11.018 Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten vom 23. Februar 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten mit Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

23. Februar 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-1768

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Übersicht Zwangsheiraten sollen verhindert werden. Die Opfer sollen wirksam unterstützt und in ihren Grundrechten geschützt werden.

Damit diese Ziele erreicht werden, beauftragt die von den eidgenössischen Räten in modifizierter Form überwiesene Motion Heberlein den Bundesrat, unverzüglich alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen (Strafrecht, Zivilrecht, Ausländerrecht usw.) zu ergreifen und ein geeignetes Konzept zu erarbeiten.

Mit dem vorliegenden Entwurf eines Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten nimmt der Bundesrat die Erfüllung des in der Motion enthaltenen Gesetzgebungsauftrags an die Hand.

Vorgeschlagen wird, die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches über das Verfahren zur Vorbereitung der Eheschliessung um eine Vorschrift zu ergänzen, wonach das Zivilstandsamt prüft, ob Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass das Gesuch offensichtlich nicht dem freien Willen der Verlobten entspricht. Für den Fall, dass sie die Ausübung von Zwang feststellen, sollen die Zivilstandsbehörden zur Strafanzeige verpflichtet werden. Des Weiteren wird vorgeschlagen, die unbefriste-ten Eheungültigkeitsgründe um zwei Tatbestände zu erweitern: Eine Ehe soll einerseits für ungültig erklärt werden, wenn die Ehe nicht aus freiem Willen der Ehegatten geschlossen wurde, und andererseits, wenn einer der Ehegatten noch minderjährig ist. Die Geltendmachung der gesetzlichen Ungültigkeitsgründe durch die zuständige Behörde soll erleichtert werden: Ein neuer Passus in der betreffenden Bestimmung soll die Behörden des Bundes und der Kantone, die Anlass zur Annahme haben, dass eine ungültige Ehe vorliegt, verpflichten, diesen Umstand der für die Eheanfechtungsklage zuständigen Behörde zu melden, soweit dies mit ihren Aufgaben vereinbar ist. Die neuen Regeln gelten durch eine entsprechende Anpassung des Partnerschaftsgesetzes auch für die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare.

Das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) soll um eine ausdrückliche Regelung der Eheungültigerklärung ergänzt werden, um die Anwendung der neuen Eheungültigkeitsgründe im internationalen Verhältnis zu erleichtern.

Zudem soll im Rahmen des IPRG Zwangsheiraten mit einer restriktiveren Haltung gegenüber Ehen mit Minderjährigen entgegengewirkt werden. Ausgangspunkt ist ein gewandeltes Verständnis
des Ordre public. Gestützt darauf werden Eheschliessungen in der Schweiz mit Minderjährigen auch bei Ausländerinnen und Ausländern nicht mehr als akzeptabel betrachtet. Gleichzeitig sollen auch im Ausland geschlossene Ehen mit nach schweizerischem Recht minderjährigen Personen grundsätzlich nicht mehr toleriert werden.

Der strafrechtliche Schutz soll verstärkt werden, indem Zwangsheiraten ausdrücklich unter Strafe gestellt werden. Wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, eine Ehe einzugehen oder eine Partnerschaft eintragen zu lassen, soll mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft werden. Strafbar macht sich auch,

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wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird.

Im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer sowie im Asylgesetz sollen die Bestimmungen über den Nachzug eines ausländischen Ehegatten oder einer ausländischen Ehegattin ergänzt werden. Der Entwurf sieht vor, dass die Ausländerbehörden bei Verdacht auf Vorliegen eines Eheungültigkeitsgrundes im Sinne von Artikel 105 Ziffer 5 oder 6 ZGB der kantonalen Behörde, die nach Artikel 106 ZGB für die Erhebung einer Klage auf Ungültigkeit der Ehe zuständig ist, eine entsprechende Meldung machen. Das Verfahren um Bewilligung des Nachzugs muss dann für die Dauer des Gerichtsverfahrens sistiert werden.

Das umfassende Konzept, das die Motion Heberlein neben gesetzgeberischen Massnahmen in den erwähnten Bereichen verlangt, wird aber erst nach Erfüllung der Motion Tschümperlin vorgelegt werden können. Diese verlangt vom Bundesrat eine Untersuchung, welche die Formen, das Ausmass, die Ursachen und die Verteilung von potenziell und effektiv betroffenen Personen im Bereich Zwangsheirat umfassend abklärt. Diese Untersuchung soll auch darlegen, wo und in welchem Umfang bereits Massnahmen gegen Zwangsheiraten bestehen, und aufzeigen, mit welchen gezielten weiterführenden Massnahmen in den Bereichen Prävention und Schutz diese gestärkt und ausgebaut werden können.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Verzeichnis der abgekürzten Erlasse

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1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Das Postulat der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats und die Motion Heberlein 1.1.2 Motion Tschümperlin 1.1.3 Die aktuelle Situation im Privatrecht 1.1.3.1 Eheschliessung 1.1.3.2 Ungültigerklärung einer Ehe 1.1.4 Die aktuelle Situation im internationalen Privatrecht 1.1.4.1 Anfechtbarkeit von Zwangsehen 1.1.4.2 Ehen mit Minderjährigen 1.1.4.3 Stellvertreterehen 1.1.5 Die aktuelle Situation im Strafrecht 1.1.5.1 Erzwingung einer Eheschliessung als Nötigung 1.1.5.2 Tatbegehung im Ausland 1.1.6 Die aktuelle Situation im Ausländerrecht 1.1.6.1 Aufenthaltsregelung für ausländische Ehegatten 1.1.6.2 Situation des Opfers bei Auflösung der Ehe 1.1.6.3 Konsequenzen der Zwangsausübung für den Täter 1.1.6.4 Massnahmen im Rahmen der Integrationsbestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer 1.2 Vorgeschlagene Neuregelung 1.2.1 Privatrecht 1.2.2 Internationales Privatrecht 1.2.3 Strafrecht 1.2.4 Ausländerrecht 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösungen 1.3.1 Privatrecht 1.3.1.1 Ergänzung von Artikel 99 Absatz 1 Ziffer 3 und Artikel 43a ZGB 1.3.1.2 Ergänzung von Artikel 105 ZGB 1.3.1.3 Ergänzung von Artikel 106 ZGB 1.3.1.4 Verzicht auf Übergangsbestimmungen 1.3.1.5 Anpassung des Partnerschaftsgesetzes 1.3.1.6 Verzicht auf Neuregelung des ausserehelichen Unterhaltsrechts 1.3.2 Internationales Privatrecht 1.3.2.1 Ausdrückliche Regelung für Eheanfechtungen mit Auslandsbezug (neuer Art. 45a IPRG) 1.3.2.2 Minderjährigenehen und Revision von Artikel 44 IPRG 1.3.2.3 Aufhebung von Artikel 45a IPRG geltenden Rechts

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2191 2192 2193 2193 2193 2194 2194 2196 2197 2197 2197 2198 2199 2199 2199 2200 2201 2202 2202 2202 2203 2203 2203 2203 2203 2204 2205 2205 2205 2206 2206 2206 2207 2209

1.3.2.4 Verzicht auf Erweiterung von Artikel 45 Absatz 2 IPRG 1.3.2.5 Keine Gesetzesänderung in Bezug auf Stellvertreterehen 1.3.3 Strafrecht 1.3.4 Ausländerrecht 1.3.4.1 Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug bei Verdacht auf Ungültigkeit der Ehe 1.3.4.2 Verzicht auf Erfordernis von genügenden Sprachkenntnissen 1.3.5 Verzicht auf eine Verlängerung der Rückkehrmöglichkeit nach Artikel 61 Absatz 2 AuG 1.3.6 Massnahmen in den Bereichen Prävention und Schutz 1.4 Regelungen im Ausland

2210 2210 2211 2212 2212 2212 2213 2213 2213

2 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln 2.1 Privatrecht 2.2 Internationales Privatrecht 2.3 Strafrecht 2.4 Ausländerrecht und Asylrecht

2214 2214 2218 2219 2222

3 Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden 3.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

2224 2224 2224

4 Verhältnis zur Legislaturplanung

2224

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässige Grundlagen 5.2 Vereinbarkeit mit den Grundrechten 5.2.1 Ungültigerklärung von Zwangs- und Minderjährigenehen 5.2.2 Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug 5.3 Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen 5.3.1 Ungültigerklärung von Zwangs- und Minderjährigenehen 5.3.2 Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug

2224 2224 2225 2225 2225 2226 2226 2227

Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten (Entwurf)

2229

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Verzeichnis der abgekürzten Erlasse AsylG: AuG: BV: EMRK: FZA: IPRG: OHG: OR: PartG: StGB: VZAE: ZGB: ZStV:

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Asylgesetz vom 26. Juni 1998, SR 142.31 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer, SR 142.20 Bundesverfassung, SR 101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681 Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht, SR 291 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz), SR 312.5 Obligationenrecht, SR 220 Bundesgesetz vom 18. Juni 2004 über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare (Partnerschaftsgesetz, PartG), SR 211.231 Strafgesetzbuch, SR 311.0 Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, SR 142.201 Zivilgesetzbuch, SR 210 Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004, SR 211.112.2

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Das Postulat der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats und die Motion Heberlein

Mit der Motion 06.3658 Heberlein vom 7. Dezember 2006 sollte der Bundesrat beauftragt werden, unverzüglich alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen (Strafrecht, Zivilrecht, Ausländerrecht usw.) zu ergreifen und ein umfassendes Konzept zu erarbeiten, das geeignet ist, Zwangsheiraten und arrangierte Heiraten zu verhindern, die Opfer wirksam zu unterstützen (Ausstiegshilfe, Identität usw.) und ihre Grundrechte zu schützen.

Der Bundesrat beantragte am 14. Februar 2007 die Ablehnung der Motion. Er erachtete es nicht als sinnvoll, einen Vorstoss entgegenzunehmen, bevor sein Bericht «Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten» in Erfüllung des Postulats 05.3477 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats vom 9. September 2005 vorlag. Dessen ungeachtet nahm der Ständerat am 21. März 2007 die Motion Heberlein mit 23 zu 5 Stimmen an (AB 2007 S 285).

Mitte November 2007 verabschiedete der Bundesrat seinen Bericht zum Postulat 05.3477. Darin wurde folgender gesetzgeberischer Handlungsbedarf bejaht oder ernstlich erwogen: ­

im Privatrecht: 1) Erweiterung der Prüfungsbefugnis des Zivilstandsamts hinsichtlich des freien Willens der Verlobten (Art. 99 ZGB), 2) Zwangsheirat als neuer ­ unbefristeter ­ Eheungültigkeitsgrund (Art. 105 ZGB), 3) Informationspflicht des Zivilstandsbeamten oder der Zivilstandsbeamtin bezüglich Willensfreiheit (Art. 65 ZStV);

­

im internationalen Privatrecht: 1) Restriktive Altersgrenze bei Eheschliessung (Art. 44 Abs. 2 und 45a IPRG), 2) Einschränkung der Anerkennung von Stellvertreterehen (Art. 45 IPRG);

­

im Strafrecht: 1) drei Varianten: (a) Beibehaltung des Status quo, d.h.

Zwangsheirat als Nötigung nach Artikel 181 StGB, (b) ausdrückliche Erwähnung der Zwangsheirat als Fall einer schweren Nötigung in Artikel 181 StGB, eventuell verknüpft mit Strafrahmenerhöhung, (c) Einführung einer neuen Strafnorm «Zwangsheirat» als qualifizierter Nötigungstatbestand; 2) Erweiterung der schweizerischen Strafhoheit für Auslandtaten im Fall von Zwangsheirat (Art. 5 und 7 StGB);

­

im Ausländerrecht: 1) Mindestalter von 18 Jahren (Variante 21 Jahre) für den Nachzug ausländischer Ehegatten bzw. als Mindestalter für die Eheschliessung, wenn die Ehe ausländerrechtlich anerkannt werden soll; 2) Nachweis von genügenden Sprachkenntnissen für den Familiennachzug ausländischer Ehegatten.

Darüber hinaus wurden mögliche Massnahmen in den Bereichen Prävention und Opferschutz aufgelistet.

2191

Am 12. März 2008 wurde die Motion Heberlein vom Nationalrat mit einem modifizierten Wortlaut angenommen. Der Passus «und arrangierte Heiraten» wurde im Motionstext gestrichen. Der Ständerat stimmte am 2. Juni 2008 zu. Ausschlaggebend war die Erwägung: «Nach Ansicht des Bundesrates besteht Handlungsbedarf einzig in Bezug auf Zwangsheiraten, weil sie das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen verletzen. Demgegenüber kann eine arrangierte Heirat, wenn sie nicht mit Zwang verbunden ist, zu einer selbstbestimmten Ehe führen. Der freie Wille der Betroffenen ist in einem solchen Fall unberührt.» (AB 2008 S 355 [Votum WidmerSchlumpf]). Der Motionstext lautet somit: Der Bundesrat wird beauftragt, unverzüglich alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen (Strafrecht, Zivilrecht, Ausländerrecht usw.) zu ergreifen und ein umfassendes Konzept zu erarbeiten, das geeignet ist, Zwangsheiraten zu verhindern, die Opfer wirksam zu unterstützen (Ausstiegshilfe, Identität usw.) und ihre Grundrechte zu schützen.

In Erfüllung dieses Auftrags erarbeitete der Bundesrat einen Vorentwurf für ein Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten, der auch die Erzwingung eingetragener Partnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare abdeckte, und verfasste dazu einen Begleitbericht. Der Vorentwurf durchlief vom November 2008 bis zum 15. Februar 2009 das Vernehmlassungsverfahren. Die Ergebnisse dieses Vernehmlassungsverfahrens wurden vom EJPD in einem Ergebnisbericht festgehalten. Aus dem betreffenden Bericht vom Oktober 2009 ergibt sich, dass die vorgeschlagenen gesetzlichen Massnahmen grossmehrheitlich begrüsst werden.

1.1.2

Motion Tschümperlin

Mit der im Juni 2010 überwiesenen Motion 09.4229 Tschümperlin «Wirksame Hilfe für die Betroffenen bei Zwangsheirat» wird der Bundesrat beauftragt, «aufgrund einer umfassenden Abklärung weiterführende Massnahmen zur Bekämpfung von Zwangsheiraten zu ergreifen, welche eine effektive Hilfe der betroffenen Personen vor Ort gewährleisten (Untersuchung und Programm Bekämpfung Zwangsheirat)».

In der Begründung wird ausgeführt, es sei aufbauend auf dem bundesrätlichen Bericht von 2007 eine Untersuchung vorzunehmen, welche die Formen, das Ausmass, die Ursachen und die Verteilung von potenziell und effektiv betroffenen Personen im Bereich Zwangsheirat umfassend abklärt. Diese Untersuchung soll auch darlegen, wo und in welchem Umfang bereits Massnahmen gegen Zwangsheiraten bestehen, und aufzeigen, mit welchen gezielten weiterführenden Massnahmen in den Bereichen Prävention und Schutz diese gestärkt und ausgebaut werden können. Gestützt darauf soll ein Programm mit gezielten Massnahmen umgesetzt werden, welche auf eine behutsame und effektive Weise betroffene Personen vor Ort unterstützen und schützen (Sensibilisierung, Anlaufstellen und Beratung, Schutz).

Der Bundesrat hatte unter Berufung auf die bereits laufenden Aktivitäten in den Bereichen Prävention und Schutz, insbesondere auf die Tätigkeit des Bundesamts für Migration (vgl. dazu Ziff. 1.1.6.4 hiernach), die Ablehnung der Motion beantragt.

2192

1.1.3

Die aktuelle Situation im Privatrecht

1.1.3.1

Eheschliessung

Die Ehe kommt durch den Austausch der Zustimmungserklärungen der Brautleute vor dem Zivilstandsbeamten zustande (Art. 102 Abs. 2 ZGB). Das beidseitige Jawort hat konstitutive Wirkung. Der Erklärung des Zivilstandsbeamten (Art. 102 Abs. 3 ZGB) kommt bloss deklaratorische Bedeutung zu.

Der Wille, die Ehe einzugehen, muss frei sein und darf nicht auf Irrtum, Täuschung oder Drohung beruhen. Ist die Braut oder der Bräutigam offensichtlich Opfer eines solchen Willensmangels, so muss der Zivilstandsbeamte oder die Zivilstandsbeamtin die Trauung verweigern, was sich bereits aus dem verfassungsmässigen Grundrecht auf Ehe ergibt (Art. 35 Abs. 2 BV in Verbindung mit Art. 14 BV).

Im Sinne einer dringlichen Massnahme gegen Zwangsheiraten ist Artikel 65 ZStV mit Wirkung auf den 1. Januar 2011 um einen Absatz 1bis ergänzt worden, der wie folgt lautet: «Die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte macht die Verlobten darauf aufmerksam, dass die Eheschliessung ihren freien Willen voraussetzt». In Artikel 75d Absatz 1bis ZStV ist eine entsprechende Bestimmung gegen erzwungene Partnerschaften vorgesehen. Im Übrigen ist auf den Formularen zur Ehevorbereitung ­ namentlich auf dem Formular « Erklärung betreffend die Ehevoraussetzungen», das bereits die Strafbarkeit der Bigamie und der mehrfach eingetragenen Partnerschaft (Art. 215 StGB) sowie der Erschleichung einer Falschbeurkundung (Art. 253 StGB) erwähnt ­ der Hinweis angebracht worden, dass die Eheschliessung eine aus freiem Willen erfolgte Zustimmung der Brautleute voraussetzt und dass die Erzwingung einer Eheschliessung strafrechtlich geahndet wird. Nicht ausgeschlossen sind weitere Massnahmen des Zivilstandsbeamten oder der Zivilstandsbeamtin, insbesondere eine Unterredung mit Braut, Bräutigam oder beiden Brautleuten bzw. einzutragenden Partnerinnen oder Partnern, von Amtes wegen oder auf Gesuch hin.

1.1.3.2

Ungültigerklärung einer Ehe

Nach dem Leitsatz nulla annullatio matrimonii sine lege können vor einem Zivilstandsbeamten oder einer Zivilstandsbeamtin geschlossene Ehen nur aus einem gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Grund für ungültig erklärt werden. Die Anwendung der allgemeinen Regeln des Obligationenrechts ist ausgeschlossen.

Angesichts der tiefen und dauerhaften Bindung, die durch die Eheschliessung begründet wird, entfaltet die Ungültigerklärung einer mit einem schweren Mangel behafteten Ehe (einfache Unregelmässigkeiten, wie die fehlende Anwesenheit zweier volljähriger Zeugen bei der Trauung nach Art. 102 Abs. 1 ZGB oder die Nichteinhaltung der gesetzlichen Frist zwischen Abschluss des Vorbereitungsverfahrens und Trauung nach Art. 100 Abs. 1 ZGB, bleiben wirkungslos) ihre Wirkungen ex nunc. Mit anderen Worten entfaltet die Ungültigerklärung keine Rückwirkung.

Hiervon ausgenommen sind allerdings die erbrechtlichen Ansprüche des überlebenden Ehegatten (vgl. zum Ganzen Art. 109 ZGB).

Keine Ehe im Rechtssinn liegt vor (Nichtehe, matrimonium non existens), wenn die Verbindung an einem grundlegenden Mangel leidet, etwa weil die Trauung nicht von einem Zivilstandsbeamten oder einer Zivilstandsbeamtin vorgenommen wurde.

Eine solche Verbindung entfaltet keine Wirkung und muss somit nicht für ungültig 2193

erklärt werden. Das Nichtbestehen kann jedoch durch jede Person, die ein Interesse hat, mittels Feststellungsklage geltend gemacht werden.

Das Zivilgesetzbuch unterscheidet zwischen unbefristeter und befristeter Eheungültigkeit. Die Gründe für eine unbefristete Ungültigkeit sind in Artikel 105 ZGB aufgeführt: Bestehen einer vorgängig geschlossenen Ehe, dauerhafte Urteilsunfähigkeit, unzulässiges Verwandtschaftsverhältnis und gezielte Umgehung der Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern. In all diesen Fällen besteht die Anfechtungsmöglichkeit auch im öffentlichen Interesse.

Die Anfechtung nach Artikel 105 ZGB zeichnet sich dadurch aus, dass jede Person, die ein Interesse hat, Klage erheben kann. Die zuständige kantonale Behörde muss sogar von Amtes wegen klagen. Eingereicht werden kann die Klage jederzeit.

Die Gründe für eine befristete Ungültigkeit sind in Artikel 107 ZGB festgelegt. Sie umfassen die vorübergehende Urteilsunfähigkeit, den Erklärungsirrtum, die Täuschung und die Drohung. Hier dient die Anfechtungsmöglichkeit primär dem Interesse des betroffenen Ehegatten. Die Regelung unterscheidet sich in zwei Punkten vom Regime der unbefristeten Ungültigkeit. Erstens sind nur die Ehegatten klageberechtigt. Zweitens unterliegt die Klage einer relativen Verjährungsfrist von sechs Monaten ab Kenntnis bzw. Wegfall des Mangels und einer absoluten Verjährungsfrist von fünf Jahren ab dem Datum der Eheschliessung.

Zwangsehen sind nach Artikel 107 ZGB nur anfechtbar, wenn sie unter einer schweren Drohung zustande gekommen sind, d.h. unter Androhung einer «nahen und erheblichen Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Ehre» des Opfers selbst oder einer «ihm nahe verbundenen Person». Sie können zudem nur innerhalb einer eher kurzenFrist und auf Begehren des gezwungenen Ehegatten für ungültig erklärt werden. Die Zeit hat heilende Wirkung. Nach Ablauf der gesetzlichen Fristen wird unwiderlegbar vermutet, dass das Opfer die Ehe aufrechterhalten möchte. Die Verbindung kann dann einzig durch ein Scheidungsverfahren aufgelöst werden.

1.1.4

Die aktuelle Situation im internationalen Privatrecht

1.1.4.1

Anfechtbarkeit von Zwangsehen

Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe wird gestützt auf Artikel 45 Absatz 1 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) in der Schweiz anerkannt. Eine Einschränkung gilt für den Fall, dass Braut oder Bräutigam das Schweizer Bürgerrecht haben oder dass beide Wohnsitz in der Schweiz haben. In diesem Fall wird die Ehe nicht anerkannt, wenn die Eheschliessung in der offenbaren Absicht ins Ausland verlegt wurde, die Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit zu umgehen (Art. 45 Abs. 2 IPRG). Gemeint ist nach herrschender Auffassung die unbefristete Ungültigkeit nach Artikel 105 ZGB (vgl.

Ziff. 1.1.3.2). Die befristete Ungültigkeit nach Artikel 107 ZGB wird nicht erfasst.

Neben den Fällen von Artikel 45 Absatz 2 IPRG kann einer ausländischen Ehe auch die Anerkennung versagt werden, wenn ihre Anerkennung mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unvereinbar wäre oder wenn sie unter Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts zustande gekommen ist (Art. 27 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Bst. b IPRG). Ein Verstoss gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Artikel 27 Absatz 1 IPRG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, «wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerken2194

nung und Vollstreckung eines ausländischen Entscheids in unerträglicher Weise verletzt würde, weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden» (BGE 131 III 182 E. 4.1 S. 185).

Die Verletzung des schweizerischen Ordre public ist nach vorherrschender Auffassung ohne weiteres zu bejahen, wenn eine polygame oder zwischen engen Blutsverwandten geschlossene Ehe vorliegt. Willensmängel bei der Eheschliessung sind demgegenüber viel schwieriger zu erfassen. Nach Artikel 107 ZGB kann nur der gezwungene Ehegatte den betreffenden Willensmangel geltend machen. Eine Anfechtung von Amtes wegen durch eine Behörde (vgl. Art. 105 ZGB) ist nicht vorgesehen (vgl. Ziff. 1.1.3.2). Daraus ergibt sich, dass auch eine Missachtung der Ehe im Anerkennungsverfahren nur auf Antrag des gezwungenen Ehegatten möglich wäre. Für den Bereich der Zwangsheirat erweist es sich daher als sinnvoll, das Anfechtungsverfahren nach Artikel 107 ZGB auch auf im Ausland geschlossene Ehen anzuwenden. Dem Ordre public wird damit Genüge getan. Kann demnach eine ausländische Zwangsehe gleich einer schweizerischen angefochten werden, so widerspricht es dem schweizerischen Ordre public nicht, wenn sie in einem ersten Schritt anerkannt wird.

Im Rahmen von Artikel 32 IPRG ist somit eine im Ausland gültige Ehe vorerst zu anerkennen und gegebenenfalls in die schweizerischen Zivilstandsregister einzutragen. Ist die Ehe angefochten worden oder widersetzt sich der gezwungene Ehegatte der Eintragung, so verfügt die kantonale Aufsichtsbehörde bis zum Vorliegen des Urteils oder bis zum unbenutzten Ablauf der sechsmonatigen Anfechtungsfrist (Art. 108 ZGB) eine Sperrung nach Artikel 46 ZStV. Wird die Ehe vom Gericht für ungültig erklärt, wird dies im Register eingetragen.

Die rechtlichen Grundlagen für eine Anwendung von Artikel 107 Ziffer 4 ZGB auf ausländische Zwangsehen sind grundsätzlich vorhanden. Sie weisen aber einzelne Lücken auf oder sind zumindest mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.

Das auf Eheungültigkeitsklagen anwendbare Recht bestimmt sich nach herrschender Auffassung sinngemäss nach Artikel 61 IPRG. Dieser verweist in Absatz 1 primär auf das schweizerische Recht. Absatz 2 sieht eine Ausnahme für den Fall vor, dass die Ehegatten eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit haben und nur einer
von ihnen Wohnsitz in der Schweiz hat. Diese Ausnahme wird aber in Absatz 3 für den Fall relativiert, dass eine Anfechtung nach dem anwendbaren ausländischen Heimatrecht nicht oder nur unter ausserordentlich strengen Bedingungen zulässig ist. Absatz 3 setzt zwar eine gewisse Binnenbeziehung in Form einer schweizerischen Staatsangehörigkeit oder eines mindestens zweijährigen Aufenthalts in der Schweiz voraus. Es spricht jedoch einiges dafür, dass auf diese Binnenbeziehung in Zusammenhang mit der Anfechtung von Zwangsehen verzichtet werden kann. Die Anwendung eines ausländischen Rechts, das eine solche Anfechtung ausschliesst, kann als ordre-public-widrig betrachtet werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Vorentwurf des EJPD zum Vorsorgeausgleich bei Scheidung die Streichung von Artikel 61 Absätze 2­4 IPRG vorsieht. Dieser Vorschlag ist im Vernehmlassungsverfahren gut aufgenommen worden und wird voraussichtlich Eingang in die bundesrätliche Botschaft finden. Sollte er von den eidgenössischen Räten umgesetzt werden, so wäre auf Scheidungen und andere Verfahren zur Auflösung der Ehe von vornherein stets schweizerisches Recht anwendbar.

2195

Eine weitere Komplikation ergibt sich aus der Tatsache, dass nach der herrschenden Lehre die einzelnen Anfechtungsgründe grundsätzlich einem anderen Recht unterstehen als die Eheanfechtung selbst. Gestützt auf Artikel 44 Absatz 2 IPRG wird auf das für die Eheschliessung massgebende Recht abgestellt. Doch steht auch diese Praxis unter dem Vorbehalt des schweizerischen Ordre public (Art. 17 IPRG), zu welchem, wie ausgeführt, auch die Anfechtbarkeit nach Artikel 107 Absatz 4 ZGB gehört. Man kann sich sogar fragen, ob diese Bestimmung als zwingend anwendbare Bestimmung des Schweizer Rechts im Sinne von Artikel 18 IPRG zu qualifizieren ist. Damit wäre sie auch im internationalen Verhältnis anzuwenden, unabhängig von dem nach den Regeln des IPRG anwendbaren Recht.

Die schweizerischen Gerichte sind nach Artikel 59 IPRG, welcher ebenfalls sinngemäss auf Eheungültigkeitsklagen anzuwenden ist, zuständig, wenn einer der Ehegatten in der Schweiz wohnhaft ist. Der Ehemann oder die Ehefrau kann indes nur dann am eigenen Wohnsitz Klage erheben, wenn er oder sie sich seit mindestens einem Jahr in der Schweiz aufhält oder das Schweizer Bürgerrecht besitzt. Haben die Ehegatten keinen Wohnsitz in der Schweiz und besitzt der Ehemann oder die Ehefrau das Schweizer Bürgerrecht, so sind die Gerichte am Heimatort zuständig.

Dies jedoch nur, sofern es unmöglich oder unzumutbar ist, die Klage am ausländischen Wohnsitz eines der Ehegatten zu erheben (Art. 60 IPRG). Hat keine Partei das Schweizer Bürgerrecht, so kann bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Klage im Ausland trotzdem in der Schweiz geklagt werden, wenn ein Zusammenhang zur Schweiz besteht (Art. 3 IPRG). Diese Ausnahmeregel sollte im vorliegenden Zusammenhang eher grosszügig angewendet werden, da es um die Durchsetzung eines vom Ordre public geschützten Rechts geht. Aus der gleichen Überlegung wird in der Lehre gefordert, dass auf die einschränkende Voraussetzung in Artikel 59 IPRG betreffend Klagen am Wohnsitz des klägerischen Ehegatten zu verzichten ist.

1.1.4.2

Ehen mit Minderjährigen

Zwangsehen werden oft mit jüngeren Personen geschlossen. In der Schweiz setzt eine Eheschliessung voraus, dass die Brautleute das 18. Altersjahr zurückgelegt haben (Art. 94 Abs. 1 ZGB). Ausländischen Eheleuten wird nach Artikel 44 Absatz 2 IPRG die Eheschliessung zu einem früheren Zeitpunkt gestattet, wenn dies den Regeln ihres Heimatstaates bzw. eines ihrer Heimatstaaten entspricht. Eine im Ausland geschlossene Minderjährigenehe muss gemäss Artikel 45 Absatz 1 IPRG in der Schweiz anerkannt werden. Beide Regelungen stehen allerdings unter dem Vorbehalt des Ordre public (Art. 17 bzw. 27 Abs. 1 IPRG). Sie sind nicht anwendbar, wenn ein gewisses Mindestalter unterschritten wird. Das Bundesamt für Justiz hat in früheren Einzelfallgutachten festgehalten, dass Ehen mit Personen unter 16 Jahren die Anerkennung zu verweigern ist, sofern die betroffene Person nicht inzwischen das erforderliche Mindestalter erreicht hat.

2196

1.1.4.3

Stellvertreterehen

Zwangsehen werden gelegentlich in Stellvertretung abgeschlossen. In der Schweiz ist eine solche Eheschliessung nicht möglich, da die übereinstimmenden Willenserklärungen der persönlich anwesenden Brautleute für das Zustandekommen der Ehe konstitutiv sind. Eine in der Schweiz geschlossene Stellvertreterehe wäre somit nichtig. Es bleibt jedoch die Frage der Anerkennung im Ausland geschlossener Stellvertreterehen.

In einem Entscheid von 1996 (Pra 1997 Nr. 11, S. 48 ff.) hat das Bundesgericht die Frage offengelassen, ob eine Eheschliessung per Stellvertretung mit dem schweizerischen Ordre public grundsätzlich vereinbar ist. Im konkreten Fall vertrat es zwar die Auffassung, die in Bosnien-Herzegowina per Stellvertretung geschlossene Ehe verstosse gegen den Ordre public; dies jedoch mit der Begründung, die auf den Namen des Bräutigams ausgestellte Vollmacht sei in Wirklichkeit von der Braut verfasst und unterzeichnet worden. Beantwortet wurde die Frage von der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK, per 1.1.2007 durch das Bundesverwaltungsgericht ersetzt), welche zum Schluss gelangte, eine Stellvertreterehe verstosse nicht an sich gegen den schweizerischen Ordre public, sofern die Vollmacht gültig sei und sich die Ehegatten mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten als verheiratet betrachteten (Entscheidungen und Mitteilungen der ARK 2006 7/63, Erw. 4.7.).

Die Lehre teilt die Auffassung der ARK, wonach das Vorliegen einer Eheschliessung per Stellvertretung für sich allein keinen Grund darstellt, einer im Ausland geschlossenen Ehe die Anerkennung zu versagen.

Die Anerkennung ausländischer Ehen steht unter dem Vorbehalt nicht nur des inhaltlichen (Art. 27 Abs. 1 IPRG), sondern auch des verfahrensmässigen Ordre public (Art. 27 Abs. 2 Bst. b IPRG). Auch dieser steht aber der Anerkennung einer Stellvertreterehe nicht im Wege. Die Stellvertretung betrifft zwar einen Aspekt des Verfahrens; doch lässt sich die vertretene Person, vom Sonderfall der Zwangsheirat abgesehen, freiwillig auf diese ein. Ihre verfahrensmässigen Grundrechte, wie beispielsweise dasjenige auf rechtliches Gehör, werden nicht verletzt.

Es ist daher davon auszugehen, dass einer im Ausland geschlossenen Ehe nicht allein deshalb die Anerkennung verweigert werden kann, weil es sich um eine Stellvertreterehe handelt. Voraussetzung
ist allerdings, dass der jeweilige Stellvertreter von der vertretenen Person gehörig bevollmächtigt wurde. Fehlt eine entsprechende Ermächtigung, so liegt keine Eheschliessung im Sinne des IPRG vor.

1.1.5

Die aktuelle Situation im Strafrecht

1.1.5.1

Erzwingung einer Eheschliessung als Nötigung

Zwangsheiraten fallen nach geltendem Recht unter die Strafbestimmung der Nötigung gemäss Artikel 181 des Strafgesetzbuches (StGB): Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

2197

Bei der Nötigung handelt es sich um den Grundtatbestand der Delikte gegen die Freiheit. Im Zusammenhang mit einer erzwungenen Heirat ist denkbar, dass weitere Straftatbestände erfüllt sind, wie etwa einfache oder schwere Körperverletzung (Art. 123 bzw. 122 StGB), Tätlichkeiten (Art. 126 StGB), Drohung (Art. 180 StGB), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 StGB), sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB), Vergewaltigung (Art. 190 StGB), Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB) oder Entziehen von Unmündigen (Art. 220 StGB).

1.1.5.2

Tatbegehung im Ausland

Obwohl in Bezug auf die Tatbegehung im Ausland keine konkreten Angaben erhältlich sind, ist davon auszugehen, dass Zwangsheiraten zwar auch in der Schweiz vorkommen, typischerweise aber in den Herkunftsländern der betroffenen Personen stattfinden. Es stellt sich daher die Frage, ob in solchen Fällen schweizerische Strafhoheit gegeben und damit schweizerisches Strafrecht anwendbar ist.

Grundsätzlich ist das schweizerische Strafrecht auf alle Straftaten anzuwenden, die hier begangen oder zumindest versucht werden. Eine in der Schweiz vorgenommene oder zumindest versuchte Erzwingung einer Eheschliessung kann hier verfolgt werden, selbst wenn das Opfer oder der Täter ausländische Staatsangehörige sind (Art. 3 Abs. 1 StGB, Territorialitätsprinzip). Wurde demgegenüber die Zwangsehe im Ausland geschlossen, so kann der Täter in der Schweiz nur dann verfolgt werden, wenn die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt, wenn der Täter sich in der Schweiz befindet oder wegen dieser Tat an die Schweiz ausgeliefert wird und wenn die Tat nach schweizerischem Recht die Auslieferung zuliesse, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird (Art. 7 Abs. 1 StGB). Sind weder Täter noch Opfer Schweizer Staatsangehörige, so kann die Tat in der Schweiz nur verfolgt werden, wenn der ausländische Staat die Auslieferung verlangt hat und diese nicht aufgrund der Art der Tat verweigert worden ist oder wenn es sich um ein besonders schweres Verbrechen handelt (Art. 7 Abs. 2 StGB).

Sind die in der Schweiz handelnden Mittäter zu beurteilen, wird die schweizerische Strafhoheit zu bejahen sein, auch wenn die erzwungene Ehe im Ausland geschlossen wurde. Denn nach herrschender Lehre und Praxis begründet die Mittäterschaft eine Anknüpfung an allen Orten, an welchen die einzelnen Mittäter gehandelt haben. In der Schweiz handelnde Anstifter und Gehilfen sind dagegen bei einer erzwungenen Eheschliessung im Ausland nur unter der Voraussetzung der Akzessorietät strafbar.

D.h. die Erzwingung einer Eheschliessung, zu der sie beigetragen haben, muss auch am Begehungsort strafbar sein.

Kommt es nach der im Ausland erzwungenen Heirat in der Schweiz zu weiteren Nötigungen oder zu anderen Straftaten, sind die jeweiligen Strafbestimmungen des StGB selbstverständlich anwendbar.

2198

1.1.6

Die aktuelle Situation im Ausländerrecht

1.1.6.1

Aufenthaltsregelung für ausländische Ehegatten

Die ausländerrechtlichen Bestimmungen über den Nachzug des Ehegatten dienen dazu, in der Schweiz eine von beiden Ehegatten gewollte eheliche Gemeinschaft zu ermöglichen (Art. 42 ff. und Art. 85 Abs. 7 AuG, Art. 51 AsylG, FZA, Art. 8 EMRK).

Nach geltendem Recht haben ausländische Ehegatten im Rahmen des Nachzugs einen Rechtsanspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, wenn die Ehe mit einer Person mit Schweizer Bürgerrecht oder einer Niederlassungsbewilligung eingegangen wurde und der ausländische Ehegatte mit dieser Person zusammenwohnt (Art. 42 Abs. 1 und 43 Abs. 1 AuG). Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat der betreffende Ehegatte Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (Art. 42 Abs. 3 und 43 Abs. 2 AuG). Ehegatten von Personen mit einer Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung kann ihrerseits eine Aufenthalts- bzw. Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt werden (Art. 44 und 45 AuG).

Der Anspruch auf Nachzug des ausländischen Ehegatten erlischt, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird, namentlich um Vorschriften des Ausländergesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen über die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen. Dies ist etwa bei Scheinehen der Fall, bei denen keine eheliche Gemeinschaft besteht (Art. 51 AuG).

Ist die Ehe im Ausland geschlossen worden, so kann der ausländische Ehegatte nur dann einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung geltend machen, wenn die Eheschliessung in der Schweiz anerkannt wird. Sind beide Ehegatten ausländische Staatsangehörige, so ist eine Anerkennung der Eheschliessung durch die Zivilstandsbehörden in der Regel weder möglich noch erforderlich, da kein Bezug zu den schweizerischen Zivilstandsregistern besteht. Die Ausländerbehörde des zukünftigen Wohnsitzkantons entscheidet in solchen Fällen selbst darüber, ob die im Ausland geschlossene Ehe im Rahmen der Bestimmungen über den Familiennachzug zu anerkennen ist (vgl. Ziff. 1.1.4.1). Wo Anlass dazu besteht ­ beispielsweise bei Minderjährigkeit eines der Ehegatten ­, prüft die zuständige Zivilstands- oder Ausländerbehörde auch die Frage, ob die Anerkennung der Ehe sich mit dem schweizerischen Ordre public vereinbaren lässt (vgl. Ziff. 1.1.4.2).

Für Staatsangehörige der EU- und der EFTA-Mitgliedstaaten sind in Bezug auf den Ehegattennachzug die Bestimmungen des FZA massgebend (Art. 2 Abs. 2 und 3 AuG; vgl. Ziff. 5.3.2).

1.1.6.2

Situation des Opfers bei Auflösung der Ehe

Hier sind verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden: -

Das Opfer verfügt über eine selbstständige Anwesenheitsberechtigung, die sich nicht auf die Bestimmungen über den Ehegattennachzug stützt: Hier hat das Opfer bei Auflösung der Ehe nicht mit ausländerrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

2199

-

Das Opfer war im Rahmen eines Ehegattennachzugs zu einer Person mit Schweizer Bürgerrecht oder Niederlassungsbewilligung eingereist: Hier sieht das Ausländergesetz vor, dass der Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung nach Auflösung der Ehe weiterbesteht, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden und eine erfolgreiche Integration stattgefunden hat oder wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 50 Abs. 1 AuG). Wichtige persönliche Gründe können namentlich dann vorliegen, wenn die betroffene Person Opfer ehelicher Gewalt wurde (Art. 50 Abs. 2 AuG). Entsprechendes gilt auch für Opfer einer Zwangsheirat.1

-

Das Opfer war einem ausländischen Ehegatten mit Aufenthaltsbewilligung nachgefolgt: In diesen Fällen besteht kein Anspruch auf Bewilligungserteilung oder -verlängerung. Artikel 77 VZAE sieht indes vor, dass die zuständige kantonale Behörde auch hier unter den in Artikel 50 AuG aufgeführten Voraussetzungen eine Bewilligungsverlängerung verfügen kann.

-

Dem Opfer war noch keine Bewilligung erteilt worden: Eine Bewilligung im Rahmen eines Ehegattennachzugs ist nun nicht mehr möglich, da die Ehe als Bewilligungsvoraussetzung nicht mehr gegeben ist.

1.1.6.3

Konsequenzen der Zwangsausübung für den Täter

Bei einer Zwangsheirat kann die Nötigung zur Eheschliessung vom anderen Ehegatten ausgehen, aber auch von Familienangehörigen oder anderen Drittpersonen.

Handelt es sich beim jeweiligen Täter um einen ausländischen Staatsangehörigen, sind ausländerrechtliche Massnahmen möglich (Verweigerung des Nachzugs gestützt auf Art. 51 AuG oder Widerruf einer Bewilligung gestützt auf Art. 62 f.

AuG).

Hat der Täter ein Familiennachzugsgesuch eingereicht, so muss er sich neben dem Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch vorhalten lassen, dass er im Bewilligungsverfahren wesentliche Tatsachen verschwiegen hat (Art. 51 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2 Bst. b, Art. 62 Bst. a und Art. 63 Abs. 1 Bst. a AuG).

Die Prüfung des Widerrufs bzw. der Nichtverlängerung der Bewilligung erfolgt aufgrund einer Interessenabwägung. Berücksichtigt wird dabei die Anwesenheitsdauer in der Schweiz, die berufliche und soziale Integration sowie massgeblich die Schwere des Verschuldens. In Anbetracht der Schwere des Deliktes wird die vorzunehmende Interessenabwägung in der Regel ergeben, dass das öffentliche Interesse an der Wegweisung des Täters überwiegt.

1

Vgl. in diesem Zusammenhang den Leitfaden «Häusliche Gewalt im Rahmen der Migrationsproblematik» des Kantons St. Gallen, wonach Opfer von häuslicher Gewalt und von Zwangsehen, deren Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz mit der Aufhebung der Ehegemeinschaft eigentlich erlöschen würde, ihr Bleiberecht behalten. Die Verlängerung der Jahresaufenthaltsbewilligung kann von der Erfüllung besonderer Bedingungen abhängig gemacht werden, wie etwa vom Besuch eines Deutschkurses oder den Bemühungen um die Suche einer Arbeitsstelle.

2200

1.1.6.4

Massnahmen im Rahmen der Integrationsbestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer

Das AuG legt die Integration ausdrücklich als ausländerrechtliches Erfordernis fest.

Insbesondere ist auf Artikel 54 AuG zu verweisen, wonach die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung an die Bedingung geknüpft werden kann, dass die betreffende Person einen Sprach- oder Integrationskurs besucht. Diese Bestimmung gilt auch für Ehegatten in der Schweiz ansässiger Personen mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, jedoch nicht für Bürger aus einem EU- oder EFTA-Staat.

Artikel 56 AuG verpflichtet Bund, Kantone und Gemeinden zu einer angemessenen Information der Ausländerinnen und Ausländer über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz, insbesondere über ihre Rechte und Pflichten. Die Tripartite Agglomerationskonferenz hat zur Umsetzung dieser Bestimmung einen Bericht verfasst («Umsetzung des Informationsauftrages nach Art. 56 AuG» vom 30. Juni 2008). Nach der vorgeschlagenen Aufgabenteilung soll der Bund insbesondere zu jenen Themen Informationen aufbereiten, die von gesamtschweizerischem Interesse sind. Die Zwangsheirat wurde als ein solches Thema bezeichnet. Vor Kurzem ist eine Broschüre des Bundesamts für Migration (BFM) mit Erstinformationen für Neuzuziehende in dreizehn Sprachen erschienen, in der auch die Zwangsheirat thematisiert wird.

Gemäss Artikel 57 AuG hat das BFM die Integrationsmassnahmen der Bundesstellen zu koordinieren und den Informations- und Erfahrungsaustausch mit den Kantonen sicherzustellen. In dieser Funktion organisierte das BFM am 16. Oktober 2008 eine Diskussions- und Informationsveranstaltung zum Thema der Zwangsheirat, an der ca. 30 Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Kantonen, engagierten NGO, Institutionen zum Schutz von Frauen, Mitglieder der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen und Vertreterinnen und Vertreter einzelner Diasporagruppierungen teilnahmen. Dabei wurde ermittelt, dass sowohl bei potenziell Betroffenen (Jugendlichen und Angehörigen) als auch bei Personen, welche beruflich mit von Zwangsheirat betroffenen Personen zu tun haben, ein grosser Informations- und Sensibilisierungsbedarf besteht. Entsprechend lancierte das BFM die Aktion «Sensibilisierung zu Zwangsheirat», bestehend aus einem Paket von Pilotprojekten, in denen «best practices» für die Informationsvermittlung an die einzelnen Zielgruppen entwickelt
werden sollen. Die folgenden Organisationen, die bereits Erfahrung mit der Zwangsheiratsthematik haben, beteiligen sich an den einzelnen Projekten: Terre des Femmes (Koordination), die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich, die Bildungsstelle Häusliche Gewalt Luzern, der Service de la cohésion multiculturelle, Neuenburg, die Ausländerberatung der baslerischen Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG), der Ausländerdienst Basel-Land sowie die Nichtregierungsorganisation zwangsheirat.ch. Gesamthaft wurden für die Periode von 2009­2011 620 876 Franken eingesetzt.

Die damalige Eidgenössische Ausländerkommission (heute Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen) hat sich im Dezember 2007 auch schon mit der Thematik der Zwangsheiraten befasst und erste Empfehlungen formuliert.

2201

1.2

Vorgeschlagene Neuregelung

1.2.1

Privatrecht

Als Erstes wird vorgeschlagen, Artikel 99 ZGB, der das Ehevorbereitungsverfahren regelt, in Absatz 1 Ziffer 3 um einen Passus zu ergänzen, wonach das Zivilstandsamt zusätzlich prüft, ob Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass das Gesuch offensichtlich nicht dem freien Willen der Verlobten entspricht.

In Ergänzung dazu sollen die Zivilstandsbehörden verpflichtet werden, eine festgestellte Zwangsausübung oder andere Straftaten den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen (neuer Art. 43a Abs. 3bis ZGB).

Als Zweites sollen die unbefristeten Eheungültigkeitsgründe nach Artikel 105 ZGB um zwei Tatbestände erweitert werden, zum einen um den Fall, dass die Ehe nicht aus beiderseitigem freiem Willen geschlossen wurde (Art. 105 Ziff. 5), zum andern um den Fall, dass zur Zeit der Eheschliessung mindestens einer der Ehegatten das 18. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hatte (Art. 105 Ziff. 6).

Ein ergänzender Passus in Artikel 106 Absatz 1 ZGB soll die Behörden des Bundes und der Kantone zur Meldung bei der für die Klage zuständigen Behörde verpflichten, wenn sie mit einer Ehe in Kontakt kommen, die Anlass zur Annahme gibt, dass ein Ungültigkeitsgrund nach den neuen Ziffern 5 und 6 oder gemäss den bestehenden Ziffern 1­4 von Artikel 105 ZGB vorliegt. Diese Meldepflicht soll nur bestehen, soweit sie mit den Aufgaben der betreffenden Behörde vereinbar ist.

Im Sinne der Rechtsgleichheit und zur Vermeidung von Gesetzeslücken wird auch das Partnerschaftsgesetz entsprechend angepasst (Art. 6 Abs. 1, 9 Abs. 1 Bst. d und e und Abs. 2 PartG).

1.2.2

Internationales Privatrecht

Um die Durchsetzung der neuen Eheungültigkeitsgründe im internationalen Verhältnis zu erleichtern, wird Artikel 45a IPRG mit einem neuen Text versehen, welcher ausdrückliche Regeln für Eheungültigkeitsklagen enthält.

Neu sollen nun zudem sämtliche Voraussetzungen für eine Eheschliessung in der Schweiz ausschliesslich nach Schweizer Recht zu beurteilen sein (Art. 44 IPRG).

Artikel 44 Absatz 2 IPRG sowie die Verweisung darauf in Artikel 65a IPRG sollen gestrichen werden.

Die beantragte Streichung von Artikel 44 Absatz 2 IPRG wie auch die vorgeschlagene Schaffung eines neuen Artikel 105 Ziffer 6 ZGB (vgl. Ziff. 1.2.1) gehen von einem gewandelten Ordre-public-Verständnis aus. Eheschliessungen in der Schweiz mit Minderjährigen werden auch bei Ausländern nicht mehr als akzeptabel betrachtet. Gleichzeitig sollen auch im Ausland geschlossene Minderjährigenehen grundsätzlich nicht mehr toleriert werden. Der sich auf Minderjährigenehen beziehende Artikel 45a IPRG verliert dadurch seine Daseinsberechtigung und ist ebenfalls zu streichen. Er soll durch den erwähnten neuen Artikel 45a zur Thematik der Eheungültigkeitsklage ersetzt werden.

2202

1.2.3

Strafrecht

Die neue Strafnorm «Zwangsheirat, erzwungene eingetragene Partnerschaft» (Art. 181a StGB) ist als qualifizierter Nötigungstatbestand konzipiert. Die im geltenden Artikel 181 StGB verwendete Formulierung «etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden» wird durch «eine Ehe einzugehen oder eine Partnerschaft eintragen zu lassen» ersetzt und der Strafrahmen auf fünf Jahre erhöht. Die Begehung der Straftat im Ausland soll ebenfalls strafbar sein.

1.2.4

Ausländerrecht

Im Ausländer- sowie im Asylgesetz sollen die Bestimmungen über den Nachzug eines ausländischen Ehegatten ergänzt werden. Der Entwurf sieht vor, dass die Ausländerbehörden bei Verdacht auf Vorliegen eines Eheungültigkeitsgrundes im Sinne der vorgeschlagenen Ziffern 5 und 6 von Artikel 105 ZGB Meldung bei der gemäss Artikel 106 ZGB für die Erhebung einer Klage auf Ungültigkeit der Ehe zuständigen kantonalen Behörde machen. Bis zur Entscheidung dieser Behörde soll das Verfahren um Bewilligung des Nachzugs sistiert werden. Entscheidet sich die Behörde für eine Klage, so erstreckt sich die Sistierung auch auf die Dauer des Gerichtsverfahrens.

Daneben soll in Artikel 50 AuG eine ausdrückliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass dem Opfer einer erzwungenen Eheschliessung nach Auflösung der Ehe ein Bleiberecht gewährt werden kann.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösungen

1.3.1

Privatrecht

1.3.1.1

Ergänzung von Artikel 99 Absatz 1 Ziffer 3 und Artikel 43a ZGB

Bereits nach geltendem Recht hat der Zivilstandsbeamte oder die Zivilstandsbeamtin die Mitwirkung zu verweigern, wenn die Ehe offensichtlich nicht dem freien Willen der Brautleute entspricht, sondern von Braut, Bräutigam oder beiden unter Zwang eingegangen wird. Um ein Zeichen zu setzen, soll das Erfordernis der Zwangsfreiheit, das sich direkt aus der verfassungsmässigen Garantie der Ehe ableitet, ausdrücklich im Zivilgesetzbuch verankert werden. Mit der vorgesehenen Ergänzung von Artikel 99 ZGB erhält das Zivilstandsamt eine klarere Rolle im Kampf gegen Zwangsheiraten. Zudem wird die Bedeutung des freien Willens der Verlobten hervorgehoben.

Da die aktuelle Vorlage im Kampf gegen Zwangsheiraten auch den strafrechtlichen Schutz verbessern möchte (vgl. Ziff. 1.2.3), sollen Zivilstandsbeamte und -beamtinnen, welche die Ausübung von Zwang feststellen, im Anwendung von Artikel 302 Absatz 2 der Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (SR 312.0; Inkrafttreten am 1. Januar 2011) zur Anzeige bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde verpflichtet werden. Diesem Zweck dient der vorgeschlagene neue Artikel 43a Absatz 3bis ZGB.

2203

1.3.1.2

Ergänzung von Artikel 105 ZGB

Angesichts der Aufgabe sowie der Tatsache, dass der Zivilstandsbeamte oder die Zivilstandsbeamtin den Brautleuten nur kurz begegnet und diese Fälle normalerweise von Schweigen umgeben sind, darf das Zivilstandsamt seine Mitwirkung nur bei «offenkundigen» Fällen von Zwangsheirat verweigern. In den meisten Fällen wird das Vorliegen einer Zwangsehe erst einige Zeit nach der Trauung entdeckt werden. Es muss daher auch die Möglichkeit gegeben sein, eine Zwangsehe nachträglich aufzuheben. Die Entscheidung des Zivilstandsamtes, die Ehe zu schliessen, ist in diesem Sinne für die Gerichte, bei denen die Ehe später angefochten wird, nicht verbindlich.

Wie in den Ausführungen zum geltenden Recht erwähnt (vgl. Ziff. 1.1.3.2), ist heute die Klagemöglichkeit in zweifacher Hinsicht beschränkt. Zum einen kann gestützt auf die in Artikel 107 Ziffer 4 ZGB abschliessend aufgezählten Ungültigkeitsgründe eine Zwangsehe nur dann für ungültig erklärt werden, wenn der gezwungene Ehegatte sie geschlossen hat, «weil er mit einer nahen und erheblichen Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Ehre seiner selbst oder einer ihm nahe verbundenen Person bedroht wurde». Zum andern ist die Ungültigkeitsklage «innerhalb von sechs Monaten seit Kenntnis des Ungültigkeitsgrundes oder seit dem Wegfall der Drohung einzureichen, in jedem Fall aber vor Ablauf von fünf Jahren seit der Eheschliessung» (Art. 108 Abs. 1 ZGB).

Denkbar wäre, den Anwendungsbereich von Artikel 107 Ziffer 4 ZGB zu erweitern, indem man sie beispielsweise wie folgt umformulierte: «wenn er die Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen hat». Da ein solcher Schritt für sich allein nicht wirksam genug wäre, müsste man gleichzeitig die Verwirkungsfrist verlängern oder allenfalls dafür sorgen, dass die Ungültigkeitsklage wie bei der unbefristeten Ungültigkeit jederzeit eingereicht werden kann.

Eine solche Lösung empfiehlt sich aber insbesondere aus zwei Gründen nicht: Einmal bliebe der Schutz weiterhin beschränkt, da wie bisher das Opfer die Initiative für den Prozess ergreifen müsste, was im Zusammenhang mit Zwangsheiraten oft problematisch ist. Zudem könnte der Täter strafrechtlich verfolgt werden, ohne dass zwangsläufig zivilrechtliche Sanktionen in Bezug auf den Bestand der Ehe folgen würden. Kommt hinzu, dass man sich mit einer Verlängerung oder Aufhebung der
Verwirkungsfrist der Regelung der unbefristeten Ungültigkeit annähern würde. Aus systematischer Sicht ist es deshalb vorzuziehen, einen neuen Ungültigkeitsgrund in Artikel 105 ZGB aufzunehmen.

Ebenfalls verworfen wurde eine Lösung, wonach der zivilrechtliche Eheungültigkeitsgrund mit dem Strafrecht koordiniert worden wäre. Dies hätte beispielsweise mit einem neuen Artikel 107 Ziffer 5 ZGB folgenden Wortlauts erreicht werden können : Ein Ehegatte kann verlangen, dass die Ehe für ungültig erklärt wird, wenn er «Opfer einer Zwangsheirat wurde und ein entprechendes Strafurteil vorliegt».

Danach hätte das Zivilgericht die Voraussetzungen des Eheungültigkeitsgrundes nicht mehr selbstständig prüfen müssen und hätte direkt auf das Strafurteil abstellen können. Die absolute Frist zur Einreichung der Ungültigkeitsklage (Art. 108 Abs. 1 ZGB) wäre mit Rücksicht auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist (vgl.

Art. 97 Abs. 1 Bst. b und c StGB) zu verlängern gewesen.

2204

Eine solche Lösung wäre indes angesichts der gegenseitigen Unabhängigkeit der rechtsanwendenden Behörden kaum überzeugend. Das zivilrechtliche Vorgehen gegen eine Zwangsehe wäre abhängig vom Ausgang des Strafprozesses und den Erwägungen der Strafverfolgungsbehörden, womit zivilrechtsfremde Gesichtspunkte zum Tragen kämen.

1.3.1.3

Ergänzung von Artikel 106 ZGB

Die in Artikel 106 ZGB vorgesehene Anfechtung einer nach Artikel 105 ZGB ungültigen Ehe von Amtes wegen macht nur Sinn, wenn die zuständige kantonale Behörde (in vielen Fällen die Justizdirektion oder die Staatsanwaltschaft) auch die Möglichkeit hat, von der ungültigen Ehe Kenntnis zu erlangen. Zu diesem Zweck muss sie von den Behörden, die mit den betroffenen Ehen konfrontiert werden, einen Hinweis erhalten.

Obwohl die bereits heute geltenden Ungültigkeitsgründe nicht Gegenstand des vorliegenden Gesetzgebungsprojekts sind, bezieht sich der vorgeschlagene Passus auch auf sie. Das Informationsbedürfnis der Anfechtungsbehörde ist bei ihnen in gleicher Weise gegeben wie bei den neuen Ungültigkeitsgründen. Nach heutigen Datenschutzgrundsätzen sind andere Behörden ohne gesetzliche Ermächtigung gar nicht erst befugt, der Anfechtungsbehörde einen festgestellten Ungültigkeitsgrund zu melden.

1.3.1.4

Verzicht auf Übergangsbestimmungen

Einige Teilnehmer des Vernehmlassungsverfahrens hatten beantragt, die Anfechtbarkeit von Minderjährigenehen an Übergangsbestimmungen zu knüpfen. Eine solche Regelung erscheint jedoch unnötig.

Die neue Grundregel, wonach Minderjährigenehen auch unter Ausländern nicht mehr toleriert werden, beruht auf der Annahme, dass Eheschliessungen vor dem vollendeten 18. Altersjahr grundsätzlich nicht im Interesse der Minderjährigen liegen. Wie oben ausgeführt, ist im Fall einer Anfechtung einer Minderjährigenehe eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist neben dem allgemeinen auch das individuelle Schutzinteresse zu berücksichtigen. Ergibt sich, dass Letzteres höher wiegt als allfällige Interessen der betroffenen Person an einer Aufrechterhaltung der Ehe, so kann es keine Rolle spielen, ob die Ehe vor oder nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen geschlossen wurde. Steht im konkreten Einzelfall eher das allgemeine und weniger das individuelle Schutzinteresse im Vordergrund ­ beispielsweise weil die betroffene Person fast volljährig ist und schon einen gewissen Reifegrad erreicht hat ­, so kann das Gericht ein allfälliges schutzwürdiges Vertrauen der Ehegatten mitberücksichtigen.

1.3.1.5

Anpassung des Partnerschaftsgesetzes

Im Interesse der Rechtsgleichheit und der Rechtssicherheit werden Anpassungen in den Artikeln 6 und 9 des Partnerschaftsgesetzes vorgeschlagen. Das neue Institut der eingetragenen Partnerschaft, 2007 für gleichgeschlechtliche Paare als Gegenstück 2205

zur Ehe eingeführt, ist zwar durch die vorliegende Zwangsproblematik nicht oder noch nicht betroffen. Zur Verhinderung einer Regelungslücke sind jedoch auch die den geänderten ZGB-Bestimmungen entsprechenden Bestimmungen des Partnerschaftsgesetzes anzupassen. Da Rechte und Pflichten in einer Ehe und in einer eingetragenen Partnerschaft im Wesentlichen übereinstimmen, sollte der Zwang zur Eingehung einer Partnerschaft die gleichen Konsequenzen nach sich ziehen wie die Erzwingung einer Eheschliessung.

1.3.1.6

Verzicht auf Neuregelung des ausserehelichen Unterhaltsrechts

Eine Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren weist darauf hin, dass Zwangsausübung auch in nichtehelichen Gemeinschaften vorkommt, und verlangt sinngemäss die finanzielle Absicherung des Opfers bei Auflösung einer solchen Gemeinschaft. Der Bundesrat verzichtet jedoch darauf, Massnahmen in diesem Bereich vorzuschlagen, da damit der Rahmen der unterbreiteten Vorlage gesprengt würde.

Es bedürfte hier einer Grundsatzdiskussion über der Frage der finanziellen Ansprüche zwischen Konkubinatspartnern, eine Diskussion, die an anderer Stelle geführt werden müsste.

1.3.2

Internationales Privatrecht

1.3.2.1

Ausdrückliche Regelung für Eheanfechtungen mit Auslandsbezug (neuer Art. 45a IPRG)

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen die Zwangsheirat sowie die Minderjährigkeit eines oder beider Ehegatten zu einem unbefristeten Ungültigkeitsgrund nach Artikel 105 ZGB werden (vgl. Ziff. 1.2.1 und 1.3.1.2). Der Ungültigkeitsgrund des vorgeschlagenen neuen Artikels 105 Ziffer 5 ZGB unterscheidet sich jedoch dadurch von demjenigen der Polygamie (Ziff. 1) oder der engen Verwandtschaft (Ziff. 3), dass es sich bei ihm um einen heilbaren Willensmangel handelt und der mutmassliche oder tatsächliche Wille der betreffenden Partei berücksichtigt werden muss.

Die Umstände des Einzelfalls müssen auch bei der Ungültigkeit nach der neuen Ziffer 6 (Minderjährigenehe) berücksichtigt werden. Dies setzt eine Abwägung der Interessen der betroffenen Person voraus. Polygamie, soweit sie weiter besteht, und Verwandtschaft sind demgegenüber auch gegen den Willen der Parteien und ungeachtet der Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Das Gericht, vor dem die betroffene Ehe gestützt auf Artikel 105 ZGB angefochten wird, hat also von einer Ungültigerklärung der Ehe abzusehen, wenn die betroffene Person an ihr festhalten möchte bzw. die überwiegenden Interessen dieser Person die Aufrechterhaltung der Ehe gebieten. Da der schweizerische Ordre public nicht weiter gehen kann als das Regime im innerstaatlichen Recht, muss die erwähnte Regelung sinngemäss auch in Zusammenhang mit der Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen gelten. Einer ausländischen Ehe ist eine Anerkennung mit anderen Worten nur dann zu versagen, wenn dies mit den Wünschen bzw. Interessen der betroffenen Person, um deren Schutz es geht, vereinbar ist.

2206

Da die individuelle Situation der betroffenen Person in der Regel nicht offen zu Tage tritt und ihre Beurteilung eine differenzierte Prüfung des Falls verlangt, sollte über die Ordre-public-Widrigkeit der betroffenen Ehe in einem Hauptverfahren vor einem Gericht befunden werden. Im Zweifelsfall ist daher ­ wie dies hier schon für das geltende Recht befürwortet wird (vgl. Ziff. 1.1.4) ­ eine im Ausland gültig geschlossene Ehe in einem ersten Schritt gestützt auf Artikel 45 Absatz 1 IPRG zu anerkennen. In einem zweiten Schritt ist dann die nach Artikel 106 ZGB zuständige Behörde zu benachrichtigen, welche eine Klage auf Ungültigerklärung der Ehe einzureichen hat. Das Gericht befindet anschliessend darüber, ob die Ehe für ungültig zu erklären oder aufgrund der besonderen Umstände aufrechtzuerhalten ist. Diese Vorgehensweise dient auch der Rechtssicherheit dadurch, dass sie widersprechende Entscheidungen verschiedener Behörden bezüglich des Vorliegens einer Ehe verhindert. Ein solcher Zustand wäre bei einer so wichtigen Statusfrage unhaltbar. Das beschriebene Vorgehen sollte auch im Rahmen von Artikel 32 IPRG befolgt werden.

Die kantonale Zivilstands-Aufsichtsbehörde verfügt die Eintragung der Ehe, benachrichtigt aber gleichzeitig die zuständige Anfechtungsbehörde und verfügt bis zum Vorliegen eines Urteils eine Sperre nach Artikel 46 ZStV.

Um die Anfechtung von Zwangsehen mit Auslandsbezug zu erleichtern, werden mit dem neuen Artikel 45a IPRG klare Rechtsgrundlagen geschaffen. Die Bestimmung tritt an die Stelle des bisherigen Artikels 45a IPRG zur Frage der Mündigkeit (siehe Ziff. 1.3.2.3). Bis jetzt fehlten im Gesetz ausdrückliche Regeln für Eheanfechtungsklagen. Die von der herrschenden Lehre verlangte sinngemässe Anwendung der Vorschriften des IPRG zur Scheidung vermochte nur teilweise zu befriedigen.

Mit den neuen Bestimmungen wird nun die unterschiedliche Interessenlage bei Eheanfechtungen auf der einen und Ehescheidungen und -trennungen auf der anderen Seite berücksichtigt. Insbesondere wird mit einer Ausweitung der internationalen Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte sowie des Geltungsbereichs des schweizerischen Rechts dem Ordre-public-Charakter der schweizerischen Eheanfechtungsgründe Rechnung getragen (vgl. die Bemerkungen zu Art. 45a IPRG unter Ziff. 2.2).

1.3.2.2

Minderjährigenehen und Revision von Artikel 44 IPRG

Es ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil der Zwangsheiraten Personen betrifft, die das schweizerische Ehemündigkeitsalter noch nicht erreicht haben.2 Deshalb ist im Rahmen des vorliegenden Projekts auch das bestehende Regime zur Ehemündigkeit einer Überprüfung unterzogen worden. Damit findet gleichzeitig die Europarats-Resolution 1468 Berücksichtigung, die in den Ziffern 14, 14.2, 14.2.1 und 14.2.4 folgende Aufforderung enthält: «Die Versammlung fordert die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten des Europarates nachdrücklich auf [...] ihre nationalen Gesetze, falls erforderlich, dementsprechend anzupassen, damit [...] das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter für die Verheiratung für Frauen und 2

Von Zwangsehen betroffen sind gemäss verschiedenen Untersuchungen insbesondere jüngere Personen aus bestimmten Herkunftsländern (vgl. den Bericht «Forced marriages in Council of Europe member states», Strassburg 2005, S. 7 ff.). Gemäss Erhebungen des Bundesamtes für Migration liegt auch in der Schweiz das Nachzugsalter der ausländischen Ehegatten bei diesen Herkunftsländern deutlich unter dem Durchschnitt.

2207

Männer auf 18 Jahre festgelegt wird oder auf 18 Jahre angehoben wird; [...] davon Abstand genommen wird, Zwangsheirat und Kinderehen, die im Ausland geschlossen wurden, anzuerkennen, ausser wenn die Anerkennung im besten Interesse der Opfer liegt hinsichtlich der Auswirkungen der Ehe, insbesondere zum Zwecke der Sicherstellung von Rechten, die sie auf anderem Wege nicht beanspruchen könnten».

Ziffer 7 dieser Resolution präzisiert: «Die Versammlung definiert Kinderehe als die Verbindung von zwei Personen, von denen zumindest eine unter 18 Jahren alt ist.» Ausgangspunkt ist eine Neubeurteilung des schweizerischen Ordre public. Diesem zugerechnet wird nun auch die in Artikel 94 Absatz 1 ZGB enthaltene Regel, wonach für die Eheschliessung die Vollendung des 18. Altersjahres erforderlich ist.

Dies hat zwei Konsequenzen: Zum einen wird die Eheschliessung mit Minderjährigen auch bei ausländischen Brautleuten nicht mehr als zulässig erachtet; zum anderen werden im Ausland geschlossene Minderjährigenehen grundsätzlich nicht mehr toleriert.

Ersteres hat zur Folge, dass Artikel 44 Absatz 2 IPRG, wonach es für die Zulässigkeit von Eheschliessungen zwischen ausländischen Personen in der Schweiz genügt, wenn die materiellen Voraussetzungen nach ihrem Heimatrecht erfüllt sind, seinen letzten wichtigen Anwendungsbereich verliert und somit gestrichen werden kann (vgl. die Bemerkungen zu Art. 44 IPRG in Ziff. 2.2). Dies wiederum hat zur Konsequenz, dass Eheschliessungen in der Schweiz nun ausschliesslich schweizerischem Recht unterstehen.

Die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen findet ihren Ausdruck im neuen Artikel 105 Ziffer 6 ZGB. Als Folge der Unzulässigkeit von Eheschliessungen mit Minderjährigen in der Schweiz wird diese Bestimmung praktisch ausschliesslich auf ausländische Ehen Anwendung finden. Der neue Artikel 45a IPRG stellt sicher, dass Artikel 105 ZGB auch im internationalen Verhältnis greift, sofern ein genügender Bezug zur Schweiz und damit auch eine inländische Zuständigkeit gegeben sind.

Der neue Absatz 6 von Artikel 105 ZGB verlangt wie gesagt eine Interessenabwägung, womit Minderjährigenehen bis zu einer allfälligen Ungültigerklärung durch das zuständige Gericht zu anerkennen sind (vgl. Ziff. 1.3.2.1). Nicht Rechnung getragen wurde daher dem
von verschiedenen Kantonen im Vernehmlassungsverfahren vorgebrachten Wunsch auf Ergänzung des Artikels 45 Absatz 1 IPRG («Eine im Ausland gültig geschlossene Ehe wird in der Schweiz anerkannt.») um einen Nebensatz folgender Art: «sofern die Brautleute im Zeitpunkt der Eheschliessung das 18. Lebensjahr vollendet haben».

In offensichtlichen Fällen, d.h. dort, wo angesichts des geringen Alters der betroffenen Person oder angesichts der besonderen Umstände klar ist, dass die überwiegenden Interessen der Person und der Allgemeinheit gegen eine Aufrechterhaltung der Ehe sprechen, kann dieser aber bereits vorfrageweise die Anerkennung versagt werden. Aus der erwähnten Praxis des Bundesamtes für Justiz, auf die im bundesrätlichen Bericht 05.3477 «Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten» hingewiesen wird, müsste wohl der Schluss gezogen werden, dass, zumindest im Regelfall, einer Ehe mit einer Person unter 16 Jahren von vornherein die Anerkennung zu versagen ist. Ob hier eine starre Grenze zu ziehen ist oder nicht, sollte jedoch der Gerichtspraxis überlassen werden.

2208

Denkbar wäre auch, dass ausländischen Minderjährigenehen zunächst die Anerkennung zu versagen wäre und es den Parteien obliegen würde, die Gültigkeit der Ehe gerichtlich feststellen zu lassen. Hier würde jedoch tiefer in den in Artikel 45 Absatz 1 IPRG verankerten Grundsatz der Anerkennung ausländischer Ehen und in die grundrechtlich geschützte Ehefreiheit (vgl. Ziff. 5.2.1) eingegriffen, als es der Ordre public erfordert. Eine Nichtanerkennung in offensichtlichen Fällen bleibt wie gesagt vorbehalten.

1.3.2.3

Aufhebung von Artikel 45a IPRG geltenden Rechts

Nach dem geltenden Artikel 45a IPRG werden Minderjährige mit Wohnsitz in der Schweiz mit der Eheschliessung in der Schweiz oder mit der Anerkennung der im Ausland geschlossenen Ehe volljährig. Diese Bestimmung erklärt sich daraus, dass nach bisherigen Recht Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in der Schweiz auch dann heiraten konnten, wenn eine von ihnen das schweizerische Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren noch nicht erreicht hatte. Der zweite Daseinsgrund von Artikel 45a IPRG war, dass nach bisherigem Recht im Ausland geschlossene ausländische Ehen mit Minderjährigen grundsätzlich anerkannt wurden.

Mit der Neubeurteilung des Ordre public und der daraus resultierenden vorgeschlagenen Aufhebung von Artikel 44 Absatz 2 IPRG wird der aktuelle Artikel 45a IPRG in Bezug auf in der Schweiz geschlossene Ehen obsolet. Was Eheschliessungen im Ausland anbelangt, soll wie gesagt ein Paradigmenwechsel stattfinden. Danach werden Minderjährigenehen im Grundsatz nicht mehr gebilligt und nur noch im Sinne einer Ausnahme aufrechterhalten. Im Lichte dieser neuen Situation würde eine Beibehaltung von Artikel 45a IPRG ein falsches Zeichen setzen.

Entgegen dem Begleitbericht zur Vernehmlassungsvorlage wird vorliegend davon ausgegangen, dass in den Fällen, in denen eine Minderjährigenehe nicht angefochten wird, die allgemeine Regel des Artikels 14 ZGB gilt, wonach Volljährigkeit erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt. Eine Gesetzeslücke, die im Sinne des früher im ZGB verankerten und per 1. Januar 1996 wegen Angleichung des Ehemündigkeitsalters an das Volljährigkeitsalter gestrichenen Grundsatzes «Heirat macht mündig» zu füllen wäre, besteht hier nicht. Mit der vorgeschlagenen Aufhebung des geltenden Artikels 45a IPRG verlieren somit verheiratete Minderjährige ihre Privilegierung gegenüber anderen Minderjährigen. Dies erscheint angesichts der Tatsache, dass Minderjährigenehen grundsätzlich unerwünscht sind, unproblematisch.

Wohnt die minderjährige Person im Ausland und erlangt sie dort als Folge der Heirat oder aus anderen Gründen die Handlungsfähigkeit, so wird dieser Status bei einem Wohnsitzwechsel in die Schweiz von dieser anerkannt (Art. 35 IPRG). Die vorgeschlagene Aufhebung des geltenden Artikels 45a IPRG ändert zudem nichts daran, dass ein minderjähriger Ehegatte, der urteilsfähig ist,
seine Ehe selbstständig anfechten kann, sei es gestützt auf die neuen Ziffern 5 und 6 von Artikel 105 ZGB, sei es aus einem anderen gesetzlich vorgesehenen Grund. Dies ergibt sich aus Artikel 19 Absatz 2 ZGB, wonach urteilsfähige Minderjährige höchstpersönliche Rechte ohne Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters ausüben können (vgl. auch Art. 67 Abs. 3 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008; SR 272).

2209

1.3.2.4

Verzicht auf Erweiterung von Artikel 45 Absatz 2 IPRG

Nach Artikel 45 Absatz 2 IPRG ist einer ausländischen Ehe die Anerkennung zu versagen, wenn ihr Abschluss «in der offenbaren Absicht ins Ausland verlegt worden ist, die Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit zu umgehen». Diese Bestimmung ist nur anwendbar, wenn der Ehemann oder die Ehefrau das Schweizer Bürgerrecht hat oder beide in der Schweiz wohnhaft sind.

Im Vorentwurf zu dieser Vorlage wurde vorgeschlagen, durch eine Änderung im Text den Anwendungsbereich von Artikel 45 Absatz 2 IPRG zu erweitern. Damit sollte den verbreiteten Fallkonstellationen Rechnung getragen werden, in denen der bereits in der Schweiz wohnhafte Ehemann im Ausland eine Frau ehelicht und diese in die Schweiz nachkommen lässt. Im vorliegenden Entwurf fehlt nun ein entsprechender Vorschlag. Dies aus folgenden Gründen: Nach herrschender Auffassung sind mit den «Vorschriften des schweizerischen Rechts über die Eheungültigkeit» die Eheungültigkeitsgründe von Artikel 105 ZGB gemeint. In Bezug auf die Ziffern 1­4 dieser Bestimmung ist die Regel nach Artikel 45 Absatz 2 IPRG jedoch von geringer Bedeutung, wenn nicht sogar überflüssig, da einer Ehe, die einen der dort genannten Ungültigkeitsgründe (Mehrfachehe, Urteilsunfähigkeit, nahe Verwandtschaft, Scheinehe) erfüllt, die Anerkennung bereits gestützt auf Artikel 27 Absatz 1 IPRG (Ordre public) zu versagen ist. Die Berufung auf den Ordre public ist zwar nur möglich, wenn die Ehe einen hinreichenden Bezug zur Schweiz aufweist. Das Bundesgericht lässt hier aber grundsätzlich den Wohnsitz eines der Ehegatten genügen (BGE 126 III 327 S. 333). Zudem muss für eine Nichtanerkennung nach Artikel 45 Absatz 2 IPRG eine mindestens ebenso starke Binnenbeziehung vorausgesetzt werden. Ohne einen starken Bezug der betroffenen Ehe zur Schweiz kann nicht von einer Umgehung des schweizerischen Rechts gesprochen werden.

Ob Artikel 45 Absatz 2 IPRG auch auf Zwangsheiraten Anwendung findet, ist zumindest fraglich. Dem Opfer, das gar keine Ehe eingehen möchte, kann jedenfalls nicht eine missbräuchliche Verlegung der Eheschliessung ins Ausland vorgeworfen werden. Zudem sollte, wie bereits ausgeführt, die Feststellung einer Zwangsehe aus Gründen der Rechtssicherheit sowie im Interesse des Opfers durch ein Gericht erfolgen.

Auch bei Minderjährigenehen erscheint die von Artikel
45 Absatz 2 IPRG vorgesehene Nichtanerkennung nicht sachgerecht. Auf die in Artikel 105 Ziffer 6 vorgesehene Interessenabwägung sollte nicht verzichtet werden (vgl. Ziff. 1.3.2.2). Andernfalls würde man die minderjährige Person dafür bestrafen, dass sie zur Umgehung einer Bestimmung Hand bietet, die ihrem eigenen Schutz dient.

1.3.2.5

Keine Gesetzesänderung in Bezug auf Stellvertreterehen

Wie schon der Vorentwurf, verzichtet der vorliegende Entwurf auf eine Einschränkung der Anerkennung von Stellvertreterehen.

Die Schweiz nimmt in Sachen Anerkennung ausländischer Ehen traditionell eine liberale Haltung ein. Nach Artikel 45 Absatz 1 IPRG ist grundsätzlich jede Ehe, die 2210

in einem ausländischen Staat nach dessen Recht gültig abgeschlossen worden ist, zu anerkennen. Nach gewissen Lehrmeinungen genügt es gar, wenn die betreffende Ehe nach dem Wohnsitz-, Aufenthalts- oder Heimatstaat eines Ehegatten gültig ist.

Diese Haltung beruht einerseits auf der Überlegung, dass die Missachtung einer Ehe einen schwerwiegenden Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Bereich darstellt. Andererseits geht es darum, sogenannte hinkende Rechtsverhältnisse und Rechtsunsicherheit in einer wichtigen Statusfrage zu vermeiden (vgl. die bundesrätliche Botschaft zum IPRG, BBl 1983 I 263, Ziff. 232.5.). Eine im Ausland geschlossene Ehe kann daher nur aus gewichtigen Gründen missachtet werden, wie sie zurzeit im Gesetz vorgesehen sind. Eine weitergehende Einschränkung wäre mit dem Geist von Artikel 45 Absatz 1 IPRG nur schwer vereinbar.

Das Gesetz sieht bei der Anerkennung ausländischer Ehen zwei Ausnahmen vor: missbräuchliches Verhalten in der Gestalt der Umgehung des schweizerischen Rechts (Art. 45 Abs. 2 IPRG) und Unvereinbarkeit mit dem schweizerischen Ordre public (Art. 27 Abs. 1 und Abs. 2 Bst. b IPRG). Erstere kommt bei Stellvertreterehen nicht zum Tragen, da sie nur die Umgehung der Ungültigkeitsgründe nach Artikel 105 ZGB betrifft. Was den Ordre public anbelangt, so wurde bereits dargelegt (Ziff. 1.1.4.3), dass dieser durch die Anerkennung einer Stellvertreterehe nicht verletzt wird.

Den Zivilstandsbehörden wird jedoch empfohlen, gestützt auf Artikel 32 Absatz 3 IPRG vor Eintragung einer in Stellvertretung geschlossenen ausländischen Ehe den oder die vertretenen Ehegatten anzuhören und sich von der betreffenden Person bestätigen zu lassen, das die in ihrem Namen abgegebene Erklärung tatsächlich ihrem Willen entsprach.

1.3.3

Strafrecht

Im Vernehmlassungsentwurf hatte der Bundesrat einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Strafrecht noch verneint. In der Vernehmlassung gingen dann die Meinungen stark auseinander: Während die Mehrheit der Kantone, die Grüne Partei und eine Reihe von Organisationen eine ausdrückliche Strafbestimmung ablehnten, sprachen sich andere Kantone sowie verschiedene Parteien und Organisationen für eine Qualifizierung als schwere Nötigung oder gar für die Einführung einer neuen Strafnorm aus. Nach Kenntnisnahme der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens beschloss der Bundesrat schliesslich, den strafrechtlichen Schutz gegen Zwangsheiraten und erzwungene eingetragene Partnerschaften zu verstärken.

Mit dem neuen Artikel 181a StGB und der Erhöhung des Strafrahmens auf fünf Jahre Freiheitsstrafe sollen die Zwangsheirat und die erzwungene eingetragene Partnerschaft zu einem qualifizierten Nötigungstatbestand werden. Aufgrund der höheren Strafdrohung würden sie nun vom Gesetz nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen eingestuft. Die Verfolgungsverjährungsfrist würde sich auf 15 Jahre erhöhen (Art. 97 Abs. 1 Bst. b StGB).

2211

1.3.4

Ausländerrecht

1.3.4.1

Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug bei Verdacht auf Ungültigkeit der Ehe

Der Anspruch auf Ehegattennachzug setzt das Bestehen einer gültigen Ehe und damit auch das Fehlen eines Ungültigkeitsgrundes nach Artikel 105 ZGB voraus.

Die zuständige Ausländerbehörde kann das Vorliegen eines Eheungültigkeitsgrundes nach den bisherigen Ziffern 1­4 selbstständig berücksichtigen und der Ehe direkt über Artikel 27 Abatz 1 IPRG die Anerkennung verweigern. Die Ungültigkeitsgründe nach den vorgeschlagenen neuen Ziffern 5 und 6 von Artikel 105 ZGB erfordern hingegen eine vertiefte Prüfung des Falls, welche durch ein Gericht vorgenommen werden sollte (vgl. Ziff. 1.3.2.1 und 1.3.2.2). Die Ausländerbehörden sollen daher auf eine eigene Beurteilung verzichten und diese der kantonalen Behörde nach Artikel 106 ZGB bzw. dem von dieser angerufenen Gericht überlassen.

1.3.4.2

Verzicht auf Erfordernis von genügenden Sprachkenntnissen

Die SVP hat im Vernehmlassungsverfahren angeregt, für den Nachzug von ausländischen Ehegatten genügende Sprachkenntnisse vorauszusetzen. Diese Vorlage verzichtet jedoch auf eine entsprechende Regelung.

Nach Artikel 54 AuG kann die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Drittstaatsangehörige, insbesondere auch für nachziehende Ehegatten, an die Bedingung geknüpft werden, dass die betreffende Person einen Sprach- oder Integrationskurs besucht. Dies wird in einer Integrationsvereinbarung festgehalten, und die kantonalen Behörden informieren die Verpflichteten über die für sie geeigneten Angebote.

Wird von diesem neuen ausländerrechtlichen Instrument bereits bei der Einreise in die Schweiz Gebrauch gemacht, so beginnen nachziehende Ehegatten unmittelbar danach mit dem Erwerb von Sprachkenntnissen. Das Bundesamt für Migration hat für die Umsetzung von Artikel 54 AuG Empfehlungen betreffend Zielgruppen, Ausgestaltung, Organisation und Folgen der Nichtbeachtung erarbeitet.

Der am 5. März 2010 gutgeheissene Bericht zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik (Bericht Schiesser) betont, dass der Integrationsprozess von Zugewanderten unmittelbar nach der Einreise einzusetzen hat. Der Bundesrat schlägt darin vor, dass künftig sämtliche Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderer mit der Perspektive auf einen längerfristigen, rechtmässigen Aufenthalt systematisch zu einem persönlichen Gespräch aufgeboten werden. In diesen Gesprächen bietet sich die Gelegenheit, sowohl über die Sprachkursangebote als auch über Rechte und Pflichten in der Schweiz zu informieren.

In Bezug auf Angehörige von EU- und EFTA-Staaten wäre ein Sprachkursobligatorium aufgrund des FZA bzw. des Parallelabkommens mit der EFTA ohnehin nicht zulässig.

2212

1.3.5

Verzicht auf eine Verlängerung der Rückkehrmöglichkeit nach Artikel 61 Absatz 2 AuG

Im Rahmen der Vernehmlassung wurde teilweise eingebracht, dass die Frist von sechs Monaten für das Erlöschen der Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung nach Artikel 61 Absatz 2 AuG nicht gelten solle, wenn die Ausreise aus der Schweiz mit einer Zwangsheirat zusammenhängt. Dies entspricht faktisch der Möglichkeit eines Rückkehrrechts der betroffenen Ausländerinnen und Ausländer. Im vorliegenden Gesetzesentwurf wurde auf die Einführung eines solchen ausdrücklichen Rückkehrrechts verzichtet. In diesen Fällen besteht schon nach geltendem Recht die Möglichkeit, von den Zulassungsvoraussetzungen abzuweichen, um die Wiederzulassung von Ausländerinnen und Ausländern, die im Besitz einer Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung waren, zu erleichtern (Art. 30 Abs. 1 Bst. k AuG).

In Artikel 49 Absatz 1 VZAE wird dazu festgehalten, dass an Ausländerinnen und Ausländer, die früher im Besitz einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung waren, Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligungen erteilt werden können, wenn ihr früherer Aufenthalt in der Schweiz mindestens fünf Jahre gedauert hat und ihre freiwillige Ausreise aus der Schweiz nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Dies findet auch auf Opfer von Zwangsehen Anwendung.

1.3.6

Massnahmen in den Bereichen Prävention und Schutz

Zahlreiche Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren haben die Notwendigkeit von Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen unterstrichen. Hierzu kann auf die unter Ziffer 1.1.6.4 genannten Aktivitäten verwiesen werden. Das von der Motion Heberlein verlangte umfassende Konzept (vgl. Ziff. 1.1.1) wird aber erst nach der von der Motion Tschümperlin in Auftrag gegebenen Untersuchung (vgl.

Ziff. 1.1.2) vorgelegt werden können.

1.4

Regelungen im Ausland

Das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung prüfte in einem Gutachten vom 31. Mai 2007 die aktuelle Rechtslage zur Thematik der Zwangsheiraten in der EU, den Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich sowie den europäischen Staaten Dänemark, Schweden, Norwegen, Belgien und Grossbritannien. Eine ausführliche Zusammenfassung ist unter Ziffer 4 des bundesrätlichen Berichts «Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten» aus dem Jahr 2007 zum Postulat 05.3477 (vgl. Ziff. 1.1.1) zu finden.

2213

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

2.1

Privatrecht

Art. 43a ZGB

Datenschutz und Bekanntgabe der Daten

Der vorgeschlagene neue Artikel 43a Absatz 3bis setzt, wie bereits erwähnt, Artikel 302 Absatz 2 StPO um, wonach Bund und Kantone die Anzeigepflicht der Mitglieder anderer Behörden (als der Strafbehörden) regeln. Die Bestimmung ist allgemein formuliert und deckt auch die Tätigkeit der Zivilstandsbehörden in anderen Bereichen sowie andere Straftaten als die Zwangsverheiratung oder zwangsweise Ehelichung ab.

Art. 99 ZGB

Durchführung und Abschluss des Vorbereitungsverfahrens

Der vorgeschlagene Zusatz in Artikel 99 Absatz 1 Ziffer 3 ZGB bedarf noch der Präzisierung durch Bestimmungen in der ZStV sowie durch Weisungen des Eidgenössischen Amts für das Zivilstandswesen; dies in Ergänzung zu den per 2011 getroffenen dringlichen Massnahmen (vgl. Ziff. 1.1.3.1).

Insbesondere sollen die Grundausbildung der Zivilstandsbeamten und -beamtinnen für die Erlangung des Fachausweises (Art. 4 Abs. 3 Bst. c ZStV) und die Weiterbildungsgänge in den Kantonen so ergänzt werden, dass Zwangsheiraten besser verhindert bzw. adäquat angegangen werden können.

Eine Person dazu zu zwingen, sich zu verheiraten oder eine Person zu ehelichen, die nicht ihrer Wahl entspricht, stellt einen schwerwiegenden strafrechtlichen Verstoss dar (vgl. Ziff. 1.1.5.1 und 1.2.3). Ein blosser Versuch ist grundsätzlich ebenfalls strafbar (Art. 22 StGB). Falls der Zivilstandsbeamte oder die Zivilstandsbeamtin während des Vorbereitungsverfahrens feststellt, dass die geplante Verbindung offensichtlich nicht dem freien Willen der Braut, des Bräutigams oder beider Brautleute entspricht, hat er oder sie nach dem neuen Artikel 43a Absatz 3bis ZGB (vgl. oben) die Strafverfolgungsbehörden zu verständigen.

Angesichts der strafrechtlichen Relevanz von Zwangsheiraten besteht kein Raum für eine Anhörung der Brautleute nach dem Muster von Artikel 97a Absatz 2 ZGB, selbst wenn eine solche mit einer Anhörung wegen Verdachts auf Scheinehe nach der eben zitierten Bestimmung verbunden werden könnte. Die förmliche Anhörung der Betroffenen sollte im Rahmen einer Strafuntersuchung erfolgen, verbunden mit den entsprechenden Verfahrensgarantien. Dazu gehören auch die Artikel 34­40 des OHG, welche Schutzbestimmungen für diejenigen Opfer enthalten, die durch die Zwangsheirat oder deren Begleitumstände in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt wurden.

Es versteht sich von selbst, dass bei Verdacht auf eine Zwangsheirat, d.h. bei Vorliegen von Verdachtsmomenten, die darauf schliessen lassen, dass das Heiratsgesuch offensichtlich nicht dem freien Willen der Brautleute entspricht, das Zivilstandsamt nach erfolgter Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden das Vorbereitungsverfahren sistiert, bis die Ergebnisse aus dem Strafverfahren vorliegen. Die Eröffnung einer solchen Entscheidung und die Rechtsmittel dagegen
sollen in der ZStV geregelt werden.

Das vorgeschlagene System trägt den Befürchtungen des Schweizerischen Verbands für Zivilstandswesen Rechnung, welcher sich angesichts der Gefahren für das Opfer 2214

und für seine Verbandsmitglieder gegen die Idee einer Anhörung nach dem Vorbild von Artikel 97a Absatz 2 ZGB ausgesprochen hat.

Diese Lösung trägt auch den Bemerkungen verschiedener anderer Teilnehmer des Vernehmlassungsverfahrens Rechnung, die darauf hingewiesen haben, dass der Zivilstandsbeamte oder die Zivilstandsbeamtin zwar einer umfassenden Verpflichtung zur Information der Brautleute und der Öffentlichkeit unterliegt, aber keinerlei Polizeifunktion hat. Dem Personal der Zivilstandsämter muss eine geeignete Zusatzausbildung angeboten werden, ohne dass ihm die alleinige Verantwortung für die Fälle von Zwangsheirat auferlegt wird. Diese Fälle erfordern vielmehr das Zusammenwirken anderer Stellen, wie der Polizeibehörden, der Strafjustizbehörden, der Opferhilfestellen, der Migrationsbehörden und Intergrationsdienste sowie der Organisationen, die sich mit häuslicher Gewalt und verwandten Problemen befassen.

Art. 105 ZGB

Unbefristete Ungültigkeit

Wie erwähnt (vgl. Ziff. 1.1.3.2 und 1.3.1.2) gewährt das geltende Recht den Opfern einer unfreiwilligen Heirat nur einen schwachen Schutz. Dies aufgrund des restriktiven Wortlauts des bisher geltenden Artikels 107 Ziffer 4 ZGB sowie der Tatsache, dass die Betroffenen das Verfahren selbst und noch dazu innert einer sehr kurzen Frist einleiten müssen.

Mit dem vorgeschlagenen neuen Artikel 105 Ziffer 5 ZGB wird der Anwendungsbereich des bisher geltenden Artikels 107 Ziffer 4 ZGB erweitert. Für die Annahme einer Ungültigkeit ist es nicht mehr erforderlich, dass ein Ehegatte mit einer nahen und erheblichen Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Ehre seiner selbst oder einer ihm nahe verbundenen Person bedroht worden war. Neu genügen auch weniger massive Formen von Druckausübung. Diese muss aber immerhin so stark gewesen sein, dass die Ehe nicht mehr als freiwillig geschlossen betrachtet werden kann. Man wird also ähnlich wie im Strafrecht (vgl. Ziff. 2.3) die Androhung eines ernstlichen Nachteils voraussetzen müssen. Während aber beim Straftatbestand der Nötigung für die Bewertung der Schwere des Nachteils ein objektiver Massstab anzulegen ist (BGE 120 IV 17 S. 19), kann im Rahmen von Artikel 105 Ziffer 5 ZGB auch die subjektive Perspektive des Opfers berücksichtigt werden. Nicht erforderlich ist, dass ein ernstlicher Nachteil explizit angedroht wird. Die Androhung kann sich auch aus den Umständen ergeben. Ein häufig angedrohter Nachteil, der vom bisher geltenden Artikel 107 Ziffer 4 ZGB nicht erfasst wird, ist die soziale Ausgrenzung. Gerade in diesen Fällen lässt sich allerdings nicht immer leicht sagen, ob der in Aussicht gestellte Nachteil schwerwiegend genug war, um die betroffene Person ihrer Willensfreiheit zu berauben.

Im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann auch die Abgrenzung zur arrangierten Ehe. Ziffer 15 des Berichts zur erwähnten Europarats-Resolution 1468 (vgl.

Ziff. 1.3.2.2) der schweizerischen Berichterstatterin Rosmarie Zapfl-Helbling umschreibt arrangierte Heiraten und das mit ihnen verbundene Abgrenzungsproblem wie folgt: Typisches Merkmal ist die Mitwirkung einer aussenstehenden Person, gewöhnlich der Eltern des Paares oder eines Vermittlers. Diese Vermittlung kann auf Wunsch eines oder beider Ehegatten oder auf Veranlassung der Familie erfolgen. In gewissen Gemeinschaften
und Ländern ist es üblich, dass die Eltern die Heirat organisieren. Die Entscheidung darüber, ob sie die Arrangements akzeptieren wollen, verbleibt aber bei den designierten Brautleuten. Das Problem liegt darin zu bestimmen, inwieweit die beiden eine echte Wahlmöglichkeit haben und sich dessen 2215

auch bewusst sind. Das familiäre Umfeld kann einen derart starken Einfluss haben, dass die Entscheidung durch die Erziehung und die Achtung vor den Gebräuchen bestimmt wird. Die Grenze zwischen eigentlicher Druckausübung und psychologischer Manipulation ist schwer zu ziehen.

Die Formulierung von Artikel 105 Ziffer 5 ZGB knüpft an die EuroparatsResolution 1468 an, wonach eine Zwangsehe vorliegt, wenn die Verbindung nicht im freien und vollen Einverständnis der Brautleute geschlossen worden ist. Dieser Ansatz entspricht auch Artikel 23 Absatz 3 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II, SR 0.103.2).

Sämtliche Anwendungsfälle des bisher geltenden Artikels 107 Ziffer 4 ZGB sind durch den vorgesehenen neuen Artikel 105 Ziffer 5 ZGB abgedeckt. Es wird daher vorgeschlagen, die erstgenannte Bestimmung zu streichen. Dies umso mehr, als sonst der Anschein entstehen könnte, das ausgerechnet die von Artikel 107 Ziffer 4 ZGB erfassten schwerwiegenden Fälle nur unter den engeren Voraussetzungen der Artikel 107 und 108 ZGB angefochten werden können.

Mit der Platzierung des Ungültigkeitsgrunds in Artikel 105 ZGB erfährt das Opfer einer erzwungenen Eheschliessung einen wirksameren Schutz. Die betroffene Person braucht nicht selbst tätig zu werden, da die zuständige kantonale Behörde von Amtes wegen Klage zu erheben hat. Die Klage ist zudem jederzeit zulässig, auch erst nach Vorliegen des Strafurteils oder gar nach Verjährung der Straftat.

Aus Rücksicht auf die Interessen des Opfers sollte das Gericht von einer Ungültigerklärung der Ehe absehen, wenn sich die betroffene Person mit ihrer Situation arrangiert hat und die Ehe im Rahmen einer tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft weiterführen möchte. Es macht keinen Sinn, unter dem Titel von Artikel 105 Ziffer 5 ZGB eine Ehe für ungültig zu erklären, die inzwischen von den Betroffenen gewollt und deshalb nach der Auflösung ­ nunmehr aus freiem Willen und somit gültig ­ wieder geschlossen würde. In Ziffer 5 wird daher präzisiert, dass die betroffene Ehe nur dann von Amtes wegen anzufechten ist, wenn das Opfer die Ehe nicht aufrechterhalten will. Das Gericht muss diese Frage in jedem Fall prüfen. Dabei muss es sich insbesondere der Echtheit des entsprechenden Willens des betreffenden Ehegatten versichern.
Der Verzicht auf eine Ungültigerklärung nach Artikel 105 Ziffer 5 ZGB schliesst nicht aus, dass die betroffene Ehe nach Artikel 105 Ziffer 4 ZGB ungültig erklärt wird, falls sie gleichzeitig den Tatbestand der Scheinehe erfüllt. Das Aufenthaltsrecht des Opfers beurteilt sich in einem solchen Fall nach Artikel 50 AuG, dessen Absatz 2 mit der aktuellen Vorlage revidiert werden soll (vgl. Ziff. 2.4.).

Was die Minderjährigenehen (Art. 105 Ziff. 6 ZGB) betrifft, so können diese nicht mehr für ungültig erklärt werden, sobald beide Ehegatten das Alter von 18 Jahren, d.h. das Ehefähigkeitsalter nach Artikel 94 Absatz 1 ZGB erreicht haben. Diese Lösung entspricht im Ergebnis der für die Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit vorgesehenen Regelung (Art. 105 Ziff. 2 ZGB). Ist die betroffene Ehefrau oder der betroffene Ehemann 18 Jahre alt geworden, so ist das Ziffer 6 zugrunde liegende Schutzinteresse nicht mehr gegeben, zumal die Ehe nach einer Ungültigerklärung erneut eingegangen werden könnte und nun nach den Regeln des schweizerischen Rechts gültig geschlossen würde.

2216

Darüber hinaus soll im Gesetzestext festgehalten werden, dass auf eine Ungültigerklärung zu verzichten ist, wo die überwiegenden Interessen der minderjährigen Person die Aufrechterhaltung der Ehe gebieten. Diese Präzisierung ermöglicht es dem Gericht, die im Einzelfall auf dem Spiel stehenden Interessen abzuwägen und von einer Ungültigerklärung abzusehen, wo das Interesse der minderjährigen Person an einer Aufrechterhaltung der Ehe höher wiegt als das Artikel 105 Ziffer 6 ZGB zugrundeliegende Schutzinteresse. Neben dem öffentlichen Interesse (allgemeines Schutzinteresse der Minderjährigen sowie Bekämpfung von Zwangsheiraten) ist auch das individuelle Schutzinteresse zu berücksichtigen. Dieses hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wie beispielsweise dem Grad der Minderjährigkeit und der individuellen Reife der betroffenen Person sowie dem Altersunterschied zwischen den Ehegatten. In die Abwägung miteinzubeziehen sind zudem besondere Umstände, die aus der Sicht der betroffenen Person für eine Aufrechterhaltung der Ehe sprechen, wie beispielsweise eine Schwangerschaft oder gemeinsame Kinder.

Artikel 105 Ziffer 6 ZGB geht aber davon aus, dass im Regelfall eine Verheiratung nicht den Interessen einer minderjährigen Person entspricht.

Im Vorentwurf waren die Ausnahmetatbestände im Normtext der neuen Ziffern 5 und 6 nicht ausdrücklich erwähnt worden, da man die erwarteten positiven Wirkungen der neuen Regelung nicht aushöhlen wollte. Im Vernehmlassungsverfahren haben sich jedoch verschiedene Stellungnahmen gegen dieses Vorgehen ausgesprochen und dabei die gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweiligen Opfers sowie die drohende Beeinträchtigung der Rechtssicherheit bei einem Schweigen des Gesetzestextes angeführt. Vorgeschlagen wurde eine Regelung nach dem Muster der Ziffern 1 und 2 von Artikel 105 ZGB. Dieser Vorschlag wird nun im vorliegenden Entwurf aufgegriffen. Die Normtexte sind entsprechend ergänzt worden und nennen ausdrücklich die vom Gericht zu berücksichtigenden Elemente.

Art. 106 ZGB

Klage

Die im neuen zweiten Satz von Artikel 106 Absatz 1 ZGB enthaltene Verpflichtung besteht ausdrücklich nur, soweit sie mit den spezifischen Aufgaben der betreffenden Behörde vereinbar ist. Eine Unvereinbarkeit könnte beispielsweise dort bestehen, wo eine Behörde auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihren Klientinnen und Klienten angewiesen ist und ein erhöhtes Bedürfnis nach Vertraulichkeit besteht, wie das bei gewissen amtlichen Beratungsstellen der Fall sein kein. Die Verpflichtung richtet sich primär an die Zivilstands-, Ausländer-, Strafverfolgungs-, Sozialversicherungs- und Sozialhilfebehörden.

Art. 6 und 9 PartG Diese Bestimmungen des Partnerschaftsgesetzes sind das Gegenstück zu den vorgeschlagenen Änderungen der Artikel 99, 105 und 106 ZGB. Dementsprechend kann auf die vorstehenden Erläuterungen verwiesen werden. Erzwungene eingetragene Partnerschaften sind bis jetzt keine bekannt. Es gilt jedoch, in einer weitgehend dem Eherecht folgenden Regelung eine Lücke zu vermeiden.

2217

2.2 Art. 44 IPRG

Internationales Privatrecht Eheschliessung: Anwendbares Recht

Nach dem geltenden Artikel 44 Absatz 1 IPRG unterstehen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Eheschliessung in der Schweiz schweizerischem Recht.

Besteht nach diesem Recht ein Ehehindernis, so kann den Brautleuten nach dem geltenden Absatz 2 die Heirat gleichwohl gestattet werden, wenn nach ihrem gemeinsamen Heimatrecht oder einem ihrer Heimatrechte eine Trauung möglich wäre.

Als Anwendungsfälle von Artikel 44 Absatz 2 IPRG angeführt werden die Heirat mit Nichten oder Neffen, die Heirat mit Stiefkindern, die Heirat mit Personen unter dem schweizerischen Ehemündigkeitsalter und die Ehe unter Adoptivgeschwistern.

Die beiden ersten Anwendungsfälle sind zwischenzeitlich weggefallen, da die entsprechenden Ehehindernisse im ZGB nicht mehr vorgesehen sind. Der dritte Anwendungsfall ist nun ebenfalls nicht mehr denkbar, da davon ausgegangen wird, dass der Ordre public die Eheschliessung mit Minderjährigen in der Schweiz auch unter ausländischen Personen nicht mehr zulässt. Damit ist als möglicher Anwendungsfall nur noch die Ehe unter Adoptivgeschwistern zu ersehen. Die Ehe mit Adoptivkindern widerspricht nach herrschender Auffassung klar dem Ordre public.

Artikel 44 Absatz 2 nur für die Adoptivgeschwisterehe beizubehalten, erscheint wenig sinnvoll. Hier überwiegt das Interesse an einer klaren Lösung, wie sich nun aus dem neuen Artikel 44 ergibt: Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen einer Eheschliessung in der Schweiz sollen dem schweizerischen Recht unterstehen. Es sollen die gleichen Regeln für schweizerische und ausländische Staatsangehörige gelten.

Art. 45a IPRG

Ungültigerklärung der Ehe

Der vorgeschlagene Artikel 45a IPRG tritt an die Stelle des zur Streichung vorgeschlagenen geltenden Artikels 45a IPRG (vgl. Ziff. 1.3.2.3).

In Absatz 1 des neuen Artikels 45a IPRG wird die internationale Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte im Verhältnis zu den bisher sinngemäss anwendbaren Artikeln 59 und 60 IPRG erweitert. Zum einen kann nun ohne Einschränkung am Wohnsitz eines der beiden Ehegatten geklagt werden. Zum andern ist die subsidiäre Zuständigkeit der Gerichte am schweizerischen Heimatort eines Ehegatten nun unabhängig davon gegeben, ob eine Klage am ausländischen Wohnsitz eines der Ehegatten möglich wäre. Absatz 1 sieht ausserdem einen zusätzlichen subsidiären Gerichtsstand am schweizerischen Ort der Eheschliessung vor. Eine Zwangsehe, die in der Schweiz geschlossen worden ist, soll auch hier wieder für ungültig erklärt werden können.

Gemäss dem neuen Artikel 45a Absatz 2 IPRG unterstehen Klagen vor schweizerischen Gerichten auf Ungültigerklärung einer Ehe ausnahmslos dem schweizerischen Recht. Die Sonderregeln der Absätze 2­4 des bisher sinngemäss anwendbaren Artikels 61 IPRG werden nicht übernommen. Mit diesen Erweiterungen der schweizerischen Zuständigkeit und des Geltungsbereichs des schweizerischen Rechts in den Absätzen 1 und 2 wird sichergestellt, dass die Eheungültigkeitsgründe des ZGB stets auch in internationalen Fällen in der Schweiz geltend gemacht werden können, wenn ein hinreichender Bezug zu unserem Land besteht.

2218

Absatz 3 von Artikel 45a verweist auf die bereits heute analog geltenden Artikel 62­64 IPRG. Das angerufene Gericht kann daher unter den gleichen Bedingungen wie bei einer Scheidung zusätzlich die Nebenfolgen regeln sowie vorsorgliche Massnahmen treffen. Die Ergänzung oder Abänderung ausländischer Entscheidungen untersteht dem auf Trennungen oder Scheidungen anwendbaren Recht. Zuständig ist hier das schweizerische Gericht, das die Ungültigkeit ausgesprochen hat.

Daneben bestehen alternativ die Gerichtsstände nach den Artikeln 59 und 60 IPRG.

Da es bei Klagen auf Ergänzung oder Abänderung nicht um die Durchsetzung des Ordre public geht, bedarf es vorliegend nicht der grosszügigeren Regelung des neuen Artikels 45a Absatz 1 IPRG.

Ausländische Ungültigerklärungen werden gemäss Absatz 4 nur anerkannt, wenn sie aus dem Staat stammen, in dem die Ehe geschlossen wurde. Mit dieser restriktiven Regelung soll der liberalen Grundhaltung des IPRG in Bezug auf die Anerkennung ausländischer Eheschliessungen Rechnung getragen werden. Auch wo die Entscheidung im Staat der Eheschliessung ergangen ist, ist sie nur zu anerkennen, wenn der angeführte Ungültigkeitsgrund nicht in offensichtlichem Widerspruch zum schweizerischen Ordre public steht (Art. 27 Abs. 1 IPRG).

Ist die Ungültigerklärung auf Klage eines der Ehegatten erfolgt, gilt allerdings sinngemäss der auf Scheidungen anwendbare Artikel 65 IPRG. Es erscheint nicht gerechtfertigt, die gerichtliche Auflösung einer Ehe auf Antrag eines Ehegatten unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob es sich um eine Scheidung oder eine Ungültigerklärung handelt. Der Auflösungsgrund kann unter dem Blickwinkel der Anerkennung keine Rolle spielen, solange er sich mit dem Ordre public (Art. 27 Abs. 1 IPRG) verträgt. Hinzu kommt, dass die Grenze zwischen Scheidung und Ungültigerklärung bei ausländischen Urteilen nicht immer leicht zu ziehen ist und dass in gewissen Ländern mit restriktivem Scheidungsrecht Ungültigerklärungen oft verkappte Scheidungen sind.

2.3 Art. 181a StGB

Strafrecht Zwangsheirat, erzwungene eingetragene Partnerschaft

Der vorgeschlagene neue Artikel 181a StGB lehnt sich eng an den bestehenden Artikel 181 StGB an, namentlich bei der Umschreibung der Tatmittel. Tatbestandsmässig handelt, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung der Handlungsfreiheit zur Eheschliessung oder zur Eintragung einer Partnerschaft zwingt. Als Täter kommen neben dem Partner oder der Partnerin auch Eltern, Geschwister, sonstige Verwandte oder andere Drittpersonen in Betracht.

Ist nachfolgend von Zwangsheiraten die Rede, so sind erzwungene Eintragungen von Partnerschaften mitgemeint.

Objektiver Tatbestand Auf der objektiven Ebene setzt der Straftatbestand voraus, dass der Täter mit bestimmten, im Gesetz abschliessend aufgezählten Zwangsmitteln ­ Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder einer anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit ­ das Opfer in seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt und dieses veranlasst, eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft einzugehen. Die Nötigung ist vollendet, wenn 2219

sich das Opfer dem Willen des Täters entsprechend verhält, d.h. aufgrund des nötigenden Verhaltens eine Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft eingeht. Wie lange die Ehe andauert, ist für die Erfüllung des Straftatbestands ohne Belang.

Während Gewalt als physischer Eingriff in die Rechtssphäre eines anderen zu verstehen ist, stellt bei der Androhung ernstlicher Nachteile der Täter dem Opfer die Zufügung eines Übels in Aussicht, dessen Eintritt er als von seinem Willen abhängig erscheinen lässt. Ernstlich sind die angedrohten Nachteile, wenn sie geeignet sind, auch eine verständige Person als Betroffene gefügig zu machen. Erheblich dürfte dieses Kriterium in der Praxis für die Unterscheidung zwischen arrangierten Heiraten und Zwangsheiraten sein, die eben auch die unter Zwang geschlossenen arrangierten Heiraten umfassen. Dabei wird nämlich nicht nur die persönliche Lage des Opfers berücksichtigt, sondern auch dessen Fähigkeit, die Drohung angemessen einzuschätzen und sich ihr zu widersetzen.

Die Umschreibung der Nötigungsmittel stammt wie gesagt aus Artikel 181 StGB.

Dies gilt auch für die Generalklausel der anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit. Diese Klausel ist restriktiv auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 129 IV 8, 264; 107 IV 116) muss die Einwirkung des Täters das üblicherweise geduldete Mass der Beeinflussung in ähnlich deutlicher Weise überschreiten, wie dies für die vom Gesetz ausdrücklich genannten Nötigungsmittel Gewalt und Androhung ernstlicher Nachteile der Fall ist. Als Beispiele werden meist Betäubung, Versetzung in einen schwereren Rauschzustand, Hypnose oder Ausnützung von Erschrecken genannt. Nötigungen dieser Art werden in Zusammenhang mit Eheschliessungen kaum je vorkommen.

Subjektiver Tatbestand Auf der subjektiven Ebene ist Vorsatz erforderlich. Dieser ist gegeben, wenn die Tat mit Wissen und Willen ausgeführt wird. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Der Wille des Täters, seine Drohung wahr zu machen, ist für den Nötigungsvorsatz nicht notwendig.

Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit der Zwangsheirat ergibt sich ­ wie bei den meisten anderen Strafnormen ­ bereits aus der Tatbestandsmässigkeit. Die allgemeinen Regeln über die Rechtfertigungsgründe
sind anwendbar (vgl. dazu Art. 14 ff. StGB). Die Einwilligung der verletzten Person dürfte jedoch in der Regel ­ ähnlich wie bei der Nötigung (Art. 181 StGB), der Erpressung (Art. 156 StGB), der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) und der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) ­ bereits die Tatbestandmässigkeit der Handlung wegfallen lassen.

Schuld Eine tatbestandsmässige und rechtswidrige Zwangsheirat ist nur strafbar, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat. Schuldhaft handelt der Täter, wenn er für sein Verhalten verantwortlich gemacht werden kann. Der in diesem Zusammenhang primär in Frage kommende Schuldausschlussgrund ist der Irrtum über die Rechtswidrigkeit nach Artikel 21 StGB. Dieser setzt voraus, dass der Täter «bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält». Ob der Täter aus zureichenden Gründen angenommen hat, er tue nichts Unrechtes, und deshalb freizusprechen ist, lässt sich nur in Kenntnis der konkreten Umstände des Einzelfalls 2220

beantworten. Dabei dürften insbesondere folgende Faktoren erheblich sein: Strafbarkeit von Zwangsheiraten im Herkunftsland, Bildungsstand des Täters, innerstaatliche Herkunft aus rückständigem oder aufgeklärtem Milieu, Dauer des Aufenthalts des Täters in der Schweiz, Grad der Integration sowie Kenntnis davon, dass erzwungene Heiraten in der Schweiz nicht üblich sind3.

Täterschaft und Teilnahme Es ist davon auszugehen, dass in der Regel mehrere Personen an der Organisation und Durchführung einer Zwangsheirat beteiligt sind.

Mittäter ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts, «wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgeblicher Weise mit andern Tätern zusammenwirkt [...], so dass er als Hauptbeteiligter dasteht» (BGE 108 IV 92 m. w. Nachw.). Mittäter müssen nicht zwingend bei der Ausführung der Tat zugegen sein; die Mitwirkung bei Planung und Koordination kann genügen, wenn die beteiligte Person einen massgeblichen Beitrag leistet, über die Tatherrschaft verfügt und ein eigenes Interesse an der Tat hat. Diese Voraussetzungen könnten beispielsweise bereits dann erfüllt sein, wenn die Eltern eines zwangsweise zu verheiratenden Mädchens die Reise in das Herkunftsland organisieren und bezahlen oder ihre Tochter dorthin begleiten. Auch die blosse Anwesenheit der Eltern bei der erzwungenen Eheschliessung kann ­ ihr Wissen vorausgesetzt ­ Mittäterschaft begründen, da das Opfer zu ihnen in einem Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnis steht und dies für die Duldung der Zwangsheirat massgeblich sein kann. Das Eigeninteresse der Eltern an der Heirat besteht darin, dass sie dadurch die Traditionen hochhalten und sich Achtung innerhalb ihrer Gemeinschaft verschaffen.

Anstifter nach Artikel 24 StGB ist, wer jemanden vorsätzlich zu dem von diesem verübten Verbrechen oder Vergehen bestimmt hat. Diese Voraussetzung könnte beispielsweise bei Verwandten oder Bekannten gegeben sein, die auf die Eltern einwirken, damit diese ihre Tochter oder ihren Sohn zwangsweise verheiraten.

Gehilfe nach Artikel 25 StGB ist, wer zu einem Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich Hilfe leistet. Im Unterschied zur Mittäterschaft genügt hier jeder untergeordnete Tatbeitrag, der die Zwangsheirat in irgendeiner Weise fördert.

Vorbereitung und Versuch Nach der bundesgerichtlichen
Praxis liegt ein strafbarer Versuch vor, wenn der letzte entscheidende Schritt getan wurde, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt, es sei denn wegen äusserer Umstände, die eine Weiterverfolgung der Absicht erschweren oder verunmöglichen (BGE 99 IV 153). Bei den im Ausland geschlossenen Zwangsehen stellt sich die Frage, ob die in der Schweiz getroffenen Reisevorbereitungen bereits als Versuch im obigen Sinne zu werten sind und damit die Strafbarkeit der Tatbeteiligten in der Schweiz begründen oder ob es sich um straflose Vorbereitungshandlungen handelt. Diese Frage wird nur anhand der konkreten 3

Vgl. hierzu das Rechtsgutachten von Stefan Trechsel und Regula Schlauri «Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz», S. 17 ff. Im Gutachten wird in diesem Zusammenhang eine aktive Intervention der Schweizer Behörden angeregt: Immigranten und Immigrantinnen müssten beim Grenzübertritt bzw. beim ersten Kontakt mit schweizerischen Behörden eindringlich über die schweizerische Rechtslage orientiert werden, damit die Berufung auf Verbotsirrtum bzw. Irrtum über die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen sei.

2221

Umstände des Einzelfalls zu beantworten sein, die Annahme eines strafbaren Versuchs auf Schweizer Territorium dürfte aber angesichts der extensiven Praxis des Bundesgerichts in ähnlich gelagerten Fällen (vgl. BGE 114 IV 112 ff., 114 f.; 104 IV 175 ff.) nicht von vornherein ausgeschlossen sein.

Auslandtaten In Abweichung von den allgemeinen Regeln für Auslandtaten nach Artikel 7 StGB soll eine Person dem schweizerischen Strafgesetz auch dann unterworfen werden, wenn sie die Tat im Ausland begeht oder an einer solchen Auslandtat als Anstifter oder Gehilfe teilnimmt, sofern sie sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. Auf das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit wird verzichtet; Erledigungsund Anrechnungsprinzip (Art. 7 Abs. 4 und 5 StGB) sind anwendbar. Ein weiteres Anknüpfungskriterium, etwa Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in der Schweiz, wird nicht vorgesehen. Damit kann gewährleistet werden, dass sämtliche Täter, die zum Zeitpunkt der Tat ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein gehabt haben, von der Strafbestimmung erfasst werden. Täter, die zum Zeitpunkt der Tat nicht wussten und nicht wissen konnten, dass ihr Verhalten rechtswidrig ist, können aufgrund fehlenden Unrechtsbewusstseins einen Verbotsirrtum nach Artikel 21 StGB geltend machen.

Strafrahmen Mit der Erhöhung des Strafrahmens auf fünf Jahre Freiheitsstrafe wird die Zwangsheirat zu einem qualifizierten Nötigungstatbestand. Eine höhere Strafdrohung besteht in der Schweiz bereits für andere qualifizierte Fälle einer Nötigung, etwa beim Raub (Art. 140 StGB), bei der Erpressung (Art. 156 StGB), bei der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) und bei der Vergewaltigung (Art. 190 StGB). Ausgehend von diesen Fällen lässt sich eine Strafrahmenerhöhung bei Zwangsheiraten rechtfertigen. Von der Einführung einer Mindeststrafe wird demgegenüber abgesehen, weil Mindeststrafen das Ermessen der Gerichte generell unnötig beschränken. Zudem ist die Mindeststrafandrohung bei einem Nötigungstatbestand wie dem vorliegenden besonders problematisch, weil dieser offen formuliert ist und die Abgrenzung zwischen straflosem und strafbarem Verhalten deshalb oft schwierig ist.

2.4 Art. 45a AuG

Ausländerrecht und Asylrecht Eheungültigkeit

Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass einer der Ehegatten die Ehe unter Zwang geschlossen hat oder minderjährig ist, so hat die zuständige kantonale Ausländerbehörde Meldung bei der kantonalen Anfechtungsbehörde nach Artikel 106 ZGB zu machen und das Verfahren auszusetzen. Die in Artikel 105 Ziffern 5 und 6 vorgesehene Willensprüfung bzw. Interessenabwägung ist vom Gericht vorzunehmen, sofern es von der Anfechtungsbehörde angerufen wird und sich der Verdacht auf eine erzwungene Eheschliessung oder auf Minderjährigkeit eines Ehegatten erhärtet.

Wird die Ehe vom Gericht für ungültig erklärt und wird das betreffende Urteil rechtskräftig, so ist das Gesuch um Bewilligungserteilung abzuweisen. Sieht das Gericht von einer Ungültigerklärung ab, so ist nach Rechtskraft des Urteils das Bewilligungsverfahren wieder aufzunehmen. Entsprechendes gilt, wenn die Anfech-

2222

tungsbehörde auf eine Klage verzichtet. Sind die übrigen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug erfüllt, so ist das Gesuch zu bewilligen.

Art. 50 AuG

Auflösung der Familiengemeinschaft

Gemäss Artikel 50 Absatz 1 Buchstabe b AuG besteht nach Auflösung der Ehe der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach den Artikeln 42 und 43 AuG weiter, wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen. Im Sinne einer Präzisierung soll nun in Artikel 50 Absatz 2 AuG neu aufgenommen werden, dass wichtige persönliche Gründe im Sinne der erwähnten Bestimmung auch dann vorliegen können, wenn ein Ehegatte die Ehe nicht aus freien Willen geschlossen hat. Dies entspricht dem Ziel einer in Beratung befindlichen Europaratskonvention («Projet de Convention sur la prévention et la lutte contre la violence à l'égard des femmes et la violence domestique») sowie einem im Vernehmlassungsverfahren mehrfach geäusserten Anliegen.

Art. 85 AuG

Ausgestaltung der vorläufigen Aufnahme

Der neue Absatz 8 von Artikel 85 enthält eine zu Artikel 45a AuG parallele Regelung.

Art. 88a AuG

Eingetragene Partnerschaft

Dieser neue Artikel soll klarstellen, dass diejenigen Bestimmungen des Kapitels über die vorläufige Aufnahme, in denen von Ehegatten die Rede ist, auch für eingetragene Partnerinnen oder Partner gelten. Für das Kapitel über den Familiennachzug enthält das AuG bereits eine entsprechende Bestimmung (Art. 52).

Art. 51 AsylG

Familienasyl

Im Hinblick auf den neuen Artikel 79a AsylG (siehe unten) wird in Absatz 1 von Artikel 51 AsylG die Erwähnung der eingetragenen Partnerinnen und Partner gestrichen. Der neue Absatz bis enthält eine zu Artikel 45a AuG parallele Regelung für den Bereich des Familienasyls.

Art. 63 AsylG

Widerruf

Auch in Artikel 63 Absatz 4 AsylG wird im Hinblick auf den neuen Artikel 79a AsylG die Erwähnung der eingetragenen Partnerinnen und Partner gestrichen.

Art. 71 AsylG

Gewährung vorübergehenden Schutzes an Familien

In Absatz 1 ist erneut eine Anpassung an Artikel 79a AsylG vorgesehen. Mit dem neuen Absatz 1bis soll eine zu Artikel 45a AuG analoge Regelung geschaffen werden.

Art. 78 AsylG

Widerruf

Auch hier geht es um eine Anpassung an den neuen Artikel 79a AsylG.

2223

Art. 79a AsylG

Eingetragene Partnerschaft

Im Sinne einer redaktionellen Vereinfachung soll mit dieser neuen Bestimmung festgehalten werden, dass die Bestimmungen über Ehegatten im 3. und 4. Kapitel des AsylG auch auf eingetragene Partnerinnen und Partner Anwendung finden.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden

Die Vorlage begründet keine neuen Staatsaufgaben. Insbesondere müssen keine neuen Behörden geschaffen werden. Denkbar ist eine leichte Zunahme von Klagen auf Ungültigerklärung einer Ehe bei den zuständigen Zivilgerichten.

3.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Vorlage hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 23. Januar 20084 über die Legislaturplanung 2007­2011 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 20085 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt. Sie wird in Erfüllung der am 2. Juni 2008 überwiesenen Motion 06.3658 Heberlein unterbreitet.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässige Grundlagen

Die Vorlage stützt sich im Wesentlichen auf die Artikel 121­123 BV, die dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf den Gebieten des Ausländer-, Zivil- und Strafrechts einräumen.

4 5

BBl 2008 753 BBl 2008 8543

2224

5.2

Vereinbarkeit mit den Grundrechten

5.2.1

Ungültigerklärung von Zwangs- und Minderjährigenehen

Das Recht auf Ehe, das in Artikel 14 BV verankert ist, schützt die Freiheit der Person im heiratsfähigen Alter, eine Ehe einzugehen. In seiner negativen Komponente umfasst es auch das Recht, sich nicht zu verheiraten.

Das Recht, sich zu verheiraten, ist nicht absolut. Es kann unter den in Artikel 36 BV umschriebenen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Der Bundesgesetzgeber ist daher befugt, neue direkte Beschränkungen der Ehefreiheit einzuführen, indem er die Gründe für eine unbefristete Eheungültigkeit erweitert. Die vorliegend vorgeschlagenen Freiheitsbeschränkungen dienen primär der Bekämpfung von Zwangsheiraten, aber auch dem Schutz von Minderjährigen, und verfolgen somit Ziele, die im öffentlichen Interesse liegen. Die Massnahmen sind zudem verhältnismässig. Sie erscheinen geeignet, einen ernsthaften Beitrag an die Verwirklichung ihrer Ziele zu liefern, und gehen nicht weiter als erforderlich. Den Interessen der Betroffenen im Einzelfall wird durch eine Ausnahmeregelung Rechnung getragen. Insofern besteht auch kein Missverhältnis zwischen dem zugrunde liegenden öffentlichen Interesse und dem Eingriff in die individuelle Freiheit.

Nach Artikel 12 EMRK haben Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Die Vertragsstaaten der EMRK können die Ausübung des Rechts auf Eheschliessung regeln und einschränken; die entsprechenden Rechtsvorschriften dürfen jedoch den Kerngehalt des Rechts auf Eheschliessung nicht beeinträchtigen. Vorschriften über die Gültigkeit von Minderjährigenehen sind daher grundsätzlich konventionskonform.

Zwangsehen fallen nicht in den Schutzbereich des von Artikel 12 EMRK gewährleisteten Rechts auf Eheschliessung. Diese Bestimmung hindert die Vertragsstaaten folglich nicht daran, Massnahmen zur Verhinderung oder Anfechtung von Zwangsehen vorzusehen. Eine wider den Willen eines oder beider Betroffenen geschlossene Ehe fällt auch nicht unter den Schutz von Artikel 8 EMRK betreffend das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Aus den Artikeln 8 und 12 EMRK kann sich demgegenüber eine positive Verpflichtung ergeben, Betroffenen eine wirksame Anfechtung solcher Ehen zu ermöglichen.

Im Übrigen ruft der Europarat in der bereits erwähnten Resolution 1468 (vgl.

Ziff. 1.3.2.2) selbst dazu auf, gegen Zwangsehen vorzugehen. Dasselbe gilt für Minderjährigenehen.

5.2.2

Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug

Der von Artikel 13 BV garantierte Schutz des Privat- und Familienlebens beinhaltet auch das Recht auf Nachzug des Ehegatten. Doch kann auch dieses Recht unter den Bedingungen von Artikel 36 BV eingeschränkt werden (siehe Ziff. 5.2.1).

Das Recht auf Nachzug des Ehegatten wird als Teilgehalt des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Artikel 8 EMRK sowie die Artikel 17 und 23 UNO-Pakt II geschützt. In seiner Rechtsprechung zu Artikel 8 EMRK hat der Euro2225

päische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgehalten, diese Bestimmung gebe nicht das Recht, den Ort zu wählen, der am besten geeignet sei, ein Familienleben aufzubauen. Der Staat müsse nicht die von einem Ehepaar getroffene Wahl akzeptieren, wo es seinen Wohnsitz nehmen möchte, und zulassen, dass sich nicht inländische Ehepartner dort aufhalten. Die Sistierung des Verfahrens betreffend Nachzug des Ehegatten ist ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens; dessen Zulässigkeit ist im Einzelfall an den nachfolgenden Kriterien von Artikel 8 EMRK zu messen (vgl. die EGMR-Urteile Agraw gegen die Schweiz vom 29. Juli 2010, Nr. 3295/06, und Mengesha Kimfe gegen die Schweiz vom 29. Juli 2010, Nr. 24404/05).

Beim Nachzug von Familienmitgliedern stellt der EGMR auf folgende Gesichtspunkte ab: das Ausmass, in dem das Familienleben tatsächlich gelebt wird, die Bindungen zum Konventionsstaat, etwaige unüberwindbare Hindernisse für ein Familienleben im Herkunftsland, etwaige Hindernisse der Einwanderungskontrolle (z.B. frühere Verstösse gegen das Einreiserecht), ob Gründe der öffentlichen Ordnung gegen die Zuwanderung sprechen und ob die Betroffenen bei der Aufnahme des Familienlebens wussten, dass ein Familienleben im Gastland unsicher war. Ist Letzteres der Fall, so stellt eine Abschiebung nur bei aussergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Artikel 8 EMRK dar. (vgl. zum Ganzen Ziff. 5.6.3 des Berichts «Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten» von 2007; zum Bericht siehe Ziff. 1.1.1).

5.3

Vereinbarkeit mit dem Freizügigkeitsabkommen

5.3.1

Ungültigerklärung von Zwangs- und Minderjährigenehen

Für Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten sowie ihre Familienangehörigen gelten gemäss Artikel 2 Absatz 2 AuG die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens (FZA). Dessen Artikel 7 Buchstabe d regelt unter anderem das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, und zwar ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Laut Artikel 3 Absatz 1 Anhang I FZA haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Als Familienangehöriger gilt unter anderem, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, der Ehegatte (vgl. Art. 3 Abs. 2 Bst. a Anhang I FZA).

Für Staatsangehörige von EFTA-Staaten und ihre Familienangehörigen gelten analoge Bestimmungen (vgl. Art. 2 Abs. 3 AuG). Das Recht der Familienangehörigen ist ein abgeleitetes, d.h. sein Bestand hängt vom Bestand des Rechts der freizügigkeitsberechtigten Person ab.

Das FZA tangiert das Privatrecht nicht unmittelbar. Es ist jedoch umgekehrt denkbar, dass privatrechtliche Regelungen die Freizügigkeitsrechte des FZA beeinträchtigen. So auch im Fall, in dem eine Ungültigerklärung der Zwangs- oder Minderjährigenehe den Verlust des Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach Artikel 7 FZA und Artikel 3 Anhang I FZA zur Folge hat.

Unter dem FZA hat sich die Frage, inwieweit Bestimmungen des Familienrechts die Freizügigkeitsrechte natürlicher Personen beschränken können, bisher nicht gestellt.

Auch die daran anknüpfende Frage, ob Beschränkungen der Freizügigkeit eine 2226

Verletzung des FZA (insbesondere von Art. 2 FZA) darstellen können, wurde vom Bundesgericht bislang in allgemeiner Form noch nicht beantwortet. Die analoge Frage wurde auch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) bisher nicht entschieden. Obwohl die Regelung des Familienstands in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten fällt, betont der EuGH aber, dass diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, zu beachten haben (vgl. den Fall Maruko, Urteil des EuGH vom 1.4.2008, Rs. C-267/06, Rn. 59). Geht man, ohne die Frage zu beantworten, davon aus, dass die vorliegend beantragte Regelung gegen Zwangsehen eine Beschränkung der im FZA garantierten Freizügigkeitsrechte darstellt, kann diese dennoch als mit dem FZA vereinbar angesehen werden.6 Bezüglich Minderjährigenehen drängt sich jedoch eine differenzierte Betrachtung der Situation auf. Der Möglichkeit, dass eine in einem EU- oder EFTA-Staat gültig bestehende Minderjährigenehe nach einer Wohnsitznahme in der Schweiz aufgehoben werden könnte, kann eine die Freizügigkeit beschränkende Wirkung nicht von vornherein abgesprochen werden. Das grundsätzliche Verbot von Ehen mit Minderjährigen ist durch ein überwiegendes öffentliches Interesse indessen als gerechtfertigt anzusehen.

Unerlässlich ist jedoch auch bei der Ungültigerklärung einer Minderjährigenehe eine Prüfung der Verhältnismässigkeit im Einzelfall. Es ist jeweils eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei mitzuberücksichtigen sind ein im konkreten Einzelfall nur geringes individuelles Schutz-interesse, etwa aufgrund einer baldigen Volljährigkeit oder eines hohen Reifegrades der minderjährigen Person, sowie besondere Umstände, etwa eine Schwangerschaft oder Kinder, die für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen (vgl. zum Ganzen Ziff. 2.1 zu Art. 105 ZGB). Selbst wenn das FZA Beschränkungen der Freizügigkeitsrechte entgegenstehen sollte, kann die vorliegend vorgeschlagene Regelung als mit dem FZA vereinbar angesehen werden.

5.3.2

Sistierung des Bewilligungsverfahrens für den Ehegattennachzug

Auch unter dem FZA setzt das Recht auf Nachzug des Ehegatten eine gültige Ehe voraus. Das FZA hindert dabei die Schweiz grundsätzlich nicht, die Gültigkeit der Ehe nach ihren eigenen Regeln zu beurteilen (vgl. Ziff. 5.3.1). Eine Ehe, die einen der in Artikel 105 ZGB aufgeführten Tatbestände erfüllt, ist ungültig, auch wenn ihr in Bezug auf gemeinsame Kinder und die finanziellen Verhältnisse weitgehend die Wirkungen einer gültigen Ehe zuerkannt werden müssen: Bei den Tatbeständen der Ziffern 1­4 kann diese Ungültigkeit in Zusammenhang mit dem Nachzug von Ehegatten aus im Ausland geschlossenen Ehen direkt berücksichtigt werden, indem dieser Ehe a priori die Anerkennung verweigert wird. Für die Tatbestände der neuen Ziffern 5 und 6 soll hingegen gemäss dem vorgeschlagenen neuen Artikel 45a AuG die Frage der Gültigkeit nicht von den Ausländerbehörden selbst, sondern nach einer entsprechenden Klage vom zuständigen Zivilgericht beurteilt werden. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es hier um die Prüfung der Gültigkeit der Ehe und 6

Vgl. auch die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 2. Juli 2009 an das Europäische Parlament und den Rat zur Umsetzung der nicht in den Anhang des Freizügigkeitsabkommens aufgenommenen Richtlinie 2004/38/EG, KOM(2009) 313 endg., Ziff. 2.1.1.

2227

damit um die Prüfung einer Voraussetzung für den Ehegattennachzug geht. Ob die vorgezogene Prüfung der Gültigkeit der Ehe durch ein Zivilgericht und die allfällige Sistierung der Visumsausstellung zwecks Ehegattennachzug oder der Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung für den Ehegatten mit den vorstehend erwähnten Anforderungen des FZA vereinbar sind, kann nicht abschliessend beurteilt werden.

Es erscheint als mit dem FZA vereinbar, den Nachzug erst zu bewilligen, wenn ein die Gültigkeit der Ehe bestätigendes Gerichtsurteil vorliegt. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass schweizerische Gerichte oder der durch das FZA eingesetzte Gemischte Ausschuss diesbezüglich zu einer anderen Beurteilung gelangen.

2228