Bundesgesetz über die Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 60 Absatz 1 und 121 Absatz 1 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in den Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 29. Oktober 20022 und in die Stellungnahme des Bundesrates vom ...3, beschliesst:

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Gegenstand und Zweck

1

Dieses Gesetz regelt die Aufhebung von Strafurteilen gegen Personen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen zur Flucht verholfen haben (Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer), sowie die Rehabilitierung dieser Personen.

2

Es bezweckt, Strafurteile aufzuheben, deren Verhängung heute als schwerwiegende Verletzung der Gerechtigkeit empfunden wird.

Minderheit (Menétrey-Savary, de Dardel, Garbani, Gross Jost, Jutzet, Lauper, Leutenegger Oberholzer, Thanei) 1

Dieses Gesetz regelt die Aufhebung von Urteilen gegen Personen, die auf Grund ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und den Faschismus verurteilt worden sind, sowie die Rehabilitierung dieser Personen.

Art. 2

Begriff

1

Flüchtlingshelferinnen und -helfer im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, welche verurteilt worden sind, weil sie verfolgten Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus zur Flucht verhalfen oder Flüchtlinge beherbergten, ohne sie den Behörden zu melden.

2

Nicht als Flüchtlingshelferinnen und -helfer gelten Personen, welche verfolgte Menschen anlässlich der Fluchthilfe ausgenützt, im Stiche gelassen oder danach denunziert haben.

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SR 101 BBl 2002 7781 BBl ...

2002-2411

7805

Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus. BG

Minderheit (Menétrey-Savary, de Dardel, Garbani, Gross Jost, Jutzet, Lauper, Leutenegger Oberholzer, Thanei) 1

Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die auf Grund ihres einmaligen oder wiederholten Widerstandes gegen die Regime des Nationalsozialismus und des Faschismus verurteilt worden sind.

1bis

Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus sind insbesondere: a.

Personen, die im Spanischen Bürgerkrieg für die Sache der Republik kämpften;

b.

Personen, welche die französische Résistance unterstützten;

c.

Personen, die verfolgten Menschen zur Flucht verhalfen oder Flüchtlinge beherbergten, ohne sie den Behörden zu melden.

2

Nicht als Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus gelten Personen, welche die verfolgte Menschen anlässlich der Fluchthilfe ausgenützt, im Stich gelassen oder danach denunziert haben.

2. Abschnitt: Aufhebung der Strafurteile und Rehabilitierung Art. 3

Aufhebung der Strafurteile

Sämtliche rechtskräftigen Urteile der Militärjustiz sowie ziviler Strafgerichte des Bundes und der Kantone gegen Flüchtlingshelferinnen und -helfer im Sinne von Artikel 1 und 2 sind aufgehoben.

Minderheit (Menétrey-Savary, de Dardel, Garbani, Gross Jost, Jutzet, Lauper, Leutenegger Oberholzer, Thanei) Sämtliche rechtskräftigen Urteile der Militärjustiz sowie ziviler Strafgerichte des Bundes und der Kantone gegen Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus im Sinne von Artikel 1 und 2 sind aufgehoben.

Art. 4

Rehabilitierung

Alle Flüchtlingshelferinnen und -helfer im Sinne von Artikel 1 und 2 sind vollständig rehabilitiert.

Minderheit (Menétrey-Savary, de Dardel, Garbani, Gross Jost, Jutzet, Lauper, Leutenegger Oberholzer, Thanei) Alle Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus im Sinne von Artikel 1 und 2 sind vollständig rehabilitiert.

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Aufhebung von Strafurteilen gegen Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus. BG

Art. 5

Tateinheit mit anderen Straftaten

Erfolgte die Verurteilung gleichzeitig wegen anderer Straftaten, so erfasst die Aufhebung auch diese, sofern sie auf Grund einer Gesamtwürdigung als untergeordnet erscheinen.

3. Abschnitt: Rehabilitierungskommission Art. 6

Einsetzung und Organisation

1

Der Bundesrat setzt eine unabhängige Kommission zur Rehabilitierung der Personen ein, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen zur Flucht verholfen haben (Kommission).

2

Die Kommission besteht aus drei Mitgliedern. Der Bundesrat wählt die Präsidentin oder den Präsidenten und die Mitglieder.

3

Mindestens ein Mitglied der Kommission muss ausgebildete Historikerin oder ausgebildeter Historiker sein.

4

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) führt das Sekretariat der Kommission und regelt die Entschädigung der Kommissionsmitglieder.

Minderheit (Menétrey-Savary, de Dardel, Garbani, Gross Jost, Jutzet, Lauper, Leutenegger Oberholzer, Thanei)

1

Der Bundesrat setzt eine unabhängige Kommission zur Rehabilitierung der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus (Kommission) ein.

Art. 7

Aufgaben

1

Die Kommission macht den wesentlichen Inhalt des Bundesgesetzes nach dessen Inkrafttreten über die Medien bekannt.

2

Die Kommission entscheidet auf Gesuch hin oder von Amtes wegen, ob ein konkretes Strafurteil unter die Artikel 1 und 2 fällt.

3

Sie trifft ihren Entscheid nach Recht und Billigkeit und in Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles.

4

Stellt sie fest, dass ein konkretes Strafurteil unter die Artikel 1 und 2 fällt, so macht sie das Dispositiv des Entscheids in geeigneter Weise bekannt. Die Bekanntmachung darf nicht ohne Zustimmung der Gesuchstellerin oder des Gesuchsteller erfolgen.

Art. 8

Aufhebung

Der Bundesrat kann die Kommission aufheben, wenn er Grund zur Annahme hat, dass ihre Tätigkeit beendet ist.

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4. Abschnitt: Feststellungsverfahren Art. 9

Gesuch

1

Gesuche um Feststellung der Aufhebung eines konkreten Strafurteils sind an die Kommission zu richten.

2

Gesuche können gestellt werden a.

von der verurteilten Person beziehungsweise nach deren Tod von einer oder einem Angehörigen (Art. 110 Ziff. 2 StGB4);

b.

von einer Organisation mit Sitz in der Schweiz, die sich dem Schutz der Menschenrechte oder der Aufarbeitung der schweizerischen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus widmet.

Art. 10

Frist

1

Gesuche sind innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes einzureichen.

2

Auf verspätet eingereichte Gesuche kann die Kommission eintreten, wenn die Gründe für die Verspätung entschuldbar sind.

Art. 11

Nichteintreten

Auf ein Gesuch wird nicht eingetreten, wenn das entsprechende Urteil mit angemessenem Aufwand nicht mehr aufzufinden ist.

Art. 12

Feststellung des Sachverhalts

Die Kommission mit.

Art. 13

wirkt soweit erforderlich bei der Feststellung des Sachverhaltes

Verfahrenskosten

Das Verfahren vor der Kommission ist kostenlos.

Art. 14

Rechtsmittel

Die Entscheide der Kommission unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht.

Art. 15

Anwendbares Recht

Im Übrigen sind die Bestimmungen über die Bundesverwaltungsrechtspflege sinngemäss anwendbar.

4

SR 311.0

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5. Abschnitt: Rechtswirkungen der Aufhebung Art. 16 Der Feststellungsentscheid über die Aufhebung von Strafurteilen begründet weder im Hinblick auf die ausgesprochenen Strafen noch auf allfällige Nebenstrafen oder indirekte Folgen der Strafurteile einen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung.

6. Abschnitt: Referendum und Inkrafttreten Art. 17 1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

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