zu 04.439 Parlamentarische Initiative Revision des Betäubungsmittelgesetzes Bericht vom 2. September 2011 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 26. Oktober 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 2. September 2011 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) betreffend die Revision des Betäubungsmittelgesetzes (Ordnungsbussenverfahren) nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Oktober 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-2108

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Das Sanktionsregime für den Cannabiskonsum steht seit längerem zur Diskussion.

Nachdem am 30. November 2008 Volk und Stände der Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 19511 (BetmG) zugestimmt haben, entschied die SGK-N am 25. März 2009, den von der CVP-Fraktion am 16. Juni 2004 in Form einer parlamentarischen Initiative (04.439) eingebrachten Vorschlag weiterzuverfolgen und den Konsum von Cannabis einem Ordnungsbussenverfahren (OBV) zu unterstellen. Damit soll der Polizei und Justiz ein einfaches Instrument zur Verfügung gestellt werden, um das vom Gesetzgeber vorgesehene Verbot des Cannabiskonsums konsequent und mit adäquatem Aufwand zu ahnden. Gleichzeitig soll eine Vereinheitlichung der bis anhin sehr heterogenen Sanktionspraxis erreicht werden.

Gemäss der Vorlage der SGK-N soll der Cannabiskonsum von Erwachsenen, analog zum OBV im Strassenverkehr, künftig mit einer Ordnungsbusse in Höhe von 100 Franken geahndet werden können. Dies unter der Voraussetzung, dass keine anderen Widerhandlungen gegen das BetmG oder andere Gesetze vorliegen. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass die Täterin oder der Täter nur eine geringfügige Menge Cannabis auf sich trägt, wobei diese Menge nunmehr auf maximal 10 Gramm Cannabis festgelegt werden soll.

Im Rahmen der Vernehmlassung begrüssten 73 von 99 Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zum Thema geäussert haben, im Grundsatz das OBV zur Ahndung des Cannabiskonsums. Die Vorlage wird namentlich von einer Mehrheit der Kantone (Ausnahmen: AI, BS, GR, TG, TI) als auch bei den politischen Parteien (Ausnahmen: SVP und EDU) befürwortet.

Mit Beschluss vom 2. September 2011 unterbreitet die SGK-N die im Lichte der Vernehmlassungsergebnisse überarbeitete Vorlage dem Bundesrat zur Stellungnahme.

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Grundsatz

Der Cannabiskonsum ist nicht ohne Gefahren für die Gesundheit, weshalb er vom Gesetzgeber u.a. mit einer Strafe bedroht wird. Angesichts der kantonalen Unterschiede sowohl bei der Verzeigungspraxis wie auch beim Strafmass betreffend diese Widerhandlung anerkennt der Bundesrat, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Er unterstützt deshalb grundsätzlich das Bestreben, eine die Strafpraxis in der Schweiz vereinheitlichende, effiziente sowie Polizei und Justiz entlastende Regelung einzuführen.

Mit der nun von der SGK-N vorgeschlagenen Einführung eines OBV beim Cannabiskonsum durch Erwachsene und weiteren klärenden Bestimmungen zum Cannabiskonsum und -besitz können die obengenannten Ziele nach Einschätzung des 1

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Bundesrates zum Teil erreicht werden. So wird namentlich mit der vorgesehenen Bestimmung der geringfügigen Menge (Art. 19b Abs. 2 nBetmG) der straffreie Besitz von Cannabis neu präzis geregelt, was der Gleichbehandlung der Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten dient. Der Einschätzung der Mehrheit der für die Strafverfolgung zuständigen Kantone zufolge wird ein OBV zur Bestrafung des Cannabiskonsums bei Erwachsenen eine effizientere Ahndung dieses Straftatbestands durch Polizei und Justiz ermöglichen. Das OBV hat schliesslich den Vorteil, dass die Täterinnen oder Täter, welche die Ordnungsbusse bezahlen können, sich einem Strafverfahren und einer damit verbundenen möglichen Stigmatisierung entziehen können.

Vor diesem Hintergrund und namentlich angesichts der sich mehrheitlich positiv äussernden Kantone widersetzt sich der Bundesrat der Vorlage der SGK-N nicht.

Dies eingedenk des Umstands, dass einige betäubungsmittelpolitische sowie strafrechtliche Aspekte gegen die Bestrafung des Cannabiskonsums mittels eines OBV sprechen. Anlässlich der Debatte zu dieser Vorlage werden diese nachfolgend aufgeführten Aspekte vertieft zu prüfen sein.

2.2

Zu prüfende Aspekte

Nachfolgend werden einige Aspekte näher dargestellt, die sich bei einer Einführung eines OBV zur Bestrafung des Cannabiskonsums als problematisch erweisen könnten und daher anlässlich der parlamentarischen Beratung geprüft werden sollen.

Aus betäubungsmittelpolitischer Sicht:

2

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Die Einführung eines spezifischen Strafverfahrens für den Cannabiskonsum durch Erwachsene führt zu einer Sonderbehandlung eines einzelnen Betäubungsmittels. Dies widerspricht im Grundsatz der in der Betäubungsmittelgesetzgebung angelegten und vom Bundesrat verfolgten umfassenden, substanzunabhängigen Suchtpolitik.2

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Die Einführung einer Sonderregelung bezüglich des Cannabiskonsums durch Erwachsene hätte zudem zur Folge, dass für diesen Tatbestand das im Betäubungsmittelgesetz für die Beurteilung des Betäubungsmittelkonsums anwendbare Opportunitätsprinzip (Art. 19a Ziff. 2­4 BetmG) nicht zur Anwendung kommt. Dies würde zu einer stossenden Ungleichbehandlung von Cannabiskonsum und dem Konsum anderer Betäubungsmittel führen: Bei leichten Fällen würde im Ergebnis der Cannabiskonsum im Rahmen eines OBV mangels Opportunitätsprinzip härter bestraft werden als der Konsum von anderen Betäubungsmitteln.

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Im OBV ist die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Täterin oder des Täters ausgeschlossen. Gefährdete Konsumierende mit einem problematischen Mischkonsum von Cannabis und anderen verbotenen Betäubungsmitteln werden möglicherweise von der Polizei nur als Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten ohne psychische, physische und soziale Probleme wahrgenommen. Wird die Busse direkt oder innert der Bedenkfrist bezahlt, kann eine kranke Person auch nicht mehr durch gerichtlich angeVgl. Botschaft zur Eidgenössischen Volksinitiative «für eine vernünftige Hanf-Politik mit wirksamem Jugendschutz», BBl 2007 245 257.

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ordnete Massnahmen vor weiteren negativen Auswirkungen des problematischen Betäubungsmittelkonsums geschützt werden, wie die Anordnung einer ärztlichen Kontrolle oder die Einweisung in eine Heilanstalt (Art. 19a Ziff. 3 und 4 BetmG).

Aus strafrechtlicher Sicht: ­

Das mittels einer Ordnungsbusse zu ahndende strafbare Verhalten sollte u.a.

offensichtlich und ohne weitere Abklärungen feststellbar sein, damit die Vorteile eines OBV zum Tragen kommen. Beim Cannabiskonsum muss somit rasch und zweifelsfrei feststellbar sein, dass der Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) des konsumierten Cannabis über 1 % beträgt. Anders als etwa bei einer mittels Radar festgestellten Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit wird der THC-Gehalt des Cannabis beim Cannabiskonsum nicht durch eine zweifelsfreie Nachweismethode festgestellt. Vielmehr wird die Ordnungsbusse aufgrund der allgemeinen Erfahrung ausgesprochen, dass Cannabis, das geraucht wird, in der Regel einen THC-Gehalt von über 1 % hat. Bei andern Konsumformen von Cannabis (z.B. Gebäck, Tee) kann nicht davon ausgegangen werden, dass der THC-Gehalt des Cannabis über 1 % beträgt; es bedarf deshalb weiterer Abklärungen durch eine Laboranalyse.

Das OBV beim Cannabiskonsum ist somit nur für die Ahndung des Konsums durch Rauchen, nicht aber bei anderen Konsumformen geeignet.

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Weil, wie oben dargelegt, der genaue THC-Gehalt und weitere Umstände des Einzelfalls im OBV nicht ermittelt wird, entfällt die Möglichkeit, die Busse entsprechend der Schwere der Widerhandlung auszusprechen. Damit erfolgt im OBV wegen Cannabiskonsums eine Schematisierung, welche dem geltenden Ordnungsbussensystem für Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz unbekannt ist: Hier erfolgt eine differenzierte Abstufung der Bussen, welche der Schwere der Widerhandlung Rechnung trägt (z.B. nach der Dauer des unerlaubten Parkierens, nach der Höhe der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit). Ein solcher Schematismus steht in gewissem Widerspruch zum Grundsatz, dass sich die Strafhöhe nach dem Verschulden bemisst.

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Die Parlamentarische Initiative wurde im März 2009 wieder aufgenommen.

Die zwischenzeitlich, am 1. Januar 2011 in Kraft getrenene Strafprozessordnung stellt mit dem Strafbefehlsverfahren bereits heute ein Instrument zur raschen und einfachen Erledigung zur Verfügung.

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Heikel erscheint die Möglichkeit, im OBV Gegenstände einzuziehen. Zum einen handelt es sich um eine Neuerung gegenüber dem bekannten OBV für Strassenverkehrsdelikte. Zum anderen dürften sich rechtliche Probleme ergeben, da auch Gegenstände eingezogen werden können, die im Besitz der beschuldigten Person sind, aber Dritten gehören. In allen andern Verfahren (Strafbefehlsverfahren, ordentliches Verfahren, selbständiges Einziehungsverfahren) wird diesfalls aufgrund der Vorgaben des höherrangigen Rechts der Einziehungsentscheid auch den betreffenden Dritten eröffnet, damit diese eine richterliche Überprüfung der Einziehung erwirken können. Beim vorliegend vorgeschlagenen OBV entfällt diese Möglichkeit, denn das Verfahren ist mit der Bezahlung der Ordnungsbusse abgeschlossen, ohne dass Dritte davon etwas erfahren.

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Der Bundesrat hat in der Debatte zur Motion Frick (10.3747 Ordnungsbussensystem zur Entlastung der Strafbehörden und der Bürgerinnen und Bürger) eine Ausdehnung des OBV auf weitere Straftatbestände unterstützt.

Diese Motion verlangt die Prüfung der Frage, welche einfachen Verstösse gegen die Rechtsordnung zusätzlich zum heutigen Recht dem Ordnungsbussensystem unterstellt werden können. Bisherige Überlegungen gehen davon aus, dass analog der heutigen Regelung für Ordnungsbussen im Bereich des Strassenverkehrs Handlungen in Frage kommen, deren Strafbarkeit sich ohne weitere Abklärungen zweifelsfrei ergibt und die mit einer Maximalbusse von 300 Franken geahndet werden können. Der erforderliche rasche und zweifelsfreie Nachweis ist beim Cannabiskonsum wie dargelegt nicht ausnahmslos realisierbar, da z.B. die für die strafbare Widerhandlung relevante THC-Gehaltsgrenze von 1 % im Widerspruchsfall durch eine Laboranalyse nachgewiesen werden muss. Da die Motion Frick die Ausweitung des heute bekannten OBV auf weitere Fälle verlangt, ist es nicht absehbar, dass die bisherigen Kriterien für die Durchführung eines OBV so geändert werden könnten, dass auch der Cannabiskonsum sie erfüllen würde. Mit einer vorgängigen Einführung im Rahmen der vorliegenden parlamentarischen Initiative besteht somit die Gefahr, dass ein Sonderfall zu einem allfälligen künftigen Ordnungsbussensystem geschaffen wird.

3

Änderungsanträge zur Vorlage des SGK-N

3.1

Artikel 28d Absatz 2: Zuständige Polizeiorgane

Gesetzesentwurf der SGK-N Art. 28d

Zuständige Polizeiorgane

Die Kantone bestimmen die für die Erhebung der Ordnungsbussen zuständigen Polizeiorgane.

1

Bussen können nur von Polizistinnen und Polizisten in Dienstuniform erhoben werden.

2

Antrag des Bundesrates: Absatz 2 ist ersatzlos zu streichen.

Begründung: Das Erfordernis, dass die Polizei nur in Dienstuniform Ordnungsbussen verhängen kann, tangiert nach Auffassung des Bundesrats in Übereinstimmung mit einer klaren Mehrheit der kantonalen Stellungnahmen in unnötiger Weise die Kompetenz der Kantone, die Polizei selbständig zu organisieren.

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3.2

Artikel 28l: Busse im ordentlichen Verfahren

Gesetzesentwurf der SGK-N Art. 28l (neu)

Busse im ordentlichen Verfahren

Die Busse im ordentlichen Verfahren entspricht mindestens der Höhe der Ordnungsbusse.

Antrag des Bundesrates: Art. 28l (neu)

Busse im ordentlichen Verfahren

Eine Ordnungsbusse kann auch im ordentlichen Strafverfahren erhoben werden.

Begründung: Jede Person hat Anspruch darauf, dass eine sie betreffende Strafsache in einem ordentlichen Verfahren respektive durch ein ordentliches Gericht beurteilt wird (Art. 6 EMRK). Eine Person, die gebüsst werden soll, kann daher die Bedenkfrist verstreichen lassen (Art. 28e Abs. 5 nBtmG) oder das OBV ausdrücklich ablehnen (Art. 28j Abs. 2 nBtmG) und damit die Beurteilung im ordentlichen Verfahren verlangen. Im ordentlichen Verfahren wird die Busse für den Cannabiskonsum jedoch nach Artikel 19a BetmG in Verbindung mit Artikel 106 StGB zugemessen und kann daher (aufgrund der persönlichen und finanziellen Verhältnisse der zu büssenden Person) um vieles höher, aber auch geringer ausfallen als die ursprünglich vorgesehene Ordnungsbusse von 100 Franken. Indem dem Staatsanwalt oder dem Gericht ermöglicht wird, eine Ordnungsbusse von 100 Franken nach Artikel 28b Absatz 2 nBtmG zu verhängen, wird gewährleistet, dass eine Person nicht dafür bestraft wird, dass sie ein ihr zustehendes Recht wahrnimmt.

Überdies entspricht der vom Bundesrat vorgeschlagene Normtext jenem von Artikel 11 Absatz 1 des Ordnungsbussengesetzes vom 24. Juni 19703 (OBG). Es erscheint sinnvoll, gleiche Regelungen in verschiedenen Erlassen sprachlich aufeinander abzustimmen.

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SR 741.03

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