zu 11.467 Parlamentarische Initiative AVIG. Rahmenfrist und Mindestbeitragszeit für über 55-Jährige Bericht vom 30. August 2011 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) Stellungnahme des Bundesrates vom 16. September 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 30. August 20111 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates betreffend die parlamentarische Initiative 11.467 «AVIG. Rahmenfrist und Mindestbeitragszeit für über 55-Jährige» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. September 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

1

BBl 2011 7259

2011-1909

7267

Stellungnahme 1

Ausgangssituation

Im Rahmen der 4. Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) wurden die Anforderungen bezüglich der Mindestbeitragszeiten verschärft. Über 55-Jährige und Personen, die eine Invalidenrente beziehen, die einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent entspricht, haben heute nur dann Anspruch auf höchstens 520 Taggelder, wenn sie eine Beitragszeit von mindestens 24 Monaten nachweisen können. Für diese zwei Personengruppen wurde die Anforderung an die Beitragszeit per 1. April 2011 von 18 auf 24 Monate erhöht.

Für den Leistungsbezug und für die Beitragszeiten gelten zweijährige Rahmenfristen. Die Rahmenfrist für den Bezug von Taggeldern beginnt mit dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit, sofern die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Rahmenfrist für die Beitragszeit beginnt zwei Jahre vor diesem Tag.

Das führt zu einer Situation, die nur über 55-Jährige und Personen mit Invalidenrenten betrifft: Für den Maximalanspruch von 520 Taggeldern müssen diese in den zwei Jahren vor Arbeitslosigkeit lückenlos Beiträge geleistet haben. Diese Konstellation kann zu unerwünschten Härtefällen führen, wenn die betroffene Person in den beiden Jahren vor der Arbeitslosigkeit die Stelle gewechselt und dazwischen einige Tage nicht gearbeitet hat oder wenn sie sich nicht am ersten Tag der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) meldet, weil sie beispielsweise eine Zeit lang versucht, ohne die Unterstützung der ALV eine Stelle zu finden.

Aufgrund der heutigen Regelung wurden bisher monatlich ca. 50 Personen ausgesteuert, die 22 oder 23 Beitragsmonate aufweisen. Wir dürfen davon ausgehen, dass diese Anzahl Aussteuerungen in Zukunft konstant bleiben wird. Zur Lösung dieser unerwünschten Situation und zur Vermeidung von Härtefällen hat die WAK-N am 5. Juli 2011 eine parlamentarische Initiative beschlossen. Die Kommission hat anschliessend eine Vorlage ausgearbeitet und sie ihrem Rat am 30. August 2011 unterbreitet. Dabei soll die Mindestbeitragsdauer für die genannten Personengruppen auf 22 Monate gesenkt werden. Dies entspricht auch dem ursprünglichen Antrag des Bundesrates in der 4. Teilrevision des AVIG2.

2

Arbeitslosigkeit und Alter

Grundsätzlich haben ältere Erwerbstätige ein kleineres Risiko, arbeitslos zu werden, als Jüngere. Werden ältere Erwerbstätige jedoch arbeitslos, dann ist ihr Risiko grösser, für längere Zeit keine Stelle zu finden. Die durchschnittliche Zahl der 55- bis 64-jährigen Arbeitslosen lag in den letzten 10 Jahren konstant bei rund 20 000 Personen.

2

Botschaft vom 3. September 2008 zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, BBl 2008 7733 7745

7268

Die Arbeitsmarktbeobachtung der Ostschweiz, Aargau und Zug (AMOSA) untersucht seit längerer Zeit das Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeit in den deutschsprachigen Kantonen. Obwohl Faktoren wie Qualifikation oder Kenntnisse der Ortssprache eine Rolle spielen, wird das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit am stärksten durch das Alter beeinflusst. Das Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, ist in den deutschsprachigen Kantonen für 55- bis 59-Jährige von 39 Prozent im Jahr 2006 auf 46 Prozent im Jahr 2010 gestiegen.

3

Bisherige AVIG-Revisionen und über 55-Jährige

Dem erhöhten Langzeitarbeitslosigkeitsrisiko für über 55-Jährige wurde bereits bei der Revision des AVIG im Jahr 2003 Rechnung getragen. Damals wurde die Mindestbeitragszeit von sechs auf zwölf Monate erhöht und die maximale Entschädigungsdauer von 520 auf 400 Tage gekürzt. Für ältere Arbeitnehmende sowie für Rentnerinnen und Rentner der Invaliden- und Unfallversicherung wurde der maximale Anspruch von 520 Taggeldern beibehalten, sofern sie über 18 Beitragsmonate verfügten. Diese Ausnahmeregelung wurde in der damaligen Botschaft3 mit der erschwerten Vermittelbarkeit dieser Personen begründet: «Diese Ausnahmeregelungen sind nötig, weil von einer Verkürzung der Bezugsdauer ­ ohne soziale Abfederung ­ hauptsächlich ältere Arbeitnehmer betroffen wären.

Jüngere Arbeitslose weisen zwar ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko auf, ihre Arbeitslosigkeitsdauer ist jedoch unterdurchschnittlich. Ältere Arbeitslose sowie Arbeitslose, die eine Invalidenrente beziehen, weisen dagegen ein durchschnittliches Arbeitslosigkeitsrisiko auf, die durchschnittliche Dauer ist aber höher als in den übrigen Alterskategorien.» In der 4. Teilrevision des AVIG wurde die minimale Beitragszeit stärker an die Leistungsdauer gebunden. Versicherte Personen haben Anspruch auf höchstens: 260 Taggelder (entspricht rund 12 Monaten) bei 12 Monaten Beitragszeit, 400 Taggelder (entspricht rund 18 Monaten) bei 18 Monaten Beitragszeit, 520 Taggelder (entspricht rund 24 Monaten) bei 24 Monaten Beitragszeit, wenn die versicherte Person das 55. Altersjahr zurückgelegt hat oder eine Invalidenrente bezieht, die einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent entspricht.

4

Auswirkungen

Aufgrund der besonderen Regelung der Beitragsbemessung besteht das oben beschriebene Problem nur für über 55-jährige Arbeitslose und für Personen mit einer Invalidenrente. Mit einer Mindestbeitragszeit von 22 Monaten für die genannten Personengruppen könnten pro Jahr durchschnittlich 370 oder in der Summe rund 600­700 Betroffene von 120 zusätzlichen Taggeldern profitieren.

3

Botschaft vom 28. Februar 2001 zu einem revidierten Arbeitslosenversicherungsgesetz, BBl 2001 2245 2284

7269

Eine Mindestbeitragszeit von 22 Monaten würde den ALV-Fonds jährlich mit 15 Millionen Franken belasten. Dies wird angesichts der grossen Bedeutung für die Existenzsicherung dieser speziell betroffenen Personen als tragbar beurteilt. Die Entschuldung der Arbeitslosenversicherung wird durch diese Zusatzkosten nicht gefährdet.

5

Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Zustimmung zum Entwurf der Kommission. Er stellt keine Änderungsanträge.

7270