01.458 Parlamentarische Initiative Swissair-Krise: Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission Bericht der Kommission des Büros des Nationalrates vom 17. Mai 2002

Sehr geehrte Damen und Herren, Gestützt auf Artikel 55 Absatz 2 und Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetze (GVG) unterbreiten wir Ihnen diesen Bericht.

Die Mehrheit des Büros beantragt mit 7 zu 4 Stimmen, bei 1 Enthaltung, dem beiliegenden Erlassentwurf zuzustimmen.

Eine Minderheit des Büros (Fässler, Bühlmann, Günter, Maury Pasquier) beantragt, auf den Erlassentwurf nicht einzutreten.

17. Mai 2002

Im Namen des Büros Die Präsidentin: Liliane Maury Pasquier

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2002-1935

Bericht 1

Ausgangslage

Der Nationalrat beschloss am 14. März 2002 mit 89 zu 88 Stimmen, einer parlamentarischen Initiative der CVP-Fraktion Folge zu geben. Diese hatte die Einsetzung von parlamentarischen Untersuchungskommissionen (PUK) gemäss Artikel 55­65 GVG beantragt.

Die PUK sollen insbesondere prüfen, ob der Bundesrat seine Aufsicht über das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) wahrgenommen und die Erneuerung der Betriebsbewilligung gemäss Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Bundesgesetzes über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG; SR 748.0) bzw. Artikel 103 Absatz 1 Buchstabe i der Verordnung über die Luftfahrt (Luftfahrtverordnung, LFV, SR 748.01) erteilt hat. Sie haben weiter zu untersuchen, aus welchen Gründen das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO das Debakel der Swissair und dessen Folgen für die schweizerische Wirtschaft weder vorhergesehen noch sich darauf eingestellt hat.

Über ihre Feststellungen sollen die PUK dem Parlament Bericht erstatten. Sie legen die sich daraus ergebenden Verantwortlichkeiten und allfällige strukturelle Mängel offen.

Der Nationalrat folgte mit diesem knappen Entscheid einer Minderheit des Büros, welche die Notwendigkeit der Einsetzung einer PUK wie folgt begründete (vgl. auch Amtliches Bulletin 2002 N 250ff.): ­

Das ausserordentliche Instrument der parlamentarischen Untersuchungskommission PUK soll dann eingesetzt werde, wenn die ordentlichen Kontrollorgane des Parlamentes nicht genügen, um ausserordentliche Ereignisse der Bundesverwaltung zu bewältigen. Dabei geht es in erster Linie um eine politische Aufarbeitung, die dem grossen Interesse der Öffentlichkeit gerecht werden soll.

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Die Ereignisse um die Swissair sind als Vorkommnisse von grösster Tragweite zu betrachten: Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten wenig Krisen mit so weitgehenden Konsequenzen für Tausende von Mitarbeitenden und Betroffenen sowie für die Eidgenossenschaft selber erlebt. Eine lükkenlose Aufklärung des Ablaufs dieser Ereignisse und der enormen menschlichen und finanziellen Schäden, die sie nach sich gezogen haben, muss daher unbedingt und rasch erfolgen. Die Aufklärung soll die Verantwortlichkeiten für das Desaster offen legen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zivilrechtlicher, strafrechtlicher sowie öffentlichrechtlicher Art aufzeigen.

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Das grosse finanzielle Engagements des Bundes zeigt, dass es sich im vorliegenden Fall unbestritten um eine ausserordentliche Situation handelt. Der Bund hat einerseits sein Aktienpaket an der Swissair abschreiben müssen und sich anderseits ­ nicht ganz freiwillig ­ mit über 2 Milliarden an der neuen Fluggesellschaft beteiligt. Während die direkten Verantwortlichkeiten des Unternehmens und ihrer leitenden Gremien im Sonderprüfungsbericht geklärt werden, bedürfen allfällige Verfehlungen des Bundes, insbesondere des Bundesamtes für Zivilluftfahrt und des Staatssekretariates für Wirtschaft 6635

einer lückenlosen Aufklärung durch ein parlamentarisches Instrument, das mit weitergehenden Informationsrechten ausgestattet ist und über grosses politisches Gewicht verfügt.

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Eine PUK ist geeigneter als die bestehenden Kontrollorgane, die grosse Arbeit einer umfassenden Untersuchung zu bewältigen. Sie wird eine professionelle Unterstützung brauchen, die mit den bestehenden ordentlichen Mitteln nicht zu leisten ist. Auch ist eine PUK politisch breiter abgestützt als die Delegation.

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Im konkreten Fall, der insbesondere den Kanton Zürich betrifft, ist es für die untersuchende Behörde wichtig, dass kantonale Beamte nicht nur als Auskunftspersonen, sondern auch als Zeugen einvernommen werden können.

Zeugenbefragungen sind bei der Aufklärung der Aufsichtspflicht und auch bei der Frage der Unabhängigkeit der Experten des BAZL unumgänglich.

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Die Schlussfolgerungen der PUK werden weit grösseres Gewicht haben als diejenigen eines ordentlichen parlamentarischen Kontrollorgans, weil ihre ausserordentliche Stellung in der Öffentlichkeit grösseres Interesse wecken und somit den politischen Druck erhöhen wird.

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Bisherige Abklärungen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK­S) hat bereits am 10. Oktober 2001 auf das Swissair-Grounding vom 2. Oktober 2001 reagiert und die Abklärungen zur Frage der Wahrnehmung der Aufsicht durch die Bundesorgane in Sachen Swissair eingeleitet. Im Zentrum der Abklärungen stehen dabei die Aufsicht des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL), die Begleitung des Dossiers «Swissair» durch die Bundesorgane (vorwiegend während der Zeitperiode von Ende 2000 bis Ende Oktober 2001) und der Rolle des Bundes beim eigentlichen Krisenmanagement. Auch die Umstände des Groundings sollen dabei näher ausgeleuchtet werden.

Die Untersuchung der GPK-S ist hingegen klar abzugrenzen von der Untersuchung, die unter der Federführung des Sachwalters der SAirGroup läuft. So bilden etwa die Verantwortlichkeiten der Organe der SAirGroup Gegenstand der Abklärungen des Sachwalters.

Am 19. Oktober 2001 hat die zuständige Subkommission EDI/UVEK der GPK-S dem Eidgössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie dem Eidgössischen Finanzdepartement (EFD) einen umfangreichen Fragenkatalog unterbreitet. Am 5. November 2001 hat die Subkommission Vertreter des EFD, des UVEK so-wie des BAZL angehört. Am 14. Dezember 2001 hat die Subkommission einen zusätzlichen Fragenkatalog an das EFD und UVEK adressiert und verschiedene Akten einverlangt. Um die Umstände der Stilllegung der SwissairFlotte (Grounding) vom 2. Oktober 2001 näher zu beleuchten, hat die Subkommission am 14. Februar 2002 Vertreter der SAirGroup und am 4. März 2002 Vertreter der UBS und Credit Suisse Group angehört.

Auch nachdem der Nationalrat am 14. März 2002 einer Parlamentarischen Initiative der Christlichdemokratischen Fraktion zur Einsetzung einer PUK Folge gegeben hat, führte die GPK-S ihre Abklärungen weiter. Einen entsprechenden Beschluss hat 6636

die GPK-S am 5. April 2002 getroffen. Gemäss GPK-S würde es allgemein nicht verstanden, wenn die Untersuchung für rund drei Monate, d.h. bis zum endgültigen Entscheid der eidg. Räte zu einer PUK, sistiert würde. Stimmen sowohl der Nationalrat wie der Ständerat einer PUK zu, so könnten die Arbeiten der GPK-S nahtlos in die Arbeiten einer PUK überführt werden und darauf aufbauen.

Am 4. April 2002 hat die Subkommission EDI/UVEK eine Auslegeordnung zu den bisherigen Abklärungen vorgenommen. Sie stellte fest, dass zur Klärung verschiedener offener Fragen noch zusätzliche Anhörungen stattfinden und erneut Akten herausverlangt werden müssen. Ausserdem drängt sich in gewissen luftrechtlichen Fragestellungen ein Beizug von externen Experten auf. Auch in diesen komplexen Fragestellungen möchte die GPK-S seriöse Arbeit leisten, weshalb entsprechende Expertisen ohne Verzögerungen erarbeitet werden sollen.

Am 15. April 2002 hat die Subkommission eine Aussprache mit Herrn Bundespräsident Kaspar Villiger geführt. Ausserdem hat die GPK des Ständerates am 15. Mai 2002 zwei Experten beauftragt, verschiedene Fragen bezüglich der Aufsicht und Bewilligungspraxis im Zivilluftfahrtbereich abzuklären. Die Subkommission wird in den nächsten Monaten weitere Untersuchungshandlungen vornehmen und ihre Abklärungen insbesondere mit dem Sachwalter koordinieren. Die GPK des Ständerates wird den Schlussbericht zu ihrer Untersuchung in der Herbstsession 2002 vorlegen.

Die GPK-S hat seit Eröffnung der Untersuchung im vergangenen Oktober eine Menge von Informationen und Unterlagen erhalten, die u. a. für folgende Untersuchungsbereiche aufschlussreich sind: ­

die Überprüfung der Voraussetzung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anlässlich der Erteilung und Erneuerung einer Betriebsbewilligung nach Artikel 27 Absatz 2 Buchstabe c des Luftfahrtgesetzes und den entsprechenden Bestimmungen der Luftfahrtverordnung.

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die Instrumente, Mittel und Ressourcen des BAZL bei der Wahrnehmung der Aufsicht

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die Wahrnehmung der Auskunfts- und Meldepflicht gemäss Artikel 107 der Luftfahrtverordnung durch die Swissair

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die Kontrollen des BAZL bei der Swissair und Crossair

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die Crossair-Unfälle vom 10. Januar 2000 sowie vom 24. November 2001 und deren Folgen für die Sicherheitsaufsicht

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allfällige Unterschiede im Sicherheitsstandard von Swissair und Crossair

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die Erweiterung der Betriebsbewilligung der Crossair

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die Verflechtungen des BAZL und des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU) mit Luftfahrtunternehmen

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die Kenntnisse und das Bewusstsein der Bundesorgane hinsichtlich der Finanzsituation bei der Swissair

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die Rolle des Bundes beim Krisenmanagement

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die Umstände um den Zeitpunkt des Groundings herum

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die Rolle des Bundes als Aktionär (damals und bei der neuen Fluggesellschaft auf Basis der Crossair).

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Anhörung des Bundesrates

Vgl. Stellungnahme vom 29. Mai 2002 (vgl. Art. 55 Abs. 2 GVG).

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Erwägungen des Büros

Das Büro hatte in seinem Bericht vom 4. Februar 2002 mit 7 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben.

Gemäss Entscheid des Nationalrates vom 14. März 2002 unterbreitet es den beiliegenden Bundesbeschluss mit dem entsprechenden Bericht dem Rat.

Das Büro hat auf eine zweite materielle Diskussion zur parlamentarischen Initiative verzichtet. Es verweist auf die Diskussion vom 14. März 2002 im Nationalrat (vgl.

AB 2002 N 250 ff.).

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 1 Die Büros beider Räte bestimmen die Grösse der PUK. Sie wählen das Präsidium und das Vizepräsidium und wählen die Mitglieder gemäss ihren Geschäftsreglementen.

Die beiden Untersuchungskommissionen können sich für die Ermittlungen und für eine gemeinsame Berichterstattung zusammenschliessen, sofern die Mehrheit der Mitglieder jeder Kommission zustimmt (Art. 57 GVG). Schliessen sich die beiden Untersuchungskommissionen zusammen, werden die Bestimmungen über die Einigungskonferenz (Art. 17 Abs. 2 und 3 sowie 18 GVG) sinngemäss angewendet.

Die bisher gebildeten PUK haben sich für ihre Arbeiten zusammengeschlossen und bestanden aus gleich vielen Mitgliedern jedes Rates: Die PUK EJPD (1989) bestand aus 14 Mitgliedern, die PUK EMD (1990) und die PUK PKB (1995) bestanden aus je 10 Mitgliedern.

Art. 2 und 3 Die PUK hat nach dem Text der parlamentarischen Initiative zu prüfen ­

ob der Bund seine Aufsichtspflicht gegenüber der Zivilluftfahrt wahrgenommen hat

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die Verantwortlichkeiten des Bundes für die Ereignisse im Zusammenhang mit der Swissair-Krise

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ob für die zuständigen Departemente und Ämter die wirtschaftlich problematische Lage der Fluggesellschaft nicht vorsehbar gewesen wäre.

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Art. 4 Gemäss Artikel 19 des Geschäftsreglementes des Nationalrates und Artikel 12 des Geschäftsreglementes des Ständerates können sich Kommissionsmitglieder für einzelne Sitzungen vertreten lassen. Dieses Recht soll für die PUK ausgeschlossen werden. Damit wird die Kontinuität der Arbeiten der PUK gesichert und die Vertraulichkeit der Arbeiten in einem höheren Grade gewährleistet. Der Ausschluss der Stellvertretungsmöglichkeit galt bisher in allen eingesetzten PUK und hat sich bewährt.

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Auswirkungen

6.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Das Parlament spricht einen Verpflichtungskredit von 2 Millionen Franken. Dieser wird verwendet für: ­

Sitzungen der PUK (Entschädigungen an die Kommissionsmitglieder)

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Sekretariat der PUK (1 Sekretär/in + 1 stv. Sekretär/in + 1 admin. Sekretär/in),

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Expertenhonorare

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Protokollführung

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Übersetzungen

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Infrastruktur (Büroräumlichkeiten, Informatikmittel, usw.)

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Ersatz für das Personal der Parlamentsdienste, das für die PUK eingesetzt wird

6.2

Andere Auswirkungen

Artikel 65 GVG regelt die Auswirkungen, welche die Einsetzung einer PUK auf andere Verfahren und die Arbeiten anderer Kommissionen hat. Sobald die Bundesversammlung die Einsetzung von Untersuchungskommissionen beschlossen hat, müssen andere parlamentarische Arbeiten eingestellt werden. Weiter dürfen beispielsweise auch personalrechtliche Untersuchungen oder Administrativuntersuchungen des Bundes, welche Sachverhalte oder Personen treffen, die Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung sind nur mit Ermächtigung der PUK angehoben werden. Laufende Verfahren müssen unterbrochen und können nur mit der Bewilligung der PUK fortgesetzt werden.

Die Einsetzung einer PUK hindert aber nicht die Durchführung von zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie von Voruntersuchungen und Gerichtsverfahren in Strafsachen (vgl. Art. 65 Abs. 2GVG).

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