zur Veranschaulichung dieser Unterschiede wird die Arbeitslast pro Mitarbeiter berechnet. Ist die Arbeitslast zu hoch, besteht die Gefahr, dass die Aufsichtsbeamten gewisse Probleme nicht wahrnehmen.

Schaut man sich die Zahl der zu beaufsichtigenden Banken pro Mitarbeiter an, so erscheint die Arbeitslast der Schweizer Aufsichtsbeamten (2,35 Banken pro Mitarbeiter) im internationalen Vergleich hoch. Nur in Grossbritannien ist die Arbeitslast noch höher (4,19). Beschränkt man sich auf die Grossbanken ­ die für die Stabilität des Finanzsektors die grösste Bedeutung haben ­, so ist die Arbeitslast der Schweizer Aufsichtsbeamten mässig, wobei sie in den USA und in Spanien noch geringer ist.

Allerdings ist ein Vergleich der Anzahl Banken und Mitarbeiter nicht ein voll und ganz zufriedenstellender Ansatz. So zählt die Schweiz zwar nur zwei Grossbanken, aber ihre addierten Bilanzsummen entsprechen 450 Prozent des Bruttoinlandprodukts des Landes (fast 800 % vor der Krise). Folglich muss die Zahl der Aufsichtsbeamten auch im Verhältnis zu den Bilanzsummen verglichen werden. Nach diesem Mass berechnet ist die Arbeitslast der Schweizer Aufsichtsbeamten (22,2 Mia. Fr.

pro Person) viel geringer als in Grossbritannien (66,7 Mia.), aber viel höher als in den USA (7,1 Mia.). Die Last ist besonders hoch für die beiden Grossbanken (75,4 Mia. pro Person), was laut Tille und Wyplosz die Gefahr mit sich bringt, dass Probleme in diesen Finanzinstituten nicht früh genug erkannt werden.

Für David Green gehört die schweizerische Aufsichtsbehörde historisch gesehen zu den ärmsten an Personal, verglichen mit anderen Behörden, die mit einem ähnlich hoch entwickelten und komplexen Finanzsystem zu tun haben wie die Schweiz.

Die Frage der Ressourcen kommt auch im Gutachten von Professor Hans Geiger zur Sprache, allerdings im zeitlichen Vergleich. Laut Geiger waren der Qualifikationsgrad des Personals und die Arbeitsqualität im Bereich der Grossbankenaufsicht im Jahr 1998 deutlich geringer als in der Krisenfrühzeit im Frühjahr 2007.200

2.3.4.3

Probleme der Finanzaufsicht

Die Aufsichtsbehörden (aller Länder) haben laut Tille und Wyplosz vor der Krise eine bestimmte Anzahl Fehler begangen: 1. Die von den Aufsichtsbehörden durchgeführten Analysen der Eigenmittelversorgung haben sich als unangemessen erwiesen; 2. die Behörden haben es versäumt, eine eigene Risikoevaluierung vorzunehmen; 3. die Behörden überliessen es den Banken selbst, die Risiken zu evaluieren, und begnügten sich damit, die hochkomplexen mathematischen Modelle der Banken zu bestätigen.

Diese Fehler widerspiegeln zu einem beträchtlichen Grad die Abhängigkeit der Aufsichtsbehörden von den Banken, für die sie zuständig sind. Aufgrund ihrer 200

Geiger Hans, 2009, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise, Bern, S.13.

3162

begrenzten Mittel neigen die Aufseher dazu, sich weitgehend auf die Informationen zu stützen, die sie von den Banken erhalten, was mehrere beachtliche Risiken mit sich bringt.

­

Erstens kann man von Aufsichtsbehörden, die Informationen der Banken verwenden, nicht erwarten, dass sie Probleme erkennen, die dem Management der Bank selbst entgangen sind. Tatsächlich wurden sich die Führungskräfte mehrerer Banken des Ausmasses der Krise erst bewusst, als diese schon voll im Gange war. Das zeugt davon, wie schwierig es ist, die Risikoposition einer Bank in Echtzeit zu bestimmen.201 Die spanische Erfahrung bietet hier einen interessanten Kontrast. Die Banco de España, die für die Regulierung und die Bankenaufsicht zuständig ist, hatte in jede Grossbank des Landes ein ständiges Team von vierzig Aufsichtsbeamten entsandt. Diese enge Beaufsichtigung hatte die Bank dazu veranlasst, den Erwerb von Derivaten des US-Immobilienmarkts schlichtweg zu verbieten. Sie hatte die Gefahr der Situation erkannt und besagte Derivate als zu undurchsichtig und folglich als zu gefährlich angesehen.

201 202 203

­

Zweitens kompensierten die Aufsichtsbehörden ihren Mangel an Ressourcen mit Modellen, welche die Risiken, denen die Bank ausgesetzt war, berechnen sollten ­ wobei es sich oft um dieselben Modelle handelte, die auch die Bank benutzte. Diese Modelle stützten sich weitgehend auf Mutmassungen, und die Aufseher haben die Hypothesen und die Ergebnisse dieser Modelle nicht genügend hinterfragt. Das Problem verschärft sich noch, wenn man berücksichtigt, dass die Risikoevaluierung in diesen Modellen weitgehend auf Notationen der Ratingagenturen wie Fitch, Standard & Poor's und Moody's beruhte. Diese Agenturen befinden sich aber in einem ernsthaften Interessenkonflikt, da sie ihr Honorar von den Anbietern der Produkte beziehen, die sie zu bewerten haben.

­

Drittens kann die Abhängigkeit der Aufseher von den Daten, Instrumenten und Analysen, die ihnen die ihrer Aufsicht unterstehenden Banken zukommen lassen, zu einem Mangel an Distanz und Skepsis gegenüber diesen Analysen führen («groupthink»). Die von der FINMA durchgeführte Krisenanalyse202 zeigt deutlich, dass die Aufsichtsbehörde die Schlussfolgerungen der Bank nicht genügend hinterfragt hat und dass die EBK sich zu bereitwillig mit den Versicherungen der Bank zufrieden gab. Die Tatsache, dass Bankiers, Aufseher und ­ allgemein betrachtet ­ Wirtschaftsexperten alle zusammen nicht in der Lage waren, die schwerste Finanzkrise seit 1929 vorauszusehen, zeugt von der Macht des Konformismus. Einige Wirtschaftsexperten und mindestens eine Institution (die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel [BIZ]203) hatten einen Grossteil der Schwächen, welche die Krise zuerst hervorgerufen und dann verschärft haben, erkannt. Nach Ansicht von Tille und Wyplosz hätten die Aufsichtsbehörden diese Warnungen, selbst wenn sie eine Minderheitsmeinung widerspiegelten, ernst nehmen und ihre Kontrollen entsprechend verstärken müssen.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 26 und 42.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist das bevorzugte Koordinationsund Diskussionsforum der wichtigsten Zentralbanken.

3163

­

Schliesslich mindert die Abhängigkeit der Aufsichtsbehörden von den Banken ihre Fähigkeit, Letzteren konkrete Schritte aufzuzwingen. Solche konkreten Schritte, wie z. B. höhere Rückstellungen für riskante Investitionen, sind für die Bank mit zusätzlichen Kosten verbunden, und dies ohne jede Gewissheit, dass die Befürchtungen berechtigt sind. Man kann sich leicht denken, dass die Banken sich derartigen Forderungen widersetzen, indem sie den Aufseher einer übermässigen Vorsicht bezichtigen, welche die Rentabilität der Banken beeinträchtigt, und gegebenenfalls ihre politische Lobby mobilisieren. Das Machtungleichgewicht zwischen den Aufsehern und den Banken kann Erstere dazu bewegen, sich zu bereitwillig mit partiellen Schritten seitens der Banken zu begnügen.

Für Tille und Wyplosz ist das Ungleichgewicht zwischen Aufsehern und Beaufsichtigten ein Problem, das in der Schweiz aus mehreren Gründen besondere Aufmerksamkeit verdient. Erstens ist die Unverhältnismässigkeit der Mittel aufgrund des Gewichts der Banken in der nationalen Wirtschaft in der Schweiz besonders ausgeprägt. Zweitens bedeutet die dominierende Rolle der Grossbanken, dass ein aufgrund von Vorsichtsmassnahmen erlittener Rentabilitätsrückgang als ein Verlust für die gesamte Wirtschaft präsentiert werden kann. Und drittens ist in einem kleinen Land wie der Schweiz die Zahl der Personen, die in der Lage sind, die Komplexität der modernen Banken zu bewältigen, ziemlich begrenzt. Somit besteht die Gefahr, dass die Aufseher ihren Gesprächspartnern in der Bank zu nahe stehen und der nötigen Distanz ermangeln. Diese Gefahr der «regulatory capture» ist nicht auf die Schweiz begrenzt, doch verdient sie aufgrund der geringen Grösse des Landes mehr Aufmerksamkeit als anderswo.

Geiger kommt in seinem Gutachten zum Schluss, dass von einer Aufsichtsbehörde nicht erwartet werden kann, dass sie mit den Risikopositionen der Bank vertraut ist, doch muss die Behörde wissen, ob die Bank selbst diese kennt.204 Geiger hebt ebenfalls hervor, dass die EBK zu stark vom Image des Musterschülers der UBS geprägt war.205 Des Weiteren hält er fest, dass er keinerlei Hinweise auf eine Abhängigkeit von der UBS feststellte.

2.4

Auswirkungen der Krise auf den Schweizer Bankensektor

Seit Beginn der finanziellen Turbulenzen des zweiten Halbjahrs 2007 war klar, dass die Krise den Schweizer Grossbanken aufgrund ihrer starken Exposure auf dem Markt der Mortgage-backed securities (MBS)206 und aufgrund ihrer Aktivitäten im Bereich der Finanzierungen mit starkem Leverage-Effekt ernsthaft zusetzen würde.207 Die Krise betraf vor allem die Schweizer Grossbanken, UBS und Credit Suisse (Grafik 3), die auf den wichtigsten internationalen Finanzmärkten aktiv sind. Die

204

Geiger Hans, 2009, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise, Bern, S. 13.

205 Ebd., S. 9.

206 Durch Hypotheken gesicherte Wertpapiere.

207 SNB, Geschäftsberichte 2007 und 2008.

3164

mittleren und kleinen Banken waren von den Turbulenzen auf den Finanzmärkten viel weniger stark betroffen.

Laut FINMA-Bericht208 befand sich die Credit Suisse zu diesem Zeitpunkt in einer besseren Lage als die UBS, denn einerseits wies sie in den betroffenen Bereichen ein kleineres Portfolio auf, und andererseits hatte sie auf die Krise früher reagiert als die UBS.

Grafik 3: Gewinne und Verluste der UBS und der Credit Suisse von 2005 bis 2010, in Milliarden Franken

6 4 2 0 -2

QI

Q2 Q3

2005

Q4

QI

Q2 Q3 Q4

2006

QI

Q2

Q3 Q4

2007

QI

Q2 Q3 Q4

QI

2008

Q2 Q3 Q4

2009

-4

QI

2010

UBS CS

-6 -8 -10 -12 -14

Quelle: Quartalsberichte der UBS und der CS von 2005 bis 2010

In der Tat hatte die Credit Suisse, im Gegensatz zur UBS, ihre Exposure auf dem US-Hypothekenmarkt schon im vierten Quartal 2006 zu reduzieren begonnen. Diese Vorsicht war dem bankinternen Hypothekendienst (mit Sitz in den USA) zu verdanken, der in dieser Hinsicht Warnsignale ausgesandt hatte (Informationen über Zahlungsverzögerungen). Die UBS ihrerseits steigerte ihre Exposure gegenüber dem US-Hypothekenmarkt konstant, und dies bis zum dritten Quartal 2007. So war es für die Credit Suisse nach Auftreten der ersten finanziellen Turbulenzen weitaus einfacher als für die UBS, ihre Exposure zu verringern.

Wie Grafik 3 zeigt, musste die UBS aufgrund der bedeutenden Abschreibungen in ihrem Subprime-Segment schwere Verluste verbuchen. Insgesamt verzeichnete die UBS zwischen Anfang 2007 und Mitte 2009 krisenbedingte Abschreibungen und

208

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 15­16.

3165

Kreditverluste in der Höhe von 53 Milliarden Dollar, verglichen mit 19 Milliarden Dollar für die Credit Suisse.209 In seiner Botschaft zu einem Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems210 präsentierte der Bundesrat die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Schweizer Banken. Die folgenden Abschnitte (2.4.1 bis 2.4.3) sind der Botschaft vom 5. November 2008, d. h. zwei Wochen nach Umsetzung des Massnahmenpakets, entnommen.

2.4.1

UBS

Nach Ansicht des Bundesrats wurde das Vertrauen der Märkte in die UBS durch mehrere Faktoren belastet.

Erstens blieb die Bank gegenüber jenen Finanzmarktsegmenten exponiert, die im Zentrum der Krise standen. Zwar waren viele Risikopositionen mit Bezug zum US-Immobilienmarkt in den vorangegangenen Monaten reduziert worden, doch waren sie nicht vollständig verschwunden.211 Zweitens blieb der Ausblick für die Entwicklung der Eigenmittelsituation der Bank ungewiss. Zwar lag ihre Eigenmittelquote per 30. September 2008 immer noch weit über dem regulatorischen Minimum, doch konnte nicht mehr ausgeschlossen werden, dass die Bank durch weitere Verluste bis Ende Jahr die verlangte Überdeckung (Swiss Finish) verletzen und sich dem regulatorischen Minimum annähern würde.

Drittens erschwerte eine Reihe weiterer Faktoren eine rasche Vertrauensbildung.

Insbesondere war die vormals sehr starke Position der UBS im Vermögensverwaltungsgeschäft geschwächt. Unter anderem waren dafür Befürchtungen einer Solvenzverschlechterung und der durch die erlittenen Verluste entstandene Reputationsschaden verantwortlich. Diese Umstände trugen massgeblich zur negativen Entwicklung bei den Netto-Neugeldern bei. Die Bank erlitt im dritten Quartal insgesamt Abflüsse von 83,6 Milliarden Franken, wovon allein 49,3 Milliarden Franken auf das Global Wealth Management & Business Banking fielen. Zum Vergleich: Während der vorangegangenen sieben Jahre hatte die UBS in jedem Quartal eine positive Entwicklung ausgewiesen und einen Netto-Neugeld-Zufluss von rund 100 Milliarden Franken pro Jahr verzeichnet. Diese Entwicklung führte gegen Ende des dritten Quartals zu einer Verschlechterung der Liquiditätssituation der Bank. Die Aufnahme von Termingeldern wurde ­ wie bei vielen Marktteilnehmern ­ praktisch unmöglich, was zu einer Verkürzung der Fristenstruktur führte. Die UBS war gezwungen, grosse Summen im Eintagesgeldmarkt («overnight») zu refinanzieren.

209

Quelle: Bloomberg, zitiert in FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 16.

210 Botschaft des Bundesrats vom 5.11.2008 zu einem Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems, BBl 2008 8943.

211 So verblieben Risikopositionen wie z. B. weitere hypothekenbezogene oder mit Studentendarlehen besicherte Finanzinstrumente, hochriskante und/oder illiquide Finanzmarktsegmente wie fremdfinanzierte Firmenübernahmen («Leveraged Finance») oder Auction Rate Securities.

3166

2.4.2

Credit Suisse

Verglichen mit der UBS und wichtigen internationalen Konkurrenten befand sich die CS laut Bundesrat zum Zeitpunkt des Massnahmenpakets in einem Zustand geringerer Verwundbarkeit. Die Bank war nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen, und das Vertrauen der Märkte in die CS war relativ intakt: Erstens hatte die Bank ihren Status als «sicherer Hafen» verteidigen können. Zweitens war ihr Aktienkurs im Branchenvergleich weniger rasch eingebrochen. Drittens lag die Risikoprämie, welche die Bank auf ihre Schulden bezahlte, deutlich unter dem Wert ihrer internationalen Konkurrenten.

Zudem war ihre Liquiditätssituation vor dem Hintergrund des schwierigen Marktumfeldes robust. Die Refinanzierungsmöglichkeiten waren eher kurzfristiger Natur, aber es waren keine grösseren Geldabflüsse zu verzeichnen. Die CS war im Wesentlichen jenen Finanzmarktsegmenten gegenüber exponiert, die erst im Laufe der Krise zunehmend problematischer wurden. Bedeutende Risikopositionen bestanden insbesondere gegenüber hochriskanten Finanzmarktsegmenten wie fremdfinanzierten Firmenübernahmen («Leveraged Finance») und der Finanzierung von Geschäftsliegenschaften. Insbesondere der Markt für europäische Geschäftsliegenschaften war völlig zum Erliegen gekommen. Der Bundesrat rechnete damit, dass die Eigenmittelsituation der CS nach der am 16. Oktober 2008 angekündigten Kapitalerhöhung sehr gut sein würde. Die Berechnungen für das dritte Quartal 2008 gingen davon aus, dass durch die Aufnahme von rund 11 Milliarden Franken Kapital die Kernkapitalquote auf rund 13,7 Prozent ansteigen würde (10,4 % ohne Kapitalaufnahme) und die anrechenbaren Eigenmittel die Mindestanforderung der EBK um mehr als 100 Prozent (ohne Kapitalerhöhung um rund 50 %) übertreffen würden.

Mit der Kapitalerhöhung übertraf die Bank die von der EBK für 2013 angestrebte Eigenmittelzielgrösse und die Mindestgrösse der Leverage Ratio.

Laut Bundesrat war das Vertrauen des Marktes in die CS seit Beginn der Krise hoch geblieben, was sich u. a. in höheren Vermögenszuflüssen bemerkbar machte. Diese Tendenz schwächte sich im Laufe des dritten Quartals jedoch ab, mit einem NettoNeugeld-Zufluss von 1,5 Milliarden Franken.

2.4.3

Situation der anderen Schweizer Banken

Im Unterschied zu den Grossbanken hatten die übrigen Banken in der Schweiz nur sehr gering in die von der internationalen Finanzkrise direkt betroffenen Aktiven, insbesondere in den US-Immobilienmarkt oder in fremdfinanzierte Firmenübernahmen (Leveraged Finance), investiert. Sie spürten jedoch die Auswirkungen des Kurszerfalls an den Aktienmärkten vor allem über rückläufige Erträge aus dem Vermögensverwaltungs- und Handelsgeschäft.

Der Bundesrat hielt fest, dass die Eigenmittelausstattung der Schweizer Banken sehr gut war. Ohne Grossbanken übertraf der Durchschnitt die Mindestanforderungen um gut 90 Prozent, sogar ohne Anrechnung des Staatsgarantie-Rabattes für Kantonalbanken oder der Nachschusspflicht der Genossenschafterinnen und Genossenschafter bei Raiffeisen. Die Vertrauenskrise im Interbankenmarkt wirkte sich auf alle Banken negativ aus. Die Nicht-Grossbanken verzeichneten jedoch generell wegen des angeschlagenen Vertrauens in die Grossbanken einen starken Zufluss von Kun-

3167

dengeldern. Hauptnutzniesser waren namentlich die Kantonalbanken und die Raiffeisenkassen sowie die Postfinance.

2.5

Krisenmanagement: Massnahmen der schweizerischen Behörden (August 2007 bis April 2009)

Das Ausmass der Finanzkrise und ihre zeitweise rapide Ausbreitung stellten die schweizerischen Behörden vor ungekannte Herausforderungen. Die rasche Folge von Ereignissen zwang die Behörden, zahlreiche, teils drastische Massnahmen zu ergreifen, um ihr gesetzliches Mandat zu erfüllen. Obwohl schon seit Ende der 90er Jahre Krisenvorbereitungen ausgearbeitet worden waren, hatte niemand ernsthaft ein Szenario von solcher Tragweite ins Auge gefasst, und trotz Kontakten mit ihren ausländischen Amtskollegen hatte keine schweizerische Behördenstelle die Krise voraussehen können (Kapitel 2.3).

In der Schweiz war die grösste Sorge das Überleben der Grossbanken, deren systemrelevante Bedeutung für das Land ausser Zweifel stand. Die Auswirkungen der Krise auf die Credit Suisse und die UBS machten ein strenges Monitoring erforderlich, und als die Umstände es verlangten, mussten effiziente und präzis koordinierte Massnahmen ergriffen werden. In diesem Kapitel sollen die angesichts der Schwierigkeiten der Grossbanken ergriffenen Massnahmen der schweizerischen Behördenstellen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen eingehend beleuchtet werden.

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 9. August 2007, als die Finanzkrise nach allgemeiner Ansicht begann, bis zum 16. Oktober 2008, dem Tag, an dem das Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems lanciert wurde.

Zusätzlich werden Massnahmen erwähnt, die in Fortsetzung des Massnahmenpakets bis zum Jahresbeginn 2009 beschlossen wurden.

Die im Rahmen des Krisenmanagements ergriffenen Massnahmen der SNB, der EBK und des EFD ­ Behörden, die alle für unterschiedliche Aspekte der Finanzstabilität zuständig sind ­ werden chronologisch präsentiert. Sie können in drei Schlüsselphasen des Krisenmanagements aufgeteilt werden. Die erste Phase dauert vom 9. August bis Ende September 2007 und weist diejenigen Massnahmen auf, die angesichts der ersten Turbulenzen im Finanzsektor ergriffen wurden. Die zweite Phase, Ende 2007 bis Frühling 2008, ist gekennzeichnet durch zwei Wellen des Vertrauensverlustes auf den Finanzmärkten und eine Verschärfung der Probleme der Grossbanken, die insbesondere zu einer Rekapitalisierung auf dem Privatmarkt führten. In der dritten Phase schliesslich erreicht die Krise im Anschluss an den Konkurs der Lehman Brothers im September 2008 ihren Höhepunkt, und die UBS muss auf die Hilfe der SNB und des Bundes zurückgreifen.

2.5.1

August bis September 2007: Beginn der Krise und erste Massnahmen der Behörden

Zu Beginn des Sommers 2007 brachten hohe Verluste auf dem US-Subprime-Markt die ersten Finanzinstitute ins Schwanken. Die Exposure der schweizerischen Grossbanken auf dem Subprime-Markt war zu jenem Zeitpunkt noch nicht genau bekannt, doch nahmen die diesbezüglichen Befürchtungen ab Anfang August 2007 stetig zu 3168

(der Chief Executive Officer [CEO]212 und der Präsident der UBS wurden am 6. August über die Probleme der Bank auf dem Subprime-Markt unterrichtet).213 Die Ungewissheit in Bezug auf das Ausmass der Verluste und Abschreibungen der Grossbanken nahm zu und führte schliesslich zu einer schweren Vertrauenskrise auf dem Interbankenmarkt. Am 9. August kam es zu einem fast vollständigen Versiegen der Liquiditäten auf dem Interbankenmarkt, ein deutliches Warnsignal für eine schwere Funktionsstörung des Bankenwesens.

2.5.1.1

August 2007: Liquiditätsversorgung durch die SNB

Ihr gesetzliches Mandat zwang die SNB zu einem raschen Eingreifen. Die Krise des Interbankenmarkts veranlasste sie dazu, in Absprache mit anderen Zentralbanken214 den Währungs- und Interbankenmärkten massive Liquiditätsspritzen zuzuführen, um deren Fortbetrieb zu gewährleisten. Die erste Intervention fand am 9. und 10. August 2007 statt, als Antwort auf die erste Welle des Vertrauensverlusts215 auf dem Interbankenmarkt. In der Folge machten neue Wellen des Vertrauensverlusts (November/Dezember 2007, März/April 2008 und September/Oktober 2008) weitere ausserordentliche Liquiditätsspritzen erforderlich.216 Diese Interventionen nahmen während der Finanzkrise ein in der Geschichte der SNB ungekanntes Ausmass an.

2.5.1.2

August 2007: Verstärkung des Monitoring der Märkte durch die SNB

Ab August 2007 verstärkte die SNB auch das Monitoring der von den Turbulenzen betroffenen Märkte. Sie überwachte strenger als zuvor die traditionellen Indikatoren der Aktien- und Anleihenmärkte, aber auch die Kurse der hypothekarisch gesicherten Wertpapiere (MBS), die Risikoprämien der internationalen Grossbanken und die Mitteilungen der Banken zu ihren Quartalsergebnissen und ihrem Bedarf an zusätzlichen Rückstellungen aufgrund der Turbulenzen. Die Ergebnisse dieses Monitoring wurden regelmässig an die EBK und die betroffenen Bundesämter weitergeleitet.217 212 213 214

Der CEO entspricht dem Vorsitzenden der Konzernleitung.

UBS, Shareholder Report on UBS's Write-Downs, 18.4.2008, S. 35.

Die Zentralbanken sahen sich mit dem Liquiditätsbedarf ihrer Banken in Fremdwährungen konfrontiert. Da sie selbst nicht Emittenten dieser Währungen waren, konnten sie dieses Problem nicht allein bewältigen. Sehr rasch wurde ein Kooperationsnetz auf die Beine gestellt in der Form von Swap-Vereinbarungen, die den Austausch von Währungen ermöglichten. Die SNB beteiligte sich an solchen Vereinbarungen, sowohl um Dollar-Liquiditäten zu erhalten, als auch um andere Zentralbanken mit Schweizer Franken zu versorgen.

215 Die Vertrauensverluste waren gekennzeichnet durch Erhöhungen der Risikoprämien, welche in den Zinssätzen des Interbankenmarkts enthalten waren. Diese Erhöhungen verursachten unerwünschte Fluktuationen des Dreimonats-Libor in Schweizer Franken sowie der kurzfristigen Geldmarktzinssätze. Die SNB intervenierte mit neuen Liquiditätszufuhren und mit einer sukzessiven Senkung der Repo-Zinsen. Verschiedentlich sah sich die SNB auch zu Devisenswaps veranlasst. Im Dezember 2007 schloss sie erstmals in ihrer Geschichte mit der US-Zentralbank ein Abkommen über Devisenswaps, um den Banken Liquiditäten in US-Dollar zur Verfügung zu stellen.

216 SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2008, Juni 2008, S. 20.

217 SNB, Geschäftsbericht 2007 vom 29.2.2008, S. 56.

3169

2.5.1.3

August 2007: Verstärkung des Monitoring der beiden Grossbanken durch die EBK

Im August verstärkte die EBK in Zusammenarbeit mit der SNB das Monitoring der Grossbanken, wobei der UBS, der die Turbulenzen auf dem US-Hypothekenmarkt bereits stark zugesetzt hatten, besondere Aufmerksamkeit zukam.218 Das verstärkte Monitoring der Aufsichtsbehörden umfasste die Entwicklung der Erträge, die Eigenmittelausstattung, die Liquiditätsversorgung, die Bewertung komplexer, illiquid gewordener Finanzinstrumente, die Identifizierung potenzieller Ansteckungsherde, die Ausarbeitung spezifischer Krisenszenarien, die realistische Einschätzung und Bekanntgabe von Risikosituationen und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit.219 Um in Echtzeit über die für das Monitoring notwendigen Informationen zu verfügen, ordnete die EBK den beiden Grossbanken ein strengeres Reporting an. Die Credit Suisse und die UBS mussten fortan ihre aktualisierten Zahlen und Prognosen wöchentlich, ja in einigen Fällen sogar täglich, an die Behörden übermitteln.220 Im Falle der UBS konnte dank des verstärkten Monitoring rasch ein besserer Überblick über die Risiken gewonnen werden, denen die Bank ausgesetzt war. So lieferte die UBS Ende August 2007 auf Ersuchen der EBK klare Informationen zu ihrer reellen Exposure auf dem Subprime-Markt, inklusive Super-Senior-Positionen. Sie wies am 24. August 2007 eine Netto-Exposure von 53,1 Milliarden Dollar auf. Aus internen Berichten der UBS ging ausserdem hervor, dass die Long-Positionen, die im Falle einer Verschlechterung des Marktes Verluste verzeichnen würden, zwischen März und Juli 2007 von 32,9 auf 75,7 Milliarden Dollar angestiegen waren.221 Es war dies das erste Mal, dass die EBK einen realistischen Überblick über die Lage erhielt, nachdem sie noch im März 2007 falsche Informationen erhalten hatte (Kapitel 2.3).

Auch für die internen Sitzungen der EBK wurde das Tempo beschleunigt. Während das Reporting über die Grossbanken zuhanden der EBK-Kommission normalerweise alle drei Monate erfolgte, wurde ab September 2007 für jede monatliche Sitzung der Kommission ein aktueller Statusbericht erstellt.222 Periodisch wurden auch Diskussionen mit der Direktion oder Mitgliedern des Verwaltungsrates der beiden Grossbanken über die krisenbedingten Schwierigkeiten anberaumt. Die Sitzung mit dem CEO der UBS am 20. August 2007 war das erste Treffen auf Führungsebene. In dieser Sitzung
realisierte die EBK, dass die UBS in ernsthaften Schwierigkeiten steckte.223 Zwischen August 2007 und Dezember 2008 fanden 16 Treffen zwischen der EBK und der Direktion oder dem Verwaltungsratspräsidenten der UBS statt. Die EBK war jeweils durch ihren Präsidenten und/oder ihren Direktor vertreten. Regelmässig nahmen auch Vertreter der Abteilung Grossbanken an den Sitzungen teil. Bis im Sommer 2008 drehten sich diese Treffen in erster Linie um Lageberichte und die Umsetzung von Forderungen der Aufsichtsbehörden. Die Sitzungen fanden vor allem in Zeiten starker Marktinstabilität statt; es lässt sich ein direkter Zusammen218 219 220 221 222 223

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 35.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 34.

FINMA, Geschäftsbericht 2007, S. 7.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 24.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 48.

Ebd., Pkt. 41.

3170

hang zwischen den vier von der SNB in ihrem Bericht zur Finanzstabilität identifizierten Perioden starken Vertrauensverlusts auf den Märkten und der Häufigkeit der Treffen zwischen der EBK und den Führungsinstanzen der UBS feststellen.

Rhythmus und Schwerpunkt der Sitzungen änderten sich, als die UBS im Anschluss an den Konkurs von Lehman Brothers in ernsthafte Schwierigkeiten geriet. Die Treffen wurden häufiger (fünf in 12 Tagen zwischen dem 2. und dem 13. Oktober 2008) und drehten sich um die Vorbereitungen auf eine dringende Rekapitalisierung der UBS und die Eliminierung der illiquiden Aktiven aus ihrer Bilanz.

2.5.1.4

August 2007: Erhöhung der Eigenmittelanforderungen durch die EBK

Angesichts der Auswirkungen der Subprime-Krise auf die Aktivitäten des Investment Banking der schweizerischen Grossbanken traf die EBK Ende August 2007 einen provisorischen Entscheid zur sofortigen Erhöhung der Eigenmittelanforderungen der UBS und der Credit Suisse. Die Anforderungen stiegen von 120 auf 130 Prozent des Mindeststandards nach Basel II.224 Diese Massnahme wurde im Dezember 2007 nach Konsultationen mit den betroffenen Banken bestätigt. Die EBK verzichtete auf eine substanziellere Erhöhung, weil eine solche mitten in der Krisenzeit zu prozyklischen Auswirkungen geführt hätte225 und von den Banken schwer umzusetzen gewesen wäre.226

2.5.1.5

September 2007: Anpassung der Geldpolitik der SNB

Im September 2007 senkte die SNB erstmals den Dreimonats-Libor, um durch eine Reduzierung der Zinssätze eine Entspannung der Währungsmärkte zu fördern.227

2.5.2

Ende 2007 bis Anfang 2008: Verschlimmerung der Lage und Verstärkung des Monitoring

Nach einer leichten Entspannung der internationalen Währungsmärkte im Oktober waren die Monate November und Dezember 2007 durch eine zweite Welle des Vertrauensverlusts gekennzeichnet, die sich durch eine starke Erhöhung der Risikoprämien auf den Interbankenmärkten manifestierte. Somit waren die Grossbanken erneut mit schwierigen Finanzierungsbedingungen konfrontiert. Auch war das Vertrauen gegenüber den schweizerischen Grossbanken angesichts ihrer hohen Abschreibungen auf dem Subprime-Markt angeschlagen. Zu jenem Zeitpunkt waren 224 225

Ebd., Pkt. 44 und 53.

Eine solche Massnahme hätte prozyklische Auswirkungen gehabt, d. h. sie hätte, anstatt die Grossbanken zu stabilisieren, deren Probleme noch verschärft. Deutlich höhere Eigenmittelanforderungen hätten die Banken gezwungen, eine beachtliche Kapitalsumme zu blockieren, die sie für das laufende Geschäft während der Krise dringend benötigten.

226 Direktor der EBK, Globale Kreditkrise ­ Folgen für die Bankenaufsicht, EBK, Jährliche Pressekonferenz vom 1.4.2008.

227 SNB, Geschäftsbericht 2007 vom 29.2.2008, S. 3.

3171

es die Verluste der UBS, die in der Schweiz den grössten Anlass zur Sorge gaben, und die Bank beschloss eine erste substanzielle Kapitalerhöhung durch die Ausgabe von Pflichtwandelanleihen. Vor diesem Hintergrund wurde das Monitoring durch die EBK und die SNB noch verschärft. Ab Jahresbeginn implementierten die schweizerischen Behörden eine Krisenorganisation, deren Ziel es war, staatliche Interventionsoptionen auszuarbeiten.

2.5.2.1

Dezember 2007: EBK fordert von der UBS eine Klärung der Verlustursachen

Angesichts der enormen Verluste der UBS (siehe Grafik 3, Kapitel 2.4) forderte die EBK von der UBS am 19. Dezember 2007 einen vollständigen Bericht über die Ursachen und Verantwortlichkeiten des Debakels.

2.5.2.2

Januar 2008: Aktivierung der Dreierinstanz und Vorbereitung eines ernsthaften Krisenszenarios

Ende Januar 2008 wurde die Krisenorganisationsstruktur auf höchster Ebene aktiviert. Im Rahmen eines Treffens der Dreierinstanz228 am 29. Januar 2008 wurde der Vorsteher des EFD229 durch die beiden Präsidenten und die beiden Direktoren der SNB und der EBK informiert, dass die UBS in ernsthaften Schwierigkeiten steckte.

Die Lage der Bank war so alarmierend, dass die Zeit gekommen war, ein Notfallszenario ­ mit anderen Worten eine staatliche Interventionsoption zugunsten der Bank ­ auszuarbeiten. Der Bundesrat wurde zu jenem Zeitpunkt vom Vorsteher des EFD noch nicht über den Ernst der Lage unterrichtet.

In den folgenden Monaten beteiligte sich das EFD innerhalb der Krisenstruktur an der Ausarbeitung von Handlungsoptionen im Falle eines akuten Vertrauensverlustes gegenüber der UBS. Über die EFV hob das EFD insbesondere die politischen Probleme eines staatlichen Eingriffs hervor. Es wurde deutlich gemacht, dass solche Massnahmen zwar nicht vollständig ausgeschlossen waren, aber nur als ultima ratio in Betracht kommen durften.230 Diese Gespräche wurden hauptsächlich aus zwei Gründen in völliger Diskretion geführt. Erstens sollte verhindert werden, dass aus der Information wirtschaftlicher Nutzen gezogen werden konnte (z. B. durch Börsenoperationen), und zweitens hätte die Nachricht einer möglichen staatlichen Hilfe zugunsten der UBS auf den Finanzmärkten gravierende Folgen haben und das Vertrauen gegenüber den Banken stark erschüttern können (in Grossbritannien hatten die Gerüchte über eine staatliche Hilfe an die Bank Northern Rock eine Panik ausgelöst).

228

Dank der Dreierinstanz, die mit der strategischen Beobachtung innerhalb der Krisenorganisationsstruktur betraut ist, wurde der Vorsteher des EFD viermal von der SNB über die wichtigsten Entwicklungen der Finanzkrise und von der EBK über die Lage der beiden Grossbanken unterrichtet. Die Dreierinstanz kam am 18.12.2007, 29.1.2008, 19.3.2008 und 1.4.2008 zusammen.

229 Bislang hatte das EFD über den Bereich «Internationale Finanzfragen und Währungspolitik» der EFV die Entwicklungen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten auf makroökonomischer Ebene mitverfolgt. Durch die Kontakte mit dem Financial Stability Forum (FSF) und dem IWF hatte das EFD sich die nötigen Informationen beschaffen können.

230 Schreiben des EFD an die GPK vom 4.5.2009, S. 4.

3172

2.5.2.3

Januar 2008: EBK stellt Forderungen zur Qualität der Informationen der Grossbanken

Das intensive Monitoring der Grossbanken veranlasste die EBK dazu, von diesen eine beträchtliche Menge Informationen zu verlangen. Dabei stiess die EBK jedoch auf Schwierigkeiten, und dies von Beginn des verstärkten Monitoring an.

So sah sich die Aufsichtsbehörde regelmässig mit ­ ihrer Ansicht nach ­ unzureichender Informationsqualität konfrontiert, mit langwierigen internen Prozessen und mit der Nichteinhaltung von Fristen für gewisse angeforderte Informationen.231 Am 23. Januar 2008 schrieb sie deshalb einen Brief an den General Counsel232 der UBS, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Dieser Schritt brachte letztendlich das erhoffte Resultat, und die UBS erfüllte die Forderungen der EBK zunehmend zu deren Zufriedenheit.233 Diese Sachlage war im Übrigen nicht neu. So schrieb die FINMA in ihrem Bericht vom 14. September 2009234, dass das Management Information System (MIS) der Bank schon im Jahr 2006 problematisch gewesen war: Die Bank hatte zahlreiche Anfragen der EBK unbeantwortet gelassen, und die Berichtsqualität wie auch die von der Bank benötigten Fristen für die Abfassung der Berichte waren als ungenügend erachtet worden.

Die Fragen der GPK an die EBK zu den Informationen, welche die Grossbanken an die Aufsichtsbehörde übermittelten, haben ausserdem ergeben, dass die EBK die Zusammenarbeit mit der UBS als «deutlich besser» einschätzte als mit der Credit Suisse. Die UBS bemühte sich im Grossen und Ganzen, trotz ihres zu komplexen und ungenügend entwickelten internen Systems die Anfragen zufriedenstellend zu beantworten, während die Credit Suisse, die über modernere und leistungsfähigere Systeme verfügte, sich weniger kooperativ zeigte.235 Nach Ansicht des Vizepräsidenten der FINMA lösten die Zeiten besserer und weniger guter Zusammenarbeit mit der einen oder der anderen Bank sich ab, stellten insgesamt aber nie ein ernsthaftes Problem dar.236

2.5.2.4

Februar 2008: EBK verlangt Verkauf der illiquiden Aktiven der UBS

Im Februar 2008 wies die EBK die UBS an, sich von gewissen Kategorien von Aktiven zu trennen, die mit dem US-Hypothekenmarkt in Verbindung standen.

Diese Forderung wurde im März 2008 wiederholt, diesmal mit mehr Nachdruck.

231 232 233 234 235 236

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 64.

Der General Counsel ist der Chefanwalt eines Rechtsdiensts. Der Begriff findet vor allem in Unternehmen im englischsprachigen Raum Verwendung.

Schriftliche Antworten des Leiters der Abteilung Grossbanken der EBK auf die Fragen der GPK vom 30.10.2009, S. 8.

FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 25.

Schriftliche Antworten des Leiters der Abteilung Grossbanken der EBK auf die Fragen der GPK vom 30.10.2009, S. 8.

Protokoll der Anhörung von Daniel Zuberbühler, Vizepräsident der FINMA, durch die GPK vom 22.04.2010.

3173

Schliesslich verlangte die EBK von der UBS, bis Ende April 2008 einen konkreten Plan zum Transfer dieser Risikopositionen vorzulegen.237 Der GPK ist nicht bekannt, ob es tatsächlich zur Übergabe eines solchen Plans gekommen ist. Jedoch teilte die UBS am 21. Mai 2008 den Verkauf von Vermögenswerten im Wert von 15 Milliarden Dollar an den US-Vermögensverwalter BlackRock mit.238 Die Gespräche der GPK mit der FINMA legten bedeutende Divergenzen bezüglich dieser Aktivpositionen offen. Während die EBK mit Nachdruck den Verkauf gewisser Kategorien von Aktiven verlangte, betrachtete die Bank dieselben Aktiven als eine Chance. Laut FINMA liegen diese Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Bank, und die Aufsichtsbehörde hat nicht in die Strategie der Bank einzugreifen.

Trotzdem hat die FINMA nach Angaben des ehemaligen Leiters der Abteilung Grossbanken in Extremsituationen theoretisch die Möglichkeit, bei der Bank zu intervenieren und ihr gegebenenfalls sogar eine Entscheidung aufzuzwingen.239 In Wirklichkeit nimmt die Aufsicht aber in einer Krise indirekt Einfluss über die Durchsetzung der Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen und über das generelle Bewilligungserfordernis der Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit der Bank bzw. ihrer leitenden Organe.

2.5.2.5

März 2008: Intensiviertes Monitoring der Credit Suisse durch die EBK

Das Monitoring der Credit Suisse wurde intensiviert. Zusätzlich zur normalen Grossbankenbeaufsichtigung und zum speziellen Monitoring in Krisenzeiten (wöchentliche, ja sogar tägliche Lageberichte) verlangte die EBK spezifische, auf die Situation der Credit Suisse zugeschnittene Massnahmen.

So forderte die EBK im März 2008 Spezialmassnahmen in Zusammenhang mit Verfehlungen in der Handelskontrolle und der Product Control. Zudem musste sie intervenieren, um die Beibehaltung der Zielgrösse des Kernkapitals («tier 1») von 10 Prozent sicherzustellen.

Im April 2008 beschloss die EBK, die Bemühungen der Bank zur Eindämmung der Volatilität ihrer Gewinn- und Verlustrechnung detailliert mitzuverfolgen und auf die Verminderung der globalen Exposure im Bereich Leverage Finance240 sowie die Verbriefung von kommerziellen Hypothekarkrediten (Commercial mortgage-backed securities, CMBS) zu pochen.

237 238 239

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt 69, 76 und 91.

Ebd., Pkt. 99.

Schriftliche Antworten des Leiters der Abteilung Grossbanken der EBK auf die Fragen der GPK vom 30.10.2009, S. 8.

240 Bereich des Investment Banking, der sich hauptsächlich mit Finanzierungstransaktionen befasst, in denen Verschuldung für eine bessere Rentabilität genutzt wird.

3174

2.5.2.6

März 2008: EBK fordert Rücktritt des Verwaltungsratspräsidenten der UBS

Nach einer ersten Diskussion im Februar 2008 und einem Gespräch mit einem wichtigen Investor der UBS entschied die EBK, an ihrer monatlichen Sitzung vom 19. März 2008 von der UBS zu fordern, dass das Mandat von Marcel Ospel als Verwaltungsratspräsident nicht verlängert und er am Ende seiner Amtszeit zurücktreten solle. Sie war zum Schluss gekommen, dass Marcel Ospel angesichts der Verluste der Bank im vergangenen Quartal sowie der potenziellen Folgen eines Vertrauensverlustes gegenüber der UBS mit Blick auf die Finanzstabilität nicht länger als Verwaltungsratspräsident der UBS haltbar sei. Die EBK sprach sich schliesslich für einen sofortigen Rücktritt des Verwaltungsratspräsidenten aus. Am Tag darauf, dem 20. März 2008, sprach eine Delegation der EBK im Büro von Marcel Ospel in Zürich vor und forderte diesen auf, bei der nächsten Generalversammlung am 23. April 2008 seinen Rücktritt bekannt zu geben. Der Vorsteher des EFD und das Direktorium der SNB wurden über diesen Schritt unterrichtet.241 In den folgenden Tagen stand die EBK mit den Mitgliedern des UBS-Verwaltungsrats in Kontakt, um über die Nachfolge zu diskutieren. Sehr rasch wurde deutlich, dass es in Anbetracht der Lage und des Zeitdrucks nicht möglich war, einen Präsidenten ausserhalb der Bank zu finden und dass nur Herr Peter Kurer, seit 2001 General Counsel, in der Lage war, dieses Amt zu übernehmen.242

2.5.2.7

April 2008: Bericht der UBS über erlittene Verluste wird der EBK übergeben

Am 19. Dezember 2007 hatte die EBK angesichts der enormen Verluste der UBS (siehe Grafik 3, Kapitel 2.4) von dieser einen Bericht über Ursachen und Verantwortlichkeiten des Debakels angefordert. Anfang April 2008 übergab die UBS der EBK den gewünschten Bericht und veröffentlichte am 18. April 2008 eine Kurzfassung davon.243 Die EBK erachtete diesen Bericht als zufriedenstellend, da er sich gegenüber der UBS kritisch zeigte und in Bezug auf die Verantwortlichkeiten auch spezifische Funktionen nannte. Laut Bericht lag das Hauptproblem in der Unfähigkeit der Bank, Risiken zentralisiert und global zu erfassen. Die Geschäfte wurden teilweise blindlings weitergeführt, da die Informatik- und Managementsysteme nicht in der Lage waren, Daten zusammenzubündeln, um daraus die tatsächlichen Risiken zu ermitteln. Dieser Bericht diente als Grundlage für die Untersuchung der EBK zu den Ursachen der Wertberichtigungen der UBS, deren Ergebnisse im September 2008 veröffentlicht wurden.244 Nachdem die EBK im April 2008 den Bericht der UBS erhalten hatte, beschloss sie, von dieser einen weiteren Bericht anzufordern, und zwar eine Präsentation der neuen strategischen Ausrichtung der Bank mit einem detaillierten Plan für die IT-Systeme und die identifizierten Schwachstellen (Risikokontrolle, Reporting, Governance usw.). Da die UBS sich in Bezug auf die von der EBK gesetzten Fristen als nicht 241 242

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 76.

Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der FINMA, durch die GPK vom 22.4.2010.

243 UBS, Shareholder Report on UBS's Write-Downs, 18.4.2008.

244 EBK: Subprime-Krise: Untersuchung der EBK zu den Ursachen der Wertberichtigungen der UBS (EBK ­ Bericht Subprime UBS), 30.9.2008.

3175

sehr diszipliniert erwiesen hatte, wurde der Druck auf die Bank erhöht: Die EBK drohte mit einer Erhöhung der Eigenmittelanforderungen, falls der Bericht bis Ende Juni nicht vorgelegt und mit seiner Umsetzung begonnen worden sei.245 Den Forderungen der EBK bezüglich eines neuen UBS-Strategieplans wurde am 25. Juni 2008 mit der Übergabe eines «Dreizehnpunkteplans» und eines Remediation Plan nachgekommen. Der erste Plan präsentierte die neue strategische Ausrichtung des Verwaltungsrats. Die EBK erachtete ihn als angemessene Grundlage für eine schrittweise Verbesserung. Allerdings waren ihr die Art und Weise, wie die Gewinne zu realisieren seien, sowie deren angebliche Beständigkeit unklar. Der zweite Bericht, der erläutern sollte, wie die im Bericht vom 7. April 2008 identifizierten Schwachstellen zu verbessern seien, konzentrierte sich hauptsächlich auf eine Verbesserung des Risikomanagements und des Controlling. Laut EBK vermittelte der Bericht den Eindruck, dass die Probleme bis Ende 2008 aus dem Weg geräumt sein würden.246 Nach Kenntnisnahme dieser Berichte beschloss die EBK, bis Juli 2008 einen Zwischenbericht mit zusätzlichen Angaben zu verlangen.247 Erneut befand die EBK den Bericht der UBS für zufriedenstellend und stellte, nach Kenntnis der GPK, keine weiteren Nachforschungen an.

2.5.3

September 2008: Ernste Krise, Verschlechterung der Lage der UBS und Finalisierung des Massnahmenpakets

Die dritte Entwicklungsphase der Krise wurde durch den Konkurs der Lehman Brothers am 15. September 2008 ausgelöst. Dieser Zahlungsausfall und seine Folgen sollten das internationale Finanzsystem zutiefst erschüttern und zu einem starken Konjunktureinbruch führen. Die Lage der UBS verschlechterte sich derart, dass eine Hilfe der SNB und des Bundes unausweichlich wurde, um die Stabilität des Finanzsystems und der schweizerischen Wirtschaft zu sichern.

2.5.3.1

Expansive Geldpolitik der SNB in Absprache mit anderen Zentralbanken

Angesichts der abrupten Verschärfung der Krise und des starken Konjunkturrückgangs nach dem Konkurs der Lehman Brothers entschloss sich die SNB in Absprache mit anderen Zentralbanken zu einer «resolut expansiven» Politik. Sie senkte das Zielband des Dreimonats-Libor vor Jahresende viermal. Nachdem der Leitzins des Interbankenmarkts (Libor) unter dem Druck der erhöhten Risikoprämien die 3-Prozent-Marke überschritten hatte, fiel er bis Ende Dezember 2008 auf 0,66 Prozent.248 Im Jahr 2009 setzte die SNB angesichts der Rezession und der Deflationsrisiken ihre expansive Geldpolitik entschlossen fort.

245 246 247

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 91.

Ebd., Pkt. 101.

Dieser Bericht sollte stress test Resultate aufweisen, die auch Ausfälle von monoliner, Daten zum securities borrowing and lending (SBL) und Erklärungen zum Einfluss der Bucheffekte auf die Ergebnisse vom Juni 2008 beinhalteten.

248 SNB, Geschäftsbericht 2008 vom 27.2.2009, S. 3, 30 und 39.

3176

2.5.3.2

Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 15. Oktober 2008

Der Konkurs der Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 löste einen regelrechten «finanziellen Tsunami» aus, wie die SNB es ausdrückte.249 Die Probleme der UBS verschärften sich derart, dass ihr Überleben gefährdet war und am Ende nur noch durch eine staatliche Intervention, welche die Bank am 14. Oktober 2008 beantragte, gesichert werden konnte. Die Refinanzierung durch private Mittel war zu jenem Zeitpunkt ausgeschlossen.250 In Anbetracht der Systemrelevanz der UBS lancierten der Bundesrat, die SNB und die EBK ein Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems.

Das Massnahmenpaket enthielt in erster Linie zwei sich ergänzende Massnahmen zugunsten der UBS: 1. die Übertragung der illiquiden Aktiven der UBS von höchstens 60 Milliarden Dollar in eine Zweckgesellschaft und 2. die Stärkung der Eigenmittelbasis der UBS durch die Zeichnung einer Pflichtwandelanleihe in der Höhe von sechs Milliarden Franken durch den Bund. Das Massnahmenpaket sah auch Verpflichtungen von Seiten der UBS vor, insbesondere im Bereich ihres Besoldungssystems. Schliesslich behandelte das Massnahmenpaket die Problematik der Einlagensicherung.251 Von der SNB finanzierte Übernahme der illiquiden Aktiven der UBS Die erste Massnahme, die Übernahme der illiquiden Aktiven der UBS, lag im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Nationalbank; ihre Hauptelemente wurden in einer Grundsatzvereinbarung festgelegt, die von der UBS und der SNB am 15. Oktober 2008 unterzeichnet wurde. Die SNB beschreibt die Elemente in vereinfachter Form in ihrem Geschäftsbericht 2008.

Die in der Grundsatzvereinbarung genannten Bedingungen wurden ergänzt durch Bedingungen in einem Memorandum of Understanding gleichen Datums. Es waren dies hauptsächlich deren zwei: 1. sollten sich Investoren (im vorliegenden Fall der Bund) verpflichten, die UBS mit Eigenmitteln in der Höhe von mindestens 6 Milliarden Franken auszustatten; 2. verpflichtete sich die UBS, bei ihrem Vergütungssystem Vorgaben einzuhalten, welche den in Absprache mit der EBK ermittelten «best practices for compensation schemes and policies» und internationalen Standards (Financial Stability Forum) entsprachen.252 Vom gesetzlichen Standpunkt aus betrachtet, stützte sich die Transaktion mit der UBS ausschliesslich auf das NBG. Die SNB hatte ihren Rechtsdienst damit beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen, die eine Beteiligung der SNB am Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems ermöglichten, zu untersu-

249 250

SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2009, Juni 2009, S. 22.

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010, S. 6.

251 EFD, Medienmitteilung «Bundesrat beschliesst Massnahmen zur Stärkung des Finanzsystems Schweiz» vom 16.10.2008.

252 SNB, Geschäftsbericht 2008 vom 27.2.2009, S. 79.

3177

chen. Dieses Gutachten wurde gleichzeitig mit dem Massnahmenpaket veröffentlicht.253 Ende November 2008 wurde die Zweckgesellschaft SNB StabFund (Stabilisierungsfonds) gegründet, mit dem Ziel, illiquide Aktiven der UBS von höchstens 60 Milliarden US-Dollar zu übernehmen und ihre geordnete Liquidierung sicherzustellen.254 Zwischen November 2008 und April 2009 wurden illiquide Aktiven in drei aufeinander folgenden Tranchen im Wert von insgesamt rund 38,7 Milliarden Dollar in den Stabilisierungsfonds übernommen. Die Finanzierung dieses Transfers wurde zu 90 Prozent durch ein Darlehen der SNB gesichert. Die restlichen 10 Prozent wurden von der UBS beigebracht. Die Beteiligung der Bank sollte als Absicherung der SNB vor etwaigen Verlusten auf dem gewährten Darlehen dienen, wie auch ein bedingter Anspruch (warrant) der SNB auf 100 Millionen Aktien der UBS.255 Zeichnung einer Pflichtwandelanleihe durch den Bund Das EFD, vertreten durch die EFV, wurde vom Bundesrat ermächtigt, eine Pflichtwandelanleihe der UBS in der Höhe von sechs Milliarden Franken zu unterzeichnen.

Gleichzeitig unterschrieb die EFV ein Letter Agreement, welches die Bedingungen festlegte, die der UBS bei dieser Rekapitalisierung auferlegt wurden.256 Mit der Verwaltung der Anleihe und ­ nach der obligatorischen Umwandlung ­ der Aktien der UBS wurde das EFD betraut. Die Aufgabe bestand in erster Linie im Verkauf der Aktien unter Wahrung der ­ insbesondere finanziellen ­ Interessen des Bundes.257 Am 20. August 2009 schloss das EFD den Abbau des UBS-Engagements durch den Verkauf von Aktien und Coupons aus der Pflichtwandelanleihe erfolgreich ab. Der Bund konnte damit nicht nur seine Investition vollumfänglich zurückerhalten, sondern verzeichnete sogar einen Nettoerlös von rund 1,2 Milliarden Franken.258

253

254 255 256 257 258

SNB, 2008, Gutachten zur notenbankrechtlichen Zulässigkeit der Beteiligung der Schweizerischen Nationalbank am Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems («UBS-Transaktion») vom 13.10.2008. Dieses Gutachten hält fest, dass die UBS-Transaktion in den währungspolitischen Aufgabenbereich der SNB nach Art. 5 Abs. 2 Bst. a und e NBG fällt. Das Darlehen an die Zweckgesellschaft ist zulässig nach Art. 9 Abs. 1 Bst. e NBG, der es der SNB gestattet, «Kreditgeschäfte mit Banken und anderen Finanzmarktteilnehmern abzuschliessen, sofern für die Darlehen ausreichende Sicherheiten geleistet werden.» Art. 12 des NBG sieht vor, dass die SNB sich am Kapital von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen beteiligen und Mitgliedschaftsrechte an solchen erwerben kann, sofern es der Erfüllung ihrer Aufgaben dient. Der Erwerb der Zweckgesellschaft stützt sich auf diesen Artikel. Und für den Fall, dass die Transaktion als ein Wertpapierkauf betrachtet wird, stützt sich die SNB auf Art. 9 Abs. 1 Bst. c NBG, der es ihr gestattet, «auf den Finanzmärkten auf Schweizerfranken oder Fremdwährungen lautende Forderungen und Effekten sowie Edelmetalle und Edelmetallforderungen (per Kasse oder Termin) zu kaufen und zu verkaufen oder damit Darlehensgeschäfte abzuschliessen».

SNB, Geschäftsbericht 2008 vom 27.2.2009, S. 79.

SNB, Geschäftsbericht 2009 vom 26.2.2009, S. 85.

Letter of Agreement zwischen der UBS und dem Bund vom 15.10.2008.

Verordnung des Bundesrats vom 15.10.2008 zur Rekapitalisierung der UBS.

EFD, Medienmitteilung «Bund schliesst umfassenden Abbau des UBS-Engagements ab» vom 20.8.2009.

3178

Variable Vergütungssysteme Die Rekapitalisierung der UBS durch den Bund ging mit einer Reihe von Rechten für den Bund und die SNB und Pflichten für die UBS einher. Eine dieser Pflichten war die Auflage, dass die UBS ihr Vergütungssystem komplett überarbeitete und die Gesamtsumme, die Zusammensetzung sowie die Verteilung der leistungsbezogenen Boni des Jahres 2008 für den gesamten Konzern der EBK zur Bewilligung vorlegte.259 Um ihrem Mandat nachzukommen, leitete die EBK ab Oktober 2008 eine Anhörung der UBS ein. Sie beaufsichtigte die Reform des Vergütungssystems und stellte verschiedene Forderungen, insbesondere in Bezug auf die Gesamtsumme und die Verteilungspolitik. Durch einen Beschluss vom 3. Februar 2009 erteilte sie der UBS die Bewilligung, für das Jahr 2008 variable Vergütungen in der Höhe von 1,8 Milliarden Franken auszuzahlen.260 Die Einzelheiten des bewilligten variablen Vergütungssystems sind in einem Kurzbericht vom 10. Februar 2009 aufgeführt.261 Einlagensicherung Im Massnahmenpaket des Bundes war auch eine Stärkung des Einlegerschutzes durch das EFD vorgesehen. Damit sollte einerseits mit der Erhöhung der Einlagensicherung in zahlreichen anderen Staaten mitgehalten werden. Andererseits sollten gewisse Schwachpunkte in der geltenden Einlagensicherung beseitigt werden. Das EFD wurde beauftragt, dem Parlament so bald wie möglich einen Vorschlag zur Erhöhung der Einlagensicherung von 30 000 auf 100 000 Franken und zur Steigerung der Höchstgrenze der Sicherung von vier auf sechs Milliarden Franken vorzulegen. Diese Entscheidungen wurden von anderen Massnahmen begleitet und sind provisorisch bis Ende 2010 in Kraft.262 Das Kapitel 2.9 wird diesen Aspekt kurz behandeln.

2.5.3.3

Oktober 2008: Erneute Intensivierung des Monitorings der Credit Suisse durch die EBK

Nach der radikalen Destabilisierung des Finanzsystems im September 2008 wurde das Monitoring der Credit Suisse in Bezug auf Liquidität und Entwicklung der Gewinn- und Verlustrechnung weiter intensiviert. Zusätzlich legte die EBK ab Oktober 2008 monatliche Treffen zwischen der Generaldirektion der Credit Suisse, dem Präsidenten und dem Direktor der EBK sowie Vertretern der SNB fest, um die Bank besser im Auge zu behalten.

Im Rahmen des ersten Treffens erfuhr die EBK von der Absicht der Credit Suisse, am 15. Oktober 2008 (Tag der Lancierung des Massnahmenpakets) eine Kapitalerhöhung vorzunehmen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Credit Suisse unter dem grossen Zeitdruck und den schwierigen Marktverhältnissen den Investoren für die Kapitalerhöhung teilweise Kredite gewähren und als Deckung primäre 259

Botschaft des Bundesrats vom 5.11.2008 zu einem Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems, BBl 2008 8943 8965 und 8977.

260 FINMA, Medienmitteilung «Einschneidende Reduktion der variablen Vergütungen 2008 bei UBS» vom 10.2.2009.

261 FINMA, UBS ­ variable Vergütungen 2008.

262 Botschaft des Bundesrats vom 5.11.2008 zu einem Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems, BBl 2008 8943.

3179

Finanztitel inkl. CS-Aktien akzeptieren musste. Normalerweise hätte eine solche Transaktion nicht als wirkliche Kapitalerhöhung gegolten. Sie wurde schliesslich von der EBK angesichts des äusserst positiven Signals, das diese Erhöhung durch privates Kapital auf dem Höhepunkt der Krise aussandte, und in Anbetracht ihrer Auswirkungen auf die Finanzstabilität akzeptiert.263 Einen Monat später verlangte die EBK von der Credit Suisse die Ausarbeitung eines worst-case scenario264 für den Fall, dass die Rekapitalisierung nur teilweise zu Ende geführt hätte werden können. Die Befürchtungen waren letztendlich unbegründet.

Dennoch teilte die EBK der Credit Suisse im Dezember 2008 mit, dass solche Finanzierungen (mit eigenen Aktien als Garantie) im Rahmen von Kapitalerhöhungen in Zukunft nicht mehr toleriert würden.

2.5.3.4

Herbst: Durch die SNB angestossene Umverteilung der Liquiditäten unter den Banken

Im Herbst 2008 wurde auch der schweizerische Interbankenmarkt von der Krise getroffen. Bei der UBS wurden zahlreiche Bankeinlagen zugunsten kleinerer Banken zurückgezogen. Dies führte zu einer wachsenden Versiegung des Geldmarkts, denn die Nutzniesser dieses Liquiditätsflusses waren wenig geneigt, Liquiditäten ohne Garantie wieder dem Markt zur Verfügung zu stellen. Um eine Entspannung des Marktes zu fördern, übernahm die SNB eine Vermittlerrolle. Sie richtete es so ein, dass der Liquiditätsfluss über die Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute lief, und ermöglichte auf diese Weise eine bessere Refinanzierung der Grossbanken.265 Die erste Transaktion wurde Ende Dezember 2008 abgeschlossen.

Dank dieser Lösung wurde im Jahr 2009 ein Geldvolumen von rund 20 Milliarden Franken freigesetzt.266

2.5.3.5

Ende 2008 bis Anfang 2009: Follow-up und Massnahmen der EBK/FINMA bezüglich der UBS

Trotz des Massnahmenpakets vom Oktober 2008 zugunsten der UBS blieb die Situation der Bank während mehreren Monaten prekär. Vor dem Hintergrund einer äusserst angespannten Lage auf den Finanzmärkten verbuchte die UBS hohe zusätzliche Abschreibungen auf dem US-Hypothekenmarkt, sah ihre Einnahmen schwinden und erlitt bedeutende Kapitalabflüsse. Dies führte insbesondere zu einem starken Rückgang der Eigenmittel im Dezember 2008. Laut pessimistischen Prognosen der EBK lag der Deckungsgrad der Mindestanforderungen an Eigenmitteln Mitte Dezember bei 110 Prozent im Gesamtkonzern und 103 Prozent im Stammhaus.

Somit waren die gesetzlichen Mindestanforderungen immer noch erfüllt, im Gegensatz zu dem von der EBK verlangten «Swiss finish» von 130 Prozent. Die tatsäch-

263

Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der FINMA, durch die GPK vom 22.4.2010.

264 Szenario für den schlimmstmöglichen Fall.

265 SNB, Geschäftsbericht 2008 vom 27.2.2009, S. 85.

266 EFD, Medienmitteilung «Änderung der Pfandbriefverordnung soll Interbankenmarkt beleben», vom 18.2.2009.

3180

lichen Zahlen am Jahresende 2008 fielen schliesslich besser als erwartet aus267 (145 % bzw. 139 %).268 Im Lichte dieser Schwierigkeiten hielt die EBK ihr intensives Monitoring der UBS aufrecht. Sie übte Druck aus, um die UBS zum Verkauf zusätzlicher Aktiven zu bewegen. So veräusserte die UBS Ende 2008 ihre Beteiligung am Kapital der Bank of China für 3,4 Milliarden Franken269 und kündigte im April 2009 den Verkauf ihrer brasilianischen Filiale UBS Pactual für rund 2,8 Milliarden Franken an.270 Auch der Verkauf der amerikanischen Vermögensverwaltungseinheit (vormals Paine Webber) stand zur Diskussion, doch musste die UBS mangels passender Angebote darauf verzichten. Weiter verlangte die FINMA von der Bank eine Reduktion ihrer Bilanzsumme einerseits und der Risiken im Investment Banking andererseits.271 Um die UBS wieder mit ausreichenden Eigenmitteln auszustatten, forderte die FINMA die Aufstockung des genehmigten Grundkapitals um mindestens 10 Prozent. Diese Aufstockung bewilligte die Generalversammlung am 15. April 2009.272 Die Transaktion wurde im Juni 2009 vollzogen und brachte eine Erhöhung der Eigenmittel um 3,8 Milliarden Franken.273

2.6

Krisenmanagement: Ausarbeitung des Massnahmenpakets (August 2007 bis Oktober 2008) und Follow-up

Im schwierigen Umfeld einer Finanzkrise erfordert effizientes Krisenmanagement eine ausgezeichnete Koordination und einen reibungslosen Informationsaustausch zwischen den betroffenen Behörden. Deshalb soll in diesem Kapitel dem Krisenmanagement besondere Aufmerksamkeit zukommen. Das Ziel ist ein zweifaches: Erstens, zu zeigen, wie die vor der Krise geschaffenen Strukturen zu einem besseren Krisenmanagement beigetragen haben, und zweitens, den Zusammenarbeitsprozess zu beschreiben, der zur Ausarbeitung koordinierter Massnahmen zur Stabilisierung des schweizerischen Finanzsystems geführt hat.

Die drastischsten Massnahmen der Behörden während der Krise waren die des Massnahmenpakets vom 15. Oktober 2008, bei deren Ausarbeitung und Lancierung das EFD, die EBK und die SNB eng zusammenarbeiteten. Ziel war es, die finanzielle Lage der UBS zu stabilisieren, die Glaubwürdigkeit der Bank zu sichern und das Vertrauen in sie wiederherzustellen.

Bei der fortlaufenden Ausarbeitung von Handlungsoptionen angesichts der Verschärfung der Krise konnten sich die Behörden auf Vorarbeiten stützen, die im Rahmen des FINKRIST und des Steuerungsausschusses KLL ab 2007 durchgeführt worden waren (Kapitel 2.2).

267

268 269 270 271 272 273

Dieser bedeutende Unterschied erklärt sich nicht zuletzt durch die Änderungen der internationalen Rechnungslegungsvorschriften (IFRS) und die Neubewertung gewisser Aktiven, die daraus resultierte.

EFD, Brief an die GPK vom 14.4.2010, S. 3.

UBS, Medienmitteilung vom 31.12.2008.

UBS, Medienmitteilung vom 20.4.2009.

EFD, Brief an die GPK vom 14.4.2010, S. 4.

Ebd.

UBS, Medienmitteilung vom 25.6.2009.

3181

Die Entwicklung der Handlungsoptionen in Bezug auf die UBS kann in zwei Phasen eingeteilt werden. In der ersten Phase, von September 2007 bis April 2008, arbeiteten die Behörden eine gemeinsame Position für mögliche Massnahmen im Fall einer Insolvenz der UBS aus. Als die Lage auf den Finanzmärkten sich im Sommer 2008 vorübergehend beruhigte, flachte auch die Diskussion zeitweilig ab. Doch mit dem Konkurs der Lehman Brothers Mitte September wurden die Arbeiten wieder aufgenommen und eine zweite Entwicklungsphase begann. Sie dauerte bis zum 15. Oktober 2008 und war gekennzeichnet durch die endgültige Ausarbeitung und Lancierung des Massnahmenpakets zur Stabilisierung der UBS und zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems.

Nach einem kurzen Überblick über die wichtigsten Treffen im Rahmen des Krisenmanagements (2.6.1) behandelt dieses Kapitel die zwei Schlüsselphasen in der Bewältigung der Krise und den Vorbereitungen zur Rettung der UBS (2.6.2 und 2.6.3). Das Follow-up der Situation der Grossbanken nach dem 15. Oktober 2008 ist Thema von Kapitel 2.6.4.

2.6.1

Krisenorganisation

In Kapitel 2.2, das der Vorbereitung für den Krisenfall gewidmet ist, wurde die geplante und umgesetzte Organisationsstruktur dargestellt: der Steuerungsausschuss KLL. Der vorliegende Abschnitt soll darlegen, wie diese Struktur während der Krise mobilisiert wurde ­ gemäss ihren drei Interventionsebenen: Dreierinstanz (Vorsteher des EFD, Präsident der SNB und Präsident der EBK), Steuerungsausschuss (Direktor der EFV, Vizepräsident der SNB274, Direktor und Präsident der EBK) und operativer Führungsstab (mittlere und höhere Kader der EBK, der SNB und des EFD).

Eine Sitzung der Dreierinstanz am 18. Dezember 2007 ist die erste Sitzung, die dem Steuerungsausschuss KLL zugeordnet werden kann. Die GPK haben nicht mit Sicherheit feststellen können, wer genau für die Leitung des Steuerungsausschusses KLL während der Krise sowie die vorgenommenen Änderungen zuständig war. Aus den Anhörungen der GPK geht hervor, dass die EBK bis Ende 2007 die Verantwortung innehatte. Im ersten Quartal 2008, als es darum ging, konkrete Interventionsoptionen zugunsten der UBS auszuarbeiten, übernahm das EFD die Leitung des Steuerungsausschusses.275 Der Präsident der EBK seinerseits teilte den GPK mit, dass der Steuerungsausschuss bis Anfang 2008 von der EBK geleitet worden sei und dann der Vizepräsident der SNB das Ruder übernommen habe, nachdem die Übernahme von Aktiven durch die SNB Hauptgesprächsthema geworden war. Das EFD habe erst später, im September 2008, die Führung übernommen, als die Option des Privatinvestors definitiv gescheitert war und es darum ging, eine Rekapitalisierung durch den Bund zu organisieren.276 Sicher ist, dass die drei Behörden die Frage der Zuständigkeiten in der Sitzung vom 21. April 2008 explizit zur Sprache brachten und die Verantwortlichkeiten bezüglich der Leitung des Steuerungsausschusses KLL und seiner verschiedenen Ebenen 274

Nach Ausbruch der Krise nahm das dritte Mitglied des Direktoriums der SNB ebenfalls regelmässig an den Sitzungen des Steuerungsausschusses teil.

275 Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.4.2010.

276 Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der EBK, durch die GPK vom 22.4.2010, S. 4.

3182

definitiv regelten. In einem Papier der SNB vom 10. Mai 2008277 sind die Änderungen der Krisenorganisation aufgeführt. So wird der Steuerungsausschuss KLL in «normalen Zeiten» von der EBK geleitet. In Krisenzeiten bestimmt der Steuerungsausschuss278 selbst seine Leitung, je nach Art der erwogenen Massnahmen: Falls der Ausschuss in erster Linie Massnahmen im Zuständigkeitsbereich der SNB erwägt, übernimmt diese die Führung; das EFD ist dann zuständig, wenn eine Direktintervention des Bundes ins Auge gefasst wird. Die EBK schliesslich leitet den Ausschuss dann, wenn regulatorische Massnahmen überwiegen. Zusätzlich ist in Krisenzeiten diejenige Behörde, die dem Steuerungsausschuss vorsitzt, auch für die Führung auf operativer Ebene (STAF) zuständig. In normalen Zeiten wechseln sich die EBK und die SNB an der Spitze des Steuerungsausschusses im Jahresrhythmus ab. Das EFD hat ausserhalb von Krisensituationen keine ständige Vertretung im Steuerungsausschuss.279 Der Steuerungsausschuss besteht theoretisch aus vier Personen, hat aber mit einer Ausnahme stets mit zusätzlichen Mitgliedern aus dem operativen Führungsstab getagt. Aufgrund ihrer grossen Anzahl und ihres rein operativen Inhalts werden die Sitzungen des operativen Führungsstabs nicht aufgeführt.

In den letzten Tagen vor der Lancierung des Massnahmenpakets vom 15. Oktober 2008 wurden die Sitzungen nicht mehr der einen oder anderen Ebene des Ausschusses zugeteilt. Tatsächlich führte die rapide Verschlechterung der Lage der UBS zu sehr häufigen, manchmal täglichen Sitzungen von Mitgliedern der Dreierinstanz und des Steuerungsausschusses KLL.

Weder der Bundesrat als Kollegium noch der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats waren Teil der geplanten Krisenorganisation.

277 278

SNB, Krisenorganisation der Schweizer Finanzmarktbehörden, 10.5.2008.

In diesem Papier wird der Steuerungsausschuss (zweite Ebene der Krisenorganisation) «Task Force KLL» genannt.

279 SNB, Krisenorganisation der Schweizer Finanzmarktbehörden, 10.5.2008.

3183

3184

Legende:

Ständiger Ausschuss

Steuerungsausschuss

Dreierinstanz

Feb

März

Apr

11.07 mit UBS

Mai

Jun 2007

Jul

09.08 Beginn der Finanzkrise

12.06 mit CS

26.06

Sitzung in Zusammenhang mit der Krise

Jan

30.01

Aug

Okt

Nov

Dez

Jan

29.01

Feb

22.02

Sitzung ohne Zusammenhang mit der Krise

Sept

16.03 USA: Erwerb Bear Stearns durch JP Morgan und FED

27.02 UBS erhöht ihr Kapital um 13 Milliarden Franken (GIC)

18.02 Grossbritannien verstaatlicht Northern Rock

18.12

Tabelle 4: Wichtigste Treffen im Rahmen der Krisenorganisationsstruktur

März

13. + 20.03

19.03

Apr

2. + 21.04

01.04

Jun

2008

Jul

Aug

Sep

Okt

12.12

Nov

Dez

16.10 Massnahmenpaket

3+ 25.11

12.12

Sitzung des Steuerungausschusses, verstärkt mit Mitgliedern des Ständigen Ausschusses

Mai

23.04 Rücktritt Marcel Ospel

15.09 Konkurs Lehman Brothers 21.09: Abwesenheit des Vorstehers des EFD + Anfrage UBS für Unterstützung

2.07

20, 21 + 1, 2, 5, 25.09 10, 13, 14.10

21.09

2.6.2

Ausarbeitung konsolidierter Optionen durch die Behörden

Ab Beginn der Turbulenzen auf den Finanzmärkten im August 2007 schlug die SNB dem Steuerungsausschuss KLL vor, die erforderlichen Massnahmen auszuarbeiten, um Banken, die sich in Schwierigkeiten befanden, unter die Arme zu greifen. Der Ausschuss beschäftigte sich in der Folge über seinen operativen Führungsstab STAF prioritär mit der UBS und der Credit Suisse, indem er deren Exposure analysierte und Szenarien erarbeitete, die im Falle ernsthafter Schwierigkeiten eintreten könnten. Nach Aussage des Präsidenten der SNB waren die Überlegungen in diesem Stadium sehr technisch und betrafen in erster Linie die EBK und die SNB.280 Bis zum Jahresende 2007 wurde die Lage der zwei Grossbanken aufmerksam verfolgt, erforderte aber nach Ansicht der EBK und der SNB ausser den Arbeiten des STAF zur etwaigen Unterstützung einer Grossbank keine weiteren Massnahmen.

Der Steuerungsausschuss (zweite Ebene der Krisenorganisation) wird in diesem Zeitraum nicht aktiviert.

Die Lagebeurteilung dieser zwei Behörden änderte sich Ende Januar 2008 angesichts der bedeutenden Verlustmeldungen der schweizerischen Grossbanken drastisch und rief erstmals eine Reaktion auf höchster Ebene des Steuerungsausschusses KLL hervor. Die Präsidenten der EBK und der SNB beschlossen, den Vorsteher des EFD zu alarmieren. Am 29. Januar 2008 wurde eine Sitzung der Dreierinstanz einberufen. Der Präsident der EBK und der Präsident der SNB informierten den Vorsteher des EFD über die Schwierigkeiten der UBS und unterbreiteten ihm strategische Handlungsmöglichkeiten für den Fall einer weiteren Verschlechterung der Lage der Bank: Eine Rekapitalisierung der UBS war dringend, und sollte die Bank nicht in der Lage sein, die nötigen Mittel auf den Märkten aufzutreiben, konnte eine Intervention des Bundes unumgänglich werden. Es war das erste Mal, dass der Vorsteher des EFD an einer Diskussion der Handlungsoptionen im Falle einer Insolvenz der UBS teilnahm.

Weniger als einen Monat später, am 22. Februar 2008, wurde eine Sitzung des Steuerungsausschusses KLL einberufen.281 Ziel dieses Treffens war es, zwei Positionspapiere zu besprechen, die sich mit den Grossbanken und möglichen Interventionen beschäftigten. Die EBK legte dem Steuerungsausschuss einen Bericht282 vor, der laut EBK vier Interventionsvarianten vertieft behandelte.283 Es waren dies: 1. ein
Sanierungsverfahren, 2. eine Ausfallgarantie für illiquide Aktiven, 3. eine Rekapitalisierung und 4. eine Abtrennung des Schweizer Geschäfts vom restlichen Geschäft der Bank. Der Steuerungsausschuss interessierte sich jedoch in dieser Sitzung vornehmlich für das Positionspapier der SNB zu Handlungsmöglichkeiten bei einem

280

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008, S.18.

281 Ab September 2008 nahm auch der Präsident der SNB regelmässig an den Sitzungen des Steuerungsausschusses KLL teil.

282 EBK, Grossbankenkrise (Szenarien ­ Zeitverhältnisse ­ Staatliche Unterstützung von Privatsektorlösungen ­ Aufrechterhalten des Schweizer Geschäfts), dem Steuerungsausschuss KLL am 22.2.2008 vorgelegter Bericht.

283 Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 68.

3185

akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS.284 Das Dokument behandelte ähnliche Fragen wie der Bericht der EBK, doch ging die SNB davon aus, dass die UBS die aktuelle Krise aus eigener Kraft meistern würde. Sie wies aber darauf hin, dass die Situation der UBS und das allgemeine Umfeld ungünstig seien und dass sich die Behörden daher auch auf einen weniger positiven Ausgang vorbereiten müssten. Im Falle eines Vertrauensverlustes erachtete die SNB eine ausserordentliche Hilfe in Form einer SNB-Liquiditätsspritze285 kombiniert mit einer Rekapitalisierung durch private Mittel als die beste Lösung. Der Steuerungsausschuss teilte diese Ansicht.

Jedoch hielt die SNB fest, dass im Notfall auch eine staatliche Finanzierung zu erwägen wäre. Der Erwerb illiquider Aktiven wurde zu diesem Zeitpunkt zwar SNB-intern diskutiert, kam aber im Steuerungsausschuss noch nicht zur Sprache.286 Diese Gespräche führten zur Abfassung eines gemeinsamen Positionspapiers (27.2.2008), das die Überlegungen der EBK und der SNB konsolidierte.287 In diesem Papier wurde im Wesentlichen davon ausgegangen, dass ein akuter Vertrauensverlust gegenüber der UBS, der wahrscheinlich durch eine gescheiterte Rekapitalisierung oder zusätzliche Abschreibungen ausgelöst würde, der Bank massive Liquiditätsprobleme bescheren würde. Dies würde die wirtschaftliche Substanz der UBS rasch untergraben, so dass sie gewisse Funktionen, die für den reibungslosen Betrieb der Schweizer Wirtschaft unerlässlich sind, nicht mehr erfüllen könnte, was das ganze Bankenwesen in Mitleidenschaft ziehen würde. Ein solches Szenario erforderte laut den Verfassern des Positionspapiers eine Lösung, die nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen des Vertrauensverlusts in wenigen Tagen beheben konnte. Als Antwort präsentierte das Dokument vier Lösungsansätze: eine Liquiditätszufuhr, eine Rekapitalisierung, eine staatliche Verwertungsgesellschaft und eine Staatsgarantie. Die SNB und die EBK kamen zum Schluss, dass im Falle eines Vertrauensverlustes gegenüber der Bank eine Liquiditätszufuhr durch die SNB kombiniert mit einer Rekapitalisierung der UBS durch private Mittel die beste Lösung wäre. Diese Schlussfolgerung wurde somit vom ursprünglichen Positionspapier der SNB übernommen. Die Behörden hielten jedoch ebenfalls fest, dass im Falle eines akuten Vertrauensverlustes
die Erfolgschancen einer privaten Rekapitalisierung ihrer Ansicht nach äusserst gering wären und dass bei einem Misserfolg eine Rekapitalisierung durch öffentliche Gelder notwendig wäre. In beiden Fällen wür284

SNB, Handlungsmöglichkeiten bei einem akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS: Positionspapier der Schweizerischen Nationalbank, dem Steuerungsausschuss KLL am 22.2.2008 vorgelegt.

285 Die SNB verfügt in ihrem Status als Kreditgeber in letzter Instanz (lender of last resort) über ein Instrument, mit dem sie Banken von systemischer Bedeutung, denen die Refinanzierung auf dem Markt misslingt und die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, zu Hilfe kommen kann. In solchen Fällen kann die SNB unter gewissen Bedingungen (Solvenz von der EBK bescheinigt, Kredit durch genügend Garantien gedeckt, usw.) eine ausserordentliche Hilfe in Form von Liquiditäten gewähren. Hier ist der Fall der britischen Bank Northern Rock zu erwähnen, einem der ersten Opfer der Krise. Nachdem sich das Gerücht verbreitete, die Bank hätte eine ausserordentliche Liquiditätsspritze der britischen Zentralbank erhalten, stürmten die Kunden zwischen dem 14. und dem 17.9.2007 ihre Schalter (bank run). Die Panik endete erst, als die britische Regierung eine Garantie für sämtliche Bankeinlagen einführte. Diese Episode zeigt deutlich die Zweischneidigkeit dieses Instruments und erklärt bis zu einem gewissen Grad die Vorbehalte der Zentralbanken, davon Gebrauch zu machen.

286 Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010, S. 6.

287 Bericht «Handlungsmöglichkeiten bei einem akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS: Positionspapier der SNB und der EBK» vom 27.2.2008 an den Vorsteher des EFD.

3186

den eine Liquiditätszufuhr und eine Rekapitalisierung eine einfache, klare und glaubwürdige Lösung darstellen, welche die Ursache des Vertrauensverlustes direkt beseitigen würde.288 Dieses gemeinsame Positionspapier der SNB und der EBK wurde dem Vorsteher des EFD am 27. Februar 2008 übergeben.

Die Antwort des EFD kam eine Woche später, am 4. März 2008. In seiner Stellungnahme289 an den Präsidenten der SNB und den Präsidenten der EBK hielt der Vorsteher des EFD fest, dass das Positionspapier zu viele Fragen unbeantwortet und zu viele (und zu bedeutende) Unsicherheiten bestehen lasse. Folglich könne dieses Papier nicht als Entscheidgrundlage für eventuelle finanzielle Massnahmen von Seiten des Staates dienen. Der Vorsteher des EFD betonte weiter, Ziel müsse ein konsolidierter Standpunkt der drei Behörden sein. Die vom EFD erwähnten Unsicherheiten und offenen Fragen betrafen drei Bereiche: ­

Erstens wies das EFD auf das Primat der Aufsichtsinstrumente und der Liquiditätsversorgung hin. Der Bundesrat müsse davon ausgehen können, dass die EBK und die SNB alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hätten, um den Zusammenbruch einer Grossbank zu verhindern, insbesondere im Hinblick auf Artikel 34 Eigenmittelverordnung (ERV)290, welcher der EBK die Möglichkeit gibt, zusätzliche Eigenmittel zu fordern.

Mögliche Korrekturmassnahmen für die Bank seien der Erwerb zusätzlicher Eigenmittel, Kosteneinsparungen oder die Abstossung von Risikopositionen.

Was die Liquiditätszufuhr angehe, die in der Zuständigkeit der SNB liege, sei das EFD der Ansicht, dass ihre Effizienz sowie ihre Wechselwirkung mit Instrumenten der EBK im Lichte der Erfahrung der Bank Northern Rock in Grossbritannien neu beurteilt werden müssten.

­

Der zweite Bereich betraf die Möglichkeit einer Rekapitalisierung durch den Bund. Das EFD vertrat die Meinung, dass das Positionspapier die Nachteile und Hindernisse dieser Option unterschätze. Es nannte insbesondere die politische Rechtfertigung einer staatlichen Intervention (angesichts der Ursachen der von den Banken verbuchten Verluste und der bezahlten Boni), die juristischen Risiken, die ungewisse Dauer des Engagements (fehlende Ausstiegsstrategie, politische Diskussion über die Führung einer Bank) und die Kritik hinsichtlich der Handhabung einer solchen Lösung sowie deren begrenzte Erfolgschancen im Lichte der bisherigen Bemühungen. Diese Option müsse folglich vertiefter geprüft werden. Das EFD verlangte weiter, dass die Alternative einer Abtrennung derjenigen Geschäftszweige, die für die schweizerische Wirtschaft systemrelevant seien, von den restlichen Tätigkeiten der Bank ernsthaft in Betracht gezogen werde.

­

Der dritte Bereich schliesslich betraf die Vertiefung und Konkretisierung der Handlungsoptionen. Das EFD nannte eine ganze Reihe von Elementen, die detaillierter ausgearbeitet werden müssten. Zunächst müssten die beiden

288

Bericht «Handlungsmöglichkeiten bei einem akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS: Positionspapier der SNB und der EBK» vom 27.2.2008 an den Vorsteher des EFD, S. 7.

289 Schreiben des EFD vom 4.3.2008 an den Präsidenten der SNB und den Präsidenten der EBK.

290 Verordnung vom 29.9.2006 über die Eigenmittel und Risikoverteilung für Banken und Effektenhändler; Eigenmittelverordnung, ERV, SR 952.03).

3187

oben genannten Optionen konkretisiert und nach folgenden Kriterien beurteilt werden: wirtschaftliche Konsequenzen, Auswirkung auf den Bankensektor, juristische Risiken, Reputation des Finanzstandorts und finanzielle Folgen für den Bund. Ausserdem forderte das EFD präzisere Informationen zu Vorgehensweise und Zeitplan bei der Umsetzung dieser Optionen.

Schliesslich sah das EFD einen Klärungsbedarf in folgenden Punkten: Ausstiegsstrategie, Bedingungen, die gegebenenfalls an eine staatliche Hilfe geknüpft wären, aktuelle Darstellung der Systemrelevanz der UBS, Identifizierung von potenziellen Privatinvestoren, Krisenorganisation (Steuerung, Ressourcen und Infrastruktur) und Schaffung von Eigenkapital.

Die Dringlichkeit einer konsolidierten Position, wie sie der Vorsteher des EFD in seinem Schreiben vom 4. März 2008 forderte, wurde durch das schwierige Umfeld auf den Finanzmärkten noch verstärkt. Die Devisenmärkte wurden ab Ende Februar und bis April 2008 zum dritten Mal von schweren Turbulenzen heimgesucht, nach einem ziemlich ruhigen Jahresbeginn.291 Die SNB und die anderen Zentralbanken der G10-Staaten pumpten in koordinierten Interventionen massive Liquiditäten in die Märkte. Im gleichen Zeitraum handelte die UBS mit einem Bankenkonsortium eine ordentliche Kapitalerhöhung von 15 Milliarden Franken aus, um ihre eigene Solvenz zu sichern. Vor diesem Hintergrund setzten die EBK und die SNB ihre Arbeiten fort und erwogen mögliche Handlungsoptionen im Falle eines Scheiterns der zweiten Rekapitalisierung der UBS, das diese ernsthaft in Gefahr bringen würde.

Ein Treffen des Steuerungsausschusses KLL am 13. März 2008 ermöglichte es, die vom EFD vorgebrachten Fragen zu behandeln. Die Stellungnahme des EFD wurde diskutiert und es wurden Aufgaben für die weiteren Arbeiten verteilt. Dies wurde dem Vorsteher des EFD am 17. März 2008 in einem Schreiben der EBK und der SNB mitgeteilt, in dem auch eine überarbeitete Version des gemeinsamen Positionspapiers für Mitte April in Aussicht gestellt wurde.292 Am 19. März 2008 kam die Dreierinstanz erneut zusammen. Der Präsident der SNB und der Präsident der EBK unterbreiteten dem Vorsteher des EFD aktualisierte Zahlen und ihre Beurteilung der Lage der UBS. Die EBK betonte die Notwendigkeit einer Rekapitalisierung. Die Möglichkeit eines Verkaufs von Aktiven, insbesondere
des amerikanischen Vermögensverwaltungsgeschäfts, wurde besprochen, doch erwies sich diese Massnahme als unzureichend. Die EBK hielt eine Kapitalerhöhung für die einzige Lösung. Die staatlichen Interventionsoptionen zugunsten der UBS wurden erneut diskutiert.

Am darauffolgenden Tag, am 20. März 2008, fand eine Sitzung des Steuerungsausschusses KLL statt. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Papier der SNB diskutiert. Es beschrieb einen neuen, kombinierten Ansatz: Zum einen sollte die UBS von den illiquiden Aktiven entlastet werden (mittels eines durch diese Aktiven gedeckten Darlehens oder eines Kaufs); zum anderen sollte die UBS rekapitalisiert werden. Die EBK überreichte dem Ausschuss auch einen neuen Bericht, in dem vier staatliche Interventionsvarianten in groben Zügen dargelegt wurden. Die in diesem Bericht 291

Dieser Zeitraum ist auf internationaler Ebene ebenfalls gekennzeichnet durch die Rettung der Investitionsbank Bear Stearns durch das Fed im März 2008 und ihren Verkauf an den Konzern JP Morgan Chase. So konnte die Insolvenz der fünftgrössten Investitionsbank der USA abgewendet werden.

292 Schreiben vom 17.3.2008 des Präsidenten der SNB und des Präsidenten der EBK an den Vorsteher des EFD.

3188

enthaltenen Überlegungen der EBK und der SNB trugen den Fragen und Einwänden des EFD weitgehend Rechnung. So wurden im ersten Teil die Rahmenbedingungen einer staatlichen Intervention erläutert. Die EBK betonte, dass eine solche Intervention nur als letzter Ausweg in Erwägung gezogen werden dürfe, wenn eine private Lösung nicht mehr möglich scheine. Tatsächlich würde eine staatliche Unterstützung als klares Zeichen für die Ernsthaftigkeit der Lage angesehen und könnte die Situation sogar noch verschlimmern. Bezüglich der an eine öffentliche Intervention geknüpften Bedingungen schlug die EBK Folgendes vor: korrekte Behandlung der Aktionäre ohne grosszügige Gesten, Entschädigung des Staates für die Übernahme der Risiken, Direktionswechsel in der Bank, Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten für staatliche Vertreter, Prüfung der Verkaufsstrategie und Vorbereitung auf einen möglichen Ansturm auf die Bank (bank run).

Zusätzlich erwog die EBK folgende staatlichen Massnahmen: ­

eine Rekapitalisierung mit staatlicher Unterstützung auf der Grundlage einer Zwangssanierung mit privaten Mitteln: Dies würde eine Finanzierung durch den Privatsektor mit möglicher Kapitalerhöhung oder Übernahme der Bank bedeuten. Das Sanierungsverfahren würde die Generalversammlung ersetzen, was eine sofortige Umsetzung ermöglichen würde.

­

eine Übernahme der Risikopositionen durch den Staat: Eine Behörde würde die Positionen langfristig übernehmen. Diese Option enthielt drei Subvarianten: Die Risikopositionen könnten 1. im Besitz der Bank bleiben, aber unter Staatsgarantie gestellt, 2. als Garantie dienen für eine Liquiditätszufuhr nach dem Modell der Fed-Intervention zugunsten von Bear Stearns/JP Morgan Chase, oder 3. gegen eine vom Staat gewährte Garantie in eine Zweckgesellschaft übertragen werden.

­

eine Rekapitalisierung durch den Bund: Diese Option sah eine massive Kapitalerhöhung der Bank vor (20 bis 40 Milliarden Franken), die mangels privater Investoren vom Bund finanziert würde.

­

eine Abtrennung des Schweizer Geschäfts vom Rest der Bankgeschäfte: In diesem Fall würde die Bank liquidiert. Um die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz und ihres Finanzstandorts zu wahren, würden das Schweizer Geschäft und das Private Banking Schweiz vom Rest abgetrennt und in eine rechtliche Körperschaft («bridge bank») mit Staatsgarantie übertragen, bis diese Bereiche auf dem Markt einen Käufer fänden. Dies käme einer Liquidierung in zwei Phasen gleich.

In diesen Optionen waren die vier Lösungsansätze des ersten Vorschlags der EBK und der SNB enthalten, doch wurden sie so kombiniert, dass umfassendere Lösungen entstanden. Die zweite Option z. B. wurde mit den Elementen der Verwertungsgesellschaft und der Staatsgarantie verbunden.

Jede Option wurde evaluiert, mit einer detaillierten Auflistung der Vor- und Nachteile. Bezüglich der ersten Option schätzte die EBK die Chancen, einen privaten Investor zu finden, der bereit wäre, die Bank zu übernehmen oder zu Marktbedingungen Kapitalbeteiligungen zu kaufen, als gering ein. Dagegen wurden die Vorbereitungen für diese Lösung als relativ einfach und nützlich für den Fall erachtet, dass die Bank vom Bund rekapitalisiert werden sollte.

Bezüglich der zweiten Option hielt die EBK alle Varianten für angemessen, denn sie würden der Bank künftige Abschreibungen ersparen und wären einfach umzusetzen.

3189

Allerdings würde der Staat das Risiko zusätzlicher Verluste auf den Risikopositionen auf sich nehmen, und es war ungewiss, ob der Bund aus politischen Gründen bereit wäre, die Risiken einer Investmentbank zu übernehmen. Im Übrigen war es das erste Mal, dass der Steuerungsausschuss KLL eine definitive Übernahme von Aktiven erwog.

Die dritte Option, eine Rekapitalisierung durch den Bund, war nach Meinung der EBK ebenfalls realisierbar, denn die ans Aufsichtsrecht geknüpften Bedingungen für eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss der Generalversammlung wären ihrer Meinung nach erfüllt. Dagegen sah die EBK eine ganze Reihe potenzieller Probleme im Hinblick auf eine de facto Verstaatlichung der Bank, namentlich ein Interessenkonflikt für den Staat als Aufsichtsbehörde und potenzieller finanzieller Nutzniesser, eine Einflussnahme auf Strategie und Management der Bank, Dauer des Engagements oder politische Diskussionen über die Leitung der Bank.293 Die vierte Option schliesslich, die eine Liquidierung der Bank mit Ausnahme des Schweizer Geschäfts vorsah, wurde als sehr problematisch erachtet. Die EBK war der Ansicht, dass eine solche Abtrennung auf unüberwindbare technische und operative Hürden stossen würde. Zudem befand sich ein Grossteil der UBS-Aktiven im Ausland, und bei einer Abtrennung müsste die Schweiz damit rechnen, dass die Staaten, in denen sich diese Aktiven befanden, eine Abschottungsstrategie verfolgen würden. Somit könnten die Aktiven wahrscheinlich nicht in die Schweiz zurückgeholt werden, und das Defizit, das daraus für die neue Swiss Bank resultieren würde, wäre höher als die derzeitige Verschuldung des Bundes. Die EBK empfahl deshalb, diese Option fallen zu lassen, denn sie sei schwer realisierbar und für den Bund finanziell nicht tragbar. Dagegen empfahl sie die Weiterverfolgung und Vertiefung der ersten drei Optionen.

Am 20. März 2008 besprach der Steuerungsausschuss potenzielle Partner für eine Rekapitalisierung durch den Privatsektor.

Im Anschluss an diese Sitzung verfasste die EFV einen Bericht, der aufgrund seiner Vertraulichkeit als «Non-paper vom 28. März 2008» bezeichnet wird. Zusätzlich zu den vier Handlungsoptionen enthielt der Bericht Beurteilungen, 1. der gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, 2. der wirtschaftlichen Folgen der Insolvenz einer Grossbank, und
3. der Auswirkungen auf die Finanzen des Bundes, der Kantone und der eidgenössischen Tresorerie.

Das Non-paper beschrieb in fast identischem Wortlaut, aber ein wenig detaillierter, die von der EBK am 20. März 2008 dem Steuerungsausschuss unterbreiteten vier Optionen und legte ihre Vor- und Nachteile dar.

Die Schlussfolgerungen zu diesen Optionen wurden nach vier Prioritätsebenen sortiert, nach dem Grundsatz «so wenig Staat wie möglich». Eine staatliche Intervention wirke sich äusserst problematisch auf die Akteure aus und sei im Falle der Grossbanken sogar mit zusätzlichen Risiken verbunden (Vertrauensverlust des Marktes, bank run). Die betroffenen Akteure müssten folglich alles daran setzen, eine Intervention des Bundes zu verhindern.

­

293

Erste Priorität habe eine Lösung, die ausschliesslich den Privatsektor einbeziehe. Die Bank müsse sich bemühen, ihre Probleme durch den Verkauf von Risikopositionen oder durch eine Kapitalerhöhung zu lösen, welche die Non-paper des EFD vom 28.3.2008.

3190

Eigenmittel soweit stärken würden, dass die Bank kommende Abschreibungen auffangen könnte, ohne das Vertrauen der Kunden zu verlieren.

­

Zweite Priorität habe eine Rekapitalisierung mit staatlicher Intervention.

Sollte eine rein privatwirtschaftliche Lösung scheitern, würde der Bund eine Rekapitalisierung der UBS unterstützen, parallel zu einer Sanierung durch die EBK, die günstigere Bedingungen für eine Beteiligung oder eine Übernahme durch einen Privatinvestor schaffen würde.

­

Sollte auch diese Option scheitern, so könne die dritte Priorität in Betracht gezogen werden. Es handelt sich dabei um eine Übernahme durch den Staat, die nach zwei Varianten vor sich gehen könnte: Entweder die SNB würde ein massives, mehrjähriges Darlehen gewähren und im Gegenzug problematische Aktiven als Garantie erhalten, oder die SNB würde die riskantesten Positionen definitiv mit einem Discount von mindestens 20 Prozent erwerben.

Die SNB arbeitete diese Option im Laufe des Frühlings auf Grundlage ihrer eigenen Überlegungen aus. Die zwei Varianten wurden «Projekt Pink» bzw.

«Projekt Rosa» genannt und vom Direktorium der SNB am 8. Mai 2008 gutgeheissen.294

­

Sollten alle oben genannten Massnahmen sich als unmöglich oder unzureichend erweisen, so könnte als vierte und letzte Priorität eine direkte Rekapitalisierung durch den Bund ins Auge gefasst werden.295

Die Option einer Abtrennung gewisser Geschäftszweige wurde zu diesem Zeitpunkt fallen gelassen. Wie die EBK war auch das EFD der Ansicht, dass diese Variante zu viele Nachteile mit sich bringen würde und somit nicht in Frage komme.

Der Teil des Non-paper, der sich mit den wirtschaftlichen Folgen der Insolvenz einer Grossbank befasste, stützte sich auf eine ausführliche Notiz, welche die SNB im Anschluss an die Stellungnahme des EFD verfasst hatte. Er bildete einen Anhang zum Non-paper. Im Grossen und Ganzen bestätigte er die Annahme, dass der Konkurs einer Grossbank sehr wahrscheinlich eine systemische Krise mit makroökonomischen Konsequenzen hervorrufen würde. Die SNB nannte als mögliche Auswirkung eines Konkurses der UBS eine unverbindliche Bandbreite von 15 bis 300 Prozent des BIP,296 fügte aber hinzu, dass angesichts der Bedeutung des Finanzmarkts für die schweizerische Wirtschaft wohl eher die höheren Zahlen zutreffen würden.

Das Non-paper vom 28. März 2008 wurde am 1. April 2008 dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK übergeben. Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat an der Sitzung vom 2. April 2008 über die Existenz des Non-paper.

Dieser Information des Bundesrats durch den Vorsteher des EFD scheint keine Diskussion gefolgt zu sein.297 Der Vorsteher des EFD gab der Vorsteherin des EVD eine Präsentation des EFD/EFV «Bankenkrise, private und staatliche Interventionsmöglichkeiten», datiert vom 21. April 2008, weiter.298 294 295 296 297

Prot. der Anhörung von J.-P. Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008.

Non-paper vom 28.3.2008, S. 20­21.

Das BIP der Schweiz lag 2008 bei ungefähr 540 Milliarden Franken.

Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S 4.

298 DFF/AFF, «Bankenkrise, private und staatliche Interventionsmöglichkeiten», 21.4.2008.

3191

Am 1. April 2008 meldete die UBS für das erste Quartal 2008 einen Nettoverlust von 12 Milliarden Franken und Abschreibungen in Verbindung mit dem US-Subprime-Markt von 19 Milliarden Franken.299 Glücklicherweise gelang es der UBS im gleichen Zeitraum, sich durch die Ausgabe von Bezugsrechten an ein Bankenkonsortium eine zweite Rekapitalisierung in der Höhe von 16 Milliarden Franken zu sichern. Die EBK bezeichnete diese Rekapitalisierung in der Folge als «Zitterpartie».300 Im April 2008 entspannte sich die Lage der UBS. Das Non-paper des EFD blieb nach Kenntnis der GPK die umfassendste Übersicht über die möglichen Optionen.

Die ersten drei Optionen der Schlussfolgerung wurden jedoch in den Sitzungen des Steuerungsausschusses KLL vom 2. und 21. April 2008301 noch weiterentwickelt, und es wurden Entscheidvorschläge für die Sitzung vom 2. Juli 2008 vorbereitet.

Da der Sommer ziemlich ruhig verlief und die Märkte von keinen Turbulenzen heimgesucht wurden, war das Treffen vom 2. Juli 2008 das letzte vor der gravierenden Verschlimmerung der Lage im September 2008.

2.6.3

Akute Krisensituation: Letzte Änderungen und Lancierung des Massnahmenpakets

Die Atempause vom Sommer 2008 fand mit dem Konkurs der Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 ein abruptes Ende. Die Folgen dieses Konkurses waren katastrophal. Die Interbankenmärkte brachen zusammen und liessen die bisherigen drei Problemphasen auf diesen Märkten anekdotisch erscheinen.302 In diesem Kontext wurde die UBS laut SNB binnen weniger Tage zum schwächsten und am meisten bedrohten Glied in der Kette der internationalen Grossbanken.303 Am 20. September 2008 kontaktierten der Präsident der SNB und der Präsident der EBK jeder für sich den Vorsteher des EFD und teilten diesem mit, dass die Lage der UBS gravierend und eine sofortige Krisensitzung notwendig sei.304 Am gleichen Tag fand eine Sitzung des Steuerungsausschusses KLL statt. Auch der am Vortag von der US-Regierung angekündigte Paulson Plan kam zur Sprache. Die Behörden befürchteten, dass es für die UBS vom wettbewerblichen Standpunkt her katastrophale Folgen haben könnte, falls sie in diesen Rettungsplan nicht einbezogen würde.305 Auch die Vorbereitung der Information an den Bundesrat stand auf der Tagesordnung.306 Am Morgen des folgenden Tages, dem 21. September 2008, empfing der Vizepräsident der SNB den Verwaltungsratspräsidenten und den CEO der UBS in Gegenwart 299 300 301 302 303

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 82.

Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der FINMA, durch die GPK vom 22.4.2009.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 90.

SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2009, Juni 2009.

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

304 Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 113; Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008 und Protokoll der Anhörung des Präsidenten der SNB, Philipp Hildebrand, durch die GPK vom 29.3.2010.

305 Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 114.

306 Schreiben des EFD an die GPK vom 4.5.2009.

3192

des Präsidenten der EBK, des Direktors der EBK und des dritten Mitglieds des Direktoriums der SNB zu einem Arbeitsfrühstück bei sich zu Hause. Die SNB zeigte sich besorgt und wollte sich ein genaues Bild von der Lage der UBS machen. Nach einer langen einleitenden Diskussion der Handlungsoptionen der Bank räumte der Verwaltungsratspräsident der UBS ein, dass die UBS dringend die Unterstützung der Behörden benötigte, und eine Stabilisierung der Bank durch die SNB konkretisiert werden sollte. Der Vizepräsident der SNB unterbrach die Sitzung, um den Präsidenten der SNB zu informieren. Doch noch bevor er diesen Anruf tätigen konnte, informierte ihn der Direktor der EFV per Telefon, dass der Vorsteher des EFD am Vorabend einen Kreislaufkollaps erlitten hatte.307 Nun musste das Krisenmanagement rasch organisiert werden. Der Präsident der SNB und die Vorsteherin des EJPD als Stellvertreterin des Vorstehers des EFD wurden umgehend über die Lage informiert. Schliesslich wurden der Bundespräsident und die Vorsteherin des EJPD noch am selben Abend des 21. September 2008 um 22.00 Uhr vom Präsidenten und Vizepräsidenten der SNB, dem Direktor der EFV, dem Präsidenten der EBK und dem Direktor der EBK im Detail über die Handlungsoptionen unterrichtet.308 Am 22. September 2008 kontaktierte die SNB die UBS für eine vertiefte Lagebeurteilung. Die EBK war ebenfalls präsent. Das Gespräch erlaubte es, die Positionspapiere zu aktualisieren und sich direkt mit den Einzelheiten einer etwaigen Transaktion mit der UBS zu beschäftigen. Sehr rasch stellte sich heraus, dass angesichts des Ernstes der Lage das leichtere Szenario «Pink»309 nicht mehr in Frage kam und dass es nun darum ging, die schwerere Operation «Rosa»310, inklusive eine Rekapitalisierung, vorzubereiten. Die SNB erklärte der UBS in der Folge ihre Bereitschaft, illiquide Aktiven der Bank zu erwerben. Man einigte sich jedoch darauf, dass der Erwerb illiquider Aktiven nicht direkt, sondern über eine Zweckgesellschaft geschehen sollte. Diese Transaktionsstruktur wurde deshalb gewählt, weil sie es erlaubte, 1. die UBS ins Portfolio-Management einzubeziehen, 2. durch die Trennung der Konten der SNB von denen der Zweckgesellschaft eine grössere Transparenz zu wahren, und 3. positive Anreize für eine gute Verwaltung sowie eine Vorgehensweise im Fall von Verlusten
festzulegen, was nicht möglich gewesen wäre, wenn die Aktiven direkt in die Bilanz der SNB übergegangen wären. Die UBS-Vertreter wollten versuchen, die nötigen Mittel für eine Rekapitalisierung auf dem Markt aufzutreiben. Es war von sechs Milliarden Franken die Rede.311 Der Transfer von Aktiven in eine Zweckgesellschaft fiel in die alleinige Zuständigkeit der SNB (Nationalbankgesetz312). Das Direktorium der SNB bestimmte die genauen Parameter des Transfers. Die Bedingungen der Operation wurden in den folgenden Wochen auf bilateraler Basis mit der UBS ausgehandelt und in einer Grundsatzvereinbarung (Termsheet) festgehalten.313 307 308 309 310 311 312 313

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 117.

Projekt «Pink»: massives Darlehen der SNB an die UBS, garantiert durch deren illiquiden Aktiven.

Projekt «Rosa»: definitiver Erwerb der illiquiden Aktiven durch die SNB gegen liquide Mittel.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008.

SR 951.11.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008, S. 9.

3193

Am 25. September 2008 fand erneut eine Sitzung des Steuerungsausschusses KLL statt, diesmal im Westflügel des Bundeshauses.314 Am 26. September informierte die Vorsteherin des EJPD den Bundesrat mündlich über die Handlungsoptionen zur Bewältigung einer möglichen Krise der UBS.315 Zwei Szenarien kamen zur Sprache: die Übernahme der UBS durch eine ausländische Bank oder ein rigoroses Massnahmenpaket (Rekapitalisierung durch Privatinvestoren, Übernahme illiquider Aktiven durch die SNB). Gemäss den Informationen der GPK war es das erste Mal, dass der Bundesrat von staatlichen Handlungsoptionen zugunsten der UBS erfuhr.

Bei der Sitzung des Steuerungsausschusses vom 1. Oktober 2008 waren auch die zwei anderen Mitglieder des Direktoriums der SNB zugegen. Ein Informationspapier für den Bundesrat wurde ausgearbeitet.316 Am 2. Oktober 2008 kam der Bundesrat erneut zusammen, diesmal im Rahmen einer ausserordentlichen Sitzung. Er erhielt erstmals ein Aussprachepapier des EFD.317 Zuerst befragte der Bundesrat den Steuerungsausschuss zur Lage der UBS und zu den möglichen Handlungsoptionen, dann wurde diskutiert. Ausser dem Transfer illiquider Aktiven und der Rekapitalisierung durch einen Privatinvestor stand die Frage im Vordergrund, ob die Schweiz eine staatliche Garantie für den Interbankenmarkt gewähren sollte, so wie mehrere europäische Länder es bereits getan hatten. Für den Bund hätte dies zusätzliche finanzielle Risiken von beträchtlichem Umfang bedeutet, weshalb diese Option vom Steuerungsausschuss vorerst nicht empfohlen wurde. (Der Bundesrat beschloss später, sich diese Option für den Fall offen zu halten, dass sich die anderen Massnahmen als unzureichend erweisen sollten.318) Anschliessend setzte der Bundesrat die Diskussion intern fort. Am Ende sprach er sich für eine Konkretisierung der Option des Massnahmenpakets aus und gegen die Idee einer Übernahme der UBS durch eine ausländische Bank (diese Alternative wurde folglich ebenfalls angesprochen, war aber von dieser Sitzung an kein Thema mehr319). Der Bundesrat war sich bewusst, dass die Situation einen Punkt erreicht hatte, an dem eine staatliche Intervention unausweichlich geworden war. Das EFD wollte dem Bundesrat einen Vorschlag für ein Massnahmenpaket vorlegen.320 Nach Aussage des Präsidenten der SNB war die Beteiligung des Bundes am Kapital
der Bank zu diesem Zeitpunkt erst eine Option, denn die UBS hoffte noch, sechs Milliarden auf dem Markt auftreiben zu können.321 Am 5. Oktober 2008 kam der Steuerungsausschuss mit dem Verwaltungsratspräsidenten und dem CEO der UBS zusammen. Die Hoffnung der UBS auf eine Rekapitalisierung am Markt begann bereits zu schwinden, und das EFD wurde aufgefordert, Vorbereitungen für eine dringende Rekapitalisierung durch den Bund 314 315 316 317 318 319 320 321

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 121.

Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S. 5.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 125.

Schreiben der Bundeskanzlei vom 11.5.2009. Undatiertes Aussprachepapier des EFD «Massnahmenplan zur Bewältigung einer möglichen Krise bei der UBS».

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

Handschriftliche Notiz der Vorsteherin des EJPD vom 2.10.2008 (Ordner EWS, Nr. 2).

Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S. 5.

Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 18.11.2008.

3194

zu treffen. Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten der Bank wurde beschlossen, dass die Rekapitalisierung durch den Bund sehr rasch geschehen sollte. Der Steuerungsausschuss setzte provisorisch den 15. Oktober 2008 als Datum fest.322 Von da an pflegten die EBK, die SNB, das EFD und die UBS praktisch täglich Kontakte.

Am selben Tag wurde die Credit Suisse angefragt, ob sie unter Umständen staatliche Hilfe benötige. Doch hatte die Bank bereits erfolgreich Schritte im Hinblick auf eine Rekapitalisierung durch private Mittel unternommen und befand sich auf gutem Weg. Die Informationen der EBK bestätigten, dass die Lage der Credit Suisse zu diesem Zeitpunkt keine dringenden Unterstützungsmassnahmen erforderlich machte.

Am 10. Oktober 2008 trafen sich dieselben Akteure zur Besprechung des Massnahmenpakets. Anschliessend wurde die Vorsteherin des EJPD vom Präsidenten der EBK und dem Präsidenten der SNB über den neusten Stand informiert.

Am 12. Oktober 2008 kam der Steuerungsausschuss erneut mit Vertretern der UBS zusammen. Man beschloss eine Änderung des Rekapitalisierungsplans. Die Rekapitalisierung durch einen Privatinvestor war zu diesem Zeitpunkt definitiv keine Option mehr.

Am gleichen Tag trafen sich die EBK und die SNB mit der Credit Suisse zu einer Sitzung. Die Credit Suisse wurde über das Massnahmenpaket zugunsten der UBS informiert323, und ihr selber wurde ein ähnliches Angebot bezüglich des Transfers illiquider Aktiven unterbreitet. Die Bank erklärte jedoch, dass sie nach einem kürzlich getätigten Verkauf illiquider Aktiven keine staatliche Hilfe benötige. Ausserdem informierte die Credit Suisse die Behörden über eine Erhöhung ihrer Eigenmittel, deren Realisierung es ihr erlauben sollte, die neuen diesbezüglichen Forderungen der EBK für 2013 zu erfüllen.324 Am 13. Oktober 2008 wurde der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats über die neuesten Entwicklungen informiert; er diskutierte die verschiedenen Punkte des Massnahmenpakets im Hinblick auf eine Rekapitalisierung durch den Bund. Am Abend kam der Steuerungsausschuss erneut zusammen.

Am 14. Oktober 2008 erhielten die SNB und die EBK den offiziellen Antrag der UBS für die Lancierung des Massnahmenpakets.325 Die UBS wollte den Transfer illiquider Aktiven nach den mit der SNB ausgehandelten Parametern des Termsheet durchführen und ihre
Rekapitalisierung in Anspruch nehmen.326 Die EBK informierte die SNB schriftlich, dass die Stabilität der UBS in Gefahr sei, sofern in den nächsten Tagen nichts unternommen werde.327 Sie bestätigte auch, dass die UBS nach geltenden Regeln solvent sei. Demzufolge erklärte sich das Direktorium der SNB bereit, die Finanzierung des Transfers illiquider Aktiven in eine Zweckgesellschaft durch ein Darlehen an die UBS zu finanzieren, unter der Bedingung einer 322 323 324 325

Ebd.

Schreiben der SNB an die GPK vom 23.4.2010.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 131.

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 136 ­ Schreiben der UBS an die EBK und die SNB «Übertragung illiquider Aktiven an eine Zweckgesellschaft», 14.10.2008.

326 Protokoll der Anhörung von Jean-Pierre Roth, Präsident der SNB, durch die GPK vom 22.4.2009, S. 10.

327 Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 137 ­ Schreiben der EBK an die SNB «UBS ­ notwendige Massnahmen», 14.10.2008.

3195

Rekapitalisierung der UBS durch den Bund in der Höhe von sechs Milliarden Franken.328 Am gleichen Tag beraumte der Präsident der Finanzdelegation (FinDel) eine Sitzung für den Nachmittag des folgenden Tages an und teilte den Mitgliedern der Delegation mit, dass es in dieser Sitzung um eine Grossbank gehe.

Am 14. Oktober 2008 wurden die drei Mitglieder des Bundesrats, welche nicht dem Wirtschaftsausschuss des Bundesrats angehörten, mündlich informiert.

Am 15. Oktober 2008 signalisierte die SNB dem Bund schriftlich ihr Einverständnis zur Ausführung des Massnahmenpakets, unter der Bedingung, dass der Bund die Rekapitalisierung vornehme. Der Bundesrat hörte vor der Beschlussfassung das Direktorium der SNB, den Präsidenten und den Direktor der EBK sowie den Direktor der EFV an. Die genannten Personen hielten sich den ganzen Vormittag für Fragen des Bundesrats zur Verfügung.329 Angesichts der markanten Verschlechterung der Lage auf den internationalen Finanzmärkten und der Zusage der SNB, der UBS das erforderliche Darlehen zum Transfer ihrer illiquiden Aktiven zu gewähren, beschloss der Bundesrat die Lancierung des Massnahmenpakets. Am selben Tag wurde die FinDel über die Situation informiert. In Anbetracht der Gefahr, die ein Konkurs der UBS für die Schweizer Wirtschaft bedeutet hätte, stimmte sie dem Massnahmenpaket zu. Die Öffentlichkeit wurde am 16. Oktober 2008 informiert.

2.6.4

Follow-up

Die Massnahmen zur Stabilisierung der UBS haben die Bank beträchtlich gestärkt und das nötige Vertrauen wiederherstellen können, was ihr eine Fortführung ihrer Tätigkeiten ermöglichte. Die Eigenmittelsituation konnte durch die Transaktion mit der SNB sowie durch die Pflichtwandelanleihe des Bundes bedeutend verbessert werden.330 Allerdings wurde dieser positive Effekt durch den Verlust von über acht Milliarden Franken im vierten Quartal 2008 teilweise wieder vernichtet. Im Bereich Liquiditäten löste die Ankündigung des Massnahmenpakets eine positive Trendwende bei den Sichteinlagen aus. Dennoch übermittelte die EBK dem Vorsteher des EFD Ende November 2008 folgende Information: «Die hohe Kostenbasis, in Verbindung mit rückläufigen Erträgen, führt zu einer Belastung der Eigenmittelsituation. Damit ist davon auszugehen, dass die Solvenz im ersten Halbjahr 2009 belastet sein wird.»331 Die Gefahr war also noch nicht vollständig überwunden.

In Anbetracht dieser Umstände fuhr die Krisenorganisation fort, die Entwicklung der Lage der UBS und der Credit Suisse ­ deren Schlüsselzahlen jedoch bedeutend besser waren ­ streng im Auge zu behalten. Der Steuerungsausschuss kam vor Jahresende 2008 dreimal zusammen. Im Zentrum der Arbeiten standen Massnahmen für den Fall eines erneuten Vertrauensverlustes gegenüber den schweizerischen Grossbanken. Der Ausschuss erwog insbesondere die Gewährleistung einer Garantie 328 329

SNB, Geschäftsbericht 2008 vom 27.2.2009.

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

330 Laut einem Statusbericht der EBK vom 27.11.2008, der dem Vorsteher des EFD übergeben wurde, führten die Massnahmen der Behörden zu einer Erhöhung der BIZ-Quote des Kernkapitals von 9,9 % bis 10,7 %.

331 EBK, Notiz «Lagebeurteilung UBS und CS» an den Vorsteher des EFD, 27.11.2008.

3196

für Interbankenkredite, wie sie in gewissen europäischen Nachbarstaaten bereits eingeführt worden war. Damit wäre der Staat ­ bis zu einer bestimmten Summe ­ zum Versicherer der Kredite zwischen Banken geworden und hätte im Falle des Zahlungsausfalls einer Grossbank die Kredite übernommen. Eine solche Massnahme hätte das gegenseitige Misstrauen der Banken eindämmen und den Kapitalfluss auf dem Interbankenmarkt wiederherstellen können. Der STAF bereitete zu diesem Thema ein Arbeitspapier als Diskussionsgrundlage vor.332 Trotz eines erneuten Rückgangs des Vertrauens in die Solidität der UBS und der CS im März 2009 erwies sich eine solche Massnahme letztendlich nicht als notwendig. Ab April 2009 verbesserte sich die Lage allmählich.333 Wie im Massnahmenpaket vorgesehen, führten das EFD und die UBS Investorengespräche. Der Vorsteher des EFD und ein Mitglied der Generaldirektion der SNB, die aufgrund ihrer Rolle in der Übernahme von UBS-Aktiven durch eine Zweckgesellschaft ebenfalls eingeladen war, nahmen an zwei der insgesamt drei Treffen teil.

Der Direktor der EFV seinerseits war bei allen drei Gesprächen zugegen. Nach Angaben des Vorstehers des EFD334 erlaubten diese Sitzungen insbesondere ein Follow-up der Lage in Bezug auf die Good Governance, die im Massnahmenpaket vom 15. Oktober 2008 als Bedingung verankert war. In diesem Zusammenhang kam auch die Frage der Personalwechsel im Management und im Verwaltungsrat der Bank zur Sprache. Nach Ansicht des Vorstehers des EFD waren diese Wechsel notwendig, um eine gute Finanzstabilität sicherzustellen. Im Interesse ebendieser Stabilität jedoch durften die Änderungen nicht zu abrupt geschehen.

Am 13. Februar 2009 unterhielten sich die Vertreter des EFD und der SNB mit dem Verwaltungsratspräsidenten und dem Generaldirektor (CEO) der UBS. Wichtigste Themen dieses Gesprächs waren: Ergebnisse der Bank im vierten Quartal 2008, Bilanzrisiken, Kapitalisierung, Liquiditäten, Massnahmen bezüglich der strategischen Neuausrichtung und Produktivität der Bereiche Wealth Management und Investment Banking.335 Auch die Vergütungssysteme und die Frage eines Personalwechsels an der Spitze der Bank kamen zur Sprache.336 Am 18. Februar 2009 fand das zweite Gespräch statt, bei dem die Themen der Vorwoche wieder aufgenommen und weiter diskutiert wurden. An diesem Treffen nahmen
ausschliesslich Vertreter der EFV teil, und auf der Seite der UBS der Verantwortliche für Risikomanagement und der Finanzdirektor des Konzerns.337 Die Diskussion erlaubte die Vertiefung gewisser Aspekte der Ergebnisrechnung der Bank im vierten Quartal 2008, wie z. B. die Bilanzrisiken und die Kapitalisierung.338 Am 8. Mai 2009 fand das letzte Investorengespräch statt, auf Seiten des EFD und der SNB in derselben Zusammensetzung wie am 13. Februar 2009. Die UBS war

332 333 334 335 336 337 338

Chronologie der Ereignisse in Sachen Finanzmarktkrise (Anhang 1), Pkt. 149und 153.

SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2009, August 2009. S. 42­43.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.5.2010.

EFD, Schreiben an die GPK vom 14.4.2010 Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.5.2010.

In diesem Fall der Group Chief Financial Officer und der Group Chief Risk Officer der UBS.

EFD, Schreiben an die GPK vom 14.4.2010.

3197

durch ihren neuen Verwaltungsratspräsidenten und ihren neuen CEO vertreten.339 Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um die Ergebnisse des ersten Quartals 2009 und die Entwicklung der Bilanzrisiken, der Kapitalisierung und der Produktivität der Bank.340 Die SNB prüfte das Risikomanagement der UBS für den Bund. Sie führte in den Monaten Februar bis April 2009 eine on site Inspektion bei der UBS durch und überprüfte das Risikomanagementsystem, die Strategieplanung und die Fähigkeit der Bank, den potenziellen Verlust im Falle eines ausgeprägten stress Szenarios zu verkraften. Zusätzlich untersuchte das Inspektionsteam eine grosse Anzahl interner Dokumente, nahm (als Beobachter) an internen Sitzungen mit Mitarbeitern des Risikomanagements teil und führte Gespräche mit verschiedenen höheren Managern. Die EFV war nicht nur an der Planung, sondern auch an der Ausführung der Inspektion des Risikomanagementsystems beteiligt und nahm an den meisten Gesprächen mit der UBS als Beobachterin teil.341 Die Ergebnisse der Inspektion wurden zuerst dem EFD und der FINMA und anschliessend der neuen Führung der UBS schriftlich übermittelt. Seit die Pflichtwandelanleihe zurückbezahlt worden ist, hat der Bund nicht mehr die Möglichkeit, die SNB mit einer solchen Inspektion zu beauftragen.342

2.7

Krisenmanagement: Beurteilung des Verhaltens der schweizerischen Behörden im internationalen Vergleich durch externe Gutachten

Dieses Kapitel befasst sich mit der Beurteilung der Massnahmen der schweizerischen Behörden (Kapitel 2.5) und ihrem Verhalten während der Krise (Kapitel 2.6), wie sie von verschiedenen Experten vorgenommen wird.

Die Beurteilung der Verfasser des von den GPK in Auftrag gegebenen Gutachtens (Kapitel 2.7.1) wird ergänzt durch Bemerkungen aus den jährlichen Studien des IWF343 und der OECD344 (Kapitel 2.7.2) sowie durch die von der EFV eingeholten Gutachten (Kapitel 2.7.3).

339

340 341 342 343

344

Oswald Grübel übernahm am 26.2.2009 das Amt Marcel Rohners als CEO der UBS, und Kaspar Villiger übernahm am 15.4.2009 das Amt Peter Kurers als Verwaltungsratspräsident.

EFD, Schreiben an die GPK vom 14.4.2010.

EFD, Schreiben an die GPK vom 14.4.2010.

Ebd.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat zur Aufgabe, das internationale Währungssystem zu überwachen und die Wirtschafts- und Finanzpolitik der 186 Mitgliedsstaaten im Auge zu behalten. Diese «Aufsicht» wird vom IWF sowohl auf globaler als auch auf einzelstaatlicher Ebene durchgeführt. Er identifiziert potenzielle Risiken für die nationale und internationale Stabilität und formuliert Empfehlungen in Bezug auf notwendige Anpassungen der Wirtschaftspolitik. Damit unterstützt er das internationale Währungssystem darin, sein wichtigstes Ziel zu erreichen: den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Kapital zwischen den Staaten zu erleichtern und so ein gesundes Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Quelle: www.imf.org.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist ein Forum, dem die Regierungen von 31 Ländern angehören. Die OECD will sich den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen der Globalisierung annehmen.

3198

2.7.1

Beurteilung der durch die GPK beauftragten Gutachter

Die folgenden Abschnitte basieren durchwegs auf dem Gutachten, das die Professoren Tille und Wyplosz im Auftrag der GPK erstellt haben. Zuerst wird die Geldpolitik beurteilt (Kapitel 2.7.1.1), dann werden Vergleiche zu den Massnahmen selbst (Kapitel 2.7.1.2), ihrem Umfang (Kapitel 2.7.1.3) und ihrer Ausarbeitung (Kapitel 2.7.1.4) angestellt.

2.7.1.1

Geldpolitik

Laut Tille und Wyplosz waren die Reaktionen der Zentralbanken auf die Krise rasch, substanziell und vielgestaltig. Die Spannungen auf den Finanzmärkten veranlassten diese Banken zu massiven Liquiditätsspritzen ­ was auch für die SNB gilt.

Dank dieser weitgehend international koordinierten Reaktion konnte ein völliger Zusammenbruch der Märkte verhindert werden.

Zwischen Sommer 2007 und September 2008 bestand die Gefahr, dass dieser Liquiditätsschub mit der Aufgabe der Zentralbanken, die Preisstabilität zu wahren, in Widerspruch geraten könnte. Mehrere Zentralbanken, darunter die SNB, waren zunächst wenig geneigt, ihre Zinsen herabzusetzen, während andere ­ wie z. B. das Fed ­ sehr rasch reagierten. Der abrupte Markteinbruch nach dem Konkurs der Lehman Brothers im September 2008 bewog jedoch alle Zentralbanken dazu, ihre Zinsen rasch bis zum Nullzins zu senken.

Die Zentralbanken stellten ihre Tätigkeit aber nicht ein, als ihre Zinsen nahezu den Nullpunkt erreicht hatten, sondern ergriffen weitere Massnahmen. So intervenierten sie direkt auf dem Kreditmarkt, was zu einem starken Anstieg ihrer Bilanzsummen führte. Während die meisten Zentralbanken sich auf inländische Investitionen konzentrierten, entschied sich die SNB für einen massiven Ankauf von ausländischen Devisen mit dem expliziten Ziel, die Aufwertung des Frankens zu bremsen. Da Interventionen auf dem Devisenmarkt wenig geläufig sind, wurde diese Politik von den anderen Zentralbanken zuerst kritisiert, doch die kritischen Stimmen nahmen ab, als die SNB ihre Entscheidung mit der grösseren Bedeutung des Wechselkurses in einem stark exportorientierten Land rechtfertigte.

2.7.1.2

Hilfsmassnahmen für den Bankensektor im internationalen Vergleich

Laut Tille und Wyplosz konzentrierte sich die staatliche Hilfe für den Bankensektor weltweit auf drei Hauptachsen (siehe Tabelle 5): die Beseitigung problematischer Aktiven, die Rekapitalisierung von Banken (um deren Solvenz zu sichern) und die Gewährung von Sicherheiten für Bankeinlagen (um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu wahren).

Wie diese Achsen zum Tragen kamen, war von Land zu Land unterschiedlich und widerspiegelte die jeweiligen nationalen Besonderheiten. Die britischen Behörden z. B. verstaatlichten de facto die Grossbanken, indem sie ihnen öffentliche Gelder einspritzten. Der Rettungsplan der USA (TARP) war weniger einheitlich und stark umstritten. Er verband eine staatliche Finanzspritze (die allerdings geringer war als 3199

in Grossbritannien) mit Sicherheiten für Bankdarlehen und einer Begrenzung der Verluste auf «troubled assets» (illiquiden Aktiven), bei der diese gewissermassen unter Quarantäne gestellt wurden. Die staatlichen Hilfsmassnahmen beschränkten sich aber nicht auf den Bankensektor. Der bekannteste Fall war die US-Versicherungsgesellschaft AIG, bei der die meisten Grossbanken Derivate erworben hatten (credit default swap, CDS345), um die Risikopositionen ihrer Portfolios zu decken.

Ein Konkurs von AIG hätte diese Deckung hinfällig gemacht und die Situation der Banken drastisch verschlechtert. Da die Folgen eines solchen wirtschaftlichen Schocks völlig unabsehbar waren, wurde AIG vom Fed de facto verstaatlicht, obwohl dieses Unternehmen streng genommen nicht in ihre Zuständigkeit fiel.

In der Schweiz konzentrierte sich die staatliche Intervention vom 15. Oktober 2008 auf die UBS, während es der Credit Suisse gelang, mitten in der Krise eine Rekapitalisierung vorzunehmen. Das Massnahmenpaket bestand aus der Übertragung der illiquiden Aktiven der UBS an eine grösstenteils durch ein Darlehen der SNB finanzierte Zweckgesellschaft sowie aus einer staatlichen Finanzspritze in Form einer Pflichtwandelanleihe in der Höhe von sechs Milliarden Franken. Dieser Betrag entsprach aus damaliger Sicht ungefähr dem Eigenkapital in Höhe von 10 Prozent der übertragenen Aktiven, das die UBS in die Zweckgesellschaft einbringen sollte.

Um eine allgemeine Panik abzuwenden, hoben mehrere Staaten weltweit die Garantien der privaten Bankeinlagen an. Die Schweiz verbesserte den Einlegerschutz rasch von 30 000 auf 100 000 Franken, ohne jedoch eine unbegrenzte Garantie zu gewähren. Andere Länder dagegen folgten dem Beispiel Irlands und boten explizit (z. B. Deutschland) oder implizit (z. B. Frankreich) eine solche unbegrenzte Garantie. Dank dieser Massnahmen konnte eine breite Panik in der Bevölkerung, die schwerwiegende Konsequenzen gehabt hätte, verhindert werden. Der von der Schweiz gewählte Ansatz einer begrenzten Garantie hat gut funktioniert, wahrscheinlich weil ein Grossteil der Banken (die Kantonalbanken) bereits von sich aus eine 100%ige Garantie gewährten und weil nur eine einzige Bank wirklich bedroht war. Die Folge war eine Abwanderung der UBS-Einlagen in die Kantonal- und Raiffeisenbanken.

Während gewisse Massnahmen,
wie z. B. die Übernahme illiquider Aktiven, mit einer Ausgabe öffentlicher Gelder verbunden waren, stellten andere, wie z. B. der Einlagenschutz, keine sofortige, sondern nur eine potenzielle Ausgabe dar, die allein im Fall einer Verschlechterung der Lage zum Tragen gekommen wäre.

345

CDS sind Kreditderivate, mit denen sich z. B. eine Bank für eine begrenzte Zeit gegen das Risiko eines Kreditausfalls absichern kann. Der Versicherer akzeptiert, das Darlehen im Falle eines Zahlungsausfalls zu übernehmen oder eine (im Voraus festgelegte) Entschädigung zu bezahlen. Quelle: FINMA, 2009, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, S. 61.

3200

StabFund: Übernahme der illiquiden Aktiven der UBS für höchstens 60 Milliarden (16. Oktober)

Schweiz

3201

Quelle: Tille und Wyplosz, 2010.

Erwerb von Aktiven für 30 Milliarden Euro (7. Oktober)

Erwerb von Aktiven für 40 Milliarden Euro (13. Oktober)

Emergency Economic Stabilization Act, 700 Milliarden Dollar (TARP, 3. Oktober)

Erwerb von Aktiven

Spanien

Irland

Deutschland

Frankreich

Grossbritannien

USA

Kanada

Land

Finanzierungsplan in der Höhe von 35 Milliarden Euro für Hypo Real Estate, Schuldengarantie über 50 Milliarden (29. September) Garantie für Bankeinlagen (5. Oktober) Stabilisierungsfonds (Soffin) 400 Milliarden Euro (13. Oktober), Darlehen an Hypo von 15 Milliarden (31. Oktober).

Kapitalspritze an Bayern LB (22. Oktober)

Wandelanleihe von 6 Milliarden Franken an die UBS (16. Oktober)

Kreditgarantie über 320 Milliarden Euro (13. Oktober)

Rekapitalisierung von Dexia für 3 Milliarden Euro (30. September) 10,5 Milliarden Euro in Wandelanleihen an die sechs grössten Banken (20. Oktober)

Erhöhung der Garantie für Bankeinlagen (6. Oktober) Schuldengarantie über 100 Milliarden Euro (13. Oktober)

Erhöhung der Garantie für Bankeinlagen auf 100 000 Euro (20. September) Einlagengarantie für die sechs grössten Banken (30. September)

Erhöhung der Garantie für Bankeinlagen auf 50 000 Pfund (3. Oktober) Credit Guarantee scheme: Garantie für kurzfristige Schulden (8. Oktober)

Darlehen in der Höhe von 85 Milliarden Dollar der Federal Reserve an AIG (16. September), Erweiterung (8. Oktober).

Vorübergehende Kreditgarantie, 50 Milliarden Dollar (19. September) Asset Backed Commercial Paper Facility und Money Market Fund Liquidity Facility (29. September) Vorübergehende Erhöhung der Garantie für Bankeinlagen durch die FDIC auf 250 000 Dollar (7. Oktober) Temporary Liquidity Guarantee (14. Oktober)

Canadian Lenders Assurance Facility, 3-jährige Kreditgarantie (23. Oktober)

Kreditgarantien

3,7 Milliarden Pfund Sterling an HBOS/Lloyds und RBS

Finanzspritzen

Tabelle 5: Wichtigste Hilfsmassnahmen für den Finanzsektor im Herbst 2008

2.7.1.3

Vergleich des Umfangs der Hilfsmassnahmen für den Bankensektor

Der Umfang der im vorhergehenden Abschnitt besprochenen Massnahmen war beträchtlich. In den USA und in Grossbritannien entsprachen sie 8 Prozent der Bankaktiven (vgl. US und UK in der untenstehenden Grafik 6). Die Massnahmen in der Schweiz scheinen im Verhältnis zur Grösse des Bankensektors bescheidener (1,5 %), doch muss berücksichtigt werden, dass sie nur einer einzigen Bank zugutekamen, für die sie 3,8 Prozent der Vermögenswerte darstellten.346 Angesichts der Grösse des Bankensektors im Vergleich zur Gesamtwirtschaft in einigen Ländern kommt der makroökonomische Effekt der Massnahmen durch einen Vergleich mit dem BIP besser zum Ausdruck. Die Hilfsmassnahmen stellen mehr als die Hälfte des britischen BIP dar, gefolgt von den Niederlanden. Auch in den USA ist der Aufwand beträchtlich (20 % des BIP). Im internationalen Vergleich ist der schweizerische Aufwand relativ bescheiden (10 % des BIP).

Grafik 6: Hilfsmassnahmen für den Finanzsektor Kosten der Massnahmen in % der Bankaktiven (Grösse des Bankensektors)

Kosten der Massnahmen in % des BIP

Quelle : Panetta Fabio et al., 2009, An assessment of financial sector rescue programmes, BIS working paper 48, figure 1.1.

2.7.1.4

Vergleich der Massnahmen und ihrer Ausarbeitung

USA Der Paulson Plan der USA wurde mehrmals abgeändert. Die erste Version, die dem Kongress nach dem Konkurs der Lehman Brothers vorgelegt wurde, war noch zu einem beträchtlichen Grad improvisiert. Sie zählte nur drei Seiten und formulierte keine klar definierte Strategie. Es ist denn auch kaum überraschend, dass der Kongress die US-Regierung bat, den Plan zu überarbeiten und einen ausgereifteren Ansatz zu unterbreiten, der auch prompt akzeptiert wurde. Nichtsdestotrotz fehlt es dem amerikanischen Plan an einer klaren Strategie. Obwohl ein Teil der öffentlichen Gelder benutzt wurde, um die Eigenmittel der Banken aufzustocken, weigerten sich die Behörden, von einer Verstaatlichung zu sprechen. Auch den öffentlich-privaten 346

Laut Statistiken der SNB machte die UBS Ende 2008 38,6 % der Vermögenswerte des schweizerischen Bankensektors aus.

3202

Partnerschaften, die dem Markt der Mortgage-backed securities auf die Sprünge helfen sollten, fehlte es an Klarheit, was bis zu einem gewissen Grad ihren fehlenden Erfolg erklärt. Zwar ist es durchaus normal, dass wirtschaftspolitische Massnahmen sich der Entwicklung der Krise laufend anpassen, doch zeugt das Fehlen einer klaren Linie hier, wie es scheint, auch von einem gewissen Unwillen, die Kosten einer Komplettsanierung des Bankenwesens für den Steuerzahler anzuerkennen. Stattdessen suchten die Behörden nach Palliativlösungen. Die US-Behörden führten ausserdem im Frühling 2009 eine Reihe von stress tests durch, deren detaillierte Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgelegt wurden. Gewisse Banken wurden als gesund erklärt und aus der Obhut der US-Behörden entlassen, während für andere die Diagnose zurückhaltender war und der Schutz aufrechterhalten wurde. Diese Tests haben zu einer deutlichen Beruhigung der Märkte geführt.

Grossbritannien Die Antwort der britischen Behörden war zuerst von einem starken Koordinationsmangel zwischen den verschiedenen Akteuren gekennzeichnet, insbesondere im Fall der Rettung der Bank Northern Rock, bei der die Bank of England und die Financial Services Authority nicht die gleiche Strategie zu verfolgen schienen (die Bank of England schien wenig geneigt, die Northern Rock von den Konsequenzen ihrer Fehler zu retten). In der zweiten Phase der Krise änderte sich die Lage jedoch drastisch, nicht zuletzt durch den Entscheid der Regierung, einen Grossteil des Bankenwesens de facto zu verstaatlichen. Nun müssen die britischen Behörden mit der Herausforderung einer solchen Verstaatlichung und den beträchtlichen Kosten für die öffentlichen Finanzen fertigwerden.

Eurozone Die staatlichen Interventionen in der Eurozone zeugten von einem Mangel an Koordination und einer gewissen Improvisation, die nicht zuletzt auf den fehlenden Rahmen zur Bewältigung von Problemen in Banken, die in mehreren Staaten tätig sind, zurückzuführen sind.347 Es ist den Behörden zwar gelungen, die Probleme der Banken Dexia und Fortis in den Griff zu kriegen ­ mehrheitlich durch Rekapitalisierungen mit öffentlichen Geldern ­, doch wurden diese Interventionen hastig und allein bilateral vorgenommen. Dank der begrenzten Zahl betroffener Länder (zwei bzw. drei) war die Krise weniger komplex als anderswo. Die
europäischen Behörden haben zwar stress tests durchgeführt, doch wurden die Kriterien der Szenarien dem Gutdünken der Mitgliedsstaaten überlassen und die Ergebnisse nicht publik gemacht. Infolgedessen herrscht in der Öffentlichkeit grosse Skepsis in Bezug auf die Situation der Grossbanken, besonders in Deutschland und Frankreich.

Kanada Die kanadischen Behörden konzentrierten sich auf die Gewährung von Garantien für Bankverbindlichkeiten. Diese Garantien kamen nicht zum Tragen, denn die kanadischen Banken überstanden die Krise ohne massive Verluste.348 Die kanadische

347

De Larosière Jacques, 2009, The high-level group on financial supervision in the E.U., Brüssel, 25.2.2009; Pisani-Ferry Jean und Sapir André, 2009, Banking crisis management in the EU: An early assessment, mimeo, 28.12.2009.

348 Ratnovski Lev und Huang Rocco, 2009, Why are canadian banks more resilient?, IMF Working Paper 09/152.

3203

Aufsichtsbehörde war weniger nachgiebig, und die Banken waren zurückhaltender gegenüber Produkten, die sie nicht verstanden.349 Schweiz Laut Tille und Wyplosz erweist sich die Intervention der schweizerischen Behörden im internationalen Vergleich als relativ geordnet und zielgerichtet. Erstens war die staatliche Beteiligung am UBS-Kapital begrenzt und wurde auch sehr rasch mit beträchtlichem Gewinn wieder abgestossen. Zweitens wurden die illiquiden Aktiven der UBS klar isoliert. So hat die schweizerische Politik eine allgemeine Panik abwenden können, ohne dabei zu sehr in eine moralische Zufälligkeit zu geraten, denn die UBS verlor viele ihrer Kunden zugunsten anderer Banken. Somit wurde laut den Gutachtern das Bankensystem stabilisiert und der «Schuldige» bestraft.

Der Erfolg der Schweiz muss jedoch relativiert werden. Die Tatsache, dass die Probleme auf eine Bank beschränkt waren, hat den Behörden die Sache sicherlich erleichtert. Sie konnten zielgerichteter reagieren, als wenn beide Grossbanken oder der gesamte Bankensektor der staatlichen Hilfe bedurft hätten.

2.7.2

Gutachten des IWF und der OECD

In seinem Länderexamen der Schweiz 2009350 kommt der IWF zum Schluss, die SNB habe in einem schwierigen Umfeld eine effiziente Geldpolitik betrieben. Tatsächlich hat die Nationalbank in den ersten drei Quartalen 2008 in Anbetracht einer hohen Inflationsrate ihre restriktive Geldpolitik aufrechterhalten, dabei jedoch zum richtigen Zeitpunkt Liquidität in den Interbankenmarkt gespritzt. Als die Konjunktur in den letzten zwei Monaten 2008 einbrach und die Inflation zurückzugehen schien, hat die SNB ihre restriktive Geldpolitik gelockert. In seinem Länderexamen von 2010351 hält der IWF fest, dass die SNB ihre expansive Geldpolitik (die Ende 2008 begann) im Jahr 2009 zu Recht aufrechterhalten habe. Angesichts der Gefahr einer Deflation ­ trotz eines Leitzinses, der beinahe bei Null lag ­ griff die SNB ab März 2009 zu unkonventionellen Massnahmen. Dank dieser Massnahmen konnte die Währungssituation trotz anhaltendem Druck auf dem Schweizer Franken (Aufwertung des Frankens) stabilisiert werden.

In Bezug auf die Stabilisierung des Finanzsektors ist der IWF der Ansicht, die schweizerischen Behörden hätten angemessene und effiziente Massnahmen ergriffen.352 Die Schaffung des Stabilisierungsfonds (StabFund) zur Übernahme der illiquiden Aktiven der UBS und die Finanzspritze des Bundes hätten die Märkte im Hinblick auf die Solvenz der Bank beruhigt. Ausserdem habe die Regierung deutlich gemacht, dass sie falls notwendig die Garantie für Bankeinlagen erhöhen würde, wenn die Gefahr eines Vertrauensverlustes gegenüber den Finanzinstituten ansteigen sollte.

349 350

Protokoll der GPK zur Präsentation des Gutachtens von Tille und Wyplosz vom 3.5.2010.

IMF, Switzerland, 2009, Article IV Consultation, Conclusions of the mission, 9.3.2009.

EFD, Medienmitteilung «Anerkennung des IWF für wirtschaftspolitische Massnahmen der Schweiz in schwierigem Umfeld» vom 9.3.2009.

351 IMF, Switzerland, 2010, Article IV Consultation, Conclusions of the mission, 23.3.2010.

352 IMF, Switzerland, 2009, Article IV Consultation, Conclusions of the mission, 9.3.2009, und IMF, Switzerland, 2010, Article IV Consultation, Conclusions of the mission, 23.3.2010.

3204

Auch die OECD veröffentlichte im Dezember 2009 eine Studie zur Schweiz353. Sie hält fest, dass die Schweiz trotz der Bedeutung des Finanzsektors in der Gesamtwirtschaft und trotz der schweren Verluste der global tätigen schweizerischen Grossbanken auf dem US-Hypothekenmarkt die Krise besser überstanden habe als die meisten anderen OECD-Länder. Sie verdankte diese relativ günstige Entwicklung der sektoriellen Spezialisierung der verarbeitenden Industrie, der finanziellen Robustheit der kleineren, auf den inländischen Markt konzentrierten Banken und einer Geldpolitik, die ziemlich frühzeitig expansiv geworden sei. Durch ihr entschlossenes Vorgehen seit Beginn der Krise hat die SNB laut OECD die Finanzstabilität und die wirtschaftliche Aktivität sichern können.

2.7.3

Von der EFV bestellte Gutachten

In seinem Gutachten zur Finanzmarktaufsicht und Finanzmarktkrise354 schreibt Geiger, dass die EBK in ihrem Krisenmanagement Unabhängigkeit bewiesen habe, und dies obwohl die EBK (wie alle Aufsichtsbehörden) die UBS lange Zeit als Musterschüler, als Referenz in ihrer konservativen Haltung gegenüber Risiken angesehen habe. Laut Geiger kann man der EBK nicht vorwerfen, dass sie Risiken, derer sich die UBS selbst nicht bewusst war (Kapitel 2.3), nicht früh genug erkannt habe. Allerdings, so der Gutachter, hätte die EBK rechtzeitig merken müssen, dass die UBS kein Musterschüler war: Das Risikomanagement der Bank war unangemessen.

Geiger zufolge verdienen die schweizerischen Behörden (SNB, EBK und EFD) im internationalen Vergleich im Hinblick auf ihr Krisenmanagement Bestnoten. Während z. B. die amerikanischen, britischen und deutschen Behörden wenig überzeugend agierten und auf die Krise kaum vorbereitet schienen, habe man in der Schweiz ernsthafte Vorbereitungsarbeiten unternommen und einen transparenten, soliden, glaubwürdigen und effizienten Rettungsplan für die UBS vorgelegt. Auch habe die EBK, wie Geiger hervorhebt, zusätzlich zum Massnahmenpaket Änderungen im Bereich der Eigenmittelanforderungen und der Vergütungsmodelle vorgenommen.

Diese Entscheidungen wurden weltweit als vorbildlich betrachtet.

In seinem für die EFV erstellten Gutachten355 schreibt David Green, dass sich die EBK dank ihrer vor der Krise geknüpften Kontakte bei Ausbruch der Krise in einer günstigen Position befunden habe. Sie habe über persönliche Ansprechpersonen in den ausländischen Behörden verfügt und aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Krisenbereitschaft einen guten Ruf genossen.

2.8

Steuerung durch den Bundesrat

Die Frage der Steuerung der Krise durch den Bundesrat ist einer der Hauptpunkte der Abklärungen der GPK. Nachdem zuerst der Hintergrund der Finanzkrise und ihr Ausbruch (Kapitel 2.1 bis 2.4) und dann die ergriffenen Massnahmen und ihre 353 354

OECD, Wirtschaftsstudien der OECD. Schweiz, Volumen 2009/20, Dezember 2009.

Geiger Hans, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise zuhanden der EFV, 31.12.2009.

355 Green David, 2010, The Conduct of Financial Market Supervision during the Financial Crisis, Expertise zuhanden der EFV, Januar 2010.

3205

Ausarbeitung (Kapitel 2.5 bis 2.7) analysiert worden sind, setzen sich die GPK im vorliegenden Kapitel mit der Rolle des Gesamtbundesrats auseinander, die dieser im Rahmen der Krise gespielt hat.

Dabei werden zuerst die Informationsgrundlagen des Vorstehers des EFD (Kapitel 2.8.1) behandelt. Die Abschnitte 2.8.2 und 2.8.3 entsprechen zwei unterschiedlichen Phasen der Involvierung des Bundesrats. Die erste Phase (Abschnitt 2.8.2) kann man als die Phase der Information des Kollegiums durch den Vorsteher des EFD bezeichnen. Die zweite Phase (Abschnitt 2.8.3) entspricht einem proaktiveren Engagement des Bundesrats. Der Übergang von einer Phase zur anderen fiel einerseits mit dem Kreislaufkollaps des Vorstehers des EFD zusammen, andererseits mit der Einsicht, dass eine Unterstützung der UBS unumgänglich geworden war.

Es sei hier betont, dass dieses Kapitel sämtliche Informationen widerspiegelt, die den GPK in Bezug auf die Information des Bundesrats und die Steuerung durch diesen zur Verfügung standen.

2.8.1

Informationsgrundlagen des Vorstehers des EFD

Der Vorsteher des EFD wurde während der Finanzkrise über verschiedene Kanäle informiert:356

356 357 358 359 360

­

Dreierinstanz: Die Sitzungen der Dreierinstanz, die im Rahmen der Krisenorganisation KLL vorgesehen sind, fanden zwischen Dezember 2007 und Dezember 2008 fünfmal statt.357 In den drei letzten Wochen vor der Lancierung des Massnahmenpakets vom 15. Oktober 2008 konsultierten sich die Mitglieder dieser Gruppe regelmässig, jedoch nicht im formellen Rahmen der Dreierinstanz.

­

Direktor der EFV: Laut dem Vorsteher des EFD358 kam es zwischen August 2007 und Dezember 2008 zu 31 bilateralen Gesprächen mit dem Direktor der EFV in Verbindung mit der Krise. Diese Sitzungen fanden unregelmässig statt, wobei ihre Häufigkeit zwischen Dezember 2007 und April 2008 (Ausarbeitung der Handlungsoptionen) zunahm. Gleichzeitig nutzte der Direktor der EFV auch die wöchentlichen Vorbereitungs- und Follow-upTreffen rund um die Sitzungen des Bundesrats, um aktuelle Themen in Zusammenhang mit der Krise zu besprechen.

­

Präsident der FINMA: Ab Mai 2007 fanden institutionalisierte Gespräche auf höchster Ebene zwischen der FINMA und dem EFD im Prinzip zweimal jährlich statt (Mai und November).359 Zusätzlich wurden im Sommer 2008 regelmässig bilaterale Gespräche zur Finanzkrise geführt.360 Nach Angaben des Präsidenten der FINMA wurde der Vorsteher des EFD regelmässig, Schreiben des Vorstehers des EFD an den Präsidenten der Arbeitsgruppe der GPK zur Finanzmarktaufsicht vom 14.4.2010.

18.12.2007, 29.01.2008, 19.03.2008, 01.04.2008, 12.12.2008.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.5.2010.

1.5.2007, 29.11.2007, 13.5.2008. Soweit den GPK bekannt ist, fand im November 2008 kein Treffen statt.

Schreiben des Vorstehers des EFD an den Präsidenten der Arbeitsgruppe der GPK zur Finanzmarktaufsicht vom 4.5.2009.

3206

gewissenhaft und vollumfänglich informiert. Sämtliche Informationen seien über das EFD gelaufen, inklusive der Informationen, die auch für den Gesamtbundesrat bestimmt waren.361 ­

Präsident der SNB: Reguläre Kontakte zwischen dem Vorsteher des EFD und dem Präsidenten der SNB fanden anlässlich der jährlichen Diskussion mit dem Bundesrat sowie zweimal jährlich im Rahmen des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats statt.

Diese Elemente zeigen, dass der Vorsteher des EFD regelmässig über die Finanzkrise und ihre Entwicklung informiert wurde. Auch war er zwischen Februar und April 2008 bei der Ausarbeitung von Handlungsoptionen für den Fall eines Konkurses der UBS gemeinsam mit der SNB und der EBK persönlich stark involviert.

2.8.2

Information des Kollegiums durch den Vorsteher des EFD

Bevor die Informationen, die der Vorsteher des EFD dem Bundesrat übermittelte362, im Detail ausgeführt werden, müssen zwei zentrale Punkte in Erinnerung gerufen werden: erstens die besondere Art der Informationen und zweitens die Existenz des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats.

Die Tatsache, dass die UBS so stark in Schwierigkeiten steckte, dass der Bund einen Rettungsplan auszuarbeiten begann, war eine äusserst brisante Information ­ nicht nur im Hinblick auf die Börse, sondern auch vom Standpunkt der Finanzstabilität aus. Diese Art von Informationen kann panische Anstürme auf Banken auslösen, die für das Land wirtschaftliche und finanzielle Folgen haben können. Deshalb zog der Vorsteher des EFD es vor, den Bundesrat nicht vollständig zu informieren und die Zahl der unterrichteten Personen so gering wie möglich zu halten.363 Der Vorsteher des EFD gab zudem an, dass er in seinem Heimatkanton bereits den Konkurs einer Bank habe handhaben müssen, eine Erfahrung, die ihn darin bestärkt habe, dass höchste Geheimhaltung angebracht sei.364 Einige Mitglieder des Bundesrats, die von den GPK angehört wurden, bestätigten die Brisanz der Informationen und wiesen zusätzlich darauf hin, dass zu jener Zeit mehrmals vertrauliche Informationen vom Bundesrat an die Öffentlichkeit gelangt waren. Einige Bundesräte gaben den GPK jedoch zu verstehen, dass sie gerne früher und vollständiger informiert worden wären.

Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats ist einer der ständigen Ausschüsse des Bundesrats, die zu Beginn der Legislaturperiode eingesetzt wurden. Er besteht aus 361

Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner, Präsident der FINMA, durch die GPK vom 22.4.2010.

362 Im Jahr 2008 gab der Bundespräsident bekannt, dass alle Elemente im Zusammenhang mit der Finanzkrise, die während den Bundesratssitzungen behandelt werden, nicht im Protokoll vermerkt werden. Der Sprecher des Bundesrats machte sich jedoch Notizen, auf deren Grundlage die Bundeskanzlei eine Chronologie erstellen konnte. Auch die persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD und seiner Stellvertreterin halfen, die Informationen in diesem Kapitel zu rekonstruieren.

363 Protokolle der Anhörungen von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.4.2010 und vom 6.5.2010.

364 Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.5.2010.

3207

dem Bundespräsidenten (zu jenem Zeitpunkt der Vorsteher des EDI), dem Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EVD. Präsidiert wird er von der Vorsteherin des EVD, die in der Regel auch die Sitzungen einberuft. Der Ausschuss hat weder ein Mandat noch definierte Zuständigkeiten. Er hält jährlich zwei ordentliche Sitzungen mit der SNB ab. In diesem Rahmen kamen gewisse Elemente im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise zur Sprache, doch wurde die Sache vom Ausschuss nicht weiterverfolgt. Im Weiteren hat der Vorsteher des EFD den Wirtschaftsausschuss des Bundesrats am 21. April 2008 über die schwierige Finanzlage der UBS informiert.

Tabelle 7 führt die Daten der ordentlichen und ausserordentlichen Sitzungen des Bundesrats auf, in denen die Finanzkrise oder das Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems (wenn auch teilweise nur am Rande) zur Sprache kamen oder behandelt wurden.

Tabelle 7: Information des Bundesrats zur Finanzkrise 2007 Aug

2008 Sept Okt

Nov

BR am 22.08 vom Vorsteher EFD informiert: Probleme auf dem USImmobilienmarkt

BR am 28.11 vom Präsident SNB informiert: SubprimeProbleme

Dez

Jan

2009 Feb

Mär

Apr

BR am 7.12 vom Vorsteher EFD informiert: UBS Abschreibung von 10 Milliarden auf dem USHypothekenmarkt. EBK fordert Rekapitalisierung der UBS

BR am 2.4 vom Vorsteher EFD informiert: Zusätzliche Abschreibungen der UBS in den USA Krise des Bankenwesens: 4 Strategien mit SNB und EBK untersucht

Mai

Juni Juli

Aug

BR am 19.09 vom Vorsteher EFD informiert: Verschärfung der Lage auf den US-Finanzmärkten BR am 22.09 informiert: Vertretung Vorsteher EFD durch Vorsteherin EJPD beschlossen. Finanzkrise kommt zur Sprache BR am 26.09 durch Vorsteherin EJPD informiert: mögliche Massnahmen im Fall eines Konkurses der UBS werden angesprochen

Sept Okt

Nov

Dez

Jan

BR am 12.12 vom Vorsteher EFD über Lage der UBS informiert BR am 28.01 vom Vorsteher EFD über Lage der UBS und der CS sowie BoniZahlungen der UBS informiert Beschlüsse des BR vom 2.10 und 15.10, zu eventuellen Massnahmen (2.10) und zum Massnahmenpaket (15.10) Sitzungen des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats vom 13./14.10

Zwischen dem Beginn der Turbulenzen auf den Finanzmärkten im August 2007 und der dramatischen Verschlimmerung der Lage im September 2008 wurde der Bundesrat nur mündlich zur Finanzkrise informiert. Der Vorsteher des EFD unterrichtete das Kollegium fünfmal, und der Präsident der SNB brachte die finanziellen Turbulenzen beim jährlichen Gespräch (Dezember 2007) zur Sprache.

­

Sitzung vom 22. August 2007: Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat ganz allgemein über die relativ schwierige Situation der Finanzmärkte, die auf Probleme auf dem US-Hypothekenmarkt zurückzuführen seien. Er fügte hinzu, der Wirtschaft gehe es gut, besonders dem Bankensektor.

­

Sitzung vom 28. November 2007: Austausch mit dem Präsidenten der SNB.

3208

­

Sitzung vom 7. Dezember 2007: Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat, dass die UBS Abschreibungen in der Höhe von zehn Milliarden Franken habe vornehmen müssen und dass das globale Engagement der Bank in den USA bei 40 Milliarden Franken liege, also ungefähr der Summe ihrer Eigenmittel entspreche. Die EBK fordere deshalb eine Rekapitalisierung. Der Vorsteher des EFD bat den Bundesrat, diese Informationen vertraulich zu behandeln.

­

Sitzung vom 2. April 2008: Der Vorsteher des EFD gab zusätzliche Abschreibungen der UBS in den USA bekannt und warnte den Bundesrat, dass die Prognosen bezüglich der Einnahmen des Bundes nach unten korrigiert werden müssten. Es bestehe zurzeit kein Anlass zum Handeln. Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat, dass die potenziellen Konsequenzen eines Ausfalls des Bankenwesens analysiert und in Zusammenarbeit mit der SNB und der EBK vier Strategien ausgearbeitet worden seien.

Ein Bericht zum Thema liege vor (das Non-paper vom 28. März 2008) und sei dem EFD zur Konsultation übergeben worden.

­

Der Vorsteher des EFD sah zu jenem Zeitpunkt keinen Anlass, das Dokument (Non-paper!) dem Bundesrat vorzulegen, noch diesen über besagte Vorbereitungen zu unterrichten, da es sich nur um Vorbereitungsarbeiten handle, die vertraulich bleiben sollten, um die schweizerische Finanzstabilität nicht zu gefährden.365 Dagegen konsultierte der Vorsteher des EFD die Vorsteherin des EVD, um sich die wirtschaftlichen Konsequenzen der erarbeiteten Szenarien bestätigen zu lassen.

­

Sitzung vom 19. September 2008: Der Vorsteher des EFD informierte den Bundesrat ganz allgemein über die Finanzmarktkrise in den USA. Die Notizen, die den GPK zu dieser Sitzung vorliegen, enthalten äusserst widersprüchliche Informationen. Den Notizen zufolge warnte 1) der Vorsteher des EFD den Bundesrat, dass die Krise anhalten werde, dass aber ihre Auswirkungen auf die schweizerischen Grossbanken gering sein sollten. Später bemerkte der Vorsteher des EFD, dass 2) die diesbezüglichen Zweifel zunehmen würden und die Märkte angespannt seien; 3) dass die Eigenmittelversorgung der beiden Grossbanken ausreichend sei; 4) dass die Lage der UBS sich ernsthaft verschlechtere, die Gefahr aber noch nicht akut sei. Der Vorsteher des EFD informierte ebenfalls über die Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS (vgl. Kapitel 3.4.1.4).

Aus den vorhergehenden Elementen geht hervor, dass der Bundesrat sich in jenem Zeitraum nicht am Krisenmanagement beteiligte. In den Gesprächen der GPK mit den Bundesräten meinten diese, sie hätten den Vorsteher des EFD mehrmals gefragt, wie sich die Dinge entwickelten. Der Vorsteher des EFD habe geantwortet, alles sei unter Kontrolle und es gebe keinen Anlass zur Sorge. Diese Antworten führten zu keinerlei Fragen von Seiten der anderen Mitglieder des Bundesrats.

365

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 6.4.2010.

3209

2.8.3

Entwicklung der Rolle und der Steuerung des Bundesrats

21. September 2008: zwei bedeutende Ereignisse mobilisieren den Bundesrat Am 21. September 2008 traten zwei bedeutende Ereignisse ein, welche das Verhalten des Bundesrats stark veränderten: Die Spitaleinlieferung des Vorstehers des EFD am Vorabend aufgrund seines Herz-Kreislauf-Kollapses und die Ankündigung des UBS-Präsidenten, dass die UBS dringend die Unterstützung der Behörden benötigte und eine Stabilisierung der Bank durch die SNB konkretisiert werden sollte. Der Bundesrat kam von da an viermal zusammen, wobei zweimal Entscheidungen getroffen wurden.

21.­22. September 2008: Vertretung des EFD-Vorstehers und Involvierung des Bundespräsidenten Am Sonntag, dem 21. September 2008, wurde die Vorsteherin des EJPD von der Generalsekretärin ihres Departements informiert, der Vorsteher des EFD sei am Vorabend ins Spital eingeliefert worden. Am selben Tag gab der Präsident der UBS dem Vizepräsidenten der SNB und dem Präsidenten der FINMA bekannt, dass eine Hilfe der Behörden zur Rettung der UBS unvermeidlich geworden sei (Kapitel 2.6).

Am selben Abend trafen sich auf Initiative des Bundespräsidenten die Vorsteherin des EJPD, der Direktor der EFV, die Generalsekretärin des EFD, Vertreter des EFD sowie der Bundespräsident selbst, um die Vertretung des EFD-Vorstehers zu besprechen. Die Vertretung wurde am Tag darauf vom Bundesrat in seiner ausserordentlichen Sitzung vom 22. September 2008 offizialisiert. Die Vorsteherin des EJPD, welche die Vertretung übernahm, hat vor dem 21. September 2008 keine spezifischen Informationen zur Krise erhalten.366 Folglich informierte sie sich vorerst über die Lage, bevor sie in der Sitzung des Bundesrats vom 26. September 2008 ihre Kollegen ausführlicher unterrichtete. In dieser Sitzung informierte die Vorsteherin des EJPD den Bundesrat mündlich über den Ernst der Lage und das Massnahmenpaket. Sie stützte sich dabei auf Unterlagen, die vom EFD vorbereitet worden waren.

Die Vorsteherin des EJPD367 präsentierte die beiden möglichen Szenarien: die Übernahme der Bank durch eine ausländische Bank oder das rigorose Massnahmenpaket mit u. a. einer Rekapitalisierung durch Privatinvestoren, der Übernahme illiquider Aktiven durch die SNB oder der Möglichkeit, der UBS zusätzliche Liquiditäten zur Verfügung zu stellen. Zu jenem Zeitpunkt waren die Summen noch nicht bekannt.368 Die
Vorsteherin des EJPD arbeitete anschliessend eng mit dem Direktor der EFV zusammen, um das Massnahmenpaket zu finalisieren. Nach Aussage des Vorstehers des EFD war die Vorbereitung der Massnahmen dank des im März 2008 erstellten Non-paper sehr weit fortgeschritten. Man musste nur noch zum gegebenen Zeitpunkt das Ergebnis dieser Arbeiten dem Gesamtbundesrat vorlegen und die Modali-

366

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, Vorsteherin des EJPD, durch die GPK vom 29.3.2010.

367 Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S. 5.

368 Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten (des Jahres 2008), Pascal Couchepin, durch die GPK vom 04.05.2010.

3210

täten regeln.369 Tatsächlich wurden die genauen Summen und der Involvierungsgrad des Bundes aus zwei Gründen sehr spät festgelegt: Erstens mussten die Art und die genaue Summe der benötigten Unterstützung bestimmt werden. Zweitens wurde bis zum letzten Moment eine Lösung bevorzugt, die eine finanzielle Unterstützung des Bundes vermied (eine solche Lösung wurde vom gesamten Bundesrat unterstützt).

Erst am 12. Oktober 2008 wurde die Rekapitalisierung durch Privatkapital definitiv verworfen.370 2. Oktober 2008: erster Beschluss des Bundesrats Bei der ausserordentlichen Sitzung des Bundesrats vom 2. Oktober 2008 war ausser dem Kollegium auch der Steuerungsausschuss KLL zugegen, ein für den Bundesrat aussergewöhnliches Vorgehen.371 Der Bundesrat wurde auf Grundlage einer Diskussionsnotiz des EFD372 über die Massnahmen unterrichtet, die zur Rettung der UBS erwogen wurden. In dieser Notiz wurden die Lage der UBS, die wirtschaftlichen Folgen eines Konkurses und die erwogenen Massnahmen dargelegt. Der Bundesrat beauftragte das EFD, ihm einen Vorschlag für ein Massnahmenpaket vorzulegen, da eine staatliche Intervention nun unvermeidlich zu sein schien.

Mitte Oktober 2008: Mobilisierung des Wirtschaftsausschusses Aus den Anhörungen der Bundesräte durch die GPK geht hervor, dass der Bundespräsident die Finalisierung des Massnahmenpakets gesteuert hat. Dabei stützte er sich auch auf den Wirtschaftsausschuss, der normalerweise von der Vorsteherin des EVD einberufen wird. Überzeugt von der Notwendigkeit eines Massnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzsystems, mobilisierte der Bundespräsident den Wirtschaftsausschuss in zwei Sitzungen (13. und 14.10.2008), um die Zustimmung des Bundesrats zum Massnahmenpaket in seiner für den 15. Oktober 2008 anberaumten Sitzung sicherzustellen.373 14. Oktober 2008 Die Vorsteherin des EDA, der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) wurden informiert.

15. Oktober 2008: zweiter Beschluss des Bundesrats Im Rahmen der Sitzung vom 15. Oktober 2008 gab die stellvertretende Vorsteherin des EFD bekannt, dass eine Rekapitalisierung der UBS durch private Mittel seit dem 12. Oktober 2008 definitiv ausgeschlossen sei. Deshalb
habe der Wirtschaftsausschuss nun das Massnahmenpaket finalisiert. Ein Bundesrat äusserte sich kritisch über das Vorgehen, bei dem drei Bundesräte von den Vorbereitungen ausgeschlos-

369 370 371 372 373

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Vorsteher des EFD, durch die GPK vom 06.04.2010.

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 29.3.2010.

Schreiben der BK vom 11.5.2009.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten (des Jahres 2008), Pascal Couchepin, durch die GPK vom 04.05.2010.

3211

sen worden waren. Schliesslich wurde das Massnahmenpaket einstimmig verabschiedet.

15. Oktober 2008: Beschluss des Bundesrats von der Finanzdelegation der Finanzkommissionen gutgeheissen Die Finanzdelegation der Finanzkommissionen der eidgenössischen Räte (FinDel) war an der Ausarbeitung des Massnahmenpakets nicht beteiligt und wurde diesbezüglich auch nicht konsultiert. Am 14. Oktober 2008 gab der Präsident der FinDel den Mitgliedern der Kommission bekannt, dass am folgenden Tag, dem 15. Oktober 2008, eine Sitzung der FinDel stattfinden würde. Die Sitzung begann um 13.00 Uhr; die Sitzungsunterlagen konnten ab 11.00 Uhr konsultiert werden. Die stellvertretende Vorsteherin des EFD wurde von der Vorsteherin des EVD, dem Präsidenten der SNB, dem Präsidenten der FINMA, dem Direktor der EFV und dem stellvertretenden Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle begleitet.

Nach Ansicht des Präsidenten der FinDel374 waren es die Börsengesetze, die eine strenge Vertraulichkeit und ein derart ungewöhnliches Vorgehen notwendig machten (Einberufung der Sitzung am Vortag, Sitzungsunterlagen vor Ort). Zudem trifft die FinDel ihrem Präsidenten zufolge ihre Entscheidungen stets aufgrund von zwei Prinzipien ­ der Dringlichkeit und der Notwendigkeit. Beide waren in diesem Fall gegeben. Die sechs anwesenden Mitglieder der FinDel sprachen sich einstimmig für die geplanten Massnahmen aus. Nach Auffassung des Präsidenten der FinDel war das gewählte Vorgehen korrekt, denn die Delegation kann sich prinzipiell nur zu einem Beschluss des Bundesrats äussern, was bedeutet, dass dieser bereits gefasst worden sein muss.

Ab November 2008: Rückkehr des Vorstehers des EFD Am 3. November 2008 kehrte der Vorsteher des EFD in sein Amt zurück und nahm seine Arbeit vollumfänglich wieder auf. Trotz des Angebots der Vorsteherin des EJPD hielt der Vorsteher des EFD eine persönliche Übergabe der Dossiers oder eine Diskussion der wichtigen Punkte nicht für notwendig.375 Erst am 30. November 2008 hatte die Vorsteherin des EJPD Gelegenheit, mit dem Vorsteher des EFD die ernsthaften Schwierigkeiten der UBS zu besprechen. In ihrer Anhörung nannte die Vorsteherin des EJPD die Übergabe der Dossiers eine «etwas schwierige Übergabe».376 In der Sondersitzung des Bundesrats vom 11. und 12. Dezember 2008 präsentierte der Präsident der SNB einen
allgemeinen Überblick über die wirtschaftliche Lage und die Entwicklung der Finanzkrise. Er sprach auch über die Prognosen für 2009 und informierte den Bundesrat, dass die Finanzkrise den schweizerischen Bankensektor ­ und die UBS im Besonderen ­ weiter schwächen werde. Das Kapital der UBS werde auf ein Niveau fallen, das nur knapp über der Mindestanforderung der EBK liege, und im internationalen Vergleich werde ihre Eigenmittelausstattung nicht mehr länger verhältnismässig solide erscheinen. Die Bank sei sich bewusst,

374 375

Protokoll der Anhörung des Präsidenten der FinDel durch die GPK vom 19.3.2008.

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, Vorsteherin des EJPD, durch die GPK vom 4.5.2010.

376 Ebd.

3212

dass dringende Schritte unternommen werden müssten, und erwäge eine Veräusserung von Aktiven.377 In der Sitzung des Bundesrats vom 28. Januar 2009 informierte der Vorsteher des EFD den Bundesrat über die Lage der UBS in Hinsicht auf ihren Abschluss, ihre Liquiditäten und ihre Eigenmittel. Er erklärte weiter, dass der Verwaltungsrat der FINMA nach Verhandlungen den Vergütungsplan der UBS am 23. Januar 2009 bewilligt habe.

Da das Massnahmenpaket vom Parlament verabschiedet worden war und die Situation der UBS sich finanziell gesehen relativ stabilisiert hatte, wurde die Angelegenheit wieder dem EFD übertragen. Doch zu Jahresende 2008 wurde auch das Dossier der Übergabe von UBS-Kundendaten in den USA zunehmend brisanter (Kapitel 3).

Dieser Rechtsstreit mit den USA konnte die UBS erneut in grosse Schwierigkeiten bringen. Die Frage der Steuerung durch den Bundesrat wird in diesem zweiten Dossier erneut zur Sprache kommen.

2.9

Lehren aus der Krise: Schritte der Behörden

2.9.1

Einführung

In diesem Kapitel wird die Nachfolgearbeit der schweizerischen Behörden im Anschluss an die Krise behandelt. Diese Arbeit gehört zwar nicht zum Krisenmanagement im engeren Sinne, zeugt aber von den Lehren, die daraus gezogen wurden.

Diese Arbeiten stehen grösstenteils im Zusammenhang mit Diskussionen auf internationaler Ebene, und zwar aus folgenden Gründen: Die globale Geschäftstätigkeit der Grossbanken und der internationale Konkurrenzdruck führen dazu, dass die Regulierung und Aufsichtsmassnahmen im Finanzsektor international koordiniert werden müssen, damit zu grosse Regelungsunterschiede ­ und damit verbundene Wettbewerbsverzerrungen ­ vermieden werden und die Aufsicht global wirksam wahrgenommen werden kann.

Mit der Finanzkrise und den aus ihr abzuleitenden Lehren und Verbesserungspotenzialen befassen sich zahlreiche internationale Gremien. Ziel dieser Arbeiten ist es, das Finanzsystem robuster zu machen und die Finanzstabilität langfristig sicherzustellen. Treibende Kräfte für Reformen in der Finanzmarktarchitektur sind in erster Linie die G20 als politisches Steuerungsgremium, der IWF und das Financial Stability Board (FSB).378 Das FSB379 etwa befasst sich mit einer umfangreichen Reformagenda zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzmarkts. Wegweisend für die Reformen sind die 67 Empfehlungen der Arbeitsgruppe des Financial Stability

377

SNB, Referatsnotizen des Präsidenten des Direktoriums der SNB bei der jährlichen Sitzung mit dem Bundesrat, 11.12.2008.

378 Bundesrat, Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz, Bericht in Beantwortung des Postulats Graber (09.3209), 16.12.2009, S. 26.

379 Das FSB ging im April 2009 aus dem Financial Stability Forum hervor und wurde von der G20 mit einem erweiterten Mandat zur Förderung der Finanzstabilität versehen. Die Schweiz ist im Steering Committee des FSB durch den Präsidenten der SNB vertreten, im Standing Committee on Supervisory and Regulatory Cooperation vom Präsidenten der FINMA und im Standing Committee on Standards Implementation vom Direktor der EFV.

3213

Forums, seiner Vorgängerorganisation, vom April 2008380 sowie diejenigen verschiedener Standardsetzer, etwa des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht381 oder der International Organisation of Securities Commissions (IOSCO)382. All diesen Institutionen gehört auch die Schweiz an; die SNB und die FINMA arbeiten in verschiedenen Ausschüssen aktiv an Reformprojekten mit und berücksichtigen bei ihren nationalen Reglementierungen die von diesen Gremien gesetzten Standards und Empfehlungen.

In verschiedenen Reformbereichen haben diese Gremien inzwischen konkrete Ergebnisse erzielt. Beispielsweise wurden beim FSB Richtlinien dahingehend optimiert, dass Banken höhere Kapitalanforderungen einzuhalten haben. Durch die Verschärfung von Risikomanagement-Standards oder die Verstärkung der Aufsicht von Kreditratingfirmen wurden die Risiken insgesamt eingedämmt. Zur Begünstigung eines international einheitlicheren Einlegerschutzes sind Kernprinzipien erstellt worden. Weiter sind z. B. die FSB-Prinzipien für nachhaltige Vergütungssysteme in die Basler Richtlinien integriert worden.383 Detaillierten Einblick in die internationale Entwicklung und Agenda gewährt der Jahresbericht der FINMA.384 Dabei muss unterstrichen werden, dass diese internationalen Gremien über keine formelle Machtbefugnis verfügen, da jedes Land in Sachen Finanz- und Bankenregulierung souverän bleibt. Doch insofern, als ihre Empfehlungen die Frucht eines Konsenses und gemeinsamer Überlegungen sind, an denen sich die Behörden zahlreicher Länder beteiligt haben, spielen sie eine zentrale Rolle.

Die folgenden Kapitel geben einen Überblick über die wichtigsten in der Schweiz laufenden Arbeiten und Massnahmen, die bis zum Redaktionsschluss des Berichts (17.5.2010) ergriffen bzw. beschlossen worden sind. Sehr viele Diskussionen sind auf nationaler und internationaler Ebene noch im Gange, weshalb hier nicht erschöpfend auf diese eingegangen werden kann.385 Die Ausführungen stützen sich grösstenteils auf die Jahresberichte der FINMA und der SNB oder auf Berichte des EFD und Medienmitteilungen.

380 381

382

383 384 385

Report of the Financial Stability Forum on Enhancing Market and Institutional Resilience, 7.4.2008.

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht ist einer der vier ständigen Ausschüsse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Er setzt sich aus Vertretern von Zentralbanken und Bankaufsichtsbehörden zusammen. Die Schweiz ist durch die FINMA und die SNB im Ausschuss vertreten.

Der IOSCO gehören weltweit knapp 200 Mitglieder (vor allem Aufsichtsbehörden und Börsenorganisationen) an. Die Ziele der IOSCO sind u. a. der Anlegerschutz, die Verhinderung systemischer Risiken, die internationale Zusammenarbeit sowie die Erarbeitung einheitlicher Standards für die Marktüberwachung. Die IOSCO beschäftigte sich u. a. mit Standards bezüglich der Anerkennung von Ratingagenturen.

Bundesrat, 2009, Strategische Stossrichtungen, S. 16f.

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 26­35.

Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Berichts wurden laufend neue Massnahmen angekündigt oder umgesetzt. Z. B. verabschiedete der Bundesrat am 12.5.2010 die Botschaft zur Revision des Einlegerschutzes; ebenfalls am 12.5.2010 verabschiedete er einen Planungsbeschluss zur Ergreifung von Massnahmen, welche die Risiken für die Volkswirtschaft einschränken sollen, die von grossen, systemrelevanten Banken ausgehen (Ausgangspunkt bildete der Zwischenbericht der Expertenkommission zur «Too big to fail»Problematik, der am 22.4.2010 veröffentlicht wurde, sowie die gleichzeitige Ankündigung des Bundesrats, im Mai 2010 eine verbindliche Planung zur Revision des Bankengesetzes zwecks Lösung der «Too big to fail»-Problematik vorzulegen); der Bundesrat kündigte im Weiteren am 28.4.2010 Massnahmen gegen Lohnexzesse an.

3214

Kapitel 2.9 ist in folgende Abschnitte gegliedert: Abschnitt 2.9.2 stellt vor, welche Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise die Behörden auf strategischer Ebene gezogen haben, während Abschnitt 2.9.3 auf die Reglementierungen im Finanzsektor eingeht. Abschnitt 2.9.4 zeigt auf, welche Massnahmen die Aufsichtsbehörden ergriffen haben. Abschnitt 2.9.5 schliesslich präsentiert, wie Experten und der IWF die geplanten und umgesetzten Massnahmen der Schweizer Behörden einschätzen und welche weitergehenden Empfehlungen sie geäussert haben.

2.9.2

Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik

Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik (Beschluss des Bundesrats vom 16.12.2009) Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen auf den Schweizer Finanzplatz ist der Bundesrat im Postulat Graber (09.3209) aufgefordert worden, in einem Bericht aufzuzeigen, wie die Stärken des Finanzmarktplatzes Schweiz erhalten und die Schwächen beseitigt werden können. Am 16. Dezember 2009 verabschiedete der Bundesrat unter dem Titel «Strategische Stossrichtungen für die Finanzmarktpolitik der Schweiz» den entsprechenden Bericht. Erarbeitet hat ihn das EFD in Zusammenarbeit mit der FINMA und der SNB; diese wurden durch eine Arbeitsgruppe begleitet, in welcher auch die wichtigsten Verbände des Privatsektors vertreten waren.

In diesem Bericht hat der Bundesrat vier strategische Stossrichtungen entwickelt, wobei jene der Verbesserung der Krisenresistenz des Finanzsektors und des Umgangs mit systemrelevanten Finanzunternehmen hervorzuheben ist.386 Die damit verbundenen Massnahmen betreffen insbesondere die Arbeit der Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen sowie die Verstärkung des Einlegerschutzes (Kapitel 2.9.3.2).

Für die Umsetzung seiner Finanzmarktstrategie hat der Bundesrat eine interdepartementale Arbeitsgruppe unter der Federführung des EFD eingesetzt.

Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (realisiert, 1.3.2010)387 Am 1. März 2010 nahm das direkt dem Vorsteher des EFD unterstellte Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) seine Arbeit auf. Geplant ist ein Personalbestand von 40 Mitarbeitenden.

Das SIF ist verantwortlich für die Koordination und die strategische Führung in internationalen Finanz-, Steuer- und Währungsangelegenheiten und vertritt in diesen Bereichen ­ in Zusammenarbeit insbesondere mit dem EDA, dem EVD (Aussenwirtschaft), der SNB und der FINMA388 ­ die Interessen der Schweiz gegenüber dem Ausland. Es soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Integrität des Finanzplatzes Schweiz, den Zutritt zu ausländischen Finanzmärkten und die Stabilität des schweizerischen Finanzsektors fördern.

386

Die drei anderen Stossrichtungen sind die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors, die Sicherung und Verbesserung des Marktzutritts und die Sicherstellung der Integrität des Finanzplatzes.

387 SIF, Staatssekretariat für internationale Finanzfragen nimmt Arbeit auf, Medienmitteilung, 1.3.2010.

388 Art. 7 Abs. 1. Bst. a OV-EFD, SR 172.215.

3215

Zu den Aufgaben des Staatssekretariats gehören zudem die Erarbeitung von Grundlagen für die Finanzmarktpolitik und die Finanzmarktregulierung sowie die aktive Beteiligung an den internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Finanzkriminalität. Seine Hauptaufgabe ist zunächst die Umsetzung der neuen Finanzmarktstrategie.

2.9.3

Bankenregulierung und «Too big to fail»-Problematik

Die Finanzkrise legte die Unzulänglichkeiten der Bankenregulierung sowie die Problematik des «Too big to fail» offen ­ mit anderen Worten, die Tatsache, dass gewisse Finanzinstitute aufgrund ihrer Systemrelevanz heute schlichtweg zu gross sind, um Bankrott gehen zu können. Vor diesem Hintergrund haben internationale Institutionen und Behörden verschiedener Staaten Reformen der Bankenregulierung vorgeschlagen oder bereits umgesetzt. In diesem Kapitel soll zuerst erläutert werden, welche Schritte die schweizerischen Behörden diesbezüglich bereits unternommen haben (2.9.3.1), bevor in einem zweiten Teil laufende Projekte präsentiert werden (2.9.3.2).

2.9.3.1

Massnahmen im Bereich Regulierung

Verschärfung der Eigenmittelerfordernisse und Limite für Verschuldungsgrad Nachdem die EBK die Anforderungen für die beiden Schweizer Grossbanken an die Eigenmittelpuffer Ende August 2007 angehoben hatte (Abschnitt 2.5.1.5), verschärfte sie im Zuge des Massnahmenpakets im Dezember 2008 die Eigenmittelvorschriften für die Grossbanken erneut. Die Eigenmittel dieser Institute müssen nun die minimalen risikogewichteten Eigenmittelanforderungen in wirtschaftlich guten Zeiten um 100 Prozent übertreffen. Dazu ergänzend hat die EBK eine Limite für den Verschuldungsgrad, eine so genannte Leverage Ratio, eingeführt. Die Umsetzung dieser Bestimmungen erfolgt gestaffelt ab 2010 und soll 2013 abgeschlossen sein.389 Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten390 In den Vergütungssystemen wird vielerorts eine der Ursachen der Finanzmarktkrise gesehen; diese Problematik wird sowohl international als auch national in der Fachwelt, der Politik und der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die EBK beschäftigte sich 2008 vertieft mit den Vergütungssystemen in der Finanzbranche. Im Rahmen zweier aufsichtsrechtlicher Untersuchungen hat sie den Einfluss der Vergütungspraktiken auf das Verhalten von Bankmitarbeitenden und die damit einhergehenden Risiken analysiert. Mit dem Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems wurde die EBK zudem beauftragt, die variablen Vergütungen der UBS für das Jahr 2008 zu genehmigen. Darauf nahm die EBK die Ausarbeitung genereller Richtlinien für die Vergütungssysteme der gesamten Finanzbranche in Angriff. Die EBK und die FINMA stimmten sich beim Regulierungsprozess so weit als möglich bilateral mit anderen Aufsichtsbehörden ab. Zudem beteiligte sich die 389 390

SNB, Geschäftsbericht 2009, S. 80.

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 22f. und S. 90.

3216

FINMA an mehreren internationalen Arbeitsgruppen. Dabei sei, so die FINMA, offensichtlich geworden, dass Regeln, die sich zu weit vom internationalen Konsens entfernten, kaum durchsetzbar und auch nicht zweckmässig seien.

Im Juni 2009 veröffentlichte die FINMA ihren Entwurf für ein Rundschreiben zu Mindeststandards von Vergütungssystemen. Das anschliessende Anhörungsverfahren in der Finanzbranche hatte grosse Resonanz. Unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklungen und der Eingaben während der Anhörung verabschiedete die FINMA im Oktober 2009 schliesslich das überarbeitete Rundschreiben «Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten»391. Dieses soll dazu beitragen, dass Vergütungssysteme keine Anreize schaffen, unangemessene Risiken einzugehen. Variable Vergütungen (Boni) müssen langfristig und nachhaltig am wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet sein, wobei sämtliche Kosten für alle eingegangenen Risiken zu berücksichtigen sind. Zudem wird der Verwaltungsrat stärker in die Pflicht genommen, indem er verantwortlich für die Vergütungspolitik ist und einen Vergütungsbericht offenlegen muss. Das Rundschreiben trat auf 1. Januar 2010 in Kraft. Die FINMA gibt an, sie habe einem Grossteil der im Anhörungsverfahren geäusserten Einwände entsprechen können, ohne jedoch den Kern des Anhörungsvorschlags zu verwässern.

Die FINMA-Regulierung steht im Einklang mit den internationalen Initiativen und gilt im internationalen Vergleich als fortgeschritten (vgl. Abschnitt 2.9.5.1). Die FINMA selber will künftig die Auswirkungen ihres Rundschreibens und der entsprechenden ausländischen Initiativen verfolgen und dazu den Dialog mit den Beaufsichtigten sowie anderen Aufsichtsbehörden und -gremien fortsetzen. Die so gewonnenen Erkenntnisse will die FINMA dazu verwenden, das Rundschreiben bei Bedarf weiterzuentwickeln.392 Neue Liquiditätsvorschriften für Grossbanken (ab 30.06.2010 in Kraft)393 Die schweizerischen Liquiditätsvorschriften aus dem Jahr 1988 sind in der Bankenverordnung394 verankert. Die Erfahrungen aus der globalen Finanzkrise hatten gezeigt, dass diese Vorschriften die Krisenresistenz für grosse, global tätige Schweizer Banken nicht gewährleisten. Für die Robustheit und damit für die Stabilität des Finanzsystems ist ein modernes Liquiditätsregime zentral. Die FINMA und die SNB haben
dieses in Zusammenarbeit mit den Grossbanken seit 2009 grundlegend überarbeitet. Die entsprechenden Vereinbarungen zwischen der FINMA und den Grossbanken wurden am 20. April 2010 unterzeichnet. Die Grossbanken müssen der Aufsichtbehörde erstmals per 30. Juni 2010 und danach monatlich nachweisen, dass sie die neuen Anforderungen erfüllen.

Kern des neuen Liquiditätsregimes ist ein durch die FINMA und die SNB definiertes strenges Stressszenario (allgemeine Krise auf den Finanzmärkten und gleichzeitig Vertrauensverlust der Gläubiger in die Bank). Dieses Szenario ist laut Beteiligten

391

FINMA, Rundschreiben 2010/1, Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten, Referenz: FINMA-RS 10/1 «Vergütungssysteme», Erlass: 21.10.2009, Inkraftsetzung: 1.1.2010.

392 FINMA, Jahresbericht 2009, S. 23.

393 Ausführungen gemäss FINMA, Neues Liquiditätsregime für Schweizer Grossbanken, Medienmitteilung, 21.04.2010.

394 Verordnung vom 17. Mai 1972 über die Banken und Sparkassen (Bankenverordnung, SR 952.02).

3217

strenger als die auf internationaler Ebene diskutierten Vorgaben.395 Die Banken müssen neu in der Lage sein, die in diesem Szenario geschätzten Ausflüsse während mindestens 30 Tagen decken zu können. Die neuen Liquiditätsanforderungen sollen den Grossbanken und den Behörden die minimal notwendige Zeit einräumen, um eine Krisensituation zu entschärfen. Gemäss der FINMA berücksichtigt das neue Regime die internationalen Bestrebungen zur Liquiditätsregulierung, namentlich jene des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht.

2.9.3.2

Laufende Projekte im Bereich Regulierung

Verstärkung des Einlegerschutzes (Botschaft vom Bundesrat verabschiedet) Eine erste, bis Ende 2010 befristete Verstärkung des Einlegerschutzes erfolgte ­ als Reaktion auf die Finanzkrise ­ im Dezember 2008 durch das Parlament. Hauptmassnahmen waren die Erhöhung der Mindestdeckung von Spareinlagen von 30 000 auf 100 000 Franken, die Anhebung der Systemobergrenze von bisher vier auf sechs Milliarden Franken, die separate Privilegierung von Guthaben der 2. Säule und der Säule 3a und schliesslich die Unterlegung der privilegierten Einlagen mit 125 Prozent Aktiven in der Schweiz.396 Der Bundesrat wollte darauf das Einlagensicherungssystem grundlegend revidieren.397 Am 24. März 2010 nahm er von den diesbezüglichen Ergebnissen der Vernehmlassung für das Bankeinlagensicherungsgesetz Kenntnis. Seine Vorschläge für einen neuen öffentlich-rechtlichen Einlagensicherungsfonds und für eine Garantie durch den Bund wurden mehrheitlich abgelehnt. Das EFD sollte nun eine Botschaft zur Änderung des Bankengesetzes ausarbeiten, in der die im Dezember 2008 beschlossenen dringlichen Änderungen ins Dauerrecht überführt werden. Diese sollte auch Verbesserungen im Sanierungsrecht enthalten.398 Am 12. Mai 2010 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Revision des Einlegerschutzes im Bankengesetz.399 Too big to fail Trotz der in der Schweiz realisierten Massnahmen zur Verbesserung der Eigenmittel- und Liquiditätsregulierung der Banken (Kapitel 2.9.2.1) ist die Problematik des «Too big to fail» (TBTF) nicht entschärft. Massnahmen, die diese Problematik mindern sollen, werden derzeit in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien geprüft. Dabei handelt es sich um strukturelle, prudenzielle oder eigentliche Sanierungsmassnahmen. In Fachkreisen wird bezweifelt, dass eine einzelne Massnahme allein genügt, um die Problematik zu entschärfen, vielmehr komme es auf eine konzeptionell gut abgestimmte Regulierung mit verschiedenen Elementen an.400 Im Übrigen ist es durchaus vorstellbar, dass es schlimmere Situationen als 395 396 397 398

Vgl. NZZ, Minimum 30 Tage, 22.04.2010, S. 27.

Bundesrat, 2009, Strategische Stossrichtungen, S. 52.

Vgl. FINMA, Jahresbericht 2009, S. 92.

EFD, Einlagensicherung: Bundesrat will dringliche Änderungen ins Dauerrecht überführen, Medienmitteilung, 24.2.2010.

399 EFD, Bundesrat verabschiedet Botschaft zur Revision des Einlegerschutzes, Medienmitteilung vom 12.5.2010.

400 Birchler, Urs/Festl-Pell, Diana/Hegglin, René/Nyborg, Inke, Faktische Staatsgarantie für Grossbanken, Zwischenbericht, 12.4.2010, S. 5.

3218

diejenige der UBS im Jahre 2008 gibt und die Schweiz nicht über die nötigen Interventionsmittel verfügt, dann nämlich, wenn die Kosten für die Rettung des gefährdeten Unternehmens die finanziellen Kapazitäten des Staates übersteigen würden. Dies wäre der Fall bei einem Unternehmen, das «zu gross ist, um gerettet zu werden» (too big to be rescued).401 Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen (Einsetzung: 4.11.2009; Zwischenbericht vom 22.04.2010) Am 4. November 2009 setzte der Bundesrat eine Expertenkommission ein, die sich mit den volkswirtschaftlichen Risiken von Grossunternehmen befasste (Expertenkommission TBTF). Mit dieser Ernennung setzte der Bundesrat die überwiesene Motion 08.3649 «Verhinderung von untragbaren Risiken für die Schweizer Volkswirtschaft» um. Die Kommission setzt sich aus Vertretern der Behörden (5 Mitglieder), der Wissenschaft (2) und der Privatwirtschaft (7) zusammen und steht unter der Leitung des ehemaligen Direktors der EFV.402 Am 22. April 2010 legte die Expertenkommission einen Zwischenbericht mit ersten Ergebnissen ihrer Analyse vor.403 Für sie sind primär die Grossbanken relevante TBTF-Unternehmen in der Schweiz. Die Expertenkommission hat in ihrem Zwischenbericht eine ausführliche Liste von Massnahmen zur Reduktion der TBTF-Problematik erstellt und schlägt eine Auswahl von Kernmassnahmen in den Bereichen Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung sowie Massnahmen zur Organisation und zu den rechtlichen Strukturen vor. Letztere wären anzuordnen, wenn die systemrelevanten Banken nicht sicherstellen können, dass ihre Organisation im Insolvenzfall die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen gewährleistet. Die Kommission vertritt die Meinung, dass die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage notwendig sei, um für systemrelevante Banken in diesen vier Bereichen besondere Anforderungen anzuordnen.404 Stellungnahme des Bundesrats zum Zwischenbericht der Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen vom 28. April 2010 und Verabschiedung des Planungsbeschlusses zur Revision des Bankengesetzes vom 12. Mai 2010 Der Bundesrat nahm den Zwischenbericht der Expertenkommission am 28. April 2010 zustimmend zur Kenntnis.405 Er bejaht den Handlungsbedarf bei der TBTFProblematik. Die
Insolvenz einer systemrelevanten Bank solle einerseits mit präventiven Massnahmen verhindert werden. Andererseits seien im Fall von neuerlichen Schwierigkeiten auch Massnahmen zur Schadensbegrenzung nötig. Deshalb ist für den Bundesrat eine Gesetzgebung erforderlich.

Weiter lädt der Bundesrat die Expertenkommission ein, die Erstellung des Schlussberichts auf den 31. August 2010 vorzuziehen. Danach wolle er dem Parlament 401 402 403 404 405

Protokoll der Anhörung von Philipp Hildebrand, Präsident der SNB, durch die GPK vom 14.4.2010.

EFD, Bundesrat setzt Expertenkommission zum Thema «too big to fail» ein, Medienmitteilung, 4.11.2009.

Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen, Zwischenbericht, 22.4.2010, S. 3f.

Ebd.

Auftrag des Bundesrats für eine verbindliche Planung einer Gesetzesänderung zur «Too big to fail»-Problematik, Medienmitteilung vom 28.4.2010.

3219

umgehend gesetzgeberische Vorschläge zur Eindämmung der TBTF-Problematik unterbreiten. Ziel sei die Verabschiedung einer Botschaft noch im Jahr 2010. Damit könnten die Entscheidungen zum Gesamtpaket auf Basis eines umfassenden Überblicks über dessen Auswirkungen und unter Berücksichtigung der weiteren internationalen Entwicklungen getroffen werden.

Am 12. Mai 2010 hat der Bundesrat einen Planungsbeschluss zur Revision des Bankengesetzes verabschiedet. Der Bundesrat will die Risiken der Banken, die zu gross sind, um in Konkurs zu gehen, minimieren, und zwar durch eine Verschärfung der Anforderungen bezüglich der Eigenmittel, der Liquiditäten und der Risikoverteilung. Zusätzlich sollen organisatorische Massnahmen ergriffen werden, um eine Aufrechterhaltung der Systemfunktionen im Krisenfall sicherzustellen.406 Massnahmen des Bundesrats gegen Lohnexzesse bei Banken und Versicherungen (Ankündigung 28.4.2010)407 Am 28. April 2010 hat der Bundesrat das EFD im Bereich der Vergütungspraxis mit der Ausarbeitung von drei Massnahmen beauftragt. Diese zielen vorab auf die Vergütungspraxis von Finanzunternehmen: Salärsysteme von Finanzunternehmen, die Staatshilfe beanspruchen müssen, sollen künftig einschränkend reguliert werden.

Zudem sollen variable Lohnausschüttungen, die vom Unternehmensgewinn abhängig sind, in Zukunft als Gewinnverteilung besteuert werden. Schliesslich sollen Mitarbeiteroptionen künftig nicht mehr bei der Zuteilung, sondern bei der Ausübung der Option besteuert werden. Der Bundesrat gibt an, er wolle mit diesen Massnahmen ein Signal gegen die Vergütungsexzesse in der Finanzbranche setzen. Die Massnahmen würden die Vertragsfreiheit nicht tangieren. Wettbewerbsfähige Entschädigungen würden auch in der Finanzbranche weiterhin möglich bleiben.408 Das EFD soll in Zusammenarbeit mit den beteiligten Departementen für die Massnahmen bezüglich Salärsysteme und variable Lohnausschüttungen dem Bundesrat bis Herbst 2010 eine Vernehmlassungsvorlage vorlegen. In Bezug auf die Massnahme der Mitarbeiteroptionen ist das EFD beauftragt worden, den zuständigen parlamentarischen Kommissionen im Mai 2010 die bundesrätlichen Vorschläge zu unterbreiten.

406

Bundesrat, Verbindliche Planung zur Lösung des «Too big to fail»-Problems, Medienmitteilung vom 12.5.2010.

407 Bundeskanzlei, Der Bundesrat kündigt Massnahmen gegen Lohnexzesse bei Banken und Versicherungen an, Medienmitteilung vom 28.4.2010.

408 Der Bundesrat führt zudem an, mit dem am 5.12.2008 auf aktienrechtlicher Ebene präsentierten indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass generell Handlungsbedarf bestehe, um unangemessene Vergütungssysteme in Zukunft zu verhindern und Salärstrukturen zu fördern, die sich positiv auf die langfristigen Unternehmensperspektiven auswirken würden. Vgl.

Bundeskanzlei, Massnahmen gegen Lohnexzesse bei Banken und Versicherungen, Medienmitteilung vom 28.4.2010.

3220

2.9.4

Organisation der Finanzmarktaufsicht

2.9.4.1

Massnahmen im Bereich Finanzmarktaufsicht

Analysen der Finanzmarktaufsicht Um Lehren für die Aufsichtsbehörden zu ziehen, hat die FINMA eine umfassende Analyse der Finanzkrise und des Verhaltens der EBK durchgeführt und im Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14. September 2009 aufgezeigt, welche Massnahmen sie inzwischen eingeleitet hat und welche Lehren sie hinsichtlich der Eigenmittelanforderungen, der Standards für Liquiditätsrisiken, des Bilanzwachstums, der Analyse der Risikopositionen und der Durchschlagskraft der Bankenkommission zieht. Zudem sollte der Bericht als Grundlage für die Beantwortung zweier parlamentarischer Vorstösse (Postulat 08.4039 von Eugen David und Motion WAK-N 09.3010) dienen. In diesen Vorstössen wurde der Bundesrat beauftragt, dem Parlament einen Bericht über die Mängel in der Finanzmarktaufsicht zu unterbreiten.409 Am 10. November 2009 hat das EFD im Zusammenhang mit diesen Vorstössen zwei Expertengutachten in Auftrag gegeben. Diese sollten die Mängel in der Finanzmarktaufsicht untersuchen und verschiedene Massnahmen prüfen. Mit den Untersuchungen hat das EFD zwei unabhängige Experten beauftragt (Geiger und Green). Die Ende Dezember410 bzw. im Januar 2010411 abgeschlossenen Gutachten enthalten zahlreiche Empfehlungen (Abschnitt 2.9.5).

Revision Memorandum of Understanding zwischen FINMA und SNB (realisiert, Unterzeichnung am 23.2.2010) Die FINMA und die SNB haben das im Mai 2007 abgeschlossene MoU im Bereich Finanzstabilität revidiert. Hintergrund waren die Erkenntnisse aus der intensivierten Zusammenarbeit zwischen ihnen während und nach der Finanzkrise. Das revidierte Memorandum soll Grundlage für eine Verstärkung der Kooperation sein.

Gemäss der FINMA beschreibt das MoU die gemeinsamen Interessengebiete der beiden Institutionen im Bereich der Finanzstabilität und regelt die Zusammenarbeit unter Wahrung der jeweiligen unterschiedlichen gesetzlichen Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen. Die Revision bringt drei Neuerungen: 1.

Schaffung eines Leitungsausschusses, der die Kooperation zwischen den beiden Institutionen auf strategischer Ebene sicherstellen wird. Der Leitungsausschuss soll mindestens zweimal jährlich tagen und die Prioritäten in den gemeinsamen Interessensgebieten setzen.

2.

Bei den gemeinsamen Interessensgebieten sieht das MoU vor, dass eine Institution der jeweils anderen Anträge stellen kann, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Kompetenzen Massnahmen zu ergreifen oder Auskünfte zu erteilen.

409

FINMA, FINMA legt Bericht zur Finanzmarktkrise vor, Medienmitteilung vom 14.09.2009.

410 Geiger Hans, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise zuhanden der EFV, 31.12.2009. (Bericht öffentlich) 411 Green David, The Conduct of Financial Supervision during the Financial Crisis. Expert advice for the Federal Finance Administration, January 2010. (Bericht öffentlich)

3221

3.

Für gewisse Arbeiten, die eine Arbeitsteilung erfordern, sieht das MoU eine gemeinsame Leitung durch die FINMA und die SNB vor.

Neuorganisation FINMA (realisiert) Gut sechs Monate nach ihrem operativen Start am 1. Januar 2009 hat sich die FINMA neu organisiert. Die in der FINMA zusammengeführten Vorgängerbehörden (EBK, Bundesamt für Privatversicherungen [BPV], Eidgenössische Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei) waren zu Beginn bewusst mit nur wenigen strukturellen Änderungen übernommen worden. Die Neuorganisation sollte zu einer Straffung der Organisation und zur Stärkung der Geschäftsleitung führen. Zudem wurden Querschnittsfunktionen wie etwa das Risikomanagement oder das Enforcement geschaffen. Damit sollte eine Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen erreicht werden, die in den Vorgängerbehörden nicht ausreichend sichergestellt war.412 Die Neuorganisation der Überwachung hatte einen dreidimensionalen Ansatz413: Zwei kleine Teams wurden mit einer «vertikalen» Beaufsichtigung über jede der beiden Grossbanken in ihrer Gesamtheit betraut. Zwei weitere Teams beaufsichtigten «horizontal», d. h. sie konzentrierten sich jeweils auf die Bereiche Investment Banking bzw. Wealth Management/Asset Management beider Grossbanken. Ein Teil der Abteilung Grossbanken schliesslich übernahm eine «transversale» Funktion im Bereich Risikomanagement. Dieses Team überwachte die internen Modelle zur Berechnung der Eigenmittelanforderungen sowie die Handhabung der Liquiditätsrisiken. Ausserdem nahm diese Gruppe in Absprache mit der SNB eine neue Art von Krisensimulationen vor und analysierte die potenziellen Verluste der beiden Grossbanken.414 Jede der drei Dimensionen stellte einen «Problemfilter» dar, der sicherstellen sollte, dass ein Problem in einer Bank mindestens in einer der drei Aufsichtsdimensionen erkannt wurde.

2.9.4.2

Laufende Projekte im Bereich Finanzmarktaufsicht

Strategische Ziele der FINMA (in Umsetzung, Zeithorizont drei Jahre) Am 30. September 2009 legte die FINMA ihre vom Bundesrat genehmigten strategischen Ziele für die Jahre 2010­2012 vor. Mit den sieben Zielen415 sei der gesetzliche Auftrag der FINMA konkretisiert worden. Ihnen zugeordnete Themenbereiche bilden gemäss der FINMA die Basis von konkreten Initiativen und Projekten, die innerhalb der nächsten drei Jahre umgesetzt werden sollen. Den strategischen Zielen gemeinsam sei das Bestreben, den Kundenschutz zu verbessern. Der Schutz von Gläubigern, Anlegern und Versicherten sei die zentrale Aufgabe der FINMA und 412 413

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 10.

Schriftliche Antworten des Leiters der Abteilung Grossbanken der EBK auf die Fragen der GPK vom 30.10.2009, S. 3.

414 FINMA, «Krisensimulationen: Information der FINMA», Medienmitteilung vom 2.10.2009.

415 Die sieben Ziele: Reduktion der systemischen Risiken und Komplexitäten, Verbesserung des Kundenschutzes, Straffung und Optimierung der Regulierung, Steigerung von Effektivität und Effizienz in der Aufsicht, Umsetzung einer griffigen Marktaufsicht und eines wirkungsvollen Enforcements, Positionierung für internationale Stabilität und enge Vernetzung der Märkte, Stärkung der FINMA als Behörde. Die Ziele finden sich unter www.finma.ch.

3222

bilde die Grundlage ihrer Aufsichtstätigkeit. Hervorzuheben sind folgende drei Bereiche:416 ­

Reduktion der systemischen Risiken: In Zusammenarbeit mit der SNB strebt die FINMA die Reduktion systemischer Risiken an. Die Krisenresistenz des schweizerischen Finanzsystems und systemrelevanter Institute soll ohne Rückgriff auf staatliche Beihilfen erhöht werden. In Abstimmung mit internationalen Vorgaben sei zu prüfen, wie systemrelevante Institute zu strukturieren sind, so dass auch unter schwierigen Marktbedingungen eine Aufteilung und Teilverkäufe möglich wären.

­

Steigerung der Effektivität und Effizienz in der Aufsicht: Ein wichtiges Element bei diesem Ziel bildet gemäss der FINMA die konsequente Verfolgung eines risikobasierten Ansatzes in allen Aufsichtsbereichen. Sie will die bisherigen Aufsichtsansätze und Instrumente überprüfen und im Sinne der risikoorientierten Aufsicht ergänzen. Die Erarbeitung neuer Kennzahlen und verbesserter Erhebungsmechanismen sowie der gezielte Einsatz von Prüfgesellschaften und Untersuchungsbeauftragten sollen sicherstellen, dass die FINMA eine flexible und schlanke Behörde bleibt.

­

Stärkung der FINMA als Behörde: Die FINMA soll durch klare Führungsund Betriebsstrukturen, zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit und eine wirksame Durchsetzung des Aufsichtsrechts (Enforcement) geprägt sein. Zudem soll die FINMA als Behörde gestärkt werden. Als Kernpunkt der Umsetzung dieses Ziels wird u. a ein gezielter und punktueller Ausbau der personellen Ressourcen genannt (insbesondere Personen mit Praxis in leitenden Funktionen des Finanz- und Risikomanagements). Ohne Ausweitung der Aufsichtsaufgaben soll der Personalbestand der FINMA mittelfristig 400 Mitarbeitende nicht übersteigen.

Internationale Zusammenarbeit der FINMA mit ausländischen Aufsichtsbehörden In ihrem Jahresbericht erwähnt die FINMA verschiedene Aktivitäten im Bereich der internationalen Zusammenarbeit; diese spielen sich zwischen den Aufsichtsbehörden, aber auch auf operativer Stufe ab. Insbesondere führte sie 2009 ein Ländermonitoring durch, um über die wesentlichen Entwicklungen der Finanzmärkte und Aufsichtssysteme der Partnerländer informiert zu sein. Daraus will sie für sich mögliche künftige Handlungsoptionen sowie Ziele ableiten.417 Gemäss der FINMA sehen sich die Finanzmarktaufsichtsbehörden weltweit durch internationale Gremien wie das FSB aufgefordert, die Überwachung international tätiger Gruppen und Konglomerate grenzüberschreitend besser zu koordinieren und noch enger zusammenzuarbeiten. Das FSB sieht für rund 30 grosse und komplexe Finanzinstitutionen Supervisory Colleges vor, die darauf abzielen, die Gruppenaufsicht mit den beteiligten Ländern abzustimmen und den Informationsaustausch zwischen den Behörden zu erleichtern. Aufgrund von positiven Erfahrungen im

416 417

FINMA, Strategische Ziele der FINMA, S. 4ff.

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 35.

3223

Versicherungsbereich418 und zur Umsetzung ihrer Policy will die FINMA neu auch auf dem Gebiet der Bankenaufsicht solche Colleges organisieren, d. h. auf die beiden Grossbanken gerichtete, jährliche Treffen all jener ausländischen Aufsichtsbehörden, die für die jeweilige Bankengruppe oder die FINMA von besonderer Bedeutung sind. Die umfassenden Colleges sollen die bisherige grenzüberschreitende Zusammenarbeit ergänzen, die in der Bankenaufsicht vorwiegend auf bilateralen Treffen sowie bei den beiden Schweizer Grossbanken auf regelmässigen trilateralen Zusammenkünften mit den wichtigsten Aufsichtsbehörden der USA und Grossbritanniens beruht.419 Enforcement-Policy der FINMA (in Umsetzung) Mit einer Enforcement-Policy konkretisierte die FINMA am 17. Dezember 2009 das strategische Ziel «Umsetzung einer griffigen Marktaufsicht und eines wirkungsvollen Enforcements».420 Unter Enforcement versteht die FINMA die forcierte Ermittlung des Sachverhalts bei Verdacht auf Missstände oder Missbrauch sowie die zwangsweise Durchsetzung der Finanzmarktaufsichtsgesetze. Wenn ein Verstoss vorliegt, ordnet die FINMA die zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands notwendigen Massnahmen an (falls erforderlich in einer anfechtbaren Verfügung) oder sanktioniert den festgestellten Missstand. Die Policy ist in 13 Grundsätze gegliedert, in denen zentrale Elemente des Finanzmarktenforcements umschrieben sind.421 Überarbeitung der Rundschreiben der FINMA zum Einsatz von Prüfgesellschaften (Überarbeitung und Harmonisierung 2010 in Arbeit) Sowohl das duale als auch das direkte Aufsichtssystem sehen den Einsatz von Prüfgesellschaften vor. Gemäss ihrem Jahresbericht analysierte die FINMA in einem Projekt den Einsatz der Prüfgesellschaften, um daraus einen allfälligen Handlungsbedarf abzuleiten. Ziel dieses Projekts sei ein noch stärkerer situations- und risikogerechter Einsatz von Prüfgesellschaften im dualistischen Aufsichtssystem. Dabei gelte es, das duale Aufsichtssystem ­ wo sinnvoll ­ gezielt zu durchbrechen. Wichtige Grundlage für das Prüfwesen bilden die noch von den Vorgängerbehörden der FINMA erlassenen Rundschreiben. 2010 sollen diese überarbeitet und harmonisiert werden.422

418

419 420

421 422

Seit 2008 führt die FINMA bei international tätigen schweizerischen Versicherungskonzernen (globale) Supervisory Colleges durch. Ziel der Supervisory Colleges sei es, Informationen über die Gruppe und ihre jeweiligen Einheiten auszutauschen und unter den beteiligten Aufsichtsbehörden ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dank der Zusammenarbeit liessen sich die Kenntnisse über die Versicherungskonzerne in strategischer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht verbessern. FINMA, Jahresbericht 2009, S. 38.

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 38.

FINMA, Enforcement-Policy der FINMA, 17.12.2009. Vgl. auch Basel Committee on Banking Supervision, Good Practice Principles on Supervisory Colleges Consultative document, March 2010.

FINMA, Jahresbericht 2009, S. 19.

FINMA, Jahresbericht 2009. S. 73.

3224

2.9.5

Expertenbeurteilung der Lehren, welche die schweizerischen Behörden aus der Krise gezogen haben

2.9.5.1

Im Bereich Regulierung

Bankenregulierung Nach Meinung der Experten Tille und Wyplosz, die für die GPK ein Gutachten verfassten, steht die Schweiz im Hinblick auf den Reformprozess, der nach der Finanzkrise eingeleitet wurde, verhältnismässig gut da. Die SNB und die FINMA, in Zusammenarbeit mit dem EFD, schlugen ab Herbst 2008 neue Regulierungsnormen vor. Die wichtigsten Massnahmen ­ eine Erhöhung der Eigenmittel und eine Begrenzung der Leverage-Effekte und der Vergütungssysteme, so dass riskantes Vorgehen nicht systematisch gefördert wird ­ tauchen in praktisch identischer Form in den Basler Vorschlägen auf. Dies zeugt laut Tille und Wyplosz von einer im Vergleich zu anderen Aufsichtsbehörden überlegenen Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit, welche die Schweizer Banken dazu zwang, sich früh den zukünftigen internationalen Normen anzupassen.

Im gleichen Sinn kommt auch Geiger423 zum Schluss, dass die FINMA auf dem Feld der Eigenmittelregulierung und der Vergütungsmodelle Änderungen eingeführt hat, die weltweit Vorbildcharakter haben sollten.

Anfangs 2010 hat das FSB bei seinen Mitgliedern die Einhaltung seiner Grundsätze zur Ausgestaltung von Vergütungssystemen evaluiert und festgestellt, dass in der Schweiz die Einführung dieser Grundsätze im internationalen Vergleich weit fortgeschritten und entsprechende Regelungen in Kraft seien.424 Der IWF empfiehlt in seinem Länderexamen der Schweiz 2009, die 2008 revidierten Einlagensicherungsbestimmungen zu optimieren, damit unabhängig von der Grösse der Bank eine fristgerechte Auszahlung und ein ausreichender Schutz der Einleger im Falle eines Konkurses sichergestellt werden können.425 Ende März 2010 stellt der IWF fest, er unterstütze die bisherigen Massnahmen und die Absichten der SNB und der FINMA (bezüglich Eigenkapital und Verschuldungsgrenzen der Grossbanken sowie Vergütungssystemen und des geplanten Erlasses von Liquiditätsvorschriften).426 Aufgrund der Grösse des Finanzplatzes sollten die Anforderungen an die Kapitalunterlegung und Liquidität nach Ansicht des IWF indessen weiterhin über internationale Standards hinausgehen.427 Too big to fail Der IWF betonte im Jahr 2009, die bisherigen Massnahmen der Schweizer Behörden hätten wohl zu einer Stabilisierung des Finanzsystems beigetragen, wegen dem in der Krise zutage getretenen TBTF-Problem müssten aber Aufsicht und Regulierung 423 424

Geiger, 2009, S. 11f.

FSB, Thematic Review on Compensation, Peer Review Report, 30.3.2010, und EFD, Evaluationsbericht des Financial Stability Board über Vergütungssysteme: Schweiz weit fortgeschritten, Medienmitteilung vom 7.4.2010.

425 IMF, Switzerland ­ 2009 Article IV Consultation, Conclusions of the Mission, 9.3.2009, Pkt. 16.

426 IMF, Switzerland ­ 2010 Article IV Consultation Conclusions of the Mission, 23.3.2010, Pkt. 15.

427 EFD, IWF-Länderexamen: Die Schweiz hat die Krise gut gemeistert, Medienmitteilung vom 23.03.2010.

3225

weiter verstärkt werden. Die Kapital- und Liquiditätsstandards müssten über international vereinbarte Anforderungen hinaus im Sinne des Behördenentscheids von 2008 substanziell erhöht werden.428 Ende März 2010 erwähnte der IWF in seinen Schlussfolgerungen zum Länderexamen die laufenden Arbeiten der vom Bundesrat ernannten Expertenkommission TBTF und betonte, nach der zu erwartenden Verabschiedung der neuen Basler Standards sollten sich die Behörden vergewissern, dass ausreichende Massnahmen auferlegt würden, um die TBTF-Problematik anzugehen.

Auch sollten Veränderungen in der Organisation und der gesetzlichen Struktur der Grossbanken in Betracht gezogen werden. Fortschritte in diesen Bereichen würden der Schweizer Wirtschaft dienen und die Reputation des Finanzplatzes fördern.429 Geiger hält fest, die TBTF-Problematik könne nicht durch eine bessere Aufsicht, sondern primär durch eine bessere Regulierung entschärft werden. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf.430 Nach Ansicht der OECD431 ist die schweizerische Finanzmarktregulierung in den letzten zehn Jahren zwar beträchtlich verbessert worden, doch sind weitere Massnahmen notwendig, um die systemischen Risiken besser unter Kontrolle zu bringen.

Die regulatorischen Normen müssen für die beiden schweizerischen Grossbanken rigoroser sein als der für ihre Konkurrenten in anderen Ländern geltende Durchschnitt. Laut OECD muss angesichts der besonderen Risiken, die mit dem Konkurs einer Grossbank im schweizerischen Kontext einhergehen, sichergestellt werden, dass die Eigenmittel- und die Leverage-Quote der beiden Grossbanken in der Nähe der höchsten effektiven Quoten liegen, die internationale Grossbanken aufweisen.

2.9.5.2

Im Bereich Finanzmarktaufsicht

Informationsaustausch und Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörden Der IWF sowie die Experten Geiger, Green, Tille und Wyplosz haben alle festgestellt, dass auf Ebene der internationalen Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs Verbesserungsbedarf besteht. Gemäss Geiger hat die internationale Kooperation mit ausländischen Behörden in der Krise versagt.432 Green empfiehlt, den Informationsaustausch mit ausländischen Aufsichtsbehörden zu verstärken und zusätzlich zu den wichtigen bilateralen, trilateralen und College-Meetings für komplexe Firmen (wie Grossbanken) eine direkte und längerfristig ausgerichtete Zusammenarbeit einzuführen.433 Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen Behörden Zur Zusammenarbeit der schweizerischen Behörden wurden nach der Finanzkrise mehrere Empfehlungen geäussert. Angesprochen sind in erster Linie die SNB und die FINMA. Gemäss ihrem Mandat trägt die SNB zur Stabilität des Finanzsystems bei, während die FINMA die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte sichern soll.

Mikro- und Makrobeaufsichtigung überlappen sich gemäss der Einschätzung des 428 429 430 431 432 433

IMF, 2009, Conclusions of the Mission, Pkt. 4.

IMF, 2010, Conclusions of the Mission, Pkt. 16.

Geiger, 2009, S. 26f.

OECD, Etudes économiques de l'OCDE, Schweiz, Volume 2009/20, S. 98.

Geiger, 2009, S. 12f.

Green, 2010, S. 5 und 6.

3226

IWF wegen dem Gewicht der beiden Grossbanken. Die Verantwortlichkeiten zwischen der SNB und der Aufsichtsbehörde müssten darum weiter geklärt werden.

Auch Geiger konstatiert bei dieser Zusammenarbeit Regelungsbedarf; die Forderung nach einer «makroprudenziellen Aufsicht» werfe neuartige Fragen auf. Als Lehre aus der Finanzkrise schlägt Geiger vor, dass die SNB zu ermächtigen sei, einen Antrag für entsprechende Massnahmen bei der FINMA zu stellen, wenn sie Bedenken bezüglich der Finanzstabilität habe.434 Green empfiehlt, die tägliche Zusammenarbeit zwischen der FINMA und der SNB zu intensivieren435 und regt weiter an zu überprüfen, ob die Beziehungen zwischen dem EFD und der FINMA/SNB stärker zu formalisieren seien, wie das auch in anderen Ländern der Fall sei.436 Das revidierte MoU zwischen der SNB und der FINMA bezeichnet der IWF als einen Schritt in die richtige Richtung. Er sieht weiter die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass das gesetzliche Gerüst die jeweiligen Mandate unterstützt (einschliesslich Informationsbeschaffung und Handlungsmöglichkeiten).437 Green empfiehlt, für den Austausch von Informationen mit ausländischen Aufsichtsbehörden ähnliche Vereinbarungen zu treffen, wie sie mit dem MoU zwischen der FINMA und der SNB bestehen. Diese könnten auch zwischen dem EFD und ausländischen Ministerien, die bei einem Krisenmanagement einbezogen sind, abgeschlossen werden. Damit würde klar bestimmt, wer von wem kontaktiert und mit welchen Informationen bedient wird.438 Laut Tille und Wyplosz ist die Frage der Zusammenarbeit zwischen der Bankenaufsicht und der Zentralbank heikel. In Krisenzeiten müssen beide Behörden Zugang zu sämtlichen Informationen haben und auch auf das gleiche Ziel hinarbeiten. Nach Ansicht der Experten gibt es keine Ideallösung. Wird die Verantwortung der Zentralbank übertragen, wie in Deutschland und Spanien, ist zwar eine reibungslose Koordination gewährleistet, aber der Nachteil ist, dass ein potenzieller Interessenkonflikt geschaffen wird: Falls die Bank als Aufseherin scheitert, muss sie als Kreditgeberin in letzter Instanz ihren Fehler «korrigieren» und setzt gleichzeitig ihre geldpolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Die Schweiz verfügt im Weiteren mit der FINMA über eine einzige, unabhängige Aufsichtsbehörde und weist damit das gleiche Modell auf wie Grossbritannien. Während
der Finanzkrise hat die Koordination zwischen den schweizerischen Behörden von aussen gesehen gut funktioniert, im Gegensatz zur Lage in Grossbritannien.

Laut OECD muss die makrozentrierte Aufsicht einen höheren Stellenwert erhalten und sich auf alle wichtigen Komponenten des Finanzsystems ausbreiten. Die jeweiligen Aufgaben der SNB und der FINMA im Bereich der makrozentrierten Aufsicht müssen genauer bestimmt und offizialisiert werden. In Einklang mit ihrem legalen Mandat bezüglich der Stabilität des Finanzsektors sollte die SNB nach Ansicht der OECD die Führung übernehmen und mit der FINMA, die weiterhin für die Bekanntmachung und Verbreitung zuständig wäre, makrozentrierte Aufsichtsnormen ausarbeiten und öffentlich Stellung nehmen. Die FINMA müsste dazu ermäch-

434 435 436 437 438

Geiger, 2009, S. 24, ebenso Green, 2010, S. 10.

Green, 2010, S. 10.

Ebd., S. 8.

IMF, 2010, Conclusions of the Mission, Pkt. 18.

Green, 2010, S. 5.

3227

tigt sein, im Falle von schweren Verstössen gegen ihre Regeln administrative Sanktionen zu verhängen.439 Schaffung der FINMA Die FINMA nahm am 1. Januar 2009 vor dem Hintergrund der Krise ihre Arbeit auf.

Doch ihre Schaffung ist nicht eine Antwort auf die Krise ­ mit der Planung und Ausarbeitung der neuen Behörde wurde lange vor der Krise begonnen.

Zahlreiche Lehren und Empfehlungen zu den Aufsichtsbehörden wurden von der FINMA selber, aber auch vom IWF und weiteren Experten formuliert. Der IWF hielt 2009 fest, die Etablierung der neuen integrierten Finanzaufsicht sei eine gute Gelegenheit, die Finanzaufsicht weiter zu verstärken. Die FINMA solle einen starken Aufsichtsstil entwickeln und etwa die Zusammenarbeit mit der SNB und ausländischen Regulatoren verstärken. Der IWF regte die Weiterentwicklung des dualen Ansatzes an, mit einer vergrösserten Vor-Ort-Prüfung durch FINMA-Personal und einer hohen Aufmerksamkeit gegenüber den potenziellen Schwächen in den an Auditoren delegierten Arbeiten.440 Geiger stellte fest, der «gemischte, duale» Aufsichtsprozess (Aufsicht durch bankengesetzliche Prüfgesellschaften, die ihrerseits von der FINMA beaufsichtigt werden, und eine ergänzende Aufsicht durch die Abteilung Grossbankenaufsicht) habe sich in der Finanzkrise nicht bewährt. Der ganze Fragenkomplex rund um die drei Kontrollinstanzen «interne Revision der Bank», «bankengesetzliche Prüfgesellschaften» und «Direktprüfung durch die FINMA» müsse deshalb von Grund auf überprüft werden.441 2010 begrüsste der IWF die inzwischen verstärkte Aufsicht der FINMA, hielt aber fest, die Effektivität könnte weiter erhöht werden. Die eigenen Aufsichtskompetenzen sollten erhöht werden, um aktiver Vor-Ort-Prüfungen vorzunehmen. Auch solle die Unabhängigkeit der externen Auditoren besser sichergestellt werden, indem diese z. B. direkt von ihr (FINMA) entschädigt würden.442 Nach Ansicht der OECD sollte die Ausstattung der FINMA mit Personal und anderen Ressourcen weiterhin regelmässig und kurzfristig revidiert werden, um sicherzustellen, dass diese den Zuständigkeiten der FINMA entsprechen.443 Green bezeichnete die bestehenden personellen Ressourcen der FINMA gegenüber dem komplexen zu beaufsichtigenden Finanzsystem als bescheiden; eine Aufsichtskraft pro 10 000 Firmenangestellten erscheine im Falle der Grossbanken nicht
als übertrieben. Ein Ausbau sei bei einem steigenden Arbeitsanfall in Betracht zu ziehen.444 Er empfahl zudem, analog Artikel 5 Absatz 2 des SNB-Gesetzes auch der FINMA das Ziel zu setzen, zur Finanzmarktstabilität beizutragen.445 Für Geiger waren die organisatorische Stellung und die Unabhängigkeit der FINMA gegenüber dem Bundesrat und faktisch auch gegenüber der Bundesverwaltung geschwächt, z. B. weil der Verwaltungsrat die strategischen Ziele dem Bundesrat zur Genehmigung unterbreiten muss, was bezüglich der Strategie der laufenden Aufsicht nicht sinnvoll sei, oder weil das EFD Einflussmöglichkeiten auf die Personalpolitik 439 440 441 442 443 444 445

OECD, Etudes économiques de l'OCDE, Schweiz, Volume 2009/20, S. 98.

IMF, 2009, Conclusions of the Mission, Pkt. 17.

Geiger, 2009, S. 12, S. 21f.

IMF, 2010, Conclusions of the Mission, Pkt. 17.

OECD, Etudes économiques de l'OCDE, Schweiz, Volume 2009/20, S. 98.

Green, 2010, S. 23.

Ebd., S. 24.

3228

hat. Diese Einschränkungen seien zu beseitigen.446 Bezüglich des gesetzlichen Aufsichtsinstrumentariums empfahl Geiger die Einführung eines Instrumentariums für abgestufte Massnahmen im Rahmen eines Eskalationsprozesses vom «Normalzustand» bis zur «Insolvenzgefahr» für alle Banken. Weiter regte er einen proaktiven Aufsichtsansatz zur Verbesserung der Effektivität an. Schliesslich solle die FINMA schneller und entschiedener Auflagen machen und bei Nichterfüllung Sanktionen ergreifen.447 Generell müsse die Autorität der Aufsicht als Repräsentantin der Staatsgewalt ­ ähnlich der Polizei ­ gestärkt werden.448 Zudem empfahl Geiger die Reorganisation der Führungsstruktur der FINMA nach dem Vorbild der SNB, weil die Aufgaben der FINMA einen Komplexitätsgrad erreicht hätten, bei dem ein nebenamtliches Gremium wie der Verwaltungsrat der FINMA materiell überfordert sei.449

2.10

Beurteilungen und Empfehlungen

Im vorliegenden Kapitel nehmen die GPK zuerst eine Beurteilung der Vorbereitungen der schweizerischen Behörden vor Ausbruch der Krise vor (2.10.1) und unterziehen die Krisenerkennungskapazitäten und die Aufsichtspraxis der SNB und der FINMA einer kritischen Analyse (2.10.2). In Abschnitt 2.10.3 werden die Koordination und die von den schweizerischen Behörden während der Krise ergriffenen Massnahmen beurteilt. Die Lehren, die aus der Krise gezogen wurden, sind Thema von Abschnitt 2.10.4. In den Abschnitten 2.10.5 und 2.10.6 folgen die Beurteilung der GPK bezüglich der Informationsgrundlagen des Bundesrats bzw. der Steuerung durch den Bundesrat während der Krise.

2.10.1

Vorbereitungen der Behörden in Bezug auf die Krisenorganisation

Ende der 90er Jahre begannen die SNB, die EBK und die EFV, Überlegungen zu den Koordinations- und Steuerungsstrukturen im Falle einer Finanzkrise und ­ in jüngerer Zeit ­ zu den Interventionsmöglichkeiten beim Ausfall einer schweizerischen Grossbank anzustellen. Als die Krise ausbrach und sich die Frage einer staatlichen Unterstützung der UBS stellte, verfügten die schweizerischen Behörden daher bereits über eine strukturierte Krisenorganisation und konnten auf ausgereifte Vorüberlegungen zu Krisenszenarien einer Grossbank und auf eine gewisse Erfahrung in der Zusammenarbeit zurückgreifen. Allerdings sah keines der Szenarien eine Krise des gesamten Finanzsystems vor, und die Krisenorganisation wies keine operativen Einsatzpläne auf. Auch ein Grundsatzentscheid in Bezug auf ein eventuelles finanzielles Engagement des Bundes zur Rettung einer Grossbank war nicht getroffen worden.

Im gleichen Zeitraum nahmen die SNB und die EBK Anpassungen ihrer Organisationsstrukturen vor, um den neuen Herausforderungen, welche die zunehmende 446 447 448 449

Geiger, 2009, S. 14f.

Ebd., S. 23.

Ebd., S. 25.

Ebd., S. 15f.; ausführlich zu dieser Problematik und zur Stärkung der Unabhängigkeit der FINMA auch Green, 2010, S. 12ff.

3229

Konzentration im Schweizer Bankensektor und die wachsende Komplexität der Tätigkeiten der Grossbanken mit sich brachten, gewachsen zu sein. Sie bauten zu diesem Zweck auch ihre internationalen Kontakte aus und erwarben sich eine geachtete Stellung in vielen internationalen Institutionen.

Die Arbeiten zum neuen Finanzmarktaufsichtsgesetz zeugen ebenfalls vom Willen der Behörden, sich an die Entwicklungen des schweizerischen Finanzsektors anzupassen.

All dies zeigt, dass die Behörden sich der wachsenden Risiken bewusst waren, die mit der Grösse der beiden schweizerischen Grossbanken, der Komplexität ihrer Tätigkeiten und der Bedeutung des Finanzplatzes für die Schweizer Wirtschaft verbunden waren.

Die GPK stellen fest, dass die schweizerischen Behörden die Risiken erkannten und vorbereitende Massnahmen ergriffen. Sie zweifeln nicht daran, dass die geschaffenen Strukturen einen günstigen Rahmen für die Zusammenarbeit und die Ausarbeitung des Massnahmenpakets zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems bildeten, auch wenn noch keine operativen Einsatzpläne entwickelt worden waren.

In der Krisenorganisation ist festgelegt, dass das EFD die Führung übernimmt, wenn ein Eingreifen des Bundes wahrscheinlich wird. Hingegen sieht die Krisenorganisation nichts über die spezifische Rolle des Bundesrats und die Art und Weise seiner Involvierung in das Krisenmanagement vor. Soweit die GPK feststellen konnten, hat der Bundesrat zu keinem Zeitpunkt Überlegungen zu seiner Rolle bzw. zur Notwendigkeit oder Angemessenheit seiner Involvierung im Vorfeld eines Entscheids über allfällige Massnahmen angestellt. Nach Ansicht der GPK ist ein Einbezug des Bundesrats in die Krisenorganisation aber unabdingbar. Eine Finanz- und Wirtschaftskrise kann gravierende Folgen für die Gesellschaft, die Bürger und die Sicherheit des Landes haben. Für die GPK ist es deshalb unbegreiflich, warum der Bundesrat im Krisendispositiv nicht erscheint und sich seine Rolle nur gerade auf die des «letzten Entscheidungsträgers» von Massnahmen beschränkte, an deren Ausarbeitung er nicht beteiligt war.

Empfehlung 1 Die GPK laden den Bundesrat ein, seine Rolle und seinen Einbezug in die Krisenorganisation zu definieren. Zu diesem Zweck legt der Bundesrat fest, ab wann und wie er informiert und aktiv in das Krisenmanagement und die Krisenüberwachung einbezogen werden muss.

2.10.2

Schritte und Zuständigkeiten der Behörden in Bezug auf die Früherkennung und die Aufsichtspraxis

Lange vor Ausbruch der Krise äusserten die SNB und die EBK u. a. in ihren Geschäftsberichten ihre Besorgnis angesichts der wachsenden Bilanzen der Grossbanken, des Risikomanagements oder der Problematik der ungenügenden Eigenmittelversorgung. Andere Akteure, darunter nicht zuletzt die Bank für Internationalen

3230

Zahlungsausgleich (BIZ), warnten noch ausdrücklicher vor den Gefahren des US-Hypothekenmarkts, den sie als «Zeitbombe» betrachteten.

Trotz dieser stichhaltigen Indizien kommen die GPK in Anbetracht der Ereignisse zum Schluss, dass die schweizerischen Behörden in ihrer Früherkennung der Krise gescheitert sind ­ wie im Übrigen die Mehrheit der staatlichen Behörden weltweit.

Die Problematik des «Too big to fail» kam zu jenem Zeitpunkt nicht wirklich zur Sprache oder löste zumindest keine Debatte aus. Das mag mit den damals historisch hohen Reingewinnen der beiden Grossbanken zu tun haben, die kaum dazu Anlass gaben, ihre finanzielle Stabilität oder die Qualität ihrer strategischen Ausrichtung in Zweifel zu ziehen.

Die GPK sind weiter der Meinung, dass die Behörden sich zu rasch mit ihren ersten Befunden zufrieden gaben. Die Unfähigkeit, eine Krise solchen Ausmasses frühzeitig zu erkennen, wirft insbesondere Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Zielsetzungen und der Instrumente der Finanzmarktaufsicht auf. Die EBK hat zwar in ihren Geschäftsberichten sowie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit verschiedentlich auf die Bedeutung eines effizienten Risikomanagements hingewiesen, jedoch ihre theoretischen Erkenntnisse bei der konkreten Wahrnehmung ihrer Aufsicht, insbesondere über die UBS, nicht umgesetzt. So unterliess sie es insbesondere, entsprechende vertiefte Abklärungen vorzunehmen oder gar Auflagen bezüglich rechtlicher Risiken oder Reputationsrisiken vorzusehen, obwohl die Risikostruktur der UBS zahlreiche Fragen hätte aufwerfen müssen.

Diese Mängel zeigen nach Ansicht der GPK, dass beträchtliche Verbesserungen erforderlich sind, denn die Schweiz ist auf diesem Gebiet besonders anfällig und von der Stabilität ihrer beiden Grossbanken abhängig. Die überdurchschnittliche Grösse des schweizerischen Bankensektors ­ auch im Vergleich zu anderen Staaten ­ sowie die aussergewöhnliche Konzentration im Finanzbereich zwingen die Schweiz, in Sachen Krisenbewältigung und Finanzaufsicht nicht einfach nur «durchschnittlich», sondern Spitzenreiterin zu sein ­ sowohl in der Früherkennung einer Krise wie auch bei Reformen auf internationaler Ebene und bei der Umsetzung von best practices in der Bankenaufsicht.

Die Hauptprobleme bezüglich der Fähigkeit der schweizerischen Behörden, Finanzmarktkrisen
rechtzeitig zu erkennen, stehen nach Auffassung der GPK im Zusammenhang mit: 1. der Abhängigkeit der EBK/FINMA von Informationen, die sie von Drittstellen erhält (Banken, Zentralbanken, Auditbüros, Ratingagenturen), 2. dem mangelnden Follow-up ihrer eigenen Kritiken oder Beobachtungen, insbesondere der EBK/FINMA, 3. dem Mangel an kritischem Geist bei sämtlichen betroffenen Behörden.

1.

Die Untersuchung der Grossbankenaufsicht der EBK während der Finanzkrise hat eine sehr starke Abhängigkeit von Informationen von Drittstellen, insbesondere der Grossbanken selbst, aufgezeigt. Damit hatte die EBK praktisch die gleiche Sicht der Situation wie die betroffene Bank. Diese Abhängigkeit ist nach Ansicht der GPK besorgniserregend. Sie zeigt sich auch am althergebrachten Vertrauen der SNB und der EBK wie auch der Banken selbst in die Bewertungen der internationalen Ratingagenturen. Diese hatten Positionen, die sich in der Folge zumindest als riskant erwiesen (die so genannten troubled assets), die Bestnote (triple A) erteilt. Die Richtigkeit dieser Bewertungen wurde nie in Frage gestellt, weder in der Schweiz noch im Ausland.

3231

Nach Ansicht der GPK muss deshalb geprüft werden, wie die FINMA mit besseren Möglichkeiten für unabhängige und schlüssige Untersuchungen der Grossbanken und anderer wichtiger Institute ausgestattet werden kann, so dass sie in der Lage ist, Informationen, die ihr unzureichend scheinen, selbst zu überprüfen, und verborgene Mängel zu erkennen.

2.

Die GPK bedauern, dass die von der SNB und der EBK erkannten Krisenanzeichen (siehe Kapitel 2.3.1 und 2.3.2) nicht ernsthafter verfolgt wurden und die kritischen Hinweise der EBK gegenüber den Auditbüros und der UBS nicht früher zu konkreten Massnahmen geführt haben.

3.

Die GPK verstehen zwar, dass die FINMA sich auch auf externe Informationen stützen können muss, doch erwarten sie von der Aufsichtsbehörde nichtsdestotrotz, dass sie im Umgang mit diesen Informationen einen kritischeren Geist an den Tag legt und deren Stichhaltigkeit rechtzeitig überprüft.

Die GPK betrachten dies als zentrale Aufgabe einer Aufsichtsbehörde. Nach Ansicht der GPK muss eine Aufsicht in der Lage sein, ihre verschiedenen Informationen, ob sie nun von den Banken, der SNB oder von internationalen Gremien stammen, kritisch zu vergleichen. Auch die Informationen der verschiedenen beaufsichtigten Banken müssen miteinander verglichen werden, was in der Früherkennungsphase der Krise nicht genügend getan wurde.

In Anbetracht dieser Feststellungen kommen die GPK zum Schluss, dass erstens eine Klärung und präzisere Definition der Ziele nötig sind, um klare und realistische Forderungen im Hinblick auf die Rollen und die Verantwortlichkeiten der Behörden formulieren zu können. Zweitens muss eine Analyse der Organisation, der Mittel und der Instrumente vorgenommen werden, damit die Behörden den Grossbanken und anderen zu beaufsichtigenden Instituten gleichwertig gegenüberstehen und den Herausforderungen, die diese stellen, begegnen können.

Die GPK sind mit der Schlussfolgerung des Bundesrats in seinem Bericht vom 12. Mai 2010 nicht einverstanden, wonach es in diesem Bereich keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt.450 Empfehlung 2 Die GPK laden den Bundesrat ein, in Absprache mit der FINMA und mit der SNB Gesetzesänderungen zu prüfen und vorzuschlagen, die den genannten Behörden im Bereich der Aufsicht über den Finanzmarkt bzw. der Überwachung der Stabilität des Finanzsystems sachgerechte und präzise Ziele setzen und die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Kompetenzen übertragen.

In Anbetracht der Erfahrungen und gewisser Praktiken, die sich im Ausland bewährt haben (z. B. der Einsatz von Mitarbeitern der Aufsichtsbehörde direkt bei den Banken selbst), sind die GPK überzeugt, dass sich die schweizerischen Aufsichtsmethoden weiterentwickeln müssen. Insbesondere muss die FINMA ihre im September 2009 festgelegten strategischen Ziele rasch in die Tat umsetzen.

450

EFD, Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise für die Finanzmarktaufsicht, Medienmitteilung vom 12.5.2010.

Bundesrat, Das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzmarktkrise ­ Bericht in Beantwortung des Postulats David (08.4039) und der Motion WAK-N (09.3010).

3232

Empfehlung 3 Die GPK laden den Bundesrat ein, die von der FINMA ergriffenen Massnahmen zur Verbesserung ihrer Aufsichtsinstrumente und Praktiken zu evaluieren und darüber bis Mitte 2012 Bericht zu erstatten.

Die SNB und die FINMA müssen nach Meinung der GPK ihre Informationsquellen stärker diversifizieren. Es besteht die Gefahr, dass kritische Stimmen nicht genügend gewichtet werden, obwohl gerade sie wesentliche Quellen für Denkanstösse und Signale zur Früherkennung darstellen. Nach Ansicht der GPK müssen die SNB und die FINMA eine solche Abschottung (groupthink) verhindern und Kontakte, Strukturen und Informationskanäle aufbauen, um diese Lücke zu füllen. Die SNB und die FINMA müssen in Zukunft über etablierte und institutionalisierte Beziehungen zu unabhängigen Experten verfügen.

Empfehlung 4 Die GPK laden den Bundesrat ein, in Absprache mit der FINMA und der SNB die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um die mit Abschottung (groupthink) verbundenen Risiken zu minimieren.

Nach Auffassung der GPK verlangt die Früherkennung von den Behörden eine optimale Koordination beim Informationsaustausch. Die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems hängt stark von der Qualität der Bankenaufsicht ab. Die Bankenaufsicht ihrerseits hängt stark von der Qualität der Analysen zur schweizerischen und internationalen Finanzstabilität ab. Eine intensive, regelmässige und enge Zusammenarbeit zwischen der SNB und der FINMA ist somit eine unerlässliche Voraussetzung zur Sicherung der Stabilität des Finanzsystems und einer effizienten Bankenaufsicht.

Die GPK haben die Revision des MoU zwischen der FINMA und der SNB, die auf eine bessere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Finanzstabilität abzielt, mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Ihres Erachtens sollte auch ­ in spätestens einem Jahr ­ der Beitrag des neuen Staatssekretariats für internationale Finanzfragen in diesem Bereich überprüft werden, wobei die Unhabhängigkeit der SNB und der FINMA zu respektieren ist.

Empfehlung 5 Die GPK laden den Bundesrat ein, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um Rolle und Kompetenzen der verschiedenen Behörden zu klären und Transparenz und Optimierung des Entscheidungsprozesses sicherzustellen. Die SNB und die FINMA müssen bei der Ausarbeitung von Vorschlägen und Massnahmen eine zentrale Rolle spielen. Ziel dieser Verbesserungen ist eine optimale Zusammenarbeit zwischen der SNB, der FINMA und dem EFD.

3233

Die GPK stellen fest, dass innerhalb der EBK der Informationsaustausch zwischen Mitarbeitenden, die für die Aufsicht der UBS zuständig waren, und solchen, die sich um die Credit Suisse kümmerten, klar unzureichend war.

Empfehlung 6 Die GPK laden den Bundesrat ein, innert einem Jahr sicher zu stellen, dass die Arbeitsprozesse und die neue Organisation der FINMA ihrer Aufgabe angemessen sind, eine gute Kommunikation zwischen ihren Abteilungen gewährleistet ist und dass der für die Aufsichtsaktivitäten unerlässliche Informationsaustausch erfolgt.

2.10.3

Koordination und Schritte der Behörden während der Krise

Gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag intervenierte die SNB auf verschiedenen Ebenen, um ihre Aufgaben bezüglich der Finanzstabilität zu erfüllen. Schon ab August 2007 stellte sie beträchtliche Liquiditätsmengen zur Verfügung, um ein Versiegen der Interbankenmärkte zu verhindern. In der Folge reagierte sie mit diversen Massnahmen ­ wie z. B. die Anpassung ihrer Geldpolitik durch die rasche Reduzierung der Zinssätze Ende 2008 ­ auf die Gefahren der Finanzkrise. Schliesslich intervenierte sie massiv zugunsten der UBS durch die Übernahme von illiquiden Aktiven und trug so signifikant zur Wiederherstellung des Vertrauens in diese Bank bei. Von Beginn an waren das Krisenmanagement, die Massnahmen und die Koordination der SNB mit anderen Zentralbanken nach Ansicht der GPK effizient und von hoher Qualität.

Die EBK ergriff ab Ausbruch der Krise diverse Massnahmen, wie z. B. ein verstärktes Monitoring der Grossbanken, eine rasche Erhöhung der Eigenmittelanforderungen, eine Anpassung ihrer Aufsichtsmethoden und verschiedene spezielle Anforderungen für Grossbanken in Schwierigkeiten. Zusätzlich nahm die EBK eine Umstrukturierung ihrer Abteilung für Grossbankenaufsicht vor und hielt die UBS und die Credit Suisse unter enger Beaufsichtigung. Die EBK analysierte eine beträchtliche Menge von Informationen und intervenierte bei den Grossbanken z. B.

in den Bereichen Risikomanagement, Eigenmittelversorgung, Verkauf illiquider Aktiven oder Führungspersonal. Die Vorbereitung des Massnahmenpakets bildete den Höhepunkt der Krise und forderte von der EBK ein bedeutendes Engagement, nicht nur im Hinblick auf ihre Beteiligung an der Ausarbeitung von staatlichen Handlungsoptionen, sondern auch und insbesondere in der regelmässigen Bereitstellung von Informationen zur Gesamtlage der UBS. Nicht zuletzt auf dieser Grundlage konnte die SNB den Transfer illiquider Aktiven in den Stabilisierungsfonds vornehmen.

Das EFD verfolgte die Lage aufmerksam mit und beteiligte sich im Frühling 2008 intensiv an der Ausarbeitung der Interventionsoptionen. Als im September 2008 ein staatlicher Eingriff immer wahrscheinlicher und dann unvermeidlich wurde, entwickelten der Bundespräsident, die stellvertretende Vorsteherin des EFD und die Vorsteherin des EVD gemeinsam mit der EFV, der SNB und der EBK das Massnahmenpaket, um es anschliessend in Bezug auf die Beteiligung des Bundes dem 3234

Bundesrat zum Beschluss vorzulegen. Das Krisenmanagement auf Ebene des EFD und des Bundesrats wird in Abschnitt 2.10.6 beurteilt.

Die GPK stimmen mit der Ansicht internationaler Organisationen ­ wie des IWF und der OECD ­ und der vom Bundesrat bzw. von den GPK beauftragten Experten überein, dass die Massnahmen der schweizerischen Behörden angesichts ihrer positiven Wirkung auf die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität des Landes als angemessen betrachtet werden können.

Nach Auffassung der GPK wurden diese Massnahmen zum richtigen Zeitpunkt ergriffen und waren effizient, der Situation angemessen und für den Bund finanziell tragbar.451 Die GPK verweisen auch auf die aktive Beteiligung und den ausgezeichneten Ruf der schweizerischen Behörden in den internationalen Gremien vor, während und nach der Krise.

2.10.4

Aus der Krise zu ziehende Lehren der Behörden

Die zahlreichen parlamentarischen Interventionen auf nationaler Ebene sowie die nicht weniger zahlreichen Diskussionen auf internationaler Ebene zeugen vom Willen und von der Notwendigkeit, aus der Krise die nötigen Lehren zu ziehen.

Die GPK betonen, dass sich ­ zwei Jahre, nachdem die Verschärfung der Finanzkrise die schweizerischen Behörden dazu veranlasste, Handlungsoptionen für den Fall eines Konkurses der UBS auszuarbeiten (März 2008) ­ das Zeitfenster zur Einführung von angemessenen Reformen schliesst. Die Probleme der Vergütungspolitik und der Boni der Grossbanken, der Bankenaufsicht, der Finanzstabilität sowie der Banken, die zu gross sind, um in Konkurs gehen zu können (too big to fail) sind erkannt worden, doch jetzt gilt es, die Massnahmen rasch zu konkretisieren und umzusetzen. Diese Arbeit darf nach Ansicht der GPK auf keinen Fall aufgeschoben werden.

Empfehlung 7 Die GPK laden den Bundesrat ein, die Empfehlungen der von ihm beauftragten Experten Geiger und Green452 umfassend zu vertiefen und bis Ende 2010 über deren weitere Behandlung durch den Bundesrat zu berichten.

451

Für den Bund hat sich das Engagement dank einem Gewinn von 1,2 Milliarden Franken gelohnt. Der von der SNB (gleichzeitig mit dem Massnahmenpaket) geschaffene Stabilisierungsfonds zwischen der UBS und der Nationalbank sah die Übernahme von Finanzinstrumenten von maximal 60 Mia. US-Dollar vor. Im Februar 2009 beschlossen die UBS und die SNB gemeinsam eine Reduktion des Volumens, so dass schliesslich Vermögenswerte und Verpflichtungen im Umfang von 38,7 Mia. Dollar übertragen wurden. Im Jahr 2009 konnten mehrere der übernommenen Positionen veräussert werden. Das Verkaufsergebnis sowie die Einnahmen aus Zins- und Kapitalrückzahlungen erlaubten die Amortisierung eines Teils des SNB-Darlehens, das sich am Ende des ersten Quartals 2010 noch auf 17,7 Mia. Dollar belief (SNB, Geschäftsbericht 2009, S. 164; SNB, Zwischenbericht per 31.3.2010, Medienmitteilung vom 14.5.2010, S. 2).

452 Geiger Hans, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise zuhanden der EFV, 31.12.2009. (Bericht öffentlich) Green David, The Conduct of Financial Supervision during the Financial Crisis. Expert advice for the Federal Finance Administration, Januar 2010. (Bericht öffentlich)

3235

2.10.5

Informationsgrundlagen des Bundesrats

Zwischen Dezember 2007 und April 2008 wurde der Bundesrat nicht über die vom EFD, der SNB und der EBK vorgenommenen Krisenvorbereitungen informiert, obwohl jene Monate für die Intervention des EFD die wichtigsten waren. In diesem Zeitraum verbuchte die UBS massive Verluste (am Ende des drittenund vor allem des viertenQuartals 2007), die Krisenorganisation war aktiviert worden, und nachdem die SNB und die FINMA Alarm geschlagen hatten, beteiligte sich das EFD sehr aktiv an der Ausarbeitung von Interventionsoptionen.

Daraus ziehen die GPK folgende zwei Schlüsse: ­

der Vorsteher des EFD wurde von der EFV, der SNB und der EBK gut unterrichtet, doch hat er seinerseits den Bundesrat nicht hinreichend informiert, wobei er dies mit der Furcht vor Indiskretionen (Börsenrelevanz) begründet hat. Der Vorsteher des EFD leitete dieses Dossier allein und wollte den Bundesrat nicht einbeziehen;

­

die Mitglieder des Bundesrats haben sich mit dieser Sachlage zufrieden gegeben und sich nicht genügend informiert. Sie haben damit ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.

Angesichts der Brisanz der Informationen und der schwerwiegenden Folgen, die deren Bekanntmachung gehabt hätte, ist die äusserst restriktive Kommunikationspolitik des Vorstehers des EFD noch einigermassen nachvollziehbar. Was aber die GPK schockiert, ist, dass der Bundesrat offenbar nicht in einem Klima des Vertrauens und der Vertraulichkeit arbeiten kann (der Beschluss des Bundesrates, seine Beratungen zur Finanzkrise nicht in den Bundesratsprotokollen festzuhalten, zeigt dies deutlich auf). In den Augen der GPK dürfen die Stabilität und die Sicherheit des Landes nicht dadurch gefährdet werden, dass die sieben Mitglieder der Regierung unseres Landes nicht in der Lage sind, eine vertrauliche Information innerhalb des Kollegiums zu behalten.

Die GPK erachten es als wichtig, dass der Bundesrat die nötigen Massnahmen ergreift, um die Vertraulichkeit und die Nachvollziehbarkeit seiner Sitzungen sicherzustellen.453

2.10.6

Steuerung der Finanzkrise

Bis Januar 2008, als die SNB und die FINMA den Vorsteher des EFD alarmierten, respektierte dieser deren Zuständigkeiten und betrachtete es als deren Aufgabe, die nötigen Schritte einzuleiten. Dann ging die Leitung der Krisenbewältigung bis im September 2008 ­ als eine staatliche Hilfe an die UBS unvermeidlich wurde ­ an den Vorsteher des EFD über. In diesem Zeitraum waren der Bundesrat und sein Wirtschaftsausschuss nicht am Krisenmanagement beteiligt. Sie wurden über die Situation wenig oder gar nicht informiert, obwohl die Lage ab Januar 2008 als ernst galt.

Aufgrund der volkswirtschaftlichen Folgen, die der Zusammenbruch einer Grossbank haben könnte, wurde die Vorsteherin des EVD im April 2008 zu den Interven453

Vgl. Kapitel 3.6.5.1.1 (Motion 2).

3236

tionsoptionen konsultiert, welche vom EFD, der SNB und der EBK ausgearbeitet worden waren. Gemäss der Vorsteherin des EVD wurde auch der Bundespräsident orientiert. Nach Auffassung der GPK hätten die Mitglieder des Bundesrats, die über diese Information verfügten, den Gesamtbundesrat darüber in Kenntnis setzen sollen.

Zwischen April 2008 und September 2008, also während fünf Monaten, kümmerte sich der Bundesrat nicht um die Finanzkrise. Der Vorsteher des EFD bevorzugte zu diesem Zeitpunkt eine Lösung ohne Direktintervention des Bundes, was es seines Erachtens rechtfertigte, den Bundesrat nur beschränkt oder überhaupt nicht zu informieren.

Die GPK schliessen daraus, dass der Bundesrat bis September 2008 an der Steuerung des Krisenmanagements in keiner Weise beteiligt war.

Ab dem 21. September 2008 war der Bundesrat stärker involviert, weil die Situation der UBS und die Abwesenheit des EFD-Vorstehers es erforderlich machten. Der Bundespräsident leitete ab diesem Zeitpunkt die Intervention des Bundes, insbesondere unterstützt von der Vorsteherin des EJPD, die damit ihre Aufgabe als Vertreterin des Vorstehers des EFD voll und ganz wahrnahm.

Die GPK halten fest, dass die Strategie des Bundespräsidenten, den Wirtschaftsausschuss zu mobilisieren, um einen positiven Beschluss des Bundesrats zum Massnahmenpaket sicherzustellen, zwar funktioniert hat. Ein Ausschuss des Bundesrats ist aber dazu da, ein Dossier für die Behandlung durch den Bundesrat vorzubereiten, und darf in einem so schwerwiegenden Fall wie der Finanzkrise nicht dazu dienen, den Entscheidungsprozess des Bundesrats auszuschalten. Damit würde der Bundesrat nach Ansicht der GPK seiner Verantwortung enthoben.

Die Mitglieder des Bundesrats, die nicht dem Wirtschaftsausschuss angehören, kritisierten dieses Vorgehen ­ eine Kritik, der sich die GPK anschliessen. Die drei betroffenen Mitglieder des Bundesrats mussten nur einen Tag, nachdem sie über den Vorschlag informiert worden waren (bei dem es um ein Engagement des Bundes in der Höhe von sechs Milliarden Franken und ein de facto Engagement der SNB in der Höhe von 60 Milliarden Dollar ging), eine Entscheidung treffen.

In gleicher Weise musste auch die Finanzdelegation der Finanzkommissionen nur wenige Stunden, nachdem sie darüber informiert worden war, und einen Tag nach ihrer Einberufung
ihre Zustimmung zum Beschluss des Bundesrats geben. Die GPK sind der Auffassung, dass die Finanzdelegation über einen angemessenen Zeitraum verfügen sollte, um sich mit einem solchen Dossier vertraut zu machen.

Angesichts der Tatsache, dass die Führungskräfte der Credit Suisse am 12. Oktober 2008 über das Massnahmenpaket zumindest teilweise informiert wurden, ist es besonders schockierend, dass drei Bundesräte erst am Vortag sowie die FinDel erst am Tag des Beschlusses, also drei Tage nach der Credit Suisse, unterrichtet wurden.

Die GPK können ein solches Vorgehen weder verstehen noch akzeptieren.

Vor diesem Hintergrund gelangen die GPK zu folgenden Feststellungen: ­

Der Bundesrat hat das Krisenmanagement nicht gesteuert;

­

der Bundesrat wurde erst aktiv, als er Entscheidungen zum Massnahmenpaket treffen musste, also am 2. und 15. Oktober 2008;

­

der Bundesrat hat sich keine Gedanken zu Handlungsoptionen für den Fall einer Krisenverschärfung gemacht; 3237

­

die Steuerung des Bundesrats funktionierte schlecht, und dies trotz der wiederholten Empfehlungen der GPK bei früheren Inspektionen in diesem Bereich;454

­

dem Bundesrat scheint es im Krisenfall an den elementarsten Mitteln der Teamarbeit zu mangeln.

Empfehlung 8 Die GPK laden den Bundesrat ein, ein System zur strategischen politischen Steuerung einzuführen, basierend auf den Empfehlungen früherer Untersuchungen der GPK in Sachen Steuerung (Die strategische politische Steuerung des Bundesrats, Fall Tinner, Umstände der Ernennung von Roland Nef zum Chef der Armee, usw.).

Empfehlung 9 Die GPK laden den Bundesrat ein, auf seiner Ebene ein wirksames Überwachungs- und Frühwarnsystem für Krisen einzurichten.

3

Untersuchung II: Verhalten der Behörden im Zusammenhang mit der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA

3.1

Einführung

3.1.1

Ausgangslage

Die amerikanischen Behörden forderten ab Februar 2008 mit stets zunehmender Dringlichkeit die umgehende Herausgabe von Daten amerikanischer Kunden der UBS, die mutmasslich gegenüber dem amerikanischen Fiskus Steuervergehen begangen hatten. Ansonsten drohte das amerikanische Justizdepartement, Strafklage gegen die UBS in den USA zu erheben. Um eine Anklage der USA gegen die UBS und deren Folgen für die UBS und die Stabilität des Schweizer Finanzsystems

454

Verwaltungsreform (vgl. Jahresbericht 2008 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 23.1.2009, BBl 2009 2575).

Fall Tinner: Rechtmässigkeit der Beschlüsse des Bundesrats und Zweckmässigkeit seiner Führung. Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 19.1.2009 (BBl 2009 5007).

Umstände der Ernennung von Roland Nef zum Chef der Armee. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 28.11.2008 (BBl 2009 3425).

Überprüfung der Funktion der Strafverfolgungsbehörden des Bundes. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 5.9.2007 (BBl 2008 1979).

Die strategische politische Steuerung des Bundesrates. Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle, überwiesen und veröffentlicht von den Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 16./26.2.2010 (BBl 2010 3079).

3238

abzuwenden, ordnete die FINMA am 18. Februar 2009 die sofortige Übergabe einer begrenzten Zahl von Kundendaten an die US-Behörden an. Davon ausgehend, dass eine solche Anklageerhebung die Existenz der UBS bedroht hätte und daraus gravierende Auswirkungen auf das schweizerische Finanzsystem resultiert hätten, erachtete die FINMA diese Massnahme zu diesem Zeitpunkt als unumgänglich.

Zuvor hatte der Bundesrat die EBK darum ersucht, die aus ihrer Sicht notwendigen Schritte zur Rettung der UBS zu unternehmen.

Obwohl dadurch eine Anklageerhebung gegen die UBS in den USA vermieden werden konnte, waren noch nicht alle Forderungen der USA gegenüber der UBS erfüllt worden, und der Druck auf die UBS und damit auch auf die Schweiz blieb bestehen. Er führte in der Folge zur Revision des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) Schweiz ­ USA und zum Abschluss des Amtshilfevertrags in Sachen UBS im Sommer 2009.

Mit der Anordnung der FINMA vom 18. Februar 2009, gewisse Kundendaten der UBS den US-Behörden auszuhändigen, wurde faktisch in ein laufendes Amtshilfeverfahren der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingegriffen, das auf Gesuch des Internal Revenue Service (IRS) im Juli 2008 eingeleitet worden war.

Laufende Rechtsverfahren wurden dadurch über Nacht gegenstandslos.

3.1.2

Untersuchungsgegenstand

Vor diesem Hintergrund beschlossen die GPK ­ gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag, die parlamentarische Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundesrats, der Bundesverwaltung, der eidgenössischen Gerichte und anderer Träger von Bundesaufgaben sicher zu stellen455 ­, das Behördenverhalten rund um die Ereignisse, welche im Februar 2009 zur erwähnten Datenübergabe an die USA führten, vertieft zu untersuchen.

Die GPK beauftragten ihre Arbeitsgruppe mit der Beantwortung der Frage, wie die schweizerischen Behörden (Bundesrat und Bundesverwaltung; EBK/FINMA) mit den Informationsbegehren der amerikanischen Behörden (DOJ, IRS, SEC) von Ende 2007 / Anfang 2008 betreffend UBS-Bankkundendaten umgingen. Bei der Erfüllung dieses Auftrags war zu beachten, dass nebst den amerikanischen und schweizerischen Behörden die UBS ein zentraler Akteur war.

Im Zentrum der Untersuchung standen somit die von den verschiedenen schweizerischen Behörden wahrgenommenen Rollen, deren Zusammenarbeit und die Koordination ihrer Arbeiten. Ein besonderes Augenmerk wurde auch bei diesem Untersuchungsteil auf die Rolle und Verantwortlichkeit des Bundesrats gelegt.

3.1.3

Untersuchungszeitraum und Berichtsstruktur

Nach einer kurzen Erläuterung des historischen Hintergrunds beginnt der Untersuchungszeitraum im Januar 2001 mit dem Inkrafttreten des neuen Steuerrückbehaltsabkommens, dem Qualified Intermediary Agreement (QIA), das das Verhältnis zwischen der amerikanischen Steuerbehörde, d. h. dem IRS, und den 455

Vgl. Art. 169 BV und Art. 26 und 52 ParlG.

3239

ausländischen Banken regelt, und endet mit einer Reihe von Ereignissen im Jahr 2009, die auf die Übergabe von UBS-Kundendaten an die amerikanischen Behörden am 18. Februar 2009 folgten.

Das grenzüberschreitende Geschäft der UBS in den USA war durch mehrere unerwartete Ereignisse gekennzeichnet. Der vorliegende Bericht ist dementsprechend in drei Hauptteile gegliedert. Die beiden ersten Teile liefern eine deskriptive und chronologische Darstellung der Entwicklung des Falls und erläutern die Rolle der betroffenen schweizerischen Behörden in dieser Entwicklung. Der dritte Teil bewertet die Fakten und zieht Schlussfolgerungen in Bezug auf das Verhalten der schweizerischen Behörden im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA.

Der erste Teil beginnt mit dem Inkrafttreten des QIA in den USA am 1. Januar 2001 und endet am 7. März 2008, dem Tag, an dem die betroffenen schweizerischen Behörden zu einer Sitzung zusammenkamen, um sich mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA zu befassen. Der zweite Teil reicht vom Treffen der schweizerischen Behörden am 7. März 2008 bis zur Übergabe der UBSKundendaten an die US-Behörden am 18. Februar 2009. Der dritte Teil schliesslich evaluiert im Einzelnen das Verhalten der betroffenen schweizerischen Behörden in dieser Angelegenheit und präsentiert gestützt darauf die Schlussfolgerungen der GPK mit Blick in die Zukunft.

3.2

Ursachen und Entwicklung der UBS-Cross-border-Affäre (2001 bis 7. März 2008)

3.2.1

Die Phase von 2001 bis Herbst 2007

3.2.1.1

Das Doppelbesteuerungsabkommen von 1996 (DBA)

Grenzüberschreitende Bankgeschäfte erzeugen Einkommen in der Form von Kapitalerträgen, d. h. entweder Dividenden oder Zinsen. Diese Einkommen werden von den Steuerbehörden besteuert. Grenzüberschreitende Geschäfte können auch die Folge einer Hinterlassenschaft oder Geschäftsnachfolge sein, deren Erträge in einem Staat abgewickelt und in einem anderen Staat ausbezahlt werden. Die Frage ist, wo in einem solchen Fall die Einkommen versteuert werden sollen: in dem Staat, in dem die Bank ihren Sitz hat, oder in dem Staat, in dem der Kunde niedergelassen ist.

Würden die grenzüberschreitenden Geschäfte des Kunden doppelt besteuert ­ einmal im Staat, in dem die Bank ihren Sitz hat, und einmal im Staat, in dem der Kunde niedergelassen ist ­, wären diese Geschäfte unattraktiv und würden als zu kostspielig betrachtet. Aus diesem Grund haben die Schweiz und die USA im Jahr 1951 ein Abkommen unterzeichnet, das Doppelbesteuerung verhindern soll. Das Abkommen trägt den offiziellen Namen «Abkommen vom 9. Juli 1951 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Bereich der Nachlass- und Erbanfallsteuern», doch in der Regel wird die einfachere Bezeichnung «Doppelbesteuerungsabkommen» verwendet. Das DBA bestimmt, wie der steuerliche Wohnsitz festgelegt wird, so dass die Person oder das Unternehmen nicht doppelt besteuert wird.

Ab 1980 kamen die Schweiz und die USA erneut zu Gesprächen zusammen, um ein neues DBA auszuhandeln. Die USA sind für die schweizerischen Exporte der dritt3240

wichtigste und für die Importe der viertwichtigste Partner. Deshalb waren Steuerfragen im Rahmen einer Revision des DBA ein für die Schweizer Wirtschaft zentraler Aspekt. Aus dieser Optik wurden die Verhandlungen bis 1996 geführt. Die USA versuchten die schweizerischen Behörden damals dazu zu bewegen, einer Amtshilfe zuzustimmen, welche die Übergabe von Kundendaten bei sämtlichen Steuerproblemen vorgesehen hätte. Die schweizerischen Behörden lehnten diesen Vorschlag jedoch ab. Es gelang ihnen, die Amtshilfe auf Fälle von «Betrug und ähnliche Vergehen»456 zu beschränken, wie bereits im DBA von 1951. Dafür machten sie Konzessionen in Bezug auf gewisse Besonderheiten des amerikanischen Steuerrechts, auf die aufgrund ihrer geringen Bedeutung hier nicht näher eingegangen wird. Das neue DBA zwischen der Schweiz und den USA457 wurde am 2. Oktober 1996 unterzeichnet und trat am 19. Dezember 1997 in Kraft.

Im amerikanischen Steuersystem wird auf Zinsen und Dividenden amerikanischer Wertpapiere eine Quellensteuer von 30 Prozent erhoben, selbst wenn der Besitzer der Wertpapiere nicht in den USA niedergelassen ist und nicht die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt (Non-Resident Alien, NRA, nicht wohnhafter Ausländer).

Das Finanzinstitut oder die Bank, die für den Rückbehalt der Steuer verantwortlich zeichnet, wird U.S. Withholding Agent458 genannt. Falls ein Investor in einem Land wohnt, das mit den USA ein DBA unterzeichnet hat, hat er Anrecht auf eine Steuerentlastung. In den meisten Fällen wird die Quellensteuer auf 15 Prozent für Dividenden und 0 Prozent für Zinsen reduziert. Ausser in aussergewöhnlichen Fällen wird auf den Verkaufsertrag amerikanischer Wertpapiere von nicht wohnhaften Ausländern keine Quellensteuer erhoben. Gegen Ende der 90er Jahre begann dieser steuerliche Rahmen jedoch Änderungen zu erfahren, die zum besseren Verständnis der UBS-Affäre im Folgenden kurz erläutert werden sollen.

3.2.1.2

Qualified Intermediary Agreement von 2001 (QIA)

Gegen Ende des Jahres 1997 erliess der IRS (die amerikanische Steuerbehörde) neue Regeln, die auf eine strengere Besteuerung von nicht in den USA wohnhaften Ausländern und auf entsprechende Meldepflichten abzielten. Laut den neuen, verschärften Besteuerungsregeln sollten sämtliche Dividenden und Zinsen amerikanischer Herkunft ab dem 1. Januar 2001 einer Steuer unterworfen werden. Hauptbeweggrund für diese Änderung war das Bestreben der USA, dem weit verbreiteten Missbrauch der durch die DBA ermöglichten Steuerreduzierung für Dividenden einen Riegel zu schieben. Damals galt für die im Rahmen von DBA gewährte Steuerentlastung ­ laut der DBA-Definition für den ständigen Wohnsitz ­ die Methode der Adresse. Nach dieser Methode wurde die Rechtmässigkeit einer Reduktion der amerikanischen Quellensteuer einzig aufgrund der im Standardformular angegebenen Adresse des Empfängers der Zahlung bestimmt, die durchaus auch die Adresse der Bank sein konnte, wo ein Kunde seine Konto-/Depotbeziehung unterhielt. Eine Adresse in einem Land, das ein DBA mit den USA unterzeichnet hatte, genügte, um in den Genuss einer Steuerreduktion zu kommen. So benutzten zahlreiche in den 456 457 458

Tax fraud or the like.

SR 0.672.933.61 U.S. Withholding Agent: amerikanische oder ausländische Person, die alle Einkommen einer der Steuerpflicht unterworfenen ausländischen Person kontrolliert, empfängt, verwaltet, darüber verfügt oder Zahlungen tätigt. www.irs.gov.

3241

USA wohnhafte Personen Adressen in diesen Ländern, um Anspruch auf eine Steuerentlastung zu erheben, die ihnen nach dem Geist des Gesetzes nicht zukam.

Dieser weit verbreitete Missbrauch veranlasste den IRS, strengere Regeln zu erlassen.

Die neuen Regeln des IRS, die am 1. Januar 2001 in Kraft treten sollten, stellten beträchtlich strengere Anforderungen auf dem Gebiet der Meldung und Dokumentation. Laut dem ursprünglichen Wortlaut sollten nicht in den USA wohnhafte Ausländer ­ die NRA ­ nur dann in den Genuss einer Steuerreduzierung im Rahmen der DBA kommen, wenn ihre persönlichen Daten den US-Withholding Agents übergeben wurden. Diese Forderungen nach Auskunft und Identitätspreisgabe veranlassten die Finanzinstitute dazu, Vorbehalte anzumelden. So kam es Ende der 90er Jahre zu Gesprächen zwischen einer Delegation des IRS und den Privatakteuren der ausländischen Finanzmärkte, mit dem Ziel, eine Lösung zu finden und den IRS zu Konzessionen in seiner radikalen Methode der Quellensteuer zu bewegen.

Die Parteien einigten sich auf folgenden Kompromiss: Anstelle der 1997 vorgebrachten strengen Forderungen nach Auskunft und Identitätspreisgabe führte der IRS das Qualified Intermediary-System (QI-System) ein, welches am 1. Januar 2001 mit der jeweiligen Unterzeichnung des Qualified Intermediary Agreement durch Finanzinstitute in Kraft trat. Grundidee des QI-Systems war es, die ursprünglich dem U.S.

Withholding Agent auferlegte Verpflichtung, über die Identität der Kunden, welche amerikanische Kapitalerträge beziehen, informiert zu sein, durch einen Vertrag zwischen dem IRS und dem betroffenen Finanzinstitut (Banken usw.) ausländischen Finanzinstituten, den so genannten Qualified Intermediary (QI), zu überantworten.

Diesem System zufolge übernimmt der QI, d. h. das Finanzinstitut, die Verantwortung für die Klassifizierung der Kunden gemäss den Weisungen des IRS nach Wohnsitz und Status im DBA. Dem Finanzinstitut obliegt gegebenenfalls auch die Melde- und Steuerrückbehaltspflicht zugunsten des IRS. Im neuen System wird im Ausland wohnhaften amerikanischen Staatsbürgern nur dann eine Steuerentlastung gewährt, wenn sie sich bei den US-Steuerbehörden melden. Personen, die ihrem Status gemäss nicht den US-Behörden unterstehende Steuerzahler sind und die auf U.S. Wertschriften basierende Dividenden oder
Zinsen einnehmen, können in den Genuss einer Steuerentlastung kommen, ohne ihre Identität preiszugeben ­ allerdings unter der Bedingung, dass die betroffene Bank mit dem IRS ein QIA unterzeichnet hat und die geforderten Daten über die Begünstigten des DBA genau dokumentiert werden. Zudem sieht das QI-System eine Kontrolle durch externe Prüfer vor, die sicherstellen soll, dass der QI die Regeln der Klassifizierung der Kunden befolgt und die Kundendokumentation vorschriftsgemäss erstellt.

Die Schaffung des neuen QI-Status warf Fragen auf bezüglich der spezifischen Situation der Finanzinstitute in der Schweiz, die aufgrund der Unterzeichnung eines QIA auf Schweizer Boden den verlängerten Arm des IRS darstellen würden. Laut QIA übernimmt das Finanzinstitut, das mit dem IRS ein QIA unterzeichnet, den Status eines QI und wird damit gewissermassen zum Steuereinzieher des IRS, und dies auf Schweizer Boden. Um das Problem der über den QI vermittelten Intervention des IRS auf Schweizer Staatsgebiet zu lösen, gab der Vorsteher des EFD am 7. November 2000 den schweizerischen Finanzinstituten die Erlaubnis, als QI zu fungieren. Die Bewilligung hält fest, dass der QI-Status nicht gegen Artikel 271

3242

Strafgesetzbuch (StGB) verstösst.459 Dieser Artikel untersagt jegliche Intervention eines fremden Staates auf Schweizer Staatsgebiet ohne vorherige Bewilligung.

Der neue steuerpolitische Rahmen erforderte von den schweizerischen Finanzinstituten landesspezifische Schritte, da sie dem Bankgeheimnis, das den Schutz der Privatsphäre der Kunden garantieren soll, weiterhin verpflichtet blieben. In der Tat müssen Schweizer Finanzinstitute, um nicht gegen das QI-System und das schweizerische Recht zu verstossen, von Kunden mit amerikanischer Staatsbürgerschaft oder in den USA wohnhaften Ausländern, die eine Steuerentlastung beanspruchen wollen, eine Erlaubnis einholen, um dem IRS ihre Identität mitteilen zu können. Sollte der Kunde dem Finanzinstitut die Erlaubnis verweigern, darf dieses keine amerikanischen Wertpapiere mehr für ihn verwalten. Amerikanische Staatsbürger und in den USA wohnhafte Ausländer jedoch, die bereits vor dem Inkrafttreten des QIA als Kunden von Schweizer Finanzinstituten amerikanische Wertpapiere besassen, dürfen ihre Identität weiterhin geheim halten und ihre Wertpapiere behalten. Das in der Schweiz ansässige Finanzinstitut, das als QI fungiert, darf ihre Identität nicht preisgeben, ist aber in diesem Fall verpflichtet, den Kunden mit Hilfe eines anonymen Formulars460 zu melden und auf seinen amerikanischen Kapitalerträgen eine Quellensteuer von 31 Prozent zurückzubehalten.461 Durch die systematische Besteuerung dieser nicht deklarierten amerikanischen Kunden hoffte der IRS, die Zahl der anonymen Besitzer amerikanischer Wertpapiere beträchtlich zu verringern.462 Die erklärte Absicht des QI-Systems ist es letztendlich, den Missbrauch der DBA oder das Treaty Shopping zu verhindern, US-Investitionen von amerikanischen Staatsbürgern oder in den USA wohnhaften Ausländern, die nicht beim IRS deklariert sind, zu unterbinden, Erträge aus amerikanischen Quellen vorschriftsgemäss zu besteuern und externe Akteure mit der Bestimmung der legitimen Nutzniesser der durch das DBA gewährten Steuerentlastung zu betrauen.

3.2.1.3

Entwicklung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA

Das grenzüberschreitende Geschäft der UBS von der Schweiz in die USA ist von den Tätigkeiten der in den USA ansässigen Einheiten von UBS zu unterscheiden. So erwarb die UBS am 3. November 2000 die amerikanische Investmentbank PaineWebber Inc., die ihr den Einstieg in das US-Vermögensverwaltungsgeschäft ermöglichte. UBS Paine Webber, die in der Folge den Namen UBS Wealth Management USA erhielt, gehörte im Untersuchungszeitraum in den USA zu den Marktführern.463 Davon gänzlich getrennt ist das grenzüberschreitende Geschäft der UBS mit der USA, das in erster Linie von drei UBS-Niederlassungen aus der Schweiz betrieben wurde: Genf, Zürich und Lugano. Diese zwei Tätigkeitsfelder der UBS sind zwar voneinander unabhängig, doch sollten sich die Schwierigkeiten der UBS mit den US-Behörden im grenzüberschreitenden Geschäft aufgrund der wiederholten Dro-

459 460 461 462 463

Verbotene Handlungen für einen fremden Staat, Schweizerisches Strafgesetzbuch; SR 311.0.

Formular 1099 des IRS.

Kurzbericht der FINMA vom 18.2.2009 «Untersuchung der EBK des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA», S. 5­6.

Die Kategorie non-W-9.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3243

hungen des DOJ in der Folge auch auf die in den USA ansässige UBS niederschlagen.

Am 31. Mai 2000 beschloss das Group Executive Board der UBS, beim IRS die Gewährung des QI-Status zu beantragen. Nachdem der Antrag der UBS am 14. September 2000 beim IRS eingegangen war, unterzeichneten die Parteien am 26. Juni und am 5. Juli 2001 das QIA, das rückwirkend am 1. Januar 2001 in Kraft trat.464 Die Unterzeichnung des Abkommens zwischen dem IRS und der UBS hatte direkte Auswirkungen auf das von der Schweiz ausgehende grenzüberschreitende Geschäft.

Der neue QI-Status auferlegte der UBS ­ wie anderen Schweizer QI ­ zahlreiche, teils weitreichende Verpflichtungen, insbesondere Dokumentation, Meldung und Steuerrückbehalt. Die verschiedenen Geschäftsmodelle mussten angepasst werden, um die neuen Vorschriften zu widerspiegeln. Noch bevor die UBS den Status des QI zugesprochen erhielt, hatte die Bank im Jahr 2000 ein Memorandum über die Umsetzung dieser Vorschriften und im darauffolgenden Jahr eine Analyse der damit einhergehenden Risiken verfasst. Ein Punkt erwies sich als besonders kontrovers: die Frage der Nutzung der deemed sales rules als QI. Diese Regeln sind Teil der US Treasury Regulations und werden vom US-Finanzministerium erlassen. Sie definieren den Verkauf von Wertpapieren auf amerikanischem Boden und deren Versteuerung. Tatsächlich wird diesen Regeln zufolge ein ausserhalb der USA getätigter Verkauf unter bestimmten Bedingungen465 als ein in den USA getätigter Verkauf betrachtet.

Es stellte sich die Frage, ob diese deemed sales rules auch für ein QI Geltung hatten, denn das QIA enthielt Definitionen für reportable payments (meldepflichtige Zahlungen) und any other amounts paid inside the United States (jegliche sonstige in den USA bezahlte Beträge). Laut einem geltenden Konzept galten für US-Bürger Zahlungen im Zusammenhang mit nicht amerikanischen Wertpapieren ebenfalls als reportable payments und machten damit eine Meldung mittels eines anonymisierten Formulars466 notwendig. Die UBS fand diesen Punkt unklar. Die Delegation der schweizerischen privaten Finanzinstitute hatte bei der Aushandlung des QIA mit dem IRS diesen Punkt nicht vertieft, aber zur Kenntnis genommen, dass im Hinblick auf die Verpflichtungen in Zusammenhang mit nicht amerikanischen Wertpapieren von US-Bürgern und den Implikationen
der deemed sales rules ein gewisser Auslegungsspielraum bestand.467 Im Bestreben, die Achtung des QIA, der deemed sales rules und weiterer Restriktionen der SEC sicherzustellen, verabschiedete die UBS im Jahre 2002 für ihr grenzüberschreitendes Geschäft von der Schweiz in die USA ein neues Geschäftsmodell, 464

Bericht der EBK vom 17.12.2008 «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 92.

465 1. wenn der Kunde ein Konto bei einem amerikanischen Brokerbüro eröffnet hat, in unserem Fall bei der UBS; 2. wenn die Anweisungen des Kunden für einen Verkauf oder in Aussicht eines Verkaufs von den USA aus erteilt werden (Post, Telefon, elektronische Übermittlung); 3. wenn der Bruttoertrag des Verkaufs auf ein US-Konto überwiesen oder an eine US-Adresse versandt wird; 4. wenn die Kaufbescheinigung dem Kunden an eine US-Adresse geschickt wird; 5. wenn eine Filiale des Brokers, in unserem Fall der UBS, den Verkauf mit dem Kunden koordiniert oder Anweisungen zum Verkauf erhält.

466 Formular 1099 des IRS.

467 Bericht der EBK vom 17.12.2008 «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 74­75.

3244

das Revised Business Model. Letzteres sollte für all jene amerikanischen Kunden gelten, die sich nicht beim IRS melden wollten und noch US-Wertpapiere besassen.468 Das zentrale Element dieses neuen Geschäftsmodells war der möglichst flächendeckende Abschluss von Vermögensverwaltungsverträgen mit amerikanischen Kunden. Dieses neue Modell untersagt es der UBS, mit in den USA wohnhaften amerikanischen Kunden Kontakt aufzunehmen. Damit sollte ein Verstoss gegen die deemed sales rules oder die SEC Restrictions verhindert werden. Die SECRestriktionen verpflichten jedes Finanzinstitut, das in den USA eine Finanzdienstleistung erbringen will, dazu, sich bei der SEC zu registrieren. Ein Finanzinstitut wird dann als ein in den USA tätiger Finanzdienstleister betrachtet, wenn es US Jurisdictional Means verwendet, d. h. E-Mail, Fax, Post, Telefon, Internet oder andere internationale kommerzielle Instrumente. Einige Punkte blieben jedoch unklar, und die schweizerische Bankiervereinigung war der Ansicht, dass Verkäufe nicht gemeldet werden müssen, insofern der Verwaltungsauftrag ausserhalb der USA erteilt worden ist und kein regelmässiger Kontakt mit dem Kunden besteht.

Demgemäss wandelte die UBS das Beratungsmandat in ein Vermögensverwaltungsmandat um.469 Im Jahr 2004 verfasste die UBS ein Country Paper mit dem Titel Cross-Border Banking Activities into the United States, um ihre Geschäfte und Kontakte mit amerikanischen Kunden zu regeln, insbesondere im Hinblick auf die SEC Restrictions und die deemed sales rules. Allerdings wurde das Country Paper USA, welches Anweisungen zu den Vollzugsmodalitäten grenzüberschreitender Geschäfte in den USA enthielt, trotz mehrerer Schulungen und Seminare, die Berater mit amerikanischer Kundschaft in den Monaten September und Oktober 2004 besuchten, weder explizit genannt noch diskutiert. Es wurde den betroffenen Beratern auch nicht ausgehändigt.470 Gemäss den Angaben der UBS wurde es erst im Sommer 2005 auf dem Intranet zugänglich gemacht. Die Kritik eines Kundenberaters aus Genf bezüglich der mangelnden Einhaltung dieses Dokuments, das interne Richtlinien für das grenzüberschreitende Geschäft der UBS enthält, veranlasste die UBS dazu, ihre internen Richtlinien zu überarbeiten. In der Zwischenzeit hatte die UBS im Jahr 2004 ein neues Projekt lanciert, mit einer bei der SEC
angemeldeten Konzerngesellschaft, der UBS Swiss Financial Advisers AG. Damit verfügte die UBS fortan über ein bei der SEC registriertes grenzüberschreitendes Geschäft mit Sitz in der Schweiz für die amerikanischen Kunden, die beim IRS gemeldet waren. Trotzdem wurde eine grosse Anzahl von US-Kunden, die nicht beim IRS gemeldet waren (und nach Massgabe des QIA, da sie nicht in US-Wertschriften investierten, auch nicht gemeldet werden mussten), weiterhin über den Geschäftszweig des grenzüber-

468

Alle amerikanischen Steuerpflichtigen, welche Kunden der UBS sind, unterliegen den Bestimmungen des Qualified Intermediary Agreement, das die UBS und der IRS am 1.1.2001 unterzeichnet haben. Der Kunde hat unter dem QIA die Wahl zwischen Offenlegung mit dem Formular W-9 oder Nicht-Offenlegung (so genannte non-W9 Kunden).

Auch in diesem Fall konnte der Kunde US-Wertschriften besitzen. Der QI war diesfalls aber verpflichtet, die Backup Withholding Steuer zu erheben. Da diese Quellensteuer in ihrer Höhe prohibitiv ist, empfahlen die Banken ihren Kunden, ihre US-Wertschriften zu veräussern.

469 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border 470 Bericht der EBK vom 17.12.2008 «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 119.

3245

schreitenden Geschäfts von der UBS betreut.471 Bei der Anhörung von Mark Branson, Chief Financial Officer des UBS Global Wealth Management and Business Banking, durch den ständigen Unterausschuss für Steuerbetrug des US-Senats am 17. Februar 2008, schätzte die UBS die Anzahl ihrer Konten amerikanischer Kunden auf 20 000, wovon ca. 19 000 nicht beim IRS gemeldet waren. Ausserdem kündigte Mark Branson als Vertreter der UBS bei seiner Anhörung den Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA an.

3.2.1.4

Die interne Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS

Am 17. März 2006 schrieb Bradley Birkenfeld, der als Berater amerikanischer Kunden des Private-Banking im UBS-Büro in Genf arbeitete, an Peter Kurer ­ damals Group General Counsel ­ eine Nachricht im Sinne der UBS Whistleblowing Policy472, um zu melden, dass die internen Richtlinien der UBS (Country Paper USA 2004) nicht befolgt würden.

Das Country Paper USA adressierte zwei Anliegen: 1. SEC-Restriktionen, 2. deemed sales Problematik. Die UBS eröffnete eine interne Untersuchung, um den von Bradley Birkenfeld aufgeworfenen Problemen auf den Grund zu gehen. Diese Untersuchung endete am 12. Mai 2006 mit folgenden Schlussfolgerungen473: 1. keine systematischen Verletzungen der internen Richtlinien; 2. potenzielle systematische Verletzungen; 3. offensichtliche Verletzungen der internen Richtlinien der UBS in gewissen Fällen; 4. der Vermögensverwaltungsauftrag gilt nur für 32 Prozent der Kunden des Genfer Büros; 5. Anzeichen möglicher Widersprüche bzw. Interessenskonflikte zwischen den Performance-Zielen und der Einhaltung der Richtlinien; 6. Verbesserungspotenzial in der Schulung in Bezug auf die internen Richtlinien der UBS; 7. Konfusion hinsichtlich der Zuständigkeiten und der Ansprechpersonen für die internen Richtlinien; 8. eine schlechte Handhabung der Gespräche mit Bradley Birkenfeld. Im Anschluss an diese Untersuchung ordnete Peter Kurer, der Group General Counsel, eine Neubearbeitung der internen Richtlinien an, um deren Umsetzung zu verbessern.

Am 8. Juni 2006 kamen Peter Kurer (Group General Counsel), Marcel Rohner (CEO Global Wealth Management & Business Banking) und Raoul Weil (Head Wealth Management International) zusammen, um die vom Group General Counsel vorgeschlagenen sieben Empfehlungen im Hinblick auf eine Verbesserung der internen Richtlinien zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS zu besprechen.

Im September 2006 wurde ein erster verbesserter Entwurf veröffentlicht, und schon im September und Oktober wurden Schulungen für die Mitarbeiter des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS organisiert. Im Oktober 2006 wurde ein neuer Entwurf für die internen Richtlinien vorgeschlagen. Das Dokument wurde schliess-

471

Auf die UBS Swiss Financial Advisers konnten nur diejenigen amerikanischen Kunden übertragen werden, die bereit waren, ein Fomular W-9 auszufüllen.

472 UBS Whistleblowing Policy: internes Meldesystem der UBS für Unregelmässigkeiten.

473 Bericht der EBK vom 17.12.2008 «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 135.

3246

lich im Januar 2007 vom Group General Counsel bewilligt. Es trat am 4. Juni 2007 in Kraft, ein gutes Jahr nach Abschluss der internen Untersuchung.474 475

3.2.1.5

Rolle der Behörden in dieser Phase

In dieser Phase gab es für die schweizerischen Behörden aufgrund des damaligen Wissensstands keinen Anlass, sich konkret mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA zu befassen.

Dieser Geschäftszweig der UBS war einer unter vielen und wies zur damaligen Zeit keine Eigenheiten auf, die hätten erkennen lassen, dass er über eine reguläre Geschäftstätigkeit einer international agierenden Grossbank hinausgehen könnte.

Die EBK bzw. heute die FINMA ist für die Aufsicht über die beiden schweizerischen Grossbanken ebenfalls international federführend (lead regulator), so dass sie nicht nur die Banktätigkeit im Inland, sondern auch jene im Ausland (in Zusammenarbeit mit den betroffenen ausländischen Aufsichtsbehörden) beaufsichtigt. Obwohl die EBK/FINMA nicht die Einhaltung ausländischer Vorschriften zu prüfen und aufsichtsrechtlich durchzusetzen hat, sind allfällige Verstösse der schweizerischen Grossbanken gegen ausländische Rechtsordnungen unter dem Aspekt der vom Bankengesetz verlangten einwandfreien Geschäftsführung wie des Gläubigerschutzes476 für die EBK/FINMA relevant.

In verschiedener Hinsicht sind die grenzüberschreitenden Tätigkeiten der Banken schon seit Jahren ein ständiges Thema der schweizerischen Bankenaufsicht.477 Insbesondere aufgrund des technischen Wandels (E-Banking, Internet, Kommunikation über E-Mails usw.) wurde die grenzüberschreitende Tätigkeit von Banken schon frühzeitig durch die EBK wie auch durch ausländische Aufsichtsbehörden als Herausforderung für die Aufsicht erkannt und in internationalen Gremien wie dem Basler Ausschuss erörtert.478 Die EBK setzte sich gerade im Zusammenhang mit den international tätigen schweizerischen Grossbanken aktiv für eine funktionierende grenzüberschreitende Aufsicht ein.

Vorliegend ist von Interesse, dass im Rahmen der Arbeiten des Basler Ausschusses im Jahr 2004 Anforderungen an ein konzernweites Risikomanagementsystem zur Erfassung, Begrenzung und Überwachung von Rechts- und Reputationsrisiken auf konsolidierter Basis definiert wurden. So sollen Geschäftsbeziehungen mit erhöhten Risiken konzernweit auch dann erfasst und überwacht werden, wenn sie mit einer ausländischen Zweigniederlassung oder Gruppengesellschaft eingegangen wurden.

Die interne Kontrolle oder eine globale Compliance-Funktion soll die Einhaltung
der konzernweiten Weisungen in ausländischen Niederlassungen prüfen und Zugang zu den dafür nötigen Informationen und Unterlagen haben. Ein wirksames konzernweites Risikomanagementsystem muss gemäss diesen Regeln sicherstellen, dass der 474 475

Ebd., S. 119.

Gemäss Aussagen der UBS wurde das grenzüberschreitende Geschäft der Bank mit Privatkunden in den USA im August 2007 eingefroren.

476 Falls diese Verstösse ein Ausmass annehmen, das die Existenz der Bank bedrohen könnte.

477 Vgl. z. B. Jahresberichte 1999 (Vor-Ort-Kontrollen der EBK), 2000 und 2001 (Überwachung grenzüberschreitender Internet-Finanzdienstleistungen) der EBK.

478 Vgl. z. B. Jahresbericht 2001 der EBK, S. 100f., Jahresbericht 2003 der EBK, S. 112f., Jahresbericht 2004 der EBK, S. 100f.

3247

Zugriff auf Informationen über Geschäftsbeziehungen mit erhöhten Risiken gewährleistet ist.479 Diese Regelungen wurden in der Schweiz umgesetzt.480 Es kann somit festgestellt werden, dass sich die EBK der grundsätzlichen Herausforderungen des grenzüberschreitenden Geschäfts bewusst war und auch Massnahmen zur Verringerung von Risiken in diesem Bereich ergriffen hat.

Diesbezüglich wollten die GPK insbesondere wissen, wie die EBK im Zeitraum von 2001 bis Herbst 2007 das grenzüberschreitende Geschäft der UBS im Rahmen ihrer regulären Aufsichtstätigkeit überwacht hatte.481 Im Rahmen ihrer Abklärungen erhielten die GPK eine allgemeine Information, welche für die Beurteilung des untersuchten Sachverhalts eine wichtige Hintergrundinformation darstellt: Die Anhörung von Vertretern der ESTV durch die GPK ergab, dass aus Sicht der ESTV allen Beteiligten ­ in den USA tätigen Banken, ESTV, EBK ­ die Risiken einer unrechtmässigen Geschäftstätigkeit in den USA, insbesondere im Bereich von Steuervergehen von in den USA steuerpflichtigen Personen, bekannt waren. Schon im Zusammenhang mit dem 1996 abgeschlossenen DBA kam die schweizerische Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug bezüglich deren Amtshilfefähigkeit unter Druck. Die ESTV informierte die GPK, dass diesem Druck zwar standgehalten werden konnte, es jedoch allen Betroffenen bewusst war, dass im Bereich der Steuerverpflichtungen von in den USA steuerpflichtigen Personen die amerikanische Rechtsordnung strikt einzuhalten sei, ansonsten die betroffenen Banken und der schweizerische Staat unter massiven Druck der USA kommen würden.

Die ESTV war jedoch in diesem Zeitraum nicht mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS befasst. Sie erhielt, als für die Amtshilfe in Steuerfragen zuständige Behörde, im Zeitraum 2001 bis 2007 im Schnitt drei Amtshilfegesuche pro Jahr aus dem Ausland.

3.2.2

Die Phase von Herbst 2007 bis 7. März 2008

3.2.2.1

Untersuchungen der amerikanischen Behörden/Einleitung einer UBS-internen Untersuchung

Im September 2007 nahm das DOJ mit Vertretern der UBS Kontakt auf, um ihnen mitzuteilen, es verfüge über Informationen aus der internen Untersuchung, welche die UBS im Jahr 2006 im Anschluss an das Whistleblowing von Bradley Birkenfeld vom 17. März 2006 durchgeführt hatte. Die UBS nahm damals an, dass entweder besagter Kundenberater, Bradley Birkenfeld, die Informationen selbst an das DOJ weitergeleitet hatte, oder dass das DOJ durch eine später und gemeinsam mit dem IRS geleitete Untersuchung zur Rolle von Steuerparadiesen (Tax Shelters) bei der Umgehung von US-Steuerregeln, insbesondere des QI-System, in den Besitz der Informationen gelangt war. Jedenfalls bat das DOJ um Details und Dokumente in Bezug auf die Compliance der Aktivitäten der UBS mit dem QIA. Vor diesem 479 480 481

Vgl. Jahresbericht 2004 der EBK, S. 100.

Ebd., S. 101.

Die EBK erwähnt die grenzüberschreitenden Beziehungen der UBS mit amerikanischen Privatkunden zum ersten Mal in ihrem Geschäftsbericht 2008: vgl. Geschäftsbericht 2008 der EBK, S. 35 und 37ff.

3248

Hintergrund leitete Kevin Downing, ein Assistant Attorney des DOJ482, der in einer der drei Abteilungen der Tax Division, der Southern Criminal Enforcement Section483, arbeitete, eine Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA ein. Die Aufgabe der Southern Criminal Enforcement Section ist es, sicherzustellen, dass die Integrität des amerikanischen Steuersystems dank einer strengen Umsetzung der Steuergesetze des IRS gewahrt wird, dass eventuelle Zuwiderhandelnde bestraft484 und künftige Verstösse verhindert werden und dass die ehrlichen Steuerzahler nicht einen unangemessenen Anteil der föderalen Steuern zu tragen haben.

Assistant Attorney Kevin Downing ­ der im Jahre 2004 eine Untersuchung zur Problematik der Tax Shelters (Steuerparadiese) und der Umgehung der Regeln des QI-System485 geleitet hatte ­ ging in der UBS-Angelegenheit von folgenden Annahmen in Bezug auf deren grenzüberschreitendes Geschäft aus: Amerikanische Langzeitkunden der UBS, die nach Einführung des QI-System die damit einhergehenden Restriktionen umgehen wollten, verzichteten weder auf den Besitz von US-Wertpapieren, noch erteilten sie der UBS die Bewilligung, dem IRS mit Hilfe des vorgeschriebenen Formulars486 ihre Identität mitzuteilen. Stattdessen bedienten sie sich externer Anwälte als Mittelsmänner, um offshore Unternehmen auf den British Virgin Islands, in Hongkong und in Panama zu gründen, gegenüber denen sie Berechtigungen besassen. Anschliessend beauftragten diese amerikanischen Kunden die UBS, ihr Vermögen auf die Konten dieser offshore Strukturen zu überweisen.

Obwohl das offshore Unternehmen damit zum Besitzer des Vermögens wurde, hatten die Kunden die Kontrolle über ihr Vermögen behalten und hielten den direkten Kontakt mit der UBS aufrecht. Sie behandelten das Unternehmen wie ihre eigene Westentasche (Scheingesellschaften).

Sollten sich die Hypothesen des DOJ zu den grenzüberschreitenden Aktivitäten der UBS als richtig erweisen, so würde das bedeuten, dass sich die UBS mehrerer Verstösse schuldig gemacht hätte: 1. gegen die Regeln des QIA, das eine Quellensteuer von 31 Prozent auf Dividenden und Zinsen von US-Wertpapieren vorschreibt; 2.

gegen die Restriktionen der SEC, die für Dienstleistungen an amerikanische Staatsbürger eine Registrierungspflicht vorsehen; und 3. gegen die deemed
sales rules.

Auf Grundlage dieser Hypothesen forderte der Assistant Attorney von der UBS ab Mitte Februar 2008 detaillierte Angaben über die amerikanischen Kontoinhaber und die wirtschaftlichen Anspruchsberechtigten.487 Der IRS leitete seinerseits eine eige482 483

484

485

486 487

Auf Deutsch: Stellvertretender Staatsanwalt.

Die Tax Division hat die juristische Aufsicht (Criminal Enforcement) der USA in drei Zonen eingeteilt, von denen eine die südliche (Southern) ist.

http://www.justice.gov/tax/about_us.htm Die Zuwiderhandelnden, Personen oder Gesellschaften, werden insbesondere geahndet wegen Steuerhinterziehung, Unterschlagung von Dokumenten, Einreichung gefälschter Steuerunterlagen sowie versuchten Betrugs von Steuerzahlern.

Laut UBS-Management hatte der IRS in den Jahren 2001/2002 eine Untersuchung zur Umgehung der Regeln des QI-System mit Hilfe von Tax Shelters (Steuerparadiesen) durchgeführt. Der IRS übergab diese Informationen dem DOJ, das 2004 eine Untersuchung der Tax Shelters in Zusammenhang mit den Firmen KPMG und Ernst & Young durchführte. Diese hatten amerikanischen Kunden (US-Bürger oder Green Card-Besitzer) nahegelegt, offshore Unternehmen zu gründen, um die Deklarierung ihrer Vermögen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund hatte das DOJ die UBS um Dokumente gebeten und Mitarbeiter der UBS befragt. Die Untersuchung des DOJ war u. a. von Assistant Attorney Kevin Downing durchgeführt worden.

Es handelt sich um das IRS-Formular Form W-9.

Notiz der EBK vom 10.3.2008, «Informationsbegehren der US-Behörden an die UBS».

3249

ne Untersuchung ein, wobei er eng mit der Tax Division des DOJ, für die Assistant Attorney Kevin Downing tätig war, zusammenarbeitete. Auch die SEC eröffnete eine eigene Untersuchung zur Nichtregistrierung der grenzüberschreitenden Tätigkeit der UBS als Broker und der Registrierung als Investment Adviser.488 Die UBS wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, inwieweit die SEC bereits über Kundennamen verfügte, welche ihr ­ wie dem DOJ ­ der Whistleblower489 von 2006, Bradley Birkenfeld, Berater eines US-Kunden, der über die UBS eine Investition von zwei Milliarden Dollar getätigt hatte490, zugespielt hätte. Sowohl das DOJ, der IRS als auch die SEC hatten somit Untersuchungen des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA eingeleitet. Alle drei Instanzen prüften dieses Geschäft der UBS gemäss ihren Prärogativen und ihrem Kompetenzbereich.

Das DOJ konzentrierte seine Untersuchung auf den strafrechtlichen Bereich. Zwei Abteilungen nahmen daran teil: die Tax Division mit dem Assistant Attorney Kevin Downing sowie die Criminal Division mit Bruce Swartz, Deputy Assistant Attorney General. Das DOJ prüfte die Rolle, welche die UBS bzw. ihre Führungskräfte in ihrem grenzüberschreitenden Geschäft bei den Betrugs- und Steuerfluchtsfällen spielte. Es warf den amerikanischen Kunden der UBS vor, ihre Vermögen nicht deklariert und der US-Steuerbehörde ca. 300 Millionen Dollar vorenthalten zu haben. Der EBK zufolge war Ziel der Untersuchung des DOJ in erster Linie, zu bestimmen, ob 1. UBS-Kundenberater offshore Strukturen errichtet hatten, um die Vorschriften des QI-System in Bezug auf Wertpapierinvestitionen und die US-Steuergesetze zu umgehen; 2. die UBS den mit ihrem QI-Status verbundenen Verpflichtungen vorschriftsgemäss nachgekommen war, insbesondere den Meldeund Rückbehaltspflichten; 3. das Management der UBS über die offshore Praktiken informiert war, und wenn ja, bis auf welche Führungsebene.491 In der Folge wurde auch Bruce Swartz, Deputy Assistant Attorney General der Criminal Division des DOJ, in die Untersuchung involviert. Er war für die Beziehungen zu den schweizerischen Behörden verantwortlich.

Der IRS interessierte sich für ähnliche Fragen wie das DOJ und arbeitete eng mit der Tax Division des DOJ zusammen. Allerdings wählte der IRS einen anderen Ansatz, denn bei seinen Untersuchungen standen die
amerikanischen Steuerzahler und die Steuereinnahmen im Vordergrund. Trotzdem war die Zusammenarbeit zwischen dem IRS und der Tax Division des DOJ eng. Eine Kooperation zwischen 488 489 490 491

Unregistered Brokerage.

Auf Deutsch: Informant.

Es handelte sich um den amerikanischen Milliardär Igor Olenicoff.

«Das DOJ wirft US-Kunden der UBS vor, steuerbares Einkommen nicht offen gelegt und den amerikanischen Fiskus pro Jahr um schätzungsweise 300 Mio. Dollar gebracht (betrogen) zu haben. Die Ermittlungen gegen die UBS kreisen um folgende drei Fragestellungen: i) : Waren Kundenberater der UBS ihren US-Kunden beim Aufsetzen von offshore Strukturen behilflich, über welche US- und andere Titel in der Absicht gehalten wurden, die gemäss QIA für Investitionen in Wertschriften geltenden Restriktionen und folglich die US-Steuerpflicht zu umgehen? ii) und : Hat die UBS im Rahmen der Betreuung solcher Strukturen ihre Melde- und Rückbehaltspflichten unter den verletzt? iii) : Bis zu welcher Managementstufe wusste man von der illegalen (z. B. betrügerischen) Verwendung solcher Strukturen und der Verletzung der Melde- und Rückbehaltspflichten unter den ? Zusätzlich zu diesen drei Hauptthemen bringt das DOJ immer wieder neue Aspekte oder Vorwürfe ins Spiel. Weiterungen sind deshalb nicht auszuschliessen.» Bericht der EBK vom 17.12.2008, «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 31.

3250

den genannten Instanzen ist in diesem Fall in keiner Weise aussergewöhnlich, insofern als beide sich für den gleichen Bereich interessierten: das Steuerwesen.492 Die SEC schliesslich, die ebenfalls eine Untersuchung der Aktivitäten der UBSKundenberater in die Wege leitete, wollte herausfinden, ob 1. die Berater über die nötigen Bewilligungen für Finanzdienstleistungen in den USA und für den Kauf und Verkauf von Wertpapieren, insbesondere von US-Wertpapieren, verfügten, 2. sie ihre Kundschaft zum Kauf und Verkauf von US-Wertpapieren beraten hatten und 3. das Management gegebenenfalls über die Mängel bei der Umsetzung und Kontrolle und über die Verstösse gegen das amerikanische Recht informiert war.493 Nachdem die UBS vom DOJ kontaktiert worden war, beschloss sie, mit diesem zusammenzuarbeiten. Aus diesem Grund leitete die UBS selbst im Herbst 2007 mit Hilfe der namhaften amerikanischen Anwaltspraxis Wachtell, Lipton, Rosen & Katz (WLRK), die auf vom DOJ eingeleiteten Justizverfahren spezialisiert ist, eine Untersuchung ein. Erstes Ziel war es, die vom DOJ und der SEC gegen die UBS gerichteten Vorwürfe unter die Lupe zu nehmen und Antworten zu liefern. Ausserdem sollte die Untersuchung juristische Fragen der EBK im Bereich der Aufsicht beleuchten.

Die UBS hatte dem DOJ und der SEC von Beginn weg die Ziele der Untersuchung und die Fristen, innerhalb derer die offenen Fragen zu den grenzüberschreitenden Tätigkeiten behandelt werden sollten, vorgelegt. Die Ergebnisse dieser von WLRK durchgeführten Untersuchung wurden für Juni 2008 erwartet. Der Zeitplan der UBS wurde jedoch vom DOJ nicht bestätigt ­ offenbar wurden die Fristen als zu lang erachtet. Die Untersuchung von WLRK wurde schliesslich mit rund vier Monaten Verspätung abgeschlossen. Sie hatte beträchtliche Mittel eingesetzt ­ bis zu 117 Personen waren beschäftigt, und die Kosten beliefen sich im Jahr 2008 auf 69,6 Millionen Franken.

3.2.2.2

Kontaktaufnahme der SEC mit der EBK im Dezember 2007

Am 12. Dezember 2007 erhielt die EBK erstmals ein Schreiben der SEC als Fax.

Darin informierte die SEC, dass sie im Zusammenhang mit einer möglichen Verletzung der Registrierungspflichten für Broker durch die UBS fünf Kundenberater der UBS befragen wolle. Gemäss den Abklärungen der GPK gingen diesem Schreiben offenbar telefonische Kontakte zwischen der EBK und der SEC voraus, die sich 492

«Die amerikanische Steuerbehörde untersucht ähnliche Fragestellungen wie das DOJ, wobei für den IRS die US-Steuerpflichtigen im Vordergrund stehen. Der IRS und das DOJ arbeiten eng verbunden und stimmen sich ab.» Bericht der EBK vom 17.12.2008, «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 31.

493 «Gegenstand der SEC-Untersuchungen bilden die folgenden grundsätzlichen Fragestellungen, welche vor dem Hintergrund der SEC-Restriktionen stehen: i) : Haben Kundeberater der UBS ihre US-Kunden ohne die notwendige Bewilligung zum Kauf oder Verkauf von Wertschriften veranlasst?

ii) : Haben Kundenberater der UBS ihre US-Kunden bezüglich Investitionen in Wertschriften ohne die notwendige Bewilligung beraten?

iii) : Bis zu welcher Managementstufe wusste man von Schwächen im Compliance- und Kontrollframework oder von tatsächlichen Verletzungen von US-Recht und Regularien?» Bericht der EBK vom 17.12.2008, «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 36.

3251

jedoch nicht mehr datieren lassen. Aus Sicht der EBK handelte es sich bei der Fragestellung, die Gegenstand der SEC-Untersuchung war, um eine Routineangelegenheit, die nicht weiter ungewöhnlich war.

Das Begehren der SEC führte schliesslich zu zwei Amtshilfegesuchen der SEC an die EBK: Das erste Amtshilfegesuch datiert vom 29. Februar 2008. Es wurde in der Folge mit einem neuen Gesuch vom 17. März 2008 präzisiert. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Ansätze der Finanzmarktregulierung in den USA und in der Schweiz494 leitete die EBK das Begehren in einer ersten Phase an die UBS weiter und ergriff selbst keine Zwangsmassnahmen zur Durchsetzung des SEC-Gesuchs.

Erst am 6. März 2008 erhielt die EBK durch die UBS Kenntnis von der Untersuchung des DOJ gegen die UBS in den USA bzw. davon, dass das DOJ auf die Herausgabe von Kundendaten hinauswollte. Gemäss Aussagen der UBS wurde die EBK schon im Dezember 2007 und Januar 2008 über die Abklärungen des DOJ kurz informiert. Allerdings sei erst Ende Februar 2008 erkennbar gewesen, dass das DOJ die Herausgabe von Kundendaten anstrebte.

3.2.2.3

Einbezug des EFD, des EJPD und des EDA am 7. März 2008

Da das grenzüberschreitende Geschäft der UBS von der Schweiz aus betreut wurde, waren die UBS-Kundendaten durch das Schweizer Recht, das die Verletzung der Privatsphäre unter Strafe stellt, geschützt. Die Möglichkeit einer Übergabe von Kundendaten, die durch das schweizerische Recht geschützt waren, schien ausgeschlossen; deshalb drohte das DOJ schon ab dem 22. Februar 2008, die UBS durch eine Subpoena495 vor einer Grand Jury zur Herausgabe der Daten zu zwingen. In der Folge stellte sich heraus, dass die SEC von den Schweizer Behörden wiederholt Zugang zu Informationen über die Tätigkeiten der UBS gefordert hatten. Für die schweizerischen Behörden bildete jedoch die Forderung von US-Behörden ­ hauptsächlich des DOJ und des IRS ­ zur Übergabe von Kundendaten die Hauptproblematik dieses Dossiers, da sie dem Schweizer Bankgeheimnis verpflichtet waren.

Am 6. März 2008 unterbreitete eine Vertretung der UBS, der Head Litigation Corporate Center, der EBK die Schwierigkeiten der UBS mit ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA. Dabei wurde ein Punkt angesprochen, der nach Ansicht der EBK eindeutig über die gewöhnlichen juristischen Streitigkeiten von Banken in den USA hinausging. Ein amerikanischer Staatsanwalt forderte die Übergabe von Kundendaten ­ für die EBK war dies ein Alarmsignal. Der Vizedirektor der EBK, der auch Leiter des Rechtsdiensts der EBK war, kam zum Schluss, dass die erwähnten Ereignisse die reinen Aufsichtskompetenzen der EBK überstiegen.496 2008 war der Vizedirektor der EBK ebenfalls für die Koordination der internationalen Beziehungen und für die Amtshilfe bei der EBK zuständig. Mit dem Einverständnis der UBS, die zur Unterbreitung des Problems ebenfalls ein erstes Treffen wünschte, lud der Vizedirektor der EBK deshalb die Vertreter der potenziell betrof494

Die Schweiz kennt keine mit dem amerikanischen Recht vergleichbaren Restriktionen des Marktzutritts für grenzüberschreitende Dienstleistungen.

495 Eine Vorladung, vor einem Gerichtshof zu erscheinen, um als Zeuge auszusagen oder ein Dokument vorzulegen. Bei Nichtbefolgung wird eine Geldstrafe erhoben.

496 Protokoll der Anhörung von Urs Zulauf, Leiter Geschäftsbereich Strategische Grundlagen und zentrale Dienste FINMA, vom 3.11.2009, S. 3­4.

3252

fenen schweizerischen Behörden am 7. März 2008 zu einer Sitzung in den Räumlichkeiten der EBK ein.

Folgende Vertreter der schweizerischen Behörden waren zugegen: der stellvertretende Direktor des Bundesamts für Justiz (BJ) des EJPD, der Leiter der Abteilung «Internationale Finanzfragen und Währungspolitik» des EFD, der Vizedirektor und Leiter der Abteilung für internationale Angelegenheiten der ESTV des EFD sowie der Leiter der Politischen Abteilung V (PA V) des EDA. Ebenfalls eingeladen war der Head Litigation Corporate Center der UBS, um die Problematik rund um die internationalen Geschäfte der UBS in den USA darzulegen. Der Vizedirektor der EBK wurde von zwei Vertretern des Rechtsdiensts der EBK begleitet.

3.2.2.4

Rolle der Behörden in dieser Phase

Es lässt sich somit feststellen, dass keine schweizerische Behörde vor Anfang März 2008 über die genauen Zielsetzungen der seit Herbst 2007 laufenden Untersuchungen des DOJ und des IRS informiert war. Die EBK erhielt als erste schweizerische Behörde durch die UBS Ende Februar 2008 Kenntnis davon und informierte innert weniger Tage die aus ihrer Sicht betroffenen Behörden seitens der schweizerischen Zentralverwaltung (BJ, EFV, ESTV, PA V).

Eine direkte Information über die Untersuchungen des DOJ und des IRS durch die amerikanischen Behörden an ihre schweizerischen Partnerbehörden erfolgte in diesem Zeitraum nicht. Auch die SNB hatte im Rahmen ihrer Kontakte mit amerikanischen Behörden zu diesem Zeitpunkt keine Hinweise auf diese drei Untersuchungen.

Einzig die EBK erhielt zuvor Kenntnis von einer der drei Untersuchungen, nämlich der Untersuchung der SEC.497 Dies erfolgte über bilaterale Kontakte mit dieser Behörde und danach über das von der SEC eingereichte Amtshilfeersuchen. Die EBK wertete diese Untersuchung in einer ersten Phase jedoch nicht als aussergewöhnlich. Die Information der EBK durch die UBS über die Untersuchung des DOJ war das Element, das zu einer neuen Beurteilung der Situation durch die EBK führte und diese veranlasste, weitere schweizerische Behörden umgehend einzubeziehen.

Das grenzüberschreitende Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA und die damit zusammenhängenden Untersuchungen in den USA gingen von diesem Zeitpunkt an über die Kompetenzen der Bankenaufsicht hinaus und betrafen zumindest potenziell Bereiche, für welche die von der EBK einbezogenen Behörden zuständig waren.

Bis zur Kontaktaufnahme der EBK mit den verschiedenen Vertretern der erwähnten schweizerischen Behörden waren somit keine weiteren schweizerischen Behörden über die drei US-Untersuchungen informiert. Auch die schweizerische Botschaft in den USA wurde erst durch die schweizerischen Behörden anfangs März 2008 informiert.

497

Gemäss UBS wurde die EBK Mitte Dezember 2007 und im Januar 2008 zwar über die DOJ-Untersuchung informiert, jedoch nicht über dessen Absichten, Kundennamen zu erhalten. Letzteres erfuhr die UBS erst Ende Februar 2008.

3253

3.3

Der Weg zum Amtshilfegesuch des IRS (7.3.2008 bis 29.8.2008)

3.3.1

Der schweizerische Staat: Vom Beobachter zum Akteur (7.3.2008 bis 21.4.2008)

Die Sitzung vom 7. März 2008, die auf Initiative der EBK in ihren Räumlichkeiten organisiert worden war, gab einem Vertreter der UBS, dem Head Litigation Corporate Center, die Gelegenheit, Vertretern der schweizerischen Behörden die Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS und die aktuelle Lage in dieser Angelegenheit zu unterbreiten. Folgende Punkte wurden von der UBS zur Sprache gebracht: 1.

die vom IRS initiierte und vom DOJ weiterverfolgte Untersuchung der Tax Shelters498 und der Problematik der offshore Unternehmen, die zur Umgehung des QI-System geschaffen wurden ­ und die, laut UBS, von der UBS weder konzipiert noch kommerzialisiert worden waren;

2.

der aktuelle Stand des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS, die den externen Prüfern zufolge einwandfrei geführt wurden;

3.

die Entwicklung des grenzüberschreitenden Geschäfts und die diversen Verbesserungen der internen Richtlinien der UBS;

4.

der Besitz des DOJ von Informationen von Bradley Birkenfeld, die auf das Jahr 2006 zurückgingen;

5.

die beiden in den USA eingeleiteten Untersuchungen des DOJ und der SEC;

6.

die Drohung des Staatsanwalts des DOJ, eine Subpoena499 zu erlassen.500

Im Anschluss an die Sitzung und gestützt auf die von der EBK erhaltenen Informationen kamen die Teilnehmer der Sitzung vom 7. März 2008 in Bezug auf das grenzüberschreitende Geschäft der UBS zu folgenden provisorischen Schlussfolgerungen: 1.

Die Schweiz kann den US-Behörden nur auf Grundlage von Artikel 26 des DBA, im Sinne der Bezeichnung tax fraud or the like501, Kundendaten übergeben.

2.

Die zur Diskussion stehende Konfiguration, d. h. die Einsetzung von offshore Unternehmen, enthält genügend Elemente, um unter Schweizer Recht als Steuerbetrug zu gelten, und rechtfertigt folglich eine Rechts- oder Amtshilfe. Diese Verfahren können jedoch nur dann eingeleitet werden, wenn die betroffenen Personen klar identifiziert und genannt werden. Sollten die US-Behörden nur allgemeine Kriterien anführen, ohne konkrete Personen zu nennen, wäre die Grundlage für eine Rechts- oder Amtshilfe in keiner Weise

498 499

Siehe Erklärungen in Kapitel 3.3.2.1.

Die Subpoena ist eine Vorladung, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen oder Dokumente beizubringen. Bei einer Weigerung, vor Gericht zu erscheinen oder die verlangten Dokumente vorzulegen, wird der vorgeladenen Person für jeden Tag, den sie es nach Zustellung der Subpoena und der Entschädigungszahlung versäumt, der Vorladung nachzukommen, ein erhebliches Bussengeld auferlegt.

500 Notiz der EBK vom 10.3.2008 «Informationsbegehren der US Behörden an die UBS AG».

501 SR 0.672.933.61

3254

gegeben, und das Vorgehen der amerikanischen Behörden müsste als Fishing Expedition502 angesehen werden.

3.

Im Jahr 2008 ist das politische Klima in Sachen Steuerflucht angespannt, und die Banken des Fürstentums Liechtenstein wurden von den deutschen Behörden strafrechtlich verfolgt. Eine UBS-Steuerfluchtaffäre käme folglich sehr ungelegen und würde das Bankgeheimnis und die schweizerischen Behörden unter beträchtlichen Druck setzen.

4.

Sollte sich die UBS trotz Subpoena weigern, Kundendaten herauszugeben, würde dies für die Bank schwere finanzielle Verluste bedeuten. Ein amerikanisches Gericht würde in diesem Fall der UBS hohe tägliche Geldstrafen auferlegen, und zwar solange, bis die Informationen herausgegeben würden.503 Weder das schweizerische Bankgeheimnis noch das 5th Amendment der US-Verfassung504 können eine Subpoena verhindern. Allerdings scheint der UBS eine Beilegung der Streitigkeiten durch einen Kompromiss zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Der Bank zufolge würde das DOJ keine unilateralen Massnahmen ergreifen, ohne die UBS vorher zu informieren.

Die Vertreter der schweizerischen Behörden kamen demzufolge zum Schluss, dass eine Subpoena, die eine Übergabe von Kundendaten nach sich ziehen würde, um jeden Preis verhindert werden musste. Dennoch erachteten sie eine Intervention der schweizerischen Behörden zu diesem Zeitpunkt nicht für notwendig, da die UBS sich bereits in direkten Verhandlungen mit den US-Behörden befand. Aus Sicht der schweizerischen Behörden schien es denn auch unerlässlich, dass eine allfällige Kontaktaufnahme mit den amerikanischen Behörden in enger Abstimmung mit der UBS und deren Anwälten geschehen müsste. Falls ein solcher Kontakt tatsächlich stattfinden sollte, wäre es Aufgabe der UBS, den US-Staatsanwalt im Vorfeld darüber zu informieren, damit eine Kontaktaufnahme von Seiten der schweizerischen Behörden nicht als eine Reaktion auf die amerikanische Subpoena-Drohung interpretiert werden könnte.

Die Vertreter der schweizerischen Behörden waren sich einig, dass eine Subpoena gegen die UBS ein politisches Problem darstellen würde. Sollte sich die Situation verschärfen, müsste die Sache von den schweizerischen Behörden unverzüglich neu beurteilt werden. Alexander Karrer, Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, die dem EFD unterstellt ist, wurde als zentrale Kontaktperson bestimmt.

502

Fishing Expedition: eine Suche nach Informationen, die als intrusiv erachtet wird, weil sie unspezifisch ist und keinen konkreten Beweis liefert, der die Aufhebung des im Schweizer Recht verankerten Schutzes der Privatsphäre der Kunden, d. h. des Bankgeheimnisses, rechtfertigen würde.

503 Eine Summe, die in Millionenhöhe gehen kann.

504 «Niemand darf wegen eines Kapitalverbrechens oder eines sonstigen schimpflichen Verbrechens zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn auf Grund eines Antrags oder einer Anklage durch eine Grand Jury. Hiervon ausgenommen sind Fälle, die sich bei den Land- oder Seestreitkräften oder bei der Miliz ereignen, wenn diese in Kriegszeiten oder bei öffentlichem Notstand im aktiven Dienst stehen. Niemand darf wegen derselben Straftat zweimal durch ein Verfahren in Gefahr des Leibes oder des Lebens gebracht werden. Niemand darf in einem Strafverfahren zur Aussage gegen sich selbst gezwungen noch des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetz beraubt werden. Privateigentum darf nicht ohne angemessene Entschädigung für öffentliche Zwecke eingezogen werden.».

3255

Botschafter Karrer informierte den Vorsteher des EFD in der Folge mündlich über die potenziellen Risiken in dieser Angelegenheit. Letzterer war bereits vom Vizedirektor der EBK am Rande eines Gesprächs über die Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS aufgeklärt worden. Im Laufe des Monats März 2008 wurde auch die Schweizer Botschaft in Washington über die amerikanischen Untersuchungen informiert, jedoch wurde ihr kein spezifisches Mandat erteilt. Die Botschaft stand im Übrigen in regelmässigem Kontakt mit dem Lobbybüro der UBS in Washington.

Die EBK hatte bereits im Dezember 2007 im Rahmen der Untersuchung der SEC zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS erste Kontakte mit der SEC gehabt.

Ausserdem waren die amerikanischen Untersuchungen zur UBS am 10. März 2008 in Washington anlässlich einer Geschäftsreise des Präsidenten der EBK zu einem High-Level-Meeting EBK-SEC zur Sprache gekommen.505 In dieser Sitzung hatte die EBK den Fall der UBS als eine für das Schweizer Bankgeheimnis besonders heikle Angelegenheit dargestellt. Auch hatte die EBK ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die US-Behörden von ihr forderten, der UBS amerikanisches Recht aufzuerlegen in einem Fall, in dem die entsprechenden Regelungen in der Schweiz diametral entgegengesetzt waren. Die EBK hatte für das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung plädiert und die SEC gebeten, den schweizerischen Brokern keine zu restriktiven Forderungen aufzuzwingen, da sie selbst den amerikanischen Brokern völlig freie Hand gewährte. Nach Ansicht der EBK verlangte die SEC von den schweizerischen Brokern zu viele Massnahmen, welche die EBK auf der Grundlage des Schweizer Rechts nicht durchsetzen konnte. Die EBK hatte der SEC trotz Meinungsverschiedenheiten ihren Kooperationswillen bekundet, dabei jedoch ihre Vorbehalte zum Ausdruck gebracht. Die Verantwortlichen der SEC ihrerseits beklagten sich über die Langsamkeit der Amtshilfeverfahren, worauf die EBK entgegnete, im Vergleich zu jenen der US-Behörden seien die schweizerischen in der Regel effizient. Ein erstes Amtshilfeersuchen der SEC an die EBK war am 17. März 2008 eingegangen. Auf Grundlage dieses Ersuchens hatte die EBK der SEC im April 2008 interne Unterlagen der UBS zukommen lassen (Art. 38 BEHG)506, ohne ihr jedoch Kundendaten zu übergeben. Eine solche
Übergabe war im Rahmen einer Amtshilfe der EBK nicht möglich.

Anfang März 2008 schlug das Permanent Subcommittee on Investigations of the Committee on Homeland Security and Government Affairs (PSI) des US-Senats vor, Anhörungen zur Problematik der Steuerflucht ins Fürstentum Liechtenstein, zur Bank Julius Bär und zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS-Kundenberater durchzuführen. Der US-Senat folgte damit einem allgemeinen internationalen Trend, der bereits die Regierungen von Grossbritannien, Italien, Frankreich, Spanien und Australien dazu veranlasst hatte, die Steuerparadiese, darunter die Schweiz, ins

505

Notiz der EBK vom 4.4.2008, «High-Level Meeting EBK-SEC, 10. März '08, Washington D.C.».

506 Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel vom 24.3.1995 (Börsengesetz; SR 954.1).

3256

Visier zu nehmen.507 Die deutschen Behörden z. B. hatten eine Untersuchung über die Bank LGT in Liechtenstein eingeleitet.

Das schweizerische Bankgeheimnis stand damals bereits unter starkem Druck.

Laut Aussagen des Vorstehers des EFD hatte er den Bundesrat an der Sitzung vom 9. April 2008 über die Angelegenheit der Steuerparadiese informiert. Tatsächlich hatte der demokratische Senator Carl Levin bereits am 2. Februar 2007 im US-Senat einen Gesetzesentwurf mit dem Namen Stop Tax Haven Abuse Act (Stoppt den Missbrauch von Steuerparadiesen) hinterlegt. Dieser Entwurf war nicht zuletzt von Barack Obama unterstützt worden. Ziel des Gesetzesentwurfs war es, schärfer gegen Steuerparadiese, insbesondere gegen die Nutzung von offshore Unternehmen zu Zwecken der Steuerflucht, vorzugehen. Die Schweiz war eines von 38 Ländern, gegen die der Entwurf gerichtet war.508 In besagter Sitzung vom April 2008 wurde der Bundesrat dagegen allem Anschein nach nicht über das grenzüberschreitende Geschäft der UBS in den USA und die damit verbundenen Probleme informiert.

Am 21. April 2008 wurde Martin Liechti vom DOJ während eines Transitaufenthalts in Florida verhaftet. Er war Head Wealth Management Americas International der UBS und damit nicht zuletzt verantwortlich für das grenzüberschreitende Geschäft der UBS. Martin Liechti wurde während vier Monaten als material witness (Tatsachenzeuge) festgehalten. Diese Verhaftung zwang die schweizerischen Behörden zu einer Reaktion.

3.3.2

Amtshilfegesuch der USA als Ziel: Arbeitsgruppe Karrer (21.4.2008 bis 29.8.2008)

3.3.2.1

Folgen der Verhaftung von Martin Liechti

Die Verhaftung eines Top-Managers der UBS, Martin Liechti, Head Wealth Management Americas International, kam für die schweizerischen Behörden, die am Tag danach von der Schweizer Botschaft in Washington informiert wurden, und die UBS völlig überraschend. Allerdings waren gemäss den Aussagen des Group General Counsel der UBS kurze Zeit zuvor bereits zwei Kundenberater vom DOJ bezüglich der Unrechtmässigkeit ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeiten in den USA gewarnt worden.509 Am Nachmittag des 22. April 2008, d.h. am Tag nach der Verhaftung von Martin Liechti, sandte der Leiter der Politischen Abteilung V der Politischen Direktion des EDA, der innerhalb des EDA auch für finanzielle und wirtschaftliche Angelegenhei507

Siehe z. B. HM Revenue & Customs Press Release, «Tax Commissioners battle against tax evasion,» No. Nat 09/08 (2/26/08); Agenzia Entrate media release, «Agenzia Entrate ha ricevuto informazione su italiani con depositi in Liechtenstein» (2/26/08); Ministère du Budget, des comptes publics et de la fonction publique, «Lutte contre la fraude et l'évasion fiscale» (2/26/08); La Agencia Tributaria media release, «La Agencia Tributaria analiza información sobre ciudadanos españoles incluidos en las cuentas y depósitos bancarios de Liechtenstein» (2/26/08); Australian Taxation Office Media Release, «Tax Commissioners battle against tax evasion,» No. 2008/08 (2/26/08).

508 Dieser Gesetzesentwurf wurde überarbeitet und am 2.3.2009 erneut dem Senat vorgelegt.

Die Schweiz ist immer noch in der Liste der 34 Länder ­ der so genannten Offshore Secrecy Jurisdictions ­, die amerikanische Steuerflucht begünstigen. www.levin.senate.gov 509 Protokoll der Anhörung von Markus Diethelm, Group General Counsel der UBS, durch die GPK vom 6.4.2008, S. 9.

3257

ten zuständig ist, einer Anzahl Vertreter der von der Angelegenheit betroffenen schweizerischen Behörden (EFV, EBK und BJ) eine E-Mail zu den jüngsten Ereignissen. In seiner E-Mail schlug er vor, den Schweizer Botschafter in Washington zu bitten, sich auf einen Amtsgang beim DOJ vorzubereiten ­ ein Vorstoss, für den er grünes Licht von der für die USA zuständigen Politischen Abteilung II der Politischen Direktion des EDA erhalten hatte. Letztere war bereits unterrichtet, dass die UBS für Martin Liechti konsularischen Schutz beantragen wollte und eine Intervention beim DOJ forderte. Der Leiter der Politischen Abteilung V informierte den Schweizer Botschafter in Washington anhand eines Dokuments, das den Kontext der Verhaftung analysierte510, über die aktuelle Situation in der Angelegenheit des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA. Ausserdem wurde eine offizielle Sprachregelung festgelegt. Am selben Tag waren auch der Direktor der EFV und die Generalsekretärin des EFD vom Sekretariat von Botschafter Alexander Karrer über die Verhaftung eines UBS-Mitarbeiters unterrichtet worden.

Am 25. April 2008 begab sich der stellvertrende Missionschef der Schweizer Botschaft in Washington ins DOJ zu Deputy Assistant Attorney General Bruce Swartz der Criminal Division. Er legte Swartz den von der Politischen Abteilung V vorbereiteten Standpunkt der Schweiz dar, der im Wesentlichen darin bestand, das Verständnis der schweizerischen Behörden für die amerikanischen Untersuchungen zu betonen, dabei jedoch gewisse Einwände der Schweiz gegenüber der Vorgehensweise der US-Behörden anzumelden. Tatsächlich hatte die UBS ­ nach Ansicht der schweizerischen Behörden ­ bedeutende Schritte unternommen, um mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten, doch nun ergriffen diese unilaterale Massnahmen, welche die Kooperation mit der Bank gefährdeten. Der Botschafter machte deutlich, dass es für Martin Liechti unmöglich war, Informationen über die amerikanischen Kunden der UBS herauszugeben, ohne dabei das schweizerische Recht ­ genauer gesagt das schweizerische Bankgeheimnis ­ zu verletzen. Daher bat der Botschafter das DOJ, seine Schritte zu überdenken und einen kooperativeren Ansatz zu wählen, insbesondere über das DBA und die internationale Rechtshilfe.511 Anfang Mai 2008 wurde der Whistleblower der UBS, Bradley Birkenfeld,
in Boston verhaftet. Somit hielten die US-Behörden im Mai 2008 mit ihm und Martin Liechti zwei Personen in ihrer Gewalt, die über die Funktionsweise des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA sehr genau Bescheid wussten.

Am 5. Mai 2008 kam es erneut zu einem Treffen zwischen der UBS und den schweizerischen Behörden. Der Head Litigation Corporate Center der UBS, begleitet von zwei UBS-Vertretern, traf sich mit dem Vizedirektor der EBK, der ebenfalls von einer Mitarbeiterin begleitet wurde, und dem für die Politische Abteilung V zuständigen Botschafter des EDA. Bei dieser Sitzung wurde die Möglichkeit, über den Weg der Amtshilfe Kundendaten zu übergeben, eingehender besprochen. Im Anschluss an dieses Gespräch bekundete die UBS ihre Absicht, mit der ESTV Kontakt aufzunehmen.512 In der Zwischenzeit hatte die internationale Presse das Thema aufgegriffen. Die Financial Times veröffentlichte einen Artikel zur Verhaftung von Martin Liechti513,

510 511 512 513

Background-Paper E-Mail vom 22.4.2008, EDA, Dok. 3 des Führungsdossiers des EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Financial Times Europe, 7.5.2008, «Top UBS banker detained by US».

3258

was die schweizerischen Behörden, genauer gesagt das EDA, dazu bewegte, ihre offizielle Sprachregelung am 7. Mai 2008 neu zu formulieren.514 Die Führungskräfte der UBS zeigten sich zunehmend besorgt über die Lage und stuften das Risiko von Flügen in die USA ­ insbesondere für Marcel Rohner, den CEO der UBS ­ als hoch ein. Um die Gefahr zu entschärfen, hatte sich der für die Politische Abteilung V zuständige Botschafter an Alexander Karrer gewandt und diesen gebeten, bei seinen Gesprächspartnern beim DOJ die nötigen Schritte zu unternehmen, um eine rasche Rückkehr von Martin Liechti zu erreichen und eine schriftliche Garantie zu erhalten, die es den UBS-Führungskräften erlauben würde, ohne Schwierigkeiten in die USA zu reisen.515

3.3.2.2

Beginn der Verhandlungen zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden

Am 9. Mai 2008 nahm der stellvertretende Missionschef der Schweizer Botschaft in den USA mit Bruce Swartz vom Dienst für internationale Angelegenheiten der Criminal Division des DOJ Kontakt auf. Der amerikanische Staatsanwalt wollte so rasch wie möglich ein erstes Treffen mit Schweizer Experten für Bank-, Steuer- und Rechtsfragen anberaumen, denn er beabsichtigte, seinen Standpunkt sehr bald schon seinen Kollegen vom DOJ und anderen US-Behörden zu unterbreiten. Er betonte die Ungewöhnlichkeit dieses Falls, in den die UBS und ihre Führungskräfte verwickelt waren. Die US-Behörden sahen sich laut Swartz mit einem Verhalten konfrontiert, das innerhalb der UBS auf US-Boden die Regel war und das gegen das Abkommen zwischen dem IRS und der UBS, d. h. gegen das QIA, verstiess. Bruce Swartz gab ausserdem zu verstehen, dass er nicht in das Verfahren gegen Martin Liechti eingreifen konnte. Abschliessend meinte er, er werde mit der ESTV Kontakt aufnehmen, denn er wünsche eine kreative Lösung.516 517 Am selben Tag rief der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV zuerst den Head Litigation Corporate Center der UBS und dann Bruce Swartz, den Staatsanwalt des DOJ, an. Während dieses zweiten Telefongesprächs, das 30 Minuten dauerte, präsentierte Bruce Swartz einen allgemeinen Überblick über die Problematik, insbesondere die Verstösse gegen das QIA und die Einrichtung von offshore Unternehmen zwecks Steuerflucht. Er gab ebenfalls zu verstehen, dass die UBS über die inkriminierten Handlungen Bescheid wisse und die schweizerischen Behörden selbst unterrichten könne. Der amerikanische Staatsanwalt war in erster Linie daran interessiert, eine gemeinsame Untersuchung518 einzuleiten und durch eine Lockerung des Bankgeheimnisses an Informationen zu gelangen. Das Telefongespräch weckte beim Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV den Verdacht, dass

514 515 516 517 518

E-Mail vom 7.5.2008, EFV, Dok. 5 des Führungsdossiers EFD.

E-Mail vom 8.5.2008, EDA, Dok. 7 des Führungsdossiers EFD.

«We need creative solutions».

E-Mail vom 9.5.2008, EDA, Dok. 7 des Führungsdossiers EFD.

Joint-investigation

3259

er es mit einer Fishing Expedition519 zu tun hatte. Das Ausmass des Problems deutete darauf hin, dass es sich für das DOJ nicht um einen isolierten Betrugsfall handelte, sondern um ein regelrechtes Schema für Steuerbetrug, ein scheme to defraud.

Ein weiteres Telefongespräch zwischen dem DOJ und der ESTV war für den 14. Mai 2008 vorgesehen.

Am 10. Mai 2008 schlug der Vizedirektor der EBK ­ in Aussicht von Verhandlungen mit den US-Behörden, vor allem mit dem DOJ ­ eine Lösung vor, die er auf Grundlage eines Gesprächs des Leiters der Abteilung für Internationales der ESTV mit Bruce Swartz entwickelt hatte. Der Lösungsvorschlag enthielt folgende Punkte: 1.

Die UBS unterstützt das DOJ, damit dieses ein Amtshilfegesuch einreichen kann.

2.

Dieses Gesuch beschränkt sich auf die Handlungen der UBS und jene ihrer Kunden, die ­ laut UBS ­ in ihren Meldeformularen für den IRS falsche Angaben gemacht haben.

3.

Die UBS stellt eventuell ein externes Anwaltsbüro an, das überprüft und bestätigt, dass die UBS wirklich alle Kunden, die falsche Angaben gemacht haben, gemeldet hat.

4.

Auf Grundlage des Amtshilfegesuchs des DOJ leitet die ESTV so rasch wie möglich die nötigen Schritte ein und übergibt (nach Abschluss eventueller Beschwerdeverfahren) dem IRS die Kundendaten.

5.

Die UBS präsentiert so bald wie möglich die Ergebnisse ihrer vom Anwaltsbüro WLRK durchgeführten Untersuchung, jedoch ohne dabei Kundendaten zu übermitteln.

6.

Im Gegenzug verzichtet das DOJ während der Dauer des Amtshilfegesuchs darauf, unilaterale Zwangsmassnahmen gegen die UBS oder deren Mitarbeiter zu ergreifen.

Der Vizedirektor der EBK meinte abschliessend, er wisse nicht, ob nach Ansicht der ESTV eine solche Lösung in Erwägung gezogen werden könne.520 Am 12. Mai 2008 wurden die Vertreter der betroffenen schweizerischen Behörden von der UBS über den Inhalt der problematischen Kundendossiers informiert, insbesondere jener mit offshore Strukturen, d. h. der Fälle, in denen Verdacht auf Steuerbetrug nahe lag.

Am 13. Mai 2008 waren mehrere neue Entwicklungen zu verzeichnen: Erstens kam es zu einem Gespräch zwischen dem Vorsteher des EFD und dem Präsidenten der EBK über die jüngsten Geschehnisse in den USA. Dabei wurde deutlich, dass die weiteren Entwicklungen in der Angelegenheit scharf im Auge behalten werden mussten. Das EFD wollte sich fortan um die Koordination der Aktivitäten kümmern.521 Zweitens trafen sich die Vertreter der schweizerischen Behörden (EBK, EDA, ESTV, EFV) mit den UBS-Vertretern. Diese hoben insbesondere hervor, dass 519

Fishing Expedition: Es handelt sich um eine «Fischfangexpedition», bei der breitflächig nach Informationen gefahndet wird, um potenziellen Steuerbetrügern auf die Spur zu kommen. Dabei werden z. B. Informationen über Personen eingeholt, ohne dass die Details der Untersuchung oder die genaue Ursache der Nachforschungen bekannt gegeben werden.

520 E-Mail vom 10.5.2008, CFB, Dok. 8 des Führungsdossiers EFD.

521 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3260

laut der Untersuchung von WLRK eine bedeutende Anzahl offshore Strukturen als Scheingesellschaften zwischen der Bank und den amerikanischen Berechtigten zwischengeschaltet worden waren. Es wurden Problemfelder umrissen und mögliche Lösungsansätze (besonders im Bereich der Kommunikation und Informationsübermittlung) diskutiert. Die EBK forderte von der Bank Einsicht in die Dossiers zu den offshore Strukturen. Drittens schliesslich erklärte die US-Justizbehörde an diesem Tag in einer Medienmitteilung, dass der Staatsanwalt Floridas (Southern District), die Tax Division des DOJ und die Criminal Investigation Division des IRS den ehemaligen Kundenberater Bradley Birkenfeld sowie einen weiteren Kundenberater der Liechtensteiner Bank LGT wegen Beihilfe zur Steuerflucht eines amerikanischen Milliardärs in der Höhe von 200 Millionen Dollar unter Anklage stellten.522 Die EFV präsentierte in der Sitzung vom 13. Mai 2008 eine Analyse der institutionellen und politischen Zwänge, denen das DOJ und der IRS unterworfen waren. Es wurden deren vier genannt:523 1.

Die in den USA geltende Verjährungsfrist schreibt vor, dass ein Verfahren binnen sechs Jahren nach Einreichung der Steuererklärung abgeschlossen sein muss. Folglich konnten 2008 die Steuererklärungen des Jahres 2002 für den Zeitraum 2000-2001 nicht mehr Gegenstand einer Strafverfolgung sein.

2.

Die Verstösse gegen das QIA waren für die US-Behörden um so schwerer, als die verwendeten finanziellen Strukturen ihre Erkennung zum Zeitpunkt des ersten vom QIA vorgesehenen Audits unmöglich machten, denn diese Strukturen waren präzise darauf angelegt, die Schwachpunkte des QI-Systems auszunutzen und alle Spuren eines Verstosses zu verwischen.

3.

Die Regierung sah sich dem wachsenden Interesse des US-Kongresses, insbesondere des Senators Carl Levin, Präsident der ständigen Untersuchungssubkommission des Senats524, ausgesetzt. Diese Subkommission verfügte über ein breites Mandat zur Untersuchung von Funktionsstörungen in der amerikanischen Regierung. Senator Levin soll angeblich mit Bradley Birkenfeld, der Anfang Mai verhaftet worden war, in Kontakt getreten sein.

4.

Die Verbindung mit den US-Präsidentschaftswahlen von 2008 lag ebenfalls auf der Hand. Tatsächlich war der Senator und Präsidentschaftskandidat Barack Obama zusammen mit Senator Levin Mitverfasser eines Gesetzesentwurfs, der direkt gegen Steuerparadiese vorgehen wollte. Auch würde die Neuernennung der Political appointees (von Politikern ernannte Personen) die Spannungen zweifellos noch verstärken, denn sie würde die Verfahren der Obhut und dem Gutdünken von ständigen Beamten überlassen, die ­ so die amerikanischen Anwälte der UBS ­ oft weniger kulant waren. Kevin Downing, Senior Attorney des DOJ, war einer dieser ständigen Beamten, die bei der Neuernennung der Political appointees mehr Entscheidungsspielraum haben würden.

Laut IRS hatte die UBS ihre im Rahmen des QI-Systems stipulierten Verpflichtungen nicht eingehalten. Deshalb schickte der IRS der UBS am 15. Mai 2008 einen

522

www.justice.gov Press Release: «Foreign bankers charged with aiding american billionaire evade income tax on $200 million.», 13.4.2010.

523 E-Mail vom 14.5.2008, EDA, Dok. 11 des Führungsdossiers EFD.

524 Permanent Subcommittee on Investigations

3261

Brief525, auf den die Bank binnen 60 Tagen, d. h. bis zum 14. Juli 2008, antworten musste. Die Antwort sollte einen Lösungsvorschlag für die inkriminierten Verstösse sowie einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Lösung enthalten, oder gegebenenfalls erklären, aus welchen Gründen die UBS die Anschuldigungen des IRS zurückwies.

3.3.2.3

Schaffung der Arbeitsgruppe Karrer

Am 16. Mai 2008 berief der Vorsteher des EFD eine neue Arbeitsgruppe ein.526 Sie stand unter der Leitung von Botschafter Alexander Karrer der EFV, der direkt dem Vorsteher des EFD Bericht erstattete.527 Die anderen Mitglieder dieser Arbeitsgruppe waren: der stellvertretende Direktor des BJ (EJPD), ebenfalls zuständig für den Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe, der Vizedirektor und Leiter der Abteilung Internationales der ESTV (EFD), der Leiter der Politischen Abteilung V der Politischen Direktion (EDA), der Staatsanwalt des Bundes und Leiter des Ressorts Internationale Rechtshilfe der Bundesanwaltschaft (BA) und der Leiter des Rechtsdiensts und Vizedirektor der EBK.

Der Vorsteher des EFD hatte dieser Arbeitsgruppe kein formelles Mandat erteilt.

In ihrer ersten Sitzung am 16. Mai 2008 entwarf die Arbeitsgruppe folgende Strategie: Die EBK liefert der SEC im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens Bankunterlagen für alle Daten ausser Kundendaten. Die SEC übermittelt die Daten dem DOJ.

Für die Bankdaten amerikanischer Kunden ­ unter dem Vorbehalt, dass der IRS ein Amtshilfegesuch einreicht ­ liegt die Zuständigkeit für das Verfahren bei der ESTV.

Die Arbeitsgruppe Karrer wies den Schweizer Botschafter in den USA an, beim DOJ vorzusprechen und die Zusammenarbeit der schweizerischen Behörden auf Basis des DBA und im Rahmen des schweizerischen Rechtsrahmens anzubieten.

Der Botschafter sollte in Erinnerung rufen, dass unilaterale Massnahmen des DOJ gegen die UBS nicht im Interesse der beiden Länder lagen. Zusätzlich zu diesen Anweisungen erhielt der Botschafter Hintergrundinformationen, in denen die potenziellen politischen Risiken im Falle einer Eskalation der Angelegenheit aufgelistet wurden, u. a.: Forderung einer Neuverhandlung des DBA und Bildung einer Koalition der G7 oder der OECD gegen das schweizerische Bankgeheimnis.

Entsprechend dieser Anweisungen sprach der Schweizer Botschafter in den USA beim DOJ vor. Begleitet vom Leiter des Wirtschafts- und Finanzdienstes der Botschaft traf er sich mit drei Vertretern des DOJ: Kevin O'Connor, Associate Attorney General528, John Marella, Deputy Assistant Attorney General von der Tax Division, und Bruce Swartz, Deputy Assistant Attorney General, zuständig für Internationale Angelegenheiten von der Criminal Division. Kevin O'Connor sah ein, dass eine Subpoena gegen die UBS die Zusammenarbeit mit den schweizerischen Behörden 525 526

Default Letter Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Direktors des BJ durch die GPK vom 27.11.2009, S. 4, und Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer, Leiter der Abteilung für Internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, durch die GPK vom 11.2008, S. 4.

527 Dito, S. 4.

528 Der Associate Attorney General ist die drittwichtigste Person in der Hierarachie des DOJ.

Er berät direkt den Attorney General (Justizminister). Sein Büro beaufsichtigt u. a. die Tax Division.

3262

gefährden würde, und gab zu verstehen, dass ein solcher Schritt zurzeit nicht zur Diskussion stehe. Er wünschte aber eine baldige Kontaktaufnahme mit den zuständigen schweizerischen Behörden zum Zweck eines breiten Informationsaustausches zur aktuellen Lage der grenzüberschreitenden Tätigkeiten der UBS. Bruce Swartz ging davon aus, dass ein normales Amtshilfeverfahren nicht zum Ziel der US-Behörden, d. h. dem Erhalt von Kundendaten, führen konnte. Gleichzeitig war er sich bewusst, dass die schweizerischen Behörden keine Kundendaten übergeben würden, sofern im Amtshilfegesuch nicht spezifische Namen genannt wurden. Deshalb war das DOJ sehr daran interessiert, mit den schweizerischen Behörden eine gemeinsame Untersuchung durchzuführen, um zu beweisen, dass die UBS sich der systematischen Komplizenschaft in Betrugs- und Steuerfluchtsystemen schuldig gemacht hatte.

Der Botschafter fügte in seiner Mitteilung an die Arbeitsgruppe Karrer529 hinzu, dass eine Amtshilfe auf Grundlage des DBA ebenfalls problematisch sein könnte, denn in diesem Fall wäre die von der Amtshilfe profitierende US-Behörde der IRS und nicht das DOJ. Er bemerkte weiter, dass der Kontext aufgrund von Auseinandersetzungen zum Steuerdefizit zwischen dem amerikanischen Kongress und dem Weissen Haus sehr angespannt war. Die Verfahren gegen Steuerflucht waren wahrscheinlich eine Konsequenz dieser US-internen politischen Spannungen.

Am 21. Mai 2008 sandte Alexander Karrer dem Vorsteher des EFD eine vierseitige Notiz, um diesen über die Angelegenheit des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS ins Bild zu setzen.530 Darin aufgeführt waren sämtliche den schweizerischen Behörden bekannten Informationen: der Stand der Untersuchungen in den USA, die Möglichkeit einer politischen Eskalation und ihre Auswirkungen auf die Schweiz, die politischen und institutionellen Aspekte in den USA, die Unterrichtung der schweizerischen Behörden und ihre Reaktion. Auch die offizielle Kommunikationspolitik wurde erwähnt, sowie die von der Arbeitsgruppe Karrer beschlossene weitere Vorgehensweise. Diese enthielt zwei wesentliche Punkte: Erstens sollte der Vorsteher des EFD auf Grundlage der Notiz von Alexander Karrer den Bundesrat in seiner Sitzung vom 21. Mai 2008 über die Untersuchungen der US-Behörden ins Bild setzen (die GPK verfügen jedoch über keine
Information, die bestätigen würde, dass der Vorsteher des EFD den Bundesrat tatsächlich informierte). Zweitens wären die schweizerischen Behörden bereit, über eine Amtshilfe mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten, aber bislang sei noch kein Gesuch von Seiten der USA eingegangen. Die Arbeitsgruppe Karrer kam am selben Tag zusammen, um die Lage zu besprechen. Dabei ergab sich u. a., dass in Gesprächen mit der UBS betrügerisches Verhalten innerhalb der Bank bestätigt worden war. Die Arbeitsgruppe verfeinerte zudem ihre Analyse der weiteren Vorgehensweise. Mehrere Optionen kamen zur Sprache, darunter insbesondere531:

529 530 531

1.

Option 1: Die UBS schreibt den betroffenen Kunden, um deren Erlaubnis zur Aufhebung des Bankgeheimnisses einzuholen. In diesem Fall könnte die UBS die amerikanischen Steuerbehörden legal informieren.

2.

Option 2: Die UBS oder die schweizerischen Behörden reichen bei den schweizerischen Strafbehörden Strafanzeige gegen verschiedene Mitarbeiter und den Whistleblower Bradley Birkenfeld wegen Verletzung des schweize-

Notiz vom 19.5.2008, EDA, Dok. 14 des Führungsdossiers EFD.

Notiz vom 21.5.2008, EFV, Dok. 16 des Führungsdossiers EFD.

Notiz vom 21.5.2008, Arbeitsgruppe, Dok. 17 des Führungsdossiers EFD.

3263

rischen Bankgeheimnisses und anderen Fälschungsdelikten ein. Anschliessend würden die betroffenen Kundendaten (laut UBS zwischen 100 und 200) über die Amtshilfe und gemäss Artikel 67 Absatz 2 Buchstabe a IRSG532 übergeben.

3.

Option 2a: Einleitung einer Strafuntersuchung durch die UBS wegen Urkundenfälschung.

4.

Option 3: Die US-Behörden reichen auf Grundlage des DBA bei der ESTV ein Amtshilfegesuch ein, wahrscheinlich ohne die Namen der betroffenen Kunden zu nennen. Die ESTV prüft das Gesuch und identifiziert die betroffenen Kunden. Sie beschliesst, die Daten der Kunden zu übermitteln, wobei Letztere beim BVGer Beschwerde einreichen können. Zu dieser Option stellte die Arbeitsgruppe Karrer vertiefte Überlegungen an.533

5.

Option 4: Untersuchung durch die EBK.

Die Arbeitsgruppe Karrer plante im Übrigen eine Reise nach Washington, um sich mit den US-Behörden zu treffen.

3.3.2.4

Die Option einer gemeinsamen Untersuchung von EBK und DOJ

Am 22. Mai 2008 traf sich die Arbeitsgruppe Karrer mit Vertretern der ESTV. Dabei wurde der offizielle Standpunkt in Bezug auf die Amtshilfe und die Forderung der US-Behörden, eine gemeinsame Untersuchung mit den schweizerischen Behörden zu eröffnen, diskutiert. Es wurde festgehalten, dass die Zusammenarbeit über die Amtshilfe im Rahmen des DBA geschehen müsse. Gleichzeitig wurde eine offizielle Position zum amerikanischen Vorschlag einer gemeinsamen Untersuchung festgelegt: Es sollte geltend gemacht werden, dass im Rahmen der internationalen Rechtshilfe zwischen der Schweiz und den USA die rechtlichen Grundlagen für eine gemeinsame Untersuchung nicht gegeben wären.534 Am 23. Mai 2008, d. h. ungefähr zwei Monate nachdem die EBK von der UBS über die drei amerikanischen Untersuchungen informiert worden war, eröffnete sie ihre eigene aufsichtsrechtliche Untersuchung.

532

Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.3.1981 (Rechtshilfegesetz; SR 351.1).

533 Dabei kam Folgendes zur Sprache: Die Frage, ob das BVGer die Übergabe von Kundendaten gutheissen würde oder nicht, blieb offen. Falls dies der einzige Weg wäre und das BVGer einen Nichteintretensentscheid fällen würde, müsste mit einer Revision des DBA gerechnet werden, im Sinne von Art. 26 des OECD-Musterabkommens, das für Steuerfälle einen automatischen Informationsaustausch vorsieht. Damit wäre in Zukunft die Rechtshilfe auch in Steuerfluchtsfällen möglich. Die Europäische Union würde von der Schweiz die gleichen Bedingungen verlangen. Dies würde das Ende des schweizerischen Bankgeheimnisses bedeuten, und die Spielregeln des Finanzstandorts Schweiz würden grundlegend geändert.

534 «Sprachregelung zur Forderung nach einer gemeinsamen Untersuchung» vom 22.5.2008, BJ, Dok. 20 des Führungsdossiers EFD.

3264

Dabei standen vier Fragen im Vordergrund: a)

Hat die UBS aktive Beihilfe zum Steuerbetrug geleistet?

b)

Hat die UBS in ihrer Rolle als QI der US-Steuerbehörde falsche Informationen übermittelt?

c)

Ist das QIA verletzt worden?

d)

Wie ging die Bank mit dem rechtlichen Aspekt und dem Reputationsrisiko um?535

Die Untersuchung der EBK beschäftigte fünf Personen während sieben Monaten.

Die schweizerischen Behörden bereiteten sich derweilen auf die für den 23. Mai 2008 anberaumte Videokonferenz mit dem DOJ vor. Der offizielle Standpunkt der Schweiz umfasste drei Punkte: Erstens unterstützten die schweizerischen Behörden die Absicht der UBS, die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung direkt und unverzüglich an die US-Behörden weiterzuleiten ­ vorausgesetzt, dass das schweizerische Recht respektiert wurde. Zweitens hatte die EBK ihre eigene Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS eröffnet. Und drittens war die ESTV bereit, ein Amtshilfegesuch auf Grundlage des DBA umgehend zu behandeln. Dabei musste allerdings auch die unter Umständen nötige Frist für ein Beschwerdeverfahren beim BVGer berücksichtigt werden.536 An der Videokonferenz vom 23. Mai 2008 beteiligten sich auf amerikanischer Seite Bruce Swartz und John Marella für das DOJ, auf Schweizer Seite Alexander Karrer, der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV, ein Vertreter der EFV sowie ein Vertreter der Schweizer Botschaft in Washington. Die Konferenz erlaubte einen Austausch der offiziellen Standpunkte. Für das DOJ war die Angelegenheit des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA eine Verschwörung zur Hintergehung des amerikanischen Rechts.537 Die amerikanischen Staatsanwälte behaupteten, bereits über genügend Beweise für eine Verschwörung der UBS zu verfügen und somit keine Amtshilfe in Anspruch nehmen zu wollen, da diese sie ihrem Ziel nicht näher bringen würde. Das DOJ war vielmehr an einer gemeinsamen Untersuchung interessiert, und seiner Ansicht nach war es angesichts der Bedeutung des Falls ganz im Interesse der schweizerischen Behörden, eine Strafuntersuchung einzuleiten.538 Ende Mai 2008 begann man sich bei den schweizerischen Behörden über die rechtlichen Optionen einer mit den US-Behörden gemeinsam geführten Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA Gedanken zu machen. Die UBS hatte dem Leiter der Arbeitsgruppe, Alexander Karrer, sogar ein von einem Schweizer Anwaltsbüro erstelltes Memorandum zu den rechtlichen Optionen einer solchen Untersuchung übergeben. Im Memorandum wurde vorgeschlagen, im Ein-

535

Bericht der EBK vom 17.12.2008 «Zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS», S. 25.

536 E-Mail vom 22.5.2008, EFV, Dok. 22 des Führungsdossiers EFD.

537 Conspiracy to defraud U.S. Law 538 Kurznotiz vom 23.5.2008, EFV, Dok. 24 des Führungsdossiers EFD.

3265

klang mit Artikel 271 des Schweizerischen Strafgesetzbuches539 eine Bewilligung für Untersuchungshandlungen zugunsten der USA zu erteilen, um auf diesem Weg eine Herausgabe von Kundendaten zu ermöglichen. Dabei wurde erwogen, allenfalls US-Beamten zu ermöglichen, auf Schweizer Staatsgebiet eine Untersuchung durchzuführen, was eine Bewilligung des Bundesrats voraussetzte.540 Nach Ansicht der Arbeitsgruppe Karrer hatte die UBS bereits ihre Lobby mobilisiert, um eine solche Lösung voranzutreiben.541 In der Folge bat der Leiter der Arbeitsgruppe die BA und das BJ um rechtliche Gutachten zu dieser Frage.542 Am 28. Mai 2008 stellte die UBS der EBK ihren Untersuchungsplan, den Status der Untersuchung und die Governance betreffend die Untersuchung im Detail vor.543 Am 30. Mai 2008 fand eine weitere Videokonferenz mit dem DOJ statt, in welcher der offizielle Schweizer Standpunkt in drei Punkten erneut dargelegt wurde. Alexander Karrer zeigte sich bereit, über Zusammenarbeitsoptionen zu diskutieren, bat jedoch um detailliertere Angaben zur Untersuchung des DOJ und den Informationen, die dieses von den schweizerischen Behörden zu erhalten wünschte.544 Das DOJ bezichtigte die UBS, in einen Betrugsplan verwickelt zu sein, der hunderte, ja nahezu tausend Konten betraf. Die UBS hatte dem DOJ bereits mitgeteilt, dass bislang 251 an einem Steuerbetrug beteiligte Konten von der Bank identifiziert worden waren. Kevin Downing schätzte die illegalen Fonds in der UBS-Vermögensverwaltung auf ungefähr zwanzig Milliarden Dollar. Laut Downing war das DOJ seit August 2007 in Kontakt mit der UBS. Das Bankgeheimnis durfte seiner Ansicht nach der Übergabe von Kundendaten nicht im Wege stehen. Amts- und Rechtshilfe interessierten ihn nicht ­ diese Verfahren seien zu komplex und zu zeitaufwändig. Trotzdem werde das DOJ in absehbarer Zukunft ein Amts- oder Rechtshilfegesuch einreichen, auch wenn es über keine konkreten Namen verfügte.

Der Leiter der Arbeitsgruppe betonte seinerseits die Möglichkeit, über die Amtshilfe bei der ESTV Kundendaten zu erhalten. Aufgrund dieses Gesprächs kam Alexander Karrer zum Schluss, dass das Vertrauen des DOJ in die schweizerischen Behörden gering war und ein Treffen unter Umständen förderlich wäre.545 In der Notiz der EFV vom 2. Juni 2008546 über die Videokonferenz vom 30. Mai 2008 schrieb Alexander
Karrer, «das DOJ werde bis auf weiteres keine Subpoena aussprechen, eine solche bleibe aber eine Option. Die Schweiz würde jedoch vorher gewarnt werden. Das DOJ gibt auch zu verstehen, dass der Verzicht auf Subpoena im jetzigen Zeitpunkt eine Selbstrestriktion darstelle und eine direkte Folge der Intervention vom schweizerischen Botschafter in den Vereinigten Staaten beim Deputy Attorney General ist.» 539

540 541 542 543 544 545 546

Nach Art. 271 StGB sind Untersuchungshandlungen ausländischer Behördenvertreter in der Schweiz nicht strafbar, wenn die Schweiz dafür eine Bewilligung erteilt: «Wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen, wer solche Handlungen für eine ausländische Partei oder eine andere Organisation des Auslandes vornimmt, wer solchen Handlungen Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, in schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.» E-Mail vom 30.5.2008, UBS, Dok. 30 des Führungsdossiers EFD.

E-Mail vom 30.5.2008, EFV, Dok. 31 des Führungsdossiers EFD.

Dito.

Schriftliche Antworten der UBS vom 21.4.2010 auf einen Fragenkatalog der GPK.

E-Mail vom 30.5.2008, EFV, Dok. 32 des Führungsdossiers EFD.

Notiz vom 2.6.2008, EFV, Dok. 37 des Führungsdossiers EFD.

Dito.

3266

Am 2. Juni 2008 unterbreitete das BJ seine Stellungnahme zur Anwendung von Artikel 271 StGB.547 In seinen Schlussfolgerungen riet das BJ den schweizerischen Behörden davon ab, sich von der gängigen Praxis zu entfernen und US-Beamten oder der UBS eine Bewilligung zu erteilen. Es fügte ausserdem hinzu, dass Sanktionen zu erheben seien, falls die Bank versuchen sollte, den US-Behörden zu helfen, ohne vorher eine Bewilligung der schweizerischen Behörden eingeholt zu haben.

Am gleichen Tag legte auch die BA eine Notiz zur Anwendung von Artikel 271 StGB vor.548 Sie war zum Schluss gekommen, dass das EJPD möglicherweise auf Grundlage von Artikel 31 Absatz 1 RVOV549 eine Bewilligung erteilen könnte. Eine solche Bewilligung wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Rechtshilfe sich als unmöglich erweisen sollte. Ausserdem müsste angesichts der Bedeutung des Falls auch Artikel 31 Absatz 2 RVOV berücksichtigt werden. Dieser Artikel verlangt, dass Fälle von politischer oder anderer grundsätzlicher Bedeutung dem Bundesrat zu unterbreiten sind. Die BA bezeichnete eine solche Bewilligung als ganz und gar aussergewöhnlich und sehr selten.

Am 6. Juni 2008 meldete sich der UBS-Verwaltungsratspräsident Peter Kurer telefonisch bei Alexander Karrer zu einem Gedankenaustausch. Die UBS verfolgte ein zweifaches Ziel: Erstens, die Rückkehr von Martin Liechti in die Schweiz zu ermöglichen, und zweitens, zu verhindern, dass die Medien die Angelegenheit aufgriffen.

Hinsichtlich der Anwendung von Artikel 271 Absatz 1 StGB teilte Alexander Karrer Peter Kurer mit, dass dies für die schweizerischen Behörden keine akzeptable Lösung darstelle. Trotzdem bestand Peter Kurer darauf, an dieser Lösung als letztem Ausweg festzuhalten. Die schweizerischen Behörden ihrerseits wollten den Weg der Rechts- oder Amtshilfe weiterverfolgen.550 Am 5. Juni 2008 nahm die für das Dossier zuständige Person im Office of International Affairs der Criminal Division des DOJ direkten Kontakt mit einem stellvertretenden Bundesanwalt der BA auf. Dieser präsentierte den Standpunkt der Schweiz und die verschiedenen Optionen, die zu diesem Zeitpunkt offen zu sein schienen.551 In einem Brief vom 9. Juni 2008 an das DOJ erläuterte die UBS ausführlich, wie der IRS ein wirksames Amtshilfegesuch unter dem DBA formulieren könnte, das ihnen Zugriff auf die Fälle der «geschwärzten Dossiers» gewähren würde.552

547 548 549

550 551 552

Stellungnahme des BJ zum Lösungsvorschlag einer Bewilligung nach Art. 271 StGB vom 2.6.2008, BJ, Dok. 35 des Führungsdossiers EFD.

Aktennotiz zu Art. 271 StGB vom 30.5.2008, BA, Dok. 36 des Führungsdossiers EFD.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998, SR 172.010.1; Art. 31 Abs. 1 RVOV lautet: «Die Departemente und die Bundeskanzlei entscheiden in ihrem Bereich über Bewilligungen nach Artikel 271 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches zur Vornahme von Handlungen für einen fremden Staat.».

E-Mail vom 6.6.2008, EFV, Dok. 38 des Führungsdossiers EFD.

Aktennotiz vom 9.6.2008, BA, Dok. 39 des Führungsdossiers EFD.

Dokument der UBS an die GPK vom 13.4.2010. Gemäss Markus Diethelm, Group General Counsel der UBS, hatte die Bank geschwärzte Dossiers mit Bezug auf Konten vorbereitet, die auf den ersten Blick den im DBA genannten Standard des begründeten Verdachts von «Steuerbetrug und dergleichen» zu erfüllen schienen.

3267

3.3.2.5

Rechtshilfegesuch

Am 10. Juni 2008 reichte das DOJ beim BJ ein Rechtshilfegesuch ein. Das Gesuch war vorerst unvollständig, und die zehn angekündigten Ordner waren noch nicht beim BJ eingetroffen. Das Gesuch erwies sich zudem als problematisch, da keine Namen genannt, sondern nur Betrugsstrukturen beschrieben wurden. Auch gilt nach Artikel 3 Absatz 3 IRSG ein Ersuchen als unzulässig, wenn eine Tat Gegenstand des Verfahrens ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt. Jedoch kann einem Ersuchen um Rechtshilfe nach dem dritten Teil dieses Gesetzes entsprochen werden, wenn ein Abgabebetrug Gegenstand des Verfahrens ist. Wie das BJ bemerkte, ist «Abgabebetrug» für die schweizerischen Behörden sehr eng definiert.553 Angesichts der neuen Entwicklungen untersuchte die Arbeitsgruppe die Lage am 13. Juni 2008 von neuem. Die US-Behörden hatten, entgegen dem ihnen in der Videokonferenz vom 30. Mai erteilten Ratschlag, den im DBA vorgesehenen Weg der Amtshilfe zu beschreiten, ein Rechtshilfegesuch eingereicht. Ein Rechtshilfeverfahren dauert in der Regel länger als ein Amtshilfeverfahren, da es zwei Instanzen vorsieht, während die Amtshilfe nur eine aufweist. Am selben Tag rief das BJ das DOJ an, um ihm die Vorteile des Amtshilfeverfahrens darzulegen.554

3.3.2.6

Eine Schweizer Delegation in Washington

In Anbetracht der Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den amerikanischen und schweizerischen Behörden und der Drohungen des DOJ, unilaterale Massnahmen zu ergreifen, reiste eine schweizerische Delegation vom 19. bis 20. Juni 2008 nach Washington mit der Absicht, die Kommunikationsprobleme zu beheben. Die Delegation war von der Vorsteherin des EJPD entsandt worden. Sie wurde vom stellvertretenden Direktor des BJ, der auch für den Direktionsbereich internationale Rechtshilfe zuständig ist, geleitet. Ziel der Reise war es, den amerikanischen Behörden die möglichen Kanäle für den Informationsaustausch zu erklären und die Vorzüge eines Amtshilfeverfahrens gegenüber einem Rechtshilfeverfahren darzulegen.

Das DOJ zeigte sich in der Folge bereit, zwei dieser Kanäle zu nutzen: ­

den Kanal der Amtshilfe über die ESTV auf Grundlage des DBA, um Kundendaten zu erhalten,

­

den Kanal der Amtshilfe über die EBK, um bankinterne Informationen zu erhalten.

Im Anschluss an diese Reise erstellte der Vizedirektor der EBK unter Berücksichtigung der Standpunkte der verschiedenen Akteure eine Analyse der Situation.555 Die zentralen Punkte dieser Bestandesaufnahme waren folgende: 1.

553 554 555

Das DOJ ist bereit, während der Dauer der vereinbarten Zusammenarbeit auf unilaterale Zwangsmassnahmen zu verzichten.

E-Mail vom 11.6.2008, BJ, Dok. 42 des Führungsdossiers EFD.

Notiz vom 13.6.2008, EFV, Dok. 45 des Führungsdossiers EFD.

Notiz vom 22.6.2008 «UBS x border ­ Treffen zwischen Vertretern Schweizer und US-Behörden vom 19.6.2008 in Washington.», Ordner 1: UBS cross-border Chronologie mit Beilagen.

3268

2.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: Der IRS plant für Juni 2008 weiterhin ein durch ein Gericht erlassenes John Doe Summons556, um die Kundendaten der amerikanischen UBS-Kunden einfordern zu können.

3.

Zusätzlich zum Rechtshilfegesuch des DOJ wird der IRS ein Amtshilfegesuch auf Grundlage des DBA einreichen.

4.

Dieses Gesuch zielt darauf ab, die Namen der Kunden zu erhalten, die im Rahmen der Umsetzung des QIA Anfang 2001 betrügerische und für den US-Fiskus schädliche Strukturen errichtet haben.

5.

Es ist damit zu rechnen, dass auch über diesen engen Kreis von Kunden hinaus Namen verlangt werden. Auf Schweizer Seite herrscht die Meinung vor, dass es sich in diesem Fall nicht mehr um «tax fraud or the like» handeln würde und folglich keine Amtshilfe gewährt werden könnte.

6.

Das DOJ erwartet, rasch Daten zu den Mitarbeitern, den Organen und den internen Verfahren der UBS zu erhalten. In den folgenden zwei Wochen werden die EBK, die UBS und das DOJ einen Zeitplan für ein von der SEC bei der EBK eingereichtes Amtshilfegesuch erstellen.

Der Vizedirektor der EBK hielt im Anschluss an die Gespräche in Washington auch einige Überlegungen fest: a)

Die UBS hat ein grosses Problem. Das DOJ (Kevin Downing, Senior Attorney) interessiert sich in seiner Strafuntersuchung in erster Linie für die UBS, ihr Management und ihre Mitarbeiter, und erst in zweiter Linie für die Kunden (die UBS sieht es genau umgekehrt), während der IRS es eher auf die Kunden abgesehen hat als auf die Bank.

b)

Entgegen der Einschätzung der UBS zeigen sich die US-Behörden sehr beharrlich und sind frustriert, noch keine Informationen zu den Tätigkeiten der Kundenberater und zum Implikationsgrad des Managements erhalten zu haben.

c)

Das DOJ verdächtigt die UBS, die Informationsübermittlung zu verlangsamen.

d)

Das DOJ interessiert sich auch für Kunden anderer Kategorien als den von der UBS definierten.

e)

Die USA erwarten eindeutig eine joint investigation, d. h. eine gemeinsame Untersuchung.

f)

Die Auseinandersetzungen mit den US-Behörden weisen ein hohes Schadenpotenzial auf, sowohl für die UBS als auch für den Finanzstandort Schweiz.

Im Anschluss an die Reise der Schweizer Delegation nach Washington sistierten das DOJ und der IRS das Rechtshilfegesuch, da ein Amtshilfegesuch an die ESTV von den schweizerischen Behörden als geeigneter erachtet wurde.

556

Es handelt sich um eine Vorladung an einen anonymen Angeklagten, der als «John Doe» bezeichnet wird. In diesem amerikanischen Rechtsverfahren wird Klage gegen X erhoben. Ausserdem wird durch das Verfahren die Verjährungsfrist von sechs Jahren unterbrochen, was es dem IRS erlauben würde, seine Untersuchungen der US-Steuerzahler ohne Zeitdruck fortzusetzen.

3269

Über das Treffen mit den amerikanischen Behörden in Washington verfasste ein Vertreter der ESTV am 21. Juni 2008 eine Notiz557, die vom Vizedirektor der EBK, dem stellvertretende Direktor des BJ und vom Chef der Abteilung für Internationales der ESTV ergänzt wurde. Darin wurde vermerkt: «Die Vertreter des IRS kündigen an, dass voraussichtlich in der nächsten Woche gegenüber der UBS eine so genannte John Doe summons erlassen würde. Darin werde die Offenlegung von Geschäftsbeziehungen mit US-Personen verlangt. Spätestens mit der Zulassung durch das Gericht werde dies öffentlich bekannt werden. Der vordringliche Zweck sei es, die Verjährung gegenüber amerikanischen Bankkunden zu unterbrechen. Seitens der US-Vertreter wurde jedoch in Aussicht gestellt, auf ein enforcement dieses Begehrens während der Dauer des abgesprochenen Verfahrens zu verzichten. Die schweizerische Delegation wurde ersucht, die UBS hierüber nicht zu informieren.» Am 1. Juli 2008 informierte der Vorsteher des EFD die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) über die amerikanischen Untersuchungen gegen die UBS.

Am 1. Juli 2008 erliess das Distriktgericht in Fort Lauderdale in Florida ein John Doe Summons. Damit konnte der IRS die UBS fortan zwingen, Informationen über US-Kunden herauszugeben. Betroffen waren diejenigen Kunden, die zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2007 ein Konto bei der UBS eröffnet hatten.

Am 8. Juli 2008 schrieb der Leiter der Arbeitsgruppe Karrer an das DOJ, um die Schlussfolgerungen des Treffens in Washington vom 19. und 20. Juni 2008 betreffend Nutzung der Informations- und Amtshilfekanäle neu zu formulieren.558 Die EBK ihrerseits übermittelte der SEC am 10. Juli 2008 im Rahmen der Amtshilfe Unterlagen zur Bank, jedoch ohne dabei Kundendaten preiszugeben. Ausserdem erlaubte sie der SEC, diese Unterlagen an das DOJ weiterzugeben.

Am 14. Juli 2008 fand eine Videokonferenz zwischen dem IRS und der ESTV über die Modalitäten eines Amtshilfegesuchs statt. Laut dem Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV war die Diskussion äusserst konstruktiv.559

3.3.2.7

Verhandlung eines Zeitplans mit dem DOJ

Am 15. Juli 2008 fand am Flughafen Zürich ein Treffen zwischen dem DOJ (John Marella, Bruce Swartz und Kevin Downing), den schweizerischen Behörden (Vertreter der EBK, der ESTV und des BJ) sowie der UBS, begleitet von Anwälten von WLRK, statt. Die Vertreter des DOJ erklärten die Gründe für ihren Ärger und ihre Frustration in dieser Angelegenheit. Seit August 2007 waren sie mit dem Fall UBS beschäftigt, doch ihrer Meinung nach kamen die Dinge nicht schnell genug voran.

Folglich beurteilten sie die Qualität der Zusammenarbeit mit der UBS als negativ. Es war ihnen unverständlich, warum die Bank die gewünschten Dokumente nicht schon lange übergeben und ihre Kundenberater für Befragungen zur Verfügung gestellt hatte. Ihrer Aussage zufolge hatte Martin Liechti bereits ein Affidavit560 unterzeichnet, das genügend Elemente enthielt, um ein Strafverfahren gegen die Bank einzulei557 558 559 560

Notiz vom 21.6.2008, ESTV, Dok. 46 des Führungsdossiers EFD.

Dokument in Ordner 1 der FINMA: UBS cross-border Chronologie mit Beilagen.

E-Mail vom 14.7.2008, ESTV, Dok. 60 des Führungsdossiers EFD.

Affidavit: Erklärung an Eides statt.

3270

ten. Dabei gaben die DOJ-Vertreter zu verstehen, dass es nicht ihre Absicht war, die UBS zu Fall zu bringen. Aber sie verlangten eine breite und uneingeschränkte Kooperation.561 Die UBS versicherte den schweizerischen und amerikanischen Behörden, sie werde ihre interne Untersuchung (WLRK-Untersuchung) zu einem raschen Abschluss bringen und bedauerte gleichzeitig die Verzögerungen, welche jedoch die neuen Fragen des DOJ sowie die Zwangsmassnahmen der US-Behörden ­ wie z. B. die Verhaftung von Martin Liechti ­ mit sich brächten. Trotz des starken Drucks von Seiten des DOJ schien ein erster Schritt hin zu einer besseren Zusammenarbeit getan worden zu sein. Dabei war folgender Zeitplan ausgehandelt worden:


Am 15. August 2008 liefert die UBS der EBK schriftliche Beweise, die ihre Präsentation ­ die als Non-paper562 bezeichnet wird ­ stützen.



Am 27. August 2008 übergibt die UBS der EBK ein Non-paper, das es den schweizerischen und amerikanischen Behörden ermöglicht, sich auf die Präsentation der UBS vorzubereiten.



Am 4. oder 5. September 2008 präsentiert die UBS die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung und antwortet damit auf die Fragen und Untersuchungselemente der EBK und des DOJ.



Ab dem 22. September 2008 führen die EBK und das DOJ in den Räumlichkeiten der EBK Befragungen von (gegenwärtigen und ehemaligen) Mitarbeitern der UBS durch.



Die UBS und das DOJ handeln eine Vereinbarung aus, der zufolge die UBS die Bereitschaft ihrer Mitarbeiter, an von der EBK und dem DOJ gemeinsam geführten Anhörungen teilzunehmen, garantiert. Im Gegenzug gewährt das DOJ den Top-Managern der UBS Reisefreiheit in den USA.

Im Weiteren war ein Treffen zwischen den Anwälten der UBS und Kevin Downing geplant, bei dem verschiedene Punkte besprochen werden sollten, insbesondere ein Martin Liechti betreffender Dokumentenordner und seine Nutzung in gegenwärtigen oder künftigen Verfahren. Die EBK hatte diesen Ordner am 10. Juli 2008 der SEC übergeben, die ihn in der Folge an das DOJ weitergab.

Ferner wurden folgende Punkte angesprochen: die Lieferung weiterer Unterlagen, der Status des Non-paper, die Bedingungen der Anhörungen der UBS-Mitarbeiter sowie die Möglichkeit, ein Deferred Prosecution Agreement563 abzuschliessen (da die UBS einen Rückzug aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA erwog). Auch die Zukunft der Struktur «Swiss Financial Advisers» der UBS, die bei der SEC registriert war, kam zur Sprache.

Laut amerikanischer Seite war Martin Liechti als material witness freigelassen worden, nachdem er den US-Behörden ein Affidavit von 27 Seiten übergeben hatte.

Vorläufig musste er jedoch in den USA bleiben, um für das DOJ Dokumente zu sichten. Das DOJ betrachtete Martin Liechti als wertvollen Zeugen, weil er sowohl 561 562

i.e. meaningful production of documents, interviews.

Ein Non-paper ist ein inoffizielles Arbeitsdokument, das in diplomatischen Kreisen häufig verwendet wird. Es weist weder eine Kopfzeile noch einen Stempel noch eine Unterschrift auf. Das Non-paper dient dazu, Vorschläge zu machen, und fungiert oft als Ausgangsdokument für Diskussionen oder Verhandlungen.

563 Deferred Prosecution Agreement: Rechtsentscheid, durch welchen ein Staatsanwalt einem Angeklagten eine Amnestie gewährt, wobei dieser als Gegenleistung gewisse obligatorische Bedingungen erfüllen muss.

3271

ins operative Geschäft verwickelt war, als auch mit den Top-Managern der UBS in Verbindung gestanden hatte. Es forderte von der UBS eine schriftliche Erklärung, in der diese versicherte, dass sie im Falle eines Prozesses auf amerikanischem Boden auf die Befragung des Zeugen Martin Liechti verzichte. Laut Vertretern des DOJ verfügte dieses über genügend Beweise, um gegen die UBS ein Strafverfahren zu eröffnen, wie es der UBS bereits per Brief564 mitgeteilt hatte. Gleichzeitig liess das DOJ verlauten, dass es die UBS nicht anzuklagen beabsichtige, solange die Zusammenarbeit funktioniere.565

3.3.2.8

Amtshilfegesuch des IRS vom 16. Juli 2008

Am 16. Juli 2008 reichte der IRS bei der ESTV ein Amtshilfegesuch ein.566 Darin wurde ausgeführt, dass das DOJ und der US-Staatsanwalt für den südlichen Distrikt von Florida eine Untersuchung gegen die UBS, UBS-Manager, UBS-Bankangestellte und US-Kunden der UBS wegen Verletzung von amerikanischem Steuerstrafrecht führten.567 Das Gesuch stützte sich auf Artikel 26 DBA, das dazugehörige Protokoll sowie die diesbezügliche gemeinsame Erklärung der USA und der Schweiz zu Artikel 26 DBA.

Gemäss dem Amtshilfegesuch soll die UBS eine Geschäftsstruktur (scheme) unterstützt haben, welche zu Steuerbetrug in den USA geführt und der Umgehung des QIA sowie der Täuschung der Revisionsfirma, welche das QIA im Fall der UBS zu überprüfen habe, gedient habe. Dies sei über falsch ausgefüllte US-Formulare erfolgt, für welche die UBS als Withholding Agent amtete. Die UBS sei im Besitz von Unterlagen, welche diesen Vorwurf erhärten würden.

Das Gesuch definierte gegenüber der ESTV die gewünschten Informationen der UBS in Form einer Struktur, ohne Namen von mutmasslichen US-Steuerbetrügern zu enthalten. Insbesondere ging es dem IRS darum, Informationen über alle Transaktionen zu erhalten, welche im Zusammenhang mit der Überführung bisheriger US-Konten568 von Privatkunden in den USA in offshore Strukturen beziehungsweise mit der Schaffung von neuen Konten für US-Privatkunden in einer offshore Struktur getätigt wurden. Das Gesuch schränkte die gewünschten Informationen auf Transaktionen ein, welche eine illegale und substanzielle Verringerung des dem IRS zu bezahlenden Steuerbetrags über die nominelle Zwischenschaltung der offshore

564 565 566

Target letter.

Notiz vom 16.7.2008, EBK, Dok. 62 des Führungsdossiers EFD.

Brief von Barry B. Shott, United States Competent Authority, Deputy Commissioner (International), an Jürg Giraudi, Abteilungschef und Delegierter für internationale Steuerfragen, ESTV, vom 16.7.2008 inkl. Amtshilfegesuch im Anhang.

567 «The United States Department of Justice, Tax Division, and the United States Attorney for the Southern District of Florida are investigating UBS, UBS managers, UBS bankers, and UBS United States clients (and their related nominee entities) for violating United States criminal tax laws resulting in billions of dollars of losses to the U.S. Government.» 568 Vor Abschluss des QIA im Jahr 2001 eröffnete Konten von US-Privatkunden der UBS.

3272

Struktur und mittels eines falsch ausgefüllten Formulars W-8BEN569 oder anderer Dokumente zur Kundenidentifikation bezweckten. Die von der UBS in dieser Geschäftsstruktur ergriffenen Massnahmen hätten der Umgehung des QIA und der Tarnung der an den Konten wirtschaftlich berechtigten Personen gedient.

Klar zum Ausdruck brachte der IRS, dass ein schnelles Vorgehen für die amerikanischen Behörden zentral sei, da ihre Untersuchungen rasch voranschritten. Gestützt auf vorgängige Diskussionen mit den schweizerischen Behörden hatte der IRS klare Erwartungen an die Fristen gestellt, innerhalb welcher das Amtshilfegesuch durch die schweizerischen Behörden zu behandeln sei.570 Im Gesuch führte der IRS explizit aus, dass die Einleitung des Amtshilfeverfahrens durch den IRS in keiner Weise als Verzicht auf oder Sistierung von anderen Rechtsverfahren oder Rechtsmitteln in den USA, welche den Erhalt derselben Informationen anstrebten, zu verstehen sei.

Parallel zum nun eingeleiteten Amtshilfeverfahren IRS ­ ESTV gingen die Arbeiten im Bereich des Amtshilfeverfahrens SEC ­ EBK weiter. Am 16. Juli 2007 fasste die EBK gegenüber dem DOJ den kurz zuvor besprochenen Zeitplan schriftlich zusammen, um ihn durch das DOJ bestätigen zu lassen.571 Wie sich in der Folge zeigte, war das DOJ dazu nicht bereit.572

569

«The W-8BEN form (entitled Certificate of Foreign Status of Beneficial Owner for United States Tax Withholding) is used in the United States taxation system by foreign persons (including corporations) to certify their non-American status. The form, issued by the Internal Revenue Service, establishes that one is a foreign, non-resident alien or foreign national performing work outside the United States, in order to claim tax treaty benefits such as a lower amount of tax withholding from dividends paid by U.S. corporations. The W-8BEN form should be given to the withholding agent such as a stock broker, and not the IRS.»; vgl. www.wikipedia.org.

570 Auszug aus dem Begleitbrief des DOJ an die ESTV (deutsche Übersetzung des Originaltextes): ­ So bald als möglich informiert die ESTV den IRS über die Anzahl Konten, welche die UBS aufgrund der Kriterien des Amtshilfegesuchs identifiziert hat.

­ Innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt des Amtshilfegesuchs informiert die ESTV den IRS über a) die Anzahl Fälle, in denen die ESTV gemäss Artikel 26 DBA Amtshilfe leisten kann, und b) die Anzahl Fälle, welche nicht den Anforderungen des Artikels 26 DBA, dessen Protokolls und der gemeinsamen Vereinbarung vom 23.1.2003 genügen.

­ Innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt des Amtshilfegesuchs übermittelt die ESTV dem IRS alle Informationen zu den Fällen, die gemäss ESTV die notwendigen Kriterien für die Gewährung der Amtshilfe erfüllen und gegen die keine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht eingereicht wurde.

­ Wird gegen die Schlussverfügung der ESTV Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, so übermittelt die ESTV dem IRS innerhalb von 180 Tagen die gewünschten Daten in einem konkreten Fall, falls die Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht abgelehnt wurde, und infomiert den IRS über den Stand der anderen Fälle.

571 E-Mail vom 5.8.2008, EBK, Dok. 63 des Führungsdossiers EFD.

572 E-Mail vom 5.8.2008, EBK, Dok. 68 des Führungsdossiers EFD.

3273

3.3.2.9

Anhörung des Chief Financial Officer der UBS durch einen Unterausschuss des amerikanischen Senats am 17. Juli 2008

Am 17. Juli 2008 wurde ein Bericht eines Unterausschusses des amerikanischen Senats zu den Bank-Steuerparadiesen und der Vereinbarkeit ihrer Handlungen mit der amerikanischen Steuerordnung veröffentlicht.573 In diesem Zusammenhang fanden am gleichen Tag u. a. die öffentlichen Anhörungen von Martin Liechti und Mark Branson von der UBS als Zeugen durch das entsprechende Subcommittee statt.

Martin Liechti berief sich auf sein Recht zu schweigen. Mark Branson, der zu diesem Zeitpunkt die Funktion des Chief Financial Officer von UBS Global Wealth Management & Business Banking, Global WM & BB, bekleidete, entschuldigte sich für die Fehler der UBS, kündigte den Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA und die Kooperation der Bank mit den amerikanischen Untersuchungsbehörden an; dies namentlich auch bezüglich der Identifikation von geschätzten 19 000 undeklarierten Konten von amerikanischen Kunden in der Schweiz.574 Der Druck auf den IRS, Kundendaten von den schweizerischen Behörden zu erhalten, stieg aufgrund dieser Anhörungen weiter an.

3.3.2.10

ESTV tritt auf Amtshilfegesuch des IRS ein

Die ESTV führte ab Mitte Juli 2008 bis anfangs August 2008 eine Vorprüfung des Gesuchs durch und gelangte zur Überzeugung, dass das Gesuch des IRS die Eintretensvoraussetzungen erfüllte. Das Gesuch war aus Sicht der ESTV auch genügend konkret, um nicht als Fishing Expedition zu gelten.575 Sie informierte am 29. Juli 2008 die UBS telefonisch über das entsprechende Gesuch und erbat von ihr die benötigten Informationen. Die UBS verlangte daraufhin eine Editionsverfügung der ESTV, welche am 7. August 2008 erging. Im nächsten Schritt musste die Bank die konkreten Kunden identifizieren, auf welche die im Gesuch genannten Kriterien zutrafen, und die entsprechenden Dossiers der ESTV übermitteln.

Nach Angaben der SNB hatten Vertreter der Federal Reserve Bank of New York am 5. August 2008 anlässlich eines Besuchs bei der SNB vor einer Eskalation des Konflikts gewarnt. Sie machten klar, dass die US-Behörden zu einer Strafklage entschlossen waren, auch wenn damit die Existenz der Bank aufs Spiel gesetzt würde. Ausserdem hätten sie unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das laufende Amtshilfeverfahren für inadäquat hielten, weil bisher trotz aller Bemühungen kein einziger Name geliefert worden sei.

Ab dem 8. August 2008 bis Ende 2008 übergab die UBS der ESTV die entsprechenden Dokumente. Diese wurden wiederum durch die ESTV nach einem standardisier-

573

United States Senate, Permanent Subcommittee on Investigations, Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, Tax haven banks and U.S. tax compliance, Staff report, 17.7.2008.

574 Dito, S. 8.

575 Vgl. Amtshilfeverfahren 2008/2009 in Sachen UBS (Projekt AHUSA), Schlussbericht der ESTV vom 27.5.2009, S. 11.

3274

ten Verfahren überprüft.576 Es galt festzustellen, ob Abgabebetrug vorlag.577 Bis Ende 2008 gelangten so 348 Dossiers578 an die ESTV. Die Frage, wann die ESTV innerhalb dieser Periode Unterlagen zu wie vielen Fällen erhielt, wurde durch die GPK nicht im Detail abgeklärt. Allerdings fanden sich dazu in den Unterlagen, welche der GPK zur Verfügung standen, verschiedene punktuelle Informationen.579 Im Verlaufe des Augusts 2008 fanden verschiedene Telefonkonferenzen zwischen der ESTV und dem IRS statt.580 Am 26. August 2008, während einer Telefonkonferenz, fragte der IRS nach, wann die ESTV weitere 1 600/1 700 Datensätze von Kunden mit Nicht-US-Wertschriften einverlangen werde und ob auch bei diesen Nicht-US-Wertschriften ein Steuerbetrug vorliegen würde, der allenfalls amtshilfefähig wäre. Später fragten die amerikanischen Behörden nach, ob die ESTV bei 1 900 Fällen überhaupt im Stande wäre, entsprechende Verfahren zu führen, und innert welcher Frist diese abgewickelt werden könnten. Die ESTV schob die Beantwortung der Frage zunächst auf, weil sie zuerst wissen wollte, wie viel Zeit sie konkret pro Dossier benötigen würde. Überschlagsmässig ging sie davon aus, dass sie wohl bis zu 100 Juristen einsetzen müsste, was grosse Probleme schaffen würde.581 Gemäss Aussagen der ESTV war der IRS mit dem bisherigen Verlauf des Amtshilfeverfahrens zufrieden.582

3.3.2.11

Ausweitung der vom Amtshilfegesuch betroffenen Fälle

Am 29. August 2008 konkretisierte der IRS sein Amtshilfegesuch in dem Sinne, dass dieses nicht nur Fälle erfasste, die amerikanische Wertschriften betrafen, sondern auch Fälle, in denen die vom IRS genannten Kriterien auf eine in den USA steuerpflichtige Person anwendbar waren, auch wenn diese keine amerikanischen Wertpapiere hielt. In Absprache mit dem IRS legte die ESTV die Priorität vorerst auf die Fälle mit amerikanischen Wertschriften.583 Abklärungen der UBS ergaben, dass zu diesem Zeitpunkt ca. 1600 Fälle ohne amerikanische Wertschriften existierten.584

576

577 578

579 580

581 582 583 584

Sind im konkreten Fall die Voraussetzungen gemäss Art. 26 DBA gegeben, fordert die ESTV die Bank in einem nächsten Schritt auf, den betroffenen Kunden über die Editionsverfügung zu informieren. Der Kunde hat danach 20 Tage Zeit, um der UBS einen Zustellungsbevollmächtigten in der Schweiz zu bezeichnen. Die ESTV behandelt anschliessend das Dossier materiell und erlässt eine Schlussverfügung, die an den Zustellungsbevollmächtigten geht. Daraufhin hat die betroffene Person 30 Tage Zeit, um eine Beschwerde gegen die Schlussverfügung beim Bundesverwaltungsgericht einzureichen.

Zum Abgabebetrug siehe Art. 14 des Bundesgesetzes vom 22.3.1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0).

Dies entsprach einem Volumen von rund 1500 Ordnern; vgl. Amtshilfeverfahren 2008/2009 in Sachen UBS (Projekt AHUSA), Schlussbericht der ESTV vom 27.5.2009, S. 11.

Z. B. wird in einem Brief von WLRK an das DOJ vom 14.8.2008 erwähnt, dass die UBS am 8.8.2008 der ESTV Unterlagen zu 30 Konten übermittelte.

In der Regel fanden solche Gespräche zwischen der ESTV und dem IRS alle 14 Tage statt; vgl. Protokoll der Anhörung von Jürg Giraudi, Abteilungschef der Abteilung für Internationales, ESTV, durch die GPK vom 27.11.2009, S. 12.

E-Mail vom 27.8.2008, ESTV, mit Dok. 76 des Führungsdossiers EFD.

Vgl. Amtshilfeverfahren 2008/2009 in Sachen UBS (Projekt AHUSA), Schlussbericht der ESTV vom 27. Mai 2009, S. 27.

Ebd., S. 12.

Ebd., S. 27.

3275

3.3.3

Rolle der Behörden in dieser Phase

3.3.3.1

Allgemein

Ab der Sitzung vom 7. März 2008 der späteren Arbeitsgruppe Karrer waren das EFD, das EJPD und das EDA in das Dossier rund um das grenzüberschreitende Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA involviert, zuerst in Form einer informellen Gruppe und ab dem 16. Mai 2008 als vom Vorsteher des EFD einberufene Arbeitsgruppe.

Anlässlich der Anhörungen durch die GPK führten die angehörten Mitglieder der Arbeitsgruppe aus, dass sie ihre hierarchisch vorgesetzten Stellen bzw. direkt ihre Departementsvorsteherinnen bzw. den Departementsvorsteher regelmässig über die Erkenntnisse und Tätigkeiten der Arbeitsgruppe informiert hätten.585 Die Amtshilfe der EBK an die SEC wurde in der betrachteten Zeitspanne weitergeführt. Ein zweites formelles Verfahren wurde durch das Amtshilfegesuch des IRS vom 16. Juli 2008 durch die ESTV eröffnet.

In dieser Phase war das BVGer trotz des Amtshilfeverfahrens der ESTV, in dem Beschwerden gegen Schlussverfügungen der ESTV an das BVGer zu erwarten waren, in keiner Art und Weise einbezogen.586 Eine Kontaktaufnahme in diesem Zusammenhang durch die ESTV oder durch Mitglieder der Arbeitsgruppe Karrer mit dem BVGer erfolgte in dieser Phase nicht. Auch das BVGer nahm keinen Kontakt zu den involvierten Behörden auf.

3.3.3.2

Eidgenössische Bankenkommission

Die EBK war bis zur formellen Einsetzung der Arbeitsgruppe Karrer am 16. Mai 2008 faktisch federführend in diesem Dossier. Mit der Durchführung der Sitzung vom 7. März 2008 informierte die EBK die Vertreter der drei Departemente EFD, EJPD und EDA, dass dieses Dossier Dimensionen aufweise, die über das Aufgabenfeld der EBK hinausgingen. In gegenseitigem Einvernehmen beschlossen die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die weitere Entwicklung zwar zu verfolgen, doch orteten sie zu diesem Zeitpunkt für die zentrale Bundesverwaltung keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Dies änderte sich mit der Verhaftung von Martin Liechti in den USA und mit der Sitzung der Arbeitsgruppe Karrer am 16. Mai 2008.

Die EBK war ab dem 7. März 2008 weiterhin im Rahmen ihrer Aufsichtskompetenz über die UBS in diesem Dossier tätig und verfolgte insbesondere die Untersuchung der amerikanischen Anwaltskanzlei, die im Auftrag der UBS das grenzüberschreitende Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA aufarbeitete.

Nachdem Anzeichen auf Verletzung von schweizerischem Aufsichtsrecht vorlagen, eröffnete die EBK am 23. Mai 2008 eine eigene Untersuchung über das grenzüberschreitende Geschäft der UBS in den USA. Sie setzte dafür fünf Personen ihres Sekretariats und eine schweizerische Anwaltskanzlei als Untersuchungsbeauftragte 585

Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 24.3.2010 S. 7; Protokoll der Anhörung von Rudolf Wyss durch die GPK vom 27.11.2009 S. 14.

586 Der Präsident des BVGer führte gegenüber den GPK aus, dass er vom Amtshilfegesuch des IRS aus der Presse erfahren habe; vgl. Protokoll der Anhörung von Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010 S. 6.

3276

ein. Nebst der Feststellung allfälliger Verletzungen des schweizerischen Aufsichtsrechts bezweckte sie mit der Untersuchung, umfassende und vertiefte Kenntnisse des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA zu erlangen. Damit wurde sie auch besser in die Lage versetzt, ihre Rolle gegenüber den amerikanischen Behörden wahrzunehmen. Die Untersuchung der EBK wies enge Bezugspunkte zu der von der UBS mandatierten Untersuchung der amerikanischen Anwaltskanzlei auf. Die EBKUntersuchung war einerseits von den Abklärungen der amerikanischen Anwaltskanzlei bezüglich der Analyse der Kundenbeziehungen der UBS abhängig, andererseits bezweckte sie aber auch, eine Einflussnahme der UBS-Leitung auf das Resultat der Abklärungen durch die amerikanische Anwaltskanzlei zu verhindern. Der Abschluss der EBK-Untersuchung erfolgte am 17. Dezember 2008, nachdem Verzögerungen bei den Abklärungen durch die amerikanische Anwaltskanzlei587 auch die EBK-Untersuchung verzögert hatten. Eine Kurzfassung ihres Untersuchungberichts wurde veröffentlicht.588 Bei der Amtshilfe an die SEC und ihren Kontakten mit den amerikanischen Behörden bemühte sich die EBK um eine klare Trennung zwischen den amerikanischen Forderungen nach Kundendaten der UBS und der Amtshilfe an die SEC, da im Rahmen von Letzterer solche Daten nicht herausgegeben werden können. Der Leiter des Rechtsdiensts der EBK war u. a. deshalb als Mitglied der Arbeitsgruppe Karrer auch nach dem 16. Mai 2008 massgebend in die Bemühungen der schweizerischen Behörden, die amerikanischen Behörden zur Einreichung eines Amtshilfegesuchs an die ESTV gestützt auf das DBA zu bewegen, involviert.

Im Rahmen der regulären Aussprache der EBK-Spitze mit dem Vorsteher des EFD informierte diese den Vorsteher des EFD am 13. Mai 2008 über die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Vorkommnisse in den USA im Zusammenhang mit der UBS und bezeichnete diese als gravierend. Die EBK-Spitze stimmte mit dem Vorsteher des EFD überein, dass die Situation genau beobachtet werden müsse und Massnahmen durch das EFD zu koordinieren seien.589 Am 25. Juni 2008 befasste sich die Kommission der EBK (bis dahin war nur ihr Sekretariat involviert) zum ersten Mal mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA, indem sie über das eröffnete verwaltungsrechtliche Verfahren informiert
wurde.590 Aufgrund der Behördenkonstellation in den USA ­ das DOJ, der IRS und die SEC geniessen trotz ihren Schnittstellen und ihrer Zusammenarbeit in der Praxis eine weitgehende institutionelle Unabhängigkeit voneinander ­ und des dortigen politischen Drucks auf die Behörden, zeichnete sich schon im Verlauf des Augusts 2008 ab, dass das DOJ mit der Einleitung des Amtshilfeverfahrens durch den IRS und die ESTV seine Forderungen nach Kundendaten noch nicht als erfüllt erachtete. Die EBK konnte sich somit nach der Einreichung des Amtshilfegesuchs bei der ESTV nicht auf das Amtshilfeverfahren mit der SEC im engeren Sinn beschränken und blieb deshalb auch nach Einreichung des Amtshilfegesuchs des IRS an die ESTV ein zentraler Akteur seitens der schweizerischen Behörden.

587

Insbesondere wegen neuen Forderungen des DOJ im Verlauf der Untersuchung an die UBS-Leitung bezüglich dieser UBS-internen Untersuchung.

588 Kurzbericht der FINMA, Untersuchung der EBK des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA vom 18.2.2009. Vgl.

http://www.finma.ch/d/aktuell/Documents/kurzbericht-ubs-x-border-20090218-d.pdf.

589 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

590 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3277

3.3.3.3

Arbeitsgruppe Karrer

Die Arbeitsgruppe Karrer formierte sich aus den von der EBK für die Sitzung vom 7. März 2008 eingeladenen Behördenvertretern. Die Zusammensetzung ergab sich aus den Schnittstellen zwischen den amerikanischen Untersuchungen zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA und den Aufgaben der betroffenen Behörden. Die Arbeitsgruppe war in ihrem Bestand im Zeitverlauf grösstenteils konstant. Die BA war nur kurz aktiv beteiligt, als die Rechtshilfe und die Möglichkeit einer gemeinsamen Untersuchung der amerikanischen und schweizerischen Behörden gestützt auf Artikel 271 StGB erörtert wurden. In der Arbeitsgruppe Karrer waren die wesentlichen Behörden vertreten.

Die Arbeitsgruppe Karrer wurde formalisiert, als deren Einsetzung im Mai 2008 nach mündlicher Absprache des Leiters der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik (EFV) mit dem Vorsteher des EFD beschlossen wurde.

Die Federführung lag beim EFD, konkret bei Alexander Karrer, dem Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, der die Arbeitsgruppe fortan leitete. Die Arbeitsgruppe erhielt kein formelles Mandat, sondern gab sich dieses selbst. Der Vorsteher des EFD nahm in Form einer Aktennotiz vom 21. Mai 2008 davon Kenntnis.

Schon von Beginn an erkannte die Arbeitsgruppe Karrer die politische Dimension der Forderungen der amerikanischen Behörden gegenüber der UBS und den schweizerischen Behörden.591 So hielt sie nach ihrer Orientierung durch einen Vertreter der UBS am 7. März 2008 fest, dass der Erlass einer Subpoena in den USA gegen die UBS u. a. ein politisches Problem hervorrufen würde. Der Druck auf das Bankgeheimnis und somit auf die Schweiz würde erheblich zunehmen.592 Mit der Verhaftung des Head Wealth Management Americas International am 21. April 2008 und seiner intensiven Befragung durch die amerikanischen Behörden zwecks Erhalt von Kundendaten der UBS wurde das politische Problem real.593 Unter Einbezug der schweizerischen Botschaft in den USA entwickelten namentlich die Vertreter des EDA, der ESTV und der Leiter der Arbeitsgruppe Karrer eine rege Aktivität, die über die Arbeitsgruppe koordiniert wurde. Diese Aktivität verfolgte zwei Ziele: Zum einen versuchten die schweizerischen Behördenvertreter in Kontakten mit den amerikanischen Behörden und der UBS
die Sachlage vertieft zu erfassen. Zum anderen ergriffen sie Massnahmen, um die aus Sicht der Schweiz unhaltbare Situation in die rechtlich vorgesehenen Bahnen zu lenken. Zur Forderung der amerikanischen Behörden nach Erhalt von Kundendaten der UBS entweder direkt von der UBS oder über eine gemeinsame Untersuchung mit den schweizerischen Behörden galt es, eine Lösung zu suchen, die auch mit der schweizerischen Rechtsordnung vereinbar war. Die Arbeitsgruppe Karrer ging davon aus, dass aufgrund der zu diesem Zeitpunkt massgebenden Rechtsordnung für die Herausgabe von Kundendaten der UBS nur der Weg der Rechts- oder Amtshilfe gestützt auf die Vereinbarungen zwischen den USA und der Schweiz in Frage kam. Die vom DOJ 591

Dies wurde den GPK anlässlich ihrer Anhörungen durch die befragten Mitglieder der Arbeitsgruppe einhellig bestätigt.

592 Notiz der EBK vom 10.3.2008, «Informationsbegehren der US Behörden an die UBS».

593 Dies zeigt sich auch in der Korrespondenz zwischen den Vertretern der schweizerischen Behörden: So sagt z. B. der Botschafter der PA V in einem Mail vom 22.4.2008, «dass der Fall einigen Sprengstoff sowohl [...] für die UBS als auch für den Finanzplatz Schweiz in sich birgt.»

3278

gewünschte Option einer gemeinsamen Untersuchung der amerikanischen und schweizerischen Behörden musste aufgrund der Abklärungen der Arbeitsgruppe verworfen werden.

Schnell zeigte sich für die schweizerischen Behörden, dass die Rechtshilfe aus verschiedenen Gründen nicht geeignet war, das Begehren der amerikanischen Behörden zu erfüllen, und dass der einzige gangbare Weg über die Amtshilfe gemäss Artikel 26 DBA führte. Dementsprechend begann eine intensive Überzeugungsarbeit gegenüber den amerikanischen Behörden, um diese zu einer Lösung über ein Amtshilfegesuch an die ESTV zu bewegen. Obwohl die Zweifel des DOJ an der Zweckmässigkeit eines Amtshilfegesuchs an die ESTV nie vollständig ausgeräumt werden konnten und im Juni 2008 zuerst ein Rechtshilfegesuch eingereicht wurde, gelang es den schweizerischen Behörden schliesslich, den IRS zum Einreichen eines Amtshilfegesuchs an die ESTV zu bewegen.

Eine politische Intervention durch Mitglieder des Bundesrats in den USA wurde in dieser Phase durch die Arbeitsgruppe nicht als zweckmässig erachtet.594 Gemäss Aussagen von Mitgliedern der Arbeitsgruppe Karrer vor den GPK erhielten sie von der UBS auch immer wieder Signale, dass die Bank allenfalls doch noch einen Vergleich mit den amerikanischen Behörden würde abschliessen können, der alle Forderungen der USA erfüllen würde. Gegenüber den GPK bestritt die UBS diese Darstellung. Insbesondere sei es ihr gar nicht möglich gewesen, einen Vergleich anzustreben, der eine Herausgabe von Kundendaten ausserhalb des Amtshilfeverfahrens beinhaltet hätte.

In der ursprünglichen Form und Zusammensetzung war die Arbeitsgruppe Karrer bis etwa Anfang Juli 2008 tätig.595

3.3.3.4

Eidgenössisches Finanzdepartement

Eidgenössische Steuerverwaltung Die Abteilung für Internationales der ESTV, zuständig für die Behandlung von Amtshilfegesuchen in Steuerfragen, war durch ihren Leiter von Anfang an involviert und nahm bei den Bemühungen, das DOJ und den IRS zur Einreichung eines Amtshilfegesuchs zu bewegen, eine zentrale Rolle ein.

Ab der Einreichung des Amtshilfegesuchs des IRS am 16. Juli 2008 war die ESTV, insbesondere die zuständige Abteilung Internationales, bis Ende August 2008 der Hauptakteur seitens der schweizerischen Behörden.

Die ESTV hatte mit diesem Gesuch zum ersten Mal ein Amtshilfegesuch zu behandeln, das keine Namen der betroffenen Personen enthielt und dadurch auch in seiner quantitativen Tragweite für die Behörden in einer ersten Phase nicht oder nur schwer fassbar war. Die ESTV musste ab Mitte Juli 2008 die Amtshilfefähigkeit des IRSGesuchs beurteilen. Als diese bejaht werden konnte, erliess sie eine Editionsverfügung an die UBS, und ab dem 8. August 2008 übermittelte die UBS der ESTV umfangreiche Kundendossiers. Im Verlaufe des Augusts 2008 wurde auch klar, dass das Schema, welches dem Amtshilfegesuch des IRS zugrunde lag, 200 bis 300 594 595

Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 24.3.2010 S. 7.

Dok. 57 des Führungsdossiers des EFD (letzte Einladung zu einer Sitzung der Arbeitsgruppe Karrer).

3279

Dossiers der UBS betraf. Die Konkretisierung des Amtshilfegesuchs durch den IRS am 29. August 2008 umfasste dann ca. 1 800 weitere Fälle, deren Behandlung jedoch zurückgestellt wurde. Für die Behandlung der Amtshilfefälle wählte die ESTV die Strategie, die Dossiers in Kategorien einzuteilen, um dann mit Pilotverfügungen und allfälligen Leitentscheiden des BVGer die Menge an Fällen möglichst effizient und schnell bewältigen zu können. Dies bedingte allerdings, dass die ESTV zuerst genügend Informationen über die Eigenheiten der Dossiers erlangte, um überhaupt solche Kategorien bilden zu können.

Das Amtshilfegesuch des IRS stellte die ESTV nicht nur vor rechtliche Herausforderungen, sondern auch vor bedeutende logistische Probleme. Von Anfang an war der ESTV klar, dass die bisherigen Ressourcen im Bereich der Amtshilfe völlig ungenügend waren und dass deshalb auch eine angepasste Projektorganisation für die Bearbeitung des Gesuchs notwendig war: Die ESTV ging, wie vorne erwähnt, beim Eingang des Amtshilfegesuchs des IRS von mehreren Hundert Fällen aus.596 In den letzten Jahren waren pro Jahr im Durchschnitt drei Amtshilfegesuche bei ihr eingegangen, die von einer einzigen Person innerhalb der ESTV behandelt wurden.597 Die Amtsleitung stellte ihrer zuständigen Abteilung zunächst eine zusätzliche Person zur Verstärkung der Projektleitung zur Verfügung. Anfang Juli 2008 wurde ein Projektleiter innerhalb der Abteilung bestimmt und die Abteilung mit amtsinternem Personal verstärkt. Im August 2008 erfolgte eine zusätzliche Verstärkung durch die Hauptabteilungen der ESTV. Es zeichneten sich jedoch schon in dieser ersten Phase Schwierigkeiten ab, geeignete Personen zu finden.598 Eine Anfrage des Abteilungsleiters Internationales beim BJ zwecks Verstärkung seines Teams mit Rechtshilfeexperten wurde aufgrund personeller Engpässe im BJ negativ beantwortet.599 Der Direktor der ESTV begründete gegenüber den GPK, dass zunächst keine zusätzlichen Ressourcen gesprochen wurden, insbesondere wie folgt: 1) Die Anzahl der Fälle war nur in sehr groben Zügen bekannt. 2) Die Rechtsfrage der Amtshilfe auf einer No-Name-Basis war vorgängig zu klären. 3) Zuerst habe die ESTV vertiefte Abklärungen vornehmen müssen, um zu fundierten Musterverfügungen zu gelangen.

4) Zwischendurch lag die Information vor, dass es doch noch zu
einem Vergleich zwischen der UBS und den amerikanischen Behörden kommen würde.600 Gemäss den Aussagen des Direktors der ESTV strebte das Amt erste Schlussverfügungen innerhalb von drei Monaten an. Dazu stellen die GPK fest, dass eine Diskrepanz zu den Erwartungen des IRS, der von 60 Tagen ausging, bestand.

Die Notwendigkeit, das Amtshilfegesuch prioritär zu behandeln, um so das Verfahren schnell zum Abschluss zu bringen, wurde durch die ESTV erst Ende August 2008 erkannt.601 In einem Gespräch mit dem Direktor der ESTV habe der Vorsteher des EFD diesem zu jenem Zeitpunkt auch die notwendigen Ressourcen zugesichert.

596 597 598 599 600 601

Protokolle der Anhörungen von Urs Ursprung vom 18.2.2010, S. 6, und von Jürg Giraudi vom 27.11.2009, S. 8. (200­300 Fälle). Schliesslich sollten es dann 348 Fälle sein.

Die Amtshilfegesuche fallen in die Zuständigkeit der Abteilung für Internationales der ESTV, welche im Ganzen aus ca. 15 Personen besteht.

Vgl. Amtshilfeverfahren 2008/2009 in Sachen UBS (Projekt AHUSA), Schlussbericht der ESTV vom 27.5.2009, S. 25 und 27.

Protokoll der Anhörung von Rudolf Wyss durch die GPK vom 27.11.2009, S. 17.

Ebd., S. 6 f.

Ebd., S. 10, 13.

3280

Vorsteher des EFD Der Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV und Leiter der Arbeitsgruppe Karrer gab den GPK zu Protokoll602, dass er den Vorsteher des EFD von Anfang an, also schon im März 2008, mündlich und später schriftlich603 über die Entwicklungen in diesem Dossier informiert habe. Auch wurde die Arbeitsgruppe unter seiner Leitung erst nach mündlicher Absprache mit dem Vorsteher des EFD eingesetzt. Ein eigentlicher schriftlicher Auftrag des Vorstehers des EFD an die Arbeitsgruppe erging jedoch nicht, hingegen wurde er über eine Informationsnotiz des Leiters der Arbeitsgruppe vom 21. Mai 2008 über die Ziele der Arbeitsgruppe in Kenntnis gesetzt.604 Wie bei der EBK weiter vorne schon ausgeführt, wurde der Vorsteher des EFD am 13. Mai 2008 ausführlich über die Geschehnisse sowie die Einschätzung der EBK, dass diese aus ihrer Sicht gravierend seien, durch die EBK informiert.

Gemäss Angaben des EFD wie auch der FINMA informierte der Vorsteher des EFD am 21. Mai 2008 den Gesamtbundesrat über die amerikanischen Untersuchungen gegen die UBS.605 In den Dokumenten des Gesamtbundesrats finden sich dazu jedoch keine Informationen, so dass diese Frage offen bleiben muss.

Vor einem Treffen des damaligen Bundespräsidenten, Pascal Couchepin, mit dem Chairman des Fed scheint auch ein Gespräch zwischen dem Vorsteher des EFD und dem Bundespräsidenten zu diesem Dossier stattgefunden zu haben.606 Am 1. Juli 2008 orientierte der Vorsteher des EFD die WAK-S über das Verfahren in den USA.607 Wie bereits ausgeführt, wurde der Vorsteher des EFD durch den Direktor der ESTV, aber auch durch den Leiter der Arbeitsgruppe Karrer608, auf die Ressourcenproblematik bei der ESTV hingewiesen. Ende August 2008 sicherte er die nötigen Ressourcen zu.

Gemäss Aussage des Leiters der Arbeitsgruppe Karrer wies ihn der Vorsteher des EFD in dieser Phase an, dass die Arbeitsgruppe ihn informieren solle, falls sie eine politische Intervention auf seiner Stufe als notwendig erachte.609 Bei seiner Anhörung durch die GPK führte der Vorsteher des EFD seine allgemeine Grundhaltung zur Rolle des Staates bei der Datenherausgabe sowie bei der Refinanzierung der UBS im Herbst 2008 durch die Eidgenossenschaft aus: Die Eidgenossenschaft konnte aus seiner Sicht nur im «allerletzten Notfall» entsprechende Massnahmen treffen.610

602 603

604 605 606 607 608 609 610

Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 3.11.2009, S. 5 und vom 24.3.2010, S. 3.

Im Führungsdossier finden sich dazu folgende Dokumente: Aktennotiz vom 21.5.2008 an den Vorsteher des EFD (Dokument Nr. 16), E-Mail an den Vorsteher des EFD vom 6.6.2008 (Dokument Nr. 38).

Dok. 16 des Führungsdossiers des EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Dok. 51 des Führungsdossiers des EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 24.3.2010, S. 13.

Ebd., S. 7.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch die GPK vom 6.4.2010, S. 13.

3281

3.3.3.5

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

Politische Abteilung V Im EDA war die PA V für dieses Dossier federführend.611 Die PA V ist für die Koordination sektorieller Politiken zuständig. Sie hat die Kohärenz der Positionen in konkreten Politikbereichen und die effiziente Koordination zwischen dem EDA und den jeweiligen Fachdepartementen in der aussenpolitischen Interessenwahrung zu gewährleisten. Sie stellt insbesondere in Zusammenarbeit mit dem EFD und dem EVD die aussenpolitische Koordination in Wirtschafts- und Finanzfragen sicher und beteiligt sich aktiv an Diskussionen und Verhandlungen, die den Schweizer Finanzplatz betreffen.612 Die PA V war von Anfang an Teil der Arbeitsgruppe Karrer und nahm mit einem Vertreter auch am Treffen vom 7. März 2008 teil. Sie brachte zusammen mit der Schweizer Botschaft, für welche sie die Hauptansprechpartnerin in diesem Dossier war, aktiv die aussenpolitischen Beurteilungen ein und stellte zusammen mit der Schweizer Botschaft in den USA Kontakte zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden her. Soweit aus den vorhandenen Dokumenten ersichtlich und im Einklang mit den durch die GPK durchgeführten Anhörungen, nahm die Rolle der PA V im Sommer 2008 ab. Sie war zwar noch bis Mitte Juli 2008 grösstenteils in den Informationsfluss eingebunden, hatte jedoch in dieser Zeitspanne eine eher passive Rolle inne.613 Ab Mitte Juli 2008 besteht für die GPK Unklarheit, inwieweit die PA V noch in den Informationsfluss einbezogen war. Punktuell erscheint zwar die PA V im September 2008 noch in den den GPK zur Verfügung stehenden Mailwechseln, doch kann, nachdem die Arbeitsgruppe Karrer in der ursprünglichen Form ab Sommer 2008 nicht weiter existierte, nicht mehr von einer aktiven und systematischen Einbindung der PA V in das Dossier gesprochen werden.614 Schweizer Botschaft in den USA Obwohl die Schweizer Botschaft immer wieder Kontakte mit den UBS-Vertretern hatte, die in den USA die Kontakte zum amerikanischen Parlament pflegten, erfuhr sie erst an der Sitzung vom 7. März 2008 in Bern von den Untersuchungen der amerikanischen Behörden gegen die UBS. Die Botschaft in den USA war jedoch ab diesem Zeiptunkt ein wichtiger Akteur der schweizerischen Behörden. Die aktive Rolle der Botschaft begann mit der Verhaftung von Martin Liechti, die u. a. zu Interventionen der Botschaft führte, um ihm konsularischen Schutz zu gewähren.

Innerhalb der Botschaft befassten sich der Botschafter und die Wirtschaftsabteilung

611

Nebst der schweizerischen Botschaft in den USA, auf die weiter unten eingegangen wird, war auch noch die PA II punktuell involviert. Die PA II ist für die bundesweite Koordination und die Vertiefung der schweizerischen Politik zum amerikanischen DoppelKontinent zuständig und wurde deshalb auch in den Informatinsfluss einbezogen.

612 Vgl. Internetseite des EDA (http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/dfa/orgcha/sectio/pad/pad5.html).

613 Führungsdossier EFD.

614 Vgl. Protokoll der Anhörung von Josef Philipp Renggli durch die GPK vom 2.11.2009, S. 3 und Protokoll der Anhörung von Michael Ambühl durch die GPK vom 18.11.2009, S. 12.

3282

intensiv mit diesem Dossier. Ebenfalls beigezogen wurde der amerikanische Vertrauensanwalt der Botschaft.

Die Botschaft in den USA ­ wie grundsätzlich jede andere Schweizer Botschaft ­ hat angesichts der Bedeutung der Finanzindustrie für die schweizerische Volkswirtschaft die ständige Aufgabe, sich mit Geschehnissen, die einen Einfluss auf den Finanzplatz Schweiz haben könnten, zu beschäftigen. Sie verfolgte die Ereignisse im Zusammenhang mit den amerikanischen Untersuchungen gegen die UBS eng, wobei sie auch das politische Umfeld in den USA analysierte. Ihre Einschätzungen und Berichte gingen an die betroffenen schweizerischen Behörden, wobei die Politischen Abteilungen des EDA ihre Hauptadressaten sind.615 Die Botschaft pflegte im Rahmen ihrer ständigen Aufgabe und auch auf Anweisung der PA V Kontakte zu den Vertretern der amerikanischen Behörden und stellte Kontakte zwischen diesen und den schweizerischen Behörden her.

Vorsteherin des EDA Die GPK gingen der Frage nach, wieweit die Vorsteherin des EDA persönlich über die Entwicklungen in diesem Dossier informiert wurde. Der Schweizer Botschafter führte bei seiner Anhörung durch die GPK aus, die Vorsteherin des EDA habe sich sehr für dieses Dossier interessiert und dazu Informationsnotizen der PA V wie auch der Botschaft in den USA erhalten. Zeitweise sei sie auf ihren Wunsch hin täglich informiert worden.616 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Staatssekretär des EDA praktisch nicht in dieses Dossier involviert war und erst nach dem 18. Februar 2009 bei der Behebung der Spannungen zwischen den USA und der Schweiz im Steuerbereich eine wichtige Rolle übernahm.617 Ebenfalls zu erwähnen ist, dass sich das EDA aufgrund des Drucks aus der EU auf das Bankgeheimnis sowie die kantonalen Steuerregimes im Frühling 2008 mit dieser verwandten Thematik befasste. Resultate dieser Arbeiten flossen jedoch erst am 21. November 2008 in Form eines Aussprachepapiers des EFD in den Bundesrat ein.618

3.3.3.6

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

Bundesamt für Justiz Auch das BJ war von Anfang an, also ab dem 7. März 2008, durch seinen stellvertretenden Direktor und Leiter der Internationalen Rechtshilfe in der Arbeitsgruppe Karrer vertreten619, da die Rechtshilfe einer der beiden von der Arbeitsgruppe in der ersten Phase vertieften Lösungsansätze war. Die Delegation der schweizerischen 615

616 617 618 619

Z. B. die von der schweizerischen Botschaft verfasste Informationsnotiz vom 17.7.2008 über die Levin Bill und die Anhörung vom 17.7.2008 des Senate Permanent Subcommittee on Investigations.

Protokoll der Anhörung von Urs Ziswiler durch die GPK vom 5.3.2010, S. 8.

Protokoll der Anhörung von Botschafter Michael Ambühl durch die GPK vom 18.11.2009.

Vgl. Ziffer 3.4.4.6.

Der Direktor des BJ war in dieses Geschäft nicht involviert; vgl. Protokoll der Anhörung von Michael Leupold durch die GPK vom 2.11.2009.

3283

Behördenvertreter, die im Juni 2008 in die USA reiste, um die amerikanischen Behörden zum Einschlagen des Amtshilfewegs zu bewegen, wurde auf Anweisung der Vorsteherin des EJPD durch den stellvertretenden Direktor des BJ geleitet.

Als der Weg über die internationale Rechtshilfe durch die schweizerischen Behörden nicht mehr weiterverfolgt wurde, klärte das BJ in diesem Dossier noch verschiedene Rechtsfragen ab.620 Eine Anfrage der ESTV um eine befristete Verstärkung mit Rechtshilfeexperten im Rahmen der Behandlung des Amtshilfegesuchs wurde aufgrund eigener personeller Engpässe durch das BJ negativ beantwortet.621 Vorsteherin des EJPD Auf die Frage der GPK, ob sie von den involvierten Stellen des EJPD jeweils informiert wurde, antwortete die Vorsteherin des EJPD, dass sie über das Rechtshilfegesuch, das die amerikanischen Behörden im Juni 2008 einreichten, informiert worden sei. Weiter beschäftigte sie sich mit dem Dossier im Juli 2008, als sie sich beim Vertreter des EJPD in der Arbeitsgruppe Karrer versicherte, dass die notwendigen Vorkehrungen für die Behandlung des nun in ein Amtshilfegesuch umgewandelten Begehrens der amerikanischen Behörden getroffen wurden.622 Die Vorsteherin des EJPD wurde im Sommer 2008 auch über die ungefähre Anzahl Fälle, welche durch das Amtshilfegesuch betroffen waren, informiert.

Bundesanwaltschaft Die BA war in der Anfangsphase aktiv involviert, als die Rechtshilfe an die amerikanischen Behörden sowie mögliche strafrechtliche Schritte gegen die UBS in der Schweiz geprüft wurden. Sie nahm insbesondere auch zur Frage einer gemeinsamen Untersuchung der amerikanischen mit den schweizerischen Behörden in der Schweiz gestützt auf Artikel 271 StGB Stellung.623 Punktuell wurde die BA danach noch in den Informationsfluss eingebunden. Solange sich die Arbeitsgruppe Karrer in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung traf, wurde die BA zu den Sitzungen eingeladen.624

3.3.3.7

Bundesrat

Soweit aus den Anhörungen der Mitglieder des Bundesrats und den Unterlagen, welche die GPK vom Bundesrat erhielten, ersichtlich war, hat der Vorsteher des EFD das Bundesratskollegium in der Zeit vom 21. April 2008 bis zum 29. August 2008 kein einziges Mal über die Problematik im grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA und die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Herausgabe von Kundendaten an die US-Behörden informiert. Der Bundesrat als Kollegium war demnach im massgeblichen Zeitraum kein Akteur.

Wie ausgeführt, waren nebst dem Vorsteher des EFD, bei dessen Departement die Federführung lag, zumindest teilweise auch die Vorsteherinnen des EJPD und des EDA durch den Einbezug von ihnen unterstellten Dienststellen über das Dossier 620 621 622

Protokoll der Anhörung von Rudolf Wyss durch die GPK vom 27.11.2009, S. 15.

Ebd., S. 17.

Vgl. Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf durch die GPK vom 29.3.2010, S. 12.

623 Aktenotiz der BA vom 2.6.2008; vgl. Dok. 36 des Führungsdossiers des EFD.

624 Führungsdossier des EFD.

3284

informiert. Soweit den GPK bekannt, thematisierten auch sie das Dossier nicht im Gesamtbundesrat. Ebenfalls punktuell involviert war der damalige Bundespräsident, Pascal Couchepin, der in Absprache mit dem Vorsteher des EFD durch eine Informationsnotiz des Leiters der Arbeitsgruppe Karrer vom 26. Juni 2008 über das Geschäft informiert wurde. Dies erfolgte im Hinblick auf sein Treffen mit dem Chairman des Fed, Ben S. Bernanke.625

3.4

Grundsätzliche Differenzen zwischen den USA und der Schweiz: Der Druck auf die Schweiz nimmt stetig zu (26. August bis 19. Dezember 2008)

3.4.1

Die unterschiedlichen Positionen zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden

3.4.1.1

Plan für die Verhandlungen

Am 26. August 2008 fanden zwei Telefongespräche zwischen Bruce Swartz von der Criminal Division des DOJ und dem Vizedirektor der EBK statt. Drei Tage später fasste Letzterer in einem E-Mail an Bruce Swartz die zwei möglichen Optionen, die das DOJ für den Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit in den USA wohnhaften Kunden vorgeschlagen hatte, zusammen: 1.

Erste Option: Das Konto wird auf Antrag des Kontoinhabers geschlossen, und das Formular W-9 für US-Steuerzahler wird an den U.S. payment agent der IRS übermittelt; die kontenbezogene Korrespondenz wird an eine amerikanische Adresse geschickt, und die Aktiven werden in ein Finanzinstitut mit Sitz in den USA überwiesen.

2.

Zweite Option: Falls der Kontoinhaber keinen solchen Antrag stellt, schliesst die UBS das Schweizer Konto binnen drei Monaten und überweist die Aktiven auf ein Konto der UBS mit Sitz in den USA. Falls der Kontoinhaber der UBS kein Formular W-9 liefert, muss das Konto liquidiert und einer Steuer von 28 Prozent unterzogen werden; anschliessend übermittelt die UBS dem IRS ein Formular mit Informationen zu diesem Konto (inklusive Kundennamen).

Im selben E-Mail an den Staatsanwalt der Criminal Division hob der Vizedirektor der EBK die juristischen Probleme der zweiten Option hervor.

Tatsächlich ist es nach schweizerischem Recht untersagt, das Konto eines Kunden ohne dessen Zustimmung zu schliessen. Ihr Status als Aufsichtsbehörde verbiete es der EBK, die UBS in dieser Weise vorgehen zu lassen. Laut Vizedirektor der EBK würden die Differenzen in Bezug auf den Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft für in den USA wohnhafte Kunden wahrscheinlich zu einem Rechts- und Rechtsprechungsstreit führen. Nach Ansicht der EBK musste ein solcher Konflikt zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden vermieden werden, denn eine juristische Sackgasse hätte für beide Staaten politische Implikationen. Der Vizedirektor der EBK schlug deshalb in seinem E-Mail vor, das gegenseitige Verständnis der jeweiligen Standpunkte zu verbessern und zu vertiefen, um eine Lösung zu finden, die sowohl den juristischen Vorgaben wie auch den 625

Dok. 51 des Führungsdossiers des EFD.

3285

Verpflichtungen der betroffenen Behörden Rechnung trage. Er machte Bruce Swartz folgenden Vorschlag: Die EBK und das DOJ legen einander die Argumente für ihren jeweiligen Standpunkt vor. Dieser Austausch ist nicht verpflichtend. Konkret würde folgendermassen vorgegangen: 1.

Die EBK erklärt, weshalb im Falle eines Rückzugs eine Informationsübermittlung an den IRS ohne Zustimmung des Kunden und ohne den Weg des DBA oder des Rechtshilfegesetzes IRSG zu beschreiten, gegen die vertraglichen Verpflichtungen der UBS gegenüber Tausenden unter Geheimnisschutz stehenden Kunden verstossen würde. Im Übrigen wäre ein solches Vorgehen für die EBK in Anbetracht ihres Mandats und ihrer Zuständigkeiten vollkommen inakzeptabel.

2.

Das DOJ erklärt, weshalb ein Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA ohne Offenlegung der Kundendaten einer Verletzung des amerikanischen Rechts gleichkommen würde. Die EBK ist sehr daran interessiert, die Rechtsgrundlagen zu kennen, die ­ wie das DOJ behauptet ­ festlegen, dass ein Rückzug nur bei vollständiger Offenlegung der Namen der amerikanischen Kunden der UBS an den IRS möglich ist.

Um den Austausch der Standpunkte zum Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA zu erleichtern, schlug der Vizedirektor der EBK in seinem E-Mail an Bruce Swartz vor, an einem in den nächsten Tagen zu bestimmenden Datum Non-papers auszutauschen. So sollte es für beide Parteien möglich sein, eine akzeptable Lösung zu finden. Bruce Swartz akzeptierte diesen Vorschlag und wollte die Diskussion unmittelbar nach dem Austausch der Non-papers anlässlich seines nächsten Besuchs in der Schweiz, d. h. am 18. oder 19. September 2008, fortsetzen.626 In der Zwischenzeit hatte der Präsident der EBK den Mitgliedern der EBK während einer Sitzung am 27. August 2008 mitgeteilt, dass er auf Wunsch des Vizedirektors im Dossier des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA in den Ausstand trete. Grund dafür war, dass sein Name im Sommer 2008 auf einer Liste des DOJ von in das grenzüberschreitende Geschäft der UBS verwickelten Personen aufgetaucht war.627 Der Präsident der EBK war jedoch nie für das grenzüberschreitende Geschäft in den USA zuständig gewesen.

Anfang September 2008 wurde ein neuer Group General Counsel der UBS ernannt.

Es handelte sich um Markus Diethelm, der aufgrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit nicht nur mit dem amerikanischen, sondern auch mit dem schweizerischen Rechtssystem eingehend vertraut war. Markus Diethelm übernahm die Posten von 626 627

E-Mail vom 29.8.2008, EBK, Dok. 71 des Führungsdossiers des EFD.

Gemäss den Erklärungen der EBK hatte das DOJ den EBK-Präsidenten wahrscheinlich deshalb im Visier, weil sein Name auf der Liste der Adressaten eines Berichts zur QIACompliance auftauchte, der Teil eines UBS-internen Audits aus dem Jahr 2001 war, als der EBK-Präsident noch für die Bank arbeitete. Nach UBS-Archiven sieht der berufliche Werdegang des EBK-Präsidenten folgendermassen aus: «1998 wurde er Mitglied des Group Managing Board und brachte die Fusion der ehemaligen UBS und des SBV in den Bereichen Privatkunden und Unternehmen zu einem erfolgreichen Abschluss. 1999 wurde er Leiter des Bereichs Unternehmen. Seit 2002 leitet er die Abteilung Privatkunden und Unternehmen, die für die UBS zur stabilen Einkommensquelle geworden ist.» Am 1. Februar 2005 wurde er zum Vice-Chairman der UBS, zuständig für die Abteilung Business Banking Switzerland. Dabei ist hervorzuheben, dass die grenzüberschreitenden Geschäfte einer anderen Abteilung angehören, für die er nicht zuständig war, nämlich dem Private Banking International.

3286

David Aufhauser, General Counsel Corporate Center der Investment Bank, Neil Stocks, Group Head of Compliance, und Bernhard Schmid, General Counsel Corporate Center, welcher seit der Wahl von Peter Kurer zum Verwaltungsratspräsidenten am 23. April 2008 die Funktion des Group General Counsels interimistisch innerhalb des Dreiergremiums besetzte.

Im selben Zeitraum ­ zwischen September und Oktober 2008 ­ war Michel Guignard, der von 2002 bis 2007 für die USA zuständige Regional Market Manager der UBS, zusammen mit vier weiteren Kundenberatern vom DOJ befragt worden.

Gleichzeitig bekundete das DOJ seine Absicht, Peter Kurer, damals Verwaltungsratspräsident der UBS und ehemaliger Group General Counsel, Marcel Rohner, CEO der UBS, und Raoul Weil, CEO des Global Wealth Management & Business Banking, ehemaliger Direktor der Abteilung für grenzüberschreitende Geschäfte Private Banking International, zu befragen. Die Verhandlungen zwischen den Anwälten der UBS und dem DOJ bezüglich der Modalitäten und Bedingungen solcher Befragungen zogen sich in die Länge, weshalb die Top-Manager der UBS nicht mehr in die USA reisen konnten, ohne Gefahr zu laufen, von der US-Justiz verhaftet zu werden.

Am 5. September 2008 trafen sich der Vorsteher des EFD, der Leiter der Arbeitsgruppe, Alexander Karrer, der Direktor der EFV und der Verwaltungsratspräsident der UBS zu einem Gespräch. Letzterer vermittelte seine Einschätzungen der amerikanischen Justizverfahren gegen die UBS ­ die GPK verfügen über keine weiteren Informationen zum Inhalt dieser Besprechung. Aus den persönlichen Dossiers des Vorstehers des EFD geht jedoch hervor, dass dieser der Meinung war, das EFD müsse sich in dieser Angelegenheit zum Verteidiger der schweizerischen Rechtsordnung machen.628 Am 9. September 2008 verwarfen der für die Tax Division des DOJ zuständige Staatsanwalt, wie auch die SEC und das Fed, in einem Schreiben an die Bank entschlossen den Vorschlag des UBS-Verwaltungsratspräsidenten vom 14. August 2008, in dem dieser angeboten hatte, den Rückzug aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA über einen Transfer der US-Konten auf nicht amerikanische Banken (aber ohne Offenlegung der Kundennamen) vorzunehmen. Die US-Behörden verlangten in jedem Fall Zugang zu den Daten der amerikanischen Kunden, d. h.

selbst wenn sich die UBS vollständig
aus dem US-Markt für grenzüberschreitende Geschäfte zurückzog.

Der Austausch der Non-papers zwischen dem DOJ und der EBK fand am 15. September 2008 per E-Mail statt.

3.4.1.2

Position des DOJ

Das Non-paper des DOJ wurde am 15. September 2008 unverzüglich an alle Mitglieder der Arbeitsgruppe Karrer sowie an die BA übermittelt. Das DOJ hatte darum gebeten, dass sein Non-paper nicht an die UBS oder andere schweizerische Behörden weitergereicht werde, was von der Schweizer Seite respektiert wurde.

628

Handnotiz, vom 5.9.2008, Urheber unbekannt, Dok. 37 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3287

Das Non-paper des DOJ umfasste verschiedene Punkte.629 Einleitend hielt es fest, dass eine Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS im Gange war betreffend Umsetzung eines grossflächigen Betrugsschemas. Laut Non-paper unterschied sich dieses Betrugsschema grundlegend von typischen Steuerfluchtsoder Steuerbetrugsfällen. Nach Ansicht des DOJ machten die folgenden drei Faktoren die Struktur zu einem Phänomen sui generis:630 1.

Das DOJ verfügte erstmals über Beweise, dass eine Schweizer Bank wissentlich und absichtlich amerikanische Kunden beim Steuerbetrug unterstützt und sie dazu animiert hat.

2.

Das DOJ verfügte erstmals über Beweise, dass eine Schweizer Bank dem IRS falsche Angaben gemacht hat in der Absicht, die USA zu betrügen.

3.

Ausserdem war es deshalb ein Problem sui generis, weil die UBS im Jahr 2001 durch die Unterzeichnung eines Abkommens mit dem IRS den Status des QI erhalten hatte.

Das Non-paper rief weiter in Erinnerung, dass der QI-Status den Finanzinstituten Vorteile bringt, gleichzeitig aber mit Melde- und Steuerrückbehaltspflichten zugunsten des IRS verbunden ist. Die UBS habe dieses Abkommen verletzt, indem sie ihre Mitarbeiter in die USA schickte, um Tausenden von US-Kunden zu raten, ihre insgesamt auf 20 Milliarden Dollar geschätzten Aktiven vor dem IRS zu verbergen.

Die im Besitz des DOJ befindlichen Indizien schienen darauf hinzuweisen, dass die UBS selbst dank dieses Betrugsschemas jährlich um 200 Millionen Dollar einnahm.

Da die UBS über die geltenden amerikanischen Steuergesetze und die im QI stipulierten Verpflichtungen bestens informiert gewesen sei, müssten die Verstösse als schwer betrachtet werden.

Zu den im Non-paper genannten Verstössen gehörten unter anderem:

629 630

­

Die UBS hat von den US-Kunden oder den Besitzern amerikanischer Vermögenswerte nicht die vorgeschriebenen Formulare verlangt. Folglich konnte die UBS den auf Grundlage dieser Formulare berechneten Steuerrückbehalt nicht vornehmen.

­

Die UBS hat die mit den Formularen verbundenen Meldungen nicht erbracht.

­

Die UBS hat die Regeln beim Verkauf von Aktiven nicht eingehalten.

­

Die UBS hat bei massiven Aktivenverkäufen keinen Steuerrückbehalt vorgenommen.

­

Die UBS hat Kunden, die nicht beim IRS gemeldet sein wollten, unter Verletzung des QI-Systems geholfen, US-Wertpapiere zu besitzen.

­

Die UBS hat für US-Kunden nicht gemeldete Konten aufrechterhalten.

­

Die UBS hat ihren reichsten US-Kunden geholfen, finanzielle Konstrukte zu errichten, insbesondere offshore Strukturen in anderen Steuerparadiesen.

­

Für Kunden, die über finanzielle Montagen vom Typ offshore verfügten, fälschte die UBS Meldeformulare an den IRS, indem sie diese amerikanischen als nicht-amerikanische Kunden ausgab.

UBS Non-paper vom 15.9.2008, DOJ, Dok. 71 des Führungsdossiers EFD.

d. h «eigener Art, einzigartig»

3288

Laut Non-paper des DOJ konnte angesichts der Schwere der Verstösse ­ die soweit ging, dass der Verwaltungsrat der UBS selbst erklärte, man würde Jahre brauchen, um die Unterlassungen im Bereich Meldung und Steuerrückbehalt zu quantifizieren ­ das schweizerische Bankgeheimnis nicht zur Verteidigung dieses Schemas angerufen werden. Das DOJ zeigte sich überzeugt, dass das Bankgeheimnis nicht zum Schutz solcher Missbräuche konzipiert worden war.

Das Non-paper des DOJ kam folglich zu zwei Schlüssen: Erstens sollte die schweizerische Regierung sich dem Standpunkt des DOJ, demzufolge das schweizerische Bankgeheimnis im Fall der besagten Konten nicht zur Anwendung kommen konnte, anschliessen, und folglich sollten diese Informationen den US-Behörden entweder direkt oder über ein Amtshilfeverfahren übergeben werden können. Zweitens sollte die schweizerische Regierung es dem DOJ gleichtun und von der UBS als Teil ihres Rückzugs aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA die Offenlegung der kontenbezogenen Informationen verlangen.

Schliesslich vermerkte das Non-paper, dass das DOJ bei Nichtzustandekommen einer Einigung unilaterale Massnahmen gegen die UBS ergreifen werde. Weiter wurde betont, dass das DOJ trotz der Bemühungen der EBK, die UBS zur Übergabe von Unterlagen zu bewegen, nicht an den Kooperationswillen der UBS innerhalb der geforderten Frist glaubte. Das DOJ zeigte sich zudem überzeugt, dass ein Strafverfahren in den USA zu einer Verurteilung der UBS führen würde und weitere Verfahren gegen das Bankgeheimnis nach sich ziehen könnte. Das Non-paper forderte von der schweizerischen Regierung, nicht länger zu dulden, dass die UBS das schweizerische Bankgeheimnis ausnutze und kompromittiere mit dem alleinigen Ziel, ein mutwilliges Steuerfluchts- und Steuerbetrugsschema zu schützen.

3.4.1.3

Position der EBK

Die erste Version des schweizerischen Non-paper, verschickt am 15. September 2008631, begann mit dem Beschluss der UBS vom 14. September 2008, einen Rückzug aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA vorzuschlagen. Ein solcher Rückzug war vom DOJ in einem Schreiben vom 9. September 2008 abgelehnt worden. Das DOJ suggerierte, dass die UBS-Kunden infolge der Unterzeichnung des QIA durch die UBS auf die mit dem Bankgeheimnis verbundenen Rechte verzichten und folglich eine Offenlegung ihrer Daten akzeptieren mussten. Dazu erwiderte die EBK, dass in der Schweiz lizenzierte Finanzinstitute alle zur Geheimhaltung ihrer Kundendaten verpflichtet seien, unabhängig von der Nationalität der Kunden und gegenüber allen Behörden, ob schweizerischen oder ausländischen.

Diese Geheimhaltungspflicht gelte auch nach Schliessung des Kontos. Gemäss Artikel 47 des Bundesgesetzes vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen kann eine Verletzung des Bankgeheimnisses schwere Sanktionen nach sich ziehen, in Form von Geld- oder sogar Freiheitsstrafen.

Das Non-paper der EBK betonte weiter, dass das schweizerische Bankgeheimnis für den Antrag einer ausländischen Behörde nach Vorlage von Dokumenten im rechtlichen Rahmen der Amtshilfe kein Hindernis darstelle. Diese Art der Zusammenarbeit war in multilateralen und bilateralen Verträgen in Einklang mit dem schweize631

Non-paper vom 15.9.2008, EBK, Dok. 40 der drei persönlichen Ordner des Departementschefs EFD.

3289

rischen Recht geregelt. Kurz, die UBS hatte nicht das Recht, die Namen oder Daten ihrer Kunden offenzulegen, es sei denn mit ausdrücklicher Bewilligung des Kunden oder über ein Rechts- oder Amtshilfeverfahren.

Das Non-paper der EBK fuhr fort mit einer Untersuchung des QI-Systems vom Standpunkt des schweizerischen Rechts. Wie die EBK vermerkte, war das QIA ein dem US-Recht unterstehendes Abkommen zwischen schweizerischen Banken und dem IRS und folglich für die schweizerische Regierung nicht bindend. Laut EBK legte das QI-System ausdrücklich fest, wie im Falle von Banken mit QI-Status, die dem schweizerischen Bankgeheimnis unterworfen sind, vorgegangen werden musste. Was den konkreten Fall des Rückzugs der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA anbelangte, so war im QIA nirgendwo vermerkt, dass der Kunde, der den Verkauf von Aktiven bewilligte632, damit explizit oder implizit auch auf den Geheimnisschutz verzichtete.633 Auf Grundlage der Mitteilungen der UBS an ihre US-Kunden, in denen die Optionen zur Erfüllung der QI-Anforderungen erörtert wurden, schloss die EBK, es dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass ein Kunde, der weiter mit der UBS in einem Geschäftsverhältnis stand und seine Aktiven nicht abtreten wollte, implizit auf den Geheimnisschutz verzichtete ­ umso mehr, als ein impliziter Verzicht im schweizerischen Recht nicht vorgesehen war.

Das Non-paper der EBK bezog sich auf die Verhandlungen zwischen dem IRS und Finanzinstituten, darunter die Schweizerische Bankiervereinigung, die zur Verfassung von Abschnitt 6.04 des QIA zum Bankgeheimnis geführt hatten. Das EFD erteilte am 7. November 2000 eine Bewilligung nach Artikel 271 StGB634, die es den Banken ermöglichte, den Verpflichtungen des QI auf Schweizer Boden nachzukommen. Ohne diese Bewilligung des EFD hätten mehrere Verpflichtungen gegenüber dem IRS nicht erfüllt werden können, ohne dass dabei schweizerisches Recht verletzt worden wäre. Das EFD hatte dem Bewilligungstext folgende Ergänzung hinzugefügt: «Diese Bewilligung entbindet die mit der Anwendung der «Qualified Intermediary Withholding Agreements» befassten Personen nicht davon, die Bestimmungen der schweizerischen Rechtsordnung und im Besonderen jene über den Geheimnisschutz einzuhalten.»635 Das Non-paper bezog sich auf diese Bemer-

632 633

Dies trägt den «deemed sales rules» nicht Rechnung.

«(1) If QI is prohibited by law, including by contract, from disclosing to a withholding agent or to the IRS on Form 1099 the account holder's name, address, and TIN, for reportable payments paid to the account holder, then QI must ­ (i) Request from the account holder the authority to make such a disclosure; ii) Request from the account holder the authority to sell any assets that generate, or could generate, reportable payments; or (iii) Request that the account holder disclose himself by mandating QI to provide a Form W-9 completed by the account holder. (...)

(3) Until QI receives a waiver of all prohibitions against disclosure or authorization to sell all assets that generate, or could generate, reportable payments, or a mandate from the account holder to provide a Form W-9, QI shall backup withhold on all reportable payments ...». QIA, Sec. 6.04. Legal Prohibitions Against Disclosure of U.S. Non-Exempt Recipients.

634 «Bewilligung gemäss Art. 271 StGB betreffend «Qualified Intermediary Withholding Agreements», welche zwischen der US-Bundessteuerbehörde und schweizerischen Banken oder Effektenhändlern abgeschlossen werden» vom 7.11.2000 an die Schweizerische Bankiervereinigung.

635 Dito.

3290

kung, um deutlich zu machen, dass das QIA keine Priorität vor dem Bankgeheimnis hat.

Abschliessend unterstrich das Non-paper der EBK die Tatsache, dass die UBS, falls sie dem DOJ oder dem IRS Kundendaten übermittelte, ohne das entsprechende Formular oder zumindest einen ausdrücklichen Verzicht auf den Geheimnisschutz von Seiten des Kunden erhalten zu haben, das Bankgeheimnis verletzen würde. In diesem Fall sähe sich die EBK als Aufsichtsbehörde gezwungen, Massnahmen zu erlassen, um Verletzungen des schweizerischen Rechts zu verhindern, und gleichzeitig Sanktionen gegen die Bank und ihre Mitarbeiter zu ergreifen.

Auf diesen Austausch von Non-papers folgte ein Treffen mit dem US-Staatsanwalt, dem Deputy Assistant Attorney General Bruce Swartz der Criminal Division des DOJ, am 19. September 2008 in Bern. Ziel war es, die schweizerische und die amerikanische Position zur Rückzugsstrategie der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA zu diskutieren.

In der Zwischenzeit, d. h. zwischen dem Austausch der Non-papers und dem Treffen mit dem US-Staatsanwalt, hatte das New Yorker Anwaltsbüro WLRK am 18. September 2008 die Ergebnisse der internen Untersuchung der UBS der EBK in Bern vorgelegt. Laut EBK/FINMA war bei dieser Präsentation ein Beisitzer des DOJ zugegen. Die EBK rügte die UBS und deren Anwaltsbüro für die mehrfache Nichteinhaltung der Fristen, auf die man sich gemeinsam geeinigt hatte.

Das Non-paper der EBK war nach dem ersten Austausch der Non-papers vom 15. September 2008 überarbeitet worden. Das überarbeitete Non-paper der EBK ist auf den 19. September 2008 datiert.636 Im Vergleich zum ersten Non-paper vom 15. September 2008 wurden ein paar minimale Änderungen und Ergänzungen angebracht, die aber die Position der EBK unverändert liessen. Auch diese Fassung wurde an das DOJ übermittelt.

3.4.1.4

Erstmalige Information des Gesamtbundesrats

Gemäss den Aufzeichnungen der BK hat der Vorsteher des EFD das Bundesratskollegium erstmals am 19. September 2008, im Anschluss an seine Ausführungen zur Bankenkrise, kurz über die Schwierigkeiten der UBS mit den US-Behörden im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden informiert.

Dabei legte er dar, dass es ein Problem bei den Rechtsfällen der UBS in den USA gebe und dass die Anklage auf Mithilfe zu systematischem Steuerbetrug laute. Der Fall sei nunmehr auf politischer Ebene angelangt. Die ESTV sei die zuständige Behörde für die Behandlung der Amtshilfeersuchen. Es sei das deklarierte Ziel, möglichst bald eine beschwerdefähige Verfügung zu erlassen. Die von der UBS beschlossene Exit-Strategie im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA werde von den USA nicht akzeptiert. Die USA verlangten die Herausgabe von 20 000 Adressen von Kunden. Der «Whistleblower» Bradley Birkenfeld habe dem DOJ Informationen gegeben. Der Untersuchungsbericht der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS sei provisorisch abgeschlossen. Es sei möglich, dass der Druck der USA auf die UBS drastisch erhöht werde (Subpoena). Ein 636

Non-paper to DoJ on Swiss legal framework as it affects the implementation of UBS'exit strategy vom 19.9.2008, EBK, Dok. 72 des Führungsdossiers des EFD.

3291

Gespräch mit dem US-Finanzminister Paulson sei geplant. Es sei wichtig, dass eine Exit-Strategie nicht nötig werde.

Im Anschluss an diese Orientierung wollte ein Mitglied des Bundesratskollegiums wissen, welche Folgen mit einer Subpoena verbunden seien. Ob die Frage beantwortet wurde, liess sich durch die GPK nicht eruieren.

Im Nachgang an diese Information beauftragte das Bundesratskollegium den Vorsteher des EFD mit der Ausarbeitung von schriftlichen Szenarien für den Fall, dass schnell reagiert werden müsste.

Der Vorsteher des EFD konnte sich anlässlich seiner Anhörung durch die GPK nicht mehr daran erinnern, ob er diesen Auftrag in der kurzen Zeit vor seinem gesundheitlichen Zusammenbruch am 20. September 2008 noch an die zuständigen Stellen weitergeleitet hatte.

In der Informationsnotiz von Alexander Karrer an die Vorsteherin des EJPD vom 25. September 2008, mit der die Stellvertreterin des Vorstehers des EFD in Sinne einer Aufdatierung und Standortbestimmung über dieses Dossier informiert wurde, findet sich kein Hinweis auf einen solchen Auftrag. Darin wird nebst der Weiterverfolgung der laufenden Amtshilfeverfahren durch die schweizerischen Behörden lediglich darauf hingewiesen, dass je nach weiterem Verlauf des Dossiers allenfalls politische Kontakte zwischen den amerikanischen und schweizerischen Behörden auf Verwaltungsebene stattfinden müssten.637 Aufgrund der Informationen, welche den GPK vorliegen, wurden Handlungsoptionen ausserhalb des laufenden Amtshilfeverfahrens erst am 20. Oktober 2008, also einen Monat später, durch die EBK in die Diskussion auf Verwaltungsstufe eingebracht.638 Der Auftrag des Bundesratskollegiums an das EFD, schriftliche Szenarien zu erarbeiten, wurde ­ gemäss den den GPK vorliegenden Informationen ­ nie im Sinne eines dem Gesamtbundesrat abgegebenen Antrags, welcher die möglichen Handlungsoptionen detailliert erläutert, erfüllt.639

3.4.1.5

Entgegengesetzte Positionen

Am 19. September 2008 traf der US-Staatsanwalt der Criminal Division des DOJ den Leiter der Arbeitsgruppe, Alexander Karrer, sowie den Vizedirektor der EBK, begleitet von einer für amerikanische Angelegenheiten zuständigen EBK-Mitarbeiterin, zu einem informellen Treffen. Die Informationen, welche die GPK zu diesem Treffen in Bern erhalten konnte, sind sehr spärlich. Die von der EBK/FINMA erstellte Chronologie erwähnt das Treffen mit folgenden Worten: «Es ist beiden Seiten klar, dass die Positionen in den ausgetauschten Non-papers sich

637 638

Dok. 75 des Führungsdossiers des EFD.

Informationsnotiz der EBK vom 20.10.2008 an den Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV, den Leiter der Arbeitsgruppe Karrer, den Vertreter der PA V in der Arbeitsgruppe Karrer, den stellvertretenden Direktor BJ und an den schweizerischen Botschafter in den USA; Dok. 80 des Führungsdossiers des EFD.

639 Der Vorsteher des EFD verteilte anlässlich der Sitzung des Bundesrats zwei Notizen, wovon die mit «Charybdis» betitelte Notiz rudimentär drei Handlungsoptionen umschrieb. Vgl. Ziffer 3.4.4.5. zum Vorsteher des EFD.

3292

diametral entgegenstehen; Diskussion über das weitere Vorgehen».640 Die GPK verfügen über keine Schlussfolgerungen dieses Treffens zum Rückzug der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA.

Am 20. September 2008 erlitt der Vorsteher des EFD einen Kreislaufkollaps. Als Folge davon übernahm die Vorsteherin des EJPD vorübergehend (bis zum 3. November 2008) die Leitung des EFD.

Ab dem 22. September 2008 wurden ungefähr 20 Mitarbeiter der UBS641 von der EBK im Rahmen ihrer eigenen Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA befragt.

Diese Anhörungen wurden informell, d. h. ohne Protokoll geführt. Die EBK machte sich während der Befragungen Notizen. Die EBK/FINMA erklärte später, das Fehlen eines Protokolls sei auf Zeitmangel und einen Mangel an Ressourcen zurückzuführen.

Am 25. September 2008 schickte der Leiter der Unterabteilung Finanzfragen der Politischen Abteilung V des EDA den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Karrer ­ mit Ausnahme des stellvertretenden Direktors des BJ ­ ein E-Mail zu einem Presseartikel, in dem von einem Vorschlag zur UBS-Affäre in den USA die Rede war. Tatsächlich hatte um den 22. September 2008 ein US-Staatsanwalt von der Möglichkeit eines Voluntary Disclosure Program in Bezug auf die UBS-Affäre gesprochen.

Dieses Amnestieprogramm sah eine Straferleichterung für amerikanische Steuerbetrüger vor, die sich von sich aus beim IRS meldeten. Damit sollte den Steuerbetrügern gewissermassen eine letzte Gelegenheit gegeben werden, bevor die UBS ihren Rückzug aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA abschloss. Diese Position erschien dem Leiter der Unterabteilung Finanzfragen des EDA interessant.

Den GPK ist nicht bekannt, ob diese Möglichkeit von den betroffenen schweizerischen Akteuren geprüft worden ist.

Am selben Tag, dem 25. September 2008, schickte der Leiter der Arbeitsgruppe, Alexander Karrer, der Vorsteherin des EJPD eine 8-seitige Notiz zur Problematik des Rückzugs der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA, mit dem schweizerischen und dem amerikanischen Non-paper im Anhang.642 Die Notiz war von der Arbeitsgruppe Karrer verfasst worden. Sie erläuterte die Entwicklungen der wichtigsten Elemente der UBS-Affäre: 1.

die drei amerikanischen Untersuchungen des DOJ, des IRS und der SEC;

2.

die Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden;

3.

die interne Untersuchung der UBS;

4.

die Anhörungen der Subkommission des US-Senats;

5.

die Rückzugsstrategie der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA;

6.

eine kurze Analyse der Gesamtlage.

640 641

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Es waren dies Peter Kurer, Marcel Rohner, Raoul Weil, Martin Liechti sowie andere (ehemalige oder gegenwärtige) Verantwortliche und Kundenberater des Bereichs grenzüberschreitendes Geschäft in den USA.

642 Notiz vom 25.9.2008, EFV, Dok. 75 des Führungsdossiers EFD.

3293

Die Notiz bot einen allgemeinen Überblick über die bisherigen Geschehnisse. Im Kapitel zur Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden sprach Alexander Karrer von der amerikanischen Unzufriedenheit mit der Zusammenarbeit der UBS wie auch der schweizerischen Behörden. Der Leiter der Arbeitsgruppe betonte, dass die schweizerischen Behörden von Anbeginn ihre Bereitschaft erklärt hatten, im Rahmen einer Amts- oder Rechtshilfe mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten. Er unterstrich weiter, dass dank der Bemühungen der Arbeitsgruppe Karrer und dank der Zusammenarbeit der EBK und der ESTV über die Amts- und Rechtshilfe unilaterale Massnahmen der US-Behörden gegen die UBS zur Erzwingung einer Übergabe von Kundendaten hatten verhindert werden können.

Alexander Karrer sprach auch vom Reputationsrisiko für die UBS und den Finanzstandort Schweiz, falls die Steuerstreitigkeiten zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden publik werden sollten. Ein solches Szenario würde all jenen Stimmen Aufwind geben, welche die Schweiz aus Steuergründen zur Aufgabe des Bankgeheimnisses bewegen wollten.643 Ausserdem war in der Notiz von den bevorstehenden Treffen der UBS mit den amerikanischen Behörden die Rede, das erste am 26. September 2008 mit dem DOJ zur Frage des Rückzugs aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA, das zweite am 17. Oktober 2008 mit den US-Behörden und der EBK zwecks Unterbreitung der Ergebnisse der vom Anwaltsbüro WLRK durchgeführten internen Untersuchung der UBS.

Die Notiz berichtete weiter über den Stand des Amtshilfeverfahrens der ESTV zugunsten des IRS, das immer noch im Gange war. Ein erster Entscheid war für Anfang Oktober 2008 vorgesehen. Anschliessend hatten die betroffenen Personen 30 Tage Zeit, beim BVGer Beschwerde einzureichen. Die Notiz hielt fest, dass zusätzliche Ressourcen angefordert worden waren. Weiter wurde erwähnt, dass die EBK der SEC im Rahmen der Amtshilfe die angeforderten Bankunterlagen übermittelt hatte, allerdings ohne UBS-Kundendaten. Die SEC hatte die Informationen daraufhin an das DOJ weitergeleitet.

Abschliessend nannte die Notiz eine mögliche Vorgehensweise für den Fall, dass sich die Lage weiter verschärfen sollte. Sie bestand darin, bei den US-Behörden politisch zu intervenieren, um eine Eskalation der Affäre
durch das DOJ zu verhindern. In diesem Fall obläge es dem EFD, diese Kontakte zu koordinieren, insbesondere jene zwischen der amerikanischen Botschaft in der Schweiz, dem US-Treasury und dem Federal Reserve Board. In letzter Instanz müssten die politischen Kontakte auf Ministerebene bzw. auf Ebene der Departementsvorsteher stattfinden. Auf eine entsprechende Frage der GPK antwortete die Vorsteherin des EJPD, sie habe daraufhin zusammen mit den involvierten Personen des EFD die Art und Weise des weiteren Vorgehens beschlossen, insbesondere wie die Gespräche mit den Vertretern des IRS und des DOJ geführt werden sollten.644 In einem E-Mail der UBS645 vom 26. September 2008 an den Leiter der Arbeitsgruppe und den Vizedirektor der EBK teilte der Head Litigation Corporate Center seine Gedanken zur Lage mit. Er bezog sich insbesondere auf das Justizverfahren des DOJ, das die Anhörung mehrerer UBS-Mitarbeiter vorsah, u. a. des ehemaligen 643 644

Zur Aufgabe des «steuerlichen Bankgeheimnisses».

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf durch die GPK vom 3.5.2010, S. 4.

645 E-Mail vom 25.9.2008, UBS, Dok. 76 des Führungsdossiers des EFD.

3294

Head North America International der UBS (von 2002 bis September 2007). Die Rückzugsstrategie der UBS kam ebenfalls zur Sprache, ebenso wie die Vorbereitung auf die Präsentation der definitiven Ergebnisse der internen Untersuchung der UBS.

Zudem legte die UBS eine Zukunftsprognose vor, der zufolge es dringend geboten war, mit der gegenwärtigen US-Regierung eine Vereinbarung zu treffen, solange diese noch im Amt war. Die UBS war weiter der Ansicht, dass US-Staatsanwalt Kevin Downing der Tax Division des DOJ, der damals in seiner Untersuchung über beträchtlichen Handlungsspielraum verfügte, für eine rasche Lösung ein Hindernis darstellen könnte. Laut UBS bekundete die US-Regierung Interesse an einer raschen Lösung. Die Bank sah jedoch ein begrenztes Zeitfenster zum Abschluss der Verhandlungen. Abschliessend wurde deutlich gemacht, dass die UBS ein aktives Engagement der schweizerischen Regierung im Interesse der UBS und des Finanzstandortes Schweiz sehr begrüssen würde. In diesem Mail betonte die UBS auch die Notwendigkeit, Kontakt mit dem US-Treasury, dem Fed und dem Department of State (US-Aussenministerium) aufzunehmen, zuerst zwischen hohen Staatsbeamten, und dann sehr rasch auf Regierungsebene.

Am 30. September 2008 informierte der Schweizer Botschafter in Washington, der die Angelegenheit in den USA aus nächster Nähe mitverfolgte, die Mitglieder der Arbeitsgruppe Karrer in einem E-Mail646 über den Stand der Verhandlungen der UBS mit dem DOJ. Er stützte sich dabei auf Gespräche mit dem Group General Counsel der UBS.

Der Group General Counsel der UBS habe sich allein mit dem Staatsanwalt der Tax Division des DOJ, Kevin Downing, unterhalten. Dieser habe sich für eine kooperative Lösung ausgesprochen. Nach Aussagen des Schweizer Botschafters habe der Group General Counsel insbesondere über den Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft verhandelt. Er habe den US-Behörden nahegelegt, auf die Offenlegung der Kundendaten in ihrer Gesamtheit zugunsten derjenigen Konten, welche die höchsten Summen aufwiesen, zu verzichten, und dabei gleichzeitig positive oder negative Anreize zu schaffen, um freiwillige Meldungen herbeizuführen. Kevin Downing hätte sich bereit erklärt, diese Vorschläge zu prüfen.

Im gleichen E-Mail bemerkte der Schweizer Botschafter jedoch, die US-Behörden würden sich
zu den Vorschlägen der UBS erst nach der Präsentation der Ergebnisse ihrer internen Untersuchung UBS vom 17. Oktober 2008 äussern.

Er schlug vor, dass die betroffenen schweizerischen Behörden sich bei ihrem nächsten Besuch in Washington anlässlich der Treffen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank mit den US-Behörden über die Angelegenheit des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS unterhalten sollten.

Der Schweizer Botschafter war auch der Meinung, dass die UBS-Affäre noch nicht genügend weit fortgeschritten war, um Kontakte auf Regierungsebene zu rechtfertigen. Er schlug eine offizielle Kommunikationsstrategie vor, in der die Zusammenarbeit der schweizerischen Behörden mit der UBS sowie das aussergewöhnlich aufwändige Amtshilfeverfahren in den Vordergrund gestellt werden sollten. Gewisse Botschaften sollten den US-Behörden unmissverständlich übermittelt werden: Gegenüber dem DOJ ging es darum, auf die Achtung des Rechts eines befreundeten Staates zu pochen und die zur Verfügung stehenden Zusammenarbeitskanäle zu 646

E-Mail vom 30.9.0208, Schweizerische Botschaft in den USA, Dok. 77 des Führungsdossiers EFD.

3295

unterstreichen. Gegenüber dem Treasury und dem IRS musste die Tatsache hervorgehoben werden, dass die laufende Kooperation zu mehr Steuererklärungen und folglich zu mehr Einnahmen führen würde. Und gegenüber dem Fed schliesslich musste die Bedeutung der UBS für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems betont werden.

3.4.2

Treffen mit Vertretern des DOJ und des Treasury am 10. und 17. Oktober 2008

3.4.2.1

Treffen mit Vertretern des DOJ

Laut einer vom Leiter der Arbeitsgruppe Karrer verfassten Notiz vom 14. Oktober 2008647, adressiert an die Vorsteherin des EJPD, die EBK, die Schweizer Botschaft in Washington, die ESTV und die SNB, trafen Alexander Karrer und der Schweizer Botschafter in den USA, begleitet von zwei Mitarbeitern der Schweizer Botschaft, am 10. Oktober 2008 in Washington den Associate Attorney General, Kevin O'Connor, Bruce Swartz von der Criminal Division und Kevin Downing von der Tax Division.

Gemäss dieser Notiz sprach sich Kevin Downing in diesem Gespräch für einen raschen Abschluss des Falles aus, an dem im Kontext der Finanzkrise sowohl der Schweiz wie auch den USA gelegen war. Ansonsten wiederholte er die im Nonpaper des DOJ aufgeführte Position und fügte hinzu, dass man trotz der guten Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen und den amerikanischen Behörden von den vom DOJ erhofften Ergebnissen noch weit entfernt sei. Er meinte weiter, dass jetzt, wo die für den 17. Oktober in New York geplante Präsentation der internen Untersuchung der UBS sich näherte, das DOJ sehr bald vor der Frage stehen würde, ob es gegen die UBS Anklage erheben sollte. Der Notiz von Alexander Karrer zufolge war es nicht der Wunsch Kevin O'Connors, den Rechtsstreit zwischen den beiden Rechtsordnungen vor einem amerikanischen Gericht auszutragen, obwohl dieser zuversichtlich sei, dass das DOJ in diesem Fall Recht erhalten würde.

Kevin O'Connor äusserte den Wunsch, dass die schweizerischen Behörden in Anbetracht des schweren Verdachts gegen die UBS selbst Anklage erheben würden, um so ihrerseits Zugang zu den Kontendaten zu erhalten. Laut der Notiz bemerkte er zudem, dass das DOJ unter Ergebnisdruck stand, denn die von Senator Levin geleitete Subkommission des Senats hatte im US-Senat hohe Erwartungen gegenüber der Regierung geschaffen. Alexander Karrer erwiderte darauf, dass aus seiner Sicht die Lösung in einer Kooperation bestand, da der Rechtsrahmen praktisch keinen anderen Weg offen lasse. Ausserdem gab er sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass in den Augen der US-Behörden Konten von amerikanischen Steuerzahlern, die weder US-Wertpapiere noch offshore Strukturen aufwiesen, ein Delikt darstellen sollten. Anschliessend wurden die Vorschläge der UBS zu ihrem Rückzug aus dem grenzüberschreitenden Geschäft unterbreitet, die
Kevin Downing aber gesamthaft verwarf.

Der Leiter der Arbeitsgruppe kam in seiner Notiz vom 14. Oktober 2008 zum Schluss, dass das DOJ sich wahrscheinlich an einem Wendepunkt befand, an dem es über keine Elemente mehr verfügte, um seine Untersuchung voranzubringen.

647

Notiz vom 14.10.2008, EFV, Dok. 78 des Führungsdossiers des EFD.

3296

Die Erwartungen des US-Senats setzten das DOJ unter Druck, und Resultate mussten vor dem anstehenden Regierungswechsel vorgewiesen werden. Dementsprechend musste die Subpoena gegen die UBS vor Jahresende 2008 erlassen werden.

Die schweizerischen Behörden taten deshalb gut daran, das Amtshilfeverfahren zu beschleunigen und in Anbetracht der Turbulenzen auf den Finanzmärkten Kontakt mit dem Treasury und dem Fed aufzunehmen.

Diese Informationen wurden an die Vorsteherin des EJPD, die zu jenem Zeitpunkt den Vorsteher des EFD vertrat, weitergeleitet. Den GPK ist nicht bekannt, welche Entscheidungen die Vorsteherin des EJPD in dieser Hinsicht getroffen hat.

Am 14. Oktober 2008 erliess der District Attorney von New York eine Grand Jury Subpoena gegen die UBS mit Frist bis zum 31. Oktober 2008 zur Vorlage u. a. von Beweisen und Unterlagen zu den nicht gemeldeten Konten ­ wie z. B. Stiftungen und Trusts, die US-Kunden seit dem 1. Januar 2001 bei der UBS in der Schweiz eröffnet hatten ­ sowie Unterlagen zu den Geschäftsreisen, Telefongesprächen, EMails, Korrespondenzen, Agenden und Terminkalendern von Bradley Birkenfeld und anderen UBS-Kundenberatern aus dem gleichen Zeitraum. Ausserdem wurden in der Subpoena die Kundendaten der nicht gemeldeten Konten, d. h. der non-W-9, verlangt.

Der District Attorney von New York hatte zudem eine Untersuchung zu Steuerfluchtsfällen im Bundesstaat New York eröffnet. Falls die UBS bis zur gesetzten Frist der Subpoena nicht Folge leisten sollte, würde die Führungsebene der UBS der kriminellen Missachtung des Gerichts angeklagt.

3.4.2.2

Sitzung des Bundesrats vom 15. Oktober 2008 zur Rekapitalisierung der UBS

Der unter der Federführung der Vorsteherin des EJPD ausgearbeitete Antrag des EFD vom 14. Oktober 2008 betreffend Massnahmen zur Stützung des Finanzsystems enthielt unter Ziffer 7 einen Abschnitt zur strafrechtlichen Untersuchung der USA gegen die UBS.

In diesem Abschnitt wurde explizit auf die strafrechtliche Untersuchung des DOJ gegen die UBS, ihre Organe und US-Kunden der UBS wegen allfälligen Vergehen gegen US-Steuerrecht hingewiesen. Erwähnt wurde auch, dass das DOJ von der UBS (Schweiz) Angaben über eine Vielzahl ihrer US-Kunden verlangt hatte und dass diese Kundeninformationen Gegenstand von bei der ESTV hängigen Amtshilfeverfahren auf Ersuchen der US-Steuerbehörde IRS seien. Erläutert wurde ferner, dass sich die US-Behörden frustriert über die Dauer und die inhaltlichen Beschränkungen dieser Verfahren gezeigt hätten und damit drohten, die UBS Schweiz mittels Zwangsandrohungen zur Herausgabe der Kundendaten zu zwingen. Diesem Zwang könnten sie mit Beugebussen und Massnahmen gegen die US-Einheiten der UBS Nachdruck verleihen. Einer Herausgabe der Kundendaten auf diesem Weg ausserhalb eines rechtmässigen Schweizer Rechts- oder Amtshilfeverfahrens stünde das Bankgeheimnis entgegen, was die zuständigen Schweizer Behörden den US-Behörden auch unmissverständlich zu verstehen gegeben hätten. Zwar sei es bis anhin gelungen, unilaterale Massnahmen der US-Behörden zu verhindern. Wie jedoch die letzten Gespräche nochmals gezeigt hätten, bestünden die USA weiterhin auf die weitgehende Herausgabe von Kundendaten ausserhalb des Schweizer Amts- und 3297

Rechtshilfewegs, welche sich durch den angekündigten Ausstieg der UBS aus dem grenzüberschreitenden Privatkundengeschäft mit US-Kunden (Exit-Strategie) ergeben würde. Dies bilde für die US-Behörden eine Voraussetzung für ein allfälliges Settlement in dieser Frage. Das US-Steuerverfahren habe ein hohes politisches Eskalationspotenzial. Zudem könnte es die Geschäftstätigkeit der UBS in den USA behindern oder im Fall einer strafrechtlichen Anklage gegen die UBS sogar deren Existenz gefährden. Je nach Entwicklung würden Interventionen auf hoher Ebene notwendig, um auf eine rasche Lösung hinzuwirken.

Soweit die GPK feststellen konnten, wurde die Thematik vom Bundesratskollegium im Vorfeld des Beschlusses vom 15. Oktober 2008 nicht diskutiert. Es wurden auch keine diesbezüglichen Entscheide getroffen. Vielmehr scheinen die Informationen in den Wirren um die Rettung der UBS untergegangen und in Vergessenheit geraten zu sein. Auch der EFD-Vorsteher nahm das Problem nach seiner Rückkehr in sein Amt am 3. November 2008 nicht wieder auf.

3.4.2.3

Treffen mit Vertretern des Treasury

Am 17. Oktober 2008 erliess die ESTV einen ersten Entscheid gegen einen US-Kunden der UBS. Der Kunde verfügte von diesem Zeitpunkt an über eine Frist von dreissig Tagen, um beim BVGer Beschwerde einzureichen.

Am gleichen Tag fand ein Treffen zwischen dem Leiter des Wirtschafts- und Finanzdiensts der Schweizer Botschaft und Vertretern des Treasury statt. Er unterstrich die Situation der Schweiz, die in Anbetracht der Systemrelevanz der UBS im Falle von Drohungen oder unilateralen Massnahmen gegen die Bank ihre eigene Stabilität gefährdet sah. Ausserdem erläuterte er die Massnahmen, welche die schweizerischen Behörden zur Stabilisierung der UBS nach deren Verlusten auf dem US-Subprime-Markt ergriffen hatten.

Die Argumente der schweizerischen Behörden waren hauptsächlich wirtschaftlicher und finanzieller Natur, da die Wirtschaftskrise mit dem Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers soeben einen Höhepunkt erreicht hatte.

In seiner Beurteilung der Sitzung brachte der Leiter des Wirtschafts- und Finanzdiensts der Schweizer Botschaft seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass das Treasury sich zu den Problemen der UBS mit dem DOJ kaum geäussert hatte.

Dagegen sei die Botschaft der Systemrelevanz der UBS offensichtlich angekommen.

Die schweizerischen Behörden hofften, dass dieser Versuch, die USA für die gemeinsamen Interessen in Sachen UBS zu sensibilisieren, beim Treasury Früchte tragen würde.648

648

Notiz vom 17.10.2008, Schweizerische Botschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika, Dok. 79 des Führungsdossiers des EFD.

3298

3.4.2.4

Präsentation der Resultate der internen Untersuchung der UBS

Ebenfalls am 17. Oktober 2008 legte das Anwaltsbüro WLRK in New York die Ergebnisse der internen Untersuchung der UBS vor, die es seit Jahresbeginn 2008 geleitet hatte.

Laut des vom EBK-Vizedirektor erstellten Sitzungsprotokolls und seiner Beurteilung649, die an die Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer gesandt wurden, dauerte die Präsentation vier Stunden und versammelte 32 Personen des DOJ, des IRS, der SEC, des Federal Reserve Board of Directors, der New York Fed, der EBK und der UBS.

In seiner Untersuchung kam WLRK zum Schluss, dass eine geringe Anzahl UBSMitarbeiter ihren US-Kunden (ebenfalls wenige) geholfen hatte, die Vorschriften des QIA durch offshore Strukturen zu umgehen. Auch waren die SEC-Restriktionen zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten mit US-Bürgern in Bezug auf amerikanische Wertpapiere verletzt worden. Drittens waren die klar im QIA aufgeführten Meldeund Dienstleistungspflichten von der UBS nicht eingehalten worden. Allerdings konnte die Führungsebene der UBS nach Ansicht der Anwälte von WLRK für die Verletzungen der QIA-Verpflichtungen nicht verantwortlich gemacht werden. Nach Ansicht von WLRK hatte das Top-Management ganz im Gegenteil alles getan, um die Compliance mit den QIA-Vorschriften im grenzüberschreitenden Geschäft mit US-Kunden zu verbessern.

Laut Protokoll der EBK verliessen die UBS-Vertreter und die WLRK-Anwälte daraufhin den Raum, um die amerikanischen und schweizerischen Behörden allein diskutieren zu lassen. Die US-Behörden teilten die Schlussfolgerungen der Untersuchung bezüglich der Verantwortung des Top-Managements nicht. Sie waren vielmehr der Ansicht, dass die UBS systematisch amerikanisches Recht verletzt hatte und dass die Frage der Verwicklung des UBS-Managements immer noch nicht zufriedenstellend geklärt worden war. Nach Ansicht der US-Behörden war die Führungsebene Martin Liechtis über gewisse Praktiken informiert gewesen, weshalb ihre Mitverantwortung erwiesen sei. Die US-Behörden warfen dem Top-Management der UBS vor, nur unzureichende Massnahmen ergriffen zu haben, deren Umsetzung ausserdem zu lange gedauert habe.

Die US-Behörden wünschten diesen Punkt durch Direktanhörungen des TopManagements der UBS auf amerikanischem Boden zu erhellen. Befragt werden sollten insbesondere Peter Kurer, Marcel Rohner und Raoul Weil.

Nun stand für die
EBK fest, dass das DOJ die geforderten Kundendaten rasch erhalten wollte und der Druck auf die UBS nicht nachlassen würde, bis sie diese ausgehändigt hatte.

Ausserdem kam die EBK zum Schluss, dass das DOJ sehr wahrscheinlich vom US-Senat unter Druck gesetzt wurde, insbesondere von der ständigen Subkommission des Senators Levin, die ihre Untersuchungen zur Konformität von grenzüberschreitenden Geschäften von Banken aus Steuerparadiesen wie der Schweiz und Liechtenstein mit dem US-Recht fortsetzte. Ein Bericht der Untersuchungsergebnisse dieser Subkommission, der sich auf die UBS und die LGT konzentrierte, war

649

Notiz vom 20.10.2008, EBK, Dok. 80 des Führungsdossiers des EFD.

3299

gleichzeitig mit den Anhörungsprotokollen von Vertretern dieser Banken am 17. Juli 2008 veröffentlicht worden.

Laut Protokoll der EBK hatte das Anwaltsbüro WLRK einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Wie das DOJ war auch die EBK der Ansicht, dass die Massnahmen zur Wiederherstellung der Konformität der Praktiken mit dem US-Recht bescheiden gewesen waren und ihre Umsetzung nur stockend vorangekommen war. Die EBK kam auf Grundlage der internen Untersuchung der UBS zum Schluss, dass weder Marcel Rohner noch Peter Kurer für die Verfehlungen der UBS in den USA verantwortlich gemacht werden konnten.650 In Bezug auf Raoul Weil war die Sache für die EBK weniger eindeutig; seine Rolle in der Angelegenheit musste eingehender geprüft werden.

Den US-Behörden erwiderte die EBK, dass die UBS über keinerlei Handlungsspielraum zur Übergabe von Kundendaten verfüge und dass es sich daher um ein Problem zwischen zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen handle.

Die schweizerische Aufsichtsbehörde betonte weiter, dass der Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft von der Übergabe von Kundendaten unterschieden werden musste und dass das schweizerische Recht keiner schweizerischen Behörde die Möglichkeit gab, das Bankgeheimnis aufzuheben.

Laut EBK-Protokoll wurde der UBS und ihren Anwälten bei ihrer Rückkehr nach der Diskussion zwischen den amerikanischen und schweizerischen Behörden mitgeteilt, dass weitere Unterlagen verlangt werden würden und dass das DOJ das TopManagement der UBS zu befragen wünschte.

Der Group General Counsel der UBS erwiderte, dass dieser Punkt näher verhandelt werden müsse. Abschliessend machten die US-Behörden deutlich, dass eine vergleichsweise Erledigung von der Übergabe der US-Kundendaten abhängig gemacht werden würde.651 In seiner Anhörung durch die GPK erklärte der Group General Counsel der UBS, dass das DOJ eine kompromisslose Position eingenommen hatte. Der Staatsanwalt der Criminal Division seinerseits hatte eine Zusammenarbeit über die Amtshilfe akzeptiert und versucht, die Tax Division zu einer Kooperation zu bewegen, doch hatte die Amtshilfe nur zu zwei Entscheiden der ESTV geführt. Angesichts dieses spärlichen Resultats hatte sich das DOJ in seiner Meinung bestätigt gesehen, dass die Übergabe von UBS-Kundendaten prompt und entschlossen ausserhalb der Amtshilfe verlangt werden musste.652

650 651 652

Notiz vom 20.10.2008, EBK, Dok. 80 des Führungsdossiers des EFD, S. 3.

Notiz vom 20.10.2008, EBK, Dok. 80 des Führungsdossiers des EFD.

Protokoll der Anhörung von Markus Diethelm, Group General Counsel der UBS, durch die GPK vom 6.4.2008, S. 14.

3300

3.4.3

Vom Ungenügen des Amtshilfeverfahrens: Eine Geschichte der Eskalation

3.4.3.1

Erster schriftlicher Entwurf von Handlungsoptionen kommt von der EBK

Nach dem Treffen von Vertretern der schweizerischen Behörden mit den Vertretern des DOJ am 10. Oktober 2008 zog Alexander Karrer, Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, in einer Informationsnotiz vom 14. Oktober 2008 an die Vorsteherin des EJPD den Schluss, dass alles daran gesetzt werden müsse, das Amtshilfeverfahren der ESTV zu beschleunigen, so dass Kundeninformationen möglichst noch im Herbst 2008 dem IRS übergeben werden könnten. Im Weiteren erachtete er es als notwendig, dass die schweizerischen Behörden weitere Kontakte mit den amerikanischen Behörden aufnehmen würden.

Der Vizedirektor der EBK ortete nach der Präsentation der internen Untersuchung der UBS am 17. Oktober 2008 in New York einen klar weitergehenden Handlungsbedarf als der Vertreter der EFV: In seiner Beurteilung war das DOJ nicht bereit, Verhandlungen mit der UBS zum Abschluss zu bringen, bevor den amerikanischen Behörden nicht Kundennamen übergeben wurden oder zumindest von den Schweizer Behörden eine verbindliche Zusage für einen Datentransfer erfolgt war, der über die bisherigen Zusagen im Rahmen des laufenden Amtshilfeverfahrens der ESTV hinausging. In seiner Notiz vom 20. Oktober 2008 an den Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV, Alexander Karrer, an den Vertreter der PA V, an den stellvertretenden Direktor des BJ sowie an den Schweizer Botschafter in den USA653 brachte er auch deutlich zum Ausdruck, dass die schweizerischen Behörden rasch über folgende vier Optionen diskutieren sollten: Die schweizerischen Behörden 1.

beharren auf dem Amtshilfeweg und kommunizieren diese Position auf höchster Verwaltungs- und Regierungsstufe;

2.

verpflichten sich gegenüber den amerikanischen Behörden schriftlich, auch im Falle eines Vergleichs zwischen den amerikanischen Behörden und der UBS, das Amtshilfeverfahren der ESTV mit unverminderter Energie fortzuführen;

3.

bieten den amerikanischen Behörden an, nach einem ersten positiven Entscheid des BVGer im Rahmen der Beschwerdeverfahren gegen die Schlussverfügungen der ESTV alle Kundennamen mit gleichen Sachverhaltsmerkmalen ausserhalb des rechtlich vorgesehenen Verfahrens zu übermitteln, entweder mit einer Schlussverfügung der ESTV (jedoch ohne aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde), oder ohne Schlussverfügung;

4.

übermitteln ohne Zeitverzug eine bestimmte Anzahl von Kundennamen gestützt auf die Notrechtskompetenz des Bundesrats, welche in der Bundesverfassung vorgesehen ist.

Gemäss dem Vizedirektor der EBK wären die Optionen 3 und 4 von einem Vergleich der amerikanischen Behörden mit der UBS abhängig zu machen. Parallel

653

Dok. 80 des Führungsdossiers des EFD.

3301

dazu erachtete er es als notwendig, zu entscheiden, ob nicht rasch auf oberster Regierungsebene interveniert werden sollte.654 Am 17. Oktober 2008 erliess die ESTV ihre erste Schlussverfügung im Rahmen des Amtshilfeverfahrens.655 Gemäss dem Präsidenten des BVGer erfuhr das Gericht davon aus den Medien.656 In der Folge wurde ein Treffen mit dem Direktor der ESTV und dem Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV vereinbart, um ­ wie in Fällen von Massenverfahren üblich ­ das Vorgehen zu besprechen. Kurz vor diesem Datum wurde das Treffen abgesagt, nachdem der Direktor der ESTV das Gericht informiert hatte, dass wegen dieses Treffens die Parteien bereits Ausstandsbegehren gegen die Teilnehmer des BVGer prüfen würden. Ein Ersatztreffen auf hierarchisch tieferer Stufe erfolgte dann am 25. November 2008.657 Wer genau die Initiative zu einem Treffen ergriff, kann nicht mehr mit Sicherheit nachvollzogen werden.658 Seitens der ESTV wurden die GPK informiert, dass eine erste Kontaktaufnahme mit dem BVGer im September 2008 erfolgt sei.659

3.4.3.2

Bereinigte Fassung der Handlungsoptionen zuhanden der Vorsteherin des EJPD

Die von der EBK vorgeschlagenen Optionen wurden am 20. Oktober 2008 noch durch die Adressaten der Notiz diskutiert. In der Folge wurden sowohl die Notiz wie auch die möglichen Handlungsoptionen angepasst und dem Direktor der EFV für seine Besprechung mit der Vorsteherin des EJPD vom 22. Oktober 2008 zugesandt.660 Darin wurde u. a. die Präsentation der Resultate der internen Untersuchung der UBS in New York erläutert. Die grundlegende Einschätzung der Situation blieb auch in dieser Notiz unverändert. Im Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass das DOJ wieder mit dem Erlass einer Subpoena drohte, um die Herausgabe von Kundendaten zu erzwingen.

Folgende von den Vertretern der EBK, der ESTV, des BJ, der PA V des EDA und vom schweizerischen Botschafter diskutierten Handlungsoptionen wurden in der Notiz dargelegt:


Option 1: Entsprach der Option 1 der ersten Notiz. In den Erläuterungen wurde ausgeführt, dass ein erster Entscheid des BVGer erst im Februar 2009 zu erwarten sei und die Abwicklung der weiteren Fälle noch bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen könnte. Die amerikanischen Behörden erachteten das aktuelle Verfahren als zu langsam und wären auch nicht einverstanden, dass nicht ein weiterer Kreis von Kundendaten übermittelt werden könne.

Diese Option wurde als rechtlich unproblematisch erachtet.



Option 2: Entsprach der Option 2 der ersten Notiz. Auch diese Option warf aus Sicht der Ersteller der Notiz keine grossen rechtlichen Probleme auf, doch löste sie das Problem einer möglichst baldigen Datenübergabe nicht.

654 655 656 657 658

Insbesondere auch aufgrund der amerikanischen Wahlen am 4.11.2008.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Anhörung von Gerichtspräsident Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010, S. 2.

Ebd., S. 3.

Ebd., S. 3 und Anhörung von Urs Ursprung und Eric Hess durch die GPK vom 18.2.2010, S. 13.

659 Anhörung von Urs Ursprung und Eric Hess durch die GPK vom 18.2.2010, S. 13.

660 Dok. 81 des Führungsdossiers des EFD.

3302



Option 3: Anrufen eines strafrechtlichen Notstandes durch die UBS zwecks Übermittlung von Kundendaten durch die UBS.



Option 4: Entsprach weitestgehend der Option 3 der ersten Notiz, wobei die Beschwerdemöglichkeit gegen die Schlussverfügung bestehen bleiben sollte, einer allfälligen Beschwerde jedoch die aufschiebende Wirkung entzogen werden müsste.



Option 5: Entsprach der Option 4 der ersten Notiz, eineVerfügung des Bundesrats gestützt auf Artikel 184 Absatz 3 BV (Verfügungsrecht des Bundesrats zur Wahrung der Landesinteressen). Ein solches Vorgehen könnte mit guten Gründen als contra legem und somit als unzulässig betrachtet werden.



Option 6: Übermittlung von Kundendaten gestützt auf eine Interessenabwägung. Dabei handelte es sich um einen Vorschlag der amerikanischen Behörden, welcher der schweizerischen Rechtsordnung widersprach.

Die Vertreter der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer, welche die Optionen diskutierten, hatten die Vor- und Nachteile der verschiedenen Handlungsoptionen erwogen und bevorzugten ­ trotz erheblicher rechtlicher und politischer Risiken in der Schweiz ­ die Weiterverfolgung der Optionen 3 (strafrechtlicher Notstand) und 4 (Beschwerdemöglichkeit ohne aufschiebende Wirkung). Diese bargen aus ihrer Sicht die Chance einer sofortigen Lösung. Sollte der Entscheid zugunsten einer dieser beiden Optionen ausfallen, so wäre ein direkter Kontakt zwischen den beiden Justizministern der Schweiz und der USA herzustellen. Jedes Angebot der Schweiz sollte klar von einer Gesamtlösung abhängig gemacht werden. Ein Vorgehensentscheid wie auch ein Entscheid über die Kontaktaufnahme auf Stufe der Justizminister wäre idealerweise spätestens in der Woche vom 27. bis 31. Oktober 2008 zu treffen, da am 4. November 2008 die Wahlen in den USA stattfänden.

Die Notiz wurde der Vorsteherin des EJPD übergeben. Ein Treffen auf oberster Stufe werde durch sie geprüft, wobei die schweizerische Botschaft in den USA zu diesem Zeitpunkt schon abgeklärt hatte, dass der amerikanische Finanzminister in der gewünschten Zeit nicht für ein Gespräch zur Verfügung stand. Das Treffen des Direktors der EFV mit der Vorsteherin des EJPD vom 22. Oktober 2008 hatte im Weiteren gezeigt, dass die Option 3 («strafrechtlicher Notstand») aufgrund der rechtlichen und politischen Risiken nicht opportun war.661 Abklärungen bei einem externen Rechtsexperten ergaben kurz darauf, dass auch die Option 4 nicht aufrechterhalten werden konnte, da die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine Schlussverfügung der ESTV durch das BVGer kaum gutgeheissen würde.662 In einem E-Mail datiert vom 27. Oktober 2008, also zu Beginn des kurzen Zeitfensters, welches in der Notiz für den Entscheid und die Kontaktaufnahme auf oberster Stufe definiert worden war, informierte der stellvertretende Direktor der EBK die 661

Informationsnotiz des Direktors der EFV vom 23.10.2008 an den Leiter der Abteilung Internationales der ESTV, den Vize-Präsidenten der SNB, den Leiter der Abteilung Internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, die Generalsekretärin des EFD, den Vertreter der PA V des EDA, den stellvertretenden Direktor des BJ, den schweizerischen Botschafter in den USA und den stellvertretenden Direktor der EBK; Dok. 84 des Führungsdossiers des EFD.

662 Informationsnotiz der EFV vom 23.10.2008 an die Vorsteherin des EJPD, den Direktor der EFV und die Adressaten der in der vorherigen Fussnote erwähnten Notiz. Vgl. Dok.

Nr. 85 des Führungsdossiers des EFD.

3303

noch im Informationsfluss verbliebenen Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer, dass die Vorsteherin des EJPD und der Direktor der EFV nicht in die USA reisen würden, sondern der Vize-Präsident der SNB alleine das amerikanische Finanzdepartement und das Fed besuchen würde. Der Autor des E-Mails zog als persönliche Bilanz, dass wohl der Amtshilfeweg (Handlungsoptionen 1 und 2) weiterhin die einzig gangbare Option darstellen und die UBS somit in den USA weiterhin unter grossem Druck stehen würde.663 In den den GPK zur Verfügung stehenden Unterlagen findet sich die Information, dass am 31. Oktober 2008 im Rahmen einer Telefonkonferenz zwischen der ESTV und dem IRS (und einem Vertreter des DOJ) die amerikanischen Behörden über den Stand des Amtshilfeverfahrens der ESTV orientiert wurden.664 Der IRS informierte die ESTV bei dieser Gelegenheit, dass die Geduld des DOJ mit der UBS aufgrund dessen erfolgloser Gespräche mit der Bank begrenzt sei.665 Im Oktober 2008 warnte das Fed die EBK, dass ein rascheres Vorgehen zwingend sei. Sollte keine Datenübergabe stattfinden, so wäre unausweichlich mit einer Anklage der Bank noch vor Jahresende zu rechnen.666 Am 3. November 2008 übernahm der Vorsteher des EFD nach seiner krankheitsbedingten Abwesenheit wieder die Führung des EFD und somit auch des Dossiers zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA.

Am 4. November 2008 fanden in den USA Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Neuer Präsident wurde der Demokrat Barack Obama. Die Bush-Administration blieb bis zum 20. Januar 2009 im Amt.

Gemäss einem E-Mail der UBS an den Vizedirektor der EBK und an den Abteilungsleiter für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV brachte das DOJ am 7. November 2008 gegenüber der UBS zum Ausdruck, dass es nach wie vor auf eine Antwort seitens der schweizerischen Behörden zur Frage, wie das Amtshilfeverfahren beschleunigt werden könnte, wartete und warnte, dass ein «Ereignis» im Verlaufe der kommenden Woche eintreten werde.667 Auch hätten seitens des DOJ Bedenken bestanden, dass mit dem Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA für die amerikanischen Behörden wichtige Informationen verloren gehen würden.668

663 664

665 666 667 668

Dok. 86 des Führungsdossiers des EFD.

Zu diesem Zeitpunkt waren drei Schlussverfügungen ergangen, wobei die 30-tägige Beschwerdefrist an das BVGer erst Mitte November 2008 ablief. Die ESTV hatte zu diesem Zeitpunkt 216 Dossiers von der UBS erhalten und war daran, gerade 36 davon zu behandeln. Vgl. Dok. 89 des Führungsdossiers des EFD.

Dok. 89 des Führungsdossiers des EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Vgl. auch Brief der UBS an die GPK vom 13.4.2010.

Dok. 87 des Führungsdossiers des EFD.

3304

3.4.3.3

Brief des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD vom 10. November 2008 an ihre amerikanischen Amtskollegen

Am 10. November 2008, also vier Tage nach den Wahlen in den USA, adressierten der Vorsteher des EFD und die Vorsteherin des EJPD einen Brief an den Finanzminister und den Justizminister der Administration Bush.669 Darin wurde betont, dass die schweizerische Regierung über die laufenden drei amerikanischen Untersuchungen gegen die UBS sehr besorgt sei, da gewisse der damit betrauten Amtsstellen versuchten, Kundennamen ausserhalb der laufenden Amtshilfeverfahren und damit im Widerspruch zur schweizerischen Rechtsordnung zu erhalten.

Nachdem im Brief im Namen der schweizerischen Regierung versichert wurde, dass die Vorwürfe gegen die UBS und die damit zusammenhängenden Untersuchungen der amerikanischen Behörden sehr ernst genommen würden, folgte eine Auflistung der Bemühungen der schweizerischen Behörden im Rahmen der Amtshilfe, den Begehren der USA nachzukommen. Im Brief wurde auch die Kooperationsbereitschaft der UBS betont und versichert, dass seitens der UBS keine Unterlagen vernichtet würden. Im Weiteren wurde den amerikanischen Ministern versichert, dass die schweizerische Regierung kein Interesse habe, Steuerbetrugsfälle zu decken und dementsprechend das Amtshilfeverfahren auch nach einem allfälligen Vergleich der UBS mit den USA weiterführen würde.

Schliesslich wurde den beiden amerikanischen Ministern nahegelegt, das Informationsbedürfnis der amerikanischen Behörden weiterhin kooperativ im Rahmen der Amtshilfe gestützt auf das DBA geltend zu machen und von unilateralen Handlungen gegen die UBS zwecks Erhalt von Kundennamen abzusehen. Letztere würden nicht nur den Interessen beider Länder entgegenlaufen, sondern könnten auch die bisherige enge Zusammenarbeit in diesem Fall beeinträchtigen.

Im Weiteren wurde auf die Bedeutung der UBS für die Systemstabilität des Finanzmarktes und auf die vom schweizerischen Staat ergriffenen Massnahmen zur Stützung der UBS hingewiesen. Unilaterale Massnahmen der USA gegen die UBS könnten die schweizerischen Bemühungen zur Stabilisierung der UBS und somit des Finanzmarktes negativ beeinträchtigen.

Dieser Brief der beiden Departementsvorsteher wurde durch die amerikanischen Behörden nie beantwortet.670 Auf Fragen der GPK nach den Gründen wurde von Behördenvertretern auf den Administrationswechsel in den USA verwiesen.671

3.4.3.4

Zunehmender Druck der amerikanischen Behörden: Anklage von Raoul Weil in den USA

Am 12. November 2008 wurde Raoul Weil, CEO GWM&BB der UBS, vor dem District Court in Florida angeklagt, ohne dass ihm oder der UBS dies vorher eröff669 670

Dok. 88 des Führungsdossiers des EFD.

Dies, obwohl anlässlich des Treffens zwischen dem Leiter des Wirtschafts- und Finanzdienstes der schweizerischen Botschaft in den USA und Bruce Swartz des DOJ am 13.11.2008 Letzterer informierte, dass eine Antwort in Vorbereitung sei. Vgl. Dok. 93 des Führungsdossiers des EFD.

671 Z. B. Protokoll der Anhörung von Urs Ziswiler durch die GPK vom 5.3.2010, S. 16.

3305

net worden war. In der Anklageschrift wurde auf zwei anonymisierte Führungspersonen als Mitverschwörer Bezug genommen.

Nach Abklärungen mit ihrem Vertrauensanwalt und demjenigen der UBS kam die schweizerische Botschaft zum Schluss, dass seitens der schweizerischen Behörden vorerst diese Anklage zur Kenntnis zu nehmen und die Entwicklung weiterzuverfolgen sei.672 Am 13. November 2008 traf der Leiter des Wirtschafts- und Finanzdienstes der schweizerischen Botschaft in den USA Bruce Swartz des DOJ zu einem informellen Treffen und informierte danach die involvierten Dienststellen in Bern. Zur Anklage von Raoul Weil ergab das Gespräch nichts Wesentliches. Die Zusammenarbeit mit der EBK wurde durch den Vertreter des DOJ gelobt. Hingegen sei das DOJ frustriert, dass das Amtshilfeverfahren der ESTV noch zu keiner Übergabe von Kundennamen geführt hatte. Auch der IRS äusserte sich gegenüber dem DOJ frustriert über den Verlauf des Amtshilfeverfahrens, dies im Gegensatz zu seinen Äusserungen im direkten Kontakt mit der ESTV. Das DOJ schien kaum Kenntnisse vom Verfahrensstand des Amtshilfeverfahrens und den dabei eingesetzten Mitteln zu haben.673 Diese Vorwürfe erhöhten den Druck auf die UBS und damit auch auf die schweizerischen Behörden. Für von den GPK angehörte Vertreter der UBS zeigte dieses Ereignis auf, dass der Amtshilfeweg gescheitert war.674 In einer schriftlichen Lagebeurteilung vom 14. November 2008 wies der Leiter der Abteilung Internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV u. a. den Vorsteher des EFD und den Direktor der EFV in klaren Worten auf die Eskalation in diesem Dossier hin:675 Die Lage werde für die UBS «dramatisch», eine weitere Eskalation könne zum «Bankrott» der UBS führen, die Eidgenossenschaft befinde sich in einer äusserst delikaten Lage, und auch die Gewährsfrage in Bezug auf die UBS-Spitze stelle sich. Die UBS verlange ihrerseits seitens der schweizerischen Behörden Rückendeckung zur Datenherausgabe, da sonst ein «Grounding» der Bank drohe, und vertrete die Ansicht, dass das EFD die Federführung in den Verhandlungen mit den USA zwecks Erzielung einer Gesamtlösung schon ab der kommenden Woche übernehmen sollte.

In seiner Lagebeurteilung führte der Leiter der Abteilung Internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV fünf Handlungsoptionen mit ihren Vor- und Nachteilen aus:


Option 1: Beschleunigte Weiterführung des Amtshilfeverfahrens



Option 2: Auswechslung des UBS-Top-Managements



Option 3: Eingeschränkte Herausgabe von Kundendaten unter Anrufung des strafrechtlichen Notstandes durch die UBS



Option 4: Kombination von Option 2 und 3

672

E-Mail des Leiters der Wirtschaftsabteilung der schweizerischen Botschaft an den Abteilungsleiter für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV vom 13.11.2008; vgl. Dok. 92 des Führungsdossiers des EFD.

673 Dok. 93 des Führungsdossiers des EFD.

674 Protokoll der Anhörung von Christoph Kurth durch die GPK vom 6.4.2010, S. 21.

675 Vgl. z. B. Aktennotiz vom 14.11.2008 des Leiters der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik EFV u. a. an den Vorsteher des EFD, den Direktor EFV und die Generalsekretärin EFD.

3306



Option 5: Beilegung des Falls im Gegenzug zur Übernahme von Guantanamo-Häftlingen durch die Schweiz

Das weitere Vorgehen wurde folgendermassen skizziert:


Vertiefung von Option 3 bei gleichzeitiger Prüfung von Massnahmen zur Beschleunigung des Amtshilfeverfahrens bei der ESTV



Treffen des Vorstehers des EFD, der Vorsteherin des EJPD und des Präsidenten der EBK zwecks Diskussion der Optionen und eines Richtungsentscheids



Falls Option 3 vertieft würde: Entsendung einer Delegation in die USA



Information an/Entscheid durch Bundesrat



Ev. Treffen auf Ministerebene

In der Folge fand das besagte Treffen am 18. November 2008 zwischen dem Vorsteher des EFD, der Vorsteherin des EJPD sowie Vertretern der EBK und des EFD statt. In einer Art Traktandenordnung für das Treffen wurden die Handlungsoptionen in zwei Optionen zusammengefasst: Festhalten an der Amtshilfe oder Aushändigung von Daten in Fällen von manifestem Abgabebetrug ausserhalb dieses Verfahrens im Rahmen einer Globallösung zur Beilegung des Falls. Der Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV führte in diesem Dokument aus, dass die Zielsetzung der amerikanischen Behörden nach wie vor unklar sei.676 Ebenfalls zu diskutieren war, ob der Verwaltungsratspräsident der UBS und ihr CEO noch tragbar waren, bzw. ob sich die Gewährsfrage stellte.

An diesem Treffen vom 18. November 2008 präsentierte der stellvertretende Direktor der EBK u. a. dem Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EJPD die Verfahren des DOJ und der EBK, die Risiken der UBS, die Voraussetzungen für einen Vergleich UBS ­ DOJ, die bisherige Position der schweizerischen Behörden bezüglich der Kundendaten, den Wunsch der UBS betreffend das weitere Vorgehen, eine Beurteilung der EBK sowie einen Vorschlag für das weitere Vorgehen. Die Risiken der UBS lagen gemäss dieser Präsentation in der hohen Exponiertheit der Bank in den USA und im hohen Druck auf die Führungsspitze der UBS durch die Anklage von Raoul Weil. Die Führungsfähigkeit der UBS sei derzeit gefährdet. In der Einschätzung der EBK wäre eine Anklage gegen die UBS in den USA für die Bank existenzgefährdend. Ein Vergleich der UBS mit den amerikanischen Behörden hänge zwingend von einer sofortigen Übermittlung einer bestimmten Zahl von Kundendaten ab.677 Deshalb bat ­ gemäss der EBK-Präsentation ­ die UBS, gestützt auf drei von ihr in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, um das Einverständnis der schweizerischen Behörden zur Übermittlung einer bestimmten Anzahl Kundendaten.

Aus Sicht der EBK brauchte es eine rasche Lösung des Konflikts, um die Bank nicht weiter zu destabilisieren. Somit erachtete die EBK die Handlungsoption «Beharren auf dem Amtshilfeweg» nicht als zielführend, sondern sie vertrat die Ansicht, dass dem DOJ in geeigneter Weise die Bereitschaft signalisiert werden sollte, über die Herausgabe von Kundendaten zu verhandeln. Gleichzeitig sollte die UBS aufgefordert werden, mit dem DOJ Vergleichsverhandlungen zu führen.678 676

Bestrafung der UBS oder deren Manager? Kundendaten? Schweizerisches Bankgeheimnis?; vgl. Dok. 95 des Führungsdossiers des EFD.

677 Diese Aussage stützt sich u. a. auf die Meinung des Fed ab. Vgl. Dok. 98 des Führungsdossiers des EFD.

678 Dok. 98 des Führungsdossiers des EFD.

3307

Anlässlich dieses Treffens wurde die Anwendung von Notrecht durch den Bundesrat als Handlungsoption besprochen.679 Gemäss Informationen der EBK wurde diese Option durch die beiden Bundesräte verworfen.680 Der Bank wurde mitgeteilt, sie solle weiter verhandeln, jedoch nicht über die Herausgabe von Kundendaten.681 Eine zuhanden der Vorsteherin des EJPD erstellte rechtliche Beurteilung des BJ vom 18. November 2008 kam zum Schluss, dass die UBS keinen strafrechtlichen Notstand anrufen könne.682 Am 18. und 19. November 2008 trafen die beiden ersten Beschwerden gegen Schlussverfügungen der ESTV beim BVGer ein.683 An der Sitzung vom 19./20. November 2008 entschied die EBK unter Ausschluss des Präsidenten gestützt auf Untersuchungen, dass für den Präsidenten bei der Behandlung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA kein Ausstandsgrund vorlag. Am Vortag, dem 18. November 2008, informierte der Präsident der EBK den Vorsteher des EFD und die Vorsteherin des EJPD über diesen Sachverhalt. Beide wünschten den Einbezug des Präsidenten in diesem zunehmend schwieriger werdenden Dossier.

Mit einer Notiz der ESTV vom 21. November 2008 wurde der Vorsteher des EFD über den Stand des Amtshilfeverfahrens, die dafür in der ESTV zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie den voraussichtlichen Zeitplan informiert. Daraus war ersichtlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt 252 UBS-Dossiers bei der ESTV eingegangen waren. Davon waren 67 Dossiers in Bearbeitung, neun Fälle fertig bearbeitet, aber noch keine Schlussverfügung erlassen, und in vier Fällen war eine Schlussverfügung ergangen. Bei drei dieser vier Fälle lief die Beschwerdefrist noch, und in einem Fall war Beschwerde beim Bundesgericht erhoben worden. Die ESTV ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sie bis Ende 2008 weitere 40 Fälle so weit behandelt haben würde, dass eine Schlussverfügung erlassen werden konnte. Ab dem Jahr 2009 plante sie monatlich 40 Fälle mit Schlussverfügungen abzuschliessen.684 Zu diesem Zeitpunkt waren vier Mitarbeitende der Abteilung für Internationales der ESTV ­ nebst ihren regulären Aufgaben ­ sowie 1145 Stellenprozente aus anderen Dienststellen der ESTV mit der Bearbeitung der Dossiers beschäftigt. Von den bewilligten Zusatzstellen (eine administrative Person und zwölf Juristen und Juristinnen) konnten die administrative Stelle
sowie 340 Stellenprozente auf den 1. Dezember 2008 rekrutiert werden. Die Anstellung von sieben Juristen und Juristinnen auf den 1. Januar 2009 (600 Stellenprozente) sei zu diesem Zeitpunkt auf gutem Weg gewesen.685 Vier Tage später informierte der Leiter der Abteilung Internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV den Direktor der EFV und den Vorsteher des EFD über eine vom General Counsel der UBS erhaltene Information: Kevin Downing vom DOJ sei zu einem raschen Vergleich bereit, falls Kundendaten zu Dossiers, 679 680 681 682 683

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 24.3.2010, S. 15.

Dok. 97 des Führungsdossiers des EFD.

Protokoll der Anhörung von Gerichtspräsident Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010, S. 3.

684 Dok. 102 des Führungsdossiers des EFD.

685 Dito.

3308

welche in der Schweiz den Straftatbestand des Steuerbetrugs erfüllten, ausserhalb des Amtshilfeverfahrens übermittelt würden. Er würde auch versuchen, den IRS in einen solchen Vergleich einzubeziehen. Dieser sei zurzeit daran, eine Durchsetzung des John Doe Summons zu erwägen.686 Im selben Dokument wurden die Adressaten auch informiert, dass der Direktor des BJ die Schlussfolgerungen der drei von der UBS in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten bezweifle.

Am 25. November 2008 fand ein Treffen mit Vertretern der ESTV, dem Präsidenten des BVGer und dem zuständigen Bundesverwaltungsrichter statt. Gemäss dem Präsidenten des BVGer konnte das Vorgehen anlässlich dieses Treffens nur beschränkt besprochen werden, doch die Vertreter der ESTV nahmen den Wunsch des BVGer auf, mit Pilotfällen nach Kategorien zu arbeiten.687 Über die Anzahl erlassener Schlussverfügungen wurde das BVGer laufend informiert.688

3.4.3.5

Klausursitzung des Bundesrats vom 26. November 2008 zu aktuellen internationalen Steuerfragen mit Fokus auf die EU

Am 26. November 2008 fand eine Klausursitzung des Bundesrats statt. Zur Diskussion stand das Aussprachepapier des EFD vom 21. November 2008 zu den aktuellen Steuerfragen mit Fokus auf die EU.

Dieses Dokument hatte der Bundesrat am 22. Oktober 2008 dem EFD in Auftrag gegeben. Es ging darum, dass das EFD in Zusammenarbeit mit dem EDA und dem EVD dem Bundesrat eine Analyse über die aktuellen Herausforderungen für den Finanzplatz und den Unternehmensstandort Schweiz namentlich im Steuerbereich unterbreiten und Möglichkeiten für das weitere Vorgehen aufzeigen würde.

Im Teil Ausgangslage des Aussprachepapiers wurde u. a. darauf hingewiesen, dass im Zuge der Finanzkrise und zusätzlich zu den dringlichen Massnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte auch Diskussionen über eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte angelaufen seien mit dem Ziel, zukünftige Krisen möglichst verhindern zu können. Von verschiedenen Seiten würde eine grundsätzliche Reform des internationalen Finanzsystems gefordert. Der G20-Gipfel vom 15. November 2008 in Washington verstärkte die sich abzeichnende Tendenz, den grossen Schwellenländern im Rahmen der internationalen Finanzarchitektur auf Kosten kleinerer Industriestaaten einen grösseren Platz einzuräumen.

Das Aussprachepapier beleuchtete ferner die bilateralen Steuerdossiers mit der EU und wies die diesbezüglichen Handlungsoptionen aus. Es thematisierte auch die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen und insbesondere die Amtshilfe allgemein, im Kontext der OECD, der EU und im Verhältnis zu den USA.

Bezüglich der USA wurde darauf hingewiesen, dass die wichtigste rechtliche Grundlage für den Informationsaustausch in Steuersachen mit den USA der Amts686 687

Dok. 103 des Führungsdossiers des EFD.

Protokoll der Anhörung von Gerichtspräsident Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010, S. 3.

688 Protokoll der Anhörung von Gerichtspräsident Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010, S. 10.

3309

hilfeartikel im DBA Schweiz ­ USA sei. Im Unterschied zu allen anderen OECDMitgliedstaaten sehe das DBA mit den USA bereits seit 1951 die Gewährung von Amtshilfe zur Durchsetzung des internen Rechts in Fällen von «tax fraud or the like» vor. Im Januar 2003 hätten die USA und die Schweiz eine Vereinbarung abgeschlossen, mit welcher der Begriff «Betrugsdelikte und dergleichen» erstmals näher definiert und durch Fallbeispiele erläutert worden sei. Dabei sei das Prinzip der doppelten Strafbarkeit materiell gewahrt worden. D. h. auch mit den USA könnten aufgrund des geltenden DBA in Fällen von Steuerhinterziehung keine Bankeninformationen ausgetauscht werden. Im Verhältnis mit den USA seien zudem die QI-Agreements von Bedeutung. Dabei handle es sich nicht um Staatsverträge. Der IRS habe Anfang dieses Jahrzehnts mit den Banken aller wichtigen Finanzplätze QI-Agreements abgeschlossen. Mit der QI-Regelung könnten nur noch diejenigen nicht in den USA ansässigen Banken die amerikanischen Quellensteuer für ihre Kunden gemäss DBA reduzieren, welche mit dem IRS ein QI-Agreement abgeschlossen hätten. Die ausländischen Banken würden in diesem Fall die Quellensteuer zu den reduzierten Sätzen erheben und sie über Zahlstellen in die USA an den IRS weiterleiten. Die Banken mit QI-Status hätten sich verpflichtet, natürliche und juristische Personen, die in amerikanischen Wertschriften investierten, zu identifizieren, eine detaillierte Dokumentation zu erstellen und diese aktuell zu halten.

Amerikanische Steuerpflichtige mit US-Wertschriften im Depot würden von den Banken dem IRS gemeldet. Mit den Schweizer Banken seien die QI-Agreements unter Beachtung des Bankgeheimnisses abgeschlossen worden. So dürfe eine Schweizer Bank Kundendaten nur mit ausdrücklicher Ermächtigung des Kunden an den IRS übermitteln. Weigere sich ein amerikanischer Steuerpflichtiger, dürfe die Bank für diesen Kunden nicht mehr in US-Wertschriften investieren bzw. für ihn solche halten. Mit dem QI-Agreement bezweckten die USA, die Einhaltung von DBA zu erzwingen und amerikanische Steuersünder von einem Engagement in amerikanischen Wertschriften auszuschliessen.

Weiter wurde zur Frage, ob die USA mit dem QI-System besser gestellt seien als die EU durch das Zinsbesteuerungsabkommen, ausgeführt, die beiden Systeme seien nicht ohne weiteres
vergleichbar. Mit den privatrechtlichen QI-Agreements würden alle US-Steuerpflichtigen mit US-Wertschriften in ihrem Depot dem amerikanischen Fiskus gemeldet. Auch bestehe kein Steuerrückbehalt auf Erträgen aus nichtamerikanischen Wertschriften. Das QI-System habe also bisher leicht umgangen werden können, indem der Bankkunde auf Investitionen in amerikanische Wertschriften verzichtete. Mit dem QI-System seien nur steuerehrliche Kunden erfasst worden. Im Unterschied dazu umfasse das EU-Zinsbesteuerungsabkommen grundsätzlich alle zinstragenden Obligationen. Das Zinsbesteuerungsabkommen sei in der Anwendung effizienter, da es beim ausländischen Fiskus in jedem Fall, d. h. auch bei einer Nichtdeklaration, zu zusätzlichen Steuereinnahmen führte. D. h. bei Steuerehrlichen komme es sowohl in den USA wie in der EU zu einer Besteuerung.

Bei Steuerunehrlichen gingen hingegen dem US-Fiskus im Unterschied zur EU Steuereinnahmen verloren.

In den USA seien die Steuerumgehung und die Steuerhinterziehung angesichts hoher Budgetdefizite, eines grossen Finanzierungsbedarfs für das Erziehungs- und Gesundheitswesen, der Finanzkrise und der damit zusammenhängenden Phase einer starken Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung zu einem wichtigen politischen Thema geworden. Mehrere Gesetzesvorstösse seien eingereicht worden, um

3310

hier Abhilfe zu schaffen. Aus Sicht der Schweiz sei bedenklich, dass einzelne der vorgesehenen Massnahmen das geltende DBA verletzen würden oder könnten.

Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den USA mittels Amts- und Rechtshilfe in Steuerfällen wurde grundsätzlich als gut qualifiziert. Es liege auch kein Begehren für eine weitere Revision des DBA vor. Der Fall UBS zeige jedoch, dass das DOJ nicht gewillt sei, die für den Informationsaustausch staatsvertraglich festgelegten Kanäle einzuhalten. Ohne konkret begründete Einzelersuchen und unter Androhung von unilateralen Zwangsmassnahmen gegen die UBS fordere das DOJ die Herausgabe aller Kundendaten betreffend Konten in der Schweiz. Die zuständigen schweizerischen Behörden hätten diesen Begehren nicht stattgegeben, sondern führten das Amtshilfeverfahren gestützt auf das DBA weiter. Danach sei bei jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob ein Steuerbetrug im Sinne des Abkommens vorliege, und es stehe dem Betroffenen die Überprüfung durch das BVGer offen.

Der Vorsteher des EFD führte weiter aus, das Vorgehen der US-Behörden sei nicht als Angriff auf das schweizerische Bankgeheimnis zu verstehen, sondern als amerikanischer Versuch, die Effizienz eines ineffizienten Systems der Steuereintreibung gegenüber dem Kongress zu beweisen. Auch versuchten die Justizbehörden, ein bereits eingeleitetes Strafverfahren durch Beweismittel aus der Schweiz zu alimentieren. Falls der Fall nicht in kontrollierten Bahnen abgewickelt werden könne, bestehe die Gefahr, dass das Bankgeheimnis generell zur Zielscheibe werde, bzw.

dass die USA eine Revision des DBA mit der Schweiz fordern könnten. Der IRS habe bereits erste Vorschläge unterbreitet, um bestehende Lücken im QI-Verfahren zu schliessen. Sollte die Meldepflicht auf alle Konten, deren Inhaber US-Steuerpflichtige seien, ausgedehnt werden, würde es für schweizerische Banken nicht mehr möglich sein, amerikanische Kunden vor die Wahl zu stellen, auf den Schutz des Bankgeheimnisses oder ­ unter Wahrung des Bankgeheimnisses ­ auf die Haltung von amerikanischen Wertschriften in ihrem schweizerischen Depot zu verzichten.

Bis anhin habe die Schweiz im Bereich der direkten Steuern aufgrund zahlreicher Vereinbarungen den Schutz des Bankgeheimnisses wahren können. Sie sei zu keinem Informationsaustausch von Bankdaten unterhalb
der Betrugsschwelle verpflichtet. Die Schweizer Lösung sei jedoch international umstritten und angegriffen. Es habe aber noch keine koordinierten Gegenmassnahmen mehrerer Staaten gegen die Schweiz gegeben. Trotz der bestehenden Kritik am Ausmass der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz sehe das EFD zurzeit keine Notwendigkeit, von der bisherigen Politik abzuweichen. Es erscheine ihm jedoch zentral, dass die Schweiz gegen aussen die Kommunikation über das Bankgeheimnis allgemein und insbesondere in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen intensiviere.

Der Bundesrat beauftragte das EFD, der EU im Bereich der Verbesserung des Zinsbesteuerungsabkommens Diskussionsbereitschaft zu signalisieren. Dabei sei der EU gegenüber festzuhalten, dass von ihr erwartet werde, dass sie ihrerseits dafür sorge, dass alle EU-Mitgliedstaaten aktiv zur Verbesserung des Zinsbesteuerungsabkommens beitragen und dass sie auch mit anderen wichtigen Finanzplätzen ausserhalb der EU Verhandlungen zur Verbesserung des Zinsbesteuerungssystems führe. Das EFD wurde auch beauftragt, der EU im Bereich des bilateralen Betrugsbekämpfungsabkommens mitzuteilen, dass die Schweiz bereit sei, dieses Abkommen bereits vor dessen Ratifizierung durch sämtliche EU-Mitgliedstaaten einseitig in Kraft zu setzen bzw. anzuwenden. Schliesslich wurde das EFD beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem EVD und dem EDA die Kommunikation über die bestehenden bi- und multilateralen Instrumente für den Informationsaustausch in Steuersachen zu inten3311

sivieren. Für spezifische Aufgaben könne auch Präsenz Schweiz eingesetzt werden.

Das EFD erhielt schliesslich den Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem EVD und dem EDA, dem Bundesrat bis Ende Januar 2009 einen Bericht zur künftigen Kommunikation in dieser Sache vorzulegen.

Ebenfalls an der Klausur vom 26. November 2008 informierte der Vorsteher des EFD das Kollegium auch noch mündlich über die Problematik der Betrugsfälle in den USA. Dabei schilderte er, dass die UBS Probleme verursache und Lösungen verzögere, weshalb der Druck der US-Behörden zunehmen würde. Bei der ESTV befassten sich 26 Mitarbeiter mit den Amtshilfeverfahren, und es bestünden regelmässige Kontakte zum DOJ. Der IRS seinerseits sei etwas geduldiger. Ein erster Fall sei nunmehr beim BVGer hängig. Der Vorsteher des EFD teilte auch mit, er habe den Fall UBS zur Chefsache erklärt und werde wöchentlich über den aktuellsten Stand informiert. Aus seiner Sicht müsste eigentlich die UBS Notmassnahmen ergreifen. Erwähnt wurde ebenfalls ein Auftrag an das BJ, die Handlungsmöglichkeiten bei einer hohen Gefährdung in einer ausserordentlichen Situation zu prüfen.

Anschliessend folgte eine Diskussion im Kollegium über die Rolle der UBS, bei der auch Unmut über die UBS laut wurde. Das Kollegium erteilte dem EFD keine konkreten Aufträge. Es wurde auch kein Beschluss zum weiteren Vorgehen gefällt.

3.4.3.6

Option des strafrechtlichen Notstandes rückt in den Hintergrund

Eine am 27. November 2008 erstellte rechtliche Beurteilung des BJ verneinte u. a.

das Vorliegen eines strafrechtlichen Notstandes der UBS, bezeichnete die «freiwillige» Herausgabe von Bankkundendaten durch die UBS ohne Zustimmung der Bankkunden als mögliche Verletzung von Artikel 271 StGB und kam zum Schluss, dass die EBK gegenüber der UBS keine präventiven Handlungspflichten habe, um deren allfällige Datenherausgabe zu verhindern. Allerdings konnte die EBK solche Präventivmassnahmen ergreifen. Auch der Bundesrat hätte gestützt auf Artikel 2 Buchstabe d seiner Verordnung vom 15. Oktober 2008 über die Rekapitalisierung der UBS die Möglichkeit gehabt, der UBS eine Datenübergabe zu verbieten.689 690

3.4.3.7

DOJ erhöht den Druck und droht mit einer Anklage

Am 28. November 2008 wurde der Vorsteher des EFD durch die SNB über deren Gespräche mit dem Fed-Vorsitzenden, Ben Bernanke, am 1. November 2008 und mit dem Präsidenten der Federal Reserve Bank of New York, Timothy Geithner, am 20. November 2008 informiert. Darin hatte die SNB auf die Gefahr der Destabilisierung der UBS und der damit verknüpften Risiken für die Stabilität des schweizerischen und amerikanischen Finanzsystems hingewiesen. Im zweiten Gespräch wurde seitens des amerikanischen Gesprächspartners ausgeführt, dass die UBS in äusserst

689 690

Dok. 104 des Führungsdossiers des EFD.

Der Rechtsdienst des EFD überprüfte die Konsequenzen eines Nichthandelns von EBK und Bundesrat in einem solchen Fall und kam zum Schluss, dass daraus keine Staatshaftung resultieren würde. Vgl. Dok. 109 des Führungsdossiers des EFD.

3312

gravierender Weise amerikanisches Recht verletzt habe und die Geduld der amerikanischen Behörden erschöpft sei.691 Ende November 2008 fand eine EFD-interne Besprechung u. a. mit dem Vorsteher des EFD und dem Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV statt. Gemäss der Vorbereitungsnotiz für diese Sitzung ist unter geltendem Recht eine Herausgabe von Kundendaten der UBS nur im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe möglich, was der EBK und der UBS mitgeteilt werden müsse.692 Im Weiteren setzte sich das Dokument mit den Konsequenzen einer allfälligen Datenübergabe durch die UBS auseinander.693 Ein Treffen des stellvertretenden Direktors der EBK, des Leiters der Abteilung für Internationales der ESTV, des stellvertretenden Direktors des BJ und des Leiters der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV mit Bruce Swartz vom DOJ in den USA für Mitte Dezember 2008 wurde erwogen, doch wegen der noch nicht weit genug gediehenen Verhandlungen der UBS mit dem DOJ/IRS schliesslich verworfen.694 Am 6. Dezember 2008 nahm der stellvertretende Direktor der EBK zuhanden des Präsidenten der EBK, des Direktors der EBK, des Leiters der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, des Direktors der EFV sowie des Vize-Präsidenten der SNB eine persönliche Standortbestimmung vor. Er stellte darin u. a. fest, dass der IRS durch den DOJ bisher nicht eingebunden werden konnte und der IRS sich nach wie vor für alle Kunden der UBS mit offshore Strukturen (ca.

1 900 Fälle) interessiere. Die UBS sei über ihre US-Anwälte in den USA am Verhandeln und versuche gleichzeitig in der Schweiz mit immer neuen Rechtsgutachten eine Herausgabe von Kundendaten ausserhalb des Amtshilfewegs zu begründen. Die Bundesbehörden informierten sich zwar nach allen Seiten, unternähmen aber ansonsten im Wesentlichen nichts. Abgesehen vom Amtshilfeverfahren mit der SEC gälte dies auch für die EBK. Damit würden im Ergebnis die exploratorischen Verhandlungen der Bank über eine allfällige Herausgabe bestimmter Kundennamen ausserhalb des Amtshilfewegs toleriert. Seitens der Bundesbehörden (mit Ausnahme der EBK) und der UBS sei eine grosse Abneigung vorhanden, im konkreten Fall einen Notstand anzurufen, obwohl dies aus seiner Sicht der einzige Lösungsansatz sei, der rechtlich
einigermassen vertretbar sei. Bezüglich des Rückzugs der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA regte er an, auch radikale Lösungen zu prüfen, um in diesem Bereich vorwärts zu kommen.695 Am 8. Dezember 2008 bestätigten Vertreter des Fed der SNB und der EBK, dass das DOJ eine Anklage einleiten werde, sofern nicht Kundendaten übergeben würden.696 Die Verhandlungen der UBS in den USA liefen in dieser Zeit weiter. Anlässlich eines Treffens des General Counsel der UBS mit dem DOJ am 8. Dezember 2008 brachte das DOJ gemäss ersterem zum Ausdruck, dass die schweizerische Regierung die Dringlichkeit der Situation verkannt habe. Das DOJ habe mehrmals ange691 692

693 694 695 696

Brief der SNB an die GPK vom 13.4.2010, S. 2.

Der Verwaltungsrat der UBS bezog diesbezüglich in den folgenden Tagen klar Stellung, indem er festlegte, dass die UBS kein schweizerisches Recht verletzen dürfe. Vgl. E-Mail des Präsidenten der EBK vom 6.12.2008; Dok. 110 des Führungsdossiers des EFD.

Dok. 105 des Führungsdossiers EFD.

Dok. 110 des Führungsdossiers EFD.

Vgl. Dok. 110 des Führungsdossiers EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3313

droht, die UBS der Justizbehinderung anzuzeigen, zusätzliche Kader anzuklagen oder als ultima ratio die Einleitung des Anklageverfahrens gegen die Bank zu prüfen. Anlässlich dieses Gesprächs habe er erklärt, «dass er und mehrere unabhängige Verwaltungsräte eine Reihe von Gesprächen mit hochrangigen Mitgliedern der EFV, der SNB und der EBK geführt hätten, und dass er zuversichtlich sei, dass falls wir eine Gesamtlösung mit sämtlichen amerikanischen Behörden anstreben können, dem DOJ viel rascher als im Rahmen des bestehenden DBA-Verfahrens Namen geliefert werden können.»697 Anlässlich dieses wie auch des Treffens vom 18. Dezember 2008 mit dem DOJ sei es die klare und unzweideutige Position des DOJ gewesen, dass die Bank keine Zeit mehr hatte und dass rasch eine Lösung gefunden werden musste. In diesem Zeitraum habe die UBS auch versucht, die Bedingungen eines Deferred Prosecution Agreement (DPA) zwischen der Bank und dem DOJ zu skizzieren.698 Der General Counsel der UBS informierte am 9. Dezember 2008 die EBK, dass eine Anklage der UBS durch das DOJ nicht unmittelbar bevorstehe, doch ohne rasche Datenübergabe mit einer solchen noch vor Weihnachten zu rechnen sei. Die Bank habe das DOJ über eine Kategorie von 180 Kunden informiert, welche nach Ansicht der Bank durch das DOJ erfolgreich in den USA angeklagt werden könnten. Diese Information würde durch das DOJ geprüft. Sollte der Erhalt dieser Kundendaten attraktiv sein, liesse sich wohl ­ gemäss Aussage des DOJ ­ innert Stunden eine Lösung finden. Die EBK war klar der Ansicht, dass die Gespräche mit den amerikanischen Behörden weitergeführt werden müssten. Jedoch stellte sich aus ihrer Sicht die Frage, ob und wie lange durch die EBK und die schweizerischen Behörden geduldet werden sollte, dass die UBS faktisch über die Übergabe von Kundendaten ausserhalb des Amtshilfewegs verhandelte.699

3.4.3.8

Option eines Beschlusses des Bundesrats gestützt auf die Bundesverfassung

In einem Informationsmail an den Präsidenten der EBK vom 10. Dezember 2008 stellte der stellvertretende Direktor der EBK fest, dass sich die Einschätzung der Lage durch die EBK von Mitte Oktober bewahrheitet habe und sich wegen der nicht erfolgten Datenübergabe noch keine Lösung ergeben habe. Nachdem verschiedene Handlungsoptionen nicht mehr weiterverfolgt werden könnten700, müsse nun die Möglichkeit einer Datenherausgabe durch den Bundesrat direkt gestützt auf die Bundesverfassung erneut geprüft werden.701 Am selben Tag erging ein Schreiben des UBS-Verwaltungsrats an die Präsidenten der SNB und der EBK. Darin wurde auf die Unzufriedenheit des DOJ mit dem Verlauf des Amtshilfeverfahrens hingewiesen. Eine Anklageerhebung gegen die 697 698 699 700

Dito.

Vgl. Brief der UBS an die GPK vom 13.4.2010.

Vgl. Dok. 111 des Führungsdossiers EFD.

Schriftliche Bestätigung des Amtshilfewegs gegenüber den amerikanischen Behörden zeitigte keine Wirkung, Inaussichtstellen einer sofortigen Übermittlung der Kundennamen aller hängigen Amtshilfefälle nach einem ersten positiven Entscheid des BVGer durch die ESTV als zu riskant verworfen, Ablehnung eines strafrechtlichen Notstands durch die Vorsteherin des EJPD und den Vorsteher des EFD; vgl. Dok. 112 des Führungsdossiers EFD.

701 Dok. 112 des Führungsdossiers EFD.

3314

Bank wie auch gegen Mitglieder des UBS-Top-Managements könnte gemäss Treffen der UBS-Anwälte mit dem DOJ vom 8. Dezember 2008 noch vor Weihnachten erfolgen. Die UBS sei in der unhaltbaren Situation, dass sie, um rechtskonform mit dem amerikanischen Recht zu sein, schweizerisches Recht brechen müssste und umgekehrt. Angesichts dieser Situation und der Bedeutung der UBS für die Schweiz bitte der Verwaltungsrat der UBS die EBK und die SNB um ein konzertiertes Vorgehen.702 Am 11. Dezember 2008 fanden am Rande der KLL-Sitzung Gespräche zwischen dem Vorsteher des EFD, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK statt. Als Vorbereitung aktualisierte die EBK die Handlungsoptionen und liess diese u. a. auch der Vorsteherin des EJPD zukommen.703 Das Dokument begann mit einer aktuellen Situationsanalyse, welche betonte, dass ohne Übergabe von Kundendaten die UBS keinen Vergleich werde abschliessen können und dass die Situation am Eskalieren sei. Ein erhöhtes Engagement der Behörden sei zwingend notwendig. Die EBK stellte abschliessend drei Handlungsoptionen zur Diskussion:


Option 1: Beharren auf dem zu beschleunigenden Amtshilfeweg. Beurteilung EBK: Wenig Erfolg versprechend.



Option 2: Rückendeckung der Behörden für eine Übergabe von Kundendaten durch die UBS ausserhalb des Amtshilfewegs im Rahmen eines Vergleichs. Grundlage: Der durch die amerikanischen Behörden geschaffene Notstand. Beurteilung EBK: Heftige Reaktionen aus dem In- und Ausland wären zu erwarten. Druck auf Bankgeheimnis würde zunehmen.



Option 3: Verhandlungen auf Behördenebene und Übergabe von Kundendaten im Rahmen einer weitergehenden Lösung und unter der Voraussetzung eines Vergleichs in Sachen UBS. Beurteilung EBK: Vorwärtsstrategie mit Unwägbarkeiten, doch allenfalls im langfristigen Interesse des Finanzplatzes Schweiz.

Im Gespräch zwischen dem Vorsteher des EFD, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK wurde die Option 2 ergänzt und danach das Papier der Vorsteherin des EJPD schriftlich zugestellt: Neu wurde die Variante 2 b erwogen, wonach die schweizerischen Behörden die Herausgabe der Kundennamen der UBS verlangen und diese den amerikanischen Behörden übergeben würden. Dieses Vorgehen würde durch einen entsprechenden Beschluss des Bundesrats direkt gestützt auf die Bundesverfassung ermöglicht.704 Der Vorsteher des EFD wurde am 12. Dezember 2008 durch die ESTV über den aktualisierten Stand und den Zeitplan des Amtshilfeverfahrens informiert.705 702

Brief vom 10.12.2008 von Sergio Marchionne an die Präsidenten der SNB und der EBK; vgl. Dok. 113 des Führungsdossiers EFD.

703 Vgl. Dok. 114 des Führungsdossiers EFD.

704 Vgl. Dok. 115 des Führungsdossiers EFD.

705 Daraus war ersichtlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt 308 UBS-Dossiers bei der ESTV eingegangen waren. Davon waren 93 Dossiers in Bearbeitung, 22 Fälle fertig bearbeitet, aber noch keine Schlussverfügung erlassen, in sechs Fällen war eine Schlussverfügung ergangen und in fünf Fällen eine solche in Vorbereitung. In zwei Fällen waren die Voraussetzungen für die Amtshilfe nicht erfüllt. Die ESTV ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sie bis Ende 2008 weitere 15 Fälle soweit behandelt haben würde, dass eine Schlussverfügung erlassen werden konnte. Ab dem Jahr 2009 plante sie monatlich 30 Fälle mit Schlussverfügungen abzuschliessen. Vgl. Dok. 117 des Führungsdossiers EFD.

3315

3.4.3.9

Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008

3.4.3.9.1

Jährliche Besprechung mit dem Präsidenten der SNB

Anlässlich der ordentlichen Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008 fand unter den traktandierten Geschäften die jährliche Besprechung des Bundesrats mit dem Präsidenten der SNB statt. Diese jährliche Aussprache dient dem Bundesrat v. a.

dazu, eine Beurteilung der SNB der wirtschaftlichen Situation aus erster Hand zu erhalten.

Die Situationsanalyse des Präsidenten der SNB, gestützt auf sein Exposé vom 11. Dezember 2008, beinhaltete einen Rückblick auf das Jahr 2008 und einen Ausblick auf das Jahr 2009.

Bei dieser Gelegenheit informierte der Präsident der SNB den Bundesrat über seine tiefe Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen des Steuerstreits zwischen der UBS und den US-Behörden. Er legte dar, dass eine Anklageerhebung unmittelbar bevorstehe, da die US-Behörden die von ihnen geforderten Kundendaten der UBS nicht erhalten hätten. Dies sei ihm vom Präsidenten des Fed in einem Telefongespräch bestätigt worden. Gemäss dessen eigenen Abklärungen glaubten die US-Behörden nämlich nicht (mehr) an eine effiziente Zusammenarbeit seitens der Schweizer Behörden.

Gegenüber dem Präsidenten des Fed habe der Präsident der SNB unter Hinweis auf die hängigen Amtshilfeersuchen für einen zeitlichen Aufschub plädiert; eine Anklageerhebung gegen die UBS würde eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität des Finanzplatzes der Schweiz wie auch für jenen der USA bedeuten.

Weiter sei an besagtem Telefongespräch ein Telefontermin zwischen dem Vorsteher des EFD und dem Attorney General vereinbart worden.

Ferner legte der Präsident der SNB dem Bundesrat dar, dass eine Anklageerhebung faktisch den Untergang einer Bank nach sich ziehen könnte. Der Markt antizipiere einen Lizenzentzug. Die UBS könne sich eine solche Situation nicht leisten. Sie müsste sich den US-Forderungen beugen, dies um so mehr, als sie ihren Kunden absichtlich Beihilfe zum Steuerbetrug geleistet habe. Dabei würde die Bank Schweizer Recht verletzen und die Beständigkeit des Bankgeheimnisses in Frage stellen. Es entstünden weitere innerstaatliche Schwierigkeiten. Zuletzt würde an den Bundesrat appelliert.

3.4.3.9.2

Erste materielle Diskussion im Bundesrat cross-border Geschäft der UBS

Im Anschluss an die ordentliche Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008, unter der Rubrik «Umfragen», orientierte der Vorsteher des EFD das Kollegium über die Situation der UBS.

3316

Gemäss den Aufzeichnungen der BK706 fand im Bundesrat zu diesem Zeitpunkt erstmals eine vertiefte Diskussion statt. Der Bundesrat erkannte plötzlich die Dringlichkeit und den Handlungsbedarf.

Im Rahmen dieser Diskussion wurde dem Vorsteher des EFD u. a vorgehalten, dass er die Problematik bezüglich der Kundendaten dem Kollegium zu spät unterbreitet habe, was dieser bestritt. Ein Mitglied des Kollegiums ergänzte, dass die Situation auch gemäss EBK sehr dringend sei. Ein Entscheid des Bundesrats werde von der EBK noch vor Weihnachten erwartet. Ein weiteres Mitglied des Kollegiums legte dar, dass auch die US-Botschaft in Washington die Situation als sehr ernst einstufe.

Anschliessend diskutierte das Kollegium mögliche Vorgehensvarianten. Eine dieser Varianten war, dass die UBS die Namen selber herausgeben müsse. Ein Mitglied des Kollegiums vertrat die Auffassung, es müsse sofort etwas unternommen werden. Ein anderes meinte, die UBS müsse die Namen herausgeben ­ dass der Bundesrat selber die Namen herausgebe oder veranlasse, dies zu tun, sei ausgeschlossen. Wiederum ein anderes Mitglied des Kollegiums war dezidiert der Auffassung, der Bundesrat müsse handeln, es dürfe aber nicht zugelassen werden, dass die UBS der Administration Bush die Kundennamen liefere. Ein Mitglied äusserte sich dahingehend, dass das Management der UBS die Wahl habe zwischen einer Verurteilung in den USA oder in der Schweiz wegen Verletzung des Bankgeheimnisses.

Ein Mitglied des Kollegiums schlug vor, beim BVGer zu intervenieren, um das Verfahren zu beschleunigen. Dem entgegnete ein anderes Mitglied, dass das Gewaltenteilungsprinzip dies verbiete. Ein Mitglied meinte, es stehe nur noch der Weg offen, dass die UBS die Kundennamen selber herausgebe. Ein anderes legte dar, die andauernde Paralysierung der UBS sei ein zusätzliches Erschwernis. Wiederum ein anderes Mitglied meinte, es müsse der Tatbeweis erbracht werden, dass die Schweiz aktiv sei. Ein weiteres Mitglied war der Auffassung, man müsse Zeit gewinnen, der Bundesrat müsse sich Klarheit darüber verschaffen, wie er weitergehen wolle. Dem wurde entgegnet, dass es dafür zu spät sei, es bleibe nur noch der Weg über Artikel 184 Absatz 3 BV offen. Dieser Lösungsweg wurde von einem anderen Mitglied entschieden abgelehnt, worauf ein Mitglied des Kollegiums erneut ein Gespräch
mit dem BVGer als Möglichkeit vorbrachte.

Schlussendlich beschloss das Kollegium, die Diskussion am 16. Dezember 2008 fortzusetzen.

Darüber, dass die UBS seit längerer Zeit erfolglos versuchte, ein Settlement mit den US-Behörden auszuhandeln, wurde im Bundesrat nicht diskutiert. Soweit die GPK feststellen konnten, gab es dazu seitens des Vorstehers des EFD an der Sitzung vom 12. Dezember 2008 auch keine Informationen.

Der Vorsteher des EFD gelangte zur Überzeugung, er müsse nun versuchen, auf seiner Stufe Einfluss zu nehmen, um allenfalls eine politische Lösung herbeizuführen.707 So beschloss er, am 15. Dezember 2008 ein Telefongespräch mit dem Chef des DOJ und dem amerikanischen Finanzdepartement zu führen.708 Gemäss einem Entwurf einer Speaking note in Vorbereitung dieses Gesprächs im Führungsdossier 706

Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S. 6­8.

707 Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch die GPK vom 6.4.2010, S. 25.

708 Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch die GPK vom 6.4.2010, S. 16.

3317

des EFD sollte das Gespräch auf der Grundlage des Briefs der Vorsteherin des EJPD und des Vorstehers des EFD vom 10. November 2008 geführt werden.709 Gemäss den Angaben des Vorstehers des EFD hätten die amerikanischen Gesprächspartner geltend gemacht, dass das laufende Amtshilfeverfahren zu lange dauere und die Übermittlung von Kundendaten vor Ende 2008 erwartet werde.710 Der Vorsteher des EFD war der Meinung, durch seinen Anruf habe die Frist der amerikanischen Behörden für die Herausgabe von Kundendaten etwas hinausgezögert werden können.711 Am selben Tag versuchte der Vorsteher des EFD auch den amerikanischen Finanzminister Paulson anzurufen, doch sei dieser aufgrund des Administrationswechsels nicht mehr erreichbar gewesen.

3.4.3.9.3

Bundesratssitzung vom 16. Dezember 2008: Fortsetzung der Diskussion

Am 16. Dezember 2008, um 7.00 Uhr, setzte der Bundesrat die Diskussion fort. Den Aufzeichnungen der BK lässt sich entnehmen, dass der Vorsteher des EFD die Situation auf zwei A4-Seiten mit dem Titel «Charybdis» und «Skylla» erläuterte.

Bei diesen Unterlagen handelt es sich nicht um Anträge oder Aussprachepapiere im formellen Sinne, sondern um persönliche Arbeitspapiere des Vorstehers des EFD in der Gestalt von stichwortartigen Aufzeichnungen.

Das Dokument mit dem Titel «Skylla» enthält Stichworte zur UBS und zur EBK.

Dazu führte der Vorsteher des EFD aus, die UBS mache jeweils am Freitag Zwischenbilanz. Am Wochenende habe der Verwaltungsrat getagt. Im betrieblichen Bereich gebe es keine neuen Probleme. Die UBS werde das Jahr 2008 betrieblich überleben. Rückstellungen würden nur dann gebildet, wenn die Rückführung der Kredite nicht möglich sei. Der Quartalsverlust belaufe sich auf 4,5 Milliarden Franken. Es kämen keine neuen Verluste hinzu. Es sei ein Risikoteam eingesetzt worden.

Die EBK sei ebenfalls der Meinung, dass die UBS nicht unmittelbar bedroht sei. Es sei möglich, dass die EBK im Jahr 2009 mehr Kapital verlangen werde. Die EBK sage, dass die UBS Unternehmensteile veräussern müsse. Es gehe dabei um das US-Geschäft und das Asset-Management. Dieser Verkauf sei zwingend. Die Strafanzeige aus den USA sei aus Sicht der EBK immer noch die grösste Bedrohung.

Zum Thema Fusion legte der Vorsteher des EFD dar, es komme nur ein Verkauf an eine ausländische Bank in Frage, aber der Vertrag mit der SNB verbiete dies.

Gespräche mit dieser Bank hätten stattgefunden, seien aber wieder abgebrochen worden.

Eine Fusion mit der CS sei auch möglich. In einem solchen Fall sei aber mit wettbewerbsrechtlichen Problemen zu rechnen. Als Fazit wurde festgehalten, dass die Gespräche zwischen der EBK und der UBS laufen würden.

Danach erläuterte der Vorsteher des EFD das Dokument mit dem Titel «Charybdis», welches Stichworte zu den Bereichen UBS, EFD und EBK/SNB/EFD enthielt. Zur Bedrohung aus den USA legte er dar, neue Gutachten der UBS würden Notstand 709 710 711

Dok. 116 des Führungsdossiers EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch die GPK vom 6.4.2010, S. 16.

3318

bezeugen. Verwaltungsratspräsident Kurer befinde sich im Ausstand. Das DOJ sei nicht bereit, den Ausgang der Schweizer Amtshilfeverfahren abzuwarten. Im EFD seien 300 Gesuche hängig, deren Behandlung wohl länger als ein Jahr dauern könnte. Eine Ermächtigung zur Weitergabe der Fälle an das DOJ ausserhalb der Amtshilfeverfahren sei für das EFD nicht denkbar.

Gespräche zwischen dem EFD und dem DOJ fänden statt. Der US-Staatsanwalt O'Connor sage, er habe bereits vor einem Jahr Kontakt mit der UBS gehabt, und dann sei während Monaten nichts mehr passiert. Das DOJ sei nicht nur an rechtlichen, sondern auch an finanziellen Aspekten interessiert. Die USA hätten grosse Finanzlasten zu tragen und seien auf Steuerbetrug hoch sensibilisiert, deshalb wollten sie überall Geld. O'Connor wolle nicht die Vertreter der UBS einklagen. Es gehe vor allem um die Identitäten der US-Steuerbetrüger. Wenn sich die UBS in den nächsten Tagen bewege, sei eine Lösung möglich. Ende Jahr solle das ins Rollen kommen. Staatsanwalt O'Connor habe auch gesagt, vor einem Indictment würde man die Schweizer Behörden informieren. Der Vorsteher des EFD habe dem Staatsanwalt mitgeteilt, dass die Schweizer Regierung das Verhalten der UBS verurteile und es als Schande empfinde. Ein zweites Gespräch mit dem IRS (Mc Gormick) sei nicht so ergiebig gewesen. Der IRS sei konzilianter als das DOJ. Der IRS unterstütze den Bundesrat.

Anschliessend erörterte der Vorsteher des EFD die drei ausgearbeiteten Optionen: 1.

Beharren auf dem Amtshilfeweg: a) Beschleunigung mit allen Mitteln, Dauer dennoch ein Jahr; b) Herbeiführung eines Musterfalls BVGer [von UBS/EBK bevorzugte Lösung].

2.

Übergabe von Kundendaten ausserhalb der Amtshilfe. Dabei werde vorausgesetzt, dass damit eine umfassende Lösung erzielt werden könne.

a) Vorgehen seitens der EBK gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG: [ernsthafte Probleme, Ergreifen von Schutzmassnahmen]; b) Der Bundesrat weist die EBK durch Verfügung direkt gestützt auf die Bundesverfassung an, die Daten herauszugeben.

3.

Verhandlungen auf Behördenebene: Bereitschaft zur Anpassung des DBA USA-CH (ein bis zwei Jahre). Es handle sich um die Lösung, welche Liechtenstein gewählt habe, also die Gewährung von Amtshilfe auch bei Steuerhinterziehung, aber nur bei konkretem Verdacht und bei Bekanntgabe der Verdachtsnamen.

Der Vorsteher des EFD beantragte dem Kollegium ein Vorgehen gemäss der Variante 2a), also eine Herausgabe der Kundendaten durch die EBK gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG. Diese Variante sei mit der EBK diskutiert worden und sie wäre damit einverstanden. Ein Mandat an die EBK könnte sinngemäss lauten: Nach intensiven Gesprächen mit der EBK und der SNB zur Abwehr einer existenzgefährdenden Strafklage durch das DOJ, beauftragt der Bundesrat die EBK, im Interesse der Schweiz alle Massnahmen zu treffen, um eine Strafklage zu verhindern.

In der nachfolgenden Diskussion befürwortete das Kollegium mehrheitlich die Variante EBK. Ein Mitglied vertrat die Auffassung, es müsse noch eine Variante definiert werden, bei welcher der Staat keine Rolle spiele. Diskutiert wurden auch mögliche Konsequenzen einer Datenherausgabe durch die UBS selbst. Diese Lösung wurde als ebenso schlecht erachtet wie ein Eingreifen seitens des Bundesrats ge3319

stützt auf die Bundesverfassung. Es kam auch zum Ausdruck, dass die EBK zur Variante 2a) habe gedrängt werden müssen712 und dass sie am 19. Dezember 2008 einen definitiven Vorschlag unterbreiten werde. Kritische Worte fielen gegenüber der UBS-Spitze, welche als unhaltbar erachtet wurde; es sei richtig, dass die EBK im Hinblick auf die Generalversammlung der UBS im nächsten Mai eine Auswechslung des Verwaltungsrats anstrebe. Der Bundesrat verschob den definitiven Entscheid in der Sache auf den 19. Dezember 2008.

3.4.3.10

Untersuchungsbericht der EBK vom 17. Dezember 2008

Die Untersuchung der EBK wurde mit einem Untersuchungsbericht abgeschlossen, der am 17. Dezember 2008 durch die EBK behandelt wurde.713 Diese Untersuchung war am 23. Mai 2008 EBK eingeleitet worden, nachdem Anzeichen auf Verletzung von schweizerischem Aufsichtsrecht vorlagen.714 Im Rahmen dieser Untersuchung waren fünf Personen der EBK tätig sowie eine schweizerische Anwaltsfirma als Untersuchungsbeauftragte der EBK. Die Untersuchung analysierte den Sachverhalt aus Sicht des schweizerischen Aufsichtsrechts und ging folgenden vier Fragen nach715: 1.

Hat sich die UBS bzw. haben sich Mitarbeitende der UBS aktiv an Steuerbetrug ihrer Kunden beteiligt?

2.

Hat die UBS im Rahmen ihrer Verpflichtungen als QI oder anderswie falsche Erklärungen oder Berichte an amerikanische Behörden, namentlich an den IRS, abgegeben?

3.

Gab es Verletzungen des QIA durch die UBS und wenn ja, wie schwerwiegend wären sie?

4.

Wie ist die UBS und wie sind deren Angestellte mit den Rechtsrisiken umgegangen, die sich aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in die USA in Verbindung mit dem QIA ergeben?

Bezüglich der Kundendossiers stützte sich die EBK-Untersuchung auf die Erkenntnisse der Untersuchung der UBS, welche durch eine amerikanische Anwaltsfirma im Auftrag der UBS durchgeführt wurde. Diese UBS-interne Untersuchung involvierte rund 100 Personen. Die EBK führte informelle Befragungen716 von 20 Mitarbeitenden der UBS durch (davon fünf Kundenberater). U. a. gehörten folgende Personen 712

713

714 715

716

Anlässlich der Anhörungen durch die GPK sagten die Vertreter der EBK aus, dass dieser Vorschlag ohne Einflussnahme der Behörden durch die EBK erarbeitet und von ihr für gut befunden worden war.

«Die UBS und ihr grenzüberschreitendes Geschäft mit U.S. Privatkunden», Bericht der EBK zur Umsetzung des Qualified Intermediary Agreement und zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen in die USA durch die UBS vom 17.12.2008, 161 Seiten, nicht veröffentlicht (nachfolgend «EBK-Schlussbericht»).

Vgl. Kapitel 3.3.3.2.

EBK-Schlussbericht, S. 25. Einleitend analysierte der EBK-Schlussbericht die Entwicklung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der daraufhin durch die UBS ergriffenen Massnahmen.

Gemäss Aussagen der FINMA-Vertreter liess der Zeitdruck keine formellen Befragungen zu, die aufgrund der Schriftlichkeit und der Verfahrensrechte mehr Zeit in Anspruch nehmen. Vgl. z. B. Protokoll der Anhörung von Urs Zulauf durch die GPK vom 3.11.2009, S. 8.

3320

zu den Befragten: Peter Kurer, Marcel Rohner, Raoul Weil, Martin Liechti, Hansruedi Schumacher.

Die als Untersuchungsbeauftragte agierende schweizerische Anwaltskanzlei hatte den Auftrag, den Untersuchungsprozess bei der UBS717 zu überwachen und der EBK insbesondere Bericht zu erstatten, ob die interne Untersuchung der UBS zweckmässig ausgerichtet war und ob die Mitglieder des oberen Managements der UBS die interne Untersuchung in unangemessener Weise zu beeinflussen versuchten. Die Untersuchungsbeauftragte stellte in der Folge fest, dass die Untersuchungsmethodik adäquat war und auch keine unzulässige Beeinflussung durch das oberste Management erfolgt war.718 Die Untersuchung kam aufgrund einer Vielzahl von kritischen Bemerkungen719 zu folgenden Schlüssen:


Im Zuge der Umsetzung ihrer Pflichten aus dem mit dem IRS abgeschlossenen QIA bestand innerhalb der UBS im Geschäftsbereich Nordamerika ein Konsens, besonders wichtige US-Kunden bei der Suche nach Möglichkeiten zu unterstützen, sich dem IRS nicht als steuerpflichtige Personen offenzulegen und gleichwohl weiterhin in US-Wertschriften zu investieren. In rund 300 Fällen leisteten Bankmitarbeiter besondere Hilfestellungen. Kundenberater halfen den Kunden beim Aufsetzen von offshore Strukturen und akzeptierten teilweise unwahre Erklärungen in QIA-Formularen. Die EBK kam deshalb zum Schluss, dass diese Handlung in ihrer Gesamtheit mit der Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit nicht zu vereinbaren und damit nach schweizerischem Bankaufsichtsrecht zu beanstanden sei.



Die UBS hatte 2002 beschlossen, US-Kunden nur noch eine sehr beschränkte Dienstleistungspalette anzubieten, um zu vermeiden, dass SECRestriktionen und ­ für den Fall, dass sie Anwendung finden sollten, was unklar war ­ die «deemed sales»-Regeln verletzt werden. Zudem sollten dadurch Probleme mit den von der SEC durchzusetzenden aufsichtsrechtlichen Beschränkungen für das grenzüberschreitende Geschäft in die USA vermieden werden. In der Folge setzte das direkt für das Nordamerika verantwortliche Management die diesbezüglichen Einschränkungen jedoch nicht konsequent um. Es bestanden bis 2006 keine unabhängigen Einhaltekontrollen. In zahlreichen Fällen verstiessen Kundenberater gegen die USRestriktionen und begründeten ein grosses Rechtsrisiko für die Bank. Die UBS habe die mit dem grenzüberschreitenden Geschäft mit amerikanischen Kunden verbundenen zunehmenden Rechtsrisiken zwar erkannt und in internen Richtlinien angesprochen, sie aber lange Zeit im Ergebnis toleriert und zu spät und zu zögerlich darauf reagiert.720

Bezüglich der vier Untersuchungsfragen stellte die EBK fest, dass die aktive Beteiligung der UBS bzw. von Mitarbeitenden der UBS an Steuerbetrug nicht ausgeschlossen werden könne (erste Frage). Auch zur zweiten und dritten Frage nach der Verletzung des QIA bzw. der korrekten Information der amerikanischen Behörden führte die Untersuchung zur Identifikation von Missständen. Bei der Frage nach dem 717

Peter Kurer und Marcel Rohner befanden sich gemäss UBS seit August 2008 in Bezug auf die UBS-interne Untersuchung im Ausstand.

718 EBK-Schlussbericht, S. 39.

719 Ebd., S. 151ff.

720 Ebd., S. 9.

3321

Umgang der UBS mit den Rechtsrisiken in diesem Bereich stellte die EBK fest, dass zwar Massnahmen ergriffen worden waren, diese jedoch zu spät und zu wenig konsequent erfolgt seien.721 Die EBK stellte im Weiteren fest, dass die Untersuchung keine Hinweise auf aktives Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer bezüglich der Verstösse gegen die QIAVerpflichtungen ergeben hätte.722 Die Klärung dieser Frage war allerdings nicht ein zentraler Fokus der Untersuchung.723 Die EBK (gemeint ist hier die Kommission und nicht ihr Sekretariat) beschloss, aufgrund des Berichts eine Verfügung gegen die UBS zu erlassen und fasste den vorbehaltenen Beschluss, als Schutzmassnahme gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG von der UBS die Herausgabe von Kundendaten zu verlangen, sofern nur so eine Anklage abgewendet werden könne.724 In der Verfügung vom 21. Dezember 2008 wurden u. a. die Schwere der festgestellten Mängel im Risikomanagement und bei der Risikokontrolle förmlich festgehalten, das Verbot für die Weiterführung des non-W9-Geschäfts durch die UBS und die Verpflichtung der Bank, ein cross-border Risikomanagement- und Risikokontrollsystem aufzubauen.725 Der EBK-Schlussbericht wurde den in diesem Dossier involvierten Behördenvertretern nicht zur Verfügung gestellt.726

3.4.3.11

Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008: Ball ist bei der EBK

Für die Bundesratssitzung vom 19. Dezember 2008 reichte der Vorsteher des EFD lediglich eine Informationsnotiz vom 18. Dezember 2008 mit dem Titel «Untersuchungen der US-Justizbehörden gegen die UBS» ein. Ein formeller Antrag des Vorstehers des EFD lag jedoch nicht vor.

In der Informationsnotiz wurden die Ausgangslage sowie der wachsende Druck des DOJ auf die UBS näher erläutert. Im Einzelnen wurde dargelegt, dass das DOJ seit Herbst 2007 untersuche, ob die UBS und einzelne ihrer Angestellten US-Kunden bei betrügerischen Handlungen gegen den US-Fiskus unterstützt und damit auch gegen das im Jahr 2001 mit dem IRS abgeschlossenen QIA verstossen habe. Auslöser der Untersuchungen sei die Entdeckung des IRS gewesen, dass ein amerikanischer Staatsbürger im Zusammenhang mit der Einführung des QI-Verfahrens auf den 1. Januar 2001 eine offshore Gesellschaft zwischengeschaltet hatte, auf die er die bisher von ihm selbst gehaltenen Wertschriften übertrug. Während auf dem von der UBS für Zwecke der Bekämpfung der Geldwäscherei eingeholten «Formular A» der amerikanische Steuerpflichtige als wirtschaftlich berechtigte Person angegeben wurde, hatte die zwischengeschaltete Gesellschaft im US-Formular W-8BEN sich selbst als Nutzungsberechtigte an den Wertschriften und den darauf erzielten Erträgen bezeichnet. Das daraufhin vom IRS angestrengte Verfahren sei im Jahr 2006 mit 721 722 723

Ebd., S. 157f.

Ebd., S. 153f.

Protokoll der Anhörung von Urs Zulauf durch die GPK vom 15.4.2010, S. 8 und 11.

Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner durch die GPK vom 22.4.2010, S. 18.

724 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

725 Verfügung der EBK vom 21.12.2008 in Sachen UBS betreffend grenzüberschreitendes Geschäft mit Privatkunden in den USA.

726 Protokoll der Anhörung von Alexander Karrer durch die GPK vom 3.11.2009, S. 9.

3322

einer Zahlung von Nachsteuern, Verzugszinsen und Bussen in zweistelliger Millionenhöhe abgeschlossen worden. Anschliessend seien die Ermittlungen ausgedehnt worden.

In den Ermittlungen der US-Staatsanwaltschaft gegen den früheren UBS-Kundenberater Bradley Birkenfeld habe dieser ausgesagt, dass eine solche Zwischenschaltung von offshore Gesellschaften bei der UBS kein Einzelfall gewesen sei, sondern von mehreren UBS-Kundenberatern zwecks Verschleierung der wahren Nutzungsberechtigung systematisch vorgeschlagen und aktiv unterstützt worden sei.

In der Folge habe die UBS angekündigt, voll mit den Behörden zu kooperieren und künftig keine grenzüberschreitenden Dienstleistungen für die in den USA domizilierten Kunden im Privat-Banking-Bereich mehr anzubieten, sofern sie nicht durch US-regulierte Gesellschaften erbracht würden.

Ab März 2008 sei die EBK schrittweise von der UBS über das in den USA laufende Verfahren informiert worden. Im Mai 2008 habe die EBK ein eingreifendes Verwaltungsverfahren gegen die UBS eröffnet. Darin habe die EBK den Sachverhalt aus Sicht des Schweizer Aufsichtsrechts untersucht. Das Sekretariat der EBK habe den Bericht mittlerweile abgeschlossen und der Kommission einen Antrag über allfällig einzuleitende aufsichtsrechtliche Massnahmen zum Entscheid vorgelegt. Es sei aus Sicht des EFD nicht abschliessend klar, inwieweit das oberste Management der UBS in die Vorgänge involviert gewesen sei. Hier werde der Bericht der EBK Klarheit schaffen.

Der IRS betrachte die Zwischenschaltung einer offshore Gesellschaft verbunden mit den unrichtigen Angaben auf dem Formular W-8BEN als betrügerisches Verhalten im Sinne von Artikel 26 DBA Schweiz ­ USA und von Ziffer 10 des dazugehörenden Protokolls. Mit Datum vom 16. Juli 2008 habe der IRS daher ein Amtshilfebegehren an die Schweiz gerichtet, in dem er Bankunterlagen über die in diesen Sachverhalt (Zwischenschaltung von offshore Gesellschaften) involvierten, in den USA steuerpflichtigen Personen (US persons) verlangt habe.

Die schweizerischen Behörden hätten von Beginn an eng mit den US-Behörden zusammengearbeitet. Dem Gesuch um Amtshilfe sei ein Gesuch um Rechtshilfe vorausgegangen, welches das DOJ am 11. Juni 2008 beim BJ eingereicht hatte.

Darin seien die Übermittlung umfassender Kundendaten sowie weiterer bankinterner Dokumente
gefordert worden. Dieses Rechtshilfegesuch sei in Absprache mit den US-Behörden bis auf weiteres sistiert worden, und Letztere seien auf den einfacheren und schnelleren Amtshilfeweg verwiesen worden.

Die ESTV sei nach Prüfung des Amtshilfebegehrens zum Schluss gekommen, dass der Sachverhalt der Zwischenschaltung einer offshore Gesellschaft in Verbindung mit weiteren Tatbestandselementen (wie beispielsweise dem Errichten der Gesellschaften im Zeitpunkt des Inkrafttretens des QI-Abkommens oder dem Umstand, dass der wirtschaftlich Berechtigte direkten Zugriff auf das Konto der Zwischengesellschaft hat) grundsätzlich als «Betrugsdelikt oder dergleichen» gemäss DBA Schweiz ­ USA bezeichnet werden könne. Sie habe daher die UBS aufgefordert, ihr die betreffenden Bankunterlagen zuzustellen. Nach Aussagen der UBS soll in 347 Fällen eine solche offshore Gesellschaft mit Investitionen in US-Wertschriften eingeschaltet worden sein. Die ESTV rechne damit, dass bis Ende Jahr sämtliche Dossiers mit US-Wertschriften ediert seien. Noch nicht abschliessend geklärt sei zwischen dem IRS und der ESTV, ob die Zwischenschaltung einer offshore Gesellschaft, die keine US-Wertschriften halte, ebenfalls als Steuerbetrug im Sinne des 3323

DBA Schweiz ­ USA zu qualifizieren sei. Die UBS gehe dabei von rund 1600 solcher offshore Gesellschaften mit Nicht-US-Anlagen aus.

Die ESTV prüfe aufgrund der edierten Bankunterlagen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Amtshilfeleistung erfüllt seien. Von den 308 bei der ESTV vorliegenden Dossiers seien 115 Dossiers bereits an Sachbearbeiter zugeteilt. Von diesen 115 zugeteilten Fällen seien 70 Fälle noch in der Beurteilungsphase. In zehn Fällen sei die Bearbeitung zurückgestellt worden, weil die Indizien für das Vorliegen eines «tax fraud or the like» nicht offensichtlich seien. In den bisher bearbeiteten Fällen seien sodann in zwei Fällen nach Auffassung der ESTV die Voraussetzungen für die Leistung von Amtshilfe nicht erfüllt.

In 33 Fällen seien die Voraussetzungen für die Leistung von Amtshilfe nach Auffassung der ESTV hingegen erfüllt. Daher sei die UBS aufgefordert worden, die betroffenen Personen einzuladen, einen schweizerischen Zustellungsbevollmächtigten zu bezeichnen. In 14 Fällen habe sich ein schweizerischer Zustellungsbevollmächtigter gemeldet; in 19 Fällen sei noch kein Vertreter bezeichnet worden.

Von diesen 14 Fällen, in denen eine Vertretungsvollmacht vorliege, sei in neun Fällen eine Schlussverfügung erlassen worden. In vier Fällen sei Beschwerde an das BVGer erhoben worden. In den anderen fünf Fällen laufe die Beschwerdefrist noch.

Die Betroffenen hätten das Recht, innert 30 Tagen die von der ESTV erlassene Verfügung über die an die USA zu übermittelnden Informationen mit Beschwerde an das BVGer anzufechten. Dieses entscheide dann abschliessend. Diese Standortbestimmung bezüglich des Amtshilfeverfahrens erfolgte auf Wunsch mehrerer Mitglieder des Bundesrats.727 Kundendaten würden im Rahmen des Amtshilfeverfahrens erst übermittelt, wenn entweder ein Betroffener auf einen Rekurs verzichte oder aber, wenn das BVGer die Verfügung als zulässig anerkannt habe. Mit einem ersten Entscheid des BVGer sei im Frühjahr 2009 zu rechnen.

Bezüglich des wachsenden Drucks des DOJ auf die UBS hielt die Informationsnotiz des EFD fest, das DOJ habe am 11. November 2008 im Zusammenhang mit den laufenden Untersuchungen zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen mit Raoul Weil ein Mitglied der UBS-Konzernleitung in Florida eingeklagt. In der Anklage werde Weil beschuldigt, zusammen
mit weiteren UBS-Angestellten rund 20 000 amerikanischen Kunden behilflich gewesen zu sein, etwa 20 Milliarden Dollar an den US-Steuerbehörden vorbeizuschleusen.

Die UBS wolle die Ermittlungen gemäss eigenen Angaben weiterhin vollumfänglich unterstützen und mit allen involvierten Behörden zusammenarbeiten, um die Angelegenheit befriedigend beizulegen.

Die zuständigen schweizerischen Behörden würden kooperativ und intensiv mit den amerikanischen Behörden zusammenarbeiten. Die Vorsteherin des EJPD und der Vorsteher des EFD hätten ihren amerikanischen Partnern in den vergangenen Wochen mündlich und schriftlich versichert, dass die Schweiz Steuerbetrug nicht decke. Gleichzeitig hätten sie sich bei ihren amerikanischen Partnern dafür eingesetzt, dass die rechtsstaatlichen Verfahren zwischen beiden Staaten eingehalten würden. Auch seien intensive Gespräche mit der EBK und der SNB geführt worden.

727

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf durch die GPK vom 29.3.2010.

3324

Die ESTV habe für die Behandlung der aufwändigen Fälle zusätzliche personelle Ressourcen bereit gestellt. Es sei davon auszugehen, dass ab Beginn des neuen Jahres pro Monat 30 Fälle mit einer Schlussverfügung erledigt werden könnten.

Gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass ab Januar 2009 in zahlreichen Fällen Beschwerdeantworten an das BVGer erstellt werden müssten.

Gleichwohl forderten die US-Justizbehörden unter Androhung unilateraler Zwangsmassnahmen von der UBS weiterhin die direkte Herausgabe von Kundendaten.

Offenbar sei das DOJ nicht länger bereit, die im DBA Schweiz ­ USA vorgesehenen Verfahren einzuhalten. Das EFD werde die Amtshilfeverfahren weiterhin mit grösster Priorität vorantreiben.

Wie aus den Aufzeichnungen der BK hervorgeht, fand an diesem 19. Dezember 2008 innerhalb des Bundesratskollegiums keine Diskussion mehr statt.728 Mit Beschluss vom 19. Dezember 2008 nahm der Bundesrat zur Kenntnis, dass eine Anordnung von unilateralen Zwangsmassnahmen gegen die UBS durch das DOJ für die UBS existenzgefährdend wäre. Im Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen als auch des globalen Finanzsystems ersuchte der Bundesrat die EBK, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um einen solchen Schritt zu verhindern. Im Übrigen beauftragte der Bundesrat das EFD, die Amtshilfeverfahren weiterhin mit höchster Priorität voranzutreiben.

3.4.4

Rolle der Behörden in dieser Phase

3.4.4.1

Allgemein

Betrachtet man die Rolle der Behörden zwischen Ende August 2008 und dem Entscheid des Bundesrats vom 19. Dezember 2008, so drängen sich zwei Feststellungen allgemeiner Natur auf: Bis Ende August 2008 stand für die Behörden das Amtshilfeverfahren der ESTV im Vordergrund. Die Informationsbegehren des IRS und des DOJ schienen rechtsstaatlich kanalisiert zu sein, und die Federführung lag bei der zentralen Bundesverwaltung, insbesondere beim BJ und danach bei der ESTV. Die EBK stand bezüglich dieses Dossiers, soweit es um die Herausgabe von Kundendaten ging, nicht mehr im Vordergrund.

Ende August 2008 änderte sich diese Situation wieder grundlegend, indem zum Vorschein kam, dass sich das DOJ mit dem eingeschlagenen Weg der Amtshilfe nicht zufrieden gab. Dadurch erfolgte wieder eine Verlagerung der faktischen Federführung in diesem Dossier weg von der ESTV hin zur EBK und zur EFV. Die Phase zwischen Ende August 2008 und Dezember 2008 war ebenfalls durch parallele und sich zum Teil aufeinander abstützende Arbeiten der ESTV, der EBK, des BJ, der EFV, der Schweizer Botschaft in den USA und ­ nicht zuletzt ­ der UBS selbst gekennzeichnet.

Es war eine Phase, in welcher der Druck der amerikanischen Behörden auf die UBS und somit auch auf die schweizerischen Behörden stark und anhaltend zunahm, bis der Punkt erreicht wurde, an dem Massnahmen zur Datenübergabe ausserhalb des

728

Gemäss dem Bundesrat kann aus der Tatsache, dass die Aufzeichnungen der Bundeskanzlei keine Diskussionen wiedergeben, nicht geschlossen werden, dass es im Bundesrat keine Diskussion gab.

3325

Amtshilfeverfahrens mit grösster Wahrscheinlichkeit notwendig wurden und der Bundesrat der EBK seine Unterstützung in einem formellen Entscheid zusicherte.

Gemäss Aussagen von Behördenvertretern erhielten sie bis in den Spätsommer hinein von der UBS sporadisch Signale, dass ein Vergleich der UBS mit den amerikanischen Behörden ohne Übergabe von Kundendaten allenfalls doch noch erzielt werden könnte. Diese Wahrnehmung steht im Widerspruch zu den Aussagen von Vertretern der UBS vor den GPK, wonach für sie schon früh, also bereits im Frühling 2008, unmissverständlich klar war, dass ein Vergleich ohne Datenübergabe an die amerikanischen Behörden nicht möglich sein würde. Ab Herbst 2008 war sodann allen beteiligten Akteuren klar, dass eine Datenübergabe conditio sine qua non war, damit die UBS zu einer Lösung mit den amerikanischen Behörden gelangen und eine Anklageerhebung gegen die Bank selbst und ihre Organe erfolgreich abgewendet werden könnte.

Die Diskussionen innerhalb der schweizerischen Behörden und zwischen diesen und der UBS drehten sich ab diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch um die Frage, ob die Datenübergabe im Rahmen der Amtshilfe oder ausserhalb derselben erfolgen musste. Dieser Frage lag letztlich eine andere Frage zu Grunde, nämlich wie schnell diese Datenübergabe zu erfolgen hätte. Es sollte sich dann zeigen, dass das Amtshilfeverfahren den Anforderungen des DOJ nicht genügen würde und im Grundsatz eine Übergabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens, gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG, akzeptiert werden müsste, um eine drohende Anklage der UBS in den USA und ihre Folgen für die Schweiz abzuwenden.

Die schweizerischen Behörden erörterten auch mehrfach die Variante, dass das durch die UBS verursachte Problem durch die Bank selbst zu lösen sei.

3.4.4.2

Eidgenössische Bankenkommission

Die EBK verhandelte Ende August 2008 mit dem DOJ über die Modalitäten des Ausstiegs der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA. Ein Ausstieg der UBS aus diesem Geschäft, ohne dass die amerikanischen Behörden Kundennamen erhielten, war für das DOJ inakzeptabel. Dadurch wurde die Datenübergabe durch das DOJ mit dem Ausstieg der UBS aus diesem Geschäft verknüpft und die EBK wieder in diesen Aspekt des Dossiers einbezogen. Erschwerend kam dazu, dass das DOJ in seinem Non-paper vom 15. September 2008 am Kooperationswillen der UBS zweifelte. Die EBK erklärte ihrerseits dem DOJ, dass die UBS aufgrund der schweizerischen Rechtsordnung den amerikanischen Behörden von sich aus keine Kundennamen liefern könne. Richtigerweise wurde Alexander Karrer durch die EBK laufend über die Entwicklung informiert und beim Treffen im September 2008 mit Kevin Downing vom DOJ einbezogen. Die EBK war somit in dieser Zeitphase weiterhin nicht nur mit der SEC, sondern auch mit dem DOJ in Verhandlung.

Parallel dazu hatte die EBK ausserdem das Amtshilfeverfahren der SEC weiterzubearbeiten.

Gleichzeitig lief seit Mai 2008 die EBK-Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA, welche durch fünf Personen der EBK und eine schweizerische Anwaltskanzlei durchgeführt und im Dezember 2008 mit einem 160-seitigen Bericht und einer Verfügung der EBK abgeschlossen wurde. Die EBK 3326

verfolgte auch eng die UBS-interne Untersuchung, welche 100 Personen involvierte und durch eine amerikanische Anwaltskanzlei im Auftrag der UBS geführt wurde.

Sie war bei der Präsentation der Resultate der UBS-Untersuchung in New York Mitte Oktober anwesend.

Die EBK stellte aufgrund dieses Treffens in New York am 17. Oktober 2008 einen dringenden Handlungsbedarf seitens der schweizerischen Behörden fest, nachdem aus ihrer Sicht klar war, dass eine rasche Datenübergabe erfolgen musste. Sie erarbeitete zuhanden der schweizerischen Behörden vier Handlungsoptionen. Zum ersten Mal lag damit ein schriftliches Dokument vor, das den Handlungsspielraum der Behörden aufzeigte. Die Handlungsoptionen bewegten sich allesamt im Kompetenzbereich des Bundesrats oder des EFD und nicht in jenem der EBK. Auch nach einer ersten Diskussion und Anpassung der Handlungsoptionen durch Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer und den schweizerischen Botschafter in den USA war es der stellvertretende Direktor der EBK, der diese dem Direktor der EFV für seine Besprechung mit der Vorsteherin des EJPD zukommen liess. Er war es auch, der zu diesem Zeitpunkt die Frage nach einer raschen Intervention auf oberster Regierungsstufe aufwarf und einen diesbezüglichen Entscheid als dringend erachtete. Eine entsprechende Intervention erfolgte in diesem Zeitraum jedoch nicht.

Der Druck des DOJ stieg weiter an, was auch durch das Fed und die UBS bestätigt wurde. Nach der Anklageerhebung gegen Raoul Weil am 12. November 2008 übernahm Alexander Karrer von der EFV die Funktion des «Warners», als er zuhanden des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD die gravierende Situation beschrieb und erneut Handlungsoptionen unterbreitete. Die EBK nahm am 18. November 2008 am Treffen mit beiden Departementsvorstehern zur Besprechung der Handlungsoptionen teil. Der stellvertretende Direktor der EBK präsentierte anlässlich dieses Treffens die Lage aus Sicht der EBK und brachte klar zum Ausdruck, dass eine rasche Übergabe von Bankkundendaten an die amerikanischen Behörden notwendig war, um die Bank nicht weiter zu destabilisieren. Das Amtshilfeverfahren sei nicht zielführend. Er unterbreitete einen Vorgehensvorschlag ausserhalb des Amtshilfeverfahrens. Soweit den GPK bekannt, wurde jedoch an dieser Sitzung durch die beiden Departementsvorsteher
kein Entscheid gefällt, der die Situation deblockiert hätte.

Am 6. Dezember 2008 nahm die EBK intern eine Standortbestimmung dieses Dossiers vor. Der stellvertretende Direktor kam zum Schluss, dass die Behörden ­ ausser sich zu informieren ­ nichts Wesentliches unternommen hätten. Bezüglich des Ausstiegs der UBS aus ihrem grenzüberschreitenden Geschäft regte er an, auch radikale Varianten zu prüfen, um vorwärts zu kommen. Zwei Tage danach wies das Fed die EBK auf den Ernst der Lage hin.

Parallel dazu verhandelte die UBS in den USA weiterhin, um einen Vergleich mit den amerikanischen Behörden zu erzielen. Auch aus diesen Gesprächen ergab sich, dass nur mit einer raschen Datenübergabe die Verhandlungen Erfolg haben bzw. die Anklage der UBS abgewendet werden könnte. Im Hinblick auf eine Aussprache zwischen den Präsidenten der EBK und der SNB sowie des Vorstehers des EFD am 11. Dezember 2008 wurde die gravierende Lage durch die EBK geschildert und erneut aktualisierte Handlungsoptionen eingebracht. Eine Herausgabe von Kundendaten gestützt auf Notrecht wurde anlässlich dieses Treffens diskutiert. In der ersten materiellen Diskussion des Bundesrats am 12. Dezember 2008 zu diesem Dossier wurde u. a. die Einschätzung der EBK thematisiert, jedoch kein Entscheid gefällt, sondern die Diskussion auf den 16. Dezember 2008 vertagt.

3327

Im Hinblick auf diese Bundesratssitzung hatte die EBK eine neue Handlungsoption erarbeitet, nämlich die Datenübergabe gestützt auf Artikel 25 f. BankG, welche durch den Vorsteher des EFD dem Bundesratskollegium als die von ihm bevorzugte Option mit Erfolg unterbreitet wurde. Gemäss den Informationen aus dieser Sitzung habe die EBK zu diesem Vorschlag gedrängt werden müssen.729 Der definitive Entscheid des Bundesrats wurde auf den 19. Dezember 2008 verschoben. Zu diesem Zeitpunkt sollte auch ein definitiver Vorschlag der EBK für dieses Vorgehen vorliegen. An dieser Sitzung erhielt dann die EBK vom Bundesrat das politische Plazet (in Form eines formellen Beschlusses), alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um eine existenzgefährdende Anordnung von unilateralen Massnahmen durch das DOJ gegen die UBS zu verhindern.

Um die angespannte Situation zu entschärfen ­ das DOJ hatte mit der Anklage der Bank gedroht, falls bis Ende 2008 keine Kundendaten geliefert würden ­, hatte es die EBK im Dezember 2008 als notwendig erachtet, der UBS grünes Licht für die Verhandlungen mit den drei amerikanischen Behörden zu geben, und ihr gleichzeitig mitgeteilt, dass die Bank als ultima ratio mit der Unterstützung der EBK in Sachen Datenübergabe werde rechnen können.730 Dadurch konnten die Verhandlungen der UBS vorangetrieben und das Ultimatum des DOJ von Ende 2008 entschärft werden.

Die EBK nahm an diesen Verhandlungen selber nicht teil.

Die EBK wurde insbesondere ab Dezember 2008 laufend durch die UBS über den Verhandlungsverlauf informiert.

Bezüglich der Rolle der EBK ist es ebenfalls wichtig festzuhalten, dass ihr Präsident auf Anraten des stellvertretenden Direktors der EBK am 27. August 2008 in diesem Dossier in den Ausstand trat und erst wieder am 19. November 2008 involviert wurde, nachdem sich gezeigt hatte, dass er in seiner UBS-Zeit keine relevanten Beziehungen zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA gehabt hatte.731

729

Anlässlich der Anhörungen durch die GPK sagten die Vertreter der EBK aus, dass dieser Vorschlag ohne Einflussnahme der Behörden durch die EBK erarbeitet und von ihr für gut befunden wurde.

730 Protokoll der Anhörung von Eugen Haltiner durch die GPK vom 22.4.2010, S. 22.

731 Gemäss den Erklärungen der EBK hatte das DOJ den EBK-Präsidenten wahrscheinlich deshalb im Visier, weil sein Name auf der Liste der Adressaten eines Berichts zur QIACompliance auftauchte, der Teil eines UBS-internen Audits aus dem Jahr 2001 war, als der EBK-Präsident noch für die Bank arbeitete. Nach UBS-Archiven sieht der berufliche Werdegang des EBK-Präsidenten folgendermassen aus: «1998 wurde er Mitglied des Group Managing Board und brachte die Fusion der ehemaligen UBS und des SBV in den Bereichen Privatkundschaft und Unternehmen zu einem erfolgreichen Abschluss. 1999 wurde er Leiter des Bereichs Unternehmen. Seit 2002 leitet er die Abteilung Privatkundschaft und Unternehmen, die für die UBS zur stabilen Einkommensquelle geworden ist.» Am 1. Februar 2005 wurde er Vice-Chairman der UBS, zuständig für die Abteilung Business Banking Switzerland. Dabei ist hervorzuheben, dass die grenzüberschreitenden Geschäfte einer anderen Abteilung angehören, für die er nicht zuständig war, nämlich dem Private Banking International.

3328

3.4.4.3

Schweizerische Nationalbank

Aufgrund ihrer Aufgabe, zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen,732 war die SNB ebenfalls daran interessiert, dass die Existenz der UBS durch die amerikanischen Untersuchungen nicht gefährdet würde.

Mit wachsender Besorgnis verfolgte sie ab Herbst 2008 die Entwicklung in diesem Dossier, das auch in den vielen Kontakten der SNB mit Behörden in der Schweiz wie auch in den USA immer wieder thematisiert wurde.

Am 1. November 2008 nutzte der damalige Präsident der SNB ein Gespräch mit dem Fed-Vorsitzenden, Ben Bernanke, um den Stand des Verfahrens und die Möglichkeit einer mässigenden Einflussnahme des Fed auf die amerikanischen Behörden zu erörtern.

Am 20. November 2008 baten der Präsident und der Vize-Präsident der SNB den Präsidenten der Federal Reserve Bank of New York einerseits um Geduld und andererseits wiesen sie auf die mit der Destabilisierung verbundenen Risiken für die Stabilität des schweizerischen und amerikanischen Finanzsystems hin. Seitens des amerikanischen Gesprächspartners war zu vernehmen, dass die Rechtsverletzungen der UBS gravierend waren und die Geduld der amerikanischen Behörden am Ende sei.

Die SNB informierte den Vorsteher des EFD am 28. November 2008 über diese beiden Gespräche.

In verschiedenen Gesprächen des Vize-Präsidenten der SNB mit dem Chefjuristen der Federal Reserve Bank of New York wurde versucht, die schweizerische Haltung verständlich zu machen und auf die Risiken einer Anklageerhebung gegen die UBS in den USA für die Stabilität des Finanzsystems hinzuweisen.

Aufgrund der strikten Gewaltenteilung konnte aber von den amerikanischen Notenbankinstituten letztlich kein Einfluss auf die untersuchenden US-Behörden genommen werden.

Am 11. Dezember 2008 erörterte der Präsident der SNB mit dem Vorsteher des EFD und dem Präsidenten der EBK die aktualisierten Handlungsoptionen. Am 12. Dezember 2008 nutzte der Präsident der SNB die jährliche Besprechung mit dem Gesamtbundesrat, um diesen auf den Ernst und die Dringlichkeit der Lage aufmerksam zu machen.

Bei verschiedenen Gelegenheiten im Rahmen des Massnahmenpakets zugunsten der UBS thematisierte die SNB dieses Dossier ab Herbst 2008 auch mit Vertretern der Bank. Am 10. Dezember 2008 erhielt sie zusammen mit der EBK einen Brief des UBS-Verwaltungsrats, worin sie durch die Bank auf die Drohung einer Anklageerhebung
noch vor Weihnachten 2008 und die daraus für die UBS unhaltbare Situation aufmerksam gemacht wurde.

Die SNB ging wie auch das Fed davon aus, dass eine Anklageerhebung gegen die UBS für die Bank existenzbedrohend gewesen wäre. Das Fed hatte gegenüber der SNB mehrfach unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die zuständigen amerikanischen Behörden entschlossen waren, die UBS anzuklagen, sofern ihnen keine Bankkundendaten übermittelt würden.733 732 733

Art. 5 Abs. 2 Bst. e NBG.

Brief der SNB an die GPK vom 13. April 2010.

3329

3.4.4.4

Noch eingebundene Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer

Die Arbeitsgruppe Karrer existierte in der betrachteten Zeitperiode nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form. Allerdings waren die Vertreter der betroffenen Dienststellen nach wie vor in den Informationsfluss eingebunden, wenn auch nicht mehr in der gleichen Intensität und mit der gleichen Systematik. Die jeweiligen Informationen wurden gezielt weitergegeben und nicht mehr durch alle Mitglieder erörtert.

Es fanden auch keine Treffen mehr statt. Zum Teil gab es Telefonkonferenzen.

Zentrale Dokumente gingen jedoch zumindest in Kopie in der Regel an alle betroffenen Dienststellen.

Die zentralen Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe waren zwischen August und Dezember 2008 Alexander Karrer und Urs Zulauf, der stellvertretende Direktor der EBK. Diese beiden Personen hatten auch zahlreiche bilaterale Informationsaustausche. Besonders hervorzuheben ist hier, dass im Nachgang zur Präsentation der Untersuchungsresultate durch die UBS am 17. Oktober 2008 in New York der erste von der EBK verfasste Entwurf der schriftlichen Handlungsoptionen durch die Vertreter von ESTV, EFV, PA V, BJ und durch den schweizerischen Botschafter in den USA diskutiert und angepasst wurde und so als konsolidierter Vorschlag an den Direktor der EFV und die Vorsteherin des EJPD ging.

3.4.4.5

Eidgenössisches Finanzdepartement

Eidgenössische Steuerverwaltung Die ESTV war seit Mitte Juli 2008 intensiv damit beschäftigt, das Amtshilfegesuch des IRS zu behandeln. Ab Ende August 2008 war gemäss Aussage des Direktors der ESTV klar, dass der möglichst schnellen Behandlung des Gesuchs absolute Priorität einzuräumen war. Gemäss Information des Vorstehers des EFD an der Bundesratssitzung vom 19. Dezember 2008 hatte die ESTV 308 Dossiers von der UBS erhalten, 115 Dossiers waren zu diesem Zeitpunkt den Sachbearbeitern zugeteilt, wovon 70 Fälle noch beurteilt würden. In zehn Fällen sei die Bearbeitung zurückgestellt worden, weil die Indizien für das Vorliegen eines tax fraud or the like nicht offensichtlich seien. In zwei Fällen seien die Voraussetzungen für die Gewährung der Amtshilfe nicht vorgelegen. In 33 Fällen seien die Voraussetzungen für die Gewährung der Amtshilfe erfüllt gewesen. In neun Fällen sei eine Schlussverfügung erfolgt, wovon gegen vier beim BVGer Beschwerde eingereicht worden war. Bei den anderen fünf lief die Beschwerdefrist noch.

Die Überprüfung des Kundenbestands durch die UBS anhand des Schemas des Amtshilfegesuchs des IRS benötigte seitens der UBS eine gewisse Zeit. Die Kundendossiers, welche diesem Schema entsprachen, wurden dadurch nach und nach der ESTV überwiesen. Die im Zusammenhang mit dem Amtshilfegesuch des IRS durch die amerikanischen Behörden festgelegten Fristen konnten schon nur deshalb nicht eingehalten werden.734 Die ESTV versuchte über die Kategorisierung und 734

So hätte die Frist von 90 Tagen nach Erhalt des Amtshilfegesuchs für die Übermittlung der Kundendaten, bei denen das Schema zutraf und keine Beschwerde erhoben wurde, bedeutet, dass die ESTV bis Mitte September 2008 alle Kundendossiers von der UBS hätte erhalten, behandeln und in allen Fällen eine Schlussverfügung hätte erlassen müssen.

3330

einige wenige Pilotfälle ein effizientes und letztlich auch schnelles Vorgehen zu gewährleisten. Für vier erste Pilotfälle wurden die Schlussverfügungen am 17., 24., 31. Oktober und am 13. November 2008 erlassen. Da gegen alle diese Verfügungen Beschwerde beim BVGer erhoben wurde, konnten im hier betrachteten Zeitraum noch keine Kundendaten dem IRS übergeben werden. Seitens der ESTV wurde den GPK versichert, dass in den bilateralen Kontakten auf mittlerer Hierarchiestufe mit dem IRS diese Behörde sich mit dem Verlauf der Verfahren zufrieden gezeigt hätte.

Diese Aussagen stehen im Widerspruch zu Aussagen von UBS-Vertretern, welche jedoch vermutlich nicht die gleichen Gesprächspartner hatten.

Gemäss einer Information der ESTV an den Vorsteher des EFD vom 21. November 2008 standen für die Bearbeitung der Fälle zwischen elf und zwölf interne Vollzeitstellen (auf Vollzeitstellen hochgerechnet) zur Verfügung. Von den bewilligten dreizehn Zusatzstellen konnten 440 Stellenprozente auf den 1. Dezember 2008 und auf den 1. Januar 2009 bzw. 15. Januar 2009 weitere zwölf Stellen besetzt werden.735 Ging die ESTV am 21. November 2008 noch davon aus, dass sie ab 2009 pro Monat 40 Fälle würde erledigen können, so korrigierte sie am 12. Dezember 2008 diese Zahl auf 30 Fälle pro Monat.

Gemäss Aussagen eines Vertreters der ESTV erfolgte im September 2008 eine erste Kontaktaufnahme mit dem BVGer. Gemäss dem Präsidenten des BVGer wurde der Kontakt erst im Oktober 2008 nach Erlass der ersten Schlussverfügung geknüpft.

Aus den Informationen, die den GPK vorliegen, muss geschlossen werden, dass das Vorgehen zwischen diesen beiden Amtsstellen, wenn überhaupt, auf diese Weise nur rudimentär abgesprochen werden konnte. Der Präsident des BVGer führte vor den GPK aus, dass dies nach Abschluss des Abkommens zwischen der Schweizer Regierung und der Regierung der USA im August 2009 viel besser funktioniert habe. Er sei vom Direktor des BJ umgehend über die Anzahl der zu behandelnden Fälle wie auch über die Projektorganisation auf Stufe Bund einlässlich informiert worden. Auf dieser Grundlage sei es auch für das BVGer möglich gewesen, rechtzeitig die nötigen Dispositionen zu treffen.

Vorsteher des EFD Gemäss den Angaben des Vorstehers des EFD hat er den Bundesrat regelmässig, wenn in der Regel auch bloss mündlich, über die
Situation der UBS informiert.

Ob dem bei der Problematik der Übermittlung von Kundendaten auch so war, liess sich nicht feststellen. Die Unterlagen der BK weisen erst ab dem 19. September 2008 Aufzeichnungen zum Thema auf.

Demnach informierte der Vorsteher des EFD den Bundesrat zum ersten Mal am 19. September 2008 kurz über die Schwierigkeiten der UBS mit den amerikanischen Behörden im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA. Es bestehen keine Hinweise für eine Diskussion im Bundesrat. Die BK hielt aber fest, dass das EFD durch das Bundesratskollegium mit der Ausarbeitung von schriftlichen Szenarien beauftragt wurde für den Fall, dass schnell reagiert werden müsste.

Dieser Auftrag wurde letztlich nie in Form eines formellen Antrags an den Bundesrat umgesetzt.

735

Vgl. Amtshilfeverfahren 2008/2009 in Sachen UBS (Projekt AHUSA), Schlussbericht der ESTV vom 27. Mai 2009, S. 29.

3331

Der Vorsteher des EFD konnte vom 21. September 2008 bis zum 2. November 2008 krankheitshalber das EFD nicht führen. Seine Stellvertreterin, die Vorsteherin des EJPD, übernahm ad interim die Führung des EFD, so auch im Dossier der amerikanischen Untersuchungen zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA.

Der Vorsteher des EFD wurde auch während seiner krankheitsbedingten Absenz durch das EFD auf dem Laufenden gehalten.

Nach seiner Rückkehr wurde am 10. November 2008 der Brief an den Finanz- wie auch an den Justizminister der USA versandt, der auch von der Vorsteherin des EJPD unterschrieben war. Dieser Versuch, das Dossier auf eine politische Ebene zu heben, zeitigte jedoch keine Wirkung, und der Brief blieb bis heute unbeantwortet.

Am 14. November 2008 wurde der Vorsteher des EFD durch Alexander Karrer in klaren Worten auf die Eskalation in diesem Dossier und auf die dramatische Situation hingewiesen. Die ihm von Alexander Karrer unterbreiteten Handlungsoptionen wurden in zusammengefasster Form am 18. November 2008 u. a. durch den Vorsteher des EFD und die Vorsteherin des EJPD erörtert. An dieser Sitzung wurde auch die Situationseinschätzung der EBK präsentiert, welche informierte, dass ein Vergleich der UBS mit den amerikanischen Behörden von einer sofortigen Datenübergabe abhängig und die Führungsfähigkeit der Bank zu diesem Zeitpunkt gefährdet war. Eine rasche Lösung ausserhalb des Amtshilfeverfahrens war aus Sicht der EBK notwendig. Die Anwendung von Notrecht durch den Bundesrat zwecks Übergabe von Kundendaten wurde an dieser Sitzung von den beiden Departementsvorstehern verworfen. Die Bank sollte weiter verhandeln, jedoch nicht über die Herausgabe von Kundendaten.

Am 21. November 2008 wurde der Vorsteher des EFD über den Stand des Amtshilfeverfahrens durch die ESTV informiert. Vier Tage später wurde er orientiert, dass Kevin Downing vom DOJ Bereitschaft für einen raschen Vergleich signalisiert habe, falls Kundendaten ausserhalb des Amtshilfeverfahrens geliefert würden.

Anlässlich dieser Information wurde auch darauf hingewiesen, dass der IRS eine Durchsetzung des John Doe Summons erwäge.

Am 26. November 2008 brachte das EFD im Auftrag des Gesamtbundesrats ein Aussprachepapier zu den aktuellen Herausforderungen für den Finanzplatz und den Unternehmensstandort Schweiz, namentlich
für den Steuerbereich, in den Bundesrat.

Anlässlich dieser Sitzung informierte der Vorsteher des EFD über die Problematik der Betrugsfälle in den USA und der diesbezüglichen Situation: Er habe dieses Dossier zur Chefsache erklärt, doch sei der Ball aus seiner Sicht bei der UBS. Es wurden keine Aufträge an das EFD beschlossen.

Am 28. November 2008 wurde der Vorsteher des EFD durch die SNB über die Warnung der Federal Reserve Bank of New York informiert, dass die Geduld der amerikanischen Behörden erschöpft sei.

Anlässlich einer EFD-internen Besprechung mit dem Vorsteher des EFD von Ende November 2008 wurde festgestellt, dass eine Herausgabe von Kundendaten nur im Rahmen der Rechts- und Amtshilfe möglich sei und die UBS selbst keine Kundendaten an die amerikanischen Behörden weiterleiten dürfe. Die Konsequenzen einer solchen allfälligen Weiterleitung durch die UBS wurden erörtert.

Am Rande einer KLL-Sitzung vom 11. Dezember 2008 wurde der Vorsteher des EFD durch die EBK über die eskalierende Situation und über die Notwendigkeit der Herausgabe von Kundendaten für das Erzielen eines Vergleichs durch die UBS 3332

informiert. Es wurden Handlungsoptionen besprochen. Die Option einer Herausgabe dieser Daten direkt gestützt auf die Bundesverfassung wurde erneut erwogen.

Am Tag danach wurde der Vorsteher des EFD durch die ESTV über den aktuellen Stand des Amtshilfeverfahrens und den aktualisierten Zeitplan informiert.

Anlässlich der Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008 orientierte der Präsident der SNB den Gesamtbundesrat, dass eine Anklageerhebung gegen die UBS in den USA unmittelbar bevorstehe. Im Anschluss an die ordentliche Bundesratssitzung orientierte der Vorsteher des EFD das Kollegium über die Situation der UBS. Es folgte die erste eingehende materielle Diskussion dieses Dossiers im Bundesrat. Das Kollegium erachtete den Handlungsbedarf als dringend und war der Ansicht, dass es durch das federführende Departement zu spät über diese Entwicklung informiert worden war. Anlässlich dieser Sitzung wurde auch der Vorschlag eingebracht, mit dem BVGer Kontakt aufzunehmen, um das Verfahren zu beschleunigen. Es wurden verschiedene Handlungsoptionen diskutiert, ein Entscheid jedoch auf den 16. Dezember 2008 vertagt.

Am 15. Dezember 2008 rief der Vorsteher des EFD den amerikanischen Justizminister an. Er wiederholte im Wesentlichen den Inhalt des Briefs vom 10. November 2008. Seitens der amerikanischen Gesprächspartner wurde ihm mitgeteilt, dass das Amtshilfeverfahren zu lange dauere und eine Datenübergabe bis Ende 2008 erwartet werde. Gemäss Aussage des Vorstehers des EFD konnte mit diesem Anruf die Frist über das Jahresende hinausgezögert werden. Am selben Tag versuchte der Vorsteher des EFD auch den amerikanischen Finanzminister Paulson anzurufen, doch sei dieser aufgrund des Administrationswechsels nicht mehr erreichbar gewesen.736 Vermutlich ebenfalls in diesem Zeitraum ersuchte der Vorsteher des EFD den Bundespräsidenten, den amerikanischen Präsidenten in dieser Sache anzurufen. Der amerikanische Präsident stand jedoch für ein solches Gespräch nicht zur Verfügung.737 Anlässlich der Bundesratssitzung vom 16. Dezember 2008 erläuterte der Vorsteher des EFD die Lage anhand zweier persönlicher Arbeitspapiere (Charybdis/Skylla).

Während sich das erste Dokument auf die aktuelle finanzielle Situation der UBS bezog, fasste das zweite die Lage bezüglich der Forderungen der USA nach Herausgabe von Kundendaten in
Stichworten zusammen. U. a. führte der Vorsteher des EFD aus, dass das DOJ nicht bereit sei, den Abschluss des Amtshilfeverfahrens abzuwarten. Dieses werde wohl länger als ein Jahr dauern. Er stellte dann drei Handlungsoptionen zur Diskussion (Amtshilfe, Datenherausgabe entweder gestützt auf Artikel 25 f. BankG oder direkt auf die BV, DBA-Verhandlungen auf Behördenebene). Die vom Vorsteher des EFD bevorzugte Variante einer Herausgabe gestützt auf Artikel 25 f. BankG wurde durch den Bundesrat mehrheitlich unterstützt, wobei ein definitiver Entscheid auf den 19. Dezember 2008 verschoben wurde.

Für die Sitzung des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 reichte der Vorsteher des EFD lediglich eine Informationsnotiz ohne Antrag ein. In der Notiz wurde die Entstehungsgeschichte des Problems dargelegt. Der Vorsteher informierte auch über den aktuellen Bearbeitungsstand des Amtshilfeverfahrens der ESTV, den weiteren Verlauf des Verfahrens und dass ein erster Entscheid des BVGer im Frühjahr 2009 736

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch die GPK vom 6.4.2010, S. 16.

737 Ebd., S. 16.

3333

vorliegen werde. Gestützt auf die den GPK vorliegenden Dokumente beschloss der Bundesrat ohne Diskussion, die EBK zu ersuchen, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um unilaterale existenzgefährdende Massnahmen des DOJ gegen die UBS zu verhindern. Im Weiteren wurde das EFD beauftragt, die Amtshilfeverfahren weiterhin mit höchster Priorität voranzutreiben.

Vor den GPK führte der Vorsteher des EFD aus, dass es seine Aufgabe gewesen sei, die Interessen des Bundes zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass die Eidgenossenschaft nur im allerletzten Notfall solche Daten, über deren Inhalt sie letztlich auch nichts wusste, selber auslieferte, und wenn sie es tat, dass man ­ und zwar nicht der Bundesrat ­ eine genügende gesetzliche Grundlage dafür haben müsste.738 Er habe vor allem nicht gewollt, dass der Bundesrat entscheiden müsse. Es wäre seiner Meinung nach verhängnisvoll gewesen, wenn der Bundesrat gesagt hätte, wir liefern diese Daten an die amerikanische Justiz, denn die ihnen zugrunde liegenden Handlungen seien nach schweizerischem Recht, insofern sie den Tatbestand der Steuerhinterziehung betrafen, ja nicht unbedingt strafbar gewesen.739 Auf die Frage der GPK, ob er mit dem BVGer Kontakt aufgenommen habe, antwortete der Vorsteher des EFD, dass er dies aus Respekt vor der institutionellen Aufgabenteilung und der damit einhergehenden Unabhängigkeit bewusst nicht getan habe.740 Aus der Agenda des Vorstehers des EFD geht hervor, dass er im hier betrachteten Zeitraum vier bilaterale Termine mit Alexander Karrer hatte.741

3.4.4.6

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

Politische Abteilung V Wie schon ausgeführt, war die PA V in der Regel in den Informationsfluss eingebunden. Sie konnte insbesondere bei der Erarbeitung der ersten schriftlichen Handlungsoptionen, gestützt auf den Vorschlag der EBK, Einfluss nehmen.

Zu erwähnen ist hier auch das in Zusammenarbeit mit dem EFD erstellte Aussprachepapier vom 21. November 2008 bezüglich aktueller Herausforderungen für den Finanzplatz und den Unternehmensstandort Schweiz, namentlich im Steuerbereich, für die Bundesratssitzung vom 26. November 2008. Entsprechende Vorarbeiten im Zusammenhang mit dem Druck aus der EU auf «Steuerparadiese» waren im Verlauf des Jahres 2008 im EDA getätigt worden.742 Schweizerische Botschaft in den USA Die schweizerische Botschaft hatte eine aktive Rolle und berichtete regelmässig nach Bern über den Verhandlungsstand zwischen der UBS und den amerikanischen Behörden. Sie pflegte diesbezüglich insbesondere ab Oktober 2008 einen intensiven 738 739 740 741 742

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz vom 6.4.2010, S. 13 und vom 5.5.2010, S. 12.

Ebd., S. 21.

Protokoll der Anhörung von Bundesrat Hans-Rudolf Merz vom 6.4.2010 S. 13.

und vom 5.5.2010 S. 9.

Brief des EFD an die GPK vom 14.4.2010.

Den GPK ist nicht bekannt, welche Dienststelle des EDA diese Arbeiten tätigte.

3334

Kontakt zum General Counsel der UBS, welcher in Washington weilte und für die UBS die Verhandlungen mit den amerikanischen Behörden führte.

Die Botschaft hatte jedoch auch direkte Kontakte mit dem DOJ, welches sie aus amerikanischer Warte über die Entwicklung des Dossiers informierte.743 Diese Berichterstattungen der Botschaft waren in der Regel auch mit einer Einschätzung derselben versehen. So führte der Botschafter in seinem E-Mail vom 30. September 2008 beispielsweise aus, dass die amerikanischen Behörden die Präsentation der UBS-internen Untersuchung am 17. Oktober 2008 abwarten würden, bevor sie sich zu den Vorschlägen der UBS äussern würden. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt regte er an, dass die schweizerischen Behörden am nächsten Treffen des IWF und der Weltbank mit den amerikanischen Behörden das Problem erörtern sollten. Ende September 2008 ging der Botschafter davon aus, dass die Zeit für einen Kontakt zwischen beiden Regierungen in dieser Sache noch nicht reif sei. Er erklärte vor den GPK, dass bei Verhandlungen hierarchisch von unten nach oben vorgegangen werde.744 Am 10. Oktober 2008 begleiteten Vertreter der schweizerischen Botschaft in den USA sowie der Botschafter Urs Ziswiler Alexander Karrer bei seinem Treffen mit Vertretern des DOJ.

Am 17. Oktober 2008 traf der Leiter des Wirtschafts- und Finanzdienstes der schweizerischen Botschaft in den USA Vertreter des amerikanischen Finanzministeriums und informierte diese über die systemische Bedeutung der UBS für die Schweiz und die vom schweizerischen Staat ergriffenen Stützungsmassnahmen zugunsten der UBS. Diese zeigten sich anlässlich des Treffens gegenüber diesem Dossier sehr zurückhaltend.

Wie die anderen verbliebenen Vertreter der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer wurde auch der Botschafter in den USA am 20. Oktober 2008 in die Diskussion der ersten von der EBK vorgeschlagenen Handlungsoptionen involviert.

Nach der Anklageerhebung gegen Raoul Weil am 12. November 2008 erfolgten Abklärungen der schweizerischen Botschaft in den USA mit dem dortigen Vertrauensanwalt. Diese Abklärungen führten zum Schluss, dass kein unmittelbarer Handlungsbedarf seitens der schweizerischen Behörden existierte, die Entwicklung jedoch weiter zu verfolgen sei.

Am 13. November 2008 traf der Leiter des Wirtschafts- und Finanzdienstes der schweizerischen
Botschaft in den USA Bruce Swartz vom DOJ zu einem informellen Treffen. Das Gespräch zeigte, dass das DOJ wie auch der IRS frustriert waren über den Verlauf des Amtshilfeverfahrens der ESTV. Diese Informationen wurden an die Mitglieder der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer gesandt.

An der Bundesratssitzung vom 12. Dezember 2008 wurde erwähnt, dass auch die schweizerische Botschaft in den USA die Situation als sehr ernst erachte.

Der schweizerische Botschafter in den USA sagte vor den GPK aus, dass den involvierten Personen in der Botschaft bald einmal klar war, dass die amerikanischen

743

Protokoll der Anhörung von Urs Ziswiler, Schweizer Botschafter in den USA, durch die GPK vom 5.3.2010, S. 20.

744 Ebd., S. 15.

3335

Behörden schnelle Resultate sehen wollten, insbesondere bezüglich der Übermittlung von Kundennamen.745 Der schweizerische Botschafter in den USA bestätigte den GPK, dass es in der Übergangszeit von einer Administration zur anderen in den USA sehr schwierig sei, an die obersten drei Hierarchiestufen heranzukommen.746 Ebenfalls wichtig ist, dass die schweizerische Botschaft in den USA die Drohungen der USA gegen die UBS sehr ernst nahm und auch die möglichen Konsequenzen einer Anklageerhebung gegen die UBS kannte. Ihr Vertrauensanwalt bestärkte sie in dieser Ansicht. Diese Einschätzung wurde der Zentrale in Bern ebenfalls mitgeteilt.747 Vorsteherin des EDA Gemäss den Angaben des schweizerischen Botschafters in den USA ­ wie im Kapitel 3.3.3.5 schon ausgeführt wurde ­ befasste sich auch die Vorsteherin des EDA mehrfach mit dem Dossier.

Sie selber führte vor den GPK aus748, sie sei erstmals am 19. Mai 2008 informiert worden. Sie selber habe eine weitere Notiz von der PA V am 18. September 2008 erhalten mit dem Titel «Neue Androhungen von unilateralen rechtlichen Schritten durch die USA». Am 12. Dezember 2008 erhielt die Vorsteherin des EDA eine dritte Notiz, aus der klar hervorging, dass die Untersuchung des DOJ gegen die UBS den Zugang zu Namen von US-Kontoinhabern zum Ziel hatte.

Von da an, d. h. ab Ende Dezember 2008/Anfang 2009, bat die Vorsteherin des EDA die Schweizer Botschaft in Washington, ihr täglich eine Notiz zur Entwicklung des Dossiers zu senden, umso mehr, als sie ab Januar 2009 selbst in Kontakt mit der US-Regierung stand, insbesondere mit dem Aussenministerium und Hillary Clinton, die sie im März 2009 auch traf.

Für die internationalen Beziehungen mit den USA war die Angelegenheit explosiv, und Botschafter Urs Ziswiler erhielt über die PA V laufend Anweisungen. Zudem übermittelte das EDA der Botschaft Speaking Notes für ihre Vorsprachen beim DOJ, und später bei den anderen US-Behörden.

Laut Vorsteherin des EDA fanden die Gespräche im Frühling 2008 zuerst über die Arbeitsgruppe Karrer statt. Die Vorsteherin des EDA erinnert sich an keine nennenswerten Diskussionen zu diesem Thema auf Ebene des Bundesrats. Ihrer Ansicht nach begannen die Diskussionen und Informationen erst, als entschieden werden musste, was die schweizerischen Behörden den US-Behörden vorschlagen sollten, d. h. mit
dem Amtshilfeverfahren. Darüber habe der Bundesrat diskutiert. Sie erinnere sich daran, weil die Schweizer Botschaft in Washington damals sehr aktiv versucht habe, die USA zu einem Amtshilfeverfahren zu bewegen. Das erwies sich als äusserst schwierig, was umso bedauernswerter war, als die Schweiz nicht in der Lage war, die Erwartungen der USA zu erfüllen. Deshalb wurde die Sache ab September 2008 vom Bundesrat erneut diskutiert.

745 746 747 748

Ebd., S. 11.

Ebd., S. 16.

Ebd., S. 18.

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey durch die GPK vom 6.5.2010, S. 2ff.

3336

Nach Angaben der Vorsteherin des EDA war der nächste Schritt das gemeinsame Schreiben des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD. Der Bundesrat wurde über dieses Schreiben unterrichtet. Ab Herbst 2008 fanden im Bundesrat regelmässig Diskussionen über den Stand des Amtshilfeverfahrens statt. Der Bundesrat verfolgte dessen Entwicklung mit Ungeduld und hatte den Eindruck, dass der Druck von Seiten der USA, die angesichts der tröpfchenweise bei der ESTV eintreffenden Dossiers allmählich die Geduld verloren, stetig zunahm. Laut Vorsteherin des EDA wurde bei diesen Sitzungen kein Protokoll geführt, was rückblickend bedauerlich ist; im damaligen Kontext ging es vor allem darum, zu verhindern, dass Informationen in die falschen Hände gerieten, wie es in jenen Tagen regelmässig geschah.

Die Vorsteherin des EDA bestätigte auf Nachfrage der GPK, dass schon im Mai 2008 für sie erkennbar gewesen sei, dass das Dossier explosiv sei. Zur Begründung verwies sie auf eine Notiz von Botschafter Anton Thalmann vom 19. Mai 2008, worin dieser darlegte, dass die Eidgenossenschaft durch diesen Fall vor eine schwierige Interessenabwägung gestellt würde. Im Interesse der UBS und vor dem Hintergrund eines möglichen worst-case-Szenarios auch des ganzen Landes würde es möglicherweise notwendig sein, die bisherige Praxis bei der Amtshilfe auszuweiten.

In der zweiten Notiz vom 18. September 2008 sei auch zweifellos zum Ausdruck gekommen, dass es aus rechtlicher Sicht kaum möglich erscheine, in dieser Frage die diametral entgegengesetzten Positionen der beiden Seiten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Notiz habe darauf hingewiesen, dass das EFD zum ersten Mal plane, den Bundesrat an der nächstfolgenden Sitzung zu informieren. Im Oktober 2008 habe sie wiederum eine Notiz erhalten, in welcher Staatssekretär Michael Ambühl auch ganz klar auf die drohenden Risiken hingewiesen habe.

Die Vorsteherin des EDA erklärte den GPK weiter, dass es ihrer Ansicht nach richtig gewesen war, die USA zu einer Amtshilfe bewegen zu wollen, wie es das normale Vorgehen war. Sie erinnerte daran, dass das Amtshilfeersuchen der USA Mitte Juli 2008 einging. Gleichzeitig gestand sie ein, dass die schweizerischen Behörden die Langsamkeit des administrativen Verfahrens unterschätzt hatten und auf die grosse Zahl von Anträgen nicht vorbereitet
gewesen waren. Es sei ihr gegenüber ihren amerikanischen Amtskolleginnen (Condoleezza Rice und später Hillary Clinton) unangenehm gewesen, da sie sich durch ihr Werben für den Weg der Amtshilfe gewissermassen engagiert hatte. Man hätte die Situation in Sachen Amtshilfe und die Fähigkeit der Behörden, dieses Verfahren effizient voranzubringen, zuerst überprüfen sollen. Für die ESTV stellte das Amtshilfeverfahren eine enorme Herausforderung dar, und man hätte sie mit entsprechendem Personal ausstatten müssen, um die zusätzlichen Anträge zu behandeln. Die ESTV war auf ein solch umfangreiches Verfahren nicht vorbereitet gewesen. Ausserdem war die Abteilung für Internationales, die für die Amtshilfeersuchen zuständig war, in den Jahren 2006 und 2008 völlig neu organisiert worden, was die Sache noch zusätzlich erschwerte.

Der Leiter der Abteilung, Professor Robert Waldburger, und andere Mitarbeiter hatten die Abteilung verlassen. Diese Abgänge hätten sich in der Folge als Handicap für die effiziente Behandlung der Anträge erwiesen.

Auf die Frage, ob ein politischer Schritt im Herbst 2008 die Blockierung hätte lösen und damit verhindern können, dass der Bundesrat sich in einer Sackgasse wiederfand, erwiderte die Vorsteherin des EDA, dass die Sache zuerst unter dem Gesichtspunkt der Amtshilfe angegangen worden war, was damals die richtige Lösung zu sein schien. Die politische Lösung einer Vereinbarung mit den USA zur Verhinde3337

rung eines Aufeinanderprallens beider Rechtsordnungen wurde erst mit dem Entscheid vom 18. Februar 2009 aktuell.

3.4.4.7

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

Bundesamt für Justiz Auch das BJ war wie die PA V des EDA im betrachteten Zeitraum noch im Informationsfluss integriert. Es wurde auch verschiedentlich mit der Klärung von Rechtsfragen beauftragt. So erarbeitete es zwei rechtliche Beurteilungen bezüglich der Frage nach einem Vorliegen eines strafrechtlichen Notstands (18.11. und 27.11.2008).

Auch äusserte sich der Direktor des BJ in der zweiten Hälfte November 2008 kritisch zu Schlussfolgerungen von verschiedenen UBS-Gutachten.

Im Nachgang zur Vorstellung der UBS-internen Untersuchung am 17. Oktober 2008 wurde auch der stellvertretende Direktor des BJ in die Beurteilung der Handlungsoptionen, welche der stellvertretende Direktor der EBK erarbeitet hatte, einbezogen.

Vorsteherin des EJPD Vom 21. September bis 2. November 2008 führte die Vorsteherin des EJPD das EFD aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit des Vorstehers des EFD. Von Ende August 2008 bis zu diesem Zeitpunkt befasste sich die Vorsteherin des EJPD ­ soweit für die GPK ersichtlich ­ nicht persönlich mit diesem Dossier.

Die Vorsteherin des EJPD wurde mit einer ausführlichen Informationsnotiz vom 25. September 2008 durch Alexander Karrer über dieses Dossier informiert. Auf eine entsprechende Frage der GPK antwortete die Vorsteherin des EJPD, sie habe daraufhin zusammen mit den involvierten Personen des EFD die Art und Weise des weiteren Vorgehens beschlossen, insbesondere wie die Gespräche mit den Vertretern des IRS und des DOJ weitergeführt werden sollten.749 Gemäss der Vorsteherin des EJPD erkundigte sie sich Ende September 2008 im EFD nach dem Stand des Amtshilfeverfahrens. Sie habe zur Antwort erhalten, dass diese Daten in Aufbereitung seien.750 Am 14. Oktober 2008 erhielten die Vorsteherin des EJPD und weitere Personen eine Informationsnotiz über das Treffen von Alexander Karrer mit Vertretern der schweizerischen Botschaft und des DOJ in Washington, worin dieser einen klaren Handlungsbedarf seitens der schweizerischen Behörden ortete. Die GPK haben keine Kenntnisse davon, ob die Vorsteherin des EJPD aufgrund dieser Notiz Massnahmen ergriff.

Am 23. Oktober 2008 erhielt die Vorsteherin des EJPD die von der EBK ausgearbeiteten und von der ehemaligen Arbeitsgruppe Karrer angepassten Handlungsoptionen. Darin wurde beantragt, einen Vorgehensentscheid sowie einen Entscheid über
die Kontaktaufnahme auf Stufe der Justizminister beider Länder idealerweise vor den Wahlen in den USA am 4. November 2008, also zwischen dem 27. und 31. Oktober 2008, zu treffen. Sie war bereit, die Opportunität einer solchen Kontaktaufnahme zu prüfen. Über die schweizerische Botschaft war schon abgeklärt wor749

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf durch die GPK vom 3.5.2010, S. 4.

750 Ebd., S. 5.

3338

den, dass der amerikanische Finanzminister in dieser Zeit nicht zur Verfügung stand.

Zwei der erarbeiteten Handlungsoptionen wurden bei der Besprechung zwischen der Vorsteherin des EJPD und dem Direktor der EFV verworfen. Einer E-Mail vom 27. Oktober 2008 des stellvertretenden Direktors der EBK entnahmen die GPK, dass die Vorsteherin des EJPD nicht in die USA reisen würde, um das amerikanische Finanzministerium und das Fed zu besuchen.751 Die Vorsteherin des EJPD führte vor den GPK aus, dass sie den Bundesrat und dessen Wirtschaftsausschuss über alle Vorschläge, welche sie mit Alexander Karrer und dem Direktor der EFV, teilweise auch mit Vertretern der EBK und der SNB diskutierte, informiert habe.752 In den Unterlagen des Bundesrats, welche den GPK zur Verfügung stehen, finden sich dazu keine Hinweise.

Am 10. November 2008 wurde der von der Vorsteherin des EJPD und dem Vorsteher des EFD unterschriebene Brief an den amerikanischen Justizminister und den amerikanischen Finanzminister geschickt.

Gemeinsam mit dem Vorsteher des EFD traf sich die Vorsteherin des EJPD am 18. November 2008 mit Vertretern der EBK und der EFV. An dieser Sitzung wurde ein allfälliger strafrechtlicher Notstand der UBS erörtert. Sie erteilte daraufhin dem BJ den Auftrag, diesen Sachverhalt zu klären. Die Anwendung von Notrecht wurde ebenfalls diskutiert. Ein weiteres wichtiges Thema dieser Sitzung war die Beschleunigung des Amtshilfeverfahrens. Die Vorsteherin des EJPD ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass das Verfahren weiter fortgeschritten sei, als es tatsächlich der Fall war.753 Die Vorsteherin des EJPD erhielt nach dem Treffen des Vorstehers des EFD mit dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK am 11. Dezember 2008 die angepassten Handlungsoptionen.

Gemäss der Vorsteherin des EJPD bekam sie ab November 2008 nur wenig Informationen zu diesem Dossier und ergänzte deshalb ihren Wissensstand über Kontakte zum Vize-Präsidenten der SNB.754 Auf die Frage der GPK, ob die Handlungsoption einer Herausgabe der Daten durch den Bundesrat gestützt auf die Bundesverfassung schriftlich vertieft wurde, antwortete die Vorsteherin des EJPD, dass dies nicht erfolgt sei, da eine alternative Möglichkeit, gestützt auf Artikel 25 f. BankG zu handeln, bestand.755

3.4.4.8

Bundesrat

Der Bundesrat wurde offensichtlich zum ersten Mal am 19. September 2008 kurz über die Schwierigkeiten der UBS mit den amerikanischen Behörden im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA informiert. Er erteilte dem EFD den Auftrag, schriftliche Szenarien zu erarbeiten, falls schnell gehandelt werden müsste. Solche schriftlichen Handlungsoptionen wurden in einer ersten Version

751 752

Diese Besuche wurden durch den Vize-Präsidenten der SNB durchgeführt.

Protokoll der Anhörung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf durch die GPK vom 3.5.2010, S. 5.

753 Ebd.

754 Ebd., S. 7.

755 Ebd., S. 17.

3339

durch die EBK und nicht durch das EFD erstellt. Handlungsoptionen wurden dem Gesamtbundesrat nie in ausgearbeiteter Form schriftlich vorgelegt.

Während des ganzen Monats Oktober und bis zum 26. November 2008 befasste sich der Bundesrat nicht aktiv mit den Schwierigkeiten der UBS im grenzüberschreitenden Geschäft mit den USA.

Das Dossier wurde danach an den Sitzungen vom 12. und 16. Dezember 2008 wieder erörtert. Am 19. Dezember 2008 erfolgte der Beschluss des Bundesrats, die EBK zu ersuchen, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um existenzgefährdende unilaterale Zwangsmassnahmen des DOJ gegen die UBS zu verhindern.

Gemäss Aussage der Vorsteherin des EJPD wurde der Gesamtbundesrat erst Mitte Dezember 2008 über den Stand des Amtshilfeverfahrens orientiert. Der Bundesrat stellte damals fest, dass das Verfahren nicht so weit fortgeschritten war, wie er bisher angenommen hatte.756 Der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin versuchte auf Ersuchen des Vorstehers des EFD, im Dezember 2008 in dieser Sache noch den amerikanischen Präsidenten telefonisch zu kontaktieren, doch war ihm kein Erfolg beschieden.

Weder der Bundesrat noch die Vorsteherin des EJPD oder der Vorsteher des EFD liessen die Handlungsoption einer Datenherausgabe aufgrund von Artikel 25 f.

BankG prüfen.

3.4.4.9

Bundesverwaltungsgericht

Bezüglich der Kontaktaufnahme zwischen der ESTV und dem BVGer trafen die GPK auf unterschiedliche Aussagen. Demnach fand eine Kontaktaufnahme entweder im September 2008 oder im Oktober 2008 statt. Am 25. November 2008 erfolgte ein Treffen des Gerichtspräsidenten und des Präsidenten der Steuerkammer des BVGer mit Vertretern der ESTV. Gemäss Aussage des Gerichtspräsidenten konnte anlässlich dieses Treffens das Vorgehen nicht gemäss dem Wunsch des BVGer besprochen werden, jedoch gab das BVGer den Vertretern der ESTV mit, wie aus seiner Sicht vorzugehen wäre (Kategorisierung mit Pilotfällen). Den GPK liegen keine Informationen vor, dass danach das Vorgehen nochmals zwischen der ESTV und dem BVGer erörtert worden wäre. Insbesondere fand auch nie eine Kontaktaufnahme des Vorstehers des EFD mit dem BVGer statt.

Als das BVGer erfuhr, mit wie vielen Schlussverfügungen es in etwa rechnen musste, baute es ein Team zur Behandlung allfälliger Beschwerden auf. Das Team bestand aus fünf Richtern und zwei Gerichtsschreibern der Steuerkammer, welche von anderen Fällen entlastet wurden.757 Das BVGer ging von den Fristen aus, wie sie im Amtshilfegesuch des IRS festgelegt waren, d. h. ein Entscheid des BVGer sollte innert 180 Tagen nach Beschwerdeeinreichung erfolgen. Das BVGer wurde seitens des EFD auch nicht darüber informiert, dass die Entscheide möglichst rasch ergehen sollten.758

756 757

Ebd., S. 5.

Protokoll der Anhörung von Christoph Bandli, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, durch die GPK vom 19.3.2010, S. 13.

758 Ebd., S. 11.

3340

Der Gerichtspräsident führte vor den GPK aus, dass es aus seiner Sicht viel zu lange gegangen sei, bis die involvierten schweizerischen Behörden mit dem BVGer Kontakt aufgenommen hätten. Dies sei beim neuen Amtshilfeersuchen des IRS im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag im August 2009 sehr rasch und zweckmässig angegangen worden.759

3.5

Rückzug des Bundesrats: Die EBK/FINMA übernimmt die Federführung (19. Dezember 2008 bis 18. Februar 2009)

3.5.1

Vorbereitungen auf das DPA vor dem Hintergrund von Divergenzen

3.5.1.1

Schlussfolgerungen der EBK aufgrund ihrer Untersuchung

Am 21. Dezember 2008 verabschiedete die EBK in einer Telefonkonferenz eine Verfügung gegen die UBS. In ihrer für die GPK verfassten Chronologie der Ereignisse in Sachen grenzüberschreitendes Geschäft der UBS schrieb die EBK: «Darin stellte sie fest [die EBK], dass die UBS gegen das Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes760 verstossen hat. Einzelne Mitarbeiter der UBS hatten in einer beschränkten Zahl von Fällen entgegen den Bestimmungen des QIA für US-Steuerzwecke erstellte Kundendokumente als zureichend erachtet, von denen sie wussten oder hätten wissen müssen, dass sie den US-Steuerstatus des Kunden nicht zutreffend wiedergeben. Zudem missachteten sie über eine längere Zeit hinweg die SEC-Restriktionen, welche für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen an US-Investoren eine Bewilligungspflicht vorsehen. Die UBS setzte sich dadurch massiven Rechts- und Reputationsrisiken aus, die sich in den von verschiedenen US-Behörden ausgelösten Verfahren realisierten. Die EBK stellte im Rahmen ihrer Untersuchung hingegen keine nachlässige Umsetzung des QIA durch die UBS fest.

Ebenso wenig kam sie zum Schluss, die oberste Geschäftsleitung der UBS hätte von den zuvor erwähnten Betrugsmanövern von US-Kunden zum Nachteil der US-Steuerbehörden und der weisungswidrigen Verletzung von SEC-Restriktionen durch einzelne Mitarbeiter gewusst. Die EBK verbot jedoch der UBS in ihrer Verfügung, das grenzüberschreitende Private Banking mit Personen mit Wohnsitz oder Domizil in den USA weiter zu betreiben. Sie verpflichtete die UBS, die der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung inhärenten Rechts- und Reputationsrisiken angemessen zu erfassen, zu begrenzen und zu überwachen und ordnete eine Kontrolle der Umsetzung dieser Anordnung an. Sie auferlegte der Bank die Verfahrenskosten von über einer halben Million Franken. Diese Verfügung wurde der UBS im Dezember 2008 eröffnet und ist inzwischen rechtskräftig geworden. An der gleichen Telefonkonferenz genehmigte die EBK im Sinne eines vorbehaltenen Entschlusses einen schriftlichen Verfügungsentwurf für die Anordnung einer Schutzmassnahme mit dem Befehl an die UBS zur Herausgabe einer beschränkten Zahl von Kundendaten an die US-Behörden.»761

759 760 761

Ebd., S. 4.

Gemäss Art. 3 Abs. 2 Bst. c BankG, SR 952.0 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3341

Am 22. Dezember 2008 kontaktierte das Team von Senator Carl Levin, Leiter des PSI, das eine Untersuchung zu Steuerparadiesen und zur UBS-Affäre eingeleitet hatte, die Schweizer Botschaft in Washington. Senator Carl Levin plante, einen Vertreter der schweizerischen Regierung am 29. Januar 2009 zu einer Anhörung vor diesen Unterausschuss einzuladen.

Am 24. Dezember 2008 wurde der Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 an den Präsidenten der SNB und den Präsidenten der EBK übermittelt.762 Parallel dazu führte die UBS mit den amerikanischen Behörden zwischen dem 21. und 23. Dezember 2008 weitere schwierige Gespräche. In diesem Rahmen erklärte der IRS am 27. Dezember 2008 erstmals, dass er an einer globalen Lösung nicht teilhaben wolle.763

3.5.1.2

Vergleichsvorschlag der UBS-Anwälte

Am 27. Dezember 2008 verfasste das New Yorker Anwaltsbüro der UBS, WLRK, für den mit dieser Sache beauftragten Spezialausschuss der UBS den ersten Entwurf eines Memorandums bezüglich einer globalen Lösung des Konflikts mit den US-Behörden. Das Memorandum trug den Titel Key Points ­ Potential Global Resolution.764 Wie im Titel angedeutet, enthielt das Memorandum neun wesentliche Punkte: 1.

Abschluss eines Deferred Prosecution Agreement (DPA) mit dem DOJ in der Absicht, eine Strafklage abzuwenden. Als Teil der Umsetzung dieses DPA und gemäss eines Beschlusses der EBK übergibt die UBS dem DOJ unverzüglich eine Anzahl Kundendaten, die dem Profil «Steuerbetrug und Ähnliches»765 entsprechen.

2.

Abschluss einer Zivilvereinbarung mit der SEC in Antwort auf die Untersuchung der SEC.

3.

Abschluss eines Letter of Agreement mit dem IRS, in der Absicht (i) die Umsetzung des John Doe Summons während der Geltungsdauer des DPA zu verhindern und (ii) seine Sistierung zu erreichen, sobald die Bedingungen des DPA erfüllt sind.

4.

Der IRS leitet umgehend eine freiwillige Compliance-Inititative ein (Voluntary Compliance Initiative), um die UBS-Kunden, die dem US-Steuerrecht unterworfen sind, dazu zu bewegen, ihre Situation zu legalisieren.

5.

In Zusammenhang mit den obengenannten Punkten 1­3 beginnt die UBS mit der umfassenden Umsetzung des Rückzugsprogramms, gemäss dem vereinbarten Kommunikationsplan und den anderen geplanten Massnahmen zur Maximierung der freiwilligen Compliance von Seiten der US-Kunden.

762

Brief (Beilage: Beschlussdispositiv des Bundesrats vom 19.12.2008) vom 24.12.2008, EFD, Dok. Beilage zu Zeilen-Nr. 60 Ordner 1 der FINMA.

763 Schriftliche Antworten der UBS an die GPK vom 21.4.2010 im Anschluss an die Anhörung von Vertretern der UBS vom 6.4.2010.

764 Memorandum vom 27.12.2008, WLRK, Dok. 123 des Führungsdossiers EFD.

765 «Tax fraud or the like»

3342

6.

Die EBK fordert alle schweizerischen Banken auf, die Öffnung von Konten für US-Kunden der UBS zu unterlassen oder zumindest keinen Aktiventransfer von diesen Kunden zu akzeptieren.

7.

Im Rahmen des Letter of Agreement mit dem IRS erklärt sich die UBS bereit, dem IRS (i) eine zu vereinbarende Summe zu bezahlen, die den nicht bezogenen Steuern (plus Zinsen und Strafzahlungen) einer Untergruppe der durch das DPA offengelegten Kundenkonten entspricht; und (ii) ein Kontingent von vorbestimmten Zahlungen zu tätigen mit teilweisem oder vollständigem Rückerstattungsrecht für die Kunden, die Teil des mit der Rückkehr der Aktiven in die USA verbundenen Rückzugsprogramms im Rahmen der freiwilligen Compliance-Initiative sind. Diese Transaktion wird von der UBS und dem IRS beaufsichtigt und verifiziert.

8.

Die schweizerischen und amerikanischen Behörden leiten Gespräche ein zwecks Aushandlung eines neuen DBA.

9.

Die für Ende Januar anberaumte Anhörung des PSI wird vertagt.

Am 1. Januar 2009 nahm die neue Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA ihre Tätigkeit auf. Die neue Behörde vereinigt unter einem Dach die EBK, das Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) und die Kontrollstelle für die Bekämpfung der Geldwäscherei (Kst GwG). Der Präsident der EBK wurde Präsident des Verwaltungsrats der FINMA.

3.5.1.3

Situationsanalyse der ESTV

Im Hinblick auf ein für den 8. Januar 2009 geplantes Treffen in Interlaken übermittelte Alexander Karrer dem Vorsteher des EFD eine Aktennotiz, in der er die Situation in Sachen grenzüberschreitendes Geschäft der UBS analysierte.766 Die Notiz erläuterte die Verhandlungen der UBS mit dem DOJ, dem IRS und der SEC.

Eine umfassende Vereinbarung schien zu diesem Zeitpunkt noch plausibel, da mehrere Fragen noch offen waren. In der Notiz wurde weiter erwähnt, dass der FINMA-Verwaltungsrat mit dem Mandat des Bundesrats Schwierigkeiten habe. Er befürchtete insbesondere die negativen Auswirkungen einer Übergabe von Kundendaten für die FINMA, die UBS und den Finanzplatz Schweiz. Deshalb wünschte er die Verknüpfung der Massnahme mit einem «politischen Konzept» des Bundesrats, mit anderen Worten, dass der Bundesrat sich aktiv an der Kommunikation beteilige und eine Strategie in Sachen Bankgeheimnis ausarbeite ­ einer Angelegenheit, die das Problem mit der UBS weit überstieg. Der Präsident der FINMA wollte diese Frage mit dem Vorsteher des EFD besprechen.

Das Papier informierte auch über die Anhörung vor dem PSI, zu der die UBS und der IRS eingeladen worden waren. Bei dieser Anhörung sollte insbesondere das QI-System kritisiert werden, das für eine effiziente Eindämmung der Steuerflucht als ungenügend erachtet wurde. Auch die schweizerische Regierung war zur Anhörung eingeladen worden. Laut Alexander Karrer hätte eine Teilnahme den Vorteil, dass die Schweiz ihren Standpunkt klar vortragen und sich von der UBS distanzieren könnte. Trotzdem hatte Alexander Karrer dem Vorsteher des EFD von einer Teilnahme abgeraten, da es nicht üblich war, dass ein Vertreter eines fremden Staates 766

Notiz vom 7.1.2009, EFV, Dok. 124 des Führungsdossiers des EFD.

3343

vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagte. Er schlug stattdessen vor, dass die Schweiz schriftlich auf die Fragen des PSI antwortete und sich klar von der UBS und ihren Mitarbeitern distanzierte, während sie gleichzeitig ihre Kooperationsbereitschaft bekräftigen sollte. Karrer schloss mit der Empfehlung, die Schweiz solle sich mit der Ankündigung ihrer Bereitschaft, Verhandlungen im Hinblick auf ein neues DBA zu beginnen, vorerst zurückhalten und nichts überstürzen, da eine solche Ankündigung garantiert als ein Schritt in Richtung Aufgabe des Bankgeheimnisses interpretiert werden würde. Im Falle einer Vereinbarung zwischen der UBS und den US-Behörden müsste die Kommunikation zwischen der FINMA und dem EFD abgesprochen werden.

3.5.1.4

Massnahmen der FINMA im Hinblick auf eine Herausgabe von Kundendaten

Am 8. Januar 2009 sandte die FINMA dem Vorsteher des EFD, Alexander Karrer und dem Präsidenten der SNB eine Notiz bezüglich der politischen Einbettung einer eventuellen Lösung des Dossiers des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA.767 Diese Notiz wurde vom Präsidenten der FINMA und dem Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste ­ ex-Vizedirektor der EBK ­ verfasst. Die Notiz präsentierte die Ausgangslage und verschiedene Schlüsselelemente, darunter den Stand der Verhandlungen im Hinblick auf einen Vergleich mit den US-Behörden, der mit dem DOJ sehr wahrscheinlich, mit der SEC durchaus möglich und mit dem IRS schwierig schien. Letzterer plante, durch eine Subpoena die Übergabe der Daten von 19 000 US-Kunden zu fordern. Im Rahmen des DPA würde eine 18-monatige Bewährungsfrist gewährt, unter der Bedingung einer Anerkennung von Schulden, der Zahlung von 200 bis 300 Millionen Dollar für verschiedene Verfehlungen, eines Umsetzungsprogramms und einer Fortsetzung der Zusammenarbeit. Zentraler Punkt und conditio sine qua non der Vereinbarung mit dem DOJ war die sofortige Übergabe von ungefähr 250 Kundendaten an die US-Behörden aussrhalb des Amtshilfeverfahrens. Laut FINMA-Notiz würde diese Übergabe von der FINMA als eine Schutzverfügung nach dem Bankengesetz angeordnet, um die unmittelbare Insolvenzgefahr der UBS, die eine Strafklage hervorrufen würde, abzuwenden, wie die EBK es im Dezember 2008 dem Bundesrat dargelegt hatte (Ziffer 1 und 2 des Beschlusses des Bundesrats vom 19. Dezember 2008).

Die Notiz der FINMA beschrieb bereits den geplanten Ablauf der Übergabe der Kundendaten an das DOJ. Er war in folgende acht Punkte gegliedert:

767

1.

Abschluss des Vergleichs zwischen UBS und den US-Behörden.

2.

Schreiben des DOJ an die UBS mit der Androhung einer sofortigen Anklage für den Fall, dass der Vergleich nicht umgesetzt würde.

3.

Schriftliches Ersuchen der UBS an die FINMA um Erlass der Schutzmassnahmen mit Begründung der Existenzgefährdung durch die sonst drohende Anklage.

4.

Prüfung des Vergleichs und des Ersuchens durch die FINMA und Rücksprache mit dem EFD.

Aktennotiz vom 8.1.2009, FINMA, Dok. 88 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3344

5.

Genehmigung des Vergleichs durch das US-Gericht.

6.

Anordnung der FINMA an die UBS, die vorgängig festgelegten Kundendaten sofort an die US-Behörden herauszugeben.

7.

Herausgabe der Kundendaten über die FINMA an die US-Behörden.

8.

Publikation des Vergleichs und Medienmitteilungen der UBS und der FINMA.

Die Notiz der FINMA erwog ebenfalls die möglichen Reaktionen auf einen solchen Vergleich. Vom politischen Standpunkt her betrachtet, waren der partielle Verzicht auf das Bankgeheimnis und der Kniefall vor den USA ein Problem. Juristisch gesehen waren die Verletzung des Bankgeheimnisses durch die UBS, die FINMA und den Bundesrat, die Umgehung der Rekurswege der betroffenen Kunden sowie die Kritiken gegen die gesetzlichen Grundlagen des Entscheids der FINMA problematisch. Einerseits wäre die UBS von einem Problem befreit, das ihre Existenz bedrohte, andererseits würde sie insbesondere in der Schweiz für ihren Verrat des Bankgeheimnisses kritisiert werden. Die Notiz führte weiter die indirekten Konsequenzen des Vergleichs auf: Andere Kunden mit Steuerproblemen wären verunsichert und könnten sich veranlasst sehen, ihre Guthaben abzuheben, gewisse Vermögensverwalter würden die UBS, die FINMA und den Bundesrat kritisieren, und andere stark exponierte Finanzinstitute sähen sich gezwungen, es der Credit Suisse gleichzutun, die bereits begonnen hatte, ihre Geschäftsbeziehungen mit US-Kunden ohne Steuernachweis zu beenden.768 Folglich war laut Notiz der FINMA bei der Bekanntmachung des DPA zwischen der UBS und dem DOJ ein starkes Engagement der politischen Behörden notwendig. Die wesentlichen Linien dieser Kommunikation wurden von der FINMA folgendermassen umschrieben: «Die FINMA wird ihr Vorgehen begründen und bei Bekanntgabe des Vergleichs aktiv etwa entlang folgender Linien kommunizieren:


Befehl der FINMA zur Herausgabe von Kundendaten erfolgte als Schutzmassnahme und ultima ratio zum Schutz der Bank und Wahrung der Finanzstabilität, um eine existenzbedrohende Anklage durch die US-Strafbehörden zu vermeiden, welche nicht bereit war, die Abwicklung der hängigen Amtshilfeverfahren abzuwarten.



Die herausgegebenen Daten betrafen Kunden, denen wahrscheinlich steuerbetrugsähnliche Verfehlungen vorwerfbar sind.



Das Vorgehen ist mit dem Bundesrat abgesprochen.



Die FINMA wird die Ergebnisse des EBK-Verfahrens bekanntgeben und die in ihrer Verfügung gemachte Kritik an die UBS wegen der Beihilfe einzelner Kundenberater an Steuerbetrügen ihrer US-Kunden und ihres ungenügenden Managements der Rechtsrisiken im grenzüberschreitenden Geschäft wiedergeben.

Die FINMA wird aber grundsätzlich nicht zu den Auswirkungen des Vorfalles auf das «steuerliche Bankgeheimnis» und die vorne dargestellten Fragen kommunizieren. Hier sind die politischen Behörden gefordert.»769 768

«Die CS bricht derzeit alle Geschäftsbeziehungen mit US-Kunden ohne Steuernachweis ab.» Aktennotiz vom 8.1.2009, FINMA, Dok. 88 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

769 Ebd.

3345

Abschliessend nannte die FINMA eine weitere Notwendigkeit: das Engagement der politischen Behörden in der Strategie der internationalen Beziehungen des Finanzplatzes Schweiz, insbesondere mit den USA. Sie fügte hinzu, dass der Druck der USA auf die Schweiz, aus steuerlichen Gründen weitere Bankkundendaten auszuhändigen, sicher anhalten würde. Folglich wurde die Zusammenarbeit mit den USA von der FINMA als unerlässlich angesehen.

3.5.1.5

Kontakte mit den amerikanischen Behörden

Am 12. Januar 2009 traf der Präsident des Fed (US-Zentralbank) in Basel mit seinen Schweizer Amtskollegen zusammen, d. h. mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der SNB. Dabei anwesend war auch der Präsident der FINMA. Den persönlichen Notizen des Vorstehers des EFD zufolge ging aus diesem Treffen klar hervor, dass der IRS sich an dem DPA zwischen der UBS und dem DOJ nicht zu beteiligen wünschte.770 In einem Fax der Schweizer Botschaft in den USA771 an das EDA, das EJPD, das EVD und das EFD vom 12. Januar 2009 berichtete der Schweizer Botschafter in Washington D.C. von seinem Treffen mit dem Team von Senator Carl Levin am selben Tag. Thema war die Einladung an die schweizerische Regierung, sich an der Anhörung des PSI, das sich mit der UBS-Affäre beschäftigte, zu beteiligen. Der Botschafter sprach sich eher für eine Nichtteilnahme an der Anhörung vom 29. Januar 2009 aus, meinte aber, in diesem Falle müsse die schweizerische Regierung dem PSI ihre Ablehnung der Einladung mitteilen, worauf dieses darüber wahrscheinlich kritisch Bericht erstatten würde.

Am 14. Januar 2009 scheint der Vorsteher des EFD während der Sitzung des Bundesrats über den Zwischenbericht des Amtshilfeverfahrens unterrichtet zu haben.

Die GPK konnten nicht klären, ob diese Orientierung tatsächlich stattgefunden hat.

Den diesbezüglichen Aufzeichnungen der BK lässt sich lediglich entnehmen, dass der Vorsteher des EFD das Kollegium kurz über die Situation im grenzüberschreitenden Geschäft der UBS informierte. Gemäss den Aufzeichnungen der BK soll er ausgeführt haben, das DOJ wolle immer noch Kundennamen erhalten. Hingegen sei der IRS am ordentlichen Amtshilfeverfahren interessiert. Die beiden US-Behörden seien sich nicht einig. Zur Abwehr einer Subpoena werde erwogen, mit dem IRS Sondierungsgespräche zu führen, um die Bereitschaft der USA zu Verhandlungen i. S. Zinsbesteuerung auszuloten. Ein diesbezügliches Gespräch mit Timothy Geithner in Davos sei geplant. Gemäss den Feststellungen der GPK führte das Kollegium keine nähere Diskussion. Es wurden auch keine Beschlüsse gefasst.

Am gleichen Tag erliess ein Richter in Florida einen Haftbefehl gegen Raoul Weil, den CEO Global Wealth Management & Business Banking der UBS.772

770

Handnotiz vom 12.1.2009, Urheber unbekannt, Dok. 90 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

771 Fax vom 12.1.2009, Schweizerische Botschaft ­ Washington D.C., Dok. 91 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

772 Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

3346

3.5.1.6

Divergenzen über die Bedingungen des DPA

Am 16. Januar 2009 schrieb der Direktor der ESTV an den Vorsteher des EFD sowie an Alexander Karrer und teilte ihnen seine Bemerkungen zu einer Revision des DBA mit.773 In seinem Brief betonte der Direktor der ESTV die Risiken einer Neuverhandlung des DBA mit dem IRS, solange die UBS noch von Strafverfahren bedroht war. Er hielt weiter fest, dass für solche Verhandlungen nicht der IRS, sondern das Treasury Department zuständig sei. Ausserdem müsse man nach dem US-Regierungswechsel ein wenig Zeit verstreichen lassen, bevor Verhandlungen zum DBA begonnen werden könnten.

Am 19. Januar 2009 unterbreitete die Leiterin des Rechtsdiensts des EFD in einer Notiz774 eine kurze rechtliche Analyse zur Anwendung von Artikel 184 Absatz 3 BV durch den Bundesrat. Darin wurde ausgeführt, dass gemäss Artikel 184 Absatz 3 BV der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen könne, wenn die Wahrung der Landesinteressen es erfordern würde. Gemäss einem Teil der Lehre müssten sich Verordnungen und Verfügungen im Sinne der erwähnten Bestimmungen an die Bundesverfassung und an die bestehende Gesetzgebung halten. Sie könnten das bestehende Recht ergänzen, nicht aber ersetzen oder verdrängen. Ein anderer Teil der Lehre sei jedoch der Ansicht, der Bundesrat solle von den gesetzlichen Vorgaben abweichen können, soweit dies sachlich dringend geboten sei. Deshalb könne er auch ein vorhandenes, aber für die Bewältigung der konkreten Situation ungenügendes formelles Gesetz vorübergehend ändern, jedenfalls auf Verordnungsstufe. Ob er dies auch mit einer Verfügung tun könne, werde von der Lehre nicht behandelt. Für alle Lehrmeinungen müssten jedoch derartige Verordnungen oder Verfügungen, bzw. die damit angeordneten Massnahmen, notwendig und dringend sein, ein überwiegendes öffentliches Interesse verfolgen und verhältnismässig sein. Als Beispiel für Verfügungen würden insbesondere das Verbot der Herausgabe von Akten an ausländische Gerichte und die Blockierung von Vermögenswerten, nicht aber die Anordnung der Herausgabe von Akten zitiert. Angesichts dieser Rechtslage wies die Leiterin des Rechtsdiensts auf das Risiko hin, dass der Bund durch eine solche Verfügung nach Verantwortlichkeitsgesetz haftbar gemacht werden könnte. Würde der Bundesrat hingegen eine Verordnung erlassen, wäre das Haftungsrisiko weniger ausgeprägt.
Am 21. Januar 2009 unterhielt sich der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV telefonisch mit Barry Shott vom IRS und fasste das Gespräch am selben Tag in einem E-Mail zusammen.775 Laut dieser Zusammenfassung waren drei Punkte angesprochen worden. Erstens ging es um den Stand des Amtshilfeverfahrens und die ersten Entscheide des BVGer, die nächstens erwartet wurden. Zweitens kam der umfassende Vergleich der UBS zur Sprache, zu dem Barry Shott bemerkte, dass, obgleich alle US-Behörden an einem solchen Vergleich interessiert sein könnten, das DOJ ganz klar eine Vereinbarung bevorzugte, die ausschliesslich und in letzter Instanz mit ihm abgeschlossen wurde. Und schliesslich war von der Anhörung von Senator Levin die Rede, zu welcher der IRS noch keine Einladung erhalten hatte.

Barry Shott teilte ausserdem mit, dass ein zweiter Teil der Anhörung für Mitte Februar geplant war. Der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV schlug 773

Brief vom 16.1.2009, ESTV, Dok. 92 der drei persönlichen Ordner des Vorsteher des EFD.

774 Aktennotiz vom 19.1.2009, Generalsekretariat EFD, Dok. 127 des Führungsdossiers EFD.

775 E-Mail vom 21.1.2009, ESTV, Dok. 128 des Führungsdossiers EFD.

3347

daraufhin ein Treffen zwischen dem Direktor der ESTV und seinem amerikanischen Amtskollegen vor. Barry Shott erwiderte, er werde in Kürze eine Antwort auf diesen Vorschlag geben.

Anlässlich der Sitzung des Bundesrats vom 28. Januar 2009 informierte der Vorsteher des EFD gemäss den Aufzeichnungen der BK mündlich über den Jahresverlust der UBS im Jahr 2008. In diesem Zusammenhang äusserte er sich auch zu den hängigen Amtshilfeverfahren: Im EFD würden 35 Juristen an diesen Verfahren arbeiten. Von insgesamt 230 Fällen seien 14 abgeschlossen und fünf beim BVGer hängig. Das DOJ und die UBS führten immer noch Verhandlungen. Der IRS hingegen wolle alle 19 000 Kundendaten einsehen; es sei eine sehr delikate Situation.

Anschliessend folgten Ausführungen zur CS. Innerhalb des Kollegiums wurde das Thema offenbar bloss kurz diskutiert. Der Bundesrat traf keinen Beschluss und erteilte auch keine Aufträge.

Im Hinblick auf den Jahreskongress des World Economic Forum (WEF) in Davos war am 30. Januar 2009 eine Notiz verfasst worden, mit welcher der Vorsteher des EFD sich an Valerie Jarett, persönliche Beraterin des neu gewählten Präsidenten Barack Obama, wenden sollte.776 In der Notiz waren die Bereiche der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den USA sowohl auf politischer wie auch auf wirtschaftlicher Ebene aufgeführt. Weiter war von der globalen Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz die Rede, trotz des geringen politischen Gewichts des Landes. Es wurde eingestanden, dass die UBS Fehler begangen hatte, deren Konsequenzen sie nun tragen musste. Eine Strafklage (Indictment) würde die Bank jedoch stark destabilisieren. Die Notiz rief zu einer Lösung auf, welche die Rechtsordnungen beider Staaten respektieren würde, und betonte, dass die Schweiz keinerlei Interesse daran habe, US-Bürger, die sich des Steuerbetrugs schuldig gemacht hatten, zu beschützen.

Am 1. Februar 2009 telefonierte Sergio Marchionne, Vizepräsident des UBS-Verwaltungsrats, dem Präsidenten der FINMA und teilte diesem mit, dass die Strafklage gegen die UBS unmittelbar bevorstehe und dass der UBS-Verwaltungsrat dem Vorsteher des EFD einen Brief schreiben würde. Er liess weiter verlauten, dass in der Bank personelle Entscheidungen getroffen würden.777

3.5.1.7

Entwurf der EFV für eine allfällige Kommunikation

Am 4. Februar 2009 unterbreitete Alexander Karrer dem Vorsteher des EFD ein Kommunikationskonzept betreffend Übergabe von Kundendaten an die US-Behörden.778 Darin waren der Hintergrund des Dossiers, die zu kommunizierenden Inhalte sowie passende Formulierungen für die Kommunikation aufgeführt. Die Botschaft zählte fünf Punkte:

776 777 778



Die Schweiz und ihr Bankgeheimnis beschützen nicht den Steuerbetrug.



Die Schweiz ist kein Steuerparadies.

Notiz vom 30.1.2009, EFD, Dok. 129 des Führungsdossiers EFD.

Chronologie der Ereignisse UBS cross-border.

Entwurf vom 4.2.2009, EFV, Dok. 104 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3348



Auf Grundlage des FINMA-Entscheids wurden den US-Steuerbehörden US-Kundendaten der UBS übergeben. Mit dieser Massnahme schützt die FINMA den reibungslosen Betrieb des Finanzplatzes Schweiz.



Der Schutz der Funktionsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz ist eines der Hauptziele des Bundesrats; dieser Schutz stützt sich auf das schweizerische Recht.



Die Übergabe von Kundendaten ist kein Kniefall vor den USA. Sie dient dazu, die Stabilität der UBS sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zu gewährleisten.

Die Formulierungen ihrerseits behandelten drei technische Punkte:


Die FINMA hat die Übergabe einer begrenzten Anzahl Daten von Kunden, die in den USA steuerpflichtig sind, an den IRS beschlossen. Die FINMA stützt ihren Entscheid auf Artikel 25 des Bankengesetzes. Der Bundesrat hat den Entscheid der FINMA zur Kenntnis genommen.



Wie die FINMA dem Bundesrat versichert hat, geht es bei dieser Massnahme darum, die Stabilität der UBS zu sichern und damit den Schutz der Funktionsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zu gewährleisten. Dank dieser Massnahme kann eine Strafklage gegen die UBS abgewendet werden. Die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden sind nicht bereit, die Ergebnisse des Amtshilfeverfahrens, das am 16. Juli 2008 auf Ersuchen des IRS eröffnet worden ist, abzuwarten.



Es ist nicht Aufgabe des Bundesrats, die Rechtmässigkeit des Vorgehens der FINMA zu beurteilen. Aber er teilt die Ansicht der FINMA, dass eine Strafklage in den USA die Stabilität der UBS, und damit den Finanzplatz Schweiz, ernsthaft in Gefahr bringen würde.

3.5.1.8

Vorbehalte gegenüber den Bedingungen des DPA

Im Hinblick auf das Treffen zwischen dem neuen Bundespräsidenten, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der FINMA, das für den 5. Februar 2009 anberaumt war, äusserte der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV am selben Tag in einer E-Mail779 an die Generalsekretärin des EFD, den Direktor der ESTV, einen Vertreter der ESTV sowie an Alexander Karrer seine Befürchtungen bezüglich des Vorschlags des Group General Counsel der UBS an das DOJ und den IRS, mit neuen Verhandlungen zum DBA zu beginnen. Er bemerkte, dass die US-Behörden von einer Vereinbarung ausgingen, die eine Geldstrafe, die Übergabe von 300 Namen und die Aushandlung eines neuen DBA beinhalte, in der Absicht, den IRS mit einzubeziehen. Gemäss dem Leiter der Abteilung für Internationales zog die UBS eine Lösung mit dem DOJ vor, während das John Doe Summons des IRS zweitrangig war. Er war allgemein der Ansicht, dass die FINMA in ihrer Führung des Dossiers nicht genügend transparent war und offenbar um jeden Preis einen Vergleich abschliessen wollte. Folglich schlug er vor, dass das EFD die Leitung des Dossiers und damit die Verhandlungen mit den US-Behörden übernehmen sollte.

Der FINMA die Führung zu überlassen, wie es der Bundesrat am 19. Dezember 779

E-Mail vom 5.2.2009, ESTV, Dok. 131 des Führungsdossiers EFD.

3349

2008 beschlossen hatte, den Kopf einzuziehen und zu hoffen, dass der Sturm bald vorüber war, sei äusserst riskant. Die Verhandlungen dürften auch nicht der UBS, die selber mit dem Rücken zur Wand stehe, überlassen werden. Diese habe eigene Interessen, was ihr nicht verübelt werden könne, da es um ihr Überleben ginge.

Seiner Ansicht nach müssten andere Aspekte und besonders das Interesse des Finanzplatzes Schweiz ebenfalls berücksichtigt werden.

Demgegenüber machte die UBS geltend, dass sie seit Mitte Dezember 2008 ausschliesslich mit der EBK, dem DOJ, der SEC sowie vereinzelt mit der schweizerischen Botschaft und bis Ende Dezember mit dem IRS in Kontakt gestanden sei. Sie habe weder das DBA noch das Bankgeheimnis mit den amerikanischen Behörden diskutiert, oder einen Vergleich um jeden Preis angestrebt.

Am selben Tag teilte der Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung der Schweizer Botschaft in Washington in einer E-Mail an Alexander Karrer sowie an den Schweizer Botschafter in den USA seine Bemerkungen zum Stand des Dossiers mit.780 Er stand mit dem Group General Counsel der UBS in Kontakt, der in Washington verhandelte. Der IRS würde sich dem DPA offensichtlich nicht anschliessen, weil er laut Group General Counsel der UBS das Dossier so lange wie möglich offen halten wollte, um freiwillige Meldungen nicht-konformer US-Steuerzahler zu fördern. Der Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung meinte weiter, dass eine Ablehnung des Vergleichs mit Verweis auf das hängige Amtshilfeverfahren sehr riskant wäre und weitere Strafklagen gegen Top-Manager der Bank oder gegen die Bank selbst nach sich ziehen könnte. Seiner Ansicht nach war eine Vereinbarung, die das John Doe Summons mit einschloss, denkbar, unter der Voraussetzung, dass ziemlich offen verhandelt würde, d. h. dass andere Dossiers mit einbezogen und auch das Risiko, ein neues DBA aushandeln zu müssen, in Kauf genommen würden. Auch sei nicht auszuschliessen, dass ein solcher Strategiewechsel von den US-Behörden als Versuch gesehen würde, Zeit zu gewinnen. Abschliessend meinte der Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung der Schweizer Botschaft in Washington, dass der Vergleichsentwurf der UBS in Hinblick auf die Vollstreckung des John Doe Summons viele Ungewissheiten bestehen lasse.

3.5.1.9

Divergierende Ansicht der EFV über die weiteren Schritte

Alexander Karrer verfasste ebenfalls eine Notiz, die wahrscheinlich für den Vorsteher des EFD bestimmt war.781 Darin fasste er die zwei früheren Schreiben zusammen und fügte hinzu, dass die UBS den Vergleich abschliessen wollte und hoffte, dass der Bundesrat Verständnis zeigen und sich bereit erklären würde, Verhandlungen in Hinblick auf eine Revision des DBA zu beginnen, die auf einen breiteren Informationsaustausch abzielen würden. Er bemerkte weiter, dass das Treffen zwischen der Vorsteherin des EJPD und dem DOJ für den 23. Februar 2009 anberaumt war. Die FINMA ihrerseits erwog, die Ergebnisse ihrer Untersuchung der UBS am 10. Februar 2009 zu veröffentlichen. Das BVGer schliesslich würde laut ESTV gegen Mitte April 2009 seinen ersten Entscheid fällen.

780

E-Mail vom 5.2.2009, Schweizerische Botschaft in den Vereinigten Staaten, Dok. 106 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

781 Notiz vom 4.2.2009, EFV, Dok. 133 des Führungsdossiers EFD.

3350

Nach Ansicht von Alexander Karrer war die Übergabe von Daten ohne Amtshilfeverfahren, mit oder ohne Beteiligung des IRS, keine gute Idee, denn sie würde den Fall nicht abschliessen, sondern den Bundesrat ganz im Gegenteil in eine äusserst schwierige Lage versetzen. Auch die Ankündigung der Bereitschaft des Bundesrats, mit den USA über das Bankgeheimnis zu verhandeln, würde nicht garantieren, dass der IRS nicht doch gerichtlich gegen die UBS oder später gegebenenfalls auch gegen die CS vorgehen würde. Die UBS steure wie ein Dampfer, welcher sich kaum bremsen liesse, auf einen Deal mit dem DOJ und der SEC zu. Dabei werde den US-Behörden signalisiert, dass die Schweizer Regierung dies unterstütze. Die UBS würde mit den USA auch über das DBA und das Bankgeheimnis sprechen. Wenn dieser Dampfer noch gebremst werden solle, sei dies jetzt die letzte Gelegenheit. Als Schlussfolgerung schlug er zwei Lösungsmöglichkeiten vor: 1.

Option 1: Die UBS übergibt die Kundendaten selbst, ohne Bewilligung vom Bundesrat und von der FINMA. Laut Alexander Karrer wäre der Schaden für die Bank in diesem Fall nicht grösser, für den Finanzplatz und den Staat dagegen weitaus geringer. Dies würde bedeuten, dass der Bundesrat seinen Beschluss vom 19. Dezember 2008 revidieren müsste, was durch die Weigerung des IRS, sich an der Vereinbarung zu beteiligen, gerechtfertigt werden könnte.

2.

Option 2: Der Bundesrat übernimmt die Führung des Dossiers und beginnt Verhandlungen mit den US-Behörden. Die erste Gelegenheit wäre der Besuch der Vorsteherin des EJPD in den USA. In der Folge müsste ein Gespräch mit dem Treasury Department stattfinden, zuerst auf technischer Ebene und dann auf Regierungsebene. Dabei müsste den US-Behörden klar gemacht werden, dass Verhandlungen im Hinblick auf eine Revision des DBA nur dann geführt werden könnten, wenn der Fall UBS geregelt würde, und zwar über die Amtshilfe.

Alexander Karrer schloss, dass ein Deal zur Herausgabe von Daten ausserhalb der Amtshilfe eine ultima ratio sei und nur unter Einbezug des IRS erfolgen sollte.

3.5.1.10

Brief der UBS an den Vorsteher des EFD vom 5. Februar 2009

Der Brief der UBS vom 5. Februar 2009 wurde per E-Mail an den Vorsteher des EFD sowie den Präsidenten der SNB und den Präsidenten der FINMA übermittelt.782 Darin teilte der Vizepräsident des UBS-Verwaltungsrats mit, dass die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stünden. Er trat mit folgenden Empfehlungen an die Schweizer Regierung heran:

782



Anerkennung der Vereinbarung zwischen der UBS, der SEC und dem DOJ;



Anerkennung der Wichtigkeit der ausgehandelten Lösung, die im Einklang steht mit dem schweizerischen Rechtsrahmen und den nationalen Interessen;



Anerkennung, dass die UBS Fehler gemacht und diese korrigiert hat und dass die FINMA ihre Untersuchung zu Ende führen und die angemessenen Schritte veranlassen wird; Brief vom 5.2.2009, VR UBS, Dok. Beilage zu Zeilen-Nr. 65 Ordner 1 der FINMA.

3351



Kenntnisnahme der Verpflichtung für alle im Ausland tätigen Unternehmen, sich an die geltenden Rechtsnormen zu halten;



Anerkennung, dass die Frage des John Doe Summons ungelöst bleibt, aber dass die UBS und der IRS an einer Lösung arbeiten, welche die Selbstdeklaration von US-Steuerpflichtigen fördert und damit das Bankgeheimnis wahrt.

Das Treffen zwischen dem Vorsteher des EFD, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der FINMA fand am 5. Februar 2009 statt. In dieser Sitzung schlug der Präsident der FINMA die Schaffung einer Arbeitsgruppe vor. Der Vorsteher des EFD plädierte für eine umfassende Lösung und sprach sich gegen eine Vereinbarung ohne den IRS aus. Er beschloss, mit seinem amerikanischen Amtskollegen Timothy Geithner zu sprechen. Die Teilnehmer interpretierten das Schreiben der UBS als Versuch, die Regierung in die Pflicht zu nehmen. Die UBS müsse jedoch ihre Probleme selbst lösen. Der Vorsteher des EFD war der Ansicht, er könne eine solche politische Verantwortung nicht übernehmen. Auch habe er bisher von den US-Behörden keine Signale im Hinblick auf eine Überarbeitung des DBA erhalten.

Am 10. Februar 2009 teilte Alexander Karrer der Generalsekretärin des EFD und der ESTV schriftlich mit, dass die Anhörung des PSI auf den 24. Februar 2009 vertagt worden war. Er bat die schweizerische Regierung, sich zu entscheiden, ob sie teilnehmen wolle oder nicht. Die UBS hatte bereits eine Einladung erhalten. In seiner Notiz wiederholte Alexander Karrer die Bemerkungen des Schweizer Botschafters in Washington vom 8. Januar 2009 hinsichtlich einer Teilnahme der Schweizer Regierung an einer solchen Anhörung. Persönlich sprach er sich generell gegen eine Teilnahme der Schweizer Regierung vor dem PSI aus.

3.5.1.11

Kontaktaufnahme des DOJ mit der schweizerischen Botschaft in den USA

Am 10. Februar 2009 nahm das DOJ Kontakt mit der Schweizer Botschaft in Washington D.C. auf. In einer E-Mail vom selben Tag an das EFD, das EDA, das EJPD und das EFD erläuterte der Schweizer Botschafter die Gründe für diese Kontaktaufnahme.783 Auf amerikanischer Seite hatte der neue Attorney General Eric Holder (Vorsteher des US-Justizdepartements) sein Amt angetreten, musste aber im Fall UBS in den Ausstand treten, da er die UBS in der Vergangenheit vertreten hatte. Das DOJ erwähnte auch das Gespräch vom Januar 2009 zwischen dem Vorsteher des EFD und der persönlichen Beraterin von Präsident Obama, Valerie Jarrett, bei dem die Möglichkeit zur Sprache gekommen war, vor der Eröffnung einer weiteren Phase im Strafverfahren gegen die UBS die Ergebnisse der Amtshilfe abzuwarten. Das DOJ befürchtete, dass im Falle einer zu langen Wartezeit das DPA nicht mehr wie vereinbart abgeschlossen werden könnte, weshalb es die schweizerischen Behörden bat, für einen raschen Abschluss des DPA zu sorgen. Die US-Botschaft in Bern hatte bereits Anweisungen erhalten, bei den schweizerischen Behörden zu intervenieren. Das DOJ fügte hinzu, dass das DPA auch die Verfahren der SEC gegen die UBS, jedoch nicht das Zivilverfahren des IRS (John Doe Summons) mit

783

E-Mail vom 10.2.2009, Schweizerische Botschaft ­ Washington D.C., Dok. 114 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3352

einschloss. In dieser Form hatte das DPA die Unterstützung des Federal Reserve Board erhalten.

Der schweizerische Botschafter nahm die Botschaft des DOJ zur Kenntnis und versprach, die Schweizer Behörden darüber zu orientieren. Er wies auf die sehr delikaten staatspolitischen Fragen, die die Angelegenheit in der Schweiz aufwerfen würde, und auf die kritische öffentliche Diskussion um die Situation der UBS in der Schweiz hin. Vor diesem Hintergrund sollten auch die US-Behörden Verständnis für die schwierige Lage der Schweizer Behörden haben, dies insbesondere auch im Lichte der Anhörung durch den US-Senat. Das DOJ habe Verständnis bekundet und die Auffassung vertreten, eine rasche Einigung wäre geeignet, Senator Levin von der Durchführung eines solchen Hearing abzuhalten. Sollte es nicht zum Abschluss des DPA zwischen der UBS und dem DOJ kommen, so wäre die Gefahr einer Strafklage gegen die Führungskräfte der UBS gross.

3.5.1.12

Erneute Vorbehalte der ESTV gegenüber den Eckwerten des DPA

Ebenfalls am 10. Februar 2009 sandte der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV eine E-Mail an den Direktor der ESTV, die Generalsekretärin des EFD und Alexander Karrer.784 Er äusserte darin seine Überlegungen im Anschluss an ein Gespräch mit dem Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung der Schweizer Botschaft in Washington D.C., wo er vorgesprochen hatte, um sich mit dem Inhalt des DPA vertraut zu machen und zu erfahren, wer es initiiert hatte. Nach Angaben des Botschaftsvertreters war die Sache von der UBS angestossen worden, die dem DOJ mitgeteilt hatte, dass das EFD die Vereinbarung nicht akzeptieren wolle. Es sei deshalb eine offizielle Intervention der USA bei den Schweizer Behörden notwendig, um das EFD zu überzeugen. Er führte aus, dieses Vorgehen grenze an Landesverrat, wobei das Verhalten des General Counsel der UBS ihn nicht weiter erstaune: Dieser versuche, koste es was es wolle, den Deal durchzudrücken. Der General Counsel der UBS habe die Meinung vertreten, eine Anklage gegen die Bank könne wohl ausgeschlossen werden, da die USA eine derartige Destabilisierung der Finanzwelt nicht verschulden wollten. Es könnte jedoch zu einer Anklageerhebung gegen die Herren Kurer und Rohner kommen. Diese Darstellung der Vorgänge wurde von der UBS den GPK gegenüber in Abrede gestellt: Die UBS machte geltend, sie habe insbesondere weder das DBA noch das Bankgeheimnis mit den amerikanischen Behörden diskutiert.

In der eingangs erwähnten E-Mail war das DPA folgendermassen umrissen worden:

784

1.

Die Verfahren gegen die UBS werden unter folgenden Bedingungen suspendiert: Übergabe von Kundendaten (200 ­ 500 Daten) und Rückzug der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA;

2.

Vereinbarung mit der SEC innerhalb des DPA: Feststellung der Verstösse und ihres Ausmasses usw.;

3.

Überweisung von Strafzahlungen und Bereitschaft, in Zukunft konform zu handeln;

E-Mail vom 10.2.2009, ESTV, Dok. 137 des Führungsdossiers EFD.

3353

4.

Das Fed unterstützt das DPA, da die Finanzstabilität gewährleistet wird;

5.

Keine Vereinbarung mit dem IRS bezüglich des John Doe Summons.

Der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV riet, diesen Vorschlag nicht gutzuheissen, da es sich nicht um einen umfassenden Vergleich handle. Ausserdem wäre die Verknüpfung mit einer eventuellen Revision des DBA zu amerikanischen Bedingungen ein schlechter Ausgangspunkt für Verhandlungen, bei denen so viel wie möglich herausgeholt werden sollte. Selbst im Falle von Strafverfahren gegen die Führungskräfte der Bank sollte das EFD sich von der UBS oder vom DOJ nicht unter Druck setzen lassen.

3.5.1.13

Diskussion im Bundesrat über den UBS-Vergleich und die Revision des DBA

Am 11. Februar 2009 diskutierte der Bundesrat die Verfügung der FINMA vom 3. Februar 2009 betreffend Auszahlung variabler Vergütungsanteile für das Geschäftsjahr 2008 durch die UBS. Es handelte sich dabei um ein so genanntes «grünes Geschäft». Das Kollegium setzte sich mit der Problematik der Boni und deren Höhe auseinander. Der Bundesrat war sich einig, dass es Sache der FINMA sei, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Das Kollegium war aber auch der Auffassung, dass ­ solange der Bund finanziell noch bei der UBS engagiert war ­ die Bank bei der Auszahlung von Boni mehr Zurückhaltung an den Tag legen müsste. Der EFD-Vorsteher wurde beauftragt, der UBS die diesbezüglichen Erwartungen des Bundesrats zur Kenntnis zu bringen.

An der gleichen Sitzung kam der Vorsteher des EFD auf das grenzüberschreitende Geschäft der UBS zurück. Dabei führte er aus, die US-Behörden verlangten 250 Namen von betrugsverdächtigen amerikanischen UBS-Kunden. Die US-Behörden wollten den Zugriff zu allen Kundendaten, um Steuereinnahmen zu generieren.

Bei Nichterfüllung würden Sanktionen angedroht, nämlich eine Anklage oder eine Bussenverfügung (Subpoena), mit täglicher Busse bis zur Freigabe der Daten. Die UBS habe ein Settlement mit allen drei US-Behörden (DOJ, SEC und IRS) abschliessen wollen. Der IRS und das DOJ seien aber nicht bereit, sich einbinden zu lassen. Die SNB, die FINMA und das EFD würden Massnahmen treffen, um die Schieflage der UBS zu korrigieren. Die FINMA habe ein stärkeres «Commitment» des Bundesrats gewünscht. Das gehe aber nicht; sie müsse das Problem selber lösen.

Das Amtshilfeverfahren werde noch bis April 2009 dauern. Im EFD befassten sich 40 Mitarbeiter mit diesen Fällen. Das DOJ sei nicht bereit, so lange zuzuwarten. Es stelle sich deshalb die Frage, was der Bundesrat tun könne.

In der nachfolgenden Diskussion wurde einerseits geltend gemacht, der Bundesrat müsse entgegen der Meinung des EFD gewisse Risiken eingehen, zumal der IRS bisher den Eindruck einer gewissen Gesprächsbereitschaft vermittelt habe. Andererseits wurde auch die Auffassung vertreten, das DOJ werde den Ausgang des Amtshilfeverfahrens nicht abwarten; die Botschaft in Washington erwarte Instruktionen, damit die Vereinbarung abgeschlossen werden könne. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die FINMA überhaupt zuständig sei, um
über die Vereinbarung zu entscheiden.

Im Bundesrat kam auch Beunruhigung und Überraschung auf. Noch im vergangenen Dezember habe es geheissen, die Angelegenheit sei sehr dringend. Jetzt gebe es aber 3354

Stimmen, die sagten, die Schweizer Behörden seien nicht kooperativ. Eine Anklage der UBS in den USA oder ein Lizenzentzug wären äusserst problematisch. Aus dem Departement sei auch zu hören, für die USA käme nur eine Gesamtlösung in Frage.

Ebenfalls thematisiert wurde im Bundesrat, dass die Verhandlungen des Kollegiums i. S. UBS/USA keinen Niederschlag im grünen Protokoll gefunden hätten. Im vergangenen Jahr habe der Bundespräsident die BK angewiesen, die Diskussionen UBS/USA nicht zu protokollieren. Die BK führte dazu aus, es seien schon Aufzeichnungen zu diesem Thema vorhanden, und diese könnten nachgeliefert werden.

Im Zusammenhang mit dem abschlussreifen Settlement kam der Vorschlag auf, dass es ein positives Entgegenkommen wäre, wenn die Schweiz Verhandlungsbereitschaft i. S. DBA signalisieren würde. Das Thema könnte anlässlich der Gespräche in Washington im Zusammenhang mit Guantanamo aufgegriffen werden.

In der Diskussion wurde zudem ausgeführt, dass es sich bei den meisten Fällen um Steuerbetrug handle. Darunter befänden sich auch Schutzgelder aus der HolocaustZeit. Die FINMA möchte aber die Verantwortung für die Herausgabe der Daten dem Bundesrat zuschieben. Ein Mitglied vertrat klar die Meinung, es sei Sache der FINMA, hier einen Entscheid zu fällen. Ein anderes Mitglied erinnerte das Kollegium an den Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008. Wiederum ein anderes Mitglied meinte, das EFD müsse umgehend alles unternehmen, um den Abschluss der Vereinbarung voranzutreiben. Die FINMA sei entsprechend zu informieren.

Am Schluss der Diskussion wurde kein formeller Beschluss gefasst. Dem Vorsteher des EFD wurde aber der Auftrag erteilt, bis zur nächsten Bundesratssitzung ein Aussprachepapier zu allfälligen Anpassungen des Doppelbesteuerungsabkommens vorzubereiten.

3.5.1.14

Einladung an die Schweiz zur Teilnahme am Hearing des Untersuchungsausschusses des amerikanischen Senats

Am 11. Februar 2009 erhielt die Schweizer Botschaft in Washington D.C. vom PSI eine Einladung, einen Vertreter der Schweizer Regierung an die Anhörung vom 24. Februar 2009 zu entsenden.785 In der Einladung waren die Fragen aufgeführt, die mit der schweizerischen Regierung besprochen werden sollten:

785

1.

Die Rolle der Schweiz in der Reaktion der UBS auf das John Doe Summons des IRS und auf die Informationsanfrage des DOJ;

2.

Der Stand der laufenden Amtshilfeverfahren bezüglich der Übergabe von Kundendaten;

3.

Wie wirken sich das internationale Rechtshilfeabkommen und das DBA auf die Fähigkeit der UBS aus, den Anträgen des IRS und des DOJ Folge zu leisten?

4.

Inwiefern hindert das schweizerische Bankgeheimnis die UBS daran, den Anträgen des IRS und des DOJ Folge zu leisten?

Brief (per E-Mail) vom 11.2.2009, United States Senate, Dok. 112 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3355

Sollte die schweizerische Regierung beschliessen, einen Vertreter an die Anhörung zu entsenden, so möchte das PSI schriftliche Antworten auf ihre Fragen erhalten, die dem Anhörungsprotokoll im Anhang beigelegt würden.

Am 12. Februar 2009 trafen sich der Vorsteher des EFD und der Präsident der FINMA zu einem Gespräch über den Stand des Dossiers zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS. Der Präsident der FINMA unterrichtete den Vorsteher des EFD über die wachsende Nervosität der US-Behörden sowie über die Einreichung eines John Doe Summons und den gescheiterten Versuch, den IRS in den Vergleich mit einzubeziehen. Der Vorsteher des EFD bestätigte den Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008. Der Bundesrat war sich der Lage bewusst und wusste auch, dass die FINMA gegebenenfalls handeln musste. Er gab ihr dazu grünes Licht, sofern der Schritt sich als unvermeidbar erweisen sollte.

Am 12. Februar 2009 verfasste das Anwaltsbüro der Schweizer Botschaft in Washington ein Memorandum zum John Doe Summons. Es kam zum Schluss, dass die Übergabe von Kundendaten im Rahmen einer Vereinbarung zwischen der UBS und dem DOJ die schweizerischen Behörden unter starken Druck setzen würde, andere Ausnahmen des Bankgeheimnisses oder der Amtshilfeverfahren zu bewilligen. Der IRS seinerseits würde die Risiken eines Prozesses gegen die UBS analysieren. In diesem Zusammenhang sei nicht ganz auszuschliessen, dass der IRS den Umfang seines Antrags zugunsten des Abschlusses eines DPA reduzieren würde.

Allerdings sei der IRS starkem Druck von Seiten des US-Kongresses ausgesetzt, weshalb seine Strategie nur schwer voraussehbar war.

3.5.1.15

Information der FINMA über die Anklagedrohung gegen die UBS

Am 13. Februar 2009 schrieben der Vizepräsident des UBS-Verwaltungsrats und der Group General Counsel der UBS erneut der FINMA. Sie betonten die Zwangslage der UBS und die dramatischen Auswirkungen eines Indictment und ersuchten die FINMA, die Übergabe von UBS-Kundendaten an die zuständigen US-Behörden anzuordnen.

Am gleichen Tag fand eine Videokonferenz zwischen dem Präsidenten der FINMA, dem Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA und dem General Counsel des Fed statt. Der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV wohnte dem Gespräch bei, ohne sich daran zu beteiligen, und fasste ein Protokoll ab.786 Zuerst erklärte der Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA dem Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV, worin genau das DPA zwischen der UBS und dem DOJ bestand (780 Millionen Dollar und die Übergabe von 200 bis 300 Kundendaten, ohne Beteiligung des IRS). Laut diesen Erklärungen war die UBS dazu angehalten, sämtliche Kosten (Personalaufwand und künftige Schadenersatzklagen der Anwälte der Bankkunden, die durch das Amtshilfeverfahren betroffen sind) der ESTV zu begleichen. Ein Drohbrief bezüglich der Umsetzung des Indictment würde nach Unterzeichnung der Vereinbarung übermittelt. Der Präsident der FINMA teilte dem Vertreter des Fed mit, dass die EBK der UBS ab Dezember 2008 grünes Licht zur Aushandlung des 786

Notiz vom 13.2.2009, ESTV, Dok. 115 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3356

DPA gegeben habe. Der Vertreter des Fed erklärte, dass das Fed in Entscheidungen des DOJ über kein Veto verfüge, sondern nur über ein Beratungsrecht, z. B. zu den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen eines Indictment gegen die UBS für die Schweiz und die USA. Dann kamen die Top-Manager der UBS zur Sprache, insbesondere Peter Kurer und Marcel Rohner. Der Präsident der FINMA wollte wissen, ob diese Personen ebenfalls mit einem Indictment zu rechnen hätten, oder ob sie wieder ungehindert in die USA reisen könnten. Laut dem General Counsel des Fed war diese Frage noch nicht entschieden worden. Allerdings war es den US-Behörden nur schwer verständlich, warum Peter Kurer und Marcel Rohner angesichts der Verstösse der UBS in den letzten acht Jahren nicht ihrer Ämter enthoben worden waren. Der Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA teilte daraufhin dem Vertreter des Fed mit, dass gemäss den Ergebnissen der Untersuchung der EBK Peter Kurer und Marcel Rohner in dieser Angelegenheit keine persönliche Verantwortung trugen. Gewiss hatten sie Fehler begangen, aber für die Eröffnung eines gegen sie gerichteten Verfahrens waren nicht genügend Indizien vorhanden.

3.5.2

Übergabe von Kundendaten an die USA am 18. Februar 2009

3.5.2.1

Schlussvorbereitungen zur Herausgabe von Kundendaten

Die FINMA übermittelte dem Vorsteher des EFD am 13. Februar 2009 ein Schreiben und einen Statusbericht und bat ihn, den Bundesrat zu informieren.787 Der Bericht betonte einmal mehr die grosse Gefahr, die ein Indictment gegen die UBS für die Schweizer Wirtschaft und den Finanzstandort Schweiz bedeuten würde.

Die UBS würde in kürzester Zeit in Konkurs gehen. Die FINMA kündigte an, dass der FINMA-Verwaltungsrat in seiner nächsten Sitzung am 18. Februar 2009 eine Entscheidung bezüglich einer Schutzverfügung nach den Artikeln 25 und 26 des Bankengesetzes788 treffen würde, um die Übergabe einer begrenzten Anzahl Kundendaten anzuordnen und damit die Insolvenz der UBS, die von einem indictment des DOJ unvermeidlich verursacht würde, abzuwenden. Die FINMA gab zu verstehen, dass eine politische Unterstützung nachdrücklich erwartet und sehr erwünscht war. Fast vier Monate nachdem die schweizerischen Behörden die Unbeugsamkeit der US-Behörden in Bezug auf die Übergabe von Kundendaten festgestellt hatten, und im Anschluss an die inständigen Ersuchen des UBS-Verwaltungsrats, eine solche Übergabe anzuordnen, war die FINMA nun im Begriff, einzulenken und den US-Behörden Kundendaten auszuhändigen. Damit wären alle Bedingungen der Vereinbarung zwischen der UBS und dem DOJ, die kurz vor der Unterzeichnung stand, erfüllt. Der Bericht erläuterte auch ausführlich die Lage in Bezug auf den IRS, der seine Teilnahme an der Vereinbarung verweigerte. Folglich musste mit einer Vollstreckung des John Doe Summons noch vor der Anhörung des PSI im Januar 2009 gerechnet werden, denn der IRS stand unter hohem Druck.

787 788

Statusbericht im Ordner 1 der FINMA: UBS cross-border Chronologie mit Beilagen.

SR 952.0.

3357

In einer E-Mail an Alexander Karrer vom 13. Februar 2009789 übermittelte die US-Botschaft in Bern eine Mitteilung des DOJ, in der zu verstehen gegeben wurde, dass nur durch eine rasche Lösung des Problems eine Strafverfolgung gegen die UBS verhindert werden konnte.790 Am 14. Februar 2009 hatte der Vorsteher des EFD mit dem Präsidenten der FINMA eine Unterredung. Nachdem er vom Statusbericht zur Situation der UBS Kenntnis genommen hatte, meinte der Vorsteher des EFD, dass er mit dem geplanten Vorgehen der FINMA gut leben könne. Er werde den Bundesrat bei seiner nächsten Sitzung informieren.

Am 15. Februar 2009 schickte der Leiter der Abteilung für Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA dem Vizepräsidenten der SNB, Alexander Karrer, dem Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV und dem Direktor der ESTV per E-Mail791 den Statusbericht vom 13. Februar 2009 sowie eine Kurzversion des Untersuchungsberichts der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS.

Im Statusbericht der FINMA kam auch das DPA zur Sprache, welches die UBS und das DOJ am 13. Februar 2009 abgeschlossen hatten. Das DPA sollte am 18. Februar 2009 von einem US-Gericht bewilligt werden. Der Statusbericht präsentierte die Ergebnisse der Verhandlungen der UBS mit den US-Behörden. Seit dem Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 hatte die UBS von der FINMA grünes Licht erhalten, eine Vereinbarung zur Übergabe einer begrenzten Anzahl Kundendaten an die US-Behörden auszuhandeln. Prämisse war, dass im Falle absoluter Notwendigkeit, d. h. im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Strafklage gegen die UBS, die FINMA eine solche Übergabe anordnen würde, sofern dies eine Strafklage abwenden könnte, welche das Überleben der Bank in Gefahr gebracht hätte. Die FINMA verfolgte demnach den Fortgang der Verhandlungen aufmerksam mit und informierte regelmässig die EFV und mehrere Male den Vorsteher des EFD und die SNB über den Stand der Dinge.

Die Vereinbarung enthielt mehrere wichtige Mechanismen und Elemente: Sie sah vor, dass die UBS die volle Verantwortung für die Verstösse gegen die US-Steuervorschriften übernahm und sich verpflichtete, Entschädigungen in der Höhe von insgesamt 780 Millionen Dollar zu bezahlen, davon 380 Millionen umgehend an das DOJ und die SEC und 400 Millionen zu einem späteren Zeitpunkt an
den IRS. Die zweite Tranche konnte durch etwaige Einnahmen des IRS aus Nach- und Strafsteuern im Zusammenhang mit den übermittelten Kundendaten vermindert werden. Die UBS verpflichtete sich weiter, sich aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA zurückzuziehen und in Zukunft gemäss ihrer Aufgabe von ihren US-Kunden das Formular W-9 des IRS einzufordern. Dies sollte im Rahmen des so genannten Exit-Program durch eine bei der SEC registrierte Abteilung der UBS erfolgen. Der Risikoausschuss des UBS-Verwaltungsrats war mit der Beaufsichtigung des ExitProgram betraut, über die er in seinem Quartalbericht Rechenschaft ablegen musste.

Zudem verpflichtete sich die UBS, ein System zur Kontrolle der QI-Compliance einzurichten, das QI Compliance Program. Sie musste zudem zusagen, sich um eine 789

E-Mail vom 13.2.2009, Embassy of the United States of America, Dok. 113 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

790 «The possible resolution under consideration by the parties is a fragile one, and the Department of Justice has urged that we not miss the opportunity to resolve this matter without the need for criminal proceedings.» 791 E-Mail vom 15.2.2009, FINMA, Dok. 140 des Führungsdossiers EFD.

3358

reibungslose Zusammenarbeit mit den betroffenen US-Behörden zu bemühen. Auch musste sie die Konformität ihrer Tätigkeiten von Auditgesellschaften prüfen lassen.

Sofern die UBS die in der Vereinbarung festgesetzten Vorgaben vollständig erfüllte, würde das Strafverfahren gegen sie während 18 Monaten suspendiert, eine Frist, die vom DOJ unter bestimmten Umständen und ohne Rekursmöglichkeit verlängert werden konnte (daher der Name Deferred Prosecution Agreement, DPA). Nach Ablauf der Frist, d. h. am 18. August 2010, würde das DOJ das Strafverfahren einstellen, sofern keine Verletzung der Vereinbarung festgestellt worden war.

Die conditio sine qua non für die Unterzeichnung der Vereinbarung war für das DOJ ­ unterstützt von den zuständigen US-Behörden ­ die Übergabe einer begrenzten Anzahl US-Kundendaten der UBS an das DOJ. Unter Ziffer 9 der Vereinbarung und im Account Disclosure Letter wurden die auszuhändigenden Kundendaten genau definiert. Ungefähr 200 bis 300 Kundenkonten waren betroffen. Die anvisierten Kunden wurden der Steuervergehen nach Artikel 26 des DBA verdächtigt. Die Unterlagen zu den Kundenkonten waren sehr detailliert und beliefen sich laut UBS auf 170 627 Seiten. Zur Vereinbarung gehörten zusätzlich zum DPA (veröffentlicht) eine Erläuterung der Fakten (veröffentlicht) und der Account Disclosure Letter (vertraulich geblieben).

Trotz hartnäckigen Verhandlungen gelang es nicht, den IRS in die Vereinbarung mit einzuschliessen und ihn dazu zu bewegen, auf die Vollstreckung des John Doe Summons zu verzichten, und dies, obwohl der IRS von den Entschädigungszahlungen der UBS ebenfalls profitierte. Die Problematik des John Doe Summons war im DPA folgendermassen behandelt worden: Die UBS war berechtigt, vor einem US-Gericht die Achtung des schweizerischen Rechts einzuklagen. Sollte das Gericht der UBS Recht geben, müsste der IRS auf eine Vollstreckung des John Doe Summons verzichten. Die UBS durfte sich folglich gegen die Vollstreckung des John Doe Summons zur Wehr setzen, ohne dass sie dadurch das mit dem DOJ abgeschlossene DPA kompromittierte. Allerdings würden die US-Behörden es nicht akzeptieren, wenn die UBS einen Konflikt mit dem schweizerischen Recht als Grund für eine Non-Compliance mit einem etwaigen John Doe Summons anmelden würde. Sollte die UBS alle rechtlichen Mittel gegen das
John Doe Summons erfolglos ausgeschöpft haben, so könnte eine Non-Compliance von der US-Regierung als eine Verletzung des DPA betrachtet werden, was der Regierung theoretisch die Möglichkeit gäbe, erneut eine Strafklage gegen die UBS zu erheben. Zuvor würde das Fed zu der Sache angehört; obwohl sie kein Vetorecht besitzt, würde ihr diese Anhörung die Gelegenheit geben, Argumente bezüglich der finanziellen und wirtschaftlichen Folgen einer Strafklage gegen die UBS vorzubringen.

Laut FINMA waren die Verhandlungen mit der SEC verhältnismässig gut verlaufen.

Die Parteien hatten beide ihr Memorandum für das Gericht des District of Columbia ausgearbeitet, das die Fakten anschliessend detailliert wiedergab. Daraus ging hervor, dass die UBS seit 1999 in den USA in Verletzung der SEC-Restriktionen die einer Bewilligung der SEC unterstellte Tätigkeit des Broker-Dealer und die Tätigkeit des Investment Adviser (Anlageberater) ausgeübt hatte. Der durch diese Tätigkeiten in Verletzung der SEC-Restriktionen erzielte Gewinn wurde auf 200 Millionen Dollar geschätzt. Das Gericht sollte weitere Verstösse gegen die SECRestriktionen untersagen und die Rückzahlung der unrechtmässigen Gewinne anordnen.

Die FINMA unterbreitete im Statusbericht drei mögliche Optionen:

3359

1.

Keine Einmischung der FINMA bzw. der Schweizer Behörden / Abwarten der Amtshilfe: Die FINMA bzw. die Schweizer Behörden mischen sich nicht ein und überlassen das weitere Vorgehen der Bank. Diese Option wurde als äusserst riskant beurteilt. Zunächst habe man die Bank darin bestärkt, diesen Weg zu beschreiten und sie bis zu diesem (fast finalen) Punkt verhandeln lassen. Die UBS werde ohne Unterstützung der FINMA bzw. der Schweizer Behörden keine Kundendaten herausgeben, da dies für sie und ihre Organe unabsehbare Rechtsrisiken hätte. Eine Anklage werde wahrscheinlicher, zumal ein Entscheid des BVGer zur Amtshilfe innert nützlicher Frist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfolgen werde. Im Übrigen stehe keineswegs fest, dass das BVGer die Beschwerden der Kunden abweisen werde. Ein Entscheid, welcher die Amtshilfe verweigere, würde zu einer zusätzlichen Eskalation der Situation führen. Auch würde das Untätigsein der Schweizer Behörden zusätzlich provozierend auf die USA wirken, welche das Verhalten als unkooperativ betrachteten. Für die FINMA habe diese Variante kaum Vorteile, da sie sich bei Eintreffen des worst-case-Szenarios mit den Folgen einer Anklage und deren Auswirkungen auf das Institut und die Stabilität des Finanzplatzes Schweiz direkt befassen müsste.

2.

Die FINMA erlässt eine Schutzverfügung: Angesichts der existenziellen Bedrohung der UBS erwäge die FINMA, von der UBS im Sinne einer Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 i. V. m. Artikel 26 BankG, die Herausgabe der offenzulegenden Kundendaten zwecks Weitergabe ans DOJ zu verlangen. Die mit dieser Vorgehensweise verbundenen rechtlichen und politischen Risiken seien für die FINMA erheblich, würden aber dazu führen, dass das DOJ von einer Anklageerhebung Abstand nehmen würde. Dem Verwaltungsrat der FINMA werde deshalb noch gleichentags beantragt, einen solchen Entscheid am kommenden Mittwochnachmittag, den 18. Februar 2009, zu treffen. Nicht gelöst sei mit einer Schutzanordnung die Summons-Problematik. Die FINMA frage sich, ob der UBS die Herausgabe von anderen als den offenzulegenden US-Kundendaten durch einen blocking order ausdrücklich verboten werden sollte. Davon werde im Moment abgesehen. Eine solche Anordnung müsste aber bei einer Eskalation der Sache auf US-Seite getroffen werden, um die Glaubwürdigkeit der Rechtsdurchsetzung in der Schweiz zu betonen. Zuständig wären aber wohl die politischen Behörden. Als Schutzmassnahme der FINMA zur Abwendung eines drohenden Liquiditätsabflusses könne ein solcher Schritt aber nicht begründet werden.

3.

Aufnahme intensiver Gespräche auf politischer Stufe: Die FINMA verzichte auf den Erlass einer Schutzverfügung, welche von der UBS die Herausgabe von Kundendaten verlangt, während sich die Politik bereit erkläre, gezielt und intensiv bei den US-Behörden zu intervenieren. Ziel müsste sein, zunächst eine Anklage der Bank abzuwenden. In einem zweiten Schritt wäre die John Doe Summons Problematik zu adressieren. Auch unter diesem Szenario erachte es die Geschäftsleitung als notwendig, die diesbezügliche Meinung der politischen Behörden einzuholen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate könne ein solches Vorgehen eine Anklageerhebung nicht mehr abwenden. Die Gespräche seien deshalb als (notwendige) Ergänzung ­ aber nicht als Ersatz ­ einer Schutzverfügung zu empfehlen.

3360

Der Leiter der Abteilung für Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA teilte weiter mit, dass die Vereinbarung vom UBS-Verwaltungsrat bewilligt worden war und dass der Vizepräsident des Verwaltungsrats und der Group General Counsel der UBS die FINMA am 13. Februar 2009 gebeten hatten, die Übergabe von UBS-Kundendaten an das DOJ anzuordnen. Das DOJ wollte der UBS in den folgenden Tagen noch einen Drohbrief zukommen lassen.

Am 15. Februar 2009 übermittelte der Leiter der Abteilung für Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA per Mail792 dem Vizepräsidenten der SNB, Alexander Karrer, dem Chef der Abteilung Internationales der ESTV und dem Direktor der ESTV den Statusbericht vom 13. Februar 2009 sowie eine Kurzfassung des Untersuchungsberichts der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS.

Am 16. Februar 2009 wurde der Statusbericht zusammen mit allen die Vereinbarung betreffenden Unterlagen dem Verwaltungsrat der FINMA übermittelt.

3.5.2.2

Anklagedrohung gegen die UBS

Am 17. Februar 2009 handelten das DOJ, die SEC und die UBS die endgültige Vereinbarung aus. Die UBS informierte die FINMA im letzten Moment über ein zusätzliches Problem, nämlich die Grand Jury Subpoena des New York County District Attorney's Office, die weiterhin hängig war. Der Staatsanwalt des Bundesstaates New York habe durchaus das gleiche Drohpotenzial wie das DOJ. Demzufolge fügte die FINMA ihrem Entscheid, die Übergabe von US-Kundendaten der UBS anzuordnen, eine weitere Klausel hinzu, die es dem DOJ ermöglichte, dem Staatsanwalt des Bundesstaats New York von den ausgehändigten Daten die Namen jener Kunden weiterzuleiten, die in seinem Bezirk wohnhaft waren.

Am 17. Februar 2009 sandte das DOJ dem Group General Counsel der UBS seinen Drohbrief. In diesem Drohbrief erklärte sich das DOJ bereit, unter Vorbehalt der Zustimmung des zuständigen Gerichts mit der UBS das DPA793 zu unterzeichnen.

Gemäss dieser Vereinbarung gestand die UBS die kriminellen Vergehen, die in der Erläuterung der Fakten aufgeführt waren, und übernahm die Verantwortung für die beruflichen Versäumnisse ihrer Mitarbeiter. Die UBS erklärte sich bereit, durch entsprechende Massnahmen sicherzustellen, dass sich diese Versäumnisse nicht wiederholten, und in Zukunft mit dem DOJ zusammenzuarbeiten. Der Brief endete mit folgender Drohung: «If UBS fails to enter into this deferred prosecution agreement with the Department of Justice by February 18, 2009, the trial team will immediately seek authorization to obtain a criminal indictment against the bank.»794 Am 18. Februar 2009 übergab die FINMA dem Vorsteher des EFD ein erstes, nicht unterschriebenes Exemplar des Briefes des DOJ, das der Group General Counsel der UBS erhalten hatte.

792 793 794

E-Mail vom 15.2.2009, FINMA, Dokument Nr. 140 des Führungsdossiers des EFD.

Durch eine Vereinbarung aufgeschobene Strafverfolgung.

E-Mail Ordner 1 der FINMA: UBS cross-border Chronologie mit Beilagen, Beilage zur Zeilen-Nr. 75.

3361

3.5.2.3

Der Bundesrat befasst sich mit der unmittelbar bevorstehenden Übergabe von Kundendaten

Der Bundesrat befasste sich seinerseits am 18. Februar 2009 mit der Angelegenheit.

Aus dem grünen Protokoll geht hervor, dass das Geschäft mit dem Titel «Verfahren gegen die UBS in den USA» auf der grünen Liste traktandiert wurde.

Der Vorsteher des EFD hatte am 17. Februar 2009 im Hinblick auf die Behandlung im Bundesrat ein unterschriebenes, aber nicht datiertes Aussprachepapier mit dem Titel «Verfahren gegen die UBS in den Vereinigten Staaten» abgegeben.

Ebenfalls eingereicht wurden folgende Beilagen: Entwurf des Beschlussdispositivs, Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009, Entwurf des Kurzberichts der FINMA «Untersuchung der EBK des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA», Schreiben des EFD an das DOJ vom 8. Juli 2008, Schreiben des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD an das Treasury und das DOJ vom 10. November 2008, Einladung des PSI vom 11. Februar 2009 sowie eine Informationsnotiz des EDA vom 16. Februar 2009 zum soeben erwähnten Hearing.

Im Aussprachepapier des EFD wurde vorab die Ausgangslage unter Hinweis auf den Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009 geschildert. Anschliessend folgten Erläuterungen zur politischen Ebene. Erwähnt wurden auch die Hearings des PSI unter dem Vorsitz von Senator Carl Levin.

Dazu wurde ausgeführt, dieses PSI untersuche den Gebrauch von Banken in so genannten «offshore secrecy jurisdictions» durch US-Steuerpflichtige. Ein erstes Hearing habe am 17. Juli 2008 stattgefunden. Gleichentags sei ein Bericht des Unterausschusses zu «Tax Haven Bank and U.S. Tax Compliance» erschienen.795 Im Zentrum befanden sich die UBS und die LGT Bank mit Sitz in Liechtenstein. Während die LGT dem Hearing fernblieb, sei die UBS der damaligen Vorladung gefolgt und habe öffentlich den Rückzug der UBS aus dem offshore Geschäft mit in den USA domizilierten US-Personen bekanntgegeben. Am 11. September 2008 habe ein nächstes Hearing des Unterausschusses stattgefunden. Der Unterausschuss habe für den 24. Februar 2009 ein weiteres Hearing zum Thema «Tax Haven Banks und U.S.

Tax Compliance ­ Obtaining the Names of U.S. Clients with Swiss Accounts» angesetzt.

Das Hearing vom 24. Februar 2009 werde die Untersuchungen des PSI fortführen.

Im Zentrum stehe dabei die Rolle der Schweiz im Zusammenhang mit den Informationsbegehren der
amerikanischen Behörden, der Stand des Amtshilfeverfahrens und generell die Rechts- und Amtshilfebestimmungen zwischen den beiden Staaten sowie die durch das Bankgeheimnis gesetzten Grenzen.

Die Eidgenossenschaft habe ebenfalls eine Einladung zur Teilnahme am Hearing erhalten, wie dies dem Bundesrat mit Informationsnotiz des EDA vom 16. Februar 2009 zur Kenntnis gebracht worden sei. Das EFD beantrage, die Einladung zum Hearing nicht anzunehmen. Eine Einladung an die Regierung eines souveränen Staates für ein Hearing im US-Kongress sei unüblich und als delikat zu beurteilen.

Gleichwohl sollten die schriftlichen Fragen beantwortet werden.

795

United States Senate, Permanent Subcommittee on Investigations, Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, Tax haven banks and U.S. tax compliance, Staff report, 17.7.2008.

3362

In Ziffer 2 des Aussprachepapiers wurden die Verfahren in der Schweiz dargelegt und insbesondere betont, dass die zuständigen schweizerischen Behörden in den letzten Monaten intensiv mit den amerikanischen Behörden zusammengearbeitet hätten. Der Vorsteher des EFD und die Vorsteherin des EJPD hätten ihren amerikanischen Partnern versichert, dass die Schweiz Steuerbetrug nicht decke. Sie hätten sich auch dafür eingesetzt, dass die rechtsstaatlichen Verfahren zwischen beiden Staaten eingehalten würden. Auch die EBK und die SNB hätten intensive Gespräche geführt. Das DOJ habe sich gegenüber der UBS gegen Ende 2008 nicht länger bereit gezeigt, die im DBA vorgesehenen Verfahren einzuhalten. Das DOJ drohe daher mit einer Anklage gegen die UBS. Eine solche wäre für die UBS jedoch existenzgefährdend. Vor diesem Hintergrund habe der Bundesrat am 19. Dezember 2008 die EBK ersucht, im Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen als auch des globalen Finanzsystems alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um eine solche Anklage zu verhindern.

Zum Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009 wurde ausgeführt, die FINMA habe diesen zuhanden des Gesamtbundesrats eingereicht. Er zeige auf, dass zwischen der UBS, der SEC sowie dem DOJ ein Vergleich ausgehandelt worden sei.

Dieser Vergleich beinhalte die Herausgabe von Daten einer gewissen Anzahl von Kunden der UBS ausserhalb des laufenden Amtshilfeverfahrens. Nicht in den Vergleich einbezogen sei der IRS. Gemäss der FINMA habe das DOJ mit dem Entwurf eines Schreibens vom 13. Februar 2009 seine Drohung, das Verfahren auf Anklage der UBS einzuleiten, wiederholt. Dieses Schreiben liege dem EFD nicht vor. Die Anklageerhebung könne gemäss FINMA nur durch eine umgehende Herausgabe von rund 250 bis 300 Kundendaten verhindert werden. Der Verwaltungsrat der FINMA werde am Mittwoch, 18. Februar 2009, nach der Sitzung des Bundesrats über einen Antrag der FINMA-Geschäftsleitung entscheiden, die Herausgabe der vom Vergleich der UBS mit dem DOJ erfassten Kundendaten als Schutzmassnahme zu verfügen. Damit solle eine existenzbedrohende Anklage abgewendet werden.

Bezüglich der offiziellen Dokumente zwischen der Schweiz und den USA wurde erwähnt, dass die USA nur mit zwei solchen Dokumenten an die Schweiz gelangt seien (Entwurf eines Rechtshilfebegehrens des DOJ vom Juni 2008;
Amtshilfebegehren des Treasury vom 16. Juli 2008). Vor dem Hintergrund des wachsenden Drucks des DOJ habe das EFD zwei offizielle Schreiben an die USA gerichtet (Schreiben des EFD an das DOJ vom 8. Juli 2008; Schreiben des Vorstehers des EFD und der Vorsteherin des EJPD an das Treasury und das DOJ vom 10. November 2008). Am 12. Februar 2009 habe der Vorsteher des EFD die amerikanische Geschäftsträgerin in der Schweiz zu einem Besuch empfangen. Sie habe ihm in Übereinstimmung mit dem DOJ die offizielle Nachricht überbracht, wonach «the possible resolution under consideration by the parties is a fragile one, and the Department of Justice has urged that we not miss the opportunity to resolve this matter without the need for criminal proceedings».

Zum Stand des Amtshilfeverfahrens wurde im Wesentlichen dargelegt, dass sich auf Stufe ESTV 40 Personen mit der Behandlung der Fälle aus dem Amtshilfeverfahren beschäftigten. Von den insgesamt 348 Dossiers sei in 26 Fällen eine Schlussverfügung erlassen worden. Davon sei noch keine einzige in Rechtskraft erwachsen. In einem beim BVGer hängigen Beschwerdeverfahren habe die ESTV ihre Beschwerdeantwort eingereicht, und es sei damit zu rechnen, dass das Gericht sein Urteil zirka Mitte April 2009 fällen werde.

3363

Bezüglich des John Doe Summons des IRS wurde ausgeführt, dass das von der UBS mit dem DOJ ausgehandelte DPA das zivile Verfahren des IRS nicht umfasse. Es sei daher nicht auszuschliessen, dass der IRS in den kommenden Tagen ­ noch vor dem auf den 24. Februar 2009 angesetzten Hearing des PSI ­ die Inkraftsetzung des John Doe Summons beantragen («enforcement proceeding») und dies auch öffentlich bekanntgeben werde. Gemäss FINMA habe die UBS unter dem Vergleich das Recht, sich mit allen Mitteln gegen das John Doe Summons zu wehren. Sollte jedoch das Gericht die Verfügung zur Herausgabe von weiteren Kundendaten bestätigen und würde die UBS diesem Entscheid nicht nachkommen, könnte die Bank gemäss Vergleich angeklagt werden.

Das Aussprachepapier des EFD äusserte sich auch zur Kommunikation. Der Entscheid der FINMA werde innenpolitisch hohe Wellen werfen. Die Diskussionen um die Verantwortlichkeit der UBS, der Aufsichtsbehörde und des Bundesrats sowie um das Bankgeheimnis würden erneut aufflammen. Es wurde deshalb beantragt, dass die BK am nächstfolgenden Vormittag eine Stellungnahme veröffentliche mit dem Inhalt: 1. Ein wichtiges Ziel des Bundesrats sei der Schutz und der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Schweizerischen Finanzsystems. 2. Der Bundesrat habe zur Kenntnis genommen, dass die FINMA gegenüber der UBS eine Schutzverfügung zur Herausgabe von Kundendaten an die US-Strafbehörden erlassen habe. Die FINMA sei zum Schluss gelangt, dass es ohne die Herausgabe von Kundendaten zu einer Anklage gegen die UBS gekommen wäre. Die US-Behörden hätten nicht die Bereitschaft gezeigt, den Ausgang des Amtshilfeverfahrens der ESTV abzuwarten.

Die FINMA hätte dem Bundesrat versichert, dass eine Anklage die Bank und damit sowohl das schweizerische wie das globale Finanzsystem destabilisiert hätte. 3. Der Bundesrat habe auch vom Bericht der FINMA in Sachen UBS/USA Kenntnis genommen. Die FINMA gelange zum Schluss, dass es im grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA zu Fehlverhalten der Bank und einzelner Mitarbeiter gekommen sei. Der Bundesrat verurteile das Fehlverhalten der UBS und einzelner Exponenten der Bank in den USA. Durch solches Verhalten leide nicht nur die Reputation der UBS, sondern jene des gesamten Finanzplatzes Schweiz. Der Bundesrat erwarte von sämtlichen Finanzintermediären,
dass sie sowohl die schweizerische Gesetzgebung wie auch jene der Länder, in denen sie tätig sind, einhalten. 4. Das Bankgeheimnis bleibe weiterhin bestehen. Es schütze die Privatsphäre. Es schütze dagegen Steuerbetrüger nicht. Die Schweiz habe in den letzten Jahren die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Steuerfragen ausgeweitet. Der Bundesrat sei bereit, diese Zusammenarbeit weiter auszubauen. So habe er beispielsweise gegenüber der EU seine Bereitschaft für eine Diskussion über die Erweiterung des Zinsbesteuerungsabkommens und eine Ausdehnung dieses Systems auf andere Staaten bekundet.

Bezüglich der Einladung des Vorsitzenden des PSI, Senator Carl Levin, vom 11. Februar 2009 an die Schweiz lässt sich der Informationsnotiz des EDA vom 16. Februar 2009 entnehmen, die Schweiz sei eingeladen worden, einen Vertreter an das Hearing vom 24. Februar 2009 zu entsenden.

Das PSI wünsche über die Rolle der Schweiz im Zusammenhang mit den Informationsbegehren des DOJ und des IRS, über den Stand des Amtshilfeverfahrens und generell über die Amtshilfemöglichkeiten der Schweiz sowie die durch das Bankgeheimnis gesetzten Grenzen informiert zu werden. Wenn sich die Schweiz für eine Teilnahme entscheide, würde das PSI eine schriftliche Stellungnahme begrüssen, welche bis zum 20. Februar 2009 zu erfolgen hätte.

3364

Eine Einladung an die Regierung eines anderen Staates für ein Hearing im US-Kongress sei unüblich, dies umso mehr im Kontext eines laufenden Justizverfahrens oder einer politischen Auseinandersetzung. Die Schweiz habe letztmals im Rahmen der Diskussion über die nachrichtenlosen Vermögen an einem solchen Hearing teilgenommen. Auch wenn die Schweiz formell nicht zur Aussage unter Eid vorgeladen werde, käme eine Teilnahme de facto auf dasselbe hinaus. Die Erfahrung mit dem PSI zeige, dass es anlässlich eines solchen öffentlichen Hearing vor laufender Kamera nicht primär darum gehe, in der Sache eine Lösung zu finden.

Neben der Schweizer Regierung sollten ebenfalls ein Vertreter der UBS, das DOJ und der IRS eingeladen werden.

Die Schweiz könnte in einem Hearing nur dann positiv auftreten, wenn sie eine Botschaft im Sinne von Senator Levin überbringen könnte. Da dies nicht der Fall sei (die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung «stehe nicht zur Disposition»), würde die Schweiz in jedem Fall kritisiert werden. Mittelfristig werde die Teilnahme oder Nichtteilnahme den sich abzeichnenden Druck der USA auf das Bankgeheimnis weder positiv noch negativ beeinflussen. Das PSI dürfte in jedem Fall zum Schluss kommen, dass die Zusammenarbeit der Schweiz ungenügend sei und von der US-Regierung entsprechende Massnahmen verlangen, oder selber gegen die Schweiz gerichtete Gesetzesvorschläge, wie den «Stop tax haven abuse act», vorantreiben. Bei einer Teilnahme müsste die Schweiz öffentlich den Vorwurf entgegennehmen, sie schütze amerikanische Steuerhinterzieher, ohne dass sie diesen Vorwurf glaubhaft widerlegen könnte. Mit einer schriftlichen Stellungnahme zu den Fragen und Anliegen des PSI könnte die Schweiz ihre Dialogbereitschaft unter Beweis stellen, ohne sich einerseits den Risiken der Teilnahme auszusetzen und andererseits doch die negativen Wirkungen des Fernbleibens dämpfen.

Anlässlich der mündlichen Beratung des Aussprachepapiers im Bundesratskollegium führte der Vorsteher des EFD aus, der Verwaltungsrat der FINMA werde seinen Entscheid nach der Beschlussfassung durch den Bundesrat treffen. Die schriftliche Androhung des Indictment liege aber noch nicht vor: Ohne diesen Brief werde nicht über die Herausgabe der Kundendaten entschieden. Das Settlement sei nunmehr ausgehandelt.
In der anschliessenden Diskussion wurde mehrheitlich verlangt, dass die Voten zu protokollieren seien und dass die BK die Aufzeichnungen bis am folgenden Mittag nachzureichen habe.

Bemängelt wurde auch die Dauer der Verfahren auf Stufe EFD. Ferner wurde geltend gemacht, dass ein Gespräch mit dem zuständigen Gericht (BVGer) über die Verfahrenstermine nützlich gewesen wäre. Es wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass das Bankengesetz die FINMA zwar legitimiere, einer Bank Weisungen zu erteilen. Das Bankengesetz legitimiere jedoch keine notrechtliche Verfügung, welche den verfassungsmässigen Anspruch auf den Richter einschränke. Notrecht könne nur der Bundesrat selber anwenden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diesbezügliche Klagen unter Umständen gutgeheissen würden. Eine Staatshaftung könne nur dann ausgeschlossen werden, wenn der Bundesrat direkt gestützt auf die Bundesverfassung die Herausgabe der Kundendaten anordne. Im unterbreiteten Beschlussentwurf nehme der Bundesrat Kenntnis vom Vorgehen der FINMA: Diese Kenntnisnahme sei aber konstitutiv. Das sei ein Zwitterding: Der Bundesrat wolle sich draussen halten und würde dennoch beschliessen.

3365

Innerhalb des Kollegiums wurde bezüglich der rechtlichen Grundlagen für eine Datenherausgabe durch die FINMA eine saubere juristische Analyse über die Korrektheit des beantragten Beschlusses verlangt.

Zum Vorgehen wurde u. a. vorgebracht, der Bundesrat könne nicht vor der FINMA entscheiden. Vielmehr müsse die FINMA ihre Aufsichtsaufgabe wahrnehmen. Es sei dann Sache des Bundesrats, ihren Entscheid zur Kenntnis zu nehmen. Andernfalls könnte sich die FINMA auf den Standpunkt stellen, der Bundesrat habe ihr Anweisungen gegeben. Es wurde ein Ordnungsantrag gestellt: 1. Abschluss des Settlements; 2. Verfügung FINMA; 3. Kenntnisnahme durch den Bundesrat. Falls die UBS die FINMA um Hilfe angegangen sei, müsste dies ebenfalls dokumentiert sein.

Auch vertreten wurde die Auffassung, es müsse so gehandelt werden, dass sich der Schaden in Grenzen halte; es sei zu vermeiden, dass der Bundesrat von seiner verfassungsmässigen Notrechtskompetenz Gebrauch machen müsse.

Abklärungen hätten ergeben, dass keine Notstandsituation vorliege. Das Kollegium habe die Möglichkeit, dass der Bundesrat die Herausgabe der Kundendaten gestützt auf die Bundesverfassung anordne, nie diskutiert; es sei nicht Sache des Bundesrats, hier den Lead zu übernehmen.

Verschiedentlich wurde an das Vorgehen gemäss Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 erinnert. Der Ordnungsantrag blieb unbestritten.

Am Ende der Diskussion war sich das Kollegium einig, dass der Bundesrat an seinem Vorgehen gemäss Beschluss vom 19. Dezember 2008 festhalten wolle. Dem Antrag um Klärung der Rechtsgrundlage wurde stillschweigend keine Folge gegeben.

3.5.2.4

FINMA beschliesst Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes

Am Nachmittag des 18. Februar 2009 beschloss der Verwaltungsrat der FINMA, eine Schutzverfügung nach den Artikeln 25 und 26 des Bankengesetzes796 zu erlassen, und befahl der UBS, diejenigen Kundendaten unverzüglich herauszugeben, welche jene Kriterien erfüllten, die im Account Disclosure Letter vereinbart waren.

Am selben Nachmittag erhielt die FINMA von der UBS ein zweites, unterschriebenes Exemplar des Drohbriefs des DOJ.

Schliesslich übermittelte die FINMA dem Vorsteher des EFD für die Sitzung des Bundesrats ein Memorandum zur Vereinbarung. Es enthielt eine Beschreibung der Grundzüge und Mechanismen der Vereinbarung mit dem DOJ und der SEC, ähnlich der Beschreibung im Statusbericht vom 13. Februar 2009. Nach Angaben der UBS ging es bei der Anzahl Kundendaten um 255 Konten, jedoch hat keine schweizerische Behörde überprüft, was genau übermittelt worden ist.

Der Bundesrat hielt am gleichen Abend nochmals eine kurze Sitzung ab. Er traf folgenden Beschluss: 1.

796

Er nahm Kenntnis vom Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009.

SR 952.0

3366

2.

Er nahm weiter zur Kenntnis, dass zwischen der UBS, der SEC und dem DOJ ein Vergleich (Deferred Prosecution Agreement) geschlossen worden war, ohne Einbezug des IRS.

3.

Der Bundesrat nahm ebenfalls zur Kenntnis, dass die FINMA gestützt auf Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes im Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen als auch des globalen Finanzsystems gegenüber der UBS Schutzmassnahmen verfügt hatte. Laut dieser Verfügung werde die FINMA Kundendaten der UBS, bei denen gemäss Bank Verdacht auf Steuerbetrug nach schweizerischem Recht bestehe, an das DOJ herausgeben.

4.

Der Bundesrat beschloss ferner, die Einladung des PSI zum Hearing vom 24. Februar 2009 nicht anzunehmen und das EFD zu beauftragen, zu den im Schreiben gestellten Fragen schriftlich Stellung zu nehmen.

5.

Dem EFD wurde der Auftrag erteilt, zu prüfen, wie im Amtshilfeverfahren in Sachen UBS weiter zu verfahren sei, und den Bundesrat entsprechend zu informieren bzw. Antrag zu stellen.

Ob die schriftliche Androhung des Indictment dem Bundesrat schliesslich vorlag, ist den GPK nicht bekannt. Diese Androhung befand sich nicht in den der GPK vom Bundesrat abgegebenen Unterlagen.797 Um 21 Uhr 51 einigten sich das DOJ, die SEC und die UBS auf die Vereinbarung, die daraufhin gerichtlich genehmigt wurde. Die Genehmigung wurde der FINMA umgehend mitgeteilt.

Zwischen 22 Uhr und 22 Uhr 30 informierte die FINMA die UBS über die Genehmigung. Die UBS händigte daraufhin den Datenträger an die FINMA aus und übermittelte der FINMA das Passwort für den Zugang auf den Datenträger. Eine halbe Stunde später übergab die FINMA den Datenträger einem Vertreter der US-Botschaft in Bern. Anschliessend wurde das Passwort direkt an Bruce Swartz des DOJ übermittelt. Gemäss Aussagen der FINMA wurden die von der Bank erhaltenen Kundendaten durch die FINMA nicht geprüft, so dass die Identität der einzelnen Kunden der FINMA nicht bekannt ist. Es habe sich um eine Schutzmassnahme gehandelt, um die Insolvenz der Bank zu verhindern. Es sei deshalb nicht Aufgabe der FINMA gewesen, die Daten zu prüfen.798

3.5.2.5

FINMA orientiert die Öffentlichkeit über die Übergabe der Kundendaten

In einer Medienmitteilung vom 18. Februar 2009 stellte die FINMA die Lage im Überblick dar. Sie begrüsste insbesondere den zwischen der UBS und den US-Behörden abgeschlossenen Vergleich, durch den eine unmittelbar drohende förmliche Anklage der Bank in den USA hatte verhindert werden können. Um die Folgen einer solchen Anklage für die UBS und die Stabilität des Schweizer Finanzsystems abwenden zu können, hatte die FINMA die sofortige Übergabe einer 797

Gemäss der FINMA wurde dem Vorsteher des EFD mit Schreiben der EBK vom 18.2.2009 der Brief des DOJ, der die Anklagedrohung enthielt, zugestellt. Es handelte sich um einen genehmigten Entwurf. Der unterzeichnete Brief traf erst am Nachmittag des 18.2.2009 ein.

798 Schriftliche Antworten der FINMA im Nachgang zur Anhörung vom 15.4.2010.

3367

begrenzten Zahl von Kundendaten an die US-Behörden angeordnet. Die FINMA gab zudem das Ergebnis der Untersuchung der EBK799 gegen die UBS in dieser Sache bekannt. In ihrer Verfügung rügte die EBK die UBS wegen schwerer Verletzung von Bestimmungen des Schweizer Bankengesetzes durch einzelne Mitarbeitende und gravierenden Mängeln im Umgang mit den Rechtsrisiken ihres Geschäfts mit US-Kunden.

Am 19. Februar 2009 gab der Bundesrat eine Erklärung zum Entscheid der FINMA in Sachen UBS ab: Es wurde ausgeführt, der Bundesrat habe zur Kenntnis genommen, dass die UBS mit der amerikanischen Justizbehörde einen Vergleich abgeschlossen habe. Er habe weiter zur Kenntnis genommen, dass die FINMA gestützt auf Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes im Interesse der Stabilität sowohl des schweizerischen wie auch des globalen Finanzsystems Schutzmassnahmen gegenüber der UBS verfügt habe. Die Verfügung sehe vor, dass die FINMA Kundendaten der UBS, bei denen gemäss Bank Verdacht auf Steuerbetrug nach schweizerischem Recht besteht, an das DOJ herausgeben werde. Der Schutz und der Erhalt der Funktionsfähigkeit des schweizerischen Finanzsystems zugunsten der Volkswirtschaft sei ein wichtiges Ziel des Bundesrats. Das Bankgeheimnis bleibe weiterhin bestehen. Es schütze die Privatsphäre. Es schütze dagegen keinen Steuerbetrug. Der Bundesrat erwarte von sämtlichen Finanzintermediären, dass sie die Gesetze einhielten. Der Bundesrat stelle fest, dass die FINMA ihre Verantwortung wahrnehme und dass die Aufsicht über den Finanzsektor funktioniere. Der Bundesrat habe das EFD beauftragt zu prüfen, wie im Amtshilfeverfahren, das die ESTV in Sachen UBS führe, weiter zu verfahren sei.

Der Bundespräsident hielt zudem am frühen Nachmittag des gleichen Tages einen Point de Presse im Medienhaus ab.

3.5.3

Rolle der Behörden in dieser Phase

3.5.3.1

Allgemein

Nachdem der Bundesrat an seiner Sitzung vom 19. Dezember 2008 klar festlegte, dass das Problem durch die EBK im Rahmen ihrer Aufsichtskompetenzen zu lösen sei und die Aufgabe der zentralen Bundesverwaltung sich auf die beförderliche Behandlung des Amtshilfegesuchs des IRS beschränke, war nur noch ein Teil der bisher involvierten Behörden in der Phase von Ende Dezember 2008 bis zum 18. Februar 2009 aktiv in dieses Dossier involviert. Nachfolgend werden nur Handlungen dieser Akteure erläutert.

3.5.3.2

EBK/FINMA

Am 19. Dezember 2008 wurde die EBK durch den Bundesrat ersucht, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um existenzgefährdende unilaterale Zwangsmassnahmen des DOJ gegen die UBS zu verhindern. Dieses Ersuchen erfolgte im Wissen 799

Es handelt sich um den 18-seitigen Kurzbericht «Untersuchung der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA», veröffentlicht am 18.2.2009, der sich auf den vollständigen und vertraulichen 161-seitigen Bericht vom 17.12.2008 stützt.

3368

darum, dass die EBK gestützt auf Artikel 25 f. BankG eine Datenherausgabe anordnen könnte.

Am 21. Dezember 2008 nahm die EBK von der politischen Unterstützung des Bundesrats Kenntnis. Gestützt auf die Resultate der EBK-Untersuchung erliess sie gegen die UBS eine Verfügung, worin sie der UBS ein Verbot für die Weiterführung des non-W9-Geschäfts aussprach und diese zum Aufbau eines Risikomanagementund Risikokontrollsystems im grenzüberschreitenden Geschäft verpflichtete. In der Verfügung wurden u. a. der Verstoss der UBS gegen das Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes, die Schwere der festgestellten Mängel im Risikomanagement und bei der Risikokontrolle sowie das Unwissen der obersten Geschäftsleitung der UBS von den Betrugsmanövern der amerikanischen Bankkunden und von der Verletzung von SEC-Restriktionen durch einzelne Mitarbeiter der Bank festgehalten. Ebenfalls an dieser Sitzung genehmigte die EBK einen Verfügungsentwurf für die allfällige Anordnung von Schutzmassnahmen gemäss Artikel 25 f. BankG.

Am 8. Januar 2009 übermittelte die FINMA ­ am 1. Januar 2009 war die EBK in die neue FINMA übergegangen ­ dem Vorsteher des EFD, dem Leiter der Arbeitsgruppe Karrer und dem Präsidenten der SNB eine Informationsnotiz zu den aus ihrer Sicht auf politischer Ebene notwendigen flankierenden Massnahmen bei einer allfälligen Datenübergabe gestützt auf Artikel 25 f. BankG. Vorgängig dazu hatte Alexander Karrer den Vorsteher des EFD informiert, dass die FINMA Schwierigkeiten mit dem Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 hatte und eine politische Einbettung als notwendig erachtete. In der Informationsnotiz wurde dargelegt, dass ein Vergleich mit dem DOJ sehr wahrscheinlich, mit der SEC möglich und mit dem IRS sehr schwierig sei. Die FINMA wies in dieser Notiz auch auf die möglichen Konsequenzen eines solchen Vergleichs hin und war der Ansicht, dass dieser hohe politische Wellen werfen und deshalb die Exekutive gefordert sein werde.

Über ein Treffen mit dem Fed am 12. Januar 2009 erfuhren die FINMA und die SNB, dass sich der IRS nicht am Vergleich mit der UBS beteiligen wollte.

Am 1. Februar 2009 rief der Vize-Präsident der UBS den Präsidenten der FINMA an und teilte diesem mit, dass eine Anklageerhebung gegen die UBS in den USA unmittelbar bevorstehe.

Der Vorsteher des EFD traf
am 5. Februar 2009 den Präsidenten der SNB und den Präsidenten der FINMA. Im Hinblick auf dieses Treffen hatte die ESTV eine Situationsanalyse erstellt. U. a. war an diesem Treffen auch der am selben Tag erhaltene Brief der UBS, welcher über die unmittelbar bevorstehende Anklageerhebung informierte, Gegenstand der Diskussion. Die FINMA informierte über den Druck seitens des DOJ und der UBS, rasch über eine Einigung kommunizieren zu können.

Der Vorsteher des EFD sprach sich gegen den Abschluss eines Vergleichs (bzw.

gegen die damit verbundene Herausgabe von Kundendaten) ohne Einbezug des IRS aus und war auch der Ansicht, dass die UBS selber handeln müsse. Seitens der amerikanischen Behörden hätte er keine Signale im Hinblick auf eine Überarbeitung des DBA erhalten.

Am 12. Februar 2009 traf der Präsident der FINMA den Vorsteher des EFD, um eine Bestandesaufnahme vorzunehmen. Dabei informierte er, dass der Einbezug des IRS nicht habe erreicht werden können. Der Vorsteher des EFD bekräftigte seinerseits die Unterstützung des Bundesrats für das geplante Vorgehen der FINMA.

3369

In einem Brief der UBS vom 13. Februar 2009 wurde die FINMA erneut auf die aus Sicht der Bank unhaltbare Situation der UBS hingewiesen. Die Bank forderte die FINMA auf, die Herausgabe der Kundendaten zu veranlassen.

Anlässlich einer Telefonkonferenz vom gleichen Tag zwischen der FINMA (in Anwesenheit des Leiters für Internationales der ESTV) und dem Fed wurde das Fed informiert, dass die EBK schon im Dezember 2008 der UBS grünes Licht zur Aushandlung des Vergleichs gegeben habe. Das Fed orientierte seinerseits, dass es in dieser Sache kein Vetorecht habe, jedoch die zuständigen amerikanischen Behörden auf die Konsequenzen einer Anklageerhebung aufmerksam machen werde. Ebenfalls Gegenstand des Gesprächs war die Situation bezüglich Peter Kurer und Marcel Rohner. Das Fed brachte dabei zum Ausdruck, dass es aus amerikanischer Warte unverständlich sei, dass diese Führungspersonen nicht von ihren Funktionen zurückgetreten seien. Diesbezüglich wurde erwidert, dass die Genannten zwar Fehler begangen hätten, jedoch aufsichtsrechtlich nicht für die ganze Problematik rund um das grenzüberschreitende Geschäft der UBS in den USA verantwortlich gemacht werden könnten.

In einem Brief und einem Bericht wies die FINMA den Vorsteher des EFD zuhanden des Gesamtbundesrats erneut auf die gravierenden Folgen einer Anklageerhebung gegen die UBS hin und kündigte an, dass der Verwaltungsrat der FINMA an seiner Sitzung vom 18. Februar 2009 die im Raum stehende Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 f. BankG werde ergreifen müssen. Die FINMA informierte darin ebenfalls über die fehlgeschlagene Einbindung des IRS in den Vergleich der UBS und die dadurch zu erwartende Durchsetzung des John Doe Summons noch vor dem 24. Februar 2009. Im Weiteren gab der Bericht detailliert über den Inhalt des unterschriebenen DPA und der damit zwingend verbundenen Datenherausgabe Auskunft.

Die FINMA präsentierte in ihrem Bericht drei Handlungsoptionen, versehen mit einer Beurteilung (1. keine Einmischung der FINMA bzw. der schweizerischen Behörden, 2. Schutzmassnahme der FINMA gestützt auf Artikel 25 f. BankG und 3. Aufnahme intensiver Gespräche auf politischer Ebene). Dieser Bericht wurde durch das EFD u. a. dem Gesamtbundesrat im Hinblick auf die Bundesratssitzung vom 18. Februar 2009 zugestellt. Der Bericht der FINMA ging auch an die SNB
(15.2.2009), den Leiter der Arbeitsgruppe Karrer (15.2.2009), den Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV (15.2.2009) und den Verwaltungsrat der FINMA (16.2.2009). Letzterer erhielt zu diesem Zeitpunkt auch alle Dokumente zum DPA.

Am 18. Februar 2008 übermittelte die FINMA dem Vorsteher des EFD die noch nicht unterschriebene Fassung des Drohbriefs des DOJ, worin dieser den nächsten Schritt zur Anklageerhebung androhte.

Der Verwaltungsrat der FINMA tagte am Nachmittag des gleichen Tages. Er beschloss die Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 f. BankG und wies die UBS zur Datenherausgabe an die FINMA an. Während dieser Sitzung traf dann auch die unterschriebene Fassung des DOJ-Drohbriefs ein. Die FINMA liess dem Vorsteher des EFD zuhanden des Gesamtbundesrats ein Memorandum über das DPA zukommen.

Nachdem spät abends das zuständige amerikanische Gericht den Vergleich zwischen dem DOJ, der SEC und der UBS genehmigte, leitete die FINMA die zuvor von der UBS erhaltenen Kundendaten über die amerikanische Botschaft in der Schweiz an die amerikanischen Behörden weiter.

3370

Die FINMA nahm keine Überprüfung der übermittelten Datensätze vor und war deshalb auch nicht über die Identität der betroffenen Kunden informiert. Der Entscheid der FINMA sowie die Ergebnisse ihrer Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA wurde am selben Tag veröffentlicht.

3.5.3.3

Schweizerische Nationalbank

In dieser Phase der Krise wurde die SNB regelmässig über den Stand des Dossiers informiert, da der Beschluss des Bundesrats vom 19. Dezember 2008 der EBK die Verantwortung dafür übertragen hatte, angemessene Massnahmen zu ergreifen, um eine ernsthafte Gefährdung der UBS zu verhindern. Die SNB wurde am 24. Dezember 2008 über die Einzelheiten dieses Bundesratsbeschlusses unterrichtet.

Am 8. Januar 2009 erhielt die SNB eine Notiz der FINMA über die Vorbereitungen zur Übergabe von Kundendaten, die damals bereits organisiert worden war.

Am 12. Januar 2009 trafen sich der Präsident der SNB und der Präsident der FINMA mit Ben Bernanke des Fed. In diesem Treffen bestätigte sich, dass der IRS sich nicht am DPA beteiligen würde. Aufgrund dieses Treffens konnte festgestellt werden, welche Behörden sich in die Verhandlung des DPA einbinden lassen würden.

Am 5. Februar 2009 erhielt der Präsident der SNB das Schreiben der UBS, in dem diese den Bundesrat bat, das DPA zu unterstützen und mit Gesprächen im Hinblick auf eine Neuverhandlung des DBA zu beginnen. Dieser Brief wurde vom neuen Bundespräsidenten anlässlich des am selben Tag stattgefundenen Treffens mit dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der FINMA als Versuch interpretiert, die Regierung zu involvieren. Den GPK ist nicht bekannt, was die SNB in dieser Sitzung ausführte.

Am 15. Februar 2009 erhielt die SNB den Lagebericht der FINMA zur Übergabe von Kundendaten, der am 13. Februar 2009 verfasst worden war.

3.5.3.4

Eidgenössisches Finanzdepartement

Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV Alexander Karrer, der Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV, war auch in dieser Phase ein wichtiges Scharnier zwischen den involvierten Behörden. Er informierte regelmässig den Vorsteher des EFD über die Entwicklungen und seine Beurteilungen derselben. Gemäss Angaben des EFD fanden im betrachteten Zeitraum zwei bilaterale Treffen zwischen dem Vorsteher des EFD und Alexander Karrer statt.

Eidgenössische Steuerverwaltung Die ESTV beschränkte sich in dieser Phase hauptsächlich auf Kritik und Kommentare zu den laufenden Verhandlungen mit den US-Behörden, insbesondere zum DPA.

3371

Am 16. Januar 2009 äusserte der Direktor der ESTV sich zur Wahrscheinlichkeit einer Revision des DBA. Es schien ihm riskant, Gespräche im Hinblick auf eine Revision des DBA zu beginnen, solange die UBS noch unter Druck stand.

Am 21. Januar 2009 unterhielt sich der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV mit einem Vertreter des IRS. Er teilte seinem Gesprächspartner mit, dass das BVGer in Kürze seinen ersten Entscheid fällen werde. Der Vertreter des IRS informierte ihn, dass das DOJ allein mit dem IRS verhandeln wollte und dass der IRS noch nicht zur Anhörung des PSI eingeladen worden war. Man erwog eine Sitzung des Direktors der ESTV mit seinem Amtskollegen des IRS.

Am 5. Februar 2009 meldete der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV in einem Schreiben an die Generalsekretärin des EFD und Alexander Karrer ernsthafte Vorbehalte gegenüber der Vereinbarung mit dem DOJ an. Seiner Ansicht nach war die FINMA in ihrer Führung des Dossiers nicht genügend transparent. Er schlug deshalb vor, dass das EFD die Leitung des Dossiers übernehmen und mit den US-Behörden verhandeln solle. Am selben Tag teilte die ESTV mit, dass der erste Entscheid des BVGer für Mitte April 2009 zu erwarten sei.

Am 10. Februar 2009 unterrichtete Alexander Karrer die ESTV, dass die Anhörung des PSI am 24. Februar 2009 stattfinden werde und dass er sich gegen eine Teilnahme der Schweiz ausspreche.

Am selben Tag teilte der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV der Generalsekretärin des EFD und Alexander Karrer mit, dass er dem DPA nicht zustimme, da dieses nicht alle US-Behörden einschloss. Ausserdem sei eine Verknüpfung des DPA mit einer Revision des DBA ein schlechter Ausgangspunkt für Verhandlungen mit den US-Behörden.

Am 13. Februar 2009 wohnte der Leiter der Abteilung für Internationales einer Telefonkonferenz zwischen dem Präsidenten der FINMA, dem Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA und dem General Counsel des Fed bei. Dabei kamen insbesondere die Risiken einer Strafklage gegen die Führungskräfte der UBS zur Sprache.

Am 15. Februar 2009 erhielt die ESTV den Lagebericht der FINMA vom 13. Februar 2009, in dem die Einzelheiten des DPA mit den US-Behörden aufgeführt waren.

Vorsteher des EFD Der Vorsteher des EFD wurde am 8. Januar 2009 durch Alexander
Karrer schriftlich über die aktuelle Situation informiert. Darin wurde er u. a. orientiert, dass ein Vergleich der UBS mit allen Behörden noch möglich schien und dass der Verwaltungsrat der FINMA eine allfällige Schutzmassnahme gemäss Artikel 25 f. BankG in ein politisches Konzept des Bundesrats eingebettet wissen wollte. Das Dokument äusserte sich auch zur noch offenen Frage, ob die Schweiz die Einladung des PSI zur Teilnahme am Hearing vom 24. Februar 2009 annehmen sollte.

Am selben Tag hatte die FINMA eine Informationsnotiz u. a. dem Vorsteher des EFD zukommen lassen, worin es um die schon erwähnte politische Einbettung ging.

Die Notiz informierte ebenfalls, dass die Einbindung des IRS in den Vergleich schwierig sei. Zentrales Element eines Vergleichs sei die Datenherausgabe, welche die FINMA gegebenenfalls als Schutzmassnahme anordnen würde. In der Notiz wurde der Vorsteher des EFD auf die politischen Probleme eines solchen Vorgehens 3372

und der damit aus Sicht der FINMA einhergehenden Herausforderungen an die Exekutive und die Politik aufmerksam gemacht.

An der Bundesratssitzung vom 14. Januar 2009 erfolgte durch den Vorsteher des EFD eine Orientierung zum Stand des Geschäfts, wobei den GPK aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen unklar blieb, wie umfassend diese ausfiel.

Gemäss Aufzeichnungen der BK informierte der Vorsteher des EFD u. a., dass der IRS am ordentlichen Amtshilfeverfahren interessiert sei und dass das EFD erwäge, Sondierungsgespräche mit dem IRS zu führen.

Der Direktor der ESTV informierte den Vorsteher des EFD am 16. Januar 2009 über seine Überlegungen zu einer allfälligen Revision des DBA.

In einer kurzen Analyse einer allfälligen Datenherausgabe auf der Basis von Artikel 184 Absatz 3 BV wies der Rechtsdienst des EFD am 21. Januar 2009 darauf hin, dass bei Erlass einer Verfügung der Bund nach Verantwortlichkeitsgesetz haftbar gemacht werden könnte, wogegen dieses Risiko bei Erlass einer entsprechenden Verordnung geringer sei.

Der Vorsteher des EFD informierte den Gesamtbundesrat anlässlich der Sitzung vom 28. Januar 2009 über den Stand des Amtshilfeverfahrens sowie über die Absicht des IRS, alle 19 000 Kundendaten einzusehen.

Im Januar 2009 fand ein Gespräch zwischen dem Vorsteher des EFD und einer persönlichen Beraterin des neuen amerikanischen Präsidenten statt. Dabei ging es u. a. darum, die Bereitschaft der US-Behörden für ein weiteres Zuwarten auf den Ausgang des Amtshilfeverfahrens auszuloten.

Am 4. Februar 2009 erhielt der Vorsteher des EFD von Alexander Karrer eine Notiz zur Kommunikation der schweizerischen Behörden im Falle einer Datenherausgabe durch die FINMA. Ebenfalls an diesem Datum informierte ihn Alexander Karrer über die Vorbehalte der ESTV bezüglich der von der UBS gegenüber dem DOJ und dem IRS anlässlich der Vergleichsverhandlungen signalisierten Bereitschaft der Schweizer Behörden, Gespräche im Hinblick auf Verhandlungen für ein neues DBA aufnehmen zu wollen. Der Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV hatte auch angeregt, dass das EFD die Federführung dieses Dossiers wieder übernehmen sollte. Dieser Informationsnotiz war auch zu entnehmen, dass die UBS die Hoffnung hegte, der Bundesrat möge Verständnis für die im Rahmen des Vergleichs ausgehandelte Übermittlung
von Kundendaten zeigen und sich auch bereit erklären, Verhandlungen im Hinblick auf eine Revision des DBA mit den amerikanischen Behörden aufzunehmen. Im Weiteren wurde darin der Vorsteher des EFD informiert, dass ein erster Entscheid des BVGer Mitte April 2009 zu erwarten sei. Einer Datenübergabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens stand Alexander Karrer kritisch gegenüber, da damit das Problem nicht umfassend gelöst werden könne. In diesem Dokument wurden zwei Handlungsoptionen vorgeschlagen: Die UBS übermittelt die gewünschten Daten selbst an die amerikanischen Behörden (ohne Massnahmen des Bundesrats oder der FINMA), oder der Bundesrat übernimmt die Federführung des Dossiers und unternimmt Schritte zur Aufnahme von Verhandlungen für eine Revision des DBA (unter der Bedingung, dass die amerikanischen Behörden bereit sind, den Ausgang des Amtshilfeverfahrens abzuwarten).

Die UBS informierte u. a. den Vorsteher des EFD am 5. Februar 2009, dass die Vergleichsverhandlungen kurz vor dem Abschluss stünden, der IRS jedoch nicht habe eingebunden werden können.

3373

Anlässlich eines Treffens mit den Präsidenten der SNB und der FINMA am 5. Februar 2009 informierte der Vorsteher des EFD, er werde versuchen, mit dem neuen amerikanischen Finanzminister über dieses Dossier zu sprechen. Das Schreiben der UBS sei aus seiner Sicht ein Versuch, die schweizerische Regierung in die Pflicht zu nehmen, die UBS müsse jedoch selbst handeln. Er könne diese politische Verantwortung nicht übernehmen; er habe bisher auch keine Signale seitens der amerikanischen Behörden für eine Neuverhandlung des DBA erhalten.

An der Bundesratssitzung vom 11. Februar 2009 orientierte der Vorsteher des EFD das Kollegium, dass die USA die Namen von 250 betrugsverdächtigten amerikanischen Kunden der UBS verlangten. In die Vergleichsverhandlungen der UBS habe der IRS nicht eingebunden werden können. Die UBS habe ein stärkeres Commitment des Bundesrats gewünscht, was aus seiner Sicht jedoch nicht angebracht wäre. Das EFD erhielt an dieser Sitzung den Auftrag, bis zur nächsten Sitzung des Bundesrats ein Aussprachepapier zu allfälligen Anpassungen des DBA auszuarbeiten.

Am 12. Februar 2009 traf der Vorsteher des EFD den Präsidenten der FINMA, um eine Bestandesaufnahme vorzunehmen. Dabei informierte die FINMA, dass der Einbezug des IRS nicht gelungen sei. Der Vorsteher des EFD bekräftigte seinerseits die Unterstützung des Bundesrats für das geplante Vorgehen der FINMA.

Wie im Kapitel zur FINMA bereits dargelegt, hatte diese am 13. Februar 2009 dem Vorsteher des EFD eine Situationsanalyse in Form eines Berichts zuhanden des Gesamtbundesrats zukommen lassen. Am 14. Februar 2009 diskutierte er darüber mit dem Präsidenten der FINMA, ebenso wie über die ultima ratio einer Datenherausgabe gestützt auf das Bankengesetz. Für den Fall, dass eine Datenherausgabe unausweichlich würde, unterstützte der Vorsteher des EFD ein Vorgehen gestützt auf das Bankengesetz.

Für die Sitzung des Bundesrats vom 18. Februar 2009 liess der Vorsteher des EFD den Mitgliedern des Kollegiums eine Informationsnotiz sowie die von der FINMA erhaltenen Informationen zukommen. Nebst dem schon Gesagten setzte sich die Notiz auch mit der bevorstehenden Anhörung vor dem PSI des amerikanischen Senats auseinander. Der Vorsteher des EFD beantragte, an der Anhörung nicht teilzunehmen, die gestellten Fragen jedoch schriftlich zu beantworten. Es
wurde ebenfalls informiert, dass der IRS nicht habe eingebunden werden können und deshalb nicht auszuschliessen sei, dass dieser noch vor dem 24. Februar 2009 das John Doe Summons weiterführen werde. Aus den Unterlagen des Bundesrats zu dieser Sitzung ist ersichtlich, dass für den Vorsteher des EFD die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu diesem Zeitpunkt nicht zur Disposition stand.

Am selben Tag erhielt der Vorsteher des EFD zuhanden des Bundesrats von der FINMA ein Memorandum über den Vergleich.

Am frühen Nachmittag des 19. Februars 2009 führte der Vorsteher des EFD in seiner Funktion als Bundespräsident einen Point de Presse durch.

3374

3.5.3.5

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten

Schweizerische Botschaft in den USA Die Schweizer Botschaft in Washington wurde weiterhin regelmässig vom Group General Counsel der UBS über den Stand der Verhandlungen zwischen der UBS und dem DOJ unterrichtet. Sie informierte daraufhin die betroffenen schweizerischen Behörden.

Am 22. Dezember 2008 wurde die Schweizer Botschaft kontaktiert in Bezug auf eine mögliche Beteiligung der Schweizer Regierung an der Anhörung des PSI am 29. Januar 2009. Sie informierte das EFD.

Am 12. Januar 2009 sandte der Schweizer Botschafter in den USA den Generalsekretariaten des EDA, des EVD, des EJPD und des EFD einen Fax. Er hatte sich mit dem Team von Senator Levin getroffen und plädierte auf Grundlage dieses Gesprächs gegen eine Teilnahme der schweizerischen Regierung an einer Anhörung.

Am 5. Februar 2009 schrieb der Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung der Botschaft an Alexander Karrer, um diesen über die Entwicklung des Dossiers auf Seiten der amerikanischen Behörden und die potenziellen Risiken zu unterrichten, die mit einem Strategiewechsel in den Verhandlungen zwecks einer Einbeziehung des IRS verbunden wären.

Am 10. Februar 2009 sandte der Schweizer Botschafter in den USA dem EDA, dem EFD, dem EVD und dem EJPD eine E-Mail. Er erwähnte darin, dass der neue US-Justizminister im Fall des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA in den Ausstand hatte treten müssen. Ausserdem war das DOJ nicht länger bereit, die Ergebnisse der Amtshilfe abzuwarten, da das DPA auf gutem Wege zu sein schien. Der Botschafter hielt fest, dass das DPA die SEC mit einschloss und dass das Fed die Vereinbarung unterstützte.

Am 11. Februar 2009 erhielt der Schweizer Botschafter in den USA von Senator Levin eine Einladung an die Schweizer Regierung für die Anhörung vom 24. Februar 2009.

Am 12. Februar 2009 verfasste das Anwaltsbüro der Schweizer Botschaft ein Memorandum zum John Doe Summons. Es betonte darin die wahrscheinlichen Folgen einer Übergabe von Kundendaten an das DOJ, nämlich den erhöhten Druck auf die Schweizer Regierung, zusätzliche Ausnahmen vom Bankgeheimnis zuzulassen. Die Strategie des IRS schien nur schwer vorhersehbar, da in diesem Fall seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stand. Einerseits stand er unter starkem Druck von Seiten des Kongresses, andererseits waren mit einer potenziellen Niederlage im Prozess gegen die UBS hohe Risiken verbunden.

3.5.3.6

Bundesrat

Bundesratssitzung vom 14. Januar 2009 Wie die GPK festgestellt haben, wurden an dieser Sitzung keine formellen Beschlüsse gefasst. Dem EFD wurden auch keine Aufträge erteilt. Vielmehr verhielt sich der Bundesrat vollkommen passiv.

3375

Bundesratssitzung vom 28. Januar 2009 Innerhalb des Kollegiums wurde das Thema nicht diskutiert. Der Bundesrat hat weder Beschlüsse gefasst, noch Aufträge erteilt. Der Bundesrat verhielt sich wiederum passiv.

Bundesratssitzung vom 11. Februar 2009 Wie die GPK festgestellt haben, war der Informationsstand der einzelnen Mitglieder des Bundesrats am 11. Februar 2009 rudimentär.

An dieser Sitzung traten erstmals die Folgen des ­ auf der Zeitachse nach wie vor nicht klar bestimmbaren ­ Beschlusses aus dem Jahr 2008 des Bundespräsidenten, keine Aufzeichnungen von den Diskussionen und Verhandlungen des Kollegiums i. S. UBS/USA zu machen, offen zutage. Dieser Mangel wirkte sich dahingehend aus, dass der Bundesrat nur wenige Tage vor der Herausgabe von Kundendaten durch die FINMA weder ein einheitliches, noch ausreichendes Bild vom Ausmass und von der Tragweite des Konflikts mit den amerikanischen Behörden hatte. Der nicht mehr negierbare enge Sachzusammenhang mit und zum DBA Schweiz ­ USA führte dann immerhin zur Erteilung eines entsprechenden Abklärungsauftrags an den Vorsteher des EFD.

3.5.3.7

Bundesverwaltungsgericht

Das BVGer war in diesem Zeitraum im Beschwerdeverfahren aktiv. Es sollte sich im Nachhinein erweisen, dass zum Zeitpunkt der Datenübergabe die Erarbeitung des ersten Entscheids des BVGer schon weit fortgeschritten war.800 Er erging dann schliesslich am 5. März 2009, also zwei Wochen nach der eigentlichen Datenübergabe. Der Gerichtspräsident informierte die GPK, dass vom fortgeschrittenen Verfahrensstand seitens der Behörden vermutlich niemand wusste.801 Das BVGer wurde von den involvierten Behörden vorgängig nicht über die hohe Dringlichkeit der Angelegenheit informiert. Es wurde im Februar 2009 auch nicht über die zunehmend ausweglose Situation ins Bild gesetzt. Es wurde ihm auch nicht vorgängig mitgeteilt, dass eine Datenherausgabe gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG erfolgen würde. Ebenso wenig wurde es von der FINMA über die vollzogene Datenherausgabe vom 18 Februar 2009 informiert. Der Gerichtspräsident sagte vor den GPK aus, die Verfügung habe «wie ein Blitz aus heiterem Himmel» beim BVGer eingeschlagen.802 Zwei Tage später gingen die Beschwerden gegen die FINMA-Verfügung vom 18. Februar 2009 ein. Am 19. Februar 2009 versuchte das BVGer, die Datenübergabe mit superprovisorischen Verfügungen zu stoppen, doch die Daten befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in amerikanischen Händen. Das Verfahren zur Rechtmässigkeit der FINMA-Verfügung wurde seitens des BVGer mit Entscheid vom 5. Januar 2010 abgeschlossen. Dieser Entscheid befand, dass die Datenübergabe gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG nicht rechtmässig gewesen sei. Die

800

Gemäss Aussage des Gerichtspräsidenten vor den GPK befand sich der Entscheid Mitte Februar 2009 in Zirkulation (Bereinigungsphase).

801 Anhörung des Gerichtspräsidenten Christoph Bandli durch die GPK vom 19.3.2010, S. 5.

802 Ebd., S. 3.

3376

FINMA zog diesen Entscheid an das Bundesgericht weiter; das Verfahren ist noch hängig.

3.5.4

Folgen der Datenübergabe vom 18. Februar 2009

3.5.4.1

Wieder zunehmender Druck der USA über das zivilrechtliche Verfahren gegen die UBS

Am Tag nach dem Entscheid der FINMA, der UBS die Übergabe von Kundendaten an das DOJ anzuordnen, hinterlegte der IRS beim United States District Court Southern District of Florida eine gerichtliche Mahnung mit Aufforderung an die UBS, die Gründe ihrer Weigerung, dem John Doe Summons nachzukommen, zu unterbreiten.803 Am 20. Februar 2009 untersagte das BVGer mittels superprovisorischer Verfügung der FINMA sowie der UBS, Bankunterlagen oder Dokumente der beschwerdeführenden amerikanischen Kunden an Dritte, insbesondere an die amerikanischen Behörden, herauszugeben.

Am 24. Februar 2009 stellte die FINMA dem Vorsteher des EFD und dem BJ, dem EDA sowie der ESTV elektronisch eine Aktennotiz zu, worin sie eine Beurteilung der Situation vornahm und mögliche Elemente einer Strategie aufzeigte. Vorab bezweifelte die FINMA, dass die UBS einen allfälligen Herausgabeanspruch der US-Behörden ohne Hilfe des Schweizer Staates würde abwehren können. Aus diesem Grund erachtete sie eine staatliche Intervention als notwendig. Eine solche müsste jedoch Teil einer Gesamtstrategie der Schweizer Regierung sein und folgende Elemente enthalten:


Klares Zurückweisen des Herausgabeanspruchs des IRS;



Entscheid über die Fortsetzung bzw. Nichtfortsetzung der Amtshilfe;



Intervention beim Gericht von Fort Lauderdale/Florida (amicus curiae), Einreichen von Fristerstreckungsersuchen;



Intervention bei der US-Regierung: Protest unter gleichzeitigem Angebot, Gespräche über die Zusammenarbeit im Steuerbereich (z. B. über eine erweiterte Amtshilfe unter dem DBA) zu führen;



Suche nach Verbündeten in Europa;



Angebot z. B. der Zinsbesteuerung oder einer weitergehenden Besteuerung von US-Kunden von Schweizer Banken gegen die Legalisierung der Vermögenswerte;



Prüfen der Steuersituation der UBS-Kunden durch eine Prüfgesellschaft;



Lobbying- und PR-Arbeit sowie Kontakte auf allen Stufen.

Die FINMA legte weiter dar, dass auch eine enge Abstimmung zwischen der Betreuung der Auseinandersetzung mit dem IRS und den Bemühungen um eine «Weiterentwicklung» des Bankgeheimnisses im Verhältnis mit anderen Staaten erfolgen sollte. Hierfür sei eine schlagkräftige und robuste Organisation seitens der 803

Aktennotiz vom 24.2.2010, FINMA, Dok. 130 der drei persönlichen Ordner des Vorstehers des EFD.

3377

Schweizer Behörden erforderlich. Wegen der knappen Zeitverhältnisse schlug die FINMA dem Bundesrat folgende Sofortmassnahmen vor:


Meinungsbildung im Bundesrat zur Frage der Intervention der Schweizer Regierung im Verfahren zwischen der UBS und dem IRS;



Die Einsetzung einer Arbeitsgruppe aus Vertretern des BJ, der ESTV und des EDA, welche unter der Co-Leitung des EFD und der FINMA die Aufgabe hätte, die Auseinandersetzung mit dem IRS zu betreuen und die Strategie mit der UBS abzustimmen;



Diese Arbeitsgruppe müsste sich von einer Schweizer Wirtschaftskanzlei beraten lassen, welche Erfahrung im Umgang mit US-Recht und US-Anwälten ausweisen könnte. Auch sollte die Regierung eine eigene US-Anwaltsfirma beiziehen.



Eine rasch einzusetzende und direkt an den Bundesrat rapportierende TaskForce «Schweizer Finanzplatz» mit folgenden Elementen: ­ Leitung durch eine erfahrene, im In- und Ausland respektierte Person mit Fachwissen und guten Verhandlungsfähigkeiten, welche sich für rund zwei Jahre verpflichten müsste; ­ Diese Person müsste Zugang haben zu einem eigenen kleinen, aber sehr leistungsfähigen Team mit einem Mix von Fähigkeiten (Litigation, Steuern, Kommunikation, Diplomatie); ­ Im Verhältnis zu den USA müsste die Task-Force kurzfristig die Verteidigungsstrategie definieren und umsetzen, die Intervention der Schweizer Regierung definieren und koordinieren sowie Kontakte ausserhalb des Gerichts aufnehmen. Die Task-Force würde auch alle zusammenhängenden Themen betreuen (z. B. Levin-Hearing, Revision QIA) und Querbezüge zu anderen Schauplätzen (z. B. GAFI, OECD) verfolgen.

­ Diese Task-Force hätte zudem die Federführung bei der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Bankgeheimnisses, damit diese in die Gespräche mit den US-Behörden eingebracht werden könnten; ­ Sie würde auch im Inland die Stakeholder zur Frage der Weiterentwicklung des Bankgeheimnisses betreuen und dazu kommunizieren; ­ Sie könnte mit einem formellen Mandat der FINMA tätig sein, was eine Finanzierung über Abgaben der Banken erlauben würde.

Der Vorsteher des EFD brachte diese Notiz zusammen mit dem Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009 und einem Aussprachepapier mit dem Titel «Verfahren gegen die UBS in den Vereinigten Staaten: Statusbericht der FINMA» in die Bundesratssitzung vom 25. Februar 2009.

Im erwähnten Aussprachepapier des EFD wurde eingangs festgehalten, dass der Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009 eine wesentliche Grundlage für den Entscheid des Bundesrats vom 18. Februar 2009 gewesen sei.

Der Statusbericht habe ausgeführt, dass mit dem zwischen der UBS, der SEC sowie dem DOJ ausgehandelten Vergleich «ein Abschluss der für die UBS sehr belastenden Affäre in greifbare Nähe rückt». Es sei aber «nur partiell» gelungen, den IRS in den Vergleich einzubinden, weshalb mit der Durchsetzung eines John Doe Summons 3378

zu rechnen sei. Was die Vollstreckung des Summons betreffe, so habe die UBS aber «mit dem IRS abgesprochen, dass diese Vollstreckung nach der Einreichung beim Gericht aufgeschoben wird. Die UBS hat unter dem Vergleich das Recht, sich mit allen Mitteln gegen das JDS [John Doe Summons] vor den US-Zivilgerichten zu verteidigen. Würde aber am Ende dieser voraussichtlich lange dauernden gerichtlichen Auseinandersetzung die Herausgabepflicht bejaht, könnte die UBS nach dem Vergleich theoretisch angeklagt werden, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommt, selbst wenn dies durch die Restriktionen des Schweizer Rechts bedingt ist. Diese Gefahr wird aber etwa vom U.S. Fed in New York als gering eingeschätzt.» Am 24. Februar 2009 um 14.14 Uhr habe die FINMA dem Bundespräsidenten per E-Mail eine Aktennotiz zum aktuellen Stand übermittelt. Diese Aktennotiz sei auch verschiedenen Mitarbeitenden aus der Verwaltung zur Kenntnis gebracht worden.

Darin sei die FINMA nunmehr zum Schluss gelangt, dass das «verbleibende Zivilverfahren des IRS gegen die UBS auf Herausgabe von Kundendaten sehr ernst zu nehmen [ist]. Im schlimmsten Fall drohen die Herausgabe von tausenden von Kundendaten an den IRS (was auch andere Staaten einfordern würden) sowie im Unterlassungsfall substanzielle Beugebussen und eine Anklage der UBS trotz Vereinbarung. Eine Intervention der Schweizer Regierung im Verfahren des IRS gegen die UBS ist trotz beträchtlicher politischer Risiken zu empfehlen.» Diese Intervention des Bundesrats sei dringlich.

Sodann habe die FINMA ausgeführt, sie habe «den Vergleich mit dem DOJ zwar als klar unbefriedigend [beurteilt]. Da sich die unmittelbar drohende Gefahr einer Anklage der UBS ausschliesslich über den Abschluss des DPA abwenden liess, hat sich der Verwaltungsrat der FINMA dennoch dazu durchgerungen, der UBS die Herausgabe einer limitierten Anzahl von Kundendaten zu befehlen und diese umgehend dem DOJ zu übermitteln.» Der Vorsteher des EFD gelangte deshalb zum Schluss, zwischen dem Statusbericht der FINMA vom 13. Februar 2009 und ihrer Aktennotiz vom 24. Februar 2009 bestünden mit Blick auf die Einschätzung der Lage und den Empfehlungen an den Bundesrat nunmehr erhebliche Differenzen. Aufgrund der Tragweite der Entscheide der FINMA und des Bundesrats vom 18. Februar 2009 beantragte der Vorsteher des EFD den
Bundesrat, davon Kenntnis zu nehmen, dass er die geeigneten Schritte einleiten werde, um Sachverhalte, die im öffentlichen Interessen liegen, abzuklären.

Das Kollegium folgte dem Antrag des Vorstehers des EFD. Soweit die GPK feststellen konnten, gab es diesbezüglich im Bundesrat keine Diskussion.

An derselben Sitzung vom 25. Februar 2009 befasste sich der Bundesrat ebenfalls mit einem weiteren Aussprachepapier des Vorstehers des EFD zum weiteren Vorgehen i. S. Verfahren gegen die UBS in den USA. In der Ausgangslage erfolgte ein Rückblick auf den Entscheid des Bundesrats vom 19. Dezember 2008, jenen des Verwaltungsrats der FINMA vom 18. Februar 2009, das Urteil des BVGer vom 20. Februar 2009 sowie den Entscheid des Bundesrats vom 28. Januar 2009 zum Informationskonzept Steuerfragen. Anschliessend folgten Ausführungen zur politischen Wahrnehmung und zu den zu erwartenden politischen Initiativen. Ebenfalls ausgeleuchtet wurden die zu erwartenden internationalen Entwicklungen, sei es bezüglich der G20-Länder, der OECD oder den USA. Diesbezüglich wurde erläutert, dass die bereits am 20. Februar 2009 seitens des IRS angehobene John Doe Summons-Klage erheblich gefährlicher sei, als die UBS den Anschein gebe. Es bestehe die Gefahr, dass die UBS den Bundesrat gewissermassen in Geiselhaft 3379

nehmen wolle, indem sie erwarte, die Klage sei durch Verhandlungen auf Staatsebene zu beseitigen. Der US-Fiskus sei durch den Vergleich ermuntert worden.

Gemäss US-Quellen beabsichtige der IRS, sich exemplarisch durchzusetzen. Der entsprechende Schaden für die UBS sei enorm bis existenzgefährdend. Der politische Preis zu dessen Abwendung sei sehr hoch. Er bestünde minimal in einer Anpassung des DBA mit flächendeckenden Folgen. Es bestehe Handlungsbedarf.

Zuletzt wurde eine Reihe von Massnahmen besprochen (dringliche Debatte, künftige Entwicklung des Bankgeheimnisses einschliesslich Zinsbesteuerung, Strategie für den Schweizer Finanzplatz, Task-Force UBS ­ USA, Amtshilfeverfahren, Bonuszahlungen der UBS, Information der Öffentlichkeit). Zudem werde die Information der Öffentlichkeit und die Intensivierung der bilateralen Kontakte zu den internationalen Steuerfragen gemäss dem Informationskonzept Steuerfragen vom 23. Januar 2009 intensiv weiter vorangetrieben.

Der Bundesrat folgte weitgehend dem Antrag des Vorstehers des EFD und setzte einen Ausschuss ein, welchem die Vorsteherinnen und Vorsteher des EFD, des EDA und des EJPD angehörten. Die Leitung dieses Ausschusses wurde dem Bundespräsidenten übertragen. Der Bundesrat beauftragte den Ausschuss damit, den aktuellen Konflikt mit den USA mit Blick auf den Finanzstandort Schweiz zu analysieren und Vorschläge zu den Rahmenbedingungen des Finanzstandortes Schweiz unter den neuen Bedingungen und im Hinblick auf die Verhandlungen mit der EU und den USA zu unterbreiten. Zudem bat der Bundesrat den Ausschuss um Vorschläge zu seiner internen Organisation (unter anderem: Ernennung von Experten). Weiter beauftragte der Bundesrat das EFD damit, die Arbeiten des «Steuerungsausschusses Dialog Finanzplatz (STAFI)» an der Finanzplatzstrategie zu repriorisieren und dem Ausschuss Varianten zum weiteren Vorgehen zu unterbreiten. Zudem wurden das EJPD und das EFD beauftragt, den Handlungsbedarf bezüglich des Amtshilfeverfahrens gemäss den Verordnungen zu den jeweiligen DBA abzuklären und dem Ausschuss Bericht zu erstatten. Schliesslich beauftragte der Bundesrat die FINMA, in Fortführung des Auftrags aus der Botschaft zu den Stabilisierungsmassnahmen umgehend die offenen Punkte zu den Bonuszahlungen der UBS zuhanden von Bundesrat und Parlament vertieft abzuklären.

Im Rahmen der nachfolgenden Pressekonferenz informierte der Bundespräsident die Öffentlichkeit über die getroffenen Entscheide.

3.5.4.2

Forderungen der EU/Artikel 26 des OECD-Abkommens/Revision des DBA Schweiz ­ USA804

Am 13. März 2009 informierte der Bundesrat die Öffentlichkeit, dass die Schweiz den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens übernehmen wolle. Das erlaube, den Informationsaustausch im Einzelfall auf konkrete und begründete Anfrage mit anderen Ländern auszubauen. Der Bundesrat habe beschlossen, den entsprechenden Vorbehalt zum 804

Die GPK haben folgende Fragen, die ausserhalb ihres Mandats liegen, nicht näher untersucht: (i) Rolle und Stellung der Schweiz in den internationalen Organisationen (zum Beispiel OECD-Sitzungen 2008 in Paris und 2009 in Berlin); (ii) Entscheid der OECD, die Schweiz auf die graue Liste zu setzen; (iii) Divergenzen der Schweiz mit den Nachbarstaaten/EU in Steuerfragen.

3380

OECD-Musterabkommen zurückzuziehen und Verhandlungen zur Revision von DBA aufzunehmen. Das Bankgeheimnis bleibe bestehen.

Am 8. April 2009 befasste sich der Bundesrat mit dem Thema der Beziehungen Schweiz ­ USA im Lichte der Herausforderungen für den Finanzplatz. Dem Traktandum lagen das Aussprachepapier des EFD, des EDA und des EJPD vom 2. April 2009 und das Addendum vom 7. April 2009 zugrunde.

Ziel des Aussprachepapiers war es, Möglichkeiten und Potenzial eines sektorübergreifenden Ansatzes abzuklären, mit welchem die Schweiz ­ über die Bereitschaft zur Übernahme von Artikel 26 des OECD-Musterabkommens hinaus ­ einen Beitrag zur Entschärfung der finanzplatzrelevanten Herausforderungen in den USA leisten könnte. Zu den Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz im Verhältnis zu den USA zählte das Aussprachepapier die Verfahren gegen die UBS, die Gesetzgebungsprojekte in den USA sowie das Qualified-Intermediary-System.

Zum Verfahren gegen die UBS wurde im Wesentlichen dargelegt, das DOJ habe mit seiner auf Anfrage des IRS bei einem Bezirksgericht in Florida eingereichten Zivilklage vom 19. Februar 2009 gegen die UBS die Herausgabe von Informationen zu 52 000 Kontoinhabern verlangt. Es handle sich um Fälle von Steuerhinterziehung.

Das Vorgehen der US-Behörden sei ein Zeichen dafür, dass die USA ihren Druck aufrechterhalten wollten. Die UBS habe am 23. Februar 2009 mit dem DOJ längere Fristen aushandeln können. Es sei frühestens Mitte Juli mit einem erstinstanzlichen Entscheid über die Durchsetzbarkeit des John Doe Summons zu rechnen. Ein negativer Entscheid wäre anfechtbar, wobei nicht sicher sei, ob einer Berufung die aufschiebende Wirkung zuerkannt würde. Der Bundesrat habe am 13. März 2009 entschieden, im Zivilverfahren gegen die UBS in den USA eine amerikanische Anwaltskanzlei mit der Redaktion eines «amicus curiae» Briefs zu beauftragen.

Damit solle der schweizerische Rechtsstandpunkt im Verfahren erläutert und den hoheitlichen Interessen der Schweiz Nachdruck verschafft werden. Das zuständige Gericht werde zu entscheiden haben, ob die Amtshilfe das einzige Mittel zur Informationsbeschaffung in Steuersachen sei oder ob das bestehende DBA auch unilaterale Massnahmen, wie vom IRS ergriffen, zulasse. Das Gericht werde auch eine Interessenabwägung zwischen den Interessen beider Staaten
vornehmen müssen.

Der Vertrauensanwalt der Botschaft äusserte sich zu beiden Fragen eher pessimistisch. Nach der Anhörung vom 13. Juli 2009 werde entweder rasch ein materieller Entscheid gefällt, oder das Gericht gewähre auf Antrag der Parteien einen Aufschub für die Ausarbeitung einer einvernehmlichen Lösung, oder die Angelegenheit bleibe während längerer Zeit einfach hängig.

Zu den amerikanischen Gesetzgebungsprojekten wurde auf die beiden ähnlich gelagerten Gesetzesentwürfe von Carl Levin vom 17. Februar 2007 (Stop Tax Haven Abuse Act) und von Lloyd Dogett vom 3. Mai 2007 hingewiesen. Beiden Entwürfen gemeinsam sei eine Liste von 34 offshore secrecy jurisdictions, auf welcher die Schweiz figuriere. Ferner habe der Senat am 10. Dezember 2008 ein Gesetzgebungsprojekt veröffentlicht in der Absicht, grenzüberschreitende Rückversicherungstransaktionen steuerlich schlechter zu stellen als inländische Transaktionen.

Kürzlich habe ein weiterer informeller Gesetzesentwurf im Senat zirkuliert, welcher sich auf ein allgemeines Meldeverfahren für grenzüberschreitende Finanztransaktionen von Privatpersonen stütze.

Zum Qualified-Indermediary-System wurde ausgeführt, dieses enthalte de facto einen automatischen Informationsaustausch, welcher auf amerikanische Wertschrif3381

ten beschränkt sei. Seitens der US-Behörden sei geplant, dieses QI-System zu revidieren. Eine Ausweitung auf nicht-amerikanische Wertschriften sei nicht auszuschliessen, was de facto einen automatischen Informationsaustausch im Bereich der Kapitalerträge bedeuten würde. Eine solche Ausweitung liege nicht im schweizerischen Interesse. Für die Schweiz bestünden aber kaum Handlungsoptionen. Die QIA seien direkt mit den Schweizer Banken abgeschlossen worden, und diese könnten es sich aufgrund der Bedeutung des amerikanischen Kapitalmarkts im Interesse ihrer nicht-amerikanischen Kundschaft nicht leisten, auf ein QIA zu verzichten.

Zu den Zielsetzungen der Schweiz gehöre es, das DBA Schweiz ­ USA gemäss dem Beschluss des Bundesrats vom 13. März 2009 neu auszuhandeln, im hängigen Zivilverfahren eine Fristerstreckung zu erwirken und eine Ausdehnung der QIA zu verhindern.

Trotz der beschränkten Einflussmöglichkeiten der Schweiz sollten die vorhandenen Mittel genutzt werden, um im Hinblick auf die finanzplatzrelevanten Herausforderungen eine Verbesserung der Beziehungen mit den USA zu erzielen. Nachdem die UBS in der ganzen Angelegenheit die grösste Verantwortung zu tragen habe, sei sie dazu anzuhalten, zusammen mit dem IRS nach kreativen Lösungen zu suchen. Der Bund könne die UBS durch die Schaffung eines politisch günstigen Umfelds mit geeigneten Massnahmen unterstützen.

Zu den Massnahmen in direktem Zusammenhang mit den Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz gehöre die unverzügliche Neuverhandlung des DBA gemäss Beschluss des Bundesrats vom 25. März 2009. Denkbar wäre auch eine Neuverhandlung des Rechtshilfeabkommens. Ein wichtiges Element seien die Kontakte auf Minister- und hochrangiger Beamtenebene, wie sie in der jüngeren Vergangenheit stattgefunden hätten. Der Bundesratsausschuss schlage zudem die Einsetzung eines Verhandlungskoordinators vor. Der Dialog mit der UBS sei ebenfalls weiterzuführen. Insbesondere müsse sichergestellt werden, dass keine neuen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Bank den Bemühungen der Schweiz zur Lösung der Probleme zuwiderlaufen könnten. Dies betreffe insbesondere die Einhaltung des DPA. Es sei die Absicht des Ausschusses, das EJPD mit dieser Aufgabe zu betrauen. Diese Massnahme sei aus Sicht des Ausschusses unabdingbar im Hinblick auf die Verhandlungen mit
den USA.

Bei den Massnahmen in indirektem Zusammenhang mit den Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz gehe es darum, im Verhältnis zu den USA allgemein für ein positives Umfeld zu sorgen. Die Interessen der USA gegenüber der Schweiz sollten gebündelt werden, und ein schweizerisches Entgegenkommen sei in den Kontext einer einvernehmlichen Lösung der finanzrelevanten Probleme zu stellen.

Das Department of State signalisiere immer wieder deutliches Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Schweiz in Bereichen von gemeinsamen Interessen.

Näher erläutert wurden schliesslich auch Massnahmen zur Unterstützung der schweizerischen Interessen im Verhältnis zu den USA mit den Instrumenten der Landeskommunikation. Der Entscheid des Bundesrats für Neuverhandlungen des DBA sei eine Chance für eine proaktive Kommunikation. In Anlehnung an das vom Bundesrat am 28. Januar 2009 verabschiedete «Informationskonzept Steuerfragen» stehe eine gezielte Beziehungspflege zu amerikanischen Entscheidungsträgern in Administration und Parlament im Vordergrund.

Der Bundesrat nahm an seiner Sitzung vom 8. April 2009 Kenntnis vom Aussprachepapier und stimmte der Ernennung von Botschafter Urs Ziswiler zum Verhand3382

lungskoordinator durch den Ausschuss zu. Der Auftrag bestehe darin, eine kohärente Vorgehensweise für Gespräche und Verhandlungen mit den USA festzulegen.

Ferner wurde das EFD beauftragt, die Verhandlungen mit den USA zur Revision des DBA bis Ende April 2009 zu eröffnen. Das EJPD wurde sodann mit der Wahrung der Interessen des Bundes in den Verfahren gegen die UBS in den USA beauftragt.

Zudem wurde es beauftragt, im Gespräch mit der UBS sicherzustellen, dass die Bank das DPA einhalte. Das EDA und das EFD wurden beauftragt, im Rahmen des «Informationskonzepts Steuerfragen» eine Kommunikationsstrategie für die USA auszuarbeiten.

Schliesslich informierte der Vorsteher des EFD mittels einer Informationsnotiz vom 1. April 2009 das Kollegium über die Antwort der FINMA vom 23. März 2009 zur Differenz in der Einschätzung der Lage zwischen den Aktennotizen vom 13. und vom 24. Februar 2009 sowie zum Geschäftsverkehr zwischen der FINMA und dem Bundesrat. Die FINMA sehe zwischen den beiden Dokumenten keine erheblichen Differenzen. Die Zustellung der Aktennotiz vom 24. Februar 2009 per E-Mail an mehrere Adressaten sei einerseits damit begründet worden, dass die Adressaten alle Mitglieder einer Arbeitsgruppe waren und andererseits mit der zeitlichen Dringlichkeit im Hinblick auf eine allfällige Orientierung des Bundesrats über die Aktennotiz an der Sitzung vom 25. Februar 2009.

Am 1. Mai 2009 gab das EJPD in einer Medienmitteilung bekannt, dass die Schweiz am Tage zuvor eine Eingabe an das im Fall UBS zuständige Bundesbezirksgericht in Miami (Florida) eingereicht habe. Darin habe sie ihren rechtlichen Standpunkt erläutert und unterstrichen, dass ihre Rechtsordnung und damit ihre Souveränität zu respektieren seien. In der gleichen Medienmitteilung wurde darauf hingewiesen, dass die Schweiz mit den USA Verhandlungen über eine Revision des DBA aufgenommen habe. Ziel sei es, den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens vollumfänglich zu übernehmen.

Die Schweiz habe auch ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass das hängige Zivilverfahren gegen die UBS den erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen beeinträchtigen und eine Ratifikation des neuen Abkommens gefährden könnte.

Am 29. Mai 2009 liessen das EJPD und das EFD verlauten, der Bundesrat wolle eine kohärente
Zusammenarbeit bei Fiskaldelikten gewährleisten. Der Bundesrat habe deshalb entschieden, die bei der Amtshilfe bereits beschlossene Ausdehnung der Zusammenarbeit auf Fälle von Steuerhinterziehung in einem zweiten Schritt auch bei der Rechtshilfe umzusetzen.

Am 5. Juni 2009 beschloss der Bundesrat ­ gestützt auf einen Vorschlag des EJPD vom 4. Juni 2009 ­, dass alle erforderlichen Massnahmen ergriffen würden, um die UBS an der Übergabe der durch das beim United States District Court for the Southern District of Florida hängigen John Doe Summons anvisierten Kundendaten zu hindern. Sollten die Umstände es verlangen, so würde der Bundesrat einen Beschluss fassen, der a) es der UBS untersagt, schriftlich oder mündlich, direkt oder indirekt, die durch das John Doe Summons angeforderten Informationen zu übermitteln; b) die UBS daran hindert, an diese Informationen zu gelangen, sei es durch Beschlagnahmung der Unterlagen oder Datenträger, durch Zugangsbeschränkungen zu diesen Daten für die UBS oder durch andere Mittel. Um die Umsetzung und Einhaltung dieses Beschlusses zu gewährleisten, bat das EJPD die FINMA um ihre Zusammenarbeit.

3383

In der Beschreibung der Ausgangslage erklärte das EJPD, dass der IRS die UBS im Sommer 2008 gerichtlich aufgefordert hatte, ihm die Kundendaten von US-Steuerzahlern (U.S. taxpayers), die zwischen 2002 und 2007 bei der Bank Konten besessen hatten, zu übermitteln. Diese Aufforderung, das so genannte John Doe Summons, war ein Zivilverfahren, über welches der IRS Informationen über Kunden einforderte, die er nicht namentlich kannte (Verfahren gegen Unbekannt) und gegen die kein konkreter Verdacht des Steuerbetrugs oder der Steuerflucht vorlag. Laut EJPD erklärte der IRS bezüglich des John Doe Summons, dass er damit in erster Linie die Verjährungsfrist unterbrechen wollte, jedoch nicht beabsichtigte, die Vollstreckung des Beschlusses durch ein Gericht zu erzwingen.

Doch unmittelbar nach Abschluss des DPA zwischen der UBS und dem DOJ am 18. Februar 2009 reichte der IRS am 19. Februar 2009 beim United States District Court for the Southern District of Florida eine Zivilklage gegen die UBS zur Vollstreckung des John Doe Summons ein. Beim DPA handelte es sich laut EJPD um eine verfahrensrechtliche Methode des US-Rechts, die ein Strafverfahren unter gewissen Bedingungen suspendiert. Im konkreten Fall bedeutete dies, dass falls die UBS die im DPA stipulierten Bedingungen respektierte (insbesondere Übergabe von Daten einer begrenzten Anzahl Kunden, die unter dem Verdacht des Steuerbetrugs standen, Einstellung der von der SEC nicht reglementierten offshore Tätigkeiten mit US-Kunden, Zahlung von 780 Millionen Dollar, Zusammenarbeit gemäss DPA), das Verfahren definitiv eingestellt würde, allerdings frühestens 18 Monate nach Abschluss der Vereinbarung.

Am 19. Februar 2009 hinterlegte die UBS beim zuständigen Gericht ein Memorandum gegen das John Doe Summons. Das Gericht gab dem IRS bis zum 30. Juni 2009 Zeit, eine Antwort einzureichen. Die US-Regierung sollte innerhalb derselben Frist ihren Standpunkt unterbreiten (Statement of Interest). Eine öffentliche Anhörung wurde für den 13. Juli 2009 anberaumt.

Wie das EJPD betonte, war nicht auszuschliessen, dass die UBS in den folgenden Wochen von einem US-Gericht dazu verurteilt werden würde, den US-Behörden die Kundendaten von US-Steuerzahlern mit Konto in der Schweiz zu übergeben. Das EJPD beabsichtigte deshalb, eine Reihe von Handlungsoptionen vorzulegen, um die
schweizerische Hoheitsgewalt zu verteidigen und die Interessen und die Glaubwürdigkeit des Landes zu wahren.

In seiner Beurteilung kam das EJPD zum Schluss, dass die Vollstreckung des John Doe Summons als eine unilaterale Beweisaufnahme eines fremden Staates eine Verletzung der schweizerischen Hoheitsgewalt darstellte. Eine solche Verletzung war nach schweizerischem Strafgesetzbuch (Art. 271 und 273 StGB) verboten. Die Übergabe von Kundendaten in diesem Rahmen verstiess zusätzlich gegen Artikel 47 des Bankengesetzes (Bankgeheimnis). Da die Zusammenarbeit mit den USA durch das DBA vom 2. Oktober 1996 geregelt war, war die unilaterale Vollstreckung des John Doe Summons durch die US-Behörden weder mit der schweizerischen Rechtsordnung, noch mit dem DBA Schweiz ­ USA vereinbar.

Demnach könnten die schweizerischen Behörden nach Ansicht des EJPD eine solche Situation nicht akzeptieren. Die Lage erinnerte ein wenig an die Affäre Marc Rich (1983), als der Bundesrat intervenierte und die Übergabe der von den US-Behörden verlangten Daten untersagte. Die schweizerischen und amerikanischen Behörden hatten daraufhin, am 10. November 1987, ein Memorandum of Understanding über Rechtshilfe in Strafsachen und ergänzende Verwaltungsverfahren 3384

unterzeichnet. Gemäss diesem Text musste im Falle eines Rechtsprechungskonflikts der Dialog gesucht und bei der Ergreifung von unilateralen Zwangsmassnahmen Zurückhaltung geübt werden.

Es erwies sich als notwendig, zusätzlich zum Beschluss des Bundesrats vom 29. Mai 2009, der dem EJPD den Auftrag erteilt hatte, sowohl politische wie technische Schritte zu unternehmen (was dieses getan hatte), weitere Optionen zu prüfen für den Fall, dass besagte Schritte nicht rechtzeitig zum erhofften Resultat führen sollten.

So schlug das EJPD dem Bundesrat vor, einen Grundsatzentscheid zu treffen für den Fall, dass das Gericht gegen die UBS entscheiden sollte. Es folgte eine Analyse der Optionen: A. Der Bund verhält sich passiv; B. Der Bund erlaubt die Herausgabe weiterer Kundendaten; C. Ausdrückliches Verbot an die UBS, weitere Daten herauszugeben; D. Entzug der physischen Verfügungsgewalt über die Daten der UBS.

Nach eingehender Analyse verwarf das EJPD die Optionen A und B und schlug dem Bundesrat vor, die Optionen C und D zu kombinieren und einen Entscheid auf Grundlage von Artikel 184 Absatz 3 BV zu treffen. Das EJPD hielt fest, dass die erforderlichen Bedingungen im vorliegenden Fall erfüllt waren. In der Tat stellte die unilaterale Beweisaufnahme eines fremden Staates eine Verletzung der schweizerischen Hoheitsgewalt dar; eine solche Verletzung zu verhindern war eine Frage der Wahrung der Interessen des Landes. Die vorgeschlagene Massnahme zur Verhinderung einer solchen Verletzung wäre angemessen. Das EJPD schlug vor, in zwei Phasen vorzugehen. In einer ersten Phase würde der Bundesrat beschliessen, seine ihm nach Artikel 184 Absatz 3 BV anvertraute Aufgabe wahrzunehmen und die Interessen des Landes zu wahren. Zur Umsetzung des Entscheids käme es nur falls notwendig und zum passenden Zeitpunkt. Die Umsetzung würde an das EJPD delegiert, als Fortsetzung der Bundesratsbeschlüsse vom 29. Mai 2009.

Der Bundesrat bzw. das EJPD würden mit einem Herausgabeverbot und einer Datenbeschlagnahme oder ähnlichen Massnahmen ein klares Signal an die USA senden, dass der Justizkonflikt nicht mit der UBS, sondern einzig durch zwischenstaatliche Verhandlungen zu lösen sei. Die Schweiz sei zu solchen Gesprächen bereit, was der Bundesrat mit Beschluss vom 29. Mai 2009 bekräftigt habe.

Am 1. Juli 2009 ermächtigte der
Bundesrat das EJPD, im Einverständnis mit dem EDA und dem EFD im Zusammenhang mit dem John Doe Summons-Verfahren vor dem United States District Court of the Southern District of Florida, der UBS, wenn es die Umstände rechtfertigten, zu untersagen, weder schriftlich noch mündlich, direkt oder indirekt die im John Doe Summons-Verfahren geforderten Informationen herauszugeben und die UBS daran zu hindern, über diese Informationen zu verfügen, sei es durch die Anordnung einer Dokumentenbeschlagnahme oder von Zugangsbeschränkungen zu den entsprechenden Informatiksystemen.

In seinem Antrag vom 1. Juli 2009 hatte das EJPD, unter Hinweis auf den Entscheid des Bundesrats vom 5. Juni 2009, über den Verlauf der Verhandlungen in Washington informiert: Seitens der Schweiz würden an den Verhandlungen Vertreter des EJPD, des EDA und des EFD teilnehmen; zudem seien auch Vertreter der UBS teilweise eingebunden. Ein für die Schweiz positiver Ausgang sei immer noch möglich, aber keineswegs sicher. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein verfassungsunmittelbares, ausdrückliches Verbot an die UBS, die geforderten Daten herauszugeben, gegebenenfalls sehr rasch werde ausgelöst werden müssen. Je nach 3385

Entwicklung der Situation bestehe die Gefahr, dass nicht zuletzt wegen der bevorstehenden sitzungsfreien Zeit ein Entscheid des Gesamtbundesrats nicht rechtzeitig erwirkt werden könnte. Es sei deshalb auf den Beschluss des Bundesrats vom 5. Juni 2009 zurückzukommen, welcher den Entscheid über ein konkretes Herausgabeverbot dem Gesamtbundesrat zugewiesen habe, um ihn an das EJPD zu delegieren.

Bereits im Fall Marc Rich sei das EJPD mit der Durchführung und dem Vollzug eines Herausgabeverbots beauftragt worden.

Am 8. Juli 2009 liess das EJPD verlauten, die Schweiz habe zwei Tage zuvor in einer Antwort auf die Stellungnahme der US-Behörden im Fall UBS bekräftigt, dass das Schweizer Recht eine Herausgabe der Kundendaten verbiete. In ihrer Eingabe an das zuständige Gericht in Miami habe sie zudem darauf hingewiesen, dass die notwendigen Massnahmen zur Durchsetzung des Schweizer Rechts vorbereitet seien.

Die UBS werde aufgrund eines Grundsatzentscheids des Bundesrats nicht in der Lage sein, eine allfällige Herausgabeverfügung des Gerichts in Miami zu befolgen.

Gemäss dem Grundsatzentscheid des Bundesrats seien alle Massnahmen zu treffen, um die UBS daran zu hindern, die im US-Zivilverfahren geforderten Daten herauszugeben. Verantwortlich für die Umsetzung dieses Entscheids sei das EJPD. Falls die Umstände es erforderten, würde das EJPD eine entsprechende Verfügung erlassen. Die Verfügung verbiete der UBS ausdrücklich die Herausgabe von Kundendaten.

Am 12. Juli 2009 gaben das EJPD und das EDA bekannt, die US-Regierung und die UBS hätten mit der Unterstützung des Bundesrats im US-Zivilverfahren gegen die UBS ein Sistierungsgesuch eingereicht. Die beiden Parteien hätten das zuständige Gericht in Miami darum ersucht, das Zivilverfahren im Hinblick auf eine aussergerichtliche Einigung im Fall UBS für 15 Tage zu sistieren. Das EJPD und das EDA hätten die entsprechenden Vorgespräche geführt und begrüssten diesen Schritt.

Weitere Angaben könnten wegen der Vertraulichkeit der laufenden Vertragsverhandlungen keine gemacht werden.

Am 31. Juli 2009 liessen das EJPD und das EDA verlauten, das US-Zivilverfahren gegen die UBS solle aussergerichtlich beigelegt werden. Darüber hätten sich die Schweiz und die USA im Grundsatz verständigt. Die entsprechende Grundsatzeinigung (Agreement in Principle) sei drei Tage
zuvor zustande gekommen.

Am 7. August 2009 gaben das EJPD und das EDA bekannt, der angestrebte aussergerichtliche Vergleich im US-Zivilverfahren habe noch nicht erzielt werden können.

Das Verfahren sei daher für eine weitere Woche sistiert worden.

Am 10. August 2009 hiess der Bundesrat den Entwurf des Abkommens zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der USA über ein Amtshilfegesuch des IRS betreffend UBS gut. Die zuständigen Stellen wurden ermächtigt, das Abkommen zu unterzeichnen. Die BK wurde beauftragt, es im Einvernehmen mit dem EDA nach der Unterzeichnung in der Amtlichen Sammlung zu veröffentlichen, wobei die Veröffentlichung des Anhangs frühestens drei Monate nach der Unterzeichnung erfolgen dürfe. Das EFD wurde angewiesen, die geltenden Amtshilfebestimmungen im DBA Schweiz ­ USA und im zugehörigen Protokoll im Einklang mit dem Anhang des gutgeheissenen Abkommens auszulegen. Der Bundesrat beauftragte zudem den Bundesratsausschuss «Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen», den Leiter der Projektorganisation für die operative Umsetzung des Abkommens zu bestimmen. Der Bundesrat stimmte dem Beizug von PricewaterhouseCoopers Schweiz AG zur administrativen Bearbeitung des Amtshilfebegehrens zu. Das EFD 3386

wurde ermächtigt, zu gegebener Zeit die für die zeitgerechte Leistung der Amtshilfe nötigen Nachtragskredite zu beantragen. Schliesslich beschloss der Bundesrat, dass die Departemente der Projektorganisation Juristen und/oder Steuerspezialisten zur Verfügung stellen müssten (EFD 20, EJPD 10, die übrigen Departemente je 2).

Dem Bundesrat standen für die Behandlung dieses Geschäfts am 10. August 2009 folgende Dokumente zur Verfügung: Der 20-seitige Dreier-Antrag (EJPD, EDA und EFD) vom 6. August 2009, eine zweiseitige Übersicht dazu, der Entwurf des Abkommens mit Anhang sowie ein Kurzgutachten vom 8. August 2009 von Prof.

Klaus A. Vallender zur Frage der Amtshilfetätigkeit nach Artikel 26 DBA Schweiz ­ USA.

In der Übersicht wurde dargelegt, das ausgehandelte Abkommen sehe vor, den existierenden Justiz- und Souveränitätskonflikt dergestalt zu beseitigen, dass die unilateralen Massnahmen des John Doe Summons-Verfahrens durch ein ordentliches Amtshilfegesuch an die ESTV ersetzt würden. Auf diese Weise würde das Informationsbegehren des IRS auf den Weg des dafür staatsvertraglich vorgesehenen Amtshilfeverfahrens zurückgeführt und die Gefahr der Verletzung von schweizerischem Recht gebannt werden.

Weiter wurden die Verpflichtungen für die Schweiz aufgezählt: 1. Entgegenkommen und Bearbeitung eines neuen Amtshilfegesuchs im Rahmen des geltenden Rechts, wobei die Bearbeitung der Fälle gemäss den im Anhang zum Abkommen festgelegten Kriterien erfolgen werde. 2. Maximal 4 450 Fälle wären betroffen. 3. Das Abkommen würde keine präjudizielle Wirkung haben: a) Das Amtshilfegesuch würde sich auf ganz bestimmte Fälle eines Musters von tax fraud or the like abstützen; diese Fälle ergäben sich aus der besonderen Situation der UBS (Vorliegen eines DPA mit dem DOJ, in welchem kollusives Verhalten der Bank und ihrer Kunden anerkannt worden war); b) Tax fraud or the like werde im geltenden Recht, im DBA Schweiz ­ USA, spezifischer gefasst als in DBA mit anderen Staaten oder im EU-Zinsbesteuerungsabkommen. Die dem Abkommensentwurf zugrunde liegende Auslegung würde nur in Bezug auf das DBA Schweiz ­ USA gelten; c) Neue Amtshilfe (OECD-Standard) gehe ohnehin weiter als die im Abkommensentwurf vorgenommene Auslegung). 4. Der Lösungsansatz beschränke sich auf den Fall UBS.

Mit dem Abkommen würden sich die USA zum Rückzug
der «enforcement action» (Durchsetzungsbegehren vor Gericht) zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens verpflichten. Ferner würden die USA auf weitere «enforcement action» verzichten, solange das Abkommen in Kraft sei. Schliesslich beinhalte das Abkommen für die USA die Verpflichtung, das John Doe Summons nach 370 Tagen definitiv zurückzuziehen.

Mit dem Abkommen würde erreicht, dass der bestehende Konflikt der Rechtssysteme gelöst werde und die Integrität der Schweizer Rechtsordnung gewahrt bleibe.

Ebenfalls erzielt würde eine Festigung der Rahmenbedingungen für den Finanzplatz.

Schliesslich würde die Gefahr für die UBS und die Schweizer Wirtschaft (Systemrelevanz der UBS) gebannt.

Der Dreier-Antrag vom 6. August 2009 enthielt u. a. einen Abriss über die Verhandlungen mit dem IRS und dem DOJ: Daraus geht hervor, dass in den Monaten Juni und Juli 2009 in fünf mehrtägigen Verhandlungsrunden in Washington und in Bern Gespräche zwischen der schweizerischen Delegation, bestehend aus Vertretern des EJPD, des EDA, des EFD und der FINMA, und einer US-Delegation aus Vertretern des IRS sowie des DOJ über ein Abkommen zur Beilegung des Souveränitätskon3387

flikts stattgefunden haben. Beigezogen worden seien auf der schweizerischen Seite auch Vertreter der UBS.

Um eine Lösung für den Justiz- und Souveränitätskonflikt zwischen den Rechtsordnungen der Schweiz und den USA finden zu können, habe die schweizerische Verhandlungsdelegation den Rückzug des John Doe Summons-Verfahrens zu einem klar definierten Zeitpunkt verlangt. Im Gegenzug sei der US-Delegation anerboten worden, eine Regelung für die Behandlung eines neuen Amtshilfegesuchs unter dem bestehenden DBA Schweiz ­ USA zu vereinbaren und dabei insbesondere auch die Kriterien zur Auslegung des Begriffs von tax fraud or the like im konkreten Fall der UBS klar zu definieren.

Schwierigkeiten hätten sich in zweierlei Hinsicht ergeben: Einerseits bezüglich der Art und der möglichen Anzahl der unter das neue Amtshilfegesuch fallenden Kunden. Seitens der US-Delegation sei zuerst die Rede von rund der Hälfte der 52 000 Konten aus der John Doe Summons-Population gewesen. Die schweizerische Delegation habe erreicht, dass die amerikanische Seite der Festlegung von mit dem geltenden schweizerischen Recht vereinbarten sachlichen Kriterien eines ganz bestimmten Musters für tax fraud or the like, im Sinne des Protokolls zum geltenden DBA Schweiz ­ USA, zugestimmt habe. Allerdings habe die amerikanische Seite nicht auf eine Nennung der geschätzten Zahl der unter diese Kriterien fallenden Fälle verzichtet.

Andererseits hätten sich auch Schwierigkeiten ergeben bezüglich des vollständigen Rückzugs des John Doe Summons-Verfahrens an sich und dessen Zeitpunkt als Gegenleistung der USA. Hier habe nicht erreicht werden können, dass der Rückzug des John Doe Summons bereits für den Zeitpunkt der Unterzeichnung zugesagt worden wäre. Dafür gebe es zwei Gründe: Zum einen mache der IRS geltend, durch einen Rückzug würde nach US-Recht die durch das John Doe Summons bewirkte Unterbrechung der Verjährung von Verfahren gegen einzelne Steuerbetrüger oder -hinterzieher dahinfallen. Zum anderen verzichte der IRS nur sehr widerwillig auf das Druckmittel des John Doe Summons, bevor der von der Schweiz in Aussicht gestellte Amtshilfeprozess die versprochenen Resultate geliefert habe. Im Ergebnis habe jedoch wenigstens vereinbart werden können, dass das John Doe SummonsVerfahren in einem klar bestimmten Zeitpunkt mit endgültiger
Rechtswirkung zurückgezogen werden müsse (nämlich 370 Tage nach Unterzeichnung des Abkommens) und dass der IRS bis zum endgültigen Rückzug um keine weitere Durchsetzung des John Doe Summons vor Gericht ersuchen werde. Hingegen habe auf schweizerischer Seite ein bestimmter Sicherungsmechanismus zugestanden werden müssen.

Das ausgehandelte Abkommen werde nunmehr von beiden Seiten mitgetragen. Es werde auch die Grundlage bilden für eine zweite Vereinbarung zwischen der UBS und dem IRS, die zur Umsetzung des Staatsvertrags dienen werde.

Am 12. August 2009 gaben das EJPD und das EDA bekannt, dass der angestrebte aussergerichtliche Vergleich im US-Zivilverfahren gegen die UBS vorliege. Die Schweiz und die USA hätten in den vergangenen Tagen die Einzelheiten ausgearbeitet und dies gleichentags dem zuständigen Richter in einer Telefonkonferenz mitgeteilt. Der Vergleich müsse nun noch von beiden Staaten unterzeichnet werden. Nach der Unterzeichnung würden Angaben zum Inhalt möglich sein.

Am 19. August 2009 informierten das EJPD, das EDA und das EFD die Öffentlichkeit, dass das Abkommen zwischen der Schweiz und den USA in Kraft getreten sei.

3388

Die USA würden im Fall UBS ein neues Amtshilfegesuch an die Schweiz übermitteln und auf die Durchsetzung der Zivilklage verzichten, welche die Offenlegung der Identität von 52 000 Kontoinhabern der UBS verlange. Die Schweiz verpflichte sich im Gegenzug, ein neues, rund 4 450 Konten betreffendes Amtshilfegesuch innert eines Jahres zu bearbeiten. Dies sehe das Abkommen zwischen der Schweiz und den USA vor, das den drohenden Konflikt zwischen den Rechtsordnungen der beiden Staaten beilege. Das Abkommen sei gleichentags in Washington unterzeichnet worden und sofort in Kraft getreten. Es folgten weitere Informationen zum Inhalt des Abkommens, insbesondere zum betroffenen Handlungsmuster, zur Amtshilfefähigkeit schwerer Steuerwiderhandlungen, zur vierteljährlichen gemeinsamen Überwachung als vertrauensbildende Massnahme und zur Projektorganisation, welche seitens der Bundesverwaltung eine beschleunigte Behandlung sicherstellen werde.

3.6

Übergreifende Beurteilung des Verhaltens der schweizerischen Behörden und Schlussfolgerungen

3.6.1

Eidgenössische Bankenkommission/FINMA

3.6.1.1

Allgemein

Die EBK und danach die FINMA haben bei der Bewältigung der Probleme, die aufgrund des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA und den diesbezüglichen Untersuchungen des DOJ, des IRS und der SEC entstanden, eine wichtige Rolle gespielt.

Sobald die zuständigen Personen der EBK von der UBS erfuhren, dass das DOJ Kundennamen der UBS erhalten wollte, erkannten sie die potenzielle Tragweite dieser Forderung. Dies führte zur zentralen Feststellung, dass die Konsequenzen der amerikanischen Untersuchungen zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS über den Aufgaben- und Kompetenzbereich der EBK hinausgingen. Die EBK reagierte im Frühling 2008 sehr schnell und angemessen, als sie ein Treffen mit Vertretern der potenziell betroffenen Einheiten der zentralen Bundesverwaltung und der UBS veranlasste. Die GPK teilen die von der EBK bereits im März 2008 geäusserte Ansicht, dass hier ein Potenzial für einen Justizkonflikt zwischen den USA und der Schweiz bestand.

Die GPK sind ebenfalls der Ansicht, dass es wichtig war, die EBK in die Arbeitsgruppe Karrer einzubeziehen. Dadurch konnte der Informationsfluss zwischen der EBK und den weiteren betroffenen Behörden gewährleistet werden. Die EBK war ja nach wie vor im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit und ihrer Amtshilfe an die SEC in diesem Dossier tätig. Der Vertreter der EBK arbeitete aktiv in der Arbeitsgruppe Karrer mit und nahm Beurteilungen vor, welche sich nicht auf die Aufgabe der EBK beschränkten, sondern auch die Rolle des schweizerischen Staates in diesem Dossier beleuchteten. Das übergreifende Engagement des stellvertretenden Direktors der EBK nahm ab Ende August 2008 wieder zu, als ersichtlich wurde, dass das DOJ die Übergabe von Kundendaten mit dem Ausstieg der UBS aus dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA verknüpfte. Es war auch der Vertreter der EBK, der im Herbst 2008 oft faktisch die Federführung übernahm, so beispielsweise als er die ersten schriftlichen Handlungsoptionen der schweizerischen Behörden erarbeitete.

Die EBK und danach auch die FINMA wiesen die schweizerischen Behörden immer wieder auf den Druck des DOJ, der insbesondere ab Spätsommer 2008 erneut 3389

zunahm, und auf den damit verbundenen Ernst der Lage sowie die Notwendigkeit von Massnahmen der zentralen Bundesverwaltung bzw. der schweizerischen Regierung hin.

Es war auch die EBK, welche mit ihrem Vorgehen im Dezember 2008 und ihrem Vorschlag einer Datenherausgabe gestützt auf Artikel 25 f. BankG die Situation deblockierte.

Die UBS wurde dadurch im Dezember 2008 in die Lage versetzt, die Verhandlungen weiterzuführen, und der Druck der amerikanischen Behörden nahm ab, so dass Ende 2008 keine Anklage gegen die UBS in den USA erhoben wurde.

Obwohl dieser Lösungsansatz letztlich zu keinem umfassenden Vergleich der UBS mit den amerikanischen Behörden führte ­ der IRS liess sich bis zuletzt nicht einbinden ­, erlaubten die Massnahmen der EBK/FINMA, insbesondere durch die Anordnung der Datenübergabe am 18. Februar 2009, zumindest eine Teillösung des Problems.

Eine wichtige Massnahme der EBK war auch die Durchführung einer eigenen Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA. Mit dieser Untersuchung waren fünf Mitarbeitende der EBK beschäftigt; zudem bot der Beizug der externen Untersuchungsbeauftragten die nötige Gewähr, dass die UBS-interne Untersuchung nicht in unzulässiger Weise durch das oberste UBS-Management beeinflusst wurde. Der Abschluss dieser Untersuchung mit einer Verfügung der EBK im Dezember 2008 war im Grundsatz folgerichtig und setzte gegen aussen ein wichtiges Zeichen. Allerdings identifizierten die GPK im Zusammenhang mit dieser Untersuchung auch Punkte, die zu Kritik Anlass geben. Darauf wird weiter unten eingegangen.

Die Amtshilfe im Rahmen des Gesuchs der SEC war nach den Informationen, die den GPK vorliegen, angemessen und führte zu keiner Kritik seitens der SEC.

Diese Leistungen sind umso mehr anzuerkennen, als die EBK in der gleichen Zeit stark mit der Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise beansprucht war und auch der Übergang der EBK in die FINMA eine Herausforderung darstellte, die es organisatorisch zu bewältigen galt.

Soweit die GPK dies beurteilen können, ist auch die Zusammenarbeit zwischen der EBK/FINMA und der SNB in diesem Dossier positiv zu würdigen. Der Informationsfluss war gewährleistet.

Die Untersuchung der GPK förderte jedoch auch Aspekte des Verhaltens der EBK zu Tage, die sie kritisch beurteilen. Diese werden nachfolgend erläutert.

3.6.1.2

Verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem Verhalten der EBK/FINMA

3.6.1.2.1

Kehrseite der aktiven Rolle der EBK/FINMA

Das grosse Engagement der EBK-Vertreter wurde zu Recht positiv gewürdigt. Es erfolgte vor dem Hintergrund der zunehmenden Existenzbedrohung der UBS und dem gesetzlichen Auftrag der EBK/FINMA, den Schutz der Gläubigerinnen und

3390

Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu gewährleisten.805 Nach der Beurteilung der GPK ist die aktive Rolle der EBK, die sie in diesem Dossier auch ausserhalb ihrer Kernkompetenzen spielte, auf die aus Sicht der EBK ungenügenden Massnahmen der anderen schweizerischen Behörden zurückzuführen.

Für die GPK stellt sich jedoch die Frage, ob sich die anderen Behörden dadurch nicht faktisch zumindest teilweise aus der Verantwortung zogen. Dies ist jedoch nicht direkt der EBK anzulasten. Die GPK werden auf diesen Aspekt in einem weiteren Zusammenhang noch kritisch eingehen.

3.6.1.2.2

Ressourcenausstattung der EBK als Problem

Wie im Kapitel 3.6.1.4 näher ausgeführt wird, setzten die beschränkten Ressourcen auch in diesem Dossier den Handlungsmöglichkeiten der EBK gewisse Grenzen.

3.6.1.2.3

Abhängigkeit von den Informationen der Bank als Problem

Auch im Bereich der Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA zeigte sich eine sehr grosse Abhängigkeit der Bankenaufsichtsbehörde von der UBS.

So hatte die EBK bis Dezember 2007 keine Hinweise über die Mängel in dieser Geschäftssparte der UBS. Als die ersten Hinweise der SEC und danach des DOJ auf Unregelmässigkeiten vorlagen, war die EBK nicht in der Lage, diesen selbst nachzugehen, sondern musste entsprechende Abklärungen der UBS abwarten. Auch die UBS konnte den genauen Sachverhalt und die ganze Tragweite nicht sofort selbst einschätzen. Sie musste sich mit grossem Aufwand zuerst selber Klarheit verschaffen. Obwohl die interne Untersuchung der UBS unter Beizug einer amerikanischen Anwaltskanzlei bis zu 100 Personen beschäftigte, vergingen mehrere Monate, bis sich die Bank einen gewissen Überblick verschafft hatte.

Weitere Abhängigkeiten vom Informationsstand der Bank zeigten sich bei der Untersuchung der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS. Wie noch erläutert wird, war die EBK-Untersuchung bei der Analyse der Kundendossiers auf die Resultate der UBS-internen Untersuchung angewiesen; durch die Verzögerungen bei der UBS-internen Untersuchung erlitt auch die EBK-Untersuchung Verzögerungen. Auch wäre es der EBK nicht möglich gewesen, eine eigene Einschätzung der Anzahl betroffener Kundendossiers, welche unter den Begriff des tax fraud or the like fielen (bzw. unter das Schema, das dem Amtshilfegesuch des IRS zugrunde lag), vorzunehmen.

Selbstverständlich sind die GPK nicht der Ansicht, dass jegliche Abhängigkeiten der EBK von den Informationen der UBS ausgeschlossen werden können oder müssen.

Allerdings sind die GPK klar der Auffassung, dass die Informationsabhängigkeit von den Banken verringert werden muss. Die FINMA muss ebenfalls Vorkehrungen treffen, um die bankinterne Aufsicht zu verstärken. Dies würde u. a. eine zeitgerech805

Art. 5 FINMAG.

3391

tere Erfüllung von Informationsbegehren der Bankenaufsicht durch die Bank erlauben. Im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistungen der UBS hat die EBK im Rahmen ihrer Verfügung vom 21. Dezember 2008 entsprechende Massnahmen angeordnet.806 Die GPK fordern die FINMA auf, dass sie aufgrund der Erfahrung mit der UBS im grenzüberschreitenden Bankengeschäft die Notwendigkeit von Vorkehrungen bei anderen in der Schweiz angesiedelten Banken prüft und die erforderlichen Massnahmen trifft. Die GPK erachten dies als notwendig.

3.6.1.3

Grenzüberschreitendes Geschäft der Banken als besondere Herausforderung für die EBK/FINMA

Die staatliche Bankenaufsicht im grenzüberschreitenden Bankgeschäft ist mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Weder war die EBK noch ist heute die FINMA zuständig für die Überwachung der Einhaltung von ausländischen Gesetzesvorschriften durch im Ausland operierende Schweizer Banken. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird durch die zuständigen Bankenaufsichtsbehörden im Ausland kontrolliert. Dies ist auch nach der Beurteilung der GPK eine sachgerechte Lösung, die im Grundsatz keiner Änderung bedarf.807 Allerdings entsteht ein Problem, wenn Kundenberater von Schweizer Banken vor Ort, also zu den Kunden im Ausland gehen, um diese Dienstleistungen zu erbringen.

Sie haben dann selbstverständlich die gesetzlichen Vorschriften des betreffenden Landes einzuhalten. Diese Kontrolle ist für das betroffene Land schwierig.

Ein weiteres Problem ist USA-spezifisch: Über den Abschluss eines QIA durch die Banken mit den amerikanischen Behörden haben sich Banken, die ihren Sitz ausserhalb der USA haben, verpflichtet, gewisse Handlungen zugunsten der amerikanischen Steuerbehörde vorzunehmen. Deshalb musste in der Schweiz für den Abschluss dieser QIA eine Bewilligung gemäss Artikel 271 StGB durch das EFD erteilt werden. Die Einhaltung der QIA ­ es handelt sich letztlich um Verträge zwischen dem amerikanischen Staat und den Banken ­ war gemäss der EBK weder durch sie selbst noch durch die FINMA zu prüfen. Diese Kontrolle obliegt einerseits den damit beauftragten Revisionsfirmen, andererseits den amerikanischen Behörden.

Letztere wiederum können ihre Kontrollen nicht im Land des Sitzes der jeweiligen Bank vornehmen ­ zumindest in der Schweiz nicht ­, denn die nationale Rechtsordnung des Sitzlandes der Bank setzt einem solchen Vorgehen Grenzen.

In der Schweiz lag die Bankenaufsicht ausschliesslich bei der EBK, wobei diese, wie schon ausgeführt, nur für die Einhaltung der nationalen Gesetzgebung und allfälliger völkerrechtlicher Verpflichtungen zuständig ist. Eine Schnittstelle ergab sich, als die EBK bei der Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden in den USA nachträglich feststellte, dass die UBS in schwe-

806

Ziffer 5 der Verfügung der EBK vom 21.12.2008: «Die UBS wird verpflichtet, die der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung inhärenten Rechts- und Reputationsrisiken in angemessener Form zu erfassen, zu begrenzen und zu überwachen.» 807 Eine Pflicht zur Überprüfung der Einhaltung ausländischer Gesetzgebungen wäre angesichts der sehr internationalen Ausrichtung vieler Schweizer Banken und der national beschränkten Kompetenzen der FINMA schlichtweg nicht umsetzbar.

3392

rer Weise gegen Gewährs- und Organisationserfordernisse des schweizerischen Bankengesetzes verstossen hatte.808 Die UBS konnte sich den Untersuchungen der amerikanischen Behörden schon nur aufgrund ihrer Geschäftsinteressen in den USA nicht entziehen und fand sich ­ wenn auch selbstverschuldet ­ in einem Spannungsfeld zwischen der schweizerischen und der amerikanischen Rechtsordnung wieder.

Letztlich stand die Verpflichtung der UBS aus ihrem QIA gegenüber den USA in einem Spannungsfeld zum schweizerischen Bankgeheimnis und auch zum DBA.

Jegliche Zuwiderhandlung gegen das QIA durch die Bank oder deren Mitarbeitenden, die von den USA verfolgt wurde, barg vor dem Hintergrund des schweizerischen Bankgeheimnisses und der schweizerischen Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug das Risiko eines Zusammenpralls der beiden Rechtsordnungen. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen einer Anklageerhebung in den USA kann ein solcher Zusammenprall für Banken mit umfangreichen Geschäftstätigkeiten in den USA existenzbedrohend sein.

Aus der Perspektive der parlamentarischen Oberaufsicht gelangen die GPK zum Schluss, dass die EBK diesen potenziellen Spannungsfeldern und den ihnen inhärenten Existenzrisiken für Schweizer Banken bis zum Fall UBS zu wenig Rechnung getragen hat. Weder in den Jahresberichten der letzten Jahre noch in den jährlichen Orientierungen der GPK machte die EBK dazu Ausführungen. Da diese Compliance-Risiken von existentieller Bedeutung für die Banken sein können, sind sie auch für die schweizerische Bankenaufsicht und ihren gesetzlichen Auftrag wichtig. Die Aufgabe der EBK/FINMA ist es insbesondere zu gewährleisten, dass solche Risiken durch die Banken erfasst und korrekt eingeschätzt werden. Ein Risikomanagementsystem mit entsprechenden Kennzahlen würde ihr namentlich auch unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes erlauben, gegebenenfalls korrigierend einzugreifen.

Wie vorne ausgeführt, hat die EBK die Problematik der Erfassung, Begrenzung und Überwachung von Rechts- und Reputationsrisiken bei international tätigen Banken schon vor Jahren erkannt und im Rahmen des Basler Ausschusses auch zu einer Lösung beigetragen. Im Rahmen ihrer eigenen Aufsichtstätigkeit gegenüber den Banken hat die EBK diese Anforderungen aber weder genügend berücksichtigt noch durchgesetzt.

Die GPK erachten es als wichtig, dass die FINMA diesen Aspekten in Zukunft grössere Bedeutung beimisst.

808

Die Verstösse bestanden darin, dass einzelne Mitarbeiter der UBS a) in einer beschränkten Zahl von Fällen entgegen ihrer Verpflichtung unter dem QIA für Steuerzwecke erstellte Kundendokumentationen als zureichend erachteten, von denen sie wussten oder hätten wissen müssen, dass sie den US-Steuerstatus des Kunden nicht zutreffend wiedergaben; b) partiell über eine längere Zeit amerikanische aufsichtsrechtliche Beschränkungen der grenzüberschreitenden Erbringung von Finanzdienstleistungen missachteten; und c) damit die Bank nicht beherrschbaren Rechts- und Reputationsrisiken aussetzten.

Vgl. Verfügung der EBK vom 21.12.2008, Ziffer 1.

3393

3.6.1.4

Untersuchung der EBK zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit Privatkunden in den USA

Die EBK leitete im Frühling 2008 eine Untersuchung zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS ein, als es Anzeichen dafür gab, dass durch das Geschäftsgebaren der UBS schweizerisches Aufsichtsrecht verletzt sein könnte. Am 17. Dezember 2008 lag ihr Schlussbericht vor. Dieser wurde am 21. Dezember 2008 durch die EBK behandelt. Im Anschluss daran wurde die bereits erwähnte Verfügung erlassen.

Die GPK stellten sich die Frage, ob die EBK-Untersuchung nicht früher hätte eingeleitet werden können. Letztlich ist diese Frage aber nicht relevant, da die EBKUntersuchung von den Fortschritten der UBS-internen Untersuchung abhing und ein früherer Beginn nicht zu einem früheren Abschluss der EBK-Untersuchung geführt hätte.

Die GPK anerkennen, dass die Untersuchung in einem schwierigen Umfeld getätigt werden musste: In relativ kurzer Zeit galt es, einen komplexen Sachverhalt zu analysieren. Gewisse Informationen mussten zuerst durch die UBS-interne Untersuchung erarbeitet werden. Parallel dazu liefen u. a. Arbeiten zum Amtshilfegesuch der SEC und zur Bekämpfung der Auswirkungen der Finanzkrise.

Die involvierten Personen der EBK haben vor diesem Hintergrund eine beachtliche Arbeit geleistet. Eine v. a. auch gegenüber den amerikanischen Behörden wichtige Massnahme war, dass eine schweizerische Anwaltskanzlei beigezogen wurde, um Beeinflussungen der UBS-internen Untersuchung und jener, die sie führten, durch das Management der UBS von vornherein auszuschliessen und die Zweckmässigkeit der Untersuchung zu gewährleisten.

Einzelne Aspekte der EBK-Untersuchung vermochten die GPK jedoch nicht zu überzeugen: Unabhängigkeit der EBK-Untersuchung Aus Sicht der GPK hätte die Untersuchung der EBK bei der Analyse der Kundendossiers eine grössere Unabhängigkeit gewährleisten müssen. Vor dem Hintergrund ihrer beschränkten personellen Ressourcen hätte die EBK dies wohl über ein breiteres Mandat an die beauftragte schweizerische Anwaltskanzlei oder an andere Untersuchungsbeauftragte sicherstellen müssen. Es ist zwar aus Effizienzgründen nachvollziehbar, dass sich die EBK in Bezug auf die Analyse von Kundendossiers auf die Resultate der UBS-internen Untersuchung abstützte. Doch auch wenn diese Analyse durch Drittbeauftragte vielleicht zu keinem anderen Resultat geführt hätte als die UBS-interne Untersuchung, wäre dieses Vorgehen
geeignet gewesen, um ein wichtiges Zeichen für die Unabhängigkeit der EBK gegen aussen zu setzen.

In der am 18. Februar 2009 veröffentlichten Kurzfassung des Untersuchungsberichts findet sich kein Hinweis auf die teilweise Abstützung der EBK auf die UBS-interne Untersuchung. Dies wäre aus Sicht der GPK notwendig gewesen.

Gewähr der obersten UBS-Leitung für eine einwandfreie Geschäftsführung Die EBK stellte fest, dass die UBS wegen einzelner Mitarbeiter in schwerer Weise gegen das Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes verstossen

3394

hatte.809 Der EBK-Schlussbericht kommt bezüglich der Verantwortlichkeiten in der UBS zu zwei Schlüssen:810 1.

Es bestand bis auf die vierte Führungsebene, d. h. bis und mit Martin Liechti, ein gewisser Konsens, in (Einzel-)Fällen bei Strukturen ein Auge zuzudrücken und Deklarationen von Directors der Strukturen betreffend wirtschaftliche Berechtigung zu akzeptieren, von denen man wusste, dass sie im Licht des US-Steuerrechts und der Verpflichtungen der UBS gemäss internen Richtlinien zur Umsetzung des QIA nicht hätten akzeptiert werden dürfen bzw. hätten aktiv hinterfragt werden müssen.

2.

Die Untersuchung ergab keine Hinweise auf aktives Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer bezüglich der Verstösse gegen die QIA-Verpflichtungen.

Der Zielsetzung der Untersuchung gemäss dem Untersuchungsbericht der EBK ist zu entnehmen, dass diese Unicht primär die Klärung der Verantwortlichkeiten der obersten UBS-Leitung bezweckte.

Gemäss Aussage des Vizedirektors der EBK war es der EBK aufgrund des Zeitdrucks nicht möglich, sich im Rahmen ihrer Untersuchung nach allen Regeln der Kunst gestützt auf den Schlussbericht der UBS-internen Untersuchung von den Kundenberatern bis zum obersten Management der UBS hinaufzuarbeiten.811 812 Trotzdem hielt es die EBK für nötig, die folgende Aussage in die Verfügung aufzunehmen: «Die EBK hat hingegen nicht festgestellt, dass [...] die oberste Geschäftsleitung der UBS von den erwähnten Betrugsmanövern von US-Kunden zum Nachteil der US-Steuerbehörden und der weisungswidrigen Verletzung von Restriktionen des US-Wertschriftenrechts durch einzelne Mitarbeiter gewusst hätte.»813 Obwohl die GPK nachvollziehen können, dass die Untersuchung innert nützlicher Frist abgeschlossen werden musste und, um Zeit zu sparen, keine formellen Befragungen der UBS-Mitarbeiter durchgeführt wurden, vermag die Untersuchung der EBK die GPK in dieser Hinsicht nicht zu überzeugen. Aus Sicht der GPK kann und darf der Untersuchungsbericht der EBK in aufsichtsrechtlicher Hinsicht nicht als Freispruch für die oberste UBS-Leitung gewertet werden.

809

810 811 812

813

«Die EBK stellte im Rahmen ihrer Untersuchung fest, dass einzelne Mitarbeitende der UBS in einer beschränkten Zahl von Fällen den Bestimmungen des QIA zuwider handelten. So akzeptierten sie zu US-Steuerzwecken eingeholte schriftliche Erklärungen ihrer Kunden, von denen sie wussten oder hätten wissen müssen, dass sie den US-Steuerstatus des Kunden nicht zutreffend wiedergaben. Weiter missachteten einzelne Mitarbeitende der UBS über längere Zeit hinweg amerikanische aufsichtsrechtliche Restriktionen, die für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen an US-Investoren eine Bewilligungspflicht vorsehen. Die EBK kam zum Schluss, dass UBS dadurch in schwerer Weise gegen das Gewährs- und Organisationserfordernis des Bankengesetzes verstossen hat. Insbesondere erfasste, begrenzte und überwachte sie die mit dem grenzüberschreitenden Geschäft mit US-Privatkunden verbundenen Rechtsrisiken im Ergebnis ungenügend.»; Medienmitteilung der EBK/FINMA vom 18.2.2009.

EBK-Schlussbericht, S. 101.

Protokoll der Anhörung von Urs Zulauf, Leiter des Geschäftsbereichs Strategische Grundlagen und zentrale Dienste FINMA, durch die GPK vom 15.4.2010, S. 8.

Die Untersuchung habe sich damals auch nicht gegen Individuen gerichtet, sondern gegen die UBS als Gesellschaft. In einer Untersuchung gegen Individuen müssen diesen alle gesetzlichen Parteirechte gewährt werden, was die Untersuchung weiter verzögert hätte.

EBK-Verfügung vom 21.12.2008, Ziffer 3.

3395

Die GPK sind sich bewusst, dass Ende Dezember 2008 die Lage der UBS delikat war, sowohl in finanzieller Hinsicht wie auch bezüglich der Probleme mit dem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA. Jede Massnahme gegen die UBS hätte zu einer weiteren Destabilisierung der Bank führen können. Trotzdem sind die GPK der Meinung, die EBK habe ihrer Aussage, dass sich keine Hinweise auf ein «aktives» Wissen von Marcel Rohner und Peter Kurer bezüglich der Verstösse gegen die QIA-Verpflichtungen ergeben haben, ein zu grosses Gewicht verliehen.

Die GPK sind der Überzeugung, dass angesichts der grossen Tragweite dieser Affäre die Frage, wie viel die oberste Leitung der UBS von den QIA-Verletzungen der Bank wusste, durch die FINMA auch ohne aktuelles Rechtsschutzinteresse814 vertieft abgeklärt werden sollte. Sollten sich in der Zukunft ähnliche Fälle ereignen, wäre die Gewährsfrage von Amtes wegen und systematisch zu klären.

Empfehlung 10 Die GPK fordern die FINMA auf, angesichts der grossen Tragweite dieser Affäre die Frage, wie viel die oberste Leitung der UBS von den QIAVerletzungen der Bank und ihrer Mitarbeiter wusste, vertieft abzuklären.

Bezüglich einer allfälligen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der damaligen UBSFührung halten die GPK fest, dass die Zürcher Strafverfolgungsbehörde im Rahmen der von ihr zu behandelnden Strafanzeigen zwei Mal ein Monitoring des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS mit Privatkunden aus den USA durchführte. Dabei hat sie keinen Anfangsverdacht eines nach Schweizer Recht strafbaren Verhaltens festgestellt.815 Für die Prüfung der zweiten Strafanzeige war die Zürcher Staatsanwaltschaft gemäss Auskunft der FINMA im Besitz des detaillierten Untersuchungsberichts der EBK.

3.6.1.5

Angemessenheit der Kommunikation

Der Bundesrat und das EFD benötigten viel Zeit, um den Ernst der Lage und den dringenden Handlungsbedarf im Herbst/Winter 2008 zu erkennen. Nach den Abklärungen der GPK spielte für die Sensibilisierung des Gesamtbundesrats seine jährliche Aussprache mit dem Präsidenten der SNB im Dezember 2008 eine wichtige Rolle. Der Präsident der SNB nutzte damals die Gelegenheit, den Gesamtbundesrat über die gravierende Situation und den dringenden Handlungsbedarf aus Sicht der SNB zu informieren. Die EBK versuchte dasselbe über längere Zeit auf hierarchisch tieferer Stufe zu erreichen, jedoch nicht mit dem gleichen Erfolg.

Die GPK sind der Ansicht, dass eine frühzeitige und unmissverständliche Information des Gesamtbundesrats mit einem formellen Schreiben der EBK über ihre Lageeinschätzung mehr Wirkung gehabt hätte und geeignet gewesen wäre, das Dossier früher zu einem Thema im Gesamtbundesrat zu machen. Es hätte die politische 814

Ein aktuelles Rechtsschutzinteresse besteht, solange eine Person dem Kader einer Bank angehört oder eine solche Position anstrebt.

815 Medienmitteilungen der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich vom 15.12.2009 und vom 17.2.2010.

3396

Behörde gezwungen, die Federführung in diesem Dossier unter Wahrung der Aufgabenteilung zwischen der EBK, dem Bundesrat und den betroffenen Departementen wahrzunehmen. Ein solches Schreiben der Bankenkommission bzw. später des FINMA-Verwaltungsrates an den Gesamtbundesrat erfolgte zu keinem Zeitpunkt.

In diesem Zusammenhang bewerten die GPK den Ausstand des EBK-Präsidenten zwischen August und November 2008 als für die Dossierführung nicht optimal. Die EBK hätte einen der Vizepräsidenten der EBK anstelle des Präsidenten damit betrauen sollen. Dieser hätte Kraft seiner Stellung die Sichtweise der EBK namentlich gegenüber dem EFD mit mehr Gewicht einbringen können.

Angesichts dieser Erfahrung sind die GPK der Überzeugung, dass der Präsident des FINMA-Verwaltungsrates in Analogie zum Präsidenten der SNB regelmässig den Gesamtbundesrat persönlich über die Lage und die wichtigsten Entwicklungen im Tätigkeitsbereich der FINMA orientieren sollte. Um den schnellen Entwicklungen gerade im Finanzmarktbereich gerecht zu werden, sollten solche Treffen zumindest mit dem Wirtschaftsausschuss des Bundesrats auch auf Verlangen des FINMAVerwaltungsrates stattfinden können.

Motion 1 Der Bundesrat wird aufgefordert, den Präsidenten des FINMA-Verwaltungsrates regelmässig zu einer Aussprache einzuladen. Auf Anfrage des FINMA-Verwaltungsrates sollten auch ausserhalb dieser Treffen Aussprachen des FINMAVerwaltungsratspräsidenten mit dem Wirtschaftsausschuss des Bundesrats stattfinden.

3.6.1.6

Déchargeerteilung an die UBS-Verantwortlichen

Die GPK nahmen wie die Öffentlichkeit mit Erstaunen davon Kenntnis, dass der UBS-Verwaltungsrat der Generalversammlung der UBS, welche am 14. April 2010 stattfand, die Déchargeerteilung sowohl für den UBS-Verwaltungsrat wie auch für die Geschäftsleitung für die Jahre 2007 und 2008 beantragte.

Aufgrund der Feststellungen zum Schlussbericht der EBK (siehe Kapitel 3.6.1.4) war die Arbeitsgruppe beider GPK, die die vorliegende Untersuchung im Auftrag der GPK durchführte, von diesem Vorgehen der UBS äusserst befremdet. Sie lud in der Folge den Präsidenten der FINMA zu einer dringenden Aussprache am 24. März 2010 ein. Der Präsident der FINMA informierte die Arbeitsgruppe, dass die FINMA keine gesetzliche Grundlage habe, in dieser Sache zu intervenieren.

Auch wenn der Entscheid über die Déchargeerteilung klarerweise dem Aktionariat der UBS zusteht, vermochte diese Situation die Arbeitsgruppe nicht zu befriedigen.

Sie legte dem Präsidenten der FINMA nahe, dem Verwaltungsrat der UBS zu empfehlen, die Déchargeerteilung für diese beiden Jahre von der Traktandenliste der Generalversammlung zu streichen.

Auch wenn im konkreten Fall die Aktionärsdemokratie gut funktionierte ­ die Generalversammlung der UBS lehnte die Déchargeerteilung für das Jahr 2007 ab ­ ist die GPK der Ansicht, dass die gesetzlichen Grundlagen für die Déchargeerteilung durch die zuständigen Legislativkommissionen zu überprüfen sind. In so schwer3397

wiegenden Fällen müsste aus Sicht der GPK die FINMA vor einer Déchargeerteilung einwandfrei klären, ob die obersten Chargen einer Bank gegen die Gewährserfordernisse für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit verstossen haben.

Empfehlung 11 Die GPK laden die zuständigen Legislativkommissionen ein, die gesetzlichen Regelungen der Déchargeerteilung durch die Generalversammlung im Bankensektor zu überprüfen.

3.6.1.7

Rolle der Revisionsfirma der UBS im Zusammenhang mit dem QIA

In der Schweiz ansässige Banken, die ein QIA mit den USA abgeschlossen haben, werden durch Revisionsfirmen in zweifacher Hinsicht geprüft: Einerseits haben die Revisionsfirmen die Banken gemäss den einschlägigen Bestimmungen der schweizerischen Rechtsordnung zu prüfen, andererseits müssen sie auch die Einhaltung der QIA-Verpflichtungen überprüfen.

Die EBK setzte sich im Rahmen ihrer Untersuchung mit der Prüftätigkeit der zuständigen Revisionsfirma auseinander. Sie gelangte zum Schluss, dass «in keiner der im Hinblick auf die Einführung und die Umsetzung des QIA durchgeführten Prüfungen [...] von der internen Revision der mit dem QI-Audit betrauten Prüfgesellschaft die konkreten Probleme aufgezeigt [wurden], die nun Gegenstand der Untersuchung der EBK und der Verfahren des DOJ, der SEC und des IRS sind. Die Prüftätigkeit des Group internal Audit UBS und der QIA-Revisionfirma war aber auch nicht darauf ausgerichtet, solche Sachverhalte aufzuspüren.»816 Auch diese Feststellung vermochte die GPK nicht zu befriedigen. Die GPK erachten es als wichtig, dass die Aufgaben der Revisionsfirmen bei Grossbanken überprüft werden und ihre Kontrolltätigkeit verstärkt wird. Die Revisionsfirmen müssen für die Bankenaufsicht in Zukunft einen grösseren Mehrwert erbringen.

Postulat 1 Der Bundesrat wird beauftragt, die vom Gesetz definierte Rolle der Revisionsfirmen bei Prüfungen von Grossbanken zu überprüfen und über mögliche gesetzliche Massnahmen oder andere Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Revisionsfirmen zugunsten der Bankenaufsicht Bericht zu erstatten.

816

EBK-Schlussbericht, S. 110.

3398

3.6.2

Schweizerische Nationalbank

Die SNB spielte bei der Übermittlung von Informationen zu den Risiken für die Finanzstabilität eine wesentliche Rolle.

Zwar lag das Dossier nicht direkt in ihrem Zuständigkeitsbereich, und auch in der Arbeitsgruppe Karrer war die SNB nicht vertreten, doch angesichts der steigenden strafrechtlichen Risiken für die UBS in ihrem Konflikt mit der US-Justiz fühlte sich die SNB zu Recht zunehmend von der Angelegenheit betroffen.

Ab dem 5. August 2008 warnte das Fed die SNB vor der existenziellen Bedrohung, die eine Strafklage des DOJ gegen die UBS für die Bank bedeuten würde. Gemäss ihrem Mandat informierte die SNB die EBK/FINMA und das EFD über die prekäre Situation der UBS. Auch die UBS selbst warnte sie mehrmals.

Die Destabilisierung der UBS in der Finanzmarktkrise führte zu einem verstärkten Monitoring der Bank durch die SNB. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Warnungen von amerikanischer Seite intervenierten die Vertreter der SNB am 1. und am 20. November 2008 bei ihren US-Amtskollegen des Fed und Vertretern des Treasury, um das DOJ dazu zu bewegen, die Ergebnisse der Amtshilfe abzuwarten, bevor es eine Strafklage gegen die UBS einreichte. Die SNB nutzte somit ihre Kontakte, um den Interessen der Schweiz Gehör zu verschaffen. Die SNB reagierte folglich angemessen, indem sie die Initiative ergriff und den US-Behörden zu verstehen gab, wie wichtig es war, die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems zu wahren. Sie informierte darüber auch das EFD.

Auch ihren amerikanischen Amtskollegen des Fed legten die Vertreter der SNB die Bedeutung der schweizerischen Finanzstabilität mit deutlichen Worten nahe. Das Fed und die SNB waren sich im Übrigen in ihrer Analyse der Situation einig und unterstrichen beide die gravierenden Folgen, die eine Strafklage gegen die UBS ­ und damit ein sicherer Konkurs der Bank ­ für das amerikanische Finanzsystem, das sich erst langsam vom Konkurs der Lehman Brothers erholte und immer noch mit einem Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten kämpfte, bedeuten würde.

Am 12. Dezember 2008 informierte die SNB den Bundesrat beim jährlichen Treffen über die Systemrisiken, denen die schweizerische Wirtschaft aufgrund der Indictment-Drohungen der US-Justiz gegen die UBS ausgesetzt war. Dank der Erläuterungen des Präsidenten der SNB erfasste der Bundesrat endlich den Ernst
der Lage und verstand, dass die Existenz der UBS im Dossier zum grenzüberschreitenden Geschäft der UBS auf dem Spiel stand.

Bis die Gefahr einer Strafklage gegen die UBS definitiv abgewendet war, erkundigte sich die SNB beim Fed regelmässig über das Verhalten des DOJ, so z. B. am 12. Januar 2009, und holte bei den schweizerischen Behörden Informationen über den Stand des Dossiers ein.

So intervenierten die Vertreter der SNB nicht nur wiederholt bei ihren amerikanischen Amtskollegen zugunsten der schweizerischen Behörden, sondern sie gewährleistete auch die Übermittlung entscheidender Informationen zur Gefahr einer Strafklage gegen die UBS. Und nicht zuletzt kommt der SNB das Verdienst zu, den Bundesrat über die inhärenten Risiken des Dossiers unterrichtet zu haben. Demgemäß muss die SNB zuhanden der politischen und administrativen Behörden auch in Zukunft die Rolle der Wächterin und Bewahrerin der schweizerischen Finanzstabilität wahrnehmen. In dieser Absicht und in Anbetracht ihrer zentralen Rolle für den

3399

Erhalt und das Überleben des Finanzplatzes Schweiz muss sie regelmässig mit dem Bundesrat in Kontakt sein.

Empfehlung 12 Der Bundesrat trifft sich regelmässig mit der Direktion der SNB und ergreift die erforderlichen Massnahmen, damit die SNB einen privilegierten Zugang zum Kollegium hat, wann immer sie dies für notwendig erachtet.

3.6.3

Eidgenössisches Finanzdepartement

3.6.3.1

Allgemeines

Das EFD hat in der ersten Phase, d. h. im Mai 2008, nachdem es von den Problemen der UBS im grenzüberschreitenden Geschäft mit den USA und den damit verbundenen Anstrengungen der US-Behörden um Herausgabe einer grösseren Anzahl von Bankkundendaten erfahren hatte, rasch reagiert und eine interdepartementale Arbeitsgruppe geschaffen. Dies ist positiv zu würdigen.

Ein Faktor erschwerte die Bearbeitung des Dossiers: Das durch den Administrationswechsel in den USA entstandene Machtvakuum verunmöglichte ab Spätherbst 2008 eine mögliche politische Lösung der Krise.

Negativ ins Gewicht fällt, dass diese Arbeitsgruppe nicht über einen schriftlichen Auftrag verfügte, welcher die Aufgaben, Mittel, Kompetenzen, Berichterstattungsmodalitäten und Fristen vorgängig definiert hätte. Wie die GPK festgestellt haben, sah die Arbeitsgruppe ihre Rolle auch nicht darin, von sich aus einen solchen Auftrag zu formulieren, um ihn anschliessend der Linie bzw. den drei Departementsspitzen des EFD, des EDA und des EJPD zur Genehmigung vorzulegen. Sie hatte auch keine Befugnisse, welche über die regulären Kompetenzen der einzelnen Mitglieder (mittleres Kader) hinausgingen.

Das Fehlen eines schriftlichen und klaren Auftrags führte dazu, dass sich die Arbeitsgruppe nicht frühzeitig und umfassend der Problematik der Datenübermittlung bzw. der Aushöhlung des Bankgeheimnisses annahm und annehmen konnte.

Ihr Fokus blieb fragmentiert und beschränkte sich darauf, die US-Behörden auf den Amtshilfeweg zu verweisen. Nachdem dies erreicht war, sah die Arbeitsgruppe keine Notwendigkeit mehr, sich weiter zu treffen. Zwar wurden die Teilnehmer von den jeweiligen Akteuren in der Regel weiterhin mit einer Vielzahl von zum Teil sehr detaillierten Informationen versorgt. Diese Informationen waren aber kaum je mit expliziten Anträgen an die Linie verbunden und verpufften deshalb zunehmend ungenutzt. Bildhaft gesprochen befanden sich die ehemaligen Mitglieder in einem grossen Informationskarussell, das sich immer schneller drehte und ab Spätsommer 2008 bis zum Beschluss der FINMA vom 18. Februar 2009 nie mehr zum Stillstand kam.

Der Vorsteher des EFD muss sich vorhalten lassen, dass er nicht von Anfang an eine klare Projektorganisation geschaffen hat, was angesichts der politischen Brisanz der von den USA anvisierten Übermittlung von Bankkundendaten dringend nötig gewesen wäre. Ein frühzeitiger Einbezug auch der Departementsführung des EDA und 3400

des EJPD hätte es ihm erlaubt, die politische Steuerung der Arbeitsgruppe breiter abzustützen, was möglicherweise zu einer anderen Strategie geführt hätte. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass der Amtshilfeweg bessere, d. h. vor allem raschere Resultate ergeben hätte.

Die GPK gelangen zum Schluss, dass das vom Vorsteher des EFD sehr eng ausgelegte Departementalprinzip letztlich ein Hindernis für anderweitige Lösungsmöglichkeiten war.

3.6.3.2

Problematik der Amtshilfe

Das EFD hat sich bei der Frage der Datenübermittlung für den Amtshilfeweg eingesetzt, in der grundsätzlich zutreffenden Annahme, dass den US-Anliegen damit rascher entgegengekommen werden könnte, als wenn die US-Behörden das schwerfällige und langwierige Rechtshilfeverfahren anwenden würden.

Für die GPK besteht keine Veranlassung, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Vorliegend mangelte es jedoch daran, dass vorgängig nicht abgeklärt wurde, ob die ESTV angesichts ihrer personnellen Ressourcen überhaupt in der Lage wäre, eine Vielzahl von Dossiers mit zum Teil neuartigen und komplexen Sachverhalten rasch, d. h. in einer für die amerikanischen Behörden akzeptablen Zeitspanne, zur Entscheidungsreife zu bringen. Zu dieser vorgängigen Analyse hätte auch gehört, frühzeitig die nötigen Massnahmen zu definieren, allenfalls Teile davon schon umzusetzen, um dann im gegebenen Zeitpunkt auch sofort mit der Behandlung der Einzelfälle beginnen zu können. So wäre es beispielsweise vor Eingang des Amtshilfegesuchs durchaus möglich gewesen, die allfälligen zusätzlichen finanziellen Mittel einzustellen, die ersten juristischen Gutachten und Ablärungen vornehmen zu lassen, Musterverfügungen zu entwerfen, die Lösungswege für eine rasche Aufstockung der ESTV mit juristischem Personal aufzuzeigen u. a. m.

Diese fehlende Vorbereitung sollte sich ab Mitte Juli 2008, als das Amtshilfeersuchen aus Übersee dann auch tatsächlich eintraf, sehr negativ auswirken. Die ESTV war in ihrer damaligen Aufstellung für dieses Ereignis schlichtweg nicht gewappnet. Nur so lässt sich erklären, dass zuerst wertvolle Wochen und Monate mit der Aufstockung des nötigen Juristen- und Mitarbeiterpools verlorengingen. Es kam departementsintern zu administrativen Reibungsverlusten im Zusammenhang mit der notwendigen Aufstockung, die für die ungenügende Vorbereitung der ESTV symptomatisch waren.

Die GPK gelangen zum Schluss, dass die ESTV Mitte Juli 2008 gar nicht in der Lage war, die erwünschten Resultate rasch zu liefern. Auch hatte es das EFD nicht für zweckdienlich erachtet, das BVGer rechtzeitig über die zu erwartende Flut von Beschwerden und die zeitlichen Zwänge für die Schweizer Behörden in geeigneter Form zu informieren.

Unter diesen Umständen war das ab Ende Mai 2008 in die Wege geleitete Unterfangen, die US-Behörden von der Zweckmässigkeit
des Amtshilfeverfahrens zu überzeugen, von allem Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Der Vorsteher des EFD hat es unterlassen, EFD-intern rechtzeitig die nötigen Abklärungen zu veranlassen und hernach die nötigen Massnahmen zu treffen, um eine rasche Abwicklung des Amtshilfeersuchens aus den USA zu gewährleisten. Die Folge war, dass sich die US-Behörden in ihrem Vorurteil bestätigt sahen, dass die 3401

Schweizer Behörden gar nicht willens waren, effektiv und effizient zu einer Problemlösung via Amtshilfe beizutragen. Wie die späteren Arbeiten des Bundesrats und der betroffenen Departemente betreffend Neuverhandlungen des DBA und des damit verbundenen Amtshilfeverfahrens zeigen sollten, wäre die Schaffung adäquater Rahmenbedingungen auch schon früher grundsätzlich möglich gewesen.

3.6.3.3

Beurteilung der Informationen des Leiters der Arbeitsgruppe und der weiteren Akteure an den Vorsteher des EFD

Der Vorsteher des EFD wurde von Alexander Karrer auch nach der Einreichung des Amtshilfeersuchens der US-Behörden regelmässig über die neuesten Entwicklungen betreffend die UBS und die wachsende Ungeduld der US-Behörden auf dem Laufenden gehalten.

Ob und wie der Vorsteher des EFD die schwierige Situation der ESTV verfolgte, ist für die GPK nicht restlos geklärt. Nachdem er die Gelegenheit verpasst hatte, für die ESTV noch vor der Einreichung des umfangreichen Amtshilfeverfahrens entsprechende Vorbereitungen zu treffen, waren die Aussichten für einen erfolgreichen Ausgang eines solchen Verfahrens mehr als ungewiss. Das musste dem Vorsteher des EFD zumindest unterschwellig bewusst gewesen sein. Fest steht, dass er den Bundesrat am 19. September 2008 in einer Art und Weise informierte, die das Kollegium dazu bewog, ihn mit der Ausarbeitung von Szenarien zu beauftragen, für den Fall, dass es plötzlich schnell gehen müsste. Daraus ist zu schliessen, dass der Vorsteher des EFD bzw. der Bundesrat ein Scheitern des Amtshilfewegs gute zwei Monate nach der Einreichung des Amtshilfeersuchens nicht ausschloss.

Der Auftrag durch das Bundesratskollegium vom 19. September 2008 blieb wegen der krankheitsbedingten Abwesenheit des Vorstehers des EFD unmittelbar darauf (ab dem 21.9.2008) unbearbeitet. Der Vorsteher des EFD erachtete ihn aber auch nach seiner Rückkehr in sein Amt nicht als vordringlich. Ausgearbeitete Vorschläge hat er dem Kollegium zu keinem Zeitpunkt unterbreitet.

Nach seiner Rückkehr zu Beginn des Monats November 2008 unternahm der Vorsteher des EFD zusammen mit der Vorsteherin des EJPD Schritte: Es kam zum Schreiben beider Departementschefs vom 10. November 2008 an die involvierten US-Ministerien. Am 14. November 2008 machte Alexander Karrer den Vorsteher des EFD in aller Klarheit auf die politische Eskalation aufmerksam, und am 18. November 2008 besprachen der Vorsteher des EFD und die Vorsteherin des EJPD die ursprünglich von der EBK erarbeiteten und von Alexander Karrer aufbereiteten Handlungsoptionen im Beisein der EBK, welche die beiden Bundesräte zusätzlich über ihre eigene Beurteilung informierte.

Wie der weitere Verlauf zeigt, war ab Mitte November 2008 faktisch kein Spielraum mehr vorhanden, um auf politischer Ebene das Dossier in andere Bahnen zu lenken.

Vielmehr wurde unübersehbar,
dass das Amtshilfeverfahren viel zu langsam voran kam und dass die US-Behörden in Kürze die Geduld verlieren würden.

Rückblickend ist für die GPK nicht nachvollziehbar, dass das EFD nicht einen Vertreter der ESTV an das Treffen vom 17. Oktober 2008 in New York entsandte, an welchem das von der UBS beauftragte amerikanische Anwaltsbüro den amerikanischen Behörden (DOJ, IRS, SEC, Fed und N.Y. Fed) sowie der EBK wie auch der 3402

UBS die Resultate seiner Untersuchung über das grenzüberschreitende Geschäft der UBS mit US-Kunden vorstellte. Die koordinierte Teilnahme einer Vielzahl von amerikanischen Behörden an der Präsentation der Untersuchungsergebnisse war ein untrügliches Zeichen dafür, dass die USA ihren Forderungen höchste Bedeutung zumassen.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, dass sich das EFD von den im November 2008 aufgenommenen Vergleichsverhandlungen der UBS mit den US-Behörden völlig distanzierte und von der EBK erwartete, dass sie zum Rechten schaute. Die unterschwellige und zum Teil vom Vorsteher des EFD den GPK gegenüber auch formulierte Auffassung, die UBS solle die Angelegenheit allein in Ordnung bringen, denn schliesslich habe sie das ganze Problem ja selbst verursacht, mag zwar teilweise nachvollziehbar sein, führte jedoch die Schweizer Behörden in eine Sackgasse. Der Vorsteher des EFD ging aufgrund seines staatspolitischen Verständnisses stets davon aus, dass eine staatliche Massnahme zur Herausgabe von Bankkundendaten ausserhalb des Amtshilfeverfahrens nur als ultima ratio in Frage kommen könnte ­ deshalb wurden entsprechende Massnahmen erst geprüft, als der Handlungsspielraum des EFD wie auch des Bundesrats faktisch bereits sehr eingeschränkt war.

Durch dieses Verhalten hat sich der Vorsteher des EFD der Nutzung potenzieller Handlungsoptionen des EFD und des Bundesrats beraubt. Dies war aus Sicht der GPK ein verhängnisvoller Fehler.

Zusammenfassend gelangen die GPK zum Schluss, dass das EFD und der Departementsvorsteher ab März 2008 grundsätzlich über alle relevanten Informationen verfügten, um gestützt auf eine einlässliche Anfangsbeurteilung den damals noch vorhandenen Handlungsspielraum optimal zu nutzen. Dies hätte jedoch eine frühzeitige Einbindung des Bundesratskollegiums und die Erarbeitung einer Finanzplatzstrategie nicht nur im Verhältnis zu den USA, sondern auch zu den übrigen DBAPartnern der Schweiz vorausgesetzt.

Die dem EFD von den Akteuren ausserhalb des Departements zur Verfügung gestellten Informationen erwiesen sich durchwegs als zuverlässig und zeugen von einer guten Vernetzung. Ihr Wert nahm jedoch stetig ab, je weniger sie gewinnbringend genutzt werden konnten und je mehr sich das Amtshilfeverfahren in die Länge zog.

Die GPK haben schliesslich auch festgestellt, dass im EFD
selber auf Stufe des Generalsekretariats ganz offensichtlich niemand dafür verantwortlich war, alle Fäden in der Hand zu halten und sie zu einem einzigen Strang zu vereinigen. Es stellt sich deshalb die Frage nach der Zweckmässigkeit der Organisation des Generalsekretariats, dessen Funktion und dessen Mehrwert. Aus Sicht der GPK wäre es von grosser Bedeutung gewesen, dass eine kompetente Person im Generalsekretariat mit Zugang zum Vorsteher des EFD immer den aktuellen Überblick über dieses Dossier gehabt hätte.

3403

3.6.3.4

Informationsaustausch mit den Vorsteherinnen des EJPD und des EDA/Information des Bundesrats durch das EFD

Soweit die GPK feststellen konnten, erfolgte auf Stufe der betroffenen Departementsvorstehenden in diesem Dossier kein regelmässiger und direkter Informationsaustausch, obwohl nebst den Aufgabenfeldern des EFD auch wichtige Aufgaben und Kompetenzen des EDA und des EJPD durch die Entwicklungen betroffen waren.

Direkte Kontakte bzw. eine Zusammenarbeit zwischen dem Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EJPD gab es sodann punktuell ab November 2008, als es darum ging, auf höchster Stufe bei den US-Behörden zu intervenieren (Brief vom 10.11.2008), und bei der ersten Diskussion der Handlungsoptionen im Zusammenhang mit einer allfälligen Übermittlung von Kundendaten. Die Zusammenarbeit erfolgte jedoch nur ausnahmsweise und hing allem Anschein nach stark damit zusammen, dass die verschiedenen Akteure die Vorsteherin des EJPD auch nach der Rückkehr des Vorstehers des EFD in sein Amt weiterhin direkt mit punktuellen Informationen bedienten. Hingegen ist den GPK nichts von bilateralen Kontakten zwischen dem Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EDA bekannt.

Ganz allgemein sind die GPK der Ansicht, dass das federführende EFD den Gesamtbundesrat nicht genügend frühzeitig und umfassend über die Entwicklungen in diesem Dossier informierte.

3.6.3.5

Rechtliche Expertise im EFD

Im Dezember 2008 war die Situation blockiert. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Amtshilfe der ESTV nicht so beschleunigt werden konnte, dass sie den Anforderungen der amerikanischen Behörden genügt hätte. Die Notwendigkeit einer Datenherausgabe ausserhalb des Amtshilfeverfahrens wurde dringend. Bis zum Vorschlag der EBK, die Datenherausgabe gestützt auf Artikel 25 und 26 BankG vorzunehmen, versprach nur die Option einer Datenherausgabe durch den Bundesrat gestützt auf die Bundesverfassung die zeitgerechte Erfüllung der Forderung der amerikanischen Behörden. Diese Option war jedoch von vornherein vom Vorsteher des EFD und der Vorsteherin des EJPD abgelehnt worden. Später schloss sich der Bundesrat dieser Meinung an.

Als die EBK informierte, dass eine Datenherausgabe durch die EBK über das Bankengesetz möglich sei, wurde dieser Vorschlag u. a. durch das EFD nicht kritisch hinterfragt. Das EFD hätte aus Sicht der GPK zwingend eine unabhängige rechtliche Überprüfung dieses Vorgehens vornehmen müssen, nicht aus Misstrauen gegenüber der EBK, sondern weil ein Entscheid von solcher Tragweite breit abgesichert sein muss. Diese Lösung stellte im Vergleich zur Lösung über die BV eine mildere Massnahme dar, welche dem Bundesrat immerhin erlaubte, von einer Notrechtslösung Abstand zu nehmen. Es oblag dem federführenden Departement, dem Bundesrat eine umfassende rechtliche Beurteilung und Gegenüberstellung beider Lösungs-

3404

ansätze zu unterbreiten. Dies hat das EFD nicht gemacht.817 Dementsprechend kam die Frage anlässlich der Bundesratssitzung vom 18. Februar 2009 wieder auf, als ein Mitglied des Bundesrats feststellte, dass eine Staatshaftung nur dann mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, wenn der Bundesrat direkt gestützt auf die Bundesverfassung die Herausgabe der Kundendaten anordnen würde.

3.6.4

EDA und EJPD

Die Bewertung der Rollen des EDA und des EJPD wird durch die GPK gemeinsam vorgenommen, da diese gewisse Parallelitäten aufweisen.

Die in dieses Dossier involvierten Dienststellen des EDA (Schweizer Botschaft in den USA und PA V) und des EJPD (BJ) spielten bei der Bearbeitung der anfallenden Fragen eine wichtige Rolle und taten im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen ihr Möglichstes, um die von den amerikanischen Untersuchungen ausgelöste Problematik in geordnete Bahnen zu lenken.

Die Schweizer Botschaft in den USA war sehr schnell ein aktiver Akteur in diesem Dossier und nahm insbesondere ihre Scharnierfunktion zwischen den amerikanischen und den schweizerischen Behörden mit grossem Einsatz wahr. Die Einschätzungen der Lage vor Ort durch die Botschaft schufen einen klaren Mehrwert, der allen involvierten schweizerischen Behörden zur Verfügung stand. Schon früh erkannte die Botschaft vor Ort die weitgehende Dimension der Forderungen nach Herausgabe von Kundendaten. Auch die Einbindung des Vertrauensanwalts der Botschaft war ein wichtiger Schritt und zeugt von den Bemühungen, die involvierten Stellen mit fundierten Informationen zu beliefern. Die PA V war zumindest in einer ersten Phase ebenfalls aktiv in diesem Dossier. Ihre Rolle nahm jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen in der Folge wieder ab.

Beim BJ ist insbesondere dessen positive Rolle hervorzuheben, als es darum ging, die amerikanischen Behörden zum Einreichen eines Amtshilfegesuchs an die ESTV zu bewegen. Im Verlaufe der weiteren Entwicklung wurde das BJ aber nur noch punktuell für rechtliche Abklärungen beigezogen. Sein Wissen erlaubte es den Bundesbehörden zwar, die von der UBS in gewissen Fragen vertretenen Rechtsauffassungen kritisch zu hinterfragen und ihre Unabhängigkeit zu stärken. Die GPK sind jedoch der Ansicht, dass die juristischen Kompetenzen des BJ noch vermehrt hätten genutzt werden können und müssen, so z. B. für vertiefte Abklärungen zu einer Herausgabe von Kundendaten aufgrund von Notrecht bzw. zum Staatshaftungsrisiko der verschiedenen Handlungsoptionen. Der nur partiell erfolgte Einbezug des BJ ist jedoch nicht dem Amt, sondern vielmehr dem Bundesrat anzulasten.

Zur Funktion des Staatssekretärs des EDA konnten sich die GPK keine abschliessende Meinung bilden: Aus der Anhörung der Vorsteherin des EDA wurde erkennbar,
dass der Staatssekretär doch weitgehender in dieses Dossier involviert war, als dies aufgrund seiner eigenen Anhörung durch die GPK den Anschein gemacht hatte.

817

Der Rechtsdienst des EFD erstellte zwar am 19.1.2009 ein knapp einseitiges Exposé zur Frage einer Staatshaftung aufgrund einer Verfügung oder einer Verordnung des Bundesrats gestützt auf Artikel 184 Absatz 3 BV. Es kann jedoch nicht als vertiefte und abschliessende Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema gewertet werden. Auch nahm es bezüglich des Staatshaftungsrisikos keinen Vergleich zwischen der Lösung über die BV und jener über das BankG vor. Vgl. Führungsdossier EFD, Dokument Nr. 127.

3405

Wie bereits im Kapitel zum EFD festgestellt wurde, muss für die optimale Information eines Departementsvorstehers oder einer Departementsvorsteherin bzw. für eine angemessene Begleitung eines wichtigen Geschäfts das Generalsekretariat oder beim EDA auch der Staatssekretär gebührend involviert sein. Ob dies beim EDA der Fall war, können die GPK ­ wie erwähnt ­ nicht abschliessend beurteilen. Aufgrund ihrer Informationen gehen sie jedoch davon aus, dass ein stärkerer Einbezug des Staatssekretärs wünschenswert gewesen wäre. Beim EJPD ist den GPK nicht bekannt, dass im Generalsekretariat eine Person dieses Dossier eng begleitet hätte.

Empfehlung 13 Die GPK fordern den Bundesrat auf, für die Betreuung von wichtigen Geschäften ­insbesondere wenn sie departementsübergreifend sind ­ in den betroffenen Departementen zu gewährleisten, dass das jeweilige Generalsekretariat in geeigneter Weise in die Informationsflüsse einbezogen wird, damit es seine Funktion als Stabsstelle des Departements, aber auch des Departementsvorstehers oder der Departementsvorsteherin wahrnehmen kann.

Eine weitere Parallele zwischen den beiden Departementen ergibt sich daraus, dass sowohl die Vorsteherin des EDA als auch die Vorsteherin des EJPD Informationen über die Schwierigkeiten in diesem Dossier hatten oder hätten haben können, da Dienststellen ihrer Departemente involviert waren und die Vorsteherin des EJPD die Stellvertretung des Vorstehers des EFD ausübte. Sie waren damit in der Lage ­ im Gegensatz zu den Vorstehern anderer, nicht involvierter Departemente ­, das Geschäft entweder bilateral mit dem Vorsteher des EFD oder im Gesamtbundesrat zur Diskussion zu stellen. Soweit dies aufgrund der mangelhaften Schriftlichkeit der Bundesratssitzungen und der von den GPK durchgeführten Anhörungen ersichtlich ist, haben die beiden Departementsvorsteherinnen diese Informationen zu wenig genutzt, um ihre Verantwortung als Mitglied des Kollegiums adäquat wahrzunehmen. Dadurch wurde auch eine Chance vertan, dass sich der Gesamtbundesrat früher in angemessener Weise mit dem Geschäft auseinandergesetzt hätte.

Weder hat das EDA das Dossier zum Anlass genommen, eine aussenpolitische Gesamtschau in diesem Bereich vorzunehmen oder zu beantragen, die es dem Gesamtbundesrat erlaubt hätte, die Entwicklung der Angelegenheit UBS ­ USA in einen
grösseren Rahmen zu stellen, noch hat das EJPD eine umfassende rechtliche Gesamtwürdigung der Handlungsoptionen zuhanden des Bundesrats vorgenommen.

Das EJPD hat insbesondere die Frage nach einer Datenherausgabe gestützt auf die Bundesverfassung nicht vertieft und umfassend geprüft und auch die Datenherausgabe gestützt auf das Bankengesetz rechtlich nicht geklärt. Obwohl die GPK anerkennen, dass das BJ nicht das Kompetenzzentrum für alle Rechtsgebiete sein kann, muss es aus Sicht der GPK immer beigezogen werden, wenn es um grundlegende rechtliche Fragestellungen im Kollegium geht. Es muss zumindest eine Einschätzung im Sinne einer Zweitmeinung abgeben können.

3406

Empfehlung 14 Die GPK fordern den Bundesrat auf, bei wichtigen Rechtsfragen systematisch eine fundierte Analyse und Beurteilung beim BJ einzuholen.

3.6.5

Bundesrat

3.6.5.1

Allgemeines zur Arbeitsweise des Bundesrats

3.6.5.1.1

Schriftlichkeit der Beratungen

Gemäss den Auskünften der Bundeskanzlerin gibt es für jede Bundesratssitzung drei verschiedene Arten der Protokollführung: 1. Beschlussprotokoll für alle traktandierten Geschäfte. Dieses Beschlussprotokoll ist sehr kurz und gibt lediglich Auskunft darüber, ob ein Geschäft gemäss Antrag verabschiedet oder verschoben wurde. Es sagt jedoch nichts darüber aus, wie der Entscheid zustande kam. 2. Zu jedem Geschäft gibt es einen Bundesratsbeschluss. Dieser Beschluss ist ein Abbild der gefällten Entscheide zu einem einzelnen Geschäft. 3. Das so genannte «grüne Protokoll» gibt den chronologischen Verlauf der Sitzung wieder und weist die einzelnen Wortmeldungen aus. Es wird von einem der Vizekanzler verfasst. Da es sich nicht um ein umfassendes bzw. ein Wortprotokoll handelt, wird das «grüne Protokoll» auch nicht vom Bundesrat genehmigt. Es gibt keine Tonaufzeichnungen der Bundesratssitzungen. Die Bundeskanzlerin legte Wert auf die Feststellung, dass es sich beim «grünen Protokoll» um eine Dienstleistung der BK handle, welche es in dieser Form in den Kantonen nicht gebe.

Das «grüne Protokoll» wird nach seiner Erstellung den Mitgliedern des Bundesrats verteilt. Die Bundeskanzlerin und die Vizekanzler, welche ebenfalls an der Bundesratssitzung teilnehmen, erhalten ebenfalls ein persönliches Exemplar. Dieses soll im persönlichen Tresor aufbewahrt werden. Scheidet ein Mitglied aus dem Bundesrat aus, zieht die Bundeskanzlerin die persönlichen Protokolle ein und vernichtet sie.

Ein Exemplar geht an das Bundesarchiv und untersteht der 50-jährigen Schutzfrist.

Für die Zeit vom 26. September 2008 bis Ende Jahr erteilte der damalige Bundespräsident dem Vizekanzler die Anweisung, im Zusammenhang mit der UBS kein «grünes Protokoll» zu erstellen. Es gab keinen formellen Kollegiumsbeschluss in dieser Sache, und kein Mitglied des Bundesrats widersetzte sich der Anweisung des Bundespräsidenten. Auch die Bundeskanzlerin selber opponierte nicht. Sie wies jedoch ihrerseits die beiden Vizekanzler an, weiterhin Aufzeichnungen zu machen, was diese denn auch taten.

Gemäss den Angaben der Bundeskanzlerin erfolgte die Anweisung des Bundespräsidenten an jener Sitzung, als die Vorsteherin des EJPD als Stellvertreterin des Vorstehers des EFD zum ersten Mal über die Situation der UBS informierte, d. h.

am 26. September 2008.
Wie die GPK feststellen mussten, blieb die Anweisung des Bundespräsidenten faktisch über den Jahreswechsel hinaus in Kraft. Sie umfasste nicht nur die Geschäfte und Informationen über die Rekapitalisierung der UBS im engeren Sinn, sondern auch jene über das grenzüberschreitende Geschäft der UBS. Dieses Vor-

3407

gehen wirft Fragen bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Bundesratsgeschäfte und des Informationsstandes der einzelnen Bundesratsmitglieder auf.

Dass kein «grünes Protokoll» von den Sitzungen i. S. UBS existierte, wurde im Bundesrat erstmals an der Sitzung vom 12. Februar 2009 thematisiert und auch erst zu diesem Zeitpunkt als Mangel empfunden. Bei dieser Gelegenheit informierte die Bundeskanzlerin das Kollegium, dass Aufzeichnungen vorhanden seien und diese den Bundesräten abgegeben würden. In der Bundesratssitzung vom 18. Februar 2009 kam das fehlende «grüne Protokoll» wiederum zur Sprache. Die BK wurde aufgefordert, die von ihr gemachten Notizen den Kollegiumsmitgliedern bis zum 19. Februar 2009 zuzustellen. Dabei handelte es sich um ein elfseitiges Dokument mit dem Titel «Stichwortartige Aufzeichnungen zu den Verhandlungen von September 2008 bis Januar 2009».

Gegenüber den GPK qualifizierte die Mehrheit der gegenwärtigen und früheren Mitglieder des Bundesratskollegiums den Verzicht auf ein «grünes Protokoll» rückblickend als Fehlentscheid und als Mangel. Es wurde jedoch auch Wert auf die Feststellung gelegt, dass der Entscheid des damaligen Bundespräsidenten vom ganzen Kollegium mitgetragen wurde. Es wurde auch dargelegt, dass dies ein einmaliges Vorkommnis gewesen sei, was ­ wie die GPK wissen ­ nicht ganz den Tatsachen entspricht. So verzichtete der Bundesrat auch in der Angelegenheit Tinner zeitweilig auf eine Protokollierung und einmal sogar auf die gesetzlich vorgesehene Teilnahme der Bundeskanzlerin.

In dieser Untersuchung haben die GPK auch festgestellt, dass der Bundesrat Mühe bekundete im Umgang mit geheimen Anträgen oder Arbeitspapieren. Die GPK hegen grosse Zweifel an der korrekten Handhabung der geltenden Informationsschutzvorschriften durch die Mitglieder des Bundesrats.

Gemäss den Erkenntnissen der GPK enthält das «grüne Protokoll» auch häufig nur wenige bis keine Angaben zu mündlichen Informationen aus den Departementen.

Gerade in der vorliegenden Inspektion konnte rekonstruiert werden, dass dem Bundesrat unter der Rubrik «Varia» oder «Umfragen» über mehrere Monate wiederholt mündliche Informationen vom Vorsteher des EFD i. S. UBS oder grenzüberschreitendes Geschäft gegeben wurden. Diese Informationen flossen nicht ins «grüne Protokoll» ein; mit der Folge, dass die Mitglieder
des Bundesratskollegiums während langer Zeit den Ernst der Lage gar nicht erkannten.

Die GPK sind der Auffassung, dass das Kriterium der Schriftlichkeit in allen Situationen gewahrt bleiben muss. Die von einigen Mitgliedern geltend gemachte Gefahr von Indiskretionen lassen sie nicht gelten. Vielmehr gehen sie davon aus, dass das Bundesratskollegium in der Lage ist und in der Lage sein muss, mit heiklen Informationen umzugehen und heikle Angelegenheiten zur Entscheidungsreife zu bringen. Die geltenden Klassifizierungsvorschriften erlauben es ohne weiteres, auch «geheime» oder «geheim zu haltende» Informationen zu schützen, ohne dass das Erfordernis der Schriftlichkeit geopfert werden muss.

Motion 2 Der Bundesrat wird beauftragt, einen Revisionsentwurf des RVOG vorzulegen, welcher eine Pflicht für die durchgehende Schriftlichkeit seiner Beratungen und Beschlüsse verankert. Das Gebot der Schriftlichkeit ist auch bei geheimen

3408

Geschäften und im Falle von bloss mündlichen Informationen zu berücksichtigen. Die Protokolle des Bundesrats müssen als Führungsinstrumente verwendet werden können und die nachträgliche Nachvollziehbarkeit der Beratungen und Beschlüsse des Bundesrats gewährleisten.

Generell wurde seitens der angehörten Bundesratsmitglieder bedauert, dass das «grüne Protokoll» erst mehrere Wochen oder gar Monate nach der Sitzung zugestellt werde. Mehrfach wurde den GPK erläutert, dass die einzelnen Bundesratsmitglieder bei der Beratung ihrer eigenen Geschäfte eigenhändig Notizen machten, damit sie nachfolgend departementsintern die nötigen Instruktionen geben könnten. Doch auch für die Weiterverfolgung von wichtigen Geschäften seien sie auf eigene Notizen angewiesen, da das «grüne Protokoll» nicht genügend umfassend oder vollständig sei.

Die GPK sind entschieden der Meinung, dass sich der Bundesrat die nötigen Ressourcen und Mittel geben muss, damit die «grünen Protokolle» seinen Bedürfnissen gerecht werden und auch als Führungs- und Arbeitsinstrument genutzt werden können. Dies ist allein schon wegen der Vielzahl der vom Bundesrat wöchentlich behandelten Geschäfte notwendig. Die Notwendigkeit einer ausreichenden Schriftlichkeit der Beratungen und Beschlüsse des Bundesrats ergibt sich ebenfalls aus Sicht des Verfassungsauftrags der parlamentarischen Oberaufsicht. Ohne ausreichende Schriftlichkeit ­ dies zeigt die hier vorliegende Untersuchung der GPK und die schon erwähnte Untersuchung der GPDel zum Fall Tinner ­ kann die parlamentarische Oberaufsicht nur ungenügend wahrgenommen werden.

Nicht minder notwendig ist es, dass eine einheitliche und allen Bundesratsmitgliedern zugängliche Geschäfts- und Pendenzenkontrolle vorhanden ist, welche sowohl die schriftlichen wie auch die mündlichen Aufträge des Kollegiums nachverfolgt.

Diese Erfordernisse ergeben sich insbesondere daraus, dass der Bundesrat gemäss Bundesverfassung die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes ist und dadurch letztlich als Kollegium die Gesamtverantwortung für die Tätigkeit der einzelnen Departemente trägt.

Empfehlung 15 Der Bundesrat gibt sich die nötigen Ressourcen und Mittel, damit er rasch über geeignete Protokolle und über eine ausreichende Geschäftskontrolle verfügt.

3.6.5.1.2

Informationsgrundlagen des Bundesrats

Wie die GPK festgestellt haben, verfügte das Bundesratskollegium im grenzüberschreitenden Geschäft der UBS mit den USA bis Februar 2009 nicht über die nötigen Informationen, die es ihm ermöglicht hätten, seine Führungsverantwortung als oberste Exekutivbehörde der Schweiz rasch und umfassend wahrzunehmen. So hat der Bundesrat als Kollegium allzu lange nicht erkannt, dass es sich beim Streit UBS ­ USA nicht bloss um eine Auseinandersetzung zwischen einem privaten schweizerischen Unternehmen und einer ausländischen Steuerbehörde, wie es deren viele gibt, handelte, sondern um einen grundsätzlichen und gravierenden zwischenstaatli3409

chen Konflikt mit einer hohen staatspolitischen Brisanz. Dadurch hat der Bundesrat als Kollegium auch (zu) lange die weitreichenden Konsequenzen dieses Konflikts auf den Finanzplatz Schweiz unterschätzt und in der konkreten Auseinandersetzung zwischen der UBS und den US-Behörden jedwelchen Handlungsspielraum vertan.

Ein erster Kurswechsel oder ein erstes Umdenken im Kollegium erfolgte gemäss den Erkenntnissen der GPK erst ab Ende Oktober 2008, als der Bundesrat dem EFD den Auftrag erteilte, in Zusammenarbeit mit dem EDA und dem EVD ein Aussprachepapier über die aktuellen Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz und den Unternehmensstandort namentlich im Steuerbereich vorzubereiten sowie Möglichkeiten für das weitere Vorgehen aufzuzeigen.

Es verging dann ein weiterer Monat, bis dieses Aussprachepapier vorlag. Ende November 2008, d. h. am 21. November 2008, war der Bundesrat erstmals in der Lage, eine umfassendere Beurteilung vorzunehmen, wobei zu diesem Zeitpunkt der Fokus vor allem auf die Steuerproblematik im Verhältnis zur EU ausgerichtet war.

Die jüngsten innerstaatlichen Entwicklungen in den USA, v. a. im Gesetzgebungsbereich, wurden zwar in groben Zügen nachgezeichnet, das Problem UBS ­ USA jedoch immer noch verharmlost. Wider besseres Wissen wurde behauptet, die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den USA mittels Amts- und Rechtshilfe funktioniere auch in Steuerfällen grundsätzlich gut. Jedenfalls dürften die Auseinandersetzungen zwischen der UBS und den USA nicht als Angriff auf das Schweizer Bankgeheimnis gewertet werden.

Im Dezember 2008 schliesslich, entzog sich der Bundesrat gänzlich seiner Verantwortung, indem er die EBK ­ wie dies die durch die GPDel eingesehenen Aufzeichnungen der BK zeigen ­ mehr oder weniger drängte818, im Fall UBS die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die Bank vor ihrem Untergang zu retten.819 Wiewohl die Frage der Rechtmässigkeit des Entscheids der FINMA vom 18. Februar 2009 noch offen ist (hängige Beschwerde der FINMA beim Bundesgericht) und sich die GPK in dieser Hinsicht auch keine Beurteilung an Stelle des Bundesgerichts anmassen, erachten sie es aus staatspolitischen Überlegungen als bedenklich, dass sich der Bundesrat aus der Verantwortung nahm, ohne die in Frage kommenden gesetzlichen Grundlagen vorgängig eingehend und vertieft überprüft zu haben.

3.6.5.1.3

Stellvertretungssystem im Bundesrat

Die Vorsteherin des EJPD hat in der Zeit vom 21. September 2008 bis zum 2. November 2008 als Stellvertreterin des Vorstehers des EFD nebst ihrem eigenen Departement die Führung des EFD übernommen. Sie musste sich umgehend mit der Problematik der Rekapitalisierung befassen und dieses schwierige Geschäft innert kürzester Zeit zur Entscheidungsreife bringen, was ihr ­ zusammen mit den übrigen Beteiligten ­ auch gelungen ist. Aus Sicht der GPK hat die Vorsteherin des EJPD

818

Anlässlich der Anhörungen durch die GPK sagten die Vertreter der EBK aus, dass dieser Vorschlag ohne Einflussnahme der Behörden durch die EBK erarbeitet und von ihr für gut befunden worden sei.

819 Bericht der GPDel an die Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht «Einsichtnahme in die Aufzeichnungen/Notizen des Bundesrats» vom 24.3.2010, S. 8.

3410

rasch und effizient gehandelt und es dadurch dem Bundesrat ermöglicht, zeitgerecht die notwendigen Entscheide zu treffen. Die GPK anerkennen diesen Einsatz.

Schwieriger ist es für die GPK, die Stellvertretung der Vorsteherin des EJPD im Dossier UBS ­ USA zu würdigen. Dies liegt einerseits daran, dass dieses Geschäft, wie bereits aufgezeigt, schon EFD-intern nicht adäquat betreut worden war. Dieser Mangel führte dazu, dass es im massgeblichen Zeitraum auf Stufe Departementsführung nicht an oberster Stelle stand und somit in den Turbulenzen um die Rekapitalisierung der UBS mehr oder weniger unterging. Dieser Umstand kann der Vorsteherin des EJPD aber nicht angelastet werden. Sie hat die Problematik UBS ­ USA im Antrag des EFD betreffend Rekapitalisierung der UBS aufgenommen und in allgemeiner Art auf die Problematik hingewiesen.

Die GPK haben festgestellt, dass der Vorsteher des EFD die Vorsteherin des EJPD vor seinem krankheitsbedingten Ausfall nie in die grossen und schwierigen Geschäfte des EFD einbezogen hat, was sicher ein Vorteil gewesen wäre. Immerhin ist zu bedenken, dass die beruflichen Erfahrungen der Bundesrätinnen und Bundesräte vor Antritt dieses höchsten Amtes unterschiedlicher nicht sein könnten, weshalb ein genereller Einbezug der Stellvertreterin oder des Stellvertreters in die ordentlichen Geschäfte, beispielsweise im Rahmen von regelmässigen bilateralen Gesprächen, wünschenswert wäre.

Der Vorsteher des EFD hat sich während seiner Rekonvaleszenz zeitweilig auch mit den Geschäften und Belangen des Departements befasst. Eine solche Befassung bei grundsätzlicher Abwesenheit sollte vom Bundesrat explizit ausgeschlossen werden, zumal die allgemeinen Stellvertretungsregeln ihrem Wesen nach keine Doppelspurigkeiten vertragen.

Schliesslich erachtete es der Vorsteher des EFD bei seiner Rückkehr nicht für notwendig, eine geordnete Geschäftsübergabe mit seiner Stellvertreterin vorzunehmen.

Auch in dieser Hinsicht orten die GPK Klärungsbedarf.

Zusammenfassend gelangen die GPK zum Schluss, dass das heutige Stellvertretungssystem des Bundesrats in mehrfacher Hinsicht anpassungsbedürftig ist und nicht mehr den Erfordernissen an eine moderne Regierungstätigkeit entspricht. Sie erwarten vom Bundesrat, dass er sich diesem Thema annimmt und zweckmässige Lösungen findet, damit sich ein
krankheitsbedingter oder anderweitiger Ausfall eines Kollegiumsmitglieds nicht nachteilig auf das gute Funktionieren und insbesondere die Regierungstätigkeit des Kollegiums auswirken kann.

Empfehlung 16 Der Bundesrat passt sein Stellvertretungssystem den Anforderungen an eine moderne Regierungstätigkeit an. Dabei prüft er die Notwendigkeit und Zweckmässigkeit eines regelmässigen Einbezugs der Stellvertreterin oder des Stellvertreters in die reguläre Geschäftstätigkeit des jeweiligen Departements.

3411

3.6.5.1.4

Bundesratsausschüsse als Ausgleich zum Departementalprinzip

Aus Sicht der GPK hat sich das (Selbst)Verständnis des Bundesrats als Kollegium in der vorliegenden Inspektion als Haupthindernis für eine hinreichende und frühzeitige Einbindung des Bundesratskollegiums erwiesen.

Wie die GPK feststellen mussten, liegt diesem (Selbst)Verständnis ein stark ausgeprägter Departementalansatz zugrunde. Dieses so genannte Departementalprinzip, das seine Grundlage in Artikel 177 Absatz 2 BV hat, birgt die Gefahr einer faktischen Aushöhlung des Kollegialprinzips (Art. 177 Abs. 1 BV). Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass das Bundesratskollegium dem ausgewogenen Verhältnis dieser beiden Prinzipien ein besonderes Augenmerk schenkt und ­ wenn immer nötig ­ einen Ausgleich schafft. Dabei handelt es sich um eine eminent wichtige Aufgabe, die nur vom Kollegium selber wahrgenommen werden kann, zumal die Bundesverfassung weder das Instrument der Abwahl noch ein Abberufungsverfahren kennt.

Aus den Anhörungen der Bundesrätinnen und Bundesräte hat sich ergeben, dass ein wiederholtes Nachfragen im Kollegium nach Informationen zu einem Geschäft bzw.

zum Stand eines bestimmten Geschäfts als Angriff auf das Kollegialitätsprinzip verstanden wird oder verstanden werden könnte. Daraus ergibt sich, dass auch bilaterale Gespräche nur mit einer gewissen Zurückhaltung gesucht werden ­ auch sie könnten als Kritik oder als Misstrauensvotum verstanden werden.

Das Gesagte gilt nicht minder in Bezug auf die Einreichung von Mitberichten (Gegenanträgen) zu Geschäften anderer Departementsvorsteherinnen oder -vorsteher. Es hat sich gezeigt, dass von diesem Instrument mit einer gewissen Zurückhaltung Gebrauch gemacht wird, denn es soll unter keinen Umständen als persönliche Kritik verstanden werden.

Mit Erstaunen und Betroffenheit haben die GPK zur Kenntnis genommen, dass die schwere Erkrankung des Vorstehers des EFD bei seiner Rückkehr kein Thema im Bundesrat selber war. Zwar habe der damalige Bundespräsident dem Vorsteher des EFD in einem bilateralen Gespräch seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht und auch signalisiert, dass das Kollegium, sofern notwendig, unterstützend zur Seite stehen würde. Auch andere Mitglieder des Bundesrats haben informell und bilateral ihre Unterstützung kundgetan. Eine eigentliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Vorsteher des EFD tatsächlich wieder in der
Lage war, sein Amt ab dem 3. November 2008 voll zu übernehmen, fand jedoch keine statt.

Gegenüber den GPK haben sich mehrere Mitglieder des Bundesrats positiv zu ihren Erfahrungen in den Bundesratsausschüssen geäussert. Wie die Entwicklung ab dem Monat März 2009 bis zum Abschluss des Abkommmens Schweiz ­ USA i. S. DBA und Datenübermittlung zeigte, hat der Bundesrat intensiv in Ausschüssen gearbeitet.

Dabei hat er im Umgang mit den US-Behörden zweckmässige Lösungen entwickelt, Strategien im Zusammenhang mit der Steuerproblematik und dem Finanzplatz Schweiz ­ dies auch in einem internationalen Umfeld ­ erarbeitet und vorausschauend Massnahmen getroffen für den Fall, dass der UBS vor Abschluss des Abkommens eine Datenherausgabe hätte verboten werden müssen.

Die GPK sind der Auffassung, dass die (ad hoc oder permanenten) Dreier-Ausschüsse des Bundesrats ein geeignetes Instrument sind, um den eingangs erwähnten Ausgleich zwischen dem Departemental- und dem Kollegialprinzip zu schaffen. Sie 3412

gehen einig mit den angehörten Bundesratsmitgliedern, dass das Arbeiten in kleinen Ausschüssen eine frühzeitige, vertiefte und breiter abgestützte Diskussion schwieriger Themen erlaubt. Insbesondere werden dadurch die betroffenen Departemente auf höchster Stufe in die Dossiers eingebunden. Als weiterer Vorteil wurde genannt, dass eine in Ausschüssen erarbeitete Lösung oder ein entsprechender Antrag im Bundesratskollegium auf eine grössere Akzeptanz stösst, dem Kollegium gleichzeitig aber auch eine fundiertere Entscheidfindung gestattet.

Motion 3 Der Bundesrat wird beauftragt, das Instrument des Dreier-Ausschusses im RVOG zu regeln, damit diese Ausschüsse bei wichtigen und übergreifenden Geschäften einen Ausgleich zwischen dem Departemental- und dem Kollegialprinzip schaffen und die Entscheidgrundlagen des Bundesrats verbessert werden.

3.6.5.2

Stärkung der Wahrnehmung der kollektiven Verantwortung des Bundesrats

Gemäss Artikel 177 Absatz 1 BV entscheidet der Bundesrat als Kollegium. Er ist die oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes (Art. 174 BV). Die vorliegende Untersuchung der GPK zeigte jedoch, dass der Bundesrat seine Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde des Landes im Dossier des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS nicht wahrgenommen hat.

Einerseits lag es am Selbstverständnis des Bundesrats als Kollegium, andererseits hat auch der Vorrang des Departementalprinzips dazu geführt, dass der Bundesrat seine Gesamtverantwortung nicht wahrnahm. Dies ist für die GPK ein gravierender Befund, haben sie doch schon in früheren Untersuchungen ähnliche Feststellungen gemacht. In dieser Hinsicht besteht ein dringender Handlungsbedarf, damit der Bundesrat nicht nur formell, sondern auch effektiv die wichtigen Geschäfte als Kollegium führt und für diese die kollektive Verantwortung wahrnimmt.

Motion 4 Der Bundesrat wird beauftragt, im Rahmen der laufenden Regierungsreform konkrete Massnahmen zu beschliessen bzw. vorzuschlagen, damit er bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung wahrnehmen kann, die im Einklang mit seiner Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde steht.

Aus Sicht der GPK ist es angesichts früherer, gescheiterter Reformbestrebungen in diesem Bereich von zentraler Bedeutung, dass die Legislativkommissionen der Bundesversammlung, welche die Regierungsreform vorberaten werden, dieser Feststellung der GPK Nachachtung verschaffen.

3413

Empfehlung 17 Die GPK laden die zuständigen Legislativkommissionen ein, im Rahmen der Beratungen der Regierungsreformvorlage den Massnahmen für eine effektive und seiner Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde entsprechende Führung wichtiger Dossiers durch das Bundesratskollegium besondere Bedeutung beizumessen.

3.6.6

Bundeskanzlei

Angesichts der Feststellungen der GPK auf Stufe des Bundesrats stellte sich auch die Frage nach der Rolle der BK im Dossier UBS ­ USA. Gemäss Artikel 30 RVOG ist die Bundeskanzlerin die Stabschefin des Bundesrates und unterstützt den Bundespräsidenten bzw. die Bundespräsidentin sowie den Gesamtbundesrat bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.820 In der Organisationsverordnung für die Bundeskanzlei (OV-BK) wird die BK als Stabsstelle der Regierung bezeichnet.821 Unter anderem weist die OV-BK der BK folgende Aufgaben zu (Art. 1 Abs. 2 und 3): Absatz 2: Sie wirkt bei Bundesrat und Departementen auf eine kohärente und langfristig orientierte Entscheidpraxis der Regierung und auf die Wahrung des Kollegialprinzipes hin.

Absatz 3: Sie nimmt die Funktionen nach den Artikeln 30 und 32­34 RVOG wahr, namentlich die folgenden Kernfunktionen: a.

Sie unterstützt den Bundesrat und den Bundespräsidenten oder die Bundespräsidentin in ihrer Regierungsfunktion und sorgt für optimale Verfahren zur Vorbereitung der Entscheide.

b.

Sie bereitet in Zusammenarbeit mit den Departementen die Unterlagen vor, mit denen eine vorausschauende und kohärente Regierungspolitik ermöglicht wird, und überprüft deren Realisierung.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kommen die GPK nicht umhin, die von der BK in diesem Dossier gespielte Rolle als zu schwach zu bezeichnen. Die Vorgaben der OV-BK wurden durch die BK nicht eingehalten.

Wie die Anhörung der Bundeskanzlerin durch die GPK zeigte, war sie in den Dossiers Rekapitalisierung wie auch Übermittlung von Bankkundendaten zwar in einer schwierigen Lage: Der damalige Bundespräsident wies die Vertreter der BK Ende September 2008 an, für das Traktandum UBS kein Protokoll zu erstellen. Die Bundeskanzlerin beschloss aufgrund der angespannten Lage an dieser Sitzung, die Anweisung des Bundespräsidenten im Bundesrat nicht zur Diskussion zu stellen.

Aus Sicht der GPK wäre dies jedoch zwingend nötig gewesen. Auch sollte die Wahl der Bundeskanzlerin/des Bundeskanzlers durch die Bundesversammlung gewährleisten, dass der oder die Amtsinhaberin über eine gewisse Unabhängigkeit verfügt 820 821

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG); SR 172.010.

Art. 1 Abs. 1 Organisationsverordnung vom 29.10.2008 für die Bundeskanzlei (OV-BK); SR 172.210.10.

3414

und sich in schwierigen Situationen im Bundesrat behaupten kann. Hingegen ist positiv zu vermerken, dass die Bundeskanzlerin die Vizekanzler anwies, trotzdem Notizen der Beratungen zu erstellen. Dies sollte sich in der Folge sowohl für die Bundesratsmitglieder wie auch für die GPK als wertvoll erweisen.

Im Weiteren waren die GPK von den Ausführungen der Bundeskanzlerin zur Controlling-Liste der BK, die zwar schriftlich eingereichte und verabschiedete Aufträge erfasst, jedoch nicht die mündlichen Aufträge des Gesamtbundesrats an ein Mitglied, nicht überzeugt. Die GPK sind dezidiert der Ansicht, dass eine solche Unterscheidung keinen Sinn macht und grundsätzlich alle Aufträge durch die BK zu erfassen sind.

Empfehlung 18 Die GPK laden den Bundesrat ein, alle Aufträge des Bundesratskollegiums durch die Bundeskanzlei erfassen zu lassen und ein entsprechendes Controlling zuhanden des Gesamtbundesrats durchzuführen.

Die Anhörung der Bundeskanzlerin zeigte ebenfalls, dass die BK nur soweit im Informationsfluss steht und stehen kann wie auch der Gesamtbundesrat orientiert wird. So wurde die Bundeskanzlerin durch Medienberichte auf aktuelle Entwicklungen zur UBS aufmerksam und bat in der Folge den Vorsteher des EFD, den Gesamtbundesrat am 19. September 2008 über diesen Fall zu informieren. Insbesondere ist die BK auch nicht über die Arbeiten in den bundesrätlichen Ausschüssen informiert bzw. nur soweit, wie diese Ausschüsse auch im Gesamtbundesrat Bericht erstatten.

Dies erfolge jedoch nicht regelmässig. Damit fehlt der BK eine wichtige Informationsgrundlage für die Wahrnehmung ihrer Stabsaufgabe.

Die GPK stellen aufgrund der Erfahrungen im gesamten UBS-Dossier (wie schon im Fall Tinner) fest, dass die Stellung der BK und auch die Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Stabsstelle des Gesamtbundesrats gestärkt werden müssen. Die GPK werden im Rahmen der Regierungsreform darauf zurückkommen.

3.6.7

Bundesverwaltungsgericht

In diesem Dossier spielte das BVGer keine führende Rolle, da es an den Verhandlungen mit den US-Behörden nicht beteiligt war. Dagegen war es im Hintergrund von Bedeutung, denn es entschied in letzter Instanz über die im Rahmen der Amtshilfe an den IRS eingereichten Beschwerden gegen die ESTV. Faktisch lag damit die Dauer der Beschwerdeverfahren und dadurch auch die Gesamtdauer des Amtshilfeverfahrens in den Händen des BVGer, das über die Dringlichkeit der Angelegenheit nicht informiert worden war.

Das BVGer erfuhr erst am 17. Oktober 2008 durch die Medien von der UBS-Affäre, anlässlich der ersten Schlussverfügung der ESTV im Rahmen der Amtshilfe. Bis zu diesem Datum war das BVGer von den schweizerischen Behörden in keiner Weise informiert worden.

In der Folge wurde das Amtshilfeersuchen des IRS an die ESTV vom 16. Juli 2008 für das BVGer zentral. Wie aus dem Gesuch des IRS hervorging, erwartete dieser, 3415

dass die ESTV die angeforderten Kundendaten innerhalb einer Frist von 180 Tagen nach Einreichung einer Beschwerde beim BVGer aushändigte. Das BVGer unternahm daher die nötigen Schritte, um innerhalb der festgesetzten Frist von 180 Tagen ein Urteil fällen zu können. Hierbei ist festzuhalten, dass das BVGer diese Frist einhielt ­ sie endete in Bezug auf die Verfügung vom 17. Oktober 2008 am 17. April 2009.

Um in Erwartung der potenziell grossen Zahl an Beschwerden die nötigen organisatorischen Massnahmen ergreifen zu können, nahm das BVGer aus eigener Initiative Kontakt mit der ESTV auf. Dem BVGer zufolge ist diese Vorgehensweise in keiner Weise anstössig ­ eine Ansicht, welche die GPK teilen. Solche informellen Kontakte zwischen dem BVGer und den schweizerischen Behörden haben auch in der Vergangenheit stattgefunden und dienen einzig und allein dazu, verlässliche Prognosen bezüglich der potenziellen Arbeitslast zu erstellen und gegebenenfalls organisatorische oder sonstige Massnahmen zu ergreifen. So kam es z. B. im Jahr 2004 im Rahmen der Enteignungsverfahren rund um den Flughafen Zürich-Kloten zu solchen informellen Treffen und ein paar Jahre später im Rahmen des Baus der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT), als die Beschwerden beim BVGer den Fortgang der Bauarbeiten blockierten und für den Bund das Risiko exzessiver Mehrkosten in der Höhe von einer Milliarde Franken mit sich brachten. Der Vorsteher des UVEK traf sich daraufhin mit den Präsidenten des Bundesgerichts und des BVGer, um die Dauer der Beschwerdeverfahren zu evaluieren.

Die GPK sind der Ansicht, dass im Falle einer solch ernsten Problematik mit möglichen oder sogar voraussehbaren Folgen auf nationaler und internationaler Ebene das öffentliche Interesse es erfordert, dass die betroffenen Gerichte und Behördenstellen ihre Arbeit zeitlich bestmöglich koordinieren.

In diesem Sinn hatte das BVGer mit der ESTV Kontakt aufgenommen. Ein erstes Treffen des Präsidenten des BVGer mit dem Direktor der ESTV und dem Leiter der Abteilung für Internationales der ESTV, das ursprünglich für den 11. November 2008 anberaumt war, wurde wenige Tage zuvor durch den Direktor der ESTV annulliert, da dieser Ausstandsforderungen der betroffenen Parteien befürchtete.

Am 18. und 19. November 2008 gingen beim BVGer die ersten Beschwerden zum Amtshilfeverfahren
der ESTV ein.

Am 25. November 2008 fand schliesslich ein Treffen zwischen dem Präsidenten des BVGer und dem Leiter der Amtshilfe für die USA statt. Der Präsident des BVGer war von der Sitzung enttäuscht, da er nicht genügend präzise Informationen erhielt, um die Zahl der potenziellen Beschwerden und deren Komplexität einschätzen zu können. So gelang es dem BVGer nicht, die Situation angemessen einzuschätzen und die Erfüllung seines Mandats zu optimieren.

Während das BVGer auf Hochtouren arbeitete, um seine ersten Urteile innerhalb der festgesetzten Frist zu fällen, erfuhr es am 18. Februar 2009 ­ einmal mehr durch die Medien ­ vom Entscheid der FINMA, der UBS die Übergabe von Kundendaten an das DOJ anzuordnen. Am 20. Februar 2009 untersagte das BVGer diese Übergabe für acht US-Kunden durch eine superprovisorische Verfügung.

3416

Am 25. Februar 2009 wollte der Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und zentrale Dienste der FINMA die Sache mit dem Präsidenten des BVGer besprechen.

Dieser lehnte jedoch rundweg ab, da die Beschwerdeverfahren im Gange waren.822 Am 5. März 2009 schrieb das BVGer die ersten Beschwerden ab, da diese nach der Übergabe der Daten an das DOJ gegenstandslos geworden waren.

Im Anschluss an die Verhandlungen der schweizerischen Behörden mit dem IRS im August 2009 informierte der Direktor des BJ den Präsidenten des BVGer persönlich über die grosse Zahl der zu behandelnden Anträge in Verbindung mit dem Vergleich mit den USA. In der Folge nahm der Direktor des BJ regelmässig Kontakt mit dem BVGer auf, sofern sich dies als notwendig erwies.

In seinem Urteil vom 5. Januar 2010 kam das BVGer zum Schluss, dass die rechtlichen Grundlagen, auf die sich die FINMA bei ihrer Anordnung der Übergabe von Kundendaten an das DOJ stützte, unzureichend waren. Die Einsprache der FINMA gegen diesen Entscheid des BVGer ist noch hängig.

Die schweizerischen Behörden bezogen das BVGer nicht in die Krisenvorbereitungen in Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Geschäft der UBS in den USA mit ein.

Das BVGer war von der FINMA nicht einmal über ihre Verfügung vom 18. Februar 2009 unterrichtet worden, obwohl es zu jenem Zeitpunkt intensiv an diesen Dossiers arbeitete. Die Frage, ob bessere Ergebnisse hätten erzielt werden können, wenn das BVGer die nötigen Informationen erhalten hätte, muss offen bleiben.

3.6.8

Abschliessende Schlussfolgerungen und offen gebliebene Fragen

In diesem Kapitel werden einzelne allgemeine Feststellungen dargelegt, die den GPK wichtig erscheinen, die jedoch nicht in die vorangegangenen Ausführungen integriert werden konnten.

3.6.8.1

Fehlverhalten der UBS und fehlende Respektierung der schweizerischen Rechtsordnung durch die USA

Den GPK ist es ein zentrales Anliegen festzuhalten, dass die UBS mit dem Fehlverhalten ihrer Angestellten in den USA die Hauptverantwortung für die nachfolgende Entwicklung trägt.

Aber auch die USA, welche von Anbeginn an nicht gewillt waren, die Regeln des DBA und die schweizerischen Rechtsvorschriften bezüglich der Amtshilfe zu respektieren, tragen eine Teilverantwortung für den nachfolgenden Konflikt. Sie haben im vorliegenden Fall eine Realpolitik betrieben, die keine Rücksicht nimmt auf andere Interessen und Rechtsordnungen, um ihre eigenen Interessen möglichst rasch durchzusetzen. Dabei haben sie es tunlichst unterlassen, die Schweizer Regierung

822

Gemäss FINMA wollte der Leiter der Abteilung Strategische Grundlagen und Zentrale Dienste der FINMA am 25.2.2009 die Abstimmung sich widersprechender Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichts mit dessen Präsidenten besprechen.

3417

direkt anzugehen, um das konkrete Problem mit der UBS im Rahmen des DBA Schweiz ­ USA zu lösen.

Aus Sicht der GPK sind sowohl das Fehlverhalten der UBS wie auch die fehlende Respektierung der schweizerischen Rechtsordnung durch die USA aufs Schärfste zu verurteilen.

3.6.8.2

Zwei Faktoren begrenzten die Lösungsfindung

Rückblickend haben die GPK festgestellt, dass zwei begrenzende Faktoren das Verhalten der Behörden mitbeeinflusst haben: 1.

Sowohl bei Verwaltungsvertretern als auch beim Bundesrat war allzu lange keine Bereitschaft vorhanden, den Themenkreis der Unterscheidung Steuerhinterziehung/Steuerbetrug und Artikel 26 OECD-Musterabkommen im Lichte der Ereignisse kritisch zu hinterfragen und dadurch allenfalls in einem weiteren Rahmen zusätzliche Handlungsoptionen zu prüfen.

2.

Aus den Anhörungen der GPK und den einverlangten Dokumenten zeigte sich, dass die Wertung «die UBS hat das Problem verursacht, also soll sie es auch selber in Ordnung bringen» immer wieder die Lösungsfindung seitens der zentralen Bundesverwaltung und des Bundesrats beeinflusst hat.

Inwieweit diese beschränkenden Faktoren eine proaktive Lösungsfindung durch die Behördenvertreter tatsächlich verunmöglicht haben, kann durch die GPK nicht abschliessend beurteilt werden.

Der erste Faktor mag angesichts der jahrzehntelangen Haltung der Behörden und der Politik in der Frage der Unterscheidung Steuerhinterziehung/Steuerbetrug teilweise nachvollziehbar sein. Dennoch ist es bedauerlich, dass es zuerst der Datenherausgabe vom 18. Februar 2009 bedurfte, bevor der Bundesrat und die Politik bereit waren, diesen Themenkreis einer umfassenden Neubeurteilung zu unterziehen.

Der zweite Faktor wirkte sich aus der Sicht der GPK in verschiedener Hinsicht negativ aus, insbesondere dadurch, dass sich die involvierten Behörden zu keinem Zeitpunkt die Frage ernsthaft gestellt haben, ob es richtig und angemessen sei, die UBS alleine mit den amerikanischen Behörden verhandeln zu lassen. Mit dem DOJ, dem IRS und der SEC waren drei gewichtige Behörden der amerikanischen Regierung von Anbeginn an involviert. Wiewohl diese nicht immer die gleichen Interessen verfolgten und auch nicht durchgehend gleich aktiv waren, wurde auf Schweizer Seite eigentlich bis zur Datenherausgabe verkannt, dass es seitens der US-Behörden zu einem wie auch immer gearteten Schulterschluss gekommen war, der ihnen ein starkes Auftreten gegenüber der UBS und letztlich auch gegenüber den nicht oder zu wenig präsenten Schweizer Behörden erlaubten.

3.6.8.3

Unzureichende Anfangsinformationen

Im Dossier UBS bestand von Anfang an ein Widerspruch zwischen den ersten Erklärungen der UBS einerseits, die betonte, dass das DOJ eine Lösung für die Übergabe der Kundendaten gefordert hatte, und der Sicht der schweizerischen Behörden andererseits, der zufolge die UBS den Ernst der Angelegenheit zu lange 3418

unterschätzt und geglaubt habe, die Sache lasse sich relativ problemlos durch eine Vereinbarung der UBS mit den US-Behörden regeln. In gleicher Weise hatten die schweizerischen Behörden zu Beginn auf Grundlage der Informationen der UBS zwar den Ernst der Lage betont, gleichzeitig aber beschlossen, nicht einzugreifen und die UBS allein vorgehen zu lassen. Der Beitrag der schweizerischen Behörden beschränkte sich somit darauf, die US-Behörden davon zu überzeugen, eine Amtshilfe zu beantragen, bei der das Verfahren schneller gehe als bei der Rechtshilfe.

Die GPK kritisieren den Mangel an Klarheit in der Lagebeurteilung der schweizerischen Behörden. Letztere begnügten sich zu lange mit den Informationen der UBS, ohne zu versuchen, diese mit ihren eigenen Mitteln zu verifizieren.

Nach Auffassung der GPK massen die schweizerischen Behörden den Erklärungen der UBS in der Regel zu viel Gewicht bei und versuchten nicht hinreichend, die Implikationen der Problematik zu verstehen. So wurde schon am 8. März 2008 erwogen, den US-Behörden vorzugschlagen, den Begriff «Betrug und ähnliche Verstösse» (tax fraud or the like) des Artikels 26 des DBA zur Einreichung eines Amtshilfeverfahrens zu verwenden, doch haben die schweizerischen Behörden sich dabei nicht die Frage gestellt, welche Auswirkungen diese Vorgehensweise z. B. auf das Amtshilfeverfahren haben würde. Deshalb wurde auch keine Strategie erarbeitet, falls das Amtshilfeverfahren in der Folge nicht den Erwartungen der amerikanischen Behörden genügen sollte. In der ersten Phase haben die schweizerischen Behörden keine eigenen Nachforschungen unternommen, und es wurde keine Untersuchung eingeleitet. Soweit den GPK bekannt ist, kam es auch zu keinerlei Austausch mit der UBS oder zu Anweisungen an sie im Hinblick auf eine Wahrung der schweizerischen Interessen.

Erst als der Druck der US-Behörden stieg, d. h. nach der Verhaftung eines UBSVertreters am 21. April 2008, begannen die schweizerischen Behörden gemeinsam mit den US-Behörden nach Lösungen zu suchen, denn sie fürchteten, der UBSVertreter könnte das Bankgeheimnis verletzen. Ende Mai 2008 schliesslich eröffnete die EBK unter dem Druck der US-Behörden ihre eigene Untersuchung. Bis Ende Mai 2008 verwendeten die schweizerischen Behörden zudem sehr viel Energie darauf, die unentschlossenen US-Behörden vom
Weg der Amtshilfe zu überzeugen, der dann allerdings auch keine raschen Ergebnisse lieferte. Wie die GPK bereits andernorts vermerkt haben, waren die schweizerischen Behörden nicht in der Lage, den US-Behörden eine zufriedenstellende Lösung zu unterbreiten, und dies trotz wachsendem Druck.

Erst im Oktober 2008 drängte sich den schweizerischen Behörden die Notwendigkeit einer Datenübergabe an das DOJ von neuem und mit akuter Klarheit auf; diese Notwendigkeit bestätigte sich im November 2008 mit der Strafklage gegen Raoul Weil. Trotzdem sträubte sich das EFD bis im Februar 2009, Daten zu übergeben, und dies obwohl die UBS, die FINMA und die SNB Druck ausübten, um die Übergabe zu beschleunigen, da die UBS unmittelbar von einer Strafklage bedroht war und damit ihr Überleben auf dem Spiel stand.

Aus Sicht der GPK waren die schweizerischen Behörden von Anfang an ungenügend über das Dossier informiert und haben auch anschliessend nichts unternommen, um diesen Missstand zu beheben. Auch versäumte es die EBK nach Abschluss ihrer Untersuchung des grenzüberschreitenden Geschäfts der UBS in den USA am 17. Dezember 2008, den betroffenen Behörden deren Ergebnisse umgehend zu übermitteln. Der Bundesrat wurde durch das EFD erst am 18. Februar 2009 3419

indirekt, nämlich indem ein Zusatzbericht als Anhang zum Aussprachepapier vom 17. Februar 2009 betr. die Rechtsverfahren gegen die UBS in den USA verteilt wurde, informiert. Zudem trafen diese Ergebnisse viel zu spät ein, als dass man auf ihrer Grundlage noch eine angemessene Strategie hätte ausarbeiten können.

Die GPK kommen aufgrund ihrer Untersuchung zum Schluss, dass sich die schweizerischen Behörden bei ihren Verhandlungen mit den US-Behörden zur Amtshilfe einzig und allein auf die Erklärungen der UBS stützten und es versäumten, sich selbst im Rahmen des Möglichen und innerhalb nützlicher Frist zu versichern, ob die Anschuldigungen des Betrugs und der kriminellen Machenschaften, welche die US-Behörden gegen die UBS erhoben, stichhaltig waren.

3.6.8.4

Anhörungen von ehemaligen und aktuellen Vertretern der UBS

Die GPK haben es zum besseren Verständnis der Ereignisse und für die Abstützung auf eine möglichst breite Informationsgrundlage als wichtig erachtet, Vertreter der ehemaligen und aktuellen UBS anzuhören.

Diese Anhörungen fanden im Frühjahr 2010 mit folgenden Personen statt: Marcel Ospel (ehemaliger Verwaltungsratspräsident UBS), Peter Kurer (ehemaliger Verwaltungsratspräsident UBS und ehemaliger Group General Counsel UBS), Marcel Rohner (ehemaliger CEO UBS), Hansruedi Schumacher (RMM NAM UBS bis Frühjahr 2002), Oswald Grübel (aktueller CEO UBS), Markus Diethelm (Group General Counsel UBS seit September 2009) und Christoph Kurth (Head Litigation Corporate Center UBS). Diese Personen unterstanden keiner gesetzlichen Pflicht, an den Anhörungen der GPK teilzunehmen. Ihre Teilnahme erfolgte freiwillig.

Anlässlich dieser Anhörungen führten die Vertreter der ehemaligen UBS-Spitze aus, dass sie von den Verfehlungen einzelner Mitarbeiter im grenzüberschreitenden Geschäft mit Privatkunden in den USA erst im Herbst 2007 erfuhren.

Den Anhörungen der ehemaligen Vertreter der UBS war auch zu entnehmen, dass sie die Entwicklung bedauerten und sich zum Teil heute noch nicht erklären können, wieso diese Verfehlungen nicht früher durch das UBS-interne Kontrollsystem aufgedeckt werden konnten. Sie legten dar, dass ab Herbst 2007 die UBS gewillt war, der Problematik des grenzüberschreitenden Geschäfts mit Privatkunden auf den Grund zu gehen, die Mängel umgehend zu beheben und die nötigen personellen Konsequenzen zu ziehen, was denn auch geschehen ist. Es seien dafür auch viele Ressourcen eingesetzt worden. Insbesondere der neue Group General Counsel wie auch der Head Litigation Corporate Center illustrierten dies mit detaillierten Angaben, welche die Aufarbeitung und den Einsatz der UBS, aber auch die Schwierigkeiten bei der Lösungsfindung aufzeigten. Die UBS hat auch mehrfach ihre Bereitschaft bekundet, zweckdienliche Unterlagen beizubringen. Die GPK haben jedoch gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag, der ihre Kontrolltätigkeit auf die Bundesbehörden beschränkt, darauf verzichtet, weitere Unterlagen von der UBS einzuverlangen.

3420

3.6.8.5

Das QIA und die Bewilligung gemäss Artikel 271 StGB

Im Hinblick auf die Erfüllung der Pflichten aus dem QIA ersuchte die Schweizerische Bankiervereinigung am 2. August 2000 beim EFD für jene Personen, die sich mit dem Vollzug der QIA befassen sollten, die zwischen dem IRS und Schweizer Banken oder Effektenhändlern abgeschlossen worden waren, um eine Bewilligung gemäss Artikel 271 Ziffer 1 StGB [verbotene Handlungen für einen fremden Staat].

Das EFD bzw. dessen Vorsteher823 kam diesem Ersuchen nach und erteilte am 7. November 2000 den mit der Anwendung der QIA befassten Personen, namentlich den Organen, Angestellten und Vertretern von Banken und Effektenhändlern oder deren Revisionsstellen und Beauftragten die gewünschte Bewilligung, um die gemäss dem Final Qualified Intermediary Withholding Agreement (IRS Revenue Procedure 2000-12) vorgesehenen Handlungen auf schweizerischem Gebiet zu vollziehen, insbesondere die Vornahme von Quellensteuerabzügen nach amerikanischem Recht, die Abgabe von Informationen zu deren Vornahme an Dritte und die Durchführung von Kontrollen über diese Tätigkeiten. Dabei wurde ausdrücklich festgehalten, dass diese Bewilligung die mit der Anwendung des QIA betrauten Personen nicht davon entbindet, die Bestimmungen der schweizerischen Rechtsordnung und insbesondere jene über den Geheimnisschutz einzuhalten.

Die Bewilligung wurde der Schweizerischen Bankiervereinigung zu Handen der Institute, welche mit dem IRS ein QIA abschlossen, schriftlich eröffnet. In Kopie wurde sie der BK, der BA, dem Generalsekretariat des EFD, dem EDA [Direktion für Völkerrecht], dem Rechtsdienst des EFD, der ESTV, der EBK und der SNB zugestellt. Als Rechtsgrundlagen wurden der schon erwähnte Artikel 271 Ziffer 1 StGB und Artikel 31 Absatz 1 RVOV genannt.

Für die GPK stellt sich vorab die Frage, ob die Erteilung einer solchen unbefristeten (Global)Bewilligung an einen Kreis von unbestimmten Personen überhaupt zulässig war. Unklar ist auch die Zuständigkeits- bzw. Kompetenzfrage. Zwar räumt Artikel 31 Absatz 1 RVOV den Departementen und der BK die Kompetenz ein, in ihrem Bereich über Bewilligungen nach Artikel 271 Ziffer 1 StGB zu entscheiden. In Ziffer 3 der genannten Bestimmung ist aber auch vorgesehen, dass Fälle von politischer oder anderer grundsätzlicher Bedeutung dem Gesamtbundesrat zu unterbreiten sind. Ob dies vorliegend erfolgt ist, entzieht
sich der Kenntnis der GPK und konnte von ihr nicht überprüft werden.

Die mit der Bewilligung verknüpfte Auflage der Einhaltung der schweizerischen Rechtsordnung und insbesondere des Bankgeheimnisses hinterlässt angesichts der Vielzahl von Offenlegungsvorschriften und Meldepflichten gemäss dem Final Qualified Intermediary Withholding Agreement, Revenue Procedure 2000-12, an welche sich die QI zu halten haben, ein gewisses Unbehagen.

Die GPK sind in dieser Untersuchung der Frage nicht nachgegangen, inwiefern das im Jahr 2000 zwischen dem amerikanischen Staat und der Schweizerischen Bankiervereinigung abgeschlossene QIA auch tatsächlich mit dem Bankgeheimnis kompatibel war, und falls ja, ob das auch später, d. h. im Zuge der einseitigen Verschärfungen durch den IRS, noch der Fall war. Auch nicht geprüft haben die GPK die Rolle des EFD bzw. der ESTV bei den seinerzeitigen Verhandlungen der 823

Der damalige Vorsteher des EFD war Kaspar Villiger.

3421

Schweizerischen Bankiervereinigung mit dem IRS. Sie können lediglich feststellen, dass die EBK von der grundsätzlichen Kompatibilität des QIA mit dem Bankgeheimnis ausging, sich aber offensichtlich nie vertieft mit dieser Frage auseinandergesetzt hat, ebenso wenig wie das EFD. Aus der Sicht der GPK wäre es deshalb wünschenswert, dass seitens der Schweizer Behörden die nötige Klarheit geschaffen und insbesondere auch die Frage geklärt wird, welche Rolle die Schweizer Behörden bei privaten Verträgen zwischen den Schweizer Banken und dem amerikanischen Staat spielen oder spielen müssen. Ebenfalls ist zu klären, ob solche Genehmigungen nicht periodisch überprüft werden müssten.

Postulat 2 Der Bundesrat wird beauftragt, die im Bericht der GPK aufgeworfenen Fragen zur Anwendung des Artikels 271 StGB sowie zur Kompatibilität des QIA mit dem schweizerischen Bankgeheimnis in einem vertieften Bericht umfassend abzuklären.

3.6.8.6

Verschärfung des StGB

Das StGB stellt in Artikel 164 die Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung unter Strafe, wobei dieser Straftatbestand nur dann zum Zuge kommt, wenn der Konkurs eröffnet ist oder Verlustscheine vorliegen.

Gemäss Artikel 165 StGB kann ein Schuldner, welcher durch Misswirtschaft, namentlich durch ungenügende Kapitalausstattung, unverhältnissmässigen Aufwand, gewagte Spekulationen, leichtsinniges Gewähren oder Benützen von Kredit, Verschleudern von Vermögenswerten oder arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung oder Vermögensverwaltung seine Überschuldung herbeiführt oder verschlimmert, seine Zahlungsunfähigkeit herbeiführt oder im Bewusststein seiner Zahlungsunfähigkeit seine Vermögenslage verschlimmert, zur Rechenschaft gezogen werden, wenn über ihn der Konkurs eröffnet oder gegen ihn ein Verlustschein ausgestellt wird.

Artikel 165 StGB stellt einen Auffangtatbestand zu Artikel 163 f. StGB dar, der mit der Marginalie «Misswirtschaft» zum Ausdruck bringt, dass hier prinzipiell erlaubte, jedoch kaufmännisch unverantwortliche Arten des Wirtschaftens erfasst werden. Als weiteres Erfordernis wird der Konkurs oder die Ausstellung von Verlustscheinen verlangt.

Die GPK sind der Meinung, dass die Tatbestände der Artikel 164 und 165 StGB auch für Unternehmen gelten sollten, welche infolge ihrer systemischen Grösse vom Staat finanziell unterstützt werden müssen oder müssten, um ihren Untergang zu verhindern, wie das bei der UBS der Fall war.

3422

Motion 5 Der Bundesrat wird beauftragt, eine Revision der Artikel 164 und 165 StGB vorzuschlagen, welche deren Anwendbarkeit auf Grossunternehmungen erweitert, falls diese aufgrund ihrer Systemrelevanz für die Volkswirtschaft und die Finanzstabilität durch staatliche Interventionen vor ihrem Untergang bewahrt werden müssen.

4

GPK nehmen die UBS in die Pflicht

Auch wenn sich die GPK bei ihrer Untersuchung auf ihre Kompetenzen beschränkt haben, kommen sie nicht umhin festzustellen, dass es in der Öffentlichkeit nach wie vor ein grosses Bedürfnis nach Transparenz bezüglich der bankinternen Vorgänge und Verantwortlichkeiten gibt. Die vorliegende Untersuchung kann dieses Bedürfnis nur beschränkt erfüllen.

Empfehlung 19 Die GPK fordern den Bundesrat und die UBS auf, dafür zu sorgen bzw. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass 1.

der bankinterne Umgang der UBS, insbesondere von Verwaltungsrat, Konzernleitung und Revisionsstelle, im Zusammenhang mit der Subprime-Krise und ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA aufgearbeitet wird (Opportunität der Einleitung von Strafanzeigen und Verantwortlichkeitsklagen durch die UBS, Traktandierung der Décharge für die Jahre 2007 bis 2009 an der Generalversammlung vom 15. April 2010, Abgangsregelungen für das höhere und mittlere Management usw.);

2.

Transparenz bezüglich des Entscheides des UBS-Verwaltungsrates in Sachen Verzicht auf Einleitung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Schritte gegen das frühere UBS-Management hergestellt wird;

3.

die Eidgenossenschaft bzw. Organe des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit als Aktionäre oder andere Aktionärsgruppen in die Lage versetzt werden, straf- bzw. zivilrechtliche Schritte (Verantwortlichkeitsklagen) gegen die verantwortlichen Verwaltungsräte, die verantwortlichen Mitglieder der Konzernleitung und allenfalls die Revisionsstelle in die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck ist die Übernahme des Prozessrisikos und der Verfahrenskosten (Gerichts- und Anwaltskosten) durch die Eidgenossenschaft zu garantieren;

4.

die Öffentlichkeit über die wesentlichen Ergebnisse und Erkenntnisse informiert wird.

Dabei messen die GPK einer völlig unabhängigen Aufarbeitung hohe Priorität bei. Dies ist beispielsweise durch ein neutrales Expertengremium zu gewährleisten.

3423

5

Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen den Bundesrat und die FINMA, bis Ende Dezember 2010 zu den sie betreffenden Feststellungen und Empfehlungen Stellung zu nehmen. Zudem bitten sie den Bundesrat und die FINMA aufzuzeigen, wie und bis wann sie die Empfehlungen der beiden Kommissionen umzusetzen gedenken.

Die GPK laden die SNB ebenfalls ein, bis Ende 2010 den GPK ihre Stellungnahme zu den Feststellungen der beiden Kommissionen, soweit die SNB betroffen ist, zukommen zu lassen.

30. Mai 2010

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der Eidgenössischen Räte Die Präsidentin der GPK-N: Nationalrätin Maria Roth-Bernasconi Der Präsident der GPK-S: Ständerat Claude Janiak Der Präsident der Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht: Nationalrat Pierre-François Veillon Der Vize-Präsident der Arbeitsgruppe Finanzmarktaufsicht: Ständerat Hans Hess Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres

3424

1998

2001

2001 2001/2002

2002

Ab 2003 Januar 2005 (EFD: ab 2003)

April 2005 Sommer 2005

September 2005

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

3425

Datum

Nr.

Krisenleitlinien (KLL) werden mit dem Vorsteher des EFD besprochen.

Financial Sector Assessment Program des IWF: Stresstests werden durchgeführt.

Einberufung des gemeinsamen «Steuerungsausschuss Systemstabilität» (STASY) zwischen EBK und SNB, um Fragen zur Systemstabilität vertieft zu diskutieren.

Wird im Januar 2007 ­ unter Einbezug der EFV ­ durch den «Steuerungsausschuss Finanzstabilität (STAF)» abgelöst.

Seit 2002 besteht ein informelles Organ, das sich aus SNB, EBK und EFD zusammensetzt («FINKRIST»). Sofort hat man die möglichen Entwicklungen (Szenarien) des Finanzplatzes Schweiz und die Möglichkeit eines Grossbankenkonkurses diskutiert.

Jährlicher Bericht der SNB zur Finanzstabilität EFV, SNB und EBK erstellen den Bericht «Leitlinien des Stabes der EBK, der SNB, der EFV und des BPV zur Bewältigung von Krisen im Finanzsektor» («FINKRIST-Krisenleitlinien» KLL) Information des Bundesrats über Basel II Erstes Treffen EBK, SNB und EFD zu Präventionsstrategien (nach Fall Swissair).

Ausgiebige Lagebeurteilung & Besprechung von Szenarien, die auf den Schweizer Finanzplatz zukommen könnten, u. a. der Fall eines Bankenkonkurses.

BR Villiger erhält einen Bericht über Grundsätze allfälliger staatlicher Hilfe in einer Bankenkrise. Der Bericht wurde von Vertretern der EBK und der SNB («petit comité») erstellt.

Die SNB gründet einen Dienst für Finanzstabilität.

Ereignis

Behördenverhalten im Rahmen der Finanzmarktkrise ­ Chronologie der Ereignisse

EFD, EBK, SNB

SNB EFD, EBK, SNB, EFV, BPV BR/EFD EBK-SNBEFD

EBK, SNB, EFD

IWF EBK, SNB, EFV

SNB

EBK, SNB

Akteur(e)

Brief EFD 4.5.2009 BR Merz, 07.5380 Amtliches Bulletin und Prot. GPK-S v.

18.11.2008, Prot. WAK-N v.

25.02.2008, Merz FINMA-Chronologie ­ Nr. 8

Brief EFD 4.5.2009 FINMA-Chronologie ­ Nr. 8

Prot. WAK-S, 14.1.2008, Merz

Prot. GPK N/S vom 22.4.2009, Roth.

Brief EFD 4.5.2009 FINMA-Chronologie ­ Nr. 4, EFD-Chronologie 13.8.2009, SNB-Chronologie 14.8.2009

FINMA-Chronologie ­ Nr. 1

Quelle(n)

Anhang 1

2006

Juni 2006

Juni / Juli 2006

Anfang 2007

30.1.2007

Februar 2007

Februar 2007

13.2.2007

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

3426

Datum

Nr.

UBS publiziert Rekordgewinn für 2006.

Die Vertiefung der KLL mündet in die Schaffung des «Steuerungsausschusses KLL» (SA KLL) mit einer dreistufigen Organisation, der an die Stelle des FINKRIST tritt: 1) operativer Führungsstab; 2) Steuerungsausschuss bestehend aus dem Direktor der EFV, dem Vize-Präsidenten der SNB, dem Direktor der EBK und dem Präsidenten der EBK); 3) Dreiergespräche mit dem Vorsteher des EFD, dem Präsidenten der SNB und dem Präsidenten der EBK auf strategischer Ebene.

Fallende Preise für Wertschriften mit Rating BBB, die nicht mit erstklassigen Hypotheken gedeckt sind.

FSAP-Stresstesting «Banking System Stress Testing» durch den Internationalen Währungsfonds (IWF).

IWF führt einen Financial Sector Assessment Update für die Schweiz durch (inkl.

Stresstests) und empfiehlt u. a. eine Verstärkung der Aufsicht über die beiden Grossbanken.

Bericht der SNB zur Finanzstabilität: SNB weist auf steigende Risiken im Zusammenhang mit der wachsenden Bilanzsumme und einer starken Zunahme des Verschuldungsgrades der Grossbanken hin.

Aussprachen mit CS und UBS: die Krisenleitlinien werden von der EBK und der SNB mit den Grossbanken besprochen. Diese betrachten die Arbeiten als sehr nützlich, den angenommenen Krisenfall aber als unrealistisch.

Stagnierende oder gar sinkende Häuserpreise in den USA. ABX-Home-EquityPreisindex für BBB-Subprime-Hypotheken fällt zwischen November 2006 und Februar 2007 um 20%.

Ereignis

UBS

IWF

EFD, EBK, SNB

EBK, SNB, UBS, CS

SNB

IWF

Akteur(e)

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008 FINMA-Chronologie ­ Nr. 19 FINMA, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14.9.2009, S. 33f.

UBS Medienmitteilung vom 16.2.2007

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008, S. 19f. FINMA, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14.9.2009, S. 71.

FINMA-Chronologie ­ Nr. 18

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008, S. 35 / Brief EFD 4.5.09, EFD-Chronologie 13.8.2009 Prot. GPK N/S vom 22.4.2009, Roth. SNB, Bericht Finanzstabilität 2006 FINMA-Chronologie ­ Nr. 13­15

Quelle(n)

9.3.2007

März 2007

März 2007

März 2007

März 2007

Ende April 2007

1.5.2007

3.5.2007

23.5.2007

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

3427

Datum

Nr.

Die Anfrage der EBK zu den Exposures der UBS im US-SubprimeHypothekenmarkt wird Anfang Februar 2007 schriftlich an die UBS gesandt. In London führt der Chief Risk Officer der Investment Bank der UBS gegenüber den Vertretern der EBK aus, dass die Investment Bank von der Verschlechterung des amerikanischen Hypothekarmarktes profitiere, weil sie grössere Short-Positionen gebildet habe.

Das Gefährdungspotenzial gegenüber dem US-amerikanischen Subprime-Markt erhöht sich: Mitte März 2007 kündigt das Management von Dillon Read Capital Management (DRCM), ein durch die UBS 2005 neu geschaffenes AlternativInvestment-Management-Geschäft, eine Zunahme von Verlusten an, worauf interne Diskussionen, Analysen und Bewertungen folgen.

Nach der jährlichen IWF-Finanzsektorevaluation spricht sich die EBK für die Prüfung eines zusätzlichen Eigenmittelzuschlags unter Säule 2 von Basel II gemäss den Empfehlungen des IWF aus.

Der UBS CEO lehnt die vom Group Treasury beantragte Bilanzsummenbegrenzung der Investment Bank ab.

EBK und SNB leiten ein Reformprojekt zur Regulierung der Liquidität der Grossbanken in die Wege.

Der Verwaltungsrat der UBS schliesst DRCM und führt die betroffenen Investitionsstrategien in die Investment Bank zurück. Die von DRCM vorgenommenen, mit dem Subprime-Markt verbundenen Abschreibungen belaufen sich zu diesem Zeitpunkt auf 430 Mio. Dollar.

Aussprache EFD ­ EBK: Auf Initiative der EBK findet erstmals auf oberster Stufe eine formalisierte Aussprache zwischen dem EFD und der EBK statt. Das Thema Vorbereitung auf eine Grossbankenkrise war nicht traktandiert.

UBS erzielt Ergebnis von 3 275 Millionen Franken im ersten Quartal (Vorjahresvergleich: 3 504 Millionen im Q1 2006).

Memorandum of Understanding (MoU) über die Zusammenarbeit zwischen SNB und EBK wird unterzeichnet. Ziel: Verstärkung der Aufsicht über die Finanzmärkte.

Ereignis

SNB, EBK

UBS

EBK, EFD

SNB, EBK

UBS

UBS Medienmitteilung vom 3.5.2007 Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, Medienmitteilung SNB, FINMA-Chronologie ­ Nr. 26

FINMA-Chronologie ­ Nr. 25

SNB Rechenschaftsbericht 2007 FINMA-Chronologie ­ Nr. 24.

UBS Shareholder Report, S. 18 und 31

UBS Shareholder Report, S. 26

FINMA-Chronologie ­ Nr. 21

UBS Shareholder Report, S. 9

UBS

EBK

Bericht der FINMA vom 14.9.2008, S. 23, Prot. WAK-N vom 25.2.2008, Zuberbühler, Prot. WAK-S vom 14.1.2008, Haltiner

Quelle(n)

EBK, UBS

Akteur(e)

23./24.5.2007

Juni 2007

26.6.2007

Juni, Juli 2007

6.7.2007 Ende Juli 2007

28.

29.

30.

31.

32.

33.

3428

Datum

Nr.

Ende Mai 2007 veranstalten die EBK und die SNB mit den beiden Grossbanken eine Klausur «Risiken im Finanzsystem / Stresstests», an der die UBS und die Credit Suisse ihre Stressszenarien präsentieren, die im Extremfall den Verlust eines Quartalsergebnisses ergaben. Sie bestätigen die Resultate des FSAP Banking System Stress Testing des IWF vom Februar 2007, wonach der schweizerische Bankensektor als widerstandsfähig gegen eine Vielfalt makroökonomischer Schocks und die beiden Grossbanken als hoch liquid und resistent gegen Liquiditätsschocks eingeschätzt wurden. Trotzdem beschliessen die EBK und die SNB, den Belastungsgrenzen der Grossbanken in weiteren Stresstests nach behördlichen Vorgaben nachzugehen.

Bericht der SNB zur Finanzstabilität 2007 ­ Die SNB nimmt erstmals explizit Bezug auf den US-Subprime Markt und schliesst nicht aus, dass die Probleme im US-Hypothekenmarkt anfangs 2007 erste Symptome einer grösseren Krise im US-Immobilienmarkt darstellen. Sie schätzt das Marktrisiko der UBS 2006 gegenüber dem Vorjahr als stark gestiegen ein. Die SNB weist auf steigende Risiken im Zusammenhang mit der wachsenden Bilanzsumme und der starken Zunahme des Verschuldungsgrades der Grossbanken bzw. mit deren Exposure im US-Immobilienmarkt hin. Die SNB betont die Wichtigkeit einer Steigerung der Qualität und Verbesserung der Angaben der Banken zu ihren Risiken.

SA KLL1: Diskussion und Genehmigung der neuen Teilprojekte sowie Diskussion gemeinsamer Workshops mit IWF und Federal Reserve.

1 In der Regel finden die Sitzungen des Steuerungsausschusses KLL ohne den Vorsteher des EFD und den Präsidenten der SNB statt. Dagegen sind ­ von Ausnahmefällen abgesehen ­ die anderen Mitglieder der drei Organisationsebenen bei diesen Sitzungen normalerweise zugegen.

Fallende Preise für hoch bewertete Wertschriften, die nicht mit erstklassigen Hypotheken gedeckt sind. Mehrere Hedgefonds kollabieren. Das Ausmass der Risiken/Engagements von grossen internationalen Banken ­ namentlich jenes von Schweizer Grossbanken ­ gegenüber US-Subprime-Segment ist noch weitgehend unbekannt.

UBS gibt Ersetzung ihres CEO bekannt (M. Rohner als Nachfolger von P. Wuffli).

Die Investment Bank der UBS identifiziert Probleme in Zusammenhang mit dem US-Suprime-Markt. Erste Anzeichen einer Liquiditätskrise werden ersichtlich.

Ereignis

SNB, Bericht Finanzstabilität 2007, S. 23 + 53. Brief EFD 4.5.2009

SNB

UBS UBS

UBS, Shareholder Report, S. 6 UBS, Shareholder Report, S.35

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

FINMA, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14.9.2009, S. 33f.

EBK, SNB, CS, UBS

EBK, SNB, EFV

Quelle(n)

Akteur(e)

6.8.2007

August 2007

August 2007

9.8.2007

9./10.8.2007

14.8.2007

18.8.2007

20.8.2007

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

3429

Datum

Nr.

Der CEO und das Chairman's office der UBS werden über die Probleme in Zusammenhang mit dem Subprime-Markt informiert.

Start des EBK-Krisenmodus Stufe «gelb». Monitoring der Grossbanken und Zusammenarbeit mit der SNB wird verstärkt. Das Schwergewicht liegt auf der Entwicklung der Erträge, der Eigenmittel, der Liquidität, der Bewertung illiquider Problempositionen, konkreten Stresstests auf den Risikokonzentrationen, der Identifikation von Ansteckungsherden, dem Abbau von Problempositionen und der öffentlichen Kommunikation durch die Banken und Behörden.

Die SNB verstärkt das Monitoring der Finanzmärkte und der Situation der zwei Schweizer Grossbanken in Zusammenarbeit mit der EBK; zur Verstärkung der Kapitalsituation des Finanzsystems empfiehlt die SNB zusammen mit der EBK den Banken, ihr Eigenkapital raschmöglichst zu erhöhen; ­ der Krisenstab wird angewiesen, alle nötigen Massnahmen vorzusehen für Banken, die in Schwierigkeiten geraten. Im Vordergrund stehen die Grossbanken. Es werden Szenarien für diese erarbeitet.

An diesem Tag wird deutlich, dass sich der Interbankenmarkt in einer Vertrauenskrise befindet, denn die Aufschläge für Interbankkredite steigen im Vergleich zum Zentralbankleitzins weltweit, vor allem in den USA, sprunghaft an. In zahlreichen Märkten versiegt die Liquidität.

Die SNB und andere Zentralbanken beginnen mit der ausserordentlichen temporären Liquiditätsversorgung der Märkte (Hintergrund: Krise im US-Subprime-Markt) UBS erzielt Ergebnis von 5 622 Millionen Franken im zweiten Quartal (Vorjahresvergleich: 3 147 Millionen im Q2 2006).

Gewinnwarnung der UBS aufgrund der Resultate des zweiten Quartals; falls die turbulenten Bedingungen sich fortsetzten, werde die UBS ein sehr schwaches Resultat im Investmentbanking erzielen.

Treffen EBK ­ UBS. Der CEO der UBS informiert über die aktuellen Zahlen der Erfolgsrechnung. Die wichtigste Ursache für die momentane Lage der UBS ist gemäss Marcel Rohner, dass die Investment Bank UBS-intern einen viel zu tiefen und wenig differenzierten Refinanzierungssatz erhielt (unterhalb LIBOR). Als Fazit hält die EBK fest, dass das Problem der UBS AG erkannt ist. Die Liquidität ist im Moment noch nicht gefährdet, könnte aber zum Problem werden. Ab diesen Zeitpunkt realisiert die EBK (Abteilung Grossbanken), dass die UBS ein ernsthaftes Problem hat.

Ereignis

EBK, UBS

UBS

UBS

FINMA-Chronologie ­ Nr. 35 Schriftliche Antworten von D.

Sigrist, 30.10.2009

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008 UBS Medienmitteilung vom 14.8.2007 UBS, Shareholder Report, S. 6

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008

USA

SNB

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth

SNB

FINMA-Chronologie ­ Nr. 36

UBS, Shareholder Report, S.35

UBS EBK, SNB

Quelle(n)

Akteur(e)

22.8.2007

24.8.2007

29./30.8.2007

Anfangs September 17.9.2007

18.9.2007

27.9.2007

Oktober 2007

42.

43.

44.

45.

47.

48.

49.

3430

46.

Datum

Nr.

EBK-Sitzung (unter Einbezug der SNB). In einem ersten Schritt sind von den Grossbanken fortlaufend möglichst verlässliche Informationen über die Bewertung der Risiken und die Resultate der Stresstests zu besorgen. Zusammenarbeit EBK ­ SNB ist auf allen Stufen zu intensivieren. Vorentscheid zur Erhöhung der Eigenmittelanforderungen für die Grossbanken nach Basel II von 120 % auf 130 % aufgrund der bei UBS damals absehbaren ersten Verluste von 2-3 Mia. Franken.

EBK informiert EFV über den zu erwartenden Verlustausweis der UBS im dritten Quartal 2007.

Verstaatlichung der illiquiden englischen Bank Northern Rock. Der Bank Run auf die illiquide englische Northern Rock im September 2007 zeigt, dass das von der SNB entwickelte Konzept für die Gewährung von Notfallliquidität (Emergency Liquidity Assistance, ELA) an systemrelevante, aber solvente Banken gegen Verpfändung von schweizerischen Hypothekarportfolios wegen der stigmatisierenden Wirkung kontraproduktiv wirken kann.

Treffen EBK mit UBS Chairman's Office. Themen sind Dillon Read Capital Management und CEO Wechsel, Markt- und Kreditrisiken sowie Liquidität. Die UBS erläutert die Konstruktion der Verbriefungen von Hypothekarkrediten (CDO, Resecurisation).

EBK-Sitzung ­ Umstellung auf monatlichen Statusbericht zur Lage der Grossbanken. Die EBK erkundigt sich, ob die Regierung orientiert werden müsste. Der Vorsteher des EFD ist aber bereits informiert.

Financial Stability Forum (FSF): Ausarbeitung vom Empfehlungen für konkrete Massnahmen für die Bekämpfung der sich damals anbahnenden Finanzkrise (unter Mitarbeit der Schweiz).

Sitzung Bundesrat: Vorsteher des EFD orientiert über die Immobilien-Situation in den USA.

Die EBK wird über eine Nettoexposure der UBS auf dem Subprime-Markt in der Höhe von 53,1 Mia. Franken am 24.8.2007 (inklusive DRCM) informiert.

Ereignis

FSF

BR, Botschaft Massnahmenpaket

FINMA-Chronologie ­ Nr. 45

FINMA-Chronologie ­ Nr. 42

EBK, UBS

EBK

FINMA-Chronologie ­ Nr. 41

FINMA-Chronologie ­ Nr. 40.

Ip. Müller 09.3775, FINMA, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14.9.2009, S. 23 FINMA-Chronologie ­ Nr. 37­39

EFD-Chronologie 13.8.2009

Quelle(n)

Northern Rock

EBK, EFD

EBK, SNB

CFB

BR

Akteur(e)

1.10.2007

November 2007 1.11.2007

21./22.11.2007

28.11.2007 29.11.2007

7.12.2007

10.12.2007

12.12.2007

18.12.2007

50.

51.

52.

53.

54.

55.

56.

57.

58.

59.

3431

Datum

Nr.

UBS gibt Gewinnwarnung für Q3 2007 heraus und meldet Verlust von 4,2 Mia.

Franken. Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) stuft UBS herab. Gleichzeitig gibt diese verschiedene Wechsel im Management bekannt (u. a. wird M. Rohner nebst seiner CEO Funktion Investment Bank Chairman and Investment Bank CEO, H. Jenkins tritt von dieser Funktion zurück).

EBK-Krisenmodus Stufe «rot».

EBK-Sitzung ­ Die UBS wurde von der Liquiditätsbeschaffung praktisch abgeschnitten, zudem wurden der EBK weitere Verluste gemeldet. Diskutiert wird der Umstand, dass die UBS eingefahrene Verluste in Raten kommuniziert und dem Anschein nach nur begrenzt in die Zukunft geblickt hat. Die EBK will die dahinter stehende Politik mit der UBS erörtern.

EBK-Sitzung (unter Einbezug der SNB). Die EBK beschliesst, die UBS zur Vorbereitung von Korrekturmassnahmen für den Fall aufzufordern, dass Eigenmittel unter die geforderten Schwellen von 120 %/130 % fallen.

Sitzung Bundesrat: Der Präsident der SNB orientiert über Subprimes.

Institutionalisierte Aussprache EFD ­ EBK. Traktanden bilden u. a. die Finanzmarktturbulenzen (Stand der Bewältigung ­ Info EBK) und die Finanzplatzstrategie (Masterplan des Finanzsektors: Reaktion der Behörden ­ Info EFD/EBK).

Sitzung Bundesrat: Der Vorsteher des EFD orientiert über die Abschreibungen von 10 Mia. Franken bei der UBS.

Im Rahmen des verstärkten Monitorings (SNB-EBK) wird bei der UBS einerheblicher zusätzlicher Abschreibungsbedarf identifiziert. UBS meldet weitere Abschreibungen (10 Mia. Dollar); sie ergreift Massnahmen, durch Pflichtwandelanleihen neue Mittel zu beschaffen (13 Mia. Franken); dies wird im Februar 2008 von den Aktionären akzeptiert.

Die SNB stellt ­ zum ersten Mal in ihrer Geschichte ­ den Marktteilnehmern als Teil einer von mehreren Zentralbanken koordinierten Aktion US-Dollar-Liquidität zur Verfügung (4 Mia. Dollar in den Schweizer Geldmärkten).

Ordentliches Treffen der EBK und der SNB mit der UBS zum Thema Standortbestimmung nach der Veröffentlichung der UBS zu den Wertberichtigungen und den Massnahmen vom 10. Dezember 2007.

Ereignis

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008

SNB EBK, SNB, UBS

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008, Prot. GPK-N/S vom 22.4.2009, Roth, UBS Medienmitteilung vom 10.12.2007

EFD-Chronologie 13.8.2009 SNB, EBK, UBS

BR

EFD-Chronologie 13.8.2009 FINMA-Chronologie ­ Nr. 54

FINMA-Chronologie ­ Nr. 53

EBK, SNB BR, SNB EFD, EBK

FINMA-Chronologie ­ Nr. 49 FINMA-Chronologie ­ Nr. 48

UBS Shareholder Report, S. 6 UBS Medienmitteilung vom 1.10.2007

Quelle(n)

EBK EBK

UBS

Akteur(e)

18.12.2007

19.12.2007

Januar 2008

Januar 2008

23.1.2008

29.1.2008

30.1.2008

14.2.2008

22.2.2008

60.

61.

62.

63.

64.

65.

66.

67.

68.

3432

Datum

Nr.

SA KLL ­ Die EBK unterbreitet dem SA KLL einen Bericht «Grossbankenkrise (Szenarien ­ Zeitverhältnisse ­ Staatliche Unterstützung von Privatsektorlösungen ­ Aufrechterhalten des Schweizer Geschäfts)», worin vier staatliche Interventionsvarianten vertieft behandelt werden (Sanierungsverfahren, Ausfallgarantie für schlechte Aktiven, Rekapitalisierung, Abtrennen des Schweizer Geschäfts). Der SA KLL diskutiert auch ein Papier der SNB («Handlungsmöglichkeiten bei einem akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS: Positionspapier der Schweizerischen Nationalbank»). In einem Szenario eines akuten Vertrauensverlusts erachtet der SA KLL damals eine Kombination von Liquiditätshilfe durch die SNB und eine Rekapitalisierung mit privaten oder notfalls öffentlichen Mitteln als beste Lösung.

UBS bestätigt Nettoverlust für 2007 von 4,4 Mia. Franken.

Dreiergespräche: EFD (Vorsteher und Direktor EFV), SNB (Präsident) und EBK (Präsident und Direktor) EBK-Sitzung ­ Der UBS wird für einen internen Bericht bezüglich Abläufe, Ursachen und Verantwortlichkeiten eine Frist bis Ende März eingeräumt. Zudem wird der Vorentscheid zur Erhöhung der Eigenmittelanforderungen bestätigt.

Die SNB stellt den Schweizer Geldmärkten US-Dollar-Liquidität zur Verfügung (4 Mia. Dollar) Die EBK eröffnet eine Untersuchung zu den Ursachen der von der UBS im Jahr 2007 vorgenommenen Wertberichtigungen auf verbrieften US-Forderungen, die zu einem grossen Teil mit Subprime-Hypotheken unterlegt waren. Der Bericht liegt am 30.9.2008 vor.

EBK-Schreiben an die UBS: mangelnde Qualität der Informationen nicht akzeptabel, interne Prozesse der UBS dauern zu lange, Termindisziplin der Bank für angeforderte Informationen soll eingehalten werden.

Dreiergespräche: Die EBK und die SNB alarmieren den Vorsteher des EFD über die ernste Situation der UBS und legen ihm strategische Optionen für den Fall einer erneuten Verschlechterung der Lage vor. Eine Rekapitalisierung der UBS ist dringend angezeigt. Eine Intervention des Bundes könnte sich als notwendig herausstellen, falls das Kapital auf dem Markt nicht gefunden werden kann.

UBS warnt vor weiteren Abschreibungen.

Ereignis

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie FINMA-Chronologie ­ Nr. 61 SNB, Bericht Finanzstabilität 2008 EBK ­ UBS-Subprimebericht , S. 3.

EBK, SNB, EFD EBK, UBS SNB

EBK, SNB, EFV

UBS

UBS Medienmitteilung vom 30.1.2008 UBS Medienmitteilung vom 14.2.2008 FINMA-Chronologie ­ Nr. 72

FINMA-Chronologie ­ Nr. 69

EBK, SNB, EFD

UBS

FINMA-Chronologie ­ Nr. 68

EBK, UBS

EBK

Quelle(n)

Akteur(e)

27.2.2008

27.2.2008

27.2.2008

März 2008

4.3.2008

13.3.2008

17.3.2008

19.3.2008

19.3.2008

69.

70.

71.

72.

73.

74.

75.

76.

77.

3433

Datum

Nr.

SNB + EBK-Brief an das EFD (Vorsteher): Die Präsidenten der SNB und der EBK danken für die Stellungnahme zum Positionspapier EBK/SNB und stellen eine aufgearbeitete Version für Mitte April in Aussicht.

EBK-Sitzung ­ Eine grosse zusätzliche Rekapitalisierung ist durch die Bank sicherzustellen und eine tatsächliche Reduktion insbesondere von US-amerikanischen Aktivenkategorien zielstrebig umzusetzen. Die Kommission kommt zudem zum Schluss, dass M. Ospel als Präsident des VR nicht mehr tragbar ist. Dies wird ihm am Folgetag durch eine EBK-Delegation mitgeteilt. Die SNB und der Vorsteher des EFD werden umgehend informiert.

Dreiergespräche: Standortbestimmung betr. UBS ­ Aktivenveräusserung ist Thema.

EBK-Sitzung: Die EBK entscheidet, die UBS zum Verkauf von Teilen ihres US-Hypothekarportfolios sowie zur erneuten Verstärkung der Kapitalbasis an der ordentlichen GV aufzufordern. Weiter ist die Ablösung von Marcel Ospel als Verwaltungsratspräsident erstmals Thema sowie die Prüfung einer Auslagerung von Geschäften.

Positionspapier von EBK / SNB mit Handlungsoptionen wird dem Vorsteher des EFD zugestellt.

Ausserordentliche GV der UBS stimmt der Schaffung von bedingtem Aktienkapital für die Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe zu.

Die SNB und andere G10-Zentralbanken geben koordinierte Massnahmen zur Gewährleistung der Liquidität bekannt (die SNB stellt den Schweizer Geldmärkten Liquidität in der Höhe von sechs Mia. Dollar zur Verfügung).

Antwort EFD auf das Papier vom Februar 2008: Das EFD weist die SNB und die EBK schriftlich auf verschiedene offene Fragen und die politischen Probleme einer staatlichen Intervention hin.

Steuerungsausschuss KLL ­ Die Stellungnahme des EFD vom 4.3.2008 wird vom Steuerungsausschuss diskutiert, und es werden Mandate für die weiteren Schritte delegiert.

Ereignis

EBK, SNB, EFD

EBK

EBK, SNB; EFD

EBK, SNB, EFV

EFD, EBK, SNB

SNB

FINMA-Chronologie ­ Nr. 76

EBK, SNB, EFD UBS

Merz Ordner 1, Nr. 10

FINMA-Chronologie ­ Nr. 83

Schreiben vom 17.3.2008 des Präsidenten der SNB und des Präsidenten der EBK an den Vorsteher des EFD Merz Ordner 1, Nr. 9

Brief EFD 4.5.2009

UBS Medienmitteilung vom 27.2.2008 SNB, Bericht Finanzstabilität 2008

FINMA-Chronologie ­ Nr. 74

Quelle(n)

EBK

Akteur(e)

20.3.2008

Ende März 2008

Frühling 2008

1.4.2008 (oder 30.3.2008)

1.4.2008

1.4.2008

1.4.2008

2.4.2008

78.

79.

80.

81.

82.

83.

84.

85.

3434

Datum

Nr.

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Diskussion vorbehaltener Massnahmen in Krisensituation und Diskussion des Non-papers der EFV.

Zustellung des Non-papers der EFV an die SNB und die EBK mit Begleitschreiben des Vorstehers des EFD.

UBS gibt Bruttoverluste und Abschreibungen in der Höhe von 19 Mia. Dollar auf Positionen in Verbindung zu US-Hypothekarkrediten bekannt. Zudem meldet sie einen Nettoverlust für das erste Quartal von 12 Mia. Franken. UBS informiert über eine ordentliche Kapitalerhöhung von 15 Mia. Franken (von einem Bankenkonsortium vollumfänglich gezeichnet) sowie über den Abgang ihres VR-Präsidenten per 23. April 2008.

Die EBK kündet an ihrer Jahresmedienkonferenz die Absicht an, die Eigenmittelanforderungen für die Grossbanken wegen der «Too big to fail»-Problematik massiv zu erhöhen und zusätzlich eine Leverage Ratio zu prüfen. Die EBK und die SNB bilden in der Folge ein gemeinsames Projekt-Team zur Entwicklung des neuen Grossbanken-Eigenmittelregimes.

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Traktanden sind die Lage der Bank, mögliche Partner für Privatsektorlösungen (erste Beurteilung aus Sicht der Behörden), die Darstellung und Beurteilung von vier Möglichkeiten staatlicher Unterstützung, die Darstellung und Analyse der Unterstützung von Bear Stearns durch das Fed und die Vertiefung einer staatlichen Übernahme von Risiken.

Erstellung eines Non-papers durch die EFV zuhanden des Vorstehers des EFD zu den Handlungsmöglichkeiten bei einem akuten Vertrauensverlust gegenüber der UBS.

Die SNB bereitet zwei Optionen für Transaktionen im Detail vor (Projekt Pink und Projekt Rosa). «Pink» sieht eine massive Anleihe der SNB an die UBS vor, «Rosa» den definitiven Kauf von Papieren von nicht-liquiden Aktiven der UBS.

Dreiergespräche: Standortbestimmung betr. UBS ­ Aktivenveräusserung, ev. Übernahme der UBS und Abgang Ospel (Kurer interim VRP) ist Thema.

Ereignis

EBK, SNB, EFV

EFV, EFD, EBK

EBK, SNB

UBS

EBK, SNB, EFD

SNB

EFD/EFV

EBK, SNB, EFV

Akteur(e)

FINMA-Chronologie ­ Nr. 88, Referat von Daniel Zuberbühler, Globalisierte Kreditkrise ­ Konsequenzen für die Bankenaufsicht, gehalten an der EBKJahresmedienkonferenz vom 1.4.2008 Brief EFD 4.5.2009, FINMAChronologie ­ Nr. 87, Merz Ordner 1, Nr. 22 Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

Merz Ordner 1, Nr. 13 Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie UBS Medienmitteilung vom 1. April 2008, FINMAChronologie ­ Nr. 91

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth

Brief EFD 4.5.2009

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

Quelle(n)

2.4.2008

April 2008

15.4.2008

17.4.2008

21.4.2008

22.4.2008

23.4.2008

Mai 2008

6.5.2008

7.5.2008

86.

87.

88.

89.

90.

91.

92.

93.

94.

95.

3435

Datum

Nr.

UBS, erstes Quartal 2008 ­ 60 % der Positionen im Zusammenhang mit dem US-Subprime-Markt sind seit dem dritten Quartal 2007 abgebaut, sowohl durch Veräusserungen als auch durch Abschreibungen.

Schreiben der SNB an das EFD (Vorsteher): Stellungnahme zum Non-paper der EFV vom 1. April (Handlungsmöglichkeiten bei Vertrauensverlust in eine Grossbank).

Sitzung Bundesrat: Vorsteher des EFD orientiert über weitere Wertberichtigungen der UBS in den USA.

Die SNB stellt den Schweizer Geldmärkten erneut zeitlich begrenzt Liquidität in der Höhe von sechs Mia. Dollar zur Verfügung.

Financial Stability Forum FSF publiziert Schlussbericht mit Katalog von Empfehlungen zur Bekämpfung der Finanzkrise (Mitarbeit der Schweiz).

Gespräch des Vorstehers des EFD mit M. Ospel und P. Kurer ­ Grösste Bedrohung: Destabilisierung der UBS durch Luqman Arnold oder (un-)freundliche Übernahme von UBS oder Teilen davon; weitere Rückstellungen sind nicht ausgeschlossen, aber ohne Kapitalbedarf.

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Diskutiert wird die Organisation KLL. In der «Phase grün» liegt der Lead bei der EBK. In der «Phase rot» geht der Lead über an die SNB oder die EFV, soweit der Bund politisch involviert ist. Weitere Diskussionspunkte sind das Non-paper der EFV und das weitere Vorgehen. Zweck des Papiers ist das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten bei einer Grossbankenkrise als Grundlage für die notwendigen politischen Entscheide.

EBK-Sitzung ­ Die EBK fordert eine Präsentation der UBS-Vorstellungen zu einer neuen strategischen Ausrichtung der Bank und droht mit einem Eigenmittelzuschlag, falls bis spätestens Ende Juni 2008 kein detaillierter Plan für die IT-Systeme und die identifizierten Schwachstellen (Risikokontrolle, Reporting, Governance, etc.) vorliegt und dessen Umsetzung nicht in Angriff genommen ist. Zudem soll die Vorlage eines konkreten Plans für den Risikotransfer massgeblicher USHypothekarpositionen bis Ende April 2008 einverlangt werden.

Peter Kurer wird von der GV zum neuen Verwaltungsratspräsidenten der UBS gewählt.

Die SNB erhöht den Umfang der Liquiditätsmassnahmen auf 12 Mia. Dollar.

Ereignis

Merz Ordner 1, Nr. 22

SNB, EFD

UBS

SNB

UBS Medienmitteilung vom 23.4.2008 SNB, Bericht Finanzstabilität 2008 UBS Medienmitteilung vom 6.5.2008, Merz Ordner 1, Nr. 20

FINMA-Chronologie ­ Nr. 99

UBS

EBK,

EBK, SNB, EFV

UBS, EFD

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008 BR, Botschaft Massnahmenpaket, FSF Press release Merz Ordner 1, Nr. 15

SNB FSF

EFD-Chronologie 13.8.2009

Quelle(n)

BR

Akteur(e)

8.5.2008

13.5.2008

19.6.2008

21.5.2008

23.6.2008

25.6.2008

Sommer 2008

2.7.2008

96.

97.

98.

99.

100.

101.

102.

103.

3436

Datum

Nr.

Das Direktorium der SNB genehmigt die Vorbereitungsarbeiten für die zwei Projekte «Pink» und «Rosa» zur Stützung der UBS.

Institutionalisierte Aussprache EBK ­ EFD u. a. zur Finanzmarktkrise ­ Stand der nationalen/internationalen Bewältigung, Informationen über parlamentarische Vorstösse und Gespräche mit Kommissionen (Info EBK) und Dialog zur Finanzplatzstrategie (STAFI), Stand der Arbeiten (Info EFD).

SNB Bericht zur Finanzstabilität 2008 ­ Die SNB betont, dass die Schweizer Grossbanken weiterhin internationalen Kredit- und Marktrisiken ausgesetzt sind. In diesem Bericht wird festgehalten, dass die Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften für die Grossbanken verschärft werden sollen. Im Bereich Eigenmittel soll neben einer Verschärfung der risikogewichteten Vorschriften eine Untergrenze für die Eigenkapitalquote (Leverage Ratio) eingeführt werden. Dazu müssen die Banken ihre Transparenz erhöhen und ihr Risikomanagement verbessern.

UBS verkauft Vermögenswerte von 15 Mia. Dollar die im Zusammenhang mit dem US-Hypothekarmarkt stehen, an den amerikanischen Vermögensverwalter BlackRock.

Schreiben der SNB an die EBK: Die SNB «begrüsst Initiative der EBK, die Eigenmittelanforderungen für Grossbanken mit dem Ziel zu erhöhen, die Schweizer Volkswirtschaft und den Finanzplatz besser vor den Systemrisiken der Grossbanken zu schützen».

UBS legt der EBK einen Remediation Plan vor, welcher v. a. eine Verbesserung des Risikomanagements und Controllings beinhaltet und den Eindruck erweckt, dass die Probleme bis Ende Jahr gelöst sein werden. UBS legt der EBK einen «Dreizehnpunkteplan» vor, welcher u. a. die Neuausrichtung des VR behandelt.

Die Finanzkommission des SR diskutiert beim Eintreten auf den Voranschlag und Finanzplan «bad case»-Szenarien und lässt sich vom Bundesrat versichern, dass vorbehaltene Beschlüsse vorbereitet seien.

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Traktanden sind: 1. Information EBK/SNB zur Lage der Grossbanken, 2. Information EBK zu Rekapitalisierungsplänen, 3. Information SNB zu Asset Purchase/Asset Swap Plänen, 4. Information EBK/EFD über weiteres Vorgehen betreffend Eigenmittelregulierungsreform Grossbanken, 5. Information SNB/EBK zur Reform der Liquiditätsregulierung, 6. Krisenstufe KLL, 7. Verschiedenes. Die Teilnehmer sind einhellig der Ansicht, dass sie sich weiterhin in Phase «rot» befinden.

Ereignis

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth Schreiben des EFD, 4.5.2009, FINMA-Chronologie ­ Nr. 101

SNB

EBK, SNB, EFV

FK

EBK, UBS

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie

Parl. Debatte Massnahmenpaket

FINMA-Chronologie ­ Nr. 109, Durch die FINMA aktualisierte Chronologie vom 15.4.2010 ­ Nr. 91 FINMA-Chronologie ­ Nr. 111

UBS Medienmitteilung vom 21.5.2008

UBS SNB, EBK

SNB, Bericht Finanzstabilität 2008

SNB

EFD, EBK

Quelle(n)

Akteur(e)

3.7.2008

Juli 2008

Juli 2008

Juli 2008

27.8.2008

5.9.2008

15.9.2008

19.9.2008

19.9.2008

20.9.2008

104.

105.

106.

107.

108.

109.

110.

111.

112.

113.

3437

Datum

Nr.

Gemeinsamer Vorschlag von EBK/SNB für neues Eigenmittelregime wird CS und UBS zur Stellungnahme bis Mitte August zugestellt. CS bestreitet Rechtsgrundlage und opponiert insbesondere gegen die Leverage Ratio. UBS anerkennt grundsätzlich den Sinn einer Leverage Ratio. Beide Banken befürchten Wettbewerbsnachteile und plädieren deshalb für international abgestimmtes Vorgehen.

Die EBK verlangt bei den beiden Grossbanken eine intensive Erfassung der Modelle und Strukturen der Kompensations- und Anreizsysteme ein.

Die EFV beauftragt Herrn Prof. Amman von der Universität St. Gallen, ein Gutachten zur Beurteilung des Vorschlags zur Erhöhung der Eigenmittelanforderungen an die Schweizer Grossbanken zu verfassen.

Die EBK unterbreitet dem Basler Komitee ihren Vorschlag zur Erhöhung der Eigenmittelanforderungen für CS und UBS. Der Vorschlag wird vorerst verworfen, aber im September angesichts der Verschärfung der Krise nach dem Konkurs der Lehman Brothers erneut in Betracht gezogen.

EBK Sitzung ­ Die EBK-Führung beabsichtigt,auf die UBS Druck auszuüben, wenn bis Ende September keine Klarheit über die Struktur der Investment Bank hergestellt werden kann. Die Kommission möchte die Hintergründe des Zögerns der UBS bezüglich des weiteren Vorgehens in Sachen Investment Bank abgeklärt haben.

Die EFV übermittelt der EBK mit Kopie an die SNB das im Auftrag der EFV von Prof. Manuel Amman erstellte Gutachten zur Beurteilung des Vorschlags zur Erhöhung der Eigenmittelanforderungen an die Schweizer Grossbanken.

Lehman Brothers meldet Konkurs an und beantragt Gläubigerschutz. Staatliche Rettung bleibt aus.

Sitzung Bundesrat: Der Vorsteher des EFD orientiert über die Finanzmarktkrise in den USA.

Die US-Regierung stellt Rettungspaket (Paulson Plan) zur Unterstützung des US-amerikanischen Finanzmarkts im Rahmen der Finanzkrise ab 2007 vor, das Massnahmen im Wert von rund 700 Mia. US-Dollar umfasst, die im «Troubled Assets Relief Program» (etwa Hilfsprogramm für angeschlagene Vermögenswerte) näher bestimmt werden.

EBK-Präsident und SNB-Präsident kontaktieren den Vorsteher des EFD und informieren diesen, die Lage sei gravierend und eine sofortige Krisensitzung sei notwendig.

Ereignis

FINMA-Chronologie ­ Nr. 123

FINMA-Chronologie ­ Nr. 125

EBK

EFV, EBK, SNB

SNB, EBK, EFD

USA

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, FINMA-Chronologie ­ Nr. 128

EFD-Chronologie 13.8.2009

EBK-Jahresbericht 2008

EBK

Lehman Brothers BR

Schreiben des EFD, 4.5.2009

Prot. WAK 14.10.2008, Haltiner

EBK EFD

Durch die FINMA aktualisierte Chronologie vom 15.4.2010

Quelle(n)

SNB, EBK, UBS, CS

Akteur(e)

20.9.2008

20.9.2008

21.9.2008

21.9.2008

22.9.2008

22.9.2008

24.9.2008

25.9.2008

26.9.2008

26.9.2008

114.

115.

116.

117.

118.

119.

120.

121.

122.

123.

3438

Datum

Nr.

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Diskussion verschiedener Handlungsmöglichkeiten; Hintergrund war der am 19.09.2008 durch die US-Regierung für den 22.09.2008 angekündigte Paulson Plan. Es stellt sich die Frage, was mit den Schweizer Banken geschieht, wenn sie nicht mitmachen können.

Der Vorsteher des EFD erleidet einen Kreislaufkollaps und wird ins Spital eingeliefert. Die Vorsteherin des EJPD ist seine Stellvertreterin.

Dringendes Treffen der SNB und der EBK mit der UBS: Ankündigung der Bereitschaft zum Kauf illiquider Aktiven durch die SNB. Gleichzeitig wird über die Rekapitalisierung gesprochen. Die Übernahme von Aktiven bedingt gemäss Auflage der SNB einen Kapitaleinschuss, der als Sicherheitspuffer zu dienen hat. Die UBSVertreter werden versuchen, eine Rekapitalisierung am Markt zu finden.

Die Vorsteherin des EJPD wird in ihrer Funktion als Stellvertreterin des Vorstehers des EFD über die Situation durch den Direktor der EFV, den Präsidenten der SNB und den Präsidenten und den Direktor der EBK informiert.

Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats zur Finanzkrise. Die Stellvertretung durch die Vorsteherin des EJPD wird förmlich beschlossen.

Die SNB nimmt mit der UBS Kontakt auf für eine vertiefte Lagebeurteilung. Die Diskussion zeigt, dass das leichtere Szenario «Pink» nicht mehr in Frage kommt und die Operation «Rosa» (schwerere Variante) weiterverfolgt werden muss, was in der Folge zu einer verbesserten Version von «Rosa» führt. Parallel dazu erklärt sich die UBS einverstanden, sich mit weiteren sechs Mia. Franken zu rekapitalisieren.

Eigenmittelzuschlag für Grossbanken ­ Die EBK wird informiert, dass das EFD vor einem Entscheid der EBK eine meinungsbildende Diskussion im Bundesrat zum Thema Eigenmittelvorschriften wünscht. Das Geschäft ist der Kommission für die Novembersitzung zum Entscheid vorzulegen.

SA KLL ­ Abendliches Treffen SA KLL mit der Vorsteherin des EJPD und der UBS im Bundeshaus West.

Die SNB ergreift Massnahmen zu Beruhigung der Geldmärkte, indem sie Liquiditäten in US-Dollar zur Verfügung stellt.

Die Vorsteherin des EJPD informiert den Bundesrat mündlich über den Massnahmenplan zur Bewältigung einer möglichen Krise bei der UBS.

Ereignis

BR

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie SNB Medienmitteilung vom 26.9.2008 Brief EFD 4.5.2009

FINMA-Chronologie ­ Nr. 133

EBK, EFD

EBK, SNB, EFD, UBS SNB

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth

Brief BK 11.5.2009

FINMA-Chronologie ­ Nr. 130

SNB, UBS

BR

SNB, EBK, EFD

EBK, SNB, UBS

FINMA-Chronologie ­ Nr. 129

Durch die FINMA aktualisierte Chronologie vom 15.4.2010 ­ Nr. 105

SNB, EBK, EFV EFD

Quelle(n)

Akteur(e)

30.9.2008

1.10.2008

2.10.2008

5.10.2008

10.10.2008

10.10.2008

12.10.2008

12.10.2008

13.15.10.2008

13.10.2008

124.

125.

126.

127.

128.

129.

130.

131.

132.

133.

3439

Datum

Nr.

Peter Kurer (UBS) informiert die EBK, dass die Rekapitalisierung am Markt misslungen und eine Rekapitalisierung durch den Bund unerlässlich ist.

SA KLL (mit vollständigem SNB-Direktorium): Treffen mit der UBS: Planänderung bezüglich Rekapitalisierung. Am Abend ist definitiv klar, dass der Bund bei der UBS Kapital einschiessen muss.

SA KLL (mit vollständigem SNB-Direktorium) ­ Treffen mit der CS. Die Grossbank signalisiert, dass sie keinen Bedarf nach Verkauf illiquider Aktiven hat. Sie signalisiert zudem die Erhöhung der Eigenkapitalbasis und gleichzeitig die Erfüllung der neuen Eigenmittelanforderungen.

Die Eckpunkte des Eigenmittelregimes werden von der EBK, nach Rücksprache mit der SNB, mit der CS in der Zeit vom 13.-15. Oktober ausgehandelt.

Orientierung der Vorsteherin des EJPD durch die EBK und die SNB.

Bericht der EBK «Subprime-Krise: Untersuchung der EBK zu den Ursachen der Wertberichtigungen der UBS».

SA KLL (mit vollständigem SNB-Direktorium) bereitet eine Informationsnotiz zuhanden des Bundesrats vor.

Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats: Der Bundesrat wird durch den SA KLL über die Situation und die Vorbereitungen direkt in Kenntnis gesetzt (auf der Grundlage eines Aussprachepapiers des EFD vom 2.10.08). Zu diesem Zeitpunkt ist die Beteiligung am Kapital des Bundes erst eine Option. Die UBS hofft, sechs Mia.

Franken auf dem Kapitalmarkt zu finden.

SA KLL + UBS ­ Vorbereitung einer dringenden Rekapitalisierung durch den Bund: EBK, EFV und SNB (Direktorium) treffen sich mit der UBS (P. Kurer, M.

Rohner). Die Hoffnungen der UBS auf eine Rekapitalisierung am Markt schwinden.

Das EFD wird informiert, dass eine dringende Rekapitalisierung durch den Bund notwendig wird.

SA KLL (mit vollständigem SNB-Direktorium) ­ Treffen mit der UBS.

Ereignis

EBK, UBS

EBK, SNB, CS

EBK, SNB, EFD, CS

EBK, SNB, EFD, UBS EFD, EBK, SNB EBK, SNB, EFD, UBS

SNB, EBK, EFV, UBS

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie ­ Nr. 32 Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth. Brief EFD 4.5.09, FINMA Chronologie ­ Nr.148

FINMA Chronologie ­ Nr.147, Der Bund, 13.3.2010, Interview P. Siegenthaler FINMA Chronologie ­ Nr.147

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie FINMA Chronologie ­ Nr.146

Schreiben des EFD vom 4.5.2009, FINMA Chronologie ­ Nr.143

Durch FINMA und SNB überprüfte KLL Chronologie Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, Brief der BK vom 11.5.2009, Brief EFD 4.5.2009, FINMA Chronologie ­ Nr.141

Internetseite der EBK

EBK EBK, SNB, EFV SNB, UBS, BR

Quelle(n)

Akteur(e)

13.10.2008

13.10.2008

14.10.2008

14.10.2008

14.10.2008

14.10.2008

15.10.2008

15.10.2008

15.10.2008

134.

135.

136.

137.

138.

139.

140.

141.

142.

3440

Datum

Nr.

Finanzdelegation wird telefonisch für eine ausserordentliche Sitzung am Nachmittag des 15.10.2008 aufgeboten.

Die SNB signalisiert dem Bundesrat schriftlich ihre Bereitschaft für die Ausführung der Massnahmen, sofern der Bund die Rekapitalisierung durchführt.

Schreiben der UBS an den Bundesrat «Erwerb durch die Schweizerische Eidgenossenschaft von bis zu 6 Mia. Mandatory Convertible Notes 2008 / 2011 der UBS»: Die Bundesräte hören vor ihrer Beschlussfassung individuell die SNB, den Präsidenten der EBK sowie den Direktor der EFV an. Der Bundesrat beschliesst am Vormittag das vom EFD beantragte Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems.

Sitzung der Finanzdelegation: FinDel stimmt Massnahmen zu.

Schreiben UBS an EBK und SNB «Übertragung illiquider Aktiven an eine Zweckgesellschaft»: Formeller Antrag der UBS für die Umsetzung des Massnahmenpakets. Die SNB bewilligt den Plan, unter Vorbehalt einer Rekapitalisierung der UBS durch den Bund in der Höhe von sechs Mia. Franken.

Schreiben EBK an SNB «UBS ­ notwendige Massnahmen»: Die EBK informiert die SNB, dass die Stabilität der UBS gefährdet sei und in den nächsten Tagen nichts unternommen werde. Sie empfiehlt deshalb, den Massnahmenplan vollumfänglich und ohne Verzug umzusetzen. Sie bestätigt auch, dass die UBS nach geltenden Regeln solvent sei.

Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats wird durch die SNB und die EBK informiert. (Die EBK ist sich nicht sicher, ob es dieses Treffen wirklich gab.)

Gleichentags wird der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats durch den SA KLL über die neusten Entwicklungen unterrichtet und diskutiert die verschiedenen Punkte des Massnahmenpakets.

Abends tritt der SA KLL zusammen.

Ereignis

Brief EFD 4.5.09, FINMA Chronologie ­ Nr.151, EFDChronologie 13.8.2009

EFD-Chronologie 13.8.2009, Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, Prot. GPK vom 29.3.2010, Hildebrand, Brief EFD 4.5.2009

BR

BR/FinDel

FINMA Chronologie ­ Nr.150

Parl. Debatte Massnahmenpaket

FINMA Chronologie ­ Nr.149

FINMA Chronologie ­ Nr.149, Rech.-Bericht SNB 2008

Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, Rech.-Bericht SNB 2008, FINMA Chronologie ­ Nr.149

SNB, BR

EBK, SNB, EFD, EDI, EVD FinDel

EBK, SNB

FINMA Chronologie ­ Nr.148

EBK, SNB, EFV, EFD, EVD, EDI EBK, SNB, EFV UBS, BNS

FINMA Chronologie ­ Nr.148

Quelle(n)

Akteur(e)

15.10.2008

16.10.2008

16.10.2008

20.10.2008 29.10.2008

3.11.2008

3.11.2008

5.11.2008

19.11.2008

143.

144.

145.

146.

147.

148.

149.

150.

151.

3441

Datum

Nr.

Der Bundesrat verabschiedet die Botschaft zum Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems. Sie enthält Massnahmen zur Rekapitalisierung der UBS und zur Verbesserung des Einlegerschutzes.

EBK-Sitzung ­ Entscheid, bei der UBS auf ein tiefgreifendes Kostensenkungsprogramm hinzuwirken. Die EBK verschärft die Eigenmittelvorschriften gegenüber der UBS und verpflichtet diese zur regelmässigen Vorlage einer mittelfristigen Kapitalplanung.

UBS und SNB unterzeichnen eine Grundsatzvereinbarung, welche die Eckwerte der Transaktion festhält. Die UBS verpflichtet sich, Vorgaben zu Entschädigungssystemen einzuhalten, die in Konsultation mit der EBK festzulegen sind. Die Übernahme der Vermögenswerte sind abhängig von einer Kernkapital-Erhöhung von mindestens sechs Mia. Franken.

Dritte Rekapitalisierung der UBS als Ausgleich für den Kapitalverlust infolge des Verkaufs illiquider Aktiven an die SNB-Zweckgesellschaft erfolgt mangels Alternativen am Markt durch die Zwangswandelanleihe des Bundes von sechs Mia. Franken. Das EFD und die UBS unterzeichnen Letter Agreement betreffend Pflichtwandelanleihe. Vororientierung der Parteipräsidenten und Abhalten einer Pressekonferenz.

Die CS gibt eine teilweise kreditfinanzierte Kapitalerhöhung von zehn Mia. Franken und die damit erreichte Erfüllung des neuen Eigenmittelregimes vor dem Zieldatum von 2013 bekannt. Dies trifft für den risikogewichteten Puffer von 100 % über dem Minimum von Basel II zu, für die Leverage Ratio im Sinne der Mindestanforderung.

Information der Finanzkommission des Nationalrats über die Vorlage.

Die UBS wird von der EBK dazu aufgefordert, bezüglich Kapitalrelevanz der Zwischenfinanzierung der Kapitalerhöhung sowie Ursachen und möglichen Massnahmen zur Eindämmung der Verlustentwicklung der Investment Bank mit Frist bis Mitte November 2008 Klarheit zu schaffen.

Der Vorsteher des EFD nimmt seine Arbeit als Chef des EFD und als Mitglied der Landesregierung wieder auf.

SA KLL ­ Garantielösungen für Bankverbindlichkeiten.

Ereignis

EBK, UBS

EBK, SNB, EFV BR

EFD

FINMA Chronologie ­ Nr.166 + 167

EFD Medienmitteilung vom 5.11.2008

FINMA Chronologie ­ Nr.162

Parl. Debatte Massnahmenpaket FINMA Chronologie ­ Nr.158

FINMA Chronologie ­ Nr.152

CS

FK EBK, UBS

FINMA Chronologie ­ Nr.152, Prot. GPK-S vom 18.11.2008, Roth, EFD-Chronologie 13.8.2009, UBS Medienmitteilung vom 16.10.2008

Rech.-Bericht SNB 2008

Quelle(n)

SNB, UBS, EFD, BR

SNB, UBS

Akteur(e)

20.11.2008

25.11.2008

26.11.2008 26.11.2008

26.11.2008 27.11.2008

27.11.2008 4.12.2008

12.12.2008

16.12.2008

19.12.2008

19.12.2008

152.

153.

154.

155.

156.

157.

158.

159.

160.

161.

162.

163.

3442

Datum

Nr.

Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats zur Finanzkrise, inkl. Orientierung durch den Vorsteher des EFD über den UBS-Quartalsverlust von 4,5 Mia.

EBK-Sitzung ­ Beschlüsse zur UBS: Das Sekretariat klärt basierend auf den Informationen der Bank vom 19.12.2008 ab, ob sich für das erste Quartal 2009 die Notwendigkeit für eine Kapitalerhöhung durch den Bund abzeichnet. Das Sekretariat erarbeitet eine Prioritätenliste der Massnahmen einschliesslich Interventionsschwellen, die von der Bank verlangt werden, bevor eine weitere Kapitalerhöhung durch die öffentliche Hand in Betracht gezogen wird. Die EBK übt weiterhin Druck auf die Bank aus, die Investment Bank zu reduzieren.

SNB StabFund (Zweckgesellschaft der SNB) übernimmt die erste Tranche von UBS-Aktiven (Gegenwert von 16,4 Mia. Dollar).

SA KLL + operativer Führungsstab ­ Lagebeurteilung Märkte und Institute (insbesondere UBS und CS), Garantielösungen für Bankverbindlichkeiten: Diskussion Papier STAF, Regulierung der Entschädigungssysteme.

Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats zur Finanzkrise.

Nationalbank-Zweckgesellschaft für UBS-Aktiven (SNB Stabfund) in Bern konstituiert. Übertragung von Aktiven in der Höhe von max. 60 Mia. Dollar soll bis Ende März 2009 erfolgen.

Das EFD und die UBS unterzeichnen Agreement betreffend Pflichtwandelanleihe.

Schreiben der EBK an den Vorsteher des EFD: Lagebeurteilung UBS und CS (Ertragslage, Eigenmittelsituation, Liquidität und Neugelder) EFD und UBS unterzeichnen Pricing Supplement betreffend Pflichtwandelanleihe.

EFD und UBS unterzeichnen Amendment Agreement betreffend Pflichtwandelanleihe (Verschiebung der Liberierung vom 4.12.2008 auf den 9.12.2008).

SA KLL

Die EBK einigt sich mit der UBS und der CS auf höhere Eigenmittelziele und die Einführung einer Leverage Ratio. Die neuen Anforderungen werden in Form einer Verfügung festgelegt und sind bis 2013 zu erfüllen.

Ereignis

SNB

EBK

EBK, SNB, EFV BR

EFD, EBK EFD

EFD

BR SNB

EBK, SNB, EFV

EBK

Akteur(e)

SNB Medienmitteilung vom 19.12.2008

Brief der BK vom 11.5.2009, EFD-Chronologie 13.8.2009 FINMA Chronologie ­ Nr.173

FINMA Chronologie ­ Nr.170

EFD-Chronologie 13.8.2009 EFD-Chronologie 13.8.2009

EFD-Chronologie 13.8.2009

Brief der BK vom 11.5.2009 SNB Medienmitteilung vom 26.11.2008

EBK Medienmitteilung vom 4.12.2008, FINMA, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14.9.2009, S. 42 FINMA Chronologie ­ Nr.168

Quelle(n)

Ab Mitte Januar 2009

28.1.2009

Ab Februar 2009 Ab Februar 2009

3.2.2009

10.2.2009

16.6.2009

164.

165.

166.

168.

169.

170.

3443

167.

Datum

Nr.

SNB Bericht zur Finanzstabilität 2009 ­ Gemäss SNB bleibt das gesamte Risikoexposure der Grossbanken relativ zu ihrer Fähigkeit, Verluste aufzufangen, beträchtlich. Es sei unerlässlich, dass die Grossbanken ihre Risikopositionen weiter abbauen, ihre Eigenkapitalausstattung stärken und einen angemessenen Liquiditätspuffer aufrechterhalten. Die SNB ist der Ansicht, dass ein Leverage von über 20 im Bankensektor in guten Zeiten unerwünscht ist. Gemäss SNB muss die «Too big to fail»-Problematik für den Schweizer Bankensektor gelöst werden. Sie sieht neben strengeren Vorschriften für systemrelevante Institutionen zwei weitere Optionen: Massnahmen zur Vereinfachung der Liquidation grosser international tätiger Institute sowie (direkte und indirekte) Massnahmen zur Reduktion der Grösse. Die SNB wird diese und mögliche weitere Optionen in Zusammenarbeit mit der FINMA vertieft analysieren.

Maximalbetrag des Aktiventransfers der UBS zu StabFund wird von höchstens 60 Mia. auf 39,1 Mia. Dollar gesenkt.

Das EFD informiert regelmässig die Kommission für Wirtschaft und Abgaben sowie die Finanzkommission der beiden Räte über die aktuellsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Massnahmenpaket.

Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats: Bundespräsident orientiert den Bundesrat über den UBS-Jahresverlust 2008 von 21 Mia. Franken.

Die SNB führt im Auftrag und in Absprache mit dem EFD eine «on site»Überprüfung des Risikomanagements bei der UBS durch.

Der Bund als Grossinvestor der UBS hat das Recht, an Investorenpräsentationen und regulären Investorengesprächen teilzunehmen. Die EFV ist für die Vorbereitung und Durchführung solcher Gespräche mit der UBS verantwortlich. Das erste Gespräch findet am 13. Februar 2009 statt.

UBS: Die FINMA gestattet die variablen Vergütungskomponenten (max. 1,8 Mia.

Franken) für das Geschäftsjahr 2008 per Verfügung.

Ereignis

SNB

SNB

SNB, Bericht Finanzstabilität 2009

Antwort Bundesrat, 09.3019, FINMA-Medienmitteilung vom 10.2.2009 SNB Medienmitteilung vom 10.2.2009

EFD-Chronologie 13.8.2009

EFD

FINMA, UBS

EFD-Chronologie 13.8.2009

SNB, EFD

EFD-Chronologie 13.8.2009

EFD-Chronologie 13.8.2009

EFD BR

Quelle(n)

Akteur(e)

26.6.2009

14.9.2009

171.

172.

3444

Datum

Nr.

Publikation des FINMA-Berichts «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht».

Die UBS kündigt eine bewilligte Kapitalemission in der Höhe von 3,8 Mia. Franken an.

Ereignis

FINMA

UBS

Akteur(e)

FINMA-Medienmitteilung vom 14.9.2009

UBS

Quelle(n)

Anhang 2

Vergleichsgrundlage für die schweizerischen Behörden Die Vergleichsgrundlage, auf die sich die Professoren Tille und Wyplosz in ihrem Gutachten stützen, konzentriert sich besonders auf folgende Industrieländer: ­

USA: global führender Finanzmarkt, von dem aus die Krise ihren Anfang nahm. Die Behörden zeigten sich äusserst erfinderisch und flexibel, mit dem Risiko, Fehler zu begehen.

­

Grossbritannien: zweitgrösster Finanzmarkt. Es dauerte zwar eine Weile, bis die Behörden das Ausmass der Krise erkannten, doch dann zeigten sie sich sehr innovativ.

­

Eurozone: führender Wirtschaftsraum, in dem die Behörden im Vergleich zu den USA und Grossbritannien teilweise recht spät auf die Krise reagierten.

Während die Geldpolitik kollektiv analysiert werden kann, muss die Banken- und Finanzaufsicht sowohl für die gesamte Zone als auch von Land zu Land beurteilt werden, denn die Zuständigkeit für die Aufsicht liegt auf Länderebene.

­

Deutschland: Die Finanzmärkte sind von verhältnismässig bescheidener Grösse. Dagegen zählt Deutschland einige global agierende Grossbanken und ein Netz von Regionalbanken, die gewisse Gemeinsamkeiten mit den schweizerischen Kantonalbanken aufweisen.

­

Frankreich: Die Struktur des Finanzmarkts gleicht jener Deutschlands, ohne die Landesbanken, aber mit einer zentralen Rolle des Staates.

­

Spanien und Irland: zwei Länder, die ihre eigenen Immobilienkrisen erlitten und somit die Banken und Hypothekarinstitute direkt in Gefahr brachten.

­

Kanada: von bescheidener Grösse, aber sehr stark in den globalen Markt integriert. Das kanadische Bankenwesen übersteht die Krise relativ unversehrt, und die Behörden reagieren rasch und effizient.

3445

Anhang 3

Arbeitslast der Aufsichtsbeamten im internationalen Vergleich Quelle: Tille und Wyplosz Die untenstehende Tabelle stellt die Anzahl Banken der Anzahl der in der Bankenaufsicht tätigen Personen gegenüber. Die ausländischen Zahlen stammen von der FSA824, während die schweizerischen Zahlen einer Schätzung entsprechen, die sich auf Bankstatistiken und Veröffentlichungen der EBK und der FINMA stützt. Die Zahlen der Grossbanken werden soweit möglich getrennt vom restlichen Bankensektor aufgeführt. Zusätzlich zur Anzahl Banken und Aufsichtsbeamte wurde auch die Bilanzsumme der Banken berücksichtigt.

Personal und Arbeitslast der Aufsichtsbehörden Indikatoren

Schweiz

Anzahl Banken, insgesamt davon Grossbanken Anzahl Aufsichtsbeamte, insgesamt für Grossbanken Bilanz (Milliarden) Gesamtsumme Grossbanken Anzahl Banken pro Aufsichtsbeamten, insgesamt Grossbanken andere Banken Milliarden Franken pro Aufsichtsbeamten, insgesamt

USA

Grossbritannien

Spanien

Kanada

327

1 542

826

364

158

2

16

39

12

8

139

2 085

197

310

89

25

476

152

180

33

3 080

14 775

13 135

5 023

1 522

2.35

0.74

4.19

1.17

1.78

0.08

0.03

0.26

0.07

0.24

2.85

0.95

17.49

2.71

2.68

22.2

7.1

66.7

16.2

17.1

1 885

Grossbanken

75.4

andere Banken

10.5

Bemerkung: Die Anzahl Aufsichtsbeamte in der Schweiz wurde wie folgt geschätzt: Der Jahresbericht der EBK nennt 194 Mitarbeiter. Juristen, Wirtschaftsexperten und Buchhalter machen 72 % des Gesamtpersonals aus, sprich 139 Mitarbeiter. Die Anzahl Aufsichtsbeamte in der Grossbankenaufsicht (25) wird von der FINMA angegeben.

Quellen: ­ FSA: Anzahl Banken und Aufsichtsbeamte (USA, Grossbritannien, Spanien, Kanada) ­ IWF, International Financial Statistics: Bilanzen der Banken (chartered banks in Kanada, Kreditinstitute in der Europäischen Union, Geschäfts- und Sparbanken in den USA) ­ Schweizerische Nationalbank, Die Schweizer Banken 2008: Anzahl Banken und Bilanz

824

Financial Service Authority, 2009, The Turner review. A regulatory response to the global banking crisis, London, March 2009.

3446

Anhang 4

Wichtigste Referenzliteratur für den ersten Teil der Untersuchung (Finanzkrise) Bundesrat, Geschäftsberichte, 2007 bis 2009 Bundesrat, Botschaft zum Massnahmenpaket zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems vom 5. November 2008 BBl 2008 8027.

EBK, Geschäftsberichte, 2006 bis 2008 EBK, Subprime-Krise: Untersuchung der EBK zu den Ursachen der Wertberichtigungen der UBS, 30.09.2008 FINMA, Jahresbericht, 2009 FINMA, Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht, 14.09.2009 FSF, Report of the FSF on Enhancing Market and Institutional Resilience, April 2008 Geiger Hans, Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise zuhanden der Eidgenössischen Finanzverwaltung, 31.12.2009 Green David, The Conduct of Financial Market Supervision during the Financial Crisis, Expert advice for the Federal Finance Administration, Januar 2010 IWF, Switzerland: 2008 Article IV Consultation, Staff Report; Country Report No. 08/170, Mai 2008 IWF, Switzerland: 2007 Article IV Consultation, Staff Report; Country Report No. 07/186, Juni 2007 IWF, Switzerland: 2006 Article IV Consultation, Staff Report; Country Report No. 06/202, Juni 2006 IWF, Switzerland: Financial System Stability Assessment update, Country Report No. 07/187, Juni 2007 IWF, Switzerland: Financial System Stability Assessment, Country Report No. 02/108, Juni 2002 Senior Supervisors Group (SSG), Risk Management Lessons from the Global Banking Crisis of 2008, Self-Assessment Template, 21.10.2009 SNB, Prinzipien für risikoorientierte Vergütungssysteme, 23.04.2009 SNB, Finanzstabilitätsberichte, 2006 bis 2009 SNB, Geschäftsberichte, 2006 à 2009 SNB, Gutachten zur Rechtmässigkeit, unter dem Gesichtspunkt des Notenbankgesetzes, einer Beteiligung der Schweizerischen Nationalbank am Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems («Transaktion mit der UBS»), 13.10.2008 Tille Cédric und Wyplosz Charles, La Suisse face à la crise: une comparaison internationale, Gutachten im Auftrag der GPK, 13.02.2010 UBS, Summary of the Remediation Plan in Response to Issues Outlined in the Shareholder Report, 12.08.2008 UBS, Shareholder Report on UBS's Write-Downs, 18.04.2008 3447

Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates: ­

Protokoll der Sitzung vom 25. Februar 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 14. und 15. April 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 15. und 16. Mai 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 13. und 14. Oktober 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 24. November 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 12. und 13. Januar 2009

­

Protokoll der Sitzung vom 9. und 10. Februar 2009

Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates: ­

Protokoll der Sitzung vom 14. und 15. Januar 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 30. und 31. Oktober 2008 (1. Teil)

­

Protokoll der Sitzung vom 30. und 31. Oktober 2008 (2. Teil)

­

Protokoll der Sitzung vom 20. November 2008 (Bankengesetz)

­

Protokoll der Sitzung vom 20. November 2008 (Finanzmarktkrise)

Finanzkommission des Nationalrates: ­

Protokoll der Sitzung vom 24. und 25. Mai 2007

­

Protokoll der Sitzung vom 6. und 7. September 2007

­

Protokoll der Sitzung vom 21., 22. und 23. November 2007

­

Protokoll der Sitzung vom 5. und 6. Mai 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 4. und 5. September 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 12. November 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 12., 13. und 14. November 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 21. November 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 29. und 30. Januar 2009

­

Protokoll der Sitzung vom 26. und 27. Februar 2009

Finanzkommission des Ständerates: ­

Protokoll der Sitzung vom 8. und 9. September 2008 (1. Teil)

­

Protokoll der Sitzung vom 8. und 9. September 2008 (2. Teil)

­

Protokoll der Sitzung vom 10. November 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 15. Dezember 2008

­

Protokoll der Sitzung vom 22. Januar 2009

­

Protokoll der Sitzung vom 16. und 17. Februar 2009

­

Protokoll der Sitzung vom 4. März 2009

3448

Q2

Q3

Q4

QI

Q2

Q3

QI

Q2

­8218

540

Q4

­2148 1215 ­1261 ­6024

296 ­8100

Q3

­19697***

­12451 ­11535 ­358

Q4

2008

QI

Q2

6724

­2736 Q3

Q4

2006

1571 2354

793

­1975 ­1402 ­564 1205

2009

3449

Q1

2055

2502

2010

Quelle: Quartalsberichte UBS und CS 2005 ­ 2010 * UBS: Net profit attributable to UBS shareholders ** CS: 2005 ­ 2008 Net income; 2009 ­ 2010 Net income attributable to shareholders *** Gemäss der Übersicht Group Timeseries 4Q09 andere Quartalsergebnisse und damit höhere Jahresverluste: 2007: ­5247, 2008: ­21292 Mio. Franken (vgl. http://www.ubs.com/1/g/investors/quarterly_reporting.html).

919 1918 1103 2604 2158 1892 4673 2729 3189 1302

1910

QI

7760

­4384***

CS

Q4

11327

12257

2007

2625 2147 2770 6487 3504 3147 2199 3407 3275 5622 ­830

Q3

2006

UBS

Q2

5850

CS**

QI

14029

UBS*

2005

Reingewinn bzw. Verlust von UBS und CS pro Jahr und Quartal in Mio. Franken (2005­2010)

Anhang 5

Anhang 6

Liste der angehörten Personen Altherr Hans Ambühl Michael Bandli Christoph Calmy-Rey Micheline Casanova Corina Couchepin Pascal Diethelm Markus Geiger Hans Giraudi Jürg Grübel Oswald Haltiner Eugen Hess Eric Hildebrand Philipp Karrer Alexander

Kuhn Hans Kurer Peter Kurth Christoph Leuenberger Moritz Leupold Michael Leuthard Doris Maurer Ueli Merz Hans-Rudolf Ospel Marcel Renggli Josef Philipp Rime Betrand Rohner Marcel Roth Jean-Pierre

3450

Präsident der FinDel Staatssekretär EDA Präsident des BVGer Bundesrätin, Vorsteherin des EDA Bundeskanzlerin Alt Bundesrat, ehem. Vorsteher des EDI Group General Counsel, UBS Professor Emeritus of Banking, Swiss Banking Institute (ISB), Universität Zürich Abteilungschef der Abteilung für Internationales, ESTV, EFD UBS Group CEO Verwaltungsratspräsident der FINMA, bis Ende 2008 Präsident der EBK Stv. Abteilungsleiter Abteilung Internationales, ESTV, EFD Präsident der SNB (seit 2010) Botschafter, stellvertretender Staatssekretär des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen und Leiter internationale Finanz- und Währungspolitik, EFD; bis 28.2.2010 Leiter der Abteilung für internationale Finanzfragen und Währungspolitik der EFV im EFD Leiter Recht & Dienste, SNB Verwaltungsratspräsident der UBS (2008­2009) und Group General Counsel (2001­2008) Head Litigation Corporate Center, UBS Bundesrat, Vorsteher des UVEK Direktor des BJ, EJPD Bundespräsidentin, Vorsteherin des EVD Bundesrat, Vorsteher des VBS Bundesrat, Vorsteher des EFD Ehem. Verwaltungsratspräsident der UBS Chef Sektion Finanzfragen des EDA Leiter Finanzstabilität, SNB CEO der UBS (2007­2009) und CEO Beyond Budgeting im Global Wealth Management & Business Banking der UBS (GWM&BB, 2002­2007) Präsident des Direktoriums SNB (bis Ende 2009)

Roth Urs Ph.

Rechtsanwalt, Vorsitzender der Geschäftsleitung und Delegierter des Verwaltungsrats der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) Schmid Samuel Alt Bundesrat, ehem. Vorsteher des VBS Schumacher Hansruedi Ehem. Leiter NAM International der UBS Siegenthaler Peter Direktor der EFV, EFD Sigrist Daniel Leiter Bereich Grossbanken, FINMA Strahm Rudolf Alt Nationalrat, ehem. Preisüberwacher Tille Cédric Prof. Dr., Graduate Institute for International and Development Studies, Genf Ursprung Urs Direktor der ESTV, EFD Widmer-Schlumpf Eveline Bundesrätin, Vorsteherin des EJPD Wyss Rudolf Chef Internationale Rechtshilfe, BJ, EJPD Ziswiler Urs Schweizer Botschafter in den USA, EDA Zuberbühler Daniel Vizepräsident der FINMA, bis 2008 Direktor der EBK Zulauf Urs Leiter Geschäftsbereich Strategische Grundlagen und zentrale Dienste FINMA

3451

Anhang 7

An der Berichtserstellung beteiligte Personen des Sekretariats GPK ­

Beatrice Meli Andres, Sekretärin der GPK und GPDel

­

Christoph Albrecht, Stv. Sekretär der GPK, Sekretär der Arbeitsgruppe

­

Nicolas Grosjean, Stv. Leiter PVK

­

Irene Moser, wiss. Mitarbeiterin der GPK

­

Stefan Gross, wiss. Mitarbeiter der GPK

­

Mikael Huber, wiss. Mitarbeiter der GPK

3452

Anhang 8

Liste der Motionen / Postulate / Empfehlungen

Motion 1 Der Bundesrat wird aufgefordert, den Präsidenten des FINMA-Verwaltungsrates regelmässig zu einer Aussprache einzuladen. Auf Anfrage des FINMA-Verwaltungsrates sollten auch ausserhalb dieser Treffen Aussprachen des FINMAVerwaltungsratspräsidenten mit dem Wirtschaftsausschuss des Bundesrats stattfinden.

Motion 2 Der Bundesrat wird beauftragt, einen Revisionsentwurf des RVOG vorzulegen, welcher eine Pflicht für die durchgehende Schriftlichkeit seiner Beratungen und Beschlüsse verankert. Das Gebot der Schriftlichkeit ist auch bei geheimen Geschäften und im Falle von bloss mündlichen Informationen zu berücksichtigen. Die Protokolle des Bundesrats müssen als Führungsinstrumente verwendet werden können und die nachträgliche Nachvollziehbarkeit der Beratungen und Beschlüsse des Bundesrats gewährleisten.

Motion 3 Der Bundesrat wird beauftragt, das Instrument des Dreier-Ausschusses im RVOG zu regeln, damit diese Ausschüsse bei wichtigen und übergreifenden Geschäften einen Ausgleich zwischen dem Departemental- und dem Kollegialprinzip schaffen und die Entscheidgrundlagen des Bundesrats verbessert werden.

Motion 4 Der Bundesrat wird beauftragt, im Rahmen der laufenden Regierungsreform konkrete Massnahmen zu beschliessen bzw. vorzuschlagen, damit er bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung wahrnehmen kann, die im Einklang mit seiner Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde steht.

3453

Motion 5 Der Bundesrat wird beauftragt, eine Revision der Artikel 164 und 165 StGB vorzuschlagen, welche deren Anwendbarkeit auf Grossunternehmungen erweitert, falls diese aufgrund ihrer Systemrelevanz für die Volkswirtschaft und die Finanzstabilität durch staatliche Interventionen vor ihrem Untergang bewahrt werden müssen.

Postulat 1 Der Bundesrat wird beauftragt, die vom Gesetz definierte Rolle der Revisionsfirmen bei Prüfungen von Grossbanken zu überprüfen und über mögliche gesetzliche Massnahmen oder andere Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Revisionsfirmen zugunsten der Bankenaufsicht Bericht zu erstatten.

Postulat 2 Der Bundesrat wird beauftragt, die im Bericht der GPK aufgeworfenen Fragen zur Anwendung des Artikels 271 StGB sowie zur Kompatibilität des QIA mit dem schweizerischen Bankgeheimnis in einem vertieften Bericht umfassend abzuklären.

Empfehlung 1 Die GPK laden den Bundesrat ein, seine Rolle und seinen Einbezug in die Krisenorganisation zu definieren. Zu diesem Zweck legt der Bundesrat fest, ab wann und wie er informiert und aktiv in das Krisenmanagement und die Krisenüberwachung einbezogen werden muss.

Empfehlung 2 Die GPK laden den Bundesrat ein, in Absprache mit der FINMA und mit der SNB Gesetzesänderungen zu prüfen und vorzuschlagen, die den genannten Behörden im Bereich der Aufsicht über den Finanzmarkt bzw. der Überwachung der Stabilität des Finanzsystems sachgerechte und präzise Ziele setzen und die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Kompetenzen übertragen.

3454

Empfehlung 3 Die GPK laden den Bundesrat ein, die von der FINMA ergriffenen Massnahmen zur Verbesserung ihrer Aufsichtsinstrumente und Praktiken zu evaluieren und darüber bis Mitte 2012 Bericht zu erstatten.

Empfehlung 4 Die GPK laden den Bundesrat ein, in Absprache mit der FINMA und der SNB die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um die mit Abschottung (groupthink) verbundenen Risiken zu minimieren.

Empfehlung 5 Die GPK laden den Bundesrat ein, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um Rolle und Kompetenzen der verschiedenen Behörden zu klären und Transparenz und Optimierung des Entscheidungsprozesses sicherzustellen. Die SNB und die FINMA müssen bei der Ausarbeitung von Vorschlägen und Massnahmen eine zentrale Rolle spielen. Ziel dieser Verbesserungen ist eine optimale Zusammenarbeit zwischen der SNB, der FINMA und dem EFD.

Empfehlung 6 Die GPK laden den Bundesrat ein, innert einem Jahr sicher zu stellen, dass die Arbeitsprozesse und die neue Organisation der FINMA ihrer Aufgabe angemessen sind, eine gute Kommunikation zwischen ihren Abteilungen gewährleistet ist und dass der für die Aufsichtsaktivitäten unerlässliche Informationsaustausch erfolgt.

Empfehlung 7 Die GPK laden den Bundesrat ein, die Empfehlungen der von ihm beauftragten Experten Geiger und Green umfassend zu vertiefen und bis Ende 2010 über deren weitere Behandlung durch den Bundesrat zu berichten.

3455

Empfehlung 8 Die GPK laden den Bundesrat ein, ein System zur strategischen politischen Steuerung einzuführen, basierend auf den Empfehlungen früherer Untersuchungen der GPK in Sachen Steuerung (Die strategische politische Steuerung des Bundesrats, Fall Tinner, Umstände der Ernennung von Roland Nef zum Chef der Armee, usw.).

Empfehlung 9 Die GPK laden den Bundesrat ein, auf seiner Ebene ein wirksames Überwachungs- und Frühwarnsystem für Krisen einzurichten.

Empfehlung 10 Die GPK fordern die FINMA auf, angesichts der grossen Tragweite dieser Affäre die Frage, wie viel die oberste Leitung der UBS von den QIAVerletzungen der Bank und ihrer Mitarbeiter wusste, vertieft abzuklären.

Empfehlung 11 Die GPK laden die zuständigen Legislativkommissionen ein, die gesetzlichen Regelungen der Déchargeerteilung durch die Generalversammlung im Bankensektor zu überprüfen.

Empfehlung 12 Der Bundesrat trifft sich regelmässig mit der Direktion der SNB und ergreift die erforderlichen Massnahmen, damit die SNB einen privilegierten Zugang zum Kollegium hat, wann immer sie dies für notwendig erachtet.

3456

Empfehlung 13 Die GPK fordern den Bundesrat auf, für die Betreuung von wichtigen Geschäften ­insbesondere wenn sie departementsübergreifend sind ­ in den betroffenen Departementen zu gewährleisten, dass das jeweilige Generalsekretariat in geeigneter Weise in die Informationsflüsse einbezogen wird, damit es seine Funktion als Stabsstelle des Departements, aber auch des Departementsvorstehers oder der Departementsvorsteherin wahrnehmen kann.

Empfehlung 14 Die GPK fordern den Bundesrat auf, bei wichtigen Rechtsfragen systematisch eine fundierte Analyse und Beurteilung beim BJ einzuholen.

Empfehlung 15 Der Bundesrat gibt sich die nötigen Ressourcen und Mittel, damit er rasch über geeignete Protokolle und über eine ausreichende Geschäftskontrolle verfügt.

Empfehlung 16 Der Bundesrat passt sein Stellvertretungssystem den Anforderungen an eine moderne Regierungstätigkeit an. Dabei prüft er die Notwendigkeit und Zweckmässigkeit eines regelmässigen Einbezugs der Stellvertreterin oder des Stellvertreters in die reguläre Geschäftstätigkeit des jeweiligen Departements.

Empfehlung 17 Die GPK laden die zuständigen Legislativkommissionen ein, im Rahmen der Beratungen der Regierungsreformvorlage den Massnahmen für eine effektive und seiner Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde entsprechende Führung wichtiger Dossiers durch das Bundesratskollegium besondere Bedeutung beizumessen.

Empfehlung 18 Die GPK laden den Bundesrat ein, alle Aufträge des Bundesratskollegiums durch die Bundeskanzlei erfassen zu lassen und ein entsprechendes Controlling zuhanden des Gesamtbundesrats durchzuführen.

3457

Empfehlung 19 Die GPK fordern den Bundesrat und die UBS auf, dafür zu sorgen bzw. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass 1.

der bankinterne Umgang der UBS, insbesondere von Verwaltungsrat, Konzernleitung und Revisionsstelle, im Zusammenhang mit der SubprimeKrise und ihrem grenzüberschreitenden Geschäft in den USA aufgearbeitet wird (Opportunität der Einleitung von Strafanzeigen und Verantwortlichkeitsklagen durch die UBS, Traktandierung der Décharge für die Jahre 2007 bis 2009 an der Generalversammlung vom 15. April 2010, Abgangsregelungen für das höhere und mittlere Management usw.);

2.

Transparenz bezüglich des Entscheides des UBS-Verwaltungsrates in Sachen Verzicht auf Einleitung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Schritte gegen das frühere UBS-Management hergestellt wird;

3.

die Eidgenossenschaft bzw. Organe des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit als Aktionäre oder andere Aktionärsgruppen in die Lage versetzt werden, straf- bzw. zivilrechtliche Schritte (Verantwortlichkeitsklagen) gegen die verantwortlichen Verwaltungsräte, die verantwortlichen Mitglieder der Konzernleitung und allenfalls die Revisionsstelle in die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck ist die Übernahme des Prozessrisikos und der Verfahrenskosten (Gerichts- und Anwaltskosten) durch die Eidgenossenschaft zu garantieren;

4.

die Öffentlichkeit über die wesentlichen Ergebnisse und Erkenntnisse informiert wird.

Dabei messen die GPK einer völlig unabhängigen Aufarbeitung hohe Priorität bei. Dies ist beispielsweise durch ein neutrales Expertengremium zu gewährleisten.

3458