02.025 Botschaft betreffend das Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden betreffend die interterritoriale Zusammenarbeit vom 8. März 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über das Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden betreffend die interterritoriale Zusammenarbeit mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. März 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-0316

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Übersicht Das Protokoll Nr. 2 zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden betreffend die interterritoriale Zusammenarbeit erweitert den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens auf die grenzüberschreitende Kooperation zwischen Regionen und örtlichen Behörden, die keine gemeinsame Staatsgrenze mit ausländischen Gebietskörperschaften haben. Dies geschieht rechtstechnisch auf einfachste Weise durch Verweis auf das Rahmenübereinkommen und dessen erstes Zusatzprotoll betreffend die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Einleitung

Das Protokoll Nr. 2 vom 5. Mai 1998 ergänzt das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden (nachstehend Rahmenübereinkommen oder Madrider Übereinkommen; SR 0.131.1). Ein erstes Protokoll (Zusatzprotokoll) ist 1995 angenommen worden. In seiner diesbezüglichen Botschaft vom 13. August 1997 (BBl 1997 IV 610) hat der Bundesrat die völkerrechtliche Entwicklung im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dargestellt.

Das Rahmenübereinkommen vom 21. Mai 1980 bildet eine gemeinsame allgemeine Rechtsgrundlage zur Förderung der regionalen und örtlichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa. Das Zusatzprotokoll vom 9. November 1995 ist ein Referenztext für die Klärung der rechtlichen Fragen, die sich beim Abschluss von Vereinbarungen über grenzüberschreitende Zusammenarbeit stellen können. Das Protokoll entstand auf Grund der Notwendigkeit, angesichts der unterschiedlichen innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsame Grundlagen auszuarbeiten, und dies umso mehr, als inzwischen die Länder Mittel- und Osteuropas dem Europarat beigetreten waren.

Bekanntlich ist das Rahmenübereinkommen für die Schweiz seit 1982 in Kraft; ihm sind 27 Mitgliedstaaten des Europarates beigetreten, darunter alle unsere Nachbarländer. Das Zusatzprotokoll ist am 1. Dezember 1998 in Kraft getreten, nachdem die Schweiz es ratifiziert hatte. Von den Nachbarländern sind Deutschland und Frankreich Vertragsparteien, während Österreich und Italien das Zusatzprotokoll nur unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben.

Gegenstand des Protokolls Nr. 2 ist die interterritoriale Zusammenarbeit. Darunter wird die Zusammenarbeit zwischen nicht aneinandergrenzenden Gebietskörperschaften verstanden, die im Rahmenübereinkommen nicht geregelt ist.

Die Notwendigkeit, der interterritorialen Zusammenarbeit eine Rechtsgrundlage zu geben, ist von der Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas (CPLRE), heute Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, festgestellt worden. 1993 nahm die CPLRE eine Erklärung an, in der sie dem Ministerkomitee empfahl, einen Entwurf für ein Übereinkommen zur interterritorialen Zusammenarbeit zu verfassen. Das Ministerkomitee beauftragte sodann die für die örtlichen und regionalen Behörden sowie die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit zuständigen zwischenstaatlichen Gremien, sich mit diesem Vorhaben zu befassen. Die Sachverständigen sind zum Schluss gekommen, dass es nicht sinnvoll ist, ein besonderes Übereinkommen über die interterritoriale Zusammenarbeit auszuarbeiten, denn dieser Bereich kann durchaus unter Bezugnahme auf das Madrider Übereinkommen und sein Zusatzprotokoll behandelt werden, da es um analoge Probleme geht.

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Das Protokoll Nr. 2 ist am 5. Mai 1998 zur Unterzeichnung aufgelegt worden und am 1. Februar 2001 in Kraft getreten. Die Schweiz hat es am 29. November 2001 unterzeichnet.

1.2

Bedeutung des Protokolls Nr. 2 für die Schweiz

Das Madrider Übereinkommen gilt für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen benachbarten Gebietskörperschaften. In der Schweiz sind dies die Grenzgemeinden und die Grenzkantone, wobei diese Zusammenarbeit in der Praxis auch die Binnenkantone interessiert.

Das Protokoll Nr. 2 wird eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den nicht aneinandergrenzenden Regionen ermöglichen, also ungeachtet dessen, ob sie an eine Staatsgrenze stossen oder nicht. Es werden sich somit alle Kantone und Gemeinden darauf stützen können. Das Protokoll Nr. 2 wird die interterritoriale Zusammenarbeit zwischen den Binnenkantonen und anderen europäischen Regionen fördern. Die Bedeutung des Protokolls Nr. 2 für die Schweiz liegt darin, dass es Grenz- und Binnenkantone gleich behandelt, und zwar auch auf völkerrechtlicher Ebene.

Was das innerstaatliche Recht betrifft, so gelten die Bestimmungen der Bundesverfassung betreffend die Beziehungen der Kantone mit dem Ausland für alle Kantone.

Artikel 56 der Bundesverfassung unterscheidet ebenso wenig wie die Artikel 9 und 10 der Verfassung von 1874 zwischen Grenzkantonen und Binnenkantonen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass diese Bestimmungen diejenigen Beziehungen der Kantone zu ausländischen Behörden regeln, welche die Form völkerrechtlicher Verträge annehmen. Informelle Beziehungen und privatrechtliche Verträge sind nicht betroffen. Artikel 56 Absatz 2 der Bundesverfassung schreibt vor, dass die Kantone vor dem Abschluss von Verträgen mit dem Ausland die Bundesbehörden zu informieren haben. Diese Informationspflicht hat die Genehmigung durch den Bundesrat nach der alten Verfassung ersetzt. Die Befugnisse der Gemeinden sind vom kantonalen Recht geregelt.

Das Protokoll Nr. 2 ist ferner wichtig im Hinblick auf das Programm INTERREG III der Europäischen Union betreffend die interregionale Zusammenarbeit. In der Schweiz ist diese Art der Zusammenarbeit ­ ausser bei der Städtekooperation ­ noch nicht sehr weit entwickelt. Das Protokoll Nr. 2 wird eine Intensivierung der interregionalen ­ oder interterritorialen ­ Zusammenarbeit ermöglichen, die sich nicht, wie der Bundesrat unterstrichen hat, auf die städtischen Agglomerationen begrenzen darf, sondern auch grössere Gebiete sowie die ländlichen und die Bergregionen einbeziehen soll; diese könnten dann von den
Erfahrungen und Kenntnissen anderer europäischer Regionen profitieren (vgl. Botschaft vom 17. Febr. 1999 über die Förderung der Beteiligung der Schweiz an der Gemeinschaftsinitiative für grenzüberschreitende, transnationale und interregionale Zusammenarbeit [INTERREG III] in den Jahren 2000­2006; BBl 19992671, Ziff. 122.3). Die schweizerische Beteiligung an der Gemeinschaftsinitiative INTERREG III, die aus drei Teilen besteht (A. grenzüberschreitende Zusammenarbeit, B. transnationale Zusammenarbeit, C. interregionale Zusammenarbeit), wird geregelt durch das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999 (SR 616.9) und die Verordnung vom 22. November 2000

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(SR 616.92; vgl. insbesondere Art. 3 mit Bezug auf die interregionale Zusammenarbeit).

1.3

Vernehmlassung

Die Vernehmlassung fand zwischen Mai und August 2001 statt. Es wurden alle Kantone sowie die Sektion Schweiz des Rates der Gemeinden und Regionen Europas, der Schweizerische Städteverband und der Schweizerische Gemeindeverband konsultiert. Alle Kantone haben den Beitritt der Schweiz zum Protokoll Nr. 2 begrüsst. In gleichem Sinne haben sich der Städte- und der Gemeindeverband geäussert.

2

Besonderer Teil

2.1

Allgemeine Bemerkungen zum Protokoll Nr. 2

Mit dem Protokoll Nr. 2 will der Europarat den Geltungsbereich des Rahmenübereinkommens und seines Zusatzprotokolls erweitern. Diese beiden multilateralen Rechtsinstrumente betreffen in der Tat nur die Grenzregionen und gelten ausschliesslich für diejenigen regionalen und örtlichen Gebietskörperschaften der Vertragsstaaten, die eine gemeinsame zwischenstaatliche Grenze haben. Das Protokoll Nr. 2 dehnt deren Anwendungsbereich auf die Zusammenarbeit sowohl zwischen nicht aneinandergrenzenden regionalen und örtlichen Gebietskörperschaften von Staaten mit gemeinsamer Grenze, wie auch zwischen Gebietskörperschaften in Staaten ohne gemeinsame Grenze aus.

Da es das Ziel der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist, die europäische Integration auf regionaler Ebene zu fördern, muss die Entstehung eines Gefälles zu den Regionen vermieden werden, die, obwohl sie nicht an einer Staatsgrenze liegen, ebenfalls an der Intensivierung des Austauschs und der Beziehungen auf europäischer Ebene teilnehmen möchten. Aus diesem Grund müssen die mit dem Rahmenübereinkommen und seinem Zusatzprotokoll geschaffenen rechtlichen Grundlagen für alle Gebietskörperschaften ungeachtet ihrer geografischen Situation gelten.

Angesichts der Tatsache, dass viele Regionen bereits in hohem Masse interterritorial zusammenarbeiten, hat der Europarat einen rechtlichen Bezugsrahmen schaffen wollen, um diese Form der Zusammenarbeit verstärkt zu fördern. Die für das Protokoll Nr. 2 verwendete Gesetzestechnik ist die des Verweises auf das Rahmenübereinkommen und sein Zusatzprotokoll.

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2.2

Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen

Die Präambel enthält allgemeine Erwägungen, die oben bereits angesprochen wurden.

Artikel 1 Die interterritoriale Zusammenarbeit wird definiert als eine Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften, die keine gemeinsamen Grenzen haben, und wird damit unterschieden von der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen benachbarten Gebietskörperschaften.

Artikel 2 Diese Bestimmung greift Artikel 1 des Zusatzprotokolls auf und bekräftigt das Recht der Gebietskörperschaften und Behörden, im Rahmen der Zuständigkeiten, die ihnen die innerstaatliche Rechtsordnung zuerkennt, und unter Beachtung der internationalen Verpflichtungen der betroffenen Vertragsstaaten mit Gebietskörperschaften und Behörden anderer Staaten Vereinbarungen über interterritoriale Zusammenarbeit zu schliessen. Was die Schweiz betrifft, so wird auf die Erwägungen unter Ziffer 1.2 verwiesen.

Absatz 2 legt fest, dass eine Vereinbarung über interterritoriale Zusammenarbeit ausschliesslich diejenigen Gebietskörperschaften oder Behörden verpflichtet, die sie geschlossen haben.

Artikel 3 und 4 Diese Bestimmungen verweisen auf das Rahmenübereinkommen und sein Zusatzprotokoll als die für interterritoriale Zusammenarbeit massgeblichen völkerrechtlichen Instrumente. Um den allfälligen spezifischen Erfordernissen der beiden Formen von Zusammenarbeit Rechnung zu tragen, sieht das Protokoll Nr. 2 die sinngemässe Anwendung der beiden Rechtsinstrumente («mutatis mutandis» in der französischen Originalfassung) vor.

Infolgedessen gelten die Erläuterungen zum Rahmenübereinkommen und zum Zusatzprotokoll, namentlich die erläuternden Berichte des Europarates und die Botschaften des Bundesrates (BBl 1981 II 833; 1997 IV 610), auch für das Protokoll Nr. 2, und zwar in dem Masse, als diese beiden Rechtsinstrumente auf die interterritoriale Zusammenarbeit anwendbar sind.

Artikel 5 Dieser Artikel präzisiert die Bedeutung der Formulierung «sinngemäss».

Artikel 6 Der Verweis auf das Zusatzprotokoll macht es erforderlich, auf Artikel 8 dieses Protokolls zurückzukommen, der die Anwendung der Artikel 4 und 5 betrifft.

Artikel 4 des Zusatzprotokolls sieht vor, dass eine Einrichtung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dem Recht des Staates untersteht, in dem sie ihren Sitz hat.

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Die anderen Vertragsstaaten der an der Vereinbarung beteiligten Gebietskörperschaften verpflichten sich, die Rechtspersönlichkeit der Einrichtung in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht anzuerkennen. Artikel 5 bietet darüber hinaus die Möglichkeit, öffentlichrechtliche Einrichtungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einzusetzen, die öffentlichrechtliche Massnahmen im Hoheitsgebiet aller an der Vereinbarung beteiligten Gebietskörperschaften treffen können.

Der Bundesrat schlägt den Kantonen vor, sich ausschliesslich für die Anwendung von Artikel 4 des Zusatzprotokolls auszusprechen, wie er es bereits bei dessen Genehmigung getan hatte. Diese Erklärung kann jederzeit dahingehend abgeändert werden, dass auch Artikel 5 des Zusatzprotokolls zur Anwendung gelangt. Von den Staaten, die das Protokoll Nr. 2 ratifiziert haben, erklärten Deutschland, die Slowakei und Schweden, dass sie ausschliesslich Artikel 4 des Zusatzprotokolls anwenden würden; Luxemburg wendet die Artikel 4 und 5 an, und die Niederlande haben keine diesbezügliche Erklärung abgegeben, hatten jedoch im Hinblick auf das Zusatzprotokoll geäussert, sie würden beide Artikel anwenden.

Artikel 7 Vorbehalte zu den Bestimmungen des Zweiten Zusatzprotokolls sind nicht zulässig.

Artikel 8 bis 12 Diese Artikel enthalten die Schlussbestimmungen formeller Art. Beizufügen ist, dass dem Protokoll Nr. 2 nur Staaten beitreten können, die Vertragsstaaten des Rahmenübereinkommens sind (Art. 8 Abs. 2).

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Der Beitritt zum Protokoll bringt keine finanziellen Verpflichtungen, weder für den Bund noch für die Kantone.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1999­2003 nicht erwähnt (BBl 2000 2276). Sie entspricht indessen der Zielsetzung der Aussenpolitik, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern.

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5

Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage für den Beitritt zum Protokoll Nr. 2 ist Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung, der dem Bund die allgemeine Kompetenz im Bereich der Aussenbeziehungen überträgt. Das Protokoll unterliegt nach Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung der Genehmigung durch die Bundesversammlung.

Das Protokoll ist jederzeit kündbar, sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor und führt keine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Es untersteht somit nicht dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.

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