02.064 Botschaft über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Estland vom 11. September 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über das am 11. Juni 2002 unterzeichnete Abkommen mit der Republik Estland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. September 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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2002-1845

Übersicht Am 11. Juni 2002 wurde mit der Republik Estland ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen unterzeichnet.

Das neue Abkommen bietet Personen mit steuerlichen Bezugspunkten zu beiden Staaten und speziell den investierenden Unternehmen neben der Beseitigung der Doppelbesteuerung auch einen gewissen institutionellen Schutz im Fiskalbereich.

Es begünstigt neue Investitionen und stellt zudem sicher, dass die schweizerischen Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten aus anderen Staaten keine steuerlich bedingten Wettbewerbsnachteile erleiden. Das Abkommen folgt im Wesentlichen dem Musterabkommen der OECD und der schweizerischen Abkommenspraxis.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben den Abschluss des Abkommens im Vernehmlassungsverfahren begrüsst.

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Botschaft 1

Vorgeschichte

Estland erlangte nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 seine Unabhängigkeit als souveräner Staat wieder. Das Land hat 1,4 Mio. Einwohner und weist die Regierungsform einer parlamentarischen Demokratie auf. Es ist unter anderem Mitglied von UNO, ECE/UNO, WTO und Europarat sowie der Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und IWF) und partizipiert am Baltischen Freihandelsabkommen. Die EUBeitrittsverhandlungen geniessen hohe Priorität. Bis zum Jahr 2003 hofft die Regierung, beitrittsfähig zu sein.

Im Jahre 2001 war Estland unter den drei baltischen Staaten bezüglich der Exporte der kleinste, bezüglich der Importe aber der grösste Handelspartner der Schweiz. Es besteht ein Handelsbilanzsaldo zugunsten Estlands. Seit 1997 ist im bilateralen Verhältnis das Freihandelsabkommen (EFTA) in Kraft. Laut Angaben der Estnischen Zentralbank rangierte die Schweiz im März 2001 mit ca. CHF 36,8 Mio. an zwölfter Stelle bezogen auf den Gesamtbestand aller ausländischen Investitionen.

Die Verhandlungen zum Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens haben gemeinsam mit den beiden anderen baltischen Staaten in drei Verhandlungsrunden vom 16. bis 19. Juni 1997, 12. bis 15. Januar 1999 und 26. bis 30. März 2001 stattgefunden. Sie konnten am Ende der dritten Runde mit der Paraphierung eines Abkommensentwurfes abgeschlossen werden.

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Bemerkungen zu den Bestimmungen des Abkommens

Das vorliegende Doppelbesteuerungsabkommen folgt sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht weitgehend dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeiteten Musterabkommen sowie der schweizerischen Vertragspraxis auf diesem Gebiet. Wir beschränken uns deshalb im Folgenden darauf, zentrale Merkmale des Abkommens hervorzuheben und die wesentlichsten Abweichungen vom Musterabkommen bzw. von der schweizerischen Vertragspraxis zu erläutern.

Art. 2

Unter das Abkommen fallende Steuern

Der sachliche Geltungsbereich des Abkommens umfasst die Steuern auf dem Einkommen und dem Vermögen. Die Verrechnungssteuer auf Lotteriegewinnen wird der schweizerischen Abkommenspraxis entsprechend vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeschlossen.

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Art. 4

Ansässige Person

Bei juristischen Personen gelten der Ort des Sitzes oder der Verwaltung als ansässigkeitsbegründend. Sobald auch Estland zum Konzept des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung übergeht, wird nach einer Protokollbestimmung in Fällen von Doppelansässigkeit anderer als natürlicher Personen diesem Kriterium der Vorrang eingeräumt.

Art. 5

Betriebstätten

Baustellen, Montagen, Installationen oder damit verbundene Aufsichtstätigkeiten begründen eine Betriebstätte, wenn ihre Dauer neun Monate überschreitet.

Art. 6

Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen

Einkommen aus Mieteraktiengesellschaften und vergleichbaren Körperschaften, die in Grundeigentum investiert haben und ihren Gesellschaftern die Nutzung unbeweglichen Vermögens ermöglichen, gilt auf Grund einer Protokollbestimmung als solches aus unbeweglichem Vermögen.

Art. 7

Unternehmensgewinne

Die Bestimmung folgt dem im Musterabkommen der OECD festgelegten Grundsatz, dass eine Betriebstätte nur für diejenigen Gewinne besteuert werden darf, die ihr zugerechnet werden können.

In einer Protokollbestimmung wird für Betriebstätten die Abzugsfähigkeit auf jene Aufwendungen beschränkt, welche in einem direkten Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebstätte stehen.

Art. 10

Dividenden

Im Beteiligungsverhältnis wird die Steuer zugunsten des Quellenstaats begrenzt auf 5 Prozent, wenn die Beteiligung mindestens 20 Prozent des Kapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft beträgt. Höchstens 15 Prozent beträgt sie in allen anderen Fällen.

Art. 11

Zinsen

Die Quellensteuer auf Zinsen wird generell auf 10 Prozent begrenzt.

Quellensteuerfrei sind nach dem Abkommen Zinsen auf Staatspapieren, Zinsleistungen an staatliche Institutionen oder die Nationalbank des anderen Landes, Zinsen auf staatlich garantierten Darlehen sowie Zinsen aus Kreditverkäufen zwischen nichtverbundenen Unternehmen.

Das Protokoll enthält eine automatisch wirkende Meistbegünstigungsklausel mit Bezug auf vorteilhaftere Bedingungen, welche Estland irgendeinem anderen OECDMitgliedstaat in Zukunft insbesondere hinsichtlich Bankzinsen, Zinsen bei Kreditverkäufen unter verbundenen Unternehmen oder tieferen Quellensteuersätzen einräumen könnte.

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Art. 12

Lizenzgebühren

Die Quellensteuer auf Lizenzgebühren wird generell auf 10 Prozent begrenzt.

Leasinggebühren dürfen mit einer Quellensteuer von maximal 5 Prozent belastet werden.

Das Protokoll enthält auch für Lizenzgebühren eine automatisch wirkende Meistbegünstigungsklausel mit Bezug auf vorteilhaftere Bedingungen, welche Estland irgendeinem anderen OECD-Mitgliedstaat in Zukunft einräumen könnte. Ausdrücklich erwähnt sind Änderungen am abkommensrechtlichen Lizenzbegriff, Ausnahmebestimmungen für bestimmte Lizenzgebühren oder tiefere Quellensteuersätze.

Art. 13

Gewinne aus der Veräusserung von Vermögen

Das Abkommen sieht ein Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaates bei der Veräusserung von Beteiligungen an Immobiliengesellschaften vor.

Art. 14

Selbständige Arbeit

Steuerpflichtig für sein Einkommen aus selbständiger Arbeit wird auch, wer sich als ansässige Person des einen Staates im anderen Staat innerhalb einer Zwölfmonatsperiode länger als 183 Tage aufhält.

Art. 17

Künstler und Sportler

Im Hinblick auf die Vermeidung von Missbräuchen können im Auftrittsstaat auch Einkünfte besteuert werden, die von anderen Personen vereinnahmt werden, sofern der auftretende Künstler oder Sportler an diesen Einkünften direkt oder indirekt beteiligt ist.

Das Besteuerungsrecht des Auftrittsstaates ist ausgeschlossen, wenn die betreffenden Einkünfte des Künstlers oder Sportlers in substanziellem Mass aus Subventionen des einen oder anderen Vertragsstaates herrühren.

Art. 21

Übrige Einkünfte

Das Abkommen enthält für die übrigen Einkünfte eine Zuteilungsregel zugunsten des Ansässigkeitsstaates des Empfängers.

Art. 23

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Estland vermeidet die Doppelbesteuerung mittels der Anrechnungsmethode.

Die Schweiz wendet wie üblich die Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt an und gewährt für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren die pauschale Steueranrechnung. Ferner ist festgehalten, dass Dividendeneinkünfte schweizerischer Unternehmen aus estnischer Quelle derselben steuerlichen Entlastung teilhaftig werden wie Dividendeneinkünfte aus schweizerischen Quellen.

Art. 24

Gleichbehandlung

Die Gleichbehandlungsklausel erstreckt sich ungeachtet des sachlichen Geltungsbereichs des Abkommens auf sämtliche Steuern der Vertragsstaaten.

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Art. 26

Informationsaustausch

Ins Abkommen wurde eine Auskunftsklausel aufgenommen, wie sie bereits mit anderen osteuropäischen Staaten vereinbart worden ist. Der Austausch ist beschränkt auf Informationen, welche für die Durchführung der Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens notwendig sind. Die übermittelten Informationen dürfen nur für die Veranlagung und den Einzug der vom Abkommen erfassten Steuern verwendet werden. Ausgeschlossen ist der Austausch von Informationen, die ein Handels-, Geschäfts-, Bank-, Industrie- oder Berufsgeheimnis betreffen.

Art. 27

Diplomaten und Konsularbeamte

Die Klausel entspricht der im Vergleich mit dem OECD-Musterabkommen detaillierteren schweizerischen Abkommenspraxis.

Art. 28

Inkrafttreten

Die Bestimmungen des Abkommens sind ab Anfang des Jahres anwendbar, welches dem Jahr nachfolgt, in dem das Abkommen zufolge Notifikation in Kraft getreten ist.

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Finanzielle Auswirkungen

In einem Doppelbesteuerungsabkommen verzichten beide Vertragsstaaten auf gewisse Steuereinnahmen. Für die Schweiz ergeben sich Einbussen durch die teilweise Rückerstattung der Verrechnungssteuer und durch die Anrechnung der in der Republik Estland auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren gestützt auf die Artikel 10, 11 und 12 erhobenen Quellensteuern. Die Einbussen, die sich aus der teilweisen Rückerstattung der Verrechnungssteuer an in der Republik Estland ansässige Personen ergeben, dürften nur leicht ins Gewicht fallen. Auch die in der bundesrätlichen Verordnung vom 22. August 1967 verankerte pauschale Steueranrechnung wird geringfügige Mindereinnahmen der schweizerischen Steuerhoheitsträger nach sich ziehen. Diese Einbussen, deren Ausmass mangels geeigneter Unterlagen nicht beziffert werden kann, werden aber teilweise aufgewogen durch den Umstand, dass inskünftig die aus der Republik Estland stammenden Einkünfte in der Schweiz mit dem Bruttobetrag besteuert werden, während bisher die estnische Quellensteuer zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zugelassen werden musste.

Im hier vorliegenden Abkommen konnten mit der Republik Estland Lösungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbart werden, die für die Schweiz und für die schweizerische Wirtschaft im bilateralen Verhältnis eine tragfähige Grundlage abgeben und mögliche Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Staaten, welche mit Estland ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen haben, beseitigen.

Insgesamt bringt das Abkommen für schweizerische Investoren und Exporteure wesentliche Vorteile, und man darf davon ausgehen, dass es zur Förderung schweizerischer Direktinvestitionen in Estland beitragen kann.

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Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage dieses Abkommens bildet Artikel 54 der Bundesverfassung, der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung zuständig für die Genehmigung des Abkommens. Das Abkommen ist zwar auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Es sieht weder den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor, noch führt es eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Der Bundesbeschluss unterliegt daher nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.

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Schlussfolgerungen

Das vorliegende Abkommen folgt weitgehend dem OECD-Musterabkommen und entspricht der schweizerischen Abkommenspraxis. Es schafft Rechtssicherheit und bringt schweizerischen Investoren eine erhebliche Entlastung von den estnischen Steuern. Das Abkommen dürfte sich allgemein günstig auf die weitere Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Republik Estland auswirken.

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