00.416 Parlamentarische Initiative Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV (SGK-NR) Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 6. Juli 2000

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen nach Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) den vorliegenden Bericht und überweisen ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, ihrem beiliegenden Beschlussentwurf zuzustimmen. Eine Minderheit (Egerszegi, Gutzwiller, Guisan, Heberlein) beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten.

6. Juli 2000

Im Namen der Kommission

11055

Die Präsidentin: Rosmarie Dormann

5214

2000-1675

Bericht I

Allgemeiner Teil

1

Ausgangslage

1.1

Einreichung der Parlamentarischen Initiative der SGK-Nationalrat

Anlässlich der Beratung der Vorlage des Bundesrates zur 11. AHV-Revision (00.014n) am 18. Mai 2000 wurde in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrates der Antrag für eine Kommissionsinitiative eingereicht, die verlangt, dass die für die AHV/IV erhobenen Mehrwertsteuerprozente vollumfänglich diesen Sozialversicherungen zugute kommen müssen. Artikel 2 Absatz 2 und Absatz 3, zweiter Satz des Bundesbeschlusses über die Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV vom 20. März 19981 seien deshalb zu streichen. Die Kommission stimmte dem Antrag mit 16 zu 5 Stimmen zu. Eine Minderheit (Egerszegi, Gutzwiller, Guisan, Heberlein) beantragt, der Parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben und nicht auf die Vorlage einzutreten.

Die Parlamentarische Initiative wurde nach Artikel 21bis Absatz 1 in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht. Eine Vorprüfung durch den Rat ist nicht nötig, weil die Kommission dem Entwurf zugestimmt hat (Art. 21ter Abs. 3 GVG).

1.2

Zugrunde liegende Erlasse

Grundlage der Diskussion über die Parlamentarische Initiative bilden die in den folgenden Abschnitten angeführten Erlasse.

1.2.1

Bundesbeschluss über Massnahmen zur Erhaltung der Sozialversicherung vom 18. Juni 1993 2

Am 18. Juni 1993 beschloss die Bundesversammlung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 18. Dezember 19913, einen Artikel zur Sicherung der Finanzen in der Sozialversicherung aufzunehmen. Der neue Artikel 41ter Absatz 3bis lautete: «Ist wegen der Entwicklung des Altersaufbaus die Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge nicht mehr gewährleistet, so kann der Satz der Umsatzsteuer zu deren Sicherstellung mit einem allgemein verbindlichen, dem fakultativen Referendum unterstellten Bundesbeschluss um höchstens einen Prozentpunkt angehoben werden.» In der Volksabstimmung vom 28. November 1993

1 2 3

BBl 1998 1469 BBl 1993 873 (Änderung der Bundesverfassung) BBl 1992 785 (Vorlage des Bundesrates zum Ersatz der Finanzordnung und zu den besonderen Verbrauchssteuern).

5215

wurde die neue Verfassungsbestimmung zusammen mit der Einführung der Mehrwertsteuer angenommen und ist seit 1. Januar 1995 in Kraft (Art. 130 Abs. 3 neue BV).

Der Entstehungsgeschichte dieser Verfassungsbestimmung ist zu entnehmen, dass das Kriterium der demographischen Entwicklung für die Erhebung des Mehrwertsteuerprozents sehr bewusst in den Verfassungstext aufgenommen wurde. Dies zeigen insbesondere die Beratungen im Parlament. Die Regelung von Artikel 41ter Absatz 3bis alte Bundesverfassung war in der Vorlage des Bundesrates zum Ersatz der Finanzordnung und zu den besonderen Verbrauchssteuern nicht enthalten. Sie ist im Rahmen der Neuordnung der Bundesfinanzen 1993 von der nationalrätlichen Kommission vorgeschlagen worden. In den Debatten der beiden Räte wurde das Kriterium der demographiebedingten Finanzierungsschwierigkeiten explizit erörtert4 und im Nationalrat ist ein Antrag, welcher den Satzteil «wegen der Entwicklung des Altersaufbaues» streichen und somit die Erhöhung der Mehrwertsteuer für jeden möglichen Finanzierungsengpass bei der AHV oder IV zulassen wollte, verworfen worden (AB 1993 N 441 f.).

1.2.2

Bundesbeschluss über die Anhebung der Mehrwertsteuersätze vom 20. März 1998

Mit Botschaft vom 1. Mai 1997 legte der Bundesrat dem Parlament den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV vor5. Mit Schlussabstimmung vom 20. März 1998 nahmen die Räte die Vorlage an.

Während den Beratungen hatte der Ständerat eine Änderung eingefügt, die noch deutlicher zum Ausdruck bringt, dass die Einnahmen für die AHV und IV zweckgebunden sind.

1.2.3

Botschaft des Bundesrates zur 11. AHV-Revision

Mit Botschaft vom 2. Februar 2000 unterbreitet der Bundesrat den Räten den Entwurf zur 11. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung und die mittelfristige Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung6. Darin schlägt er eine stufenweise Erhöhung der für die AHV/IV erhobenen Mehrwertsteuerprozente um 2,5 Prozent im Jahr 2006 vor. 17 Prozent des Mehrwertsteuerertrages für die AHV und 18,75 Prozent der Mehreinnahmen für die IV sollen wie bisher der Rückstellung des Bundes für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung gutgeschrieben werden. In der Botschaft finden sich dazu folgende Ausführungen 7: «Die Beibehaltung der gegenwärtigen Finanzierungsanteile bei den Ausgaben (20% für die AHV und 50% für die IV) verursacht in den Budgets der verschiedenen Gemeinwesen jedes Jahr eine steigende Belastung, in absoluten wie in relativen Zahlen. Dies erklärt sich durch die Tatsache, dass die Ausgaben der AHV und vor allem der IV rascher anwachsen als die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand. Für den Bund, der den Hauptteil der finanziellen Beteiligung der öffentlichen Hand zu tra4 5 6 7

AB 1993 NR 441 f; AB 1993, SR 344.f BBl 1997 741 BBl 2000 1865 Kapitel 311.232

5216

gen hat, stellt die demographische Entwicklung ein ebenso grosses finanzielles Problem dar wie für die beiden Sozialversicherungszweige selbst. Die in der 11. AHV-Revision vorgesehenen neuen Finanzierungsmassnahmen müssen folglich auch der Stabilisierung der zusätzlichen Budgetbelastung dienen, die aus der Ausgabenentwicklung der AHV und der IV resultiert. Hier muss man wieder ­ und aus denselben Gründen ­ auf das Prinzip zurückgreifen, das sich bereits bei der Verwendung der Erträge aus dem 1999 eingeführten zusätzlichen MWST-Punkt durchgesetzt hat. Unter der Annahme, dass der zusätzliche Finanzierungsbedarf der AHV und der IV bis ins Jahr 2010 durch MWST-Erhöhungen gedeckt wird, schlagen wir vor, einen Teil dieser neuen MWST-Einnahmen in die zur Finanzierung dieser Sozialwerke vorgesehenen Reserven des Bundes fliessen zu lassen. Der Anteil der Einnahmen soll den Anteil des Bundes an den Ausgaben von AHV und IV nicht übersteigen.

Es ist jedoch keine entsprechende Entlastung bei den Kantonen vorgesehen. Der Bund kann sich lediglich auf zwei Haupteinnahmequellen (Direkte Bundessteuer, Mehrwertsteuer) stützen. Zudem ist der Anteil der Kantone für die Finanzierung von AHV/IV kleiner und wird mit dem Neuen Finanzausgleich ganz wegfallen.

Diese neuen zweckgebundenen Einnahmen für den Bund sind keineswegs dazu da, die gegenwärtigen Stabilisierungsbemühungen für die Bundesfinanzen überflüssig zu machen. Sie erlauben es lediglich, eine neue überdurchschnittlich ansteigende Belastung des Bundesbudgets aufgrund der demographischen Alterung zu vermeiden, und verhindern damit das Risiko einer zukünftigen Verschlechterung der Budgetsituation aufgrund demographischer Faktoren. Die Gefahr einer Nutzung der Einnahmen der MWST für AHV und IV zu Gunsten der Sanierung der Bundesfinanzen wird dadurch ausgeschlossen, dass der Anteil für den Bund im Maximum dem Anteil seiner Finanzierung an der AHV und IV beträgt. Die entsprechenden Einnahmen müssen dazu zweckgebunden den Reserven des Bundes für diese Versicherungszweige zugewiesen werden.»

2

Entwicklung des Beitrages der öffentlichen Hand von 1948 bis 1999 8

Der Beitrag der öffentlichen Hand an die AHV (siehe Tab. 1) war von 1948 bis 1963 auf 160 Mio. Franken pro Jahr festgelegt. Dieser Betrag vermochte 1948 und 1949 die Jahresausgaben der AHV vollumfänglich zu decken, entsprach indes 1963 nur noch rund 15 Pro zent der AHV-Jahresausgabe.

Ab 1964 wurde der Beitrag auf 350 Millionen Franken erhöht, was 1968 noch rund 17 Prozent der AHV-Jahresausgabe deckte.

Seit 1969 wird der Beitrag nicht mehr als fixer Frankenbetrag, sondern in Prozentpunkten der AHV-Jahresausgaben festgelegt. 1969 wurde der Beitrag der öffentlichen Hand an die Ausgaben der AHV auf mindestens 20 Prozent festgelegt. Drei Viertel des Beitrages (15% der Jahresausgabe) waren durch den Bund, ein Viertel (5% der Jahresausgabe) durch die Kantone zu übernehmen. Im Rahmen der 8.

AHV-Revision (in Kraft am 1. Jan. 1973) wurde dieser Prozentsatz für die Zeit ab 1978 auf mindestens 25 Prozent erhöht (der Verteilschlüssel zwischen Bund und 8

Die Kapitel 2 und 3 finden sich im Bericht über die Entwicklun g des Bundesanteils an die AHV und seine Zusammensetzung (Auftrag Bortoluzzi), BSV, Mai 2000.

5217

Kantonen wurde nicht geändert). Diese Gesetzesbestimmung wurde aber nie wirksam. In Folge der schlechten Finanzlage des Bundes wurde sein Beitrag ab 1975 auf 14 Prozent, für 1976 und 1977 gar auf 9 Prozent reduziert. Der Beitrag der öffentlichen Hand wurde erst in den Jahren 1978, 1980 und 1982 wieder schrittweise auf 20 Prozentpunkte angehoben. Mit dem Bundesbeschluss vom 19. Juni 1992 über Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV wurde der Bundesbeitrag an die AHV auf den 1. Januar 1993 auf 17,5 Prozent erhöht. Auf den gleichen Zeitpunkt trat aber der Bundesbeschluss über lineare Beitragskürzungen in den Jahren 1993­ 1995 sowie die Verordnung über die Ausnahmen von der linearen Beitragskürzung in Kraft, welche den Bundesanteil um 5 Prozent senkten. Mit dem Bundesbeschluss vom 13. Dezember 1996 über den befristeten Verzicht auf den Beitrag des Bundes an die AHV zur Mitfinanzierung der Kosten für das vorgezogene Rentenalter wurde der mit der 10. AHV-Revision beschlossene Sonderbeitrag des Bundes bis 2013 von 170 Millionen Franken pro Jahr für die Jahre 1997­2002 gestrichen.

Die Beitragskürzungen der 90er Jahre hatten erhebliche Auswirkungen auf den Ausgleichsfonds der AHV: Durch die Reduktionen von 17,5 Prozent auf 16,625 Prozent in den Jahren 1993­1995 und von 17,5 Prozent auf 17,0 Prozent ab 1996 sowie den Verzicht auf den Sonderbeitrag für das flexible Rentenalter entlastete sich der Bund zwischen 1993 und Ende 1999 um insgesamt 1650 Millionen Franken zu Lasten der AHV. Die im Rahmen des Stabilisierungsprogramms 1998 beschlossene Reduktion des Bundesbeitrages auf 16,36 Prozent ab 1999 hat dagegen keine Auswirkungen auf die AHV, da der Kantonsanteil entsprechend erhöht wurde.

Vergleicht man den Bundesbeitrag an die AHV mit dem Anteil der Kantone, so ist über den Zeitraum 1948­1990 eine deutliche Verlagerung der Gewichte in Richtung Bundesbeitrag festzustellen: Leistete der Bund 1948 das Doppelte der Kantonsbeiträge, so war es 1990 mehr als das Fünffache. Gemäss Artikel 104 AHVG kann der Bund zur Finanzierung seines Beitrages auf eine Tabak- und Alkoholsteuer zurückgreifen. Bis 1972 deckten diese Abgaben den Bundesbeitrag in vollem Umfang (siehe Tab. 2), im vergangenen Jahrzehnt entsprachen sie noch etwas mehr als einem Drittel des Bundesbeitrages an die AHV. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Steuererträge aus Tabak und Alkohol auch für die Deckung des Bundesbeitrages an IV und EL bestimmt sind.

Seit 1999 beansprucht der Bund auch 17 Prozent des für die AHV erhobenen Mehrwertsteuerprozents für die Deckung des Bundesbeitrags AHV, es waren dies im Jahr 1999 rund 256 Millionen Franken.

5218

Tabelle 1 Beiträge der öffentlichen Hand an die AHV in Millionen Franken, bzw. in Prozentpunkten der AHV-Jahresausgaben Jahr

Bund

Kantone

Total

1948­1963

106,7 Mio.

53,3 Mio.

1964­1968

262,5 Mio.

87,5 Mio.

1969­1974 1975 1976­1977 1978­1979 1980­1981 1982­1985 1986 1987­1989 1990­1992 1993­1995 1996­1998 1999

15,0% 770 Mio.

9,0% 11,0% 13,0% 15,0% 15,5% 16,0% 17,0% 16,625% 17,0% 16,36%

5,0% 5,0% 5,0% 5,0% 5,0% 5,0% 4,5% 4,0% 3,0% 3,0% 3,0% 3,64%

160 Mio.

126% bis 15% 350 Mio.

22% bis 17% 20,0% 14,0% 14,0% 16,0% 18,0% 20,0% 20,0% 20,0% 20,0% 19,625% 20,0% 20,0%

3

Beteiligung des Bundes an den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer

Da der Bundesbeitrag als Prozentsatz der Ausgaben der AHV festgelegt wird, wirkt sich die demographische Entwicklung auch auf den Bundeshaushalt aus. Mit der Beteiligung an den Einnahmen aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer soll der Nettobeitrag des Bundes stabilisiert werden. Misst man den Bundesanteil in Mehrwertsteuerprozentpunkten, so bleibt dieser im Durchschnitt von 2003 bis 2010 gleich hoch wie im Jahr 2000 (vergl. Tab. 2).

5219

Tabelle 2 Beitrag des Bundes an die AHV nach der 11. AHV-Revision Beträge in Millionen Franken bzw. in Prozentpunkten der MWST Jahr

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2003­2006 2007­2010 2003­2010

zu Preisen von 1999

Finanzierung nach geltender Ordnung

11. AHV-Revision

MWST: 1 Prozentpunkt (linear)

Beitrag «netto»*

in MWSTProzentpunkten

17% der Ausgaben

Anteil an MWST (17%)

Beitrag «netto»*

in MWSTProzentpunkten

4477 4797 4751 4955 4906 4874 5326 5307 4745 5103 4924

1,76 1,86 1,82 1,88 1,85 1,82 1,97 1,95 1,83 1,90 1,86

4850 5175 5134 5342 5296 5267 5723 5707 5125 5498 5312

535 597 604 946 1068 1077 1086 1096 671 1082 876

4315 4578 4530 4396 4228 4190 4637 4611 4455 4417 4436

1,70 1,78 1,74 1,67 1,59 1,56 1,72 1,69 1,72 1,64 1,68

2543 2575 2607 2633 2658 2680 2703 2728 2590 2692 2641

* «netto» bedeutet: Beitrag des Bundes nach Abzug des Anteils von 17 Prozent an den MWST-Einnahmen.

In Tabelle 29 wird einerseits ausgewiesen, wie hoch der Beitrag des Bundes an die AHV, unter Beibehaltung der jetzigen Finanzierungsordnung, nach der 11. AHVRevision wäre, andererseits wird aufgezeigt, wie hoch dieser Beitrag ausfallen würde auf Grund des mit der 11. AHV-Revision vorgeschlagenen Finanzierungsmodelles.

Der Beitrag des Bundes beträgt 17 Prozent der Ausgaben10 abzüglich dem Anteil von 17 Prozent an den Einnahmen des seit 1. Januar 1999 erhobenen Mehrwertsteuerprozentes für die Demographie (die 170 Mio. Fr. für das flexible Rentenalter gemäss der 10. AHV-Revision von 2003 bis und mit 2013 gemäss Art. 103 Abs. 3 AHVG sind hier nicht berücksichtigt, sie sind vom Bund zusätzlich zu finanzieren).

Gemessen in Prozentpunkten der Mehrwertsteuer beträgt der Beitrag im Jahr 2003 1,76 Prozentpunkte. Dieser relative Wert steigt wegen der stärkeren Entwicklung der Ausgaben an. Der Durchschnitt bis 2010 beträgt 1,86 Prozentpunkte.

Die Angaben in Prozentpunkten der Mehrwertsteuer beziehen sich auf eine volle (lineare) Erhöhung der reduzierten Steuersätze.

9 10

Tabelle 61 ­ 1 (S. 2018) der Botschaft zur 11. AHV-Revision.

Mit dem Stabilisierungsprogramm 98 wurde dieser Satz auf 16,36 Prozent herabgesetzt, jener der Kantone auf 3,64 Prozent angehoben. Diese Massnahme muss bis spätestens 1. Januar 2005 durch eine neue Regelung ersetzt werden. Die Berechnungen für die 11. AHV-Revision gehen deshalb ab 2005 von 17,0 Prozent aus.

5220

II

Besonderer Teil

4

Erwägungen der Kommission

4.1

Begründung der Kommissionsmehrheit

Mit Annahme von Artikel 41ter Absatz 3bis Bundesverfassung (Art. 130 Abs. 3 neue Bundesverfassung) hat der Souverän der Bundesversammlung die Kompetenz erteilt, die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt zu Gunsten der Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung zu erhöhen, falls deren Finanzierung aus demographiebedingten Gründen nicht mehr gewährleistet werden kann. Im Laufe der Beratungen sowie im Abstimmungsbüchlein wurde klar gesagt, dass diese Erhöhung der Mehrwertsteuer einzig zu Gunsten der AHV/IV erfolgen dürfe. Dass auch der Bundesanteil mit dem zusätzlichen Mehrwertsteuerprozent finanziert und damit der Bundeshaushalt entlastet werden soll, wurde in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

Die Mehrheit der Kommission ist der Auffassung, dass der Erlös aus diesem Mehrwertsteuerprozent vollumfänglich der Alters,- Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zugute kommen muss ­ wie es der Wortlaut von Artikel 130 Absatz 3 der Bundesverfassung nahe legt. Die zusätzlichen Finanzmittel sollen dazu beitragen, die langfristige Finanzierung dieser beiden wichtigen Sozialversicherungswerke zu gewährleisten. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit den Stellungnahmen der Sozialpartner.

Im Hinblick auf die finanzielle Situation der AHV ist rasches Handeln angezeigt: Der Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung ist bereits im Jahre 1995 unter 100 Prozent einer Jahresausgabe gesunken und entspricht seither nicht mehr der Vorgabe von Artikel 107 Absatz 3 AHVG, wonach der Ausgleichsfonds in der Regel nicht unter diesen Betrag sinken darf. Die vollumfängliche, direkte Zuweisung der Mehrwertsteuer an den AHV-Fonds soll dazu beitragen, diesen Deckungsgrad rascher zu erreichen.

Mit der integralen Zuführung des zusätzlichen Mehrwertsteuerprozentes in den Ausgleichsfonds der AHV soll die Finanzierung transparent ausgestaltet werden. Indem der Bundesbeitrag wieder in Prozent der Gesamtausgaben ausgewiesen wird, bleibt es für jedermann einsichtig, wie sich die Finanzierung der AHV zusammensetzt. Diese Transparenz war mit dem Bundesbeschluss über die Anhebung der Mehrwertsteuersätze vom 20. März 1998 verloren gegangen: In Wahrheit steuerte der Bund seit 1999 weniger als die 17 Prozent an die AHV bei, die in der Rechnung ausgewiesen werden. Mit der Aufhebung des Bundesanteils an dem zusätzlichen
Mehrwertsteuerprozent soll die Ausgangslage zur Diskussion über die Finanzierung der AHV, die eines der Hauptthemen der 11. AHV-Revision ist, geklärt werden.

Nach Ansicht der Kommissionsmehrheit soll diese Vorgehensweise auch für zukünftig erhobene Mehrwertsteuerprozente gelten.

4.2

Begründung der Kommissionsminderheit

Eine Minderheit der Kommission beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten. Sie weist darauf hin, dass durch die vorgeschlagene Umlagerung der Finanzierung im Bundeshaushalt Lücken entstehen würden, die auf andere Weise ­ Steuererhöhungen oder zusätzliche Einsparungen ­ wieder gefüllt werden müssten. Dies wider5221

spreche dem Finanzleitbild des Bundesrates, das eine Stabilisierung der Steuer- und der Staatsquote anstrebt. Mit dem System der Fixierung des Bundesbeitrags in Prozenten der Gesamtausgaben sei auch der Bund von der demographiebedingten Mehrbelastung der AHV betroffen, und daher sei es nötig, dass er ­ zur Finanzierung seines Beitrages an die AHV/IV ­ anteilmässig an den zusätzlichen Einnahmen teilhabe. Die dem Bund durch die demographische Entwicklung erwachsende Zusatzbelastung müsse durch Beibehaltung der prozentualen Aufteilung stabilisiert werden.

Ausserdem befürchtet die Minderheit, dass der Beschluss über das erste zusätzliche Mehrwertsteuerprozent faktisch ein Präjudiz schaffen werde für die weiteren Mehrwertsteuerprozente, die der Bund für die AHV und die IV erheben wird. Zieht man diese Zahlen in Betracht, so müsse man davon ausgehen, dass der Betrag, der dem Bund verloren geht, ab dem Jahre 2004 über eine Milliarde Franken betragen werde.

5

Erläuterungen zum Entwurf

Die Parlamentarische Initiative verlangt die Aufhebung folgender Bestimmung: «17 Prozent des Ertrags aus der Anhebung der Mehrwertsteuersätze werden laufend der Rückstellung des Bundes für die Alters- und Hinterlassenenversicherung gutgeschrieben. Diese Rückstellung wird nicht verzinst» (Art. 2 Abs. 2 Bundesbeschluss über die Anhebung der Mehrwertsteuersätze für die AHV/IV vom 20. März 1998).

Aufgehoben wird auch der Satz: «Von diesem Anteil werden jeweils 37,5 Prozent der Rückstellung des Bundes für die Invalidenversicherung gutgeschrieben» (Art. 2 Abs. 3, 2. Satz). Das bedeutet, dass der ganze Erlös des seit 1. Januar 1999 zusätzlich erhobenen Mehrwertsteuerprozent direkt in den AHV-Fonds und ­ bei demographiebedingt erhöhtem Bedarf ­ an die IV fliesst.

Bei Behandlung der Vorlage in der Herbstsession 2000 (Nationalrat) bzw. Wintersession 2000 (Ständerat) können die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Vorlage auf Ende 2000 verabschiedet werden kann. Nach Ablauf der Referendumsfrist kann sie daher rückwirkend auf den 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt werden.

6

Auswirkungen auf das Finanzierungssystem

Mit Annahme der Parlamentarischen Initiative fliessen dem AHV-Fonds Mehreinnahmen von jährlich rund 400 Millionen Franken zu. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, nehmen diese Einnahmen von 370 Millionen Franken im Jahre 2001 auf 470 Millionen Franken im Jahre 2008 zu. Entsprechende Mindereinnahmen sind für den Bundeshaushalt zu erwarten.

5222

Tabelle 3 Auswirkungen der Abschaffung des Bundesanteils an den Mehrwertsteuerprozenten In Millionen, nominell, Stand 30. Mai 2000

1)

1999 R99

2000 VA00

2001 VA01

2002 FP02

2003 FP03

2004 FP04

2005 P

2006 P

2007 P

2008 P

256

370

370

380

400

410

425

440

455

470

R = Rechnung, VA = Voranschlag, FP = Finanzplan, P = Extrapolation

Ab 1999 1,0 MWST-% für die AHV (proportionale Anhebung des reduzierten und des Sondersatzes), Bundesanteil 17% Die Abschaffung des Bundesanteils an dem Mehrwertsteuerprozent wird dazu beitragen, den Deckungsgrad des AHV-Ausgleichsfonds zu verbessern.

7

Legislaturplanung

Der Entwurf der Kommission entspricht der Zielsetzung der Legislatur 2000­2004, die eine Konsolidierung der Sozialversicherungen vorsieht.

8

Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht

Der Änderung des Bundesbeschlusses über die Erhebung des Mehrwertsteuerprozentes für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung gemäss Artikel 130 Absatz 3 neue Bundesverfassung stehen weder Vorschriften des Gemeinschaftsrechts noch des Europarates entgegen.

9

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit ergibt sich ohne weiteres aus Artikel 130 Absatz 3 neue Bundesverfassung, der die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um höchstens 1 Prozentpunkt vorsieht, wenn wegen der Entwicklung des Altersaufbaus die Finanzierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung nicht mehr gewährleistet ist.

5223