02.071 Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Uri, Zug, Solothurn, Appenzell Innerrhoden, Aargau und Genf vom 20. September 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Uri, Zug, Solothurn, Appenzell Innerrhoden, Aargau und Genf mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. September 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

6686

2002-1561

Übersicht Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Die Gewährleistung wird erteilt, wenn die Kantonsverfassung dem Bundesrecht nicht widerspricht. Erfüllt eine kantonale Verfassungsbestimmung diese Anforderungen, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt eine kantonale Verfassungsnorm eine dieser Voraussetzungen nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Bern: ­

Einführung einer Defizitbremse und einer Steuererhöhungsbremse;

im Kanton Uri: ­

Kantonalbank;

im Kanton Zug: ­

Majorzwahl für die Mitglieder der Gerichte;

im Kanton Solothurn: ­

Anzahl der Mitglieder des Kantonsrates und Zahl der Wahlkreise;

im Kanton Appenzell Innerrhoden: ­

Obligatorisches Finanzreferendum;

im Kanton Aargau: ­

Demokratiereform;

im Kanton Genf: ­

Obligatorisches Referendum im Bereich der Steuern;

­

Auftrag der Versorgungsbetriebe von Genf im Bereich der Abwasserreinigung.

Alle Änderungen entsprechen Artikel 51 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten.

6687

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Bern

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben in der Volksabstimmung vom 3. März 2002 der Ergänzung ihrer Verfassung durch die Artikel 101a und 101b mit 280 261 Ja gegen 74 209 zugestimmt. Mit Schreiben vom 31. Mai 2002 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Bern um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Einführung einer Defizitbremse und einer Steuererhöhungsbremse

1.1.2.1

Inhalt des neuen Textes

Neuer Text Art. 101a Defizitbremse (neu) 1 Der Voranschlag darf keinen Aufwandüberschuss ausweisen.

2 Ein Aufwandüberschuss der Staatsrechnung wird dem Voranschlag des übernächsten Jahres belastet, soweit er nicht durch Eigenkapital gedeckt ist.

3 Der Grosse Rat kann bei der Verabschiedung des Voranschlags von Absatz 1 abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen. Bei der Genehmigung der Staatsrechnung ist Absatz 2 im Umfang des im Voranschlag beschlossenen Aufwandüberschusses nicht anwendbar. Der Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

4 Der Grosse Rat kann bei der Genehmigung der Staatsrechnung von Absatz 2 in einem festzulegenden Umfang abweichen, wenn mindestens drei Fünftel seiner Mitglieder es beschliessen. Ein Fehlbetrag ist innert vier Jahren abzutragen.

Art. 101b Steuererhöhungsbremse (neu) Jede Erhöhung der Steueranlage durch den Grossen Rat, die gesamthaft zu mehr Steuereinnahmen des Kantons führt, bedarf der Zustimmung der Mehrheit seiner Mitglieder.

Mit dieser Verfassungsänderung wird in der kantonalen Verfassung das Ziel verankert, im Budget kein Defizit mehr zu haben. Ein Defizit in der Staatsrechnung muss dem übernächsten Budget belastet werden. Mit der Mehrheit von drei Fünfteln der Mitglieder des Grossen Rates kann von diesen beiden Grundsätzen abgewichen werden. Ein dadurch entstehendes Defizit muss jedoch innert vier Jahren abgetragen werden. Im Weiteren bedarf die Zustimmung zur Erhöhung der Steueranlage der Mehrheit der Mitglieder des Grossen Rates, soweit dies gesamthaft zu mehr Steuereinnahmen des Kantons führt.

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1.1.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Die Finanzhoheit ist einer der bedeutendsten Bereiche kantonaler Autonomie (Art. 3 und 43 BV; vgl. dazu auch Peter Saladin in Kommentar BV, Art. 3 Rz. 60 ff.). Artikel 100 Absatz 4 der Bundesverfassung verpflichtet Bund, Kantone und Gemeinden in allgemeiner Weise zu einem Finanzgebaren, das den Erfordernissen der Konjunkturlage Rechnung trägt (BBl 1997 I 306). Die vorliegende Änderung bewegt sich vollkommen in diesem Rahmen. Da sie weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

1.2

Verfassung des Kantons Uri

1.2.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kantons Uri haben in der Volksabstimmung vom 2. Dezember 2001 der Änderung der Artikel 54 und 92 Buchstabe f der Kantonsverfassung mit 5841 Ja gegen 2891 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 15. Januar 2002 ersucht die Standeskanzlei des Kantons Uri um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Kantonalbank

1.2.2.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text Art. 54 Kantonalbank 1 Der Kanton gewährleistet den Betrieb der Kantonalbank. Er garantiert deren Verbindlichkeiten.

2 Die Kantonalbank muss nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden. Sie hat vorwiegend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Kantons zu dienen.

Art. 92 Bst. f Der Landrat wählt: f. den Bankrat sowie die Direktion der Urner Kantonalbank.

Neuer Text Art. 54 Kantonalbank 1 Der Kanton kann eine Kantonalbank betreiben. Er garantiert deren Verbindlichkeiten.

2 Die Kantonalbank hat einen angemessenen Ertrag zu erwirtschaften. Sie dient vorwiegend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Kantons.

Art. 92 Bst. f Der Landrat wählt: f. den Bankrat.

Die Verfassungsänderung steht im Zusammenhang mit der Revision des kantonalen Gesetzes über die Kantonalbank. Die Staatsgarantie wird beibehalten, nach der 6689

Verfassung ist die Existenz einer Kantonalbank allerdings nicht mehr zwingend.

Neu wählt der Landrat nur noch den Bankrat, nicht mehr aber die Direktion der Kantonalbank.

1.2.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Die Kantone sind befugt, aber nicht verpflichtet, eine oder mehrere Kantonalbanken zu führen (Blaise Knapp, Aspects du droit des banques cantonales, in: Festschrift für U. Häfelin, Zürich 1989, S. 459 ff.). Nach Artikel 98 Absatz 1 BV hat der Bund die Aufgabe, Vorschriften über das Banken- und Börsenwesen zu erlassen und dabei der besonderen Aufgabe und Stellung der Kantonalbanken Rechnung zu tragen (Klaus A. Vallender, in: Verfassungsrecht der Schweiz, Daniel Thürer, Jean-François Aubert, Jörg Paul Müller [Hrsg.], Zürich 2001, S. 958 Rz. 7 ff.). Da die vorliegende Verfassungsänderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

1.3

Verfassung des Kantons Zug

1.3.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kanton Zug haben in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2001 der Ergänzung ihrer Verfassung durch Paragraph 78 Absatz 3 mit 15 680 Ja gegen 15 056 Ja zugestimmt. Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Zug um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Majorzwahl für die Mitglieder der Gerichte

1.3.2.1

Inhalt des neuen Textes

Neuer Text § 78 Abs. 3 (neu) 3 Die Mitglieder der Gerichte werden im Majorzverfahren gewählt.

Durch die Verfassungsänderung wird für die Wahl der Mitglieder der Gerichte das Majorzverfahren eingeführt.

1.3.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Nach Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung sind die Kantone befugt, die Ausübung der politischen Rechte für ihren Bereich selbständig zu regeln. Zudem fällt die Organisation der Gerichte im Bereich des Zivilrechts (Art. 122 Abs. 2 BV), des Strafrechts (Art. 123 Abs. 3 BV) und des Verwaltungsrechts (Art. 3 und 43 BV) in die Kompetenz der Kantone. Die vorliegende Verfassungsänderung bewegt sich vollkommen innerhalb dieser Kompetenzen. Da sie weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

6690

1.4

Verfassung des Kantons Solothurn

1.4.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kantons Solothurn haben in der Volksabstimmung vom 3. März 2002 der Änderung der Artikel 43 Absatz 3, 66 zweiter Satz und 67 Absatz 2 der Kantonsverfassung mit 51 719 Ja gegen 35 953 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 4. März 2002 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Solothurn um die eidgenössische Gewährleistung.

1.4.2

Anzahl der Mitglieder des Kantonsrates und Zahl der Wahlkreise

1.4.2.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text Art. 43 Abs. 3 3 Die Bezirke sind die Wahlkreise für kantonale Wahlen.

Art. 66 zweiter Satz ... Er* zählt 144 Mitglieder.

Art. 67 Abs. 2 Den Wahlkreisen wird vorab je ein Sitz zugeteilt. Die Verteilung der übrigen Sitze erfolgt durch Beschluss des Kantonsrates aufgrund der letzten abgeschlossenen Nachführung der kantonalen Bevölkerungsstatistik. Massgebend ist das Verhältnis der Einwohnerzahl der Wahlkreise zu derjenigen des Kantons.

2

Neuer Text Art. 43 Abs. 3 3 Die Amteien sind die Wahlkreise für die Kantonsratswahlen.

Art. 66 zweiter Satz ... Er* zählt 100 Mitglieder.

Art. 67 Abs. 2 2 Die Zuteilung der Sitze an die Wahlkreise erfolgt durch Beschluss des Kantonsrates aufgrund der letzten per Stichtag nachgeführten kantonalen Bevölkerungsstatistik. Massgebend ist das Verhältnis der Einwohnerzahl der Wahlkreise zu derjenigen des Kantons.

Durch die Verfassungsänderung wird die Anzahl der Mitglieder des Kantonsrates von 144 auf 100 herabgesetzt und die Zahl der Wahlkreise von 10 auf 5 reduziert.

Die Bestimmung, wonach jedem Wahlkreis ein Sitz garantiert ist, wurde im Weiteren aufgehoben.

*

D.h. der Kantonsrat

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1.4.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Nach Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung sind die Kantone befugt, die Ausübung der politischen Rechte für ihren Bereich selbständig zu regeln. Die vorliegende Änderung bewegt sich vollkommen in diesem Rahmen. Da sie weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

1.5

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden

1.5.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kantons Appenzell Innerrhoden haben an der ordentlichen Landsgemeinde vom 28. April 2002 der Änderung von Artikel 7ter Absatz 1 ihrer Kantonsverfassung zugestimmt. Mit Schreiben vom 29. April 2002 ersuchen Landammann und Standeskommission des Kantons Appenzell Innerrhoden um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.2

Obligatorisches Finanzreferendum

1.5.2.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text Art. 7ter Abs. 1 1 Freie Beschlüsse des Grossen Rates über einmalige Ausgaben von wenigstens 500 000 Franken oder während mindestens fünf Jahren wiederkehrende Leistungen von wenigstens 100 000 Franken unterstehen dem obligatorischen Referendum.

Neuer Text Art. 7ter Abs. 1 1 Freie Beschlüsse des Grossen Rates über einmalige Ausgaben von wenigstens 1 000 000 Franken oder während mindestens fünf Jahren wiederkehrende Leistungen von wenigstens 200 000 Franken unterstehen dem obligatorischen Referendum.

Durch die Verfassungsänderung werden die Limiten für das obligatorische Finanzreferendum von 500 000 auf 1 Million Franken für einmalige und von 100 000 auf 200 000 Franken für wiederkehrende Ausgaben erhöht.

1.5.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Nach Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung sind die Kantone befugt, die Ausübung der politischen Rechte für ihren Bereich selbständig zu regeln. Die Festlegung der Limite für das obligatorische Finanzreferendum fällt vollkommen in diese Kompetenz. Da die Änderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

6692

1.6

Verfassung des Kantons Aargau

1.6.1

Kantonale Volksabstimmung

Die Stimmberechtigten des Kantons Aargau haben in der Volksabstimmung vom 2. Juni 2002 der Änderung der Paragraphen 62 Absatz 1 Litera b, 63 Absatz 1 Literae a­e und Absätze 2 und 3, 78 Absätze 1 und 4 der Kantonsverfassung sowie der Ergänzung der Kantonsverfassung durch die Paragraphen 62 Absatz 1 Litera e, 63 Absatz 1 Litera f, 91 Absatz 2bis und 128 Absatz 5 mit 62 786 Ja gegen 37 540 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Aargau um die eidgenössische Gewährleistung.

1.6.2

Demokratiereform

1.6.2.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text § 62 Abs. 1 lit. b 1 Der Volksabstimmung unterliegen in jedem Fall: b. Gesetze, § 63 Abs. 1­3 1 Auf Begehren von 3000 Stimmberechtigten werden der Volksabstimmung unterbreitet: a. die vom Gesetz bezeichneten grundlegenden Pläne der staatlichen Tätigkeiten, wenn sie verbindlich sind, b. die vom Grossen Rat genehmigten internationalen und interkantonalen Verträge, c. Beschlüsse des Grossen Rates über neue einmalige Ausgaben von mehr als drei Millionen Franken oder über neue jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 300 000 Franken, d. Beschlüsse des Grossen Rates über die Aufnahme fremder Gelder, die zu einer Höherverschuldung des Kantons führen, e. weitere durch Gesetz bezeichnete Beschlüsse des Grossen Rates.

2 Die fakultative Volksabstimmung über neue Ausgaben betreffend Bauten und Baubeiträge darf nur ausgeschlossen und die endgültige Zuständigkeit der Behörden angeordnet werden, sofern durch Gesetz oder durch einen Beschluss des Grossen Rates, welcher der fakultativen Volksabstimmung untersteht, a. die Kosten bestimmt oder b. bei kantonalen Bauten Objekt und Standort festgelegt oder c. bei Baubeiträgen die Objekte bezeichnet sind.

3 Der Grosse Rat darf ermächtigt werden, für einen besonderen Zweck fremde Gelder aufzunehmen, sofern deren Höhe durch Gesetz oder durch einen Beschluss des Grossen Rates, welcher der fakultativen Volksabstimmung untersteht, festgelegt ist.

§ 78 Abs. 1 und 4 Der Grosse Rat erlässt in der Form des Gesetzes alle wichtigen Bestimmungen, insbesondere diejenigen, welche die Rechte und Pflichten der Bürger oder Grundzüge der Organisation des Kantons und der Gemeinden festlegen.

4 Gesetze, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, können sofort in Kraft gesetzt werden, wenn die Mehrheit aller Mitglieder des Grossen Rates die Dringlichkeit beschliesst. Diese Gesetze unterstehen der nachträglichen Volksabstimmung.

1

6693

Neuer Text § 62 Abs. 1 lit. b und e 1 Der Volksabstimmung unterliegen in jedem Fall: b. Gesetze, wenn sie nicht von der absoluten Mehrheit aller Mitglieder des Grossen Rates angenommen worden sind; ist dieses Quorum erreicht, kann ein Viertel aller Mitglieder des Grossen Rates das Gesetz gleichwohl der Volksabstimmung unterstellen, e. Grossratsbeschlüsse gemäss § 63 Abs. 1 lit. b­d und f dieser Verfassung, wenn sie nicht von der absoluten Mehrheit aller Mitglieder des Grossen Rates angenommen worden sind; ist dieses Quorum erreicht, kann ein Viertel aller Mitglieder des Grossen Rates den Grossratsbeschluss gleichwohl der Volksabstimmung unterstellen.

§ 63 Abs. 1­3 Auf Begehren von 3000 Stimmberechtigten werden der Volksabstimmung unterbreitet: a. Gesetze, b. die vom Gesetz bezeichneten grundlegenden Pläne der staatlichen Tätigkeit, wenn sie verbindlich sind, c. die vom Grossen Rat genehmigten internationalen und interkantonalen Verträge, d. Beschlüsse des Grossen Rates über neue einmalige Ausgaben von mehr als 5 Millionen Franken oder über neue jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 500 000 Franken, e. Beschlüsse des Grossen Rates über die Aufnahme fremder Gelder, die zu einer Höherverschuldung des Kantons führen, f. weitere durch Gesetz bezeichnete Beschlüsse des Grossen Rates.

2 Die Volksabstimmung über neue Ausgaben betreffend Bauten und Baubeiträge darf nur ausgeschlossen und die endgültige Zuständigkeit der Behörden angeordnet werden, sofern durch Gesetz oder durch einen Beschluss des Grossen Rates, welcher der Volksabstimmung untersteht, a. die Kosten bestimmt sind oder b. bei kantonalen Bauten Objekt und Standort festgelegt sind oder c. bei Baubeiträgen die Objekte bezeichnet sind.

3 Der Grosse Rat darf ermächtigt werden, für einen besonderen Zweck fremde Gelder aufzunehmen, sofern deren Höhe durch Gesetz oder durch einen Beschluss des Grossen Rates, welcher der Volksabstimmung untersteht, festgelegt ist.

1

§ 78 Abs. 1 und 4 Der Grosse Rat erlässt in der Form des Gesetzes alle wichtigen Bestimmungen, insbesondere diejenigen, welche die Rechte und Pflichten der Bürger oder Grundzüge der Organisation des Kantons und der Gemeinden festlegen. Er regelt den Vollzug des Bundesrechts durch Gesetz, soweit das Bundesrecht, diese Verfassung oder Gesetze nichts anderes bestimmen.

4 Gesetze, deren Inkrafttreten keinen Aufschub erträgt, können sofort in Kraft gesetzt werden, wenn die absolute Mehrheit aller Mitglieder des Grossen Rates die Dringlichkeit beschliesst.

Diese Gesetze unterstehen der nachträglichen Volksabstimmung gemäss § 62 Abs. 1 lit. b oder § 63 Abs. 1 lit. a dieser Verfassung.

1

§ 91 Abs. 2bis (neu) Der Regierungsrat kann die zum Vollzug des Bundesrechts notwendigen Bestimmungen erlassen, a. soweit das Bundesrecht den Inhalt des Ausführungsrechts im Sinne von Absatz 2 festlegt, b. in den übrigen Fällen, sofern zeitliche Dringlichkeit besteht; die Verordnungsbestimmungen verlieren spätestens zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten die Gültigkeit.

2bis

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§ 128 Abs. 5 (neu) 5 Dem Grossen Rat unterbreitete Anträge auf Erlass gesetzlicher Bestimmungen oder zur Fassung von Beschlüssen nach § 63 dieser Verfassung werden nach bisherigem Recht behandelt, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassungsänderung vom 18. Dezember 2001 beim Grossen Rat hängig waren.

Durch die Verfassungsänderung wird das obligatorische Gesetzesreferendum gelockert. Gesetze unterstehen künftig nur noch dann dem obligatorischen Referendum, wenn sie umstritten sind, d.h. wenn weniger als die absolute Mehrheit der Mitglieder des Grossen Rates zugestimmt haben. Hingegen wird das obligatorische Referendum für Finanzbeschlüsse des Grossen Rates eingeführt, welche von weniger als der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Grossen Rates beschlossen wurden und eine bestimmte Limite übersteigen. In beiden Fällen kann aber ein Viertel der Mitglieder des Grossen Rates verlangen, dass auch unumstrittene Vorlagen dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Im Weiteren werden die Limiten für das Finanzreferendum erhöht und schliesslich werden die Grundlagen geschaffen, damit der Regierungsrat in bestimmten Fällen Bestimmungen zum Vollzug von Bundesrecht auf Verordnungsstufe erlassen kann.

1.6.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Nach Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung sind die Kantone befugt, die Ausübung der politischen Rechte für ihren Bereich selbständig zu regeln. Die Regelung des Gesetzesreferendums und des Finanzreferendums fällt vollkommen in diese Kompetenz. Die Festlegung des zuständigen Organs zum Erlass von Rechtsätzen fällt in die Organisationskompetenz der Kantone (Art. 3 und 43 BV), soweit nicht aufgrund spezifischer Bestimmungen des Bundesrechts, namentlich der in Artikel 36 BV verankerten Grundsätze, eine Verankerung in einem formellen Gesetz erforderlich ist. Die neuen Bestimmungen der Verfassung des Kantons Aargau tragen diesen Anforderungen Rechnung. Da die Änderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

1.7

Verfassung des Kantons Genf

1.7.1

Kantonale Volksabstimmungen

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 2. Dezember 2001 der Ergänzung ihrer Kantonsverfassung durch Artikel 53A sowie der Änderung von Artikel 54 Absatz 2 Buchstabe a mit 50 525 Ja gegen 32 974 Nein zugestimmt (Obligatorisches Referendum im Bereich der Steuern). In der Volksabstimmung vom 3. März 2002 haben sie der Änderung der Artikel 158 Absatz 1 und 158B Absatz 1 der Kantonsverfassung mit 111 186 Ja gegen 10 380 Nein zugestimmt (Auftrag der Versorgungsbetriebe von Genf im Bereich der Abwasserreinigung). Mit Schreiben vom 17. und vom 30. April 2002 ersucht der Staatsrat des Kantons Genf um die eidgenössische Gewährleistung.

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1.7.2

Obligatorisches Referendum im Bereich der Steuern

1.7.2.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text Art. 54 Abs. 2 Bst. a 2 Dem Referendum unterstellt werden können nur die speziellen Bestimmungen dieses Gesetzes1, welche: a) eine neue Steuer einführen oder eine bestehende erhöhen;

Neuer Text Art. 53A Obligatorisches Referendum im Bereich der Steuern Gesetze, welche eine neue Steuer oder die Änderung des Steuersatzes oder des Steuerobjekts betreffen, sind der obligatorischen Zustimmung der Generalversammung (die Stimmberechtigten) unterstellt.

Art. 54 Abs. 2 Bst a Dem Referendum unterstellt werden können nur die speziellen Bestimmungen dieses Gesetzes2, welche: a) eine neue Steuer einführen oder den Satz oder das Objekt einer bestehenden ändern; 2

Durch die vorliegende Verfassungsänderung wird ein obligatorisches Referendum im Bereich der Steuern eingeführt. Künftig untersteht jedes Gesetz, das eine neue Steuer einführt oder eine Änderung (Erhöhung oder Herabsetzung) des Steuersatzes oder des Objekts einer bestehenden Steuer vorsieht, dem obligatorischen Referendum.

1.7.2.2

Übereinstimmung mit dem Bundesrecht

Nach Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung können die Kantone die Ausübung der politischen Rechte auf kantonaler und kommunaler Ebene regeln. Das Bundesrecht verlangt von den Kantonen, dass sie ein Verfassungsreferendum und eine Volksinitiative auf Änderung der Verfassung vorsehen (Art. 51 Abs. 1 BV). Die Einführung weiterer Instrumente der direkten Demokratie ­ wie das Finanzreferendum oder im vorliegenden Fall das Referendum im Bereich der Steuern ­ fällt in die Kompetenz der Kantone. Die vorliegende Verfassungsänderung bewegt sich vollständig in diesem Rahmen. Da sie weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

1 2

D.h. das jährliche Gesetz über das Budget.

D.h. das jährliche Gesetz über das Budget.

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1.7.3

Auftrag der Versorgungsbetriebe von Genf im Bereich der Abwasserreinigung

1.7.3.1

Inhalt des bisherigen und des neuen Textes

Bisheriger Text Art. 158 Abs. 1 1 Die Versorgungsbetriebe von Genf (Versorgungsbetriebe) sind eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbestimmungen und des Gesetzes, das ihren Status bestimmt, autonom ist; sie haben den Zweck, den Kanton Genf mit Wasser, Gas, Strom und thermischer Energie zu versorgen sowie Abfälle zu behandeln. Sie können auch in Bereichen tätig werden, die mit dem oben genannten Zweck im Zusammenhang stehen; sie können ausserhalb des Kantons tätig werden und Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anbieten.

Art. 158 B Abs. 1 Die Versorgungsbetriebe sind, unter Vorbehalt der Anlage von Cheneviers, die im Eigentum des Staates ist, Eigentümer der Güter und Inhaber der Rechte, die ihnen für ihre Aufgabe gewidmet sind, und haften persönlich und ausschliesslich für ihre Schulden und Verpflichtungen.

1

Neuer Text Art. 158 Abs. 1 1 Die Versorgungsbetriebe von Genf (Versorgungsbetriebe) sind eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die im Rahmen der vorliegenden Verfassungsbestimmungen und des Gesetzes, das ihren Status bestimmt, autonom ist; sie haben den Zweck, den Kanton Genf mit Wasser, Gas, Strom und thermischer Energie zu versorgen sowie Abfälle zu behandeln. Den Versorgungsbetrieben obliegt auch die Aufgabe der Abwasserbeseitigung und -behandlung in dem vom Gesetz festgelegten Rahmen; diese Tätigkeit darf nicht auf Dritte übertragen werden. Sie können auch in Bereichen tätig werden, die mit dem oben genannten Zweck im Zusammenhang stehen; sie können ausserhalb des Kantons tätig werden und Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation anbieten.

Art. 158 B Abs. 1 Die Versorgungsbetriebe sind, unter Vorbehalt der Anlage von Cheneviers, der Kanalisationsanlagen und der Abwasserreinigungsanlagen, die im Eigentum des Staates sind, Eigentümer der Güter und Inhaber der Rechte, die ihnen für ihre Aufgabe gewidmet sind, und haften persönlich und ausschliesslich für ihre Schulden und Verpflichtungen.

1

Durch diese Verfassungsrevision wird den Versorgungsbetrieben von Genf die Aufgabe übertragen, für die Abwasserbeseitigung und die Behandlung des verschmutzten Abwassers in den verschiedenen Kläranlagen des Kantons zu sorgen. Die neuen Bestimmungen legen ausserdem fest, dass die neue Aufgabe der Versorgungsbetriebe von Genf keinen Übergang des Eigentums der Kanalisationsanlagen und der Abwasserreinigungsanlagen bewirken; diese bleiben im Eigentum des Staates.

1.7.3.2

Bundesrechtmässigkeit

Die Abwasserbeseitigung und -behandlung betrifft den Gewässerschutz, also einen Bereich, in dem dem Bund die Gesetzgebung obliegt (Art. 76 Abs. 3 BV). Der Bund hat diese Gesetzgebungskompetenz durch den Erlass des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 (GSchG, SR 814.20) ausgeübt, welches unter anderem den Grundsatz festlegt, dass verschmutztes Abwasser behandelt werden muss (Art. 7 6697

Abs. 1 erster Satz GSchG). Das Gesetz sieht ausserdem vor, dass die Kantone für die Erstellung öffentlicher Kanalisationen und zentraler Anlagen zur Reinigung von verschmutztem Abwasser zu sorgen haben (Art. 10 Abs. 1 GSchG). Der Vollzug dieser Verpflichtung fällt in die Kompetenz der Kantone (Art. 45 und 48 e contrario GSchG). Indem die vorliegende Verfassungsänderung die Abwasserreinigung den Versorgungsbetrieben von Genf überträgt, bewegt sie sich vollständig im Rahmen dieser Vollzugskompetenz. Da die Verfassungsänderung weder die Bundesverfassung noch sonstiges Bundesrecht verletzt, ist ihr die Gewährleistung zu erteilen.

2

Verfassungsmässigkeit

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 und 172 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig.

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